ÜBERGÄNGE 2: ZEIT DER KAROLINGER

 

 

Frühe Karolinger

Karl ("der Große")

Franzien im 9. Jahrhundert

Herrschaft

Kirche und Christentum

Das Land

Handel und Gewerbe der Karolingerzeit

Frühe Handelsorte im Norden

Städte der Karolingerzeit im Norden

Bischofsstädte   (Trier / Mainz )

Bischofsstädte in Westfranzien

Klosterstädte

Pfalzstädte

Stadt und Land in Italien (Venedig / Rom / Das Land)

 

 

Frühe Karolinger

 

Im 7. Jahrhundert gelingt es zwei mächtigen Familien Austriens, in denen ein Arnulf von Metz und ein Pippin (I.) herausragen, die mit enormem Grundbesitz und hohen Ämtern ausgestattet sind, über das Hausmeieramt in diesem nordöstlichen Teilreich immer mehr Regierungsmacht an sich zu reißen. Beide verheiraten zwei Kinder um 635 miteinander und gründen so das viel später so genannte Haus der Karolinger.

 

Hausmeier Grimoald lässt seinen Sohn Childebert von König Sigibert III. adoptieren, schickt dessen Sohn ins Exil nach Irland und macht Childebert dann zum König. 657 sorgt Chlodwig II. dann dafür, dass Grimoald zu Tode gefoltert wird. Kurz darauf versucht Hausmeier Ebroin aus einer anderen Familie den selben Coup, wird aber von den "Pippiniden" gestoppt.

Pippin II. ("dem Mittleren"), Neffe von Grimoald, gelingt es in den späten 70er Jahren, Hausmeier in Austrien zu werden und das westlich davon gelegene Neustrien auf kriegerischem Wege ganz dazu zu gewinnen. Die Merowingerkönige führen nun eher ein Schattendasein, worüber allerdings wenig bekannt ist.

Seit 687 besetzt die vereinte Familie fast durchgehend das Amt dieser maiores.

 

Im Verlauf des 7. Jahrhunderts verselbständigen sich Alemannien und Bayern wieder. Unter ihren Duces formieren sie sich zu Stammes-Herzogtümern. Auch Aquitanien wird in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts ein immer selbständigeres Herzogtum.

 

Unter seinen Nachkommen setzt sich ein Karl militärisch durch, der etwas später den Beinamen "Martell", der Hammer bekommt. Auch er wird fast seine ganze Herrschaft hindurch Krieg führen, vor allem gegen Tendenzen der Verselbständigung an den Rändern, in Südgallien, Alemannien und Bayern, die letztere beide inzwischen Dukate (Herzogtümer) sind. Dazu kommen Raubzüge gegen Friesen und kriegrische Sachsen.

Nachdem ein islamisches Heer aus Nordafrika 711 das iberische Reich der Westgoten überrollt, dringen muslimische Truppen in Südgallien ein und werden dann 732 zwischen Tours und Poitiers durch ein Heer Karls gestoppt, nisten sich aber in Küstengebieten des Mittelmeeres in einer Art Räubernestern noch auf Jahrhunderte ein.

 

Im späteren sechsten Jahrhundert erobern die Langobarden große Teile Italiens und Byzanz kann nur noch einzelne Küstengegenden halten. Dazu gehört auch Rom, aber angesichts der langobardischen Bedrohung, gegen die Byzanz kaum noch als Schutzmacht auftreten kann, wenden sich die Päpste nun mit der Bitte um Schutz zu. Der mit dem langobardischen Königshaus verbündete Karl ("Martell") verweigert sich noch dem Papst, aber er ist immerhin inzwischen mächtig genug, nach dem Tod eines Merowingerkönigs keinen Nachfolger mehr einzusetzen und damit alleine zu herrschen.

 

Nach Karl setzt sich ein dritter Pippin 747 gegen seinen Bruder Karlmann durch. Nachdem zunächst wohl vor allem Karlmann eine engere Zusammenarbeit mit der Kirche förderte, wird Pippin das dann weiter fortsetzen. Zwischen Thüringen und dem unteren Maingebiet ist das Land inzwischen auch durch fränkische Besiedlung stärker an das gallische Kernland angebunden, Alemannien und Bayern müssen erneut unterworfen werden. Der immer wieder und nun stärker ans Frankenreich angebundene germanische Raum wird durch systematischere Missionierung im Einklang mit militärischer Unterwerfung nach fränkischen Vorstellungen zwangszivilisiert.

 

Es kommt bald darauf zu erneuter Annäherung zwischen Papst und Hausmeier, die in einen Bescheid des Papstes mündet, der die Annahme der Königswürde durch Pippin legitimiert, die durch Salbung wie die sagenhafte eines Königs David zusätzliche sakrale Weihe erhält. Es kommt zum Besuch des Papstes bei den Franken und dann zu Kriegszügen Pippins gegen die Langobarden.

 

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Beim Übergang von der Herrschaft der Familie der Merowinger zu der der Karolinger verändert sich wenig. Die erhebliche Gewalttätigkeit, nicht selten verbunden mit brutaler Grausamkeit, richtet sich weiter gegen die Konkurrenz von Brüdern, aufsässige Große im Reich und die äußeren Feinde. Immer größere Teile des Landes gehören einigen weltlichen Großen, der Kirche und Klöstern. Das Reich ist im wesentlichen ländlich-agrarisch geprägt und Städte spielen selbst dort, wo sich die ersten etwas zu erholen beginnen, abgesehen von einigen wenigen Gegenden Nord- und Mittelitaliens kaum eine Rolle. Geringer und wohl vor allem lokaler Handel, geringe Qualität handwerklicher Produkte und sehr eingeschränkte Geldwirtschaft prägen das Reich. Die Religion wird weiter von Machthabern und einer breiteren Herrenschicht für ihre Zwecke instrumentalisiert, und diese betrachten kriegerische Gewalt als wesentlichen Lebenszweck.

 

Pippin selbst wendet sich für den Rest seiner Herrschaft vor allem der (Wieder)Eroberung Aquitaniens zu, die aber erst von Sohn Karl vollendet werden wird.

 

 

Karl ("der Große")

 

Die lange Herrschaftszeit Karls von 43 Jahren erlaubt es dem Herrscher, die in dem halben Jahrhundert zuvor begonnenen Ansätze der Machtausübung auszubauen und zu erneuern. Basis der Macht ist einerseits der riesige karolingische Grundbesitz und die Beute aus Gewaltakten wie Kriegen, die die Könige mit den Großen, aber auch dem niedrigen Militär teilen. Auch deshalb sind die unentwegt stattfindenden Heerzüge und kriegerischen Aktionen wichtig, die eine Minderheit kriegerischer Freier an den Herrscher binden.

 

Verwaltet wird das Reich durch mächtige Bischöfe und Äbte und hohe weltliche Herren, die durch Delegation an der königlichen Macht teilhaben, wobei der König regionale Macht durch Grafen ausüben lässt, und als Aufsicht Königsboten in die Regionen sendet. Diese Teilhaber an der Macht werden sich nach seinem Tode nach und nach verselbständigen.

 

Die andere Basis der Macht ist das Bündnis mit der Kirche, welches Könige immer mehr zu von Gott gesandten Herrschern macht, was Große im Reich aber nur solange glauben, wie sie der König sich unterordnen kann. Die religiöse Begründung von Herrschaft wird aber unterhalb von ihm auch von allen anderen Herren genutzt, die über 95% der Bevölkerung damit kontrollieren, die immer weniger für Kriege, dafür aber umso mehr für die von ihnen erarbeiteten und ihnen mehr oder weniger abgeschöpften Reichtümer der Herren benötigt werden. Dazu gehören immer noch auch Sklaven und andere unfreie, an Herren gebundene Bauern, eine abnehmende Zahl mehr oder weniger freier Bauern und die an Herren gebundenen Handwerker sowie teilweise etwas selbständiger agierende Händler. Alle diese vielen kommen sowohl in den Texten damals wie in denen heutiger Historiker nur selten und spärlich vor, und diese bieten so ein extremes Zerrbild der Zeit.

 

 

Beim Tod des Vaters Pippin 768 beginnt ein Konkurrenzkampf zwischen den Brüdern Karl und Karlmann im aufgeteilten Reich, der mit dem Tod des letzteren 771 beendet wird.

Karl ("der Große") beginnt einen ersten von zahlreichen Kriegen gegen die Sachsen, begleitet von massiven Zerstörungen. 773 stehen die Langobarden wieder einmal vor Rom und Karl zieht - wohl gegen den Rat eines Teiles des Hofes - mit Heeresmacht gegen sie, unterwirft sie und nimmt den Titel eines langobardischen Königs an. Nebenbei verschwindet nun auch die Familie Karlmanns. Es kommt zu einer ersten Begegnung mit dem Papst in Rom.

 

Die nur wenig anzivilisierten Sachsen werden sich rund dreißig Jahre gegen immer neue und immer brutalere Kriegszüge Karls wehren, die die Vernichtung sächsischer Lebensformen und Vorstellungswelten zum Ziel haben. Dabei steigert sich mit dem Widerstandswillen der einen die mörderische Gewalt und der Zerstörungswille der Eroberer.

 

Am Ende wird Sachsen in Bistümer und Grafschaften aufgeteilt und ins Reich Karls integriert. Diese Integration läuft wesentlich von oben nach unten und bezieht zuerst eine kollaborierende Oberschicht ein, beinhaltet die Deportation von Einheimischen und den Import von Franken sowie die Einführung der Machtstrukturen von Kirche und Kloster.

Ein Ergebnis sind bis 811 anhaltende Konflikte mit den benachbarten Dänen, ein weiteres die mit Slawen, die in der Sorbischen Mark enden.

 

Mit der Eroberung von Girona (785) und Barcelona (801) wird eine spanische Mark gegründet, während es weder gelingt, die Basken noch die Bretonen wirkungsvoll ins Reich zu integrieren.

 

781 ist Karl in Rom und lässt die kleinen Söhne Pippin und Ludwig zu Königen von Langobardien und Aquitanien krönen und salben. Der Versuch, fünf Jahre später über Benevent Macht in Süditalien auszuüben, scheitert letztlich. Dabei gerät er aber in die Nähe zum byzantinischen Italien, während in Byzanz selbst wieder einmal der christliche Bilderstreit tobt: Wie verehrungswürdig sind Abbildungen heiligen Inhalts. Süditalien, schon im antiken Imperium wegen seiner griechischsprachigen Bevölkerung ein Sonderfall, bleibt weiter und bis zur vom Norden aus betriebenen "Einung" Italiens 1861vom Rest der Halbinsel gelöst.

 

Inzwischen hat sich Bayern unter den Agilolfingern zu einem Stammesverband neuen Typs mit dem Zentrum Regensburg entwickelt, welcher mit seinen Herzögen im 8. Jahrhundert eng mit fränkischer Geschichte verbunden ist. Ab 781 versucht Karl, Tassilos Macht zu begrenzen. 787 findet er einen Vorwand, um gegen Tassilo in Bayern einzumarschieren und ihn zu unterwerfen. Ein Jahr später wird er von Karl samt seiner ganzen Familie in einem Schauprozess verurteilt, dann begnadigt und ins Kloster gesperrt. Bayern wird in Grafschaften eingeteilt und fränkisch kontrolliert. Mit den Awaren gibt es nun neue Nachbarn, die ab 791 auch militärisch besiegt und ausgeplündert werden und nach Osten abziehen.

 

Inzwischen haben sich slawische Völkerschaften nach Norden ausgebreitet und an einigen Stellen die Elbe überschritten, wo Karl sie militärisch ausbremst und auf der Ostseite des Flusses erste Befestigungen anlegt.

 

804 hat "der große" Karl die Fläche des Reiches beim Tode von Karl ("Martell") in etwa verdoppelt. Der Krieg ist bis dahin die regelmäßige Sommerbeschäftigung des Königs und der wohlhabenderen Freien zu Pferde sowie der übrigen Freien als Infanterie. Schwerter, Lanzen, Äxte und Pfeil und Bogen dienen der Metzelei, dem Töten und Verwüsten. Dabei nimmt der Anteil freier Bauern im Heer immer mehr ab und der von teilweise mit Benefizien versehenen Vasallen (immer mehr zu Pferde) zu. Teilnehmer erwarten von ihrem Kriegsdienst nicht zuletzt auch Beute, was ihr räuberisch-brutales Verhalten bestimmt.

 

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Basis der Machtausübung Karls sind die riesigen Ländereien aus merowingischer und karolingischer Herkunft, in riesige Domänen und darunter villae aufgeteilt, die weithin autark sein sollen, was Ernährung und Handwerk angeht. Dazu kommt erhebliche Kriegsbeute auch an Land, kommen Tribute Unterworfener, und von ihnen können getreue Große mit beneficia versorgt werden. Um diese zu behalten und zu vererben ist es nötig, sich den König zu verpflichten, unter anderem durch Königsnähe. Jedes Jahr vor der Heeresversammlung im Frühjahr findet so eine größere Versammlung bei Hofe unter dem König statt.

 

Da eine Pfalz den König und seinen großen Troß auch jetzt nur kurzzeitig ernähren kann und außerdem königliche Präsenz in den Reichsteilen vonnöten ist, ist sein Hof mit kurzen Pausen stetig unterwegs. Mit seinem "Hofstaat" zieht seine Kapelle, denn der siegverheißende Gott ist zunehmend auch ein zivilisierender, also der, mit dessen Propagierung sich (zentral gesteuerte) Herrschaft immer weiter ausdehnen kann. Aus der Kapelle lassen sich zudem weiter schriftbegabte Leute für hohe Ämter bei Hofe ziehen, überhaupt erweitert sich höfisches Leben mit dem Reich.

 

Nach und nach wird die mit Bädern gesegnete Pfalz in Aachen zum veritablen Palast ausgebaut, wobei Vorbilder und Bauteile aus der italienischen Antike (Ravenna) genutzt werden. Handwerker und Händler siedeln sich an, ein größerer Markt entsteht.

 

Die "Verwaltung" des Riesenreiches geschieht über Delegation. An die Söhne geht neben Italien und Aquitanien auch ein Dukat Le Mans. Darunter leiten Grafen placita, Versammlungen der Gerichtsbarkeit und der Propagierung königlicher Politik. Grafschaftsversammlungen leisten seit 789 auch den Treueeid für Karl und in ihrem Bereich sind Grafen auch für das Heeresaufgebot zuständig.

Es entsteht eine Art "Reichsaristokratie" aus etwa vierzig bis fünfzig Familien (Tellenbach). Wiederum darunter sind größere Vornehme angesiedelt, dabei wehrhafte Bischöfe in den Städten. Darunter nimmt der Anteil freier Bauern weiter ab. In dieser hierarchischen Struktur kontrollieren  hochgestellte Königsboten (missi), inwieweit königlicher Wille eingelöst wird.

Grafen und Königsboten werden weit ins 9. Jahrhundert hineinreichen, insbesondere dann im karolingischen Ostreich bis gegen sein Ende, aber der Zugriff der Könige auf einzelne Regionen nimmt dabei in dem Maße ab, in dem "Adel" sich entwickelt und aufsteigt und sich dabei Besitzungen und Rechte zum Beispiel von Kloster und Kirche aneignet.

 

Wichtigstes Herrschaftsinstrument im Inneren (wie nach außen) ist Gewalt bzw. Gewaltandrohung. Sich fügen tun alle Freien mit einem Eid der Untertänigkeit. Eide untereinander werden ihnen dabei immer wieder verboten. Das betrifft große wie kleinere Herren, Kaufleute und Hörige. Die Tatsache, dass das immer wiederholt wird, 779, 794, dann unter Ludwig ("dem Frommen") 821, 829,  dann wieder 847 und dann unter Karl ("dem Kahlen") 860, zeigt, wie nötig das ist. Reiche sind radikal hierarchisch gegliedert, genossenschaftliche Organisationen gewinnen erst mit der ersten Entstehung kapitalistischer Strukturen an Bedeutung.

 

Wichtiges Herrschaftsinstrument sind zudem Religion und Kirche, und Karl als gottgesandter Herrscher sorgt sich eingehend um deren Funktionsfähigkeit als Rechtfertigung von Macht und deren Propagierung. Wie sein Palastbau in Aachen und das höfische Leben darin ist das Teil einer Art "Romanisierung" als Zivilisierungsschub. Dazu gehört die Förderung lateinischer "Bildung" und die Unterstützung von Unterrichtung einer kleinen, im wesentlichen geistlichen Oberschicht, - auf die römische Antike hin orientiert. Dazu holt sich der Herrscher belesene Einzelne an seinen Hof und dafür beaufsichtigt Karl die Kirche und kontrolliert und beeinflusst ihre Glaubensinhalte auf großen Reichssynoden. 789 fordert er in der 'Admonitio generalis' die Durchsetzung des römischen Kirchenrechtes in seinem Reich, vor allem auch dessen weitere Christianisierung und ein damit verbundenes Bildungsprogramm.

 

Solche Romanisierung erreicht aber tatsächlich nur den Hof, wenige Gelehrte und wenige Spitzen von Kirche und Kloster. Mit ihrem Geister- und Wunderglauben sind sie zugleich mit der Vorstellungswelt der allermeisten Menschen verbunden, die anderererseits illiterat sind, im Rahmen von Zivilisierung zunehmend getrennt von ihren tradierten Welten und dabei zugleich außerhalb des Blickfeldes der höfischen Welt, solange sie brav für deren Luxus und ihre Kriege arbeiten.

 

Das Frankenreich besteht weiterhin zu rund 95% aus Bauern, freien wie mehr oder weniger unfreien. Deren Produktivität ist sehr niedrig und nur bei sehr guten Ernten bleibt etwas für den Markt übrig, den eher die großen Domänen und der übrige Großgrundbesitz bedienen können. Entsprechend gering ist der Handel, und der bedient, sofern er nicht lokal beschränkt ist, vor allem Luxusbedürfnisse weniger Wohlhabender. Gefördert wird Handel durch den Versuch einer einheitlichen Münze für die vielen königlich kontrollierten Münzstätten.

 

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Kurz vor 800 ist ein Papst Leo durch heftige Opposition in Rom von Karls Schutz abhängig geworden. 800 zieht der König nach Rom und wird vom Papst zum Kaiser (imperator) gekrönt. Wichtig daran ist wohl vor allem, dass er die Verhältnisse in Rom in seinem herrschaftlichen Sinne regelt. Neben einem gewissen Prestigegewinn dürfte der Titel für ihn aber von geringer Bedeutung gewesen sein, weswegen die Titel-Konkurrenten in Byzanz nur beschränkten Protest einlegen.

 

Nachfolgeregelungen folgen, wie die von 805/06 von Diedenhofen. Pippin soll nun zu Italien große Teile Alemanniens und Bayerns erhalten, Ludwig behält Aquitanien, dazu sollen Septimanien, die Provence und Burgund kommen, Sohn Karl soll die ungeteilte Francia erhalten, ergänzt durch Sachsen und Nordteile Alemanniens und Bayerns. Damit wird mit der traditionellen Merowingerregelung gebrochen, dass bei Erbteilungen jeder Erbe einen Anteil am Kernland der Krone erhält.

811 kommt es zu einer Einigung mit Ostrom über den Kaisertitel, der nicht "Kaiser der Römer" heißen soll.

Als Karl sein Ende nahen sieht, sind seine Söhne Karl und Pippin bereits gestorben. Anders als es fränkisches Recht vorsieht, will der Kaiser 812 die Interessen von Pippins Sohn Bernhard gewahrt sehen, und übergibt ihm Italien. Ein Jahr später wird Ludwig dann in Aachen zum Mitkaiser erhoben.

 

 

Franzien im 9. Jahrhundert

 

Das Riesenreich soll unter Sohn Ludwig, den man später den "Frommen" nennen wird, und seinen Brüdern als kaiserliches Einheitsreich erhalten bleiben. 813 krönt er wohl sich selbst zum Kaiser, 816 folgt die Krönung durch den Papst. Im Zusammenhang mit religiösen Reformen werden zunächst enge Gefolgsleute des Vaters vom Hof verwiesen und neue Berater gefunden. Die Abgehalfterten scharen in der Provinz Gefolgsleute um sich.

Zusammen mit Benedikt von Aniane, den er aus seinem aquitanischen Unterkönigtum mitbringt, versucht Ludwig auf Reformkonzilien in Aachen 816-17, die Benediktregel in den Klöstern strenger durchzusetzen und Klerikerkollegien an Kirchen einheitlicher zu regulieren. Kathedralkirchen und wichtige Klöster sollen unter Königsschutz und Immunität stärker zu einer einheitlichen Reichskirche als Herrschaftsinstrument zusammenwachsen. Dabei steigt das Selbstbewusstsein vor allem der westfränkischen Bischöfe, die sich manchmal bereits nicht nur wie Berater, sondern auch wie "moralische" Aufseher über die Könige verhalten.

Zugleich wird die Integration der Sachsen ins Reich vorangetrieben, die ein Jahrhundert später bereits im Osten den König stellen werden.

 

Die Aufteilungen des Großreiches unter drei Söhne geben diesen Würden, aber in ihren Augen zu wenig Macht. Macht schafft offenbar Gier nach mehr davon, koste es, was es wolle. In einer ersten Teilung von 817 wird Lothar Mitkaiser, erhält die Kerngebiete des Reiches und soll dessen Einheit darstellen. Pippin erhält Aquitanien und Ludwig Ostfranzien.

Das führt zu Konflikten, Bernhard wehrt sich dagegen, wird besiegt und geblendet und stirbt daran. Es kommt zu einem öffentlichen Schuldbekenntnis des Kaisers 822 in Attigny. In dieser Zeit ruft er auch seine verbannten Verwandten, Wala und Adalard, zurück.

 

823 wird der Sohn Karl (später: "der Kahle") aus einer neuen Ehe des Kaisers mit Judith aus einem Zweig der Welfenfamilie geboren. Ihm soll aus dem Erbe der drei Söhne etwas abgezweigt werden, und so kommt es ab 829 zu immer neuen Kriegen und Neuaufteilungen, in denen Brüder gegeneinander und in unterschiedlichen Koalitionen gegen den Vater kämpfen, der mehrmals (830/833) abgesetzt und gedemütigt wird. Kurz darauf verschärft sich die Lage durch Normanneneinfälle im Norden und solche von Sarazenen im Süden.

 

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834/35 ist Ludwig ("der Fromme") wieder König/Kaiser. 838 wird Karl ("der Kahle") Unterkönig in Neustrien. 840 stirbt Ludwig. Ein Jahr später treffen Lothar (Mittelreich) und Pippin II. (Aquitanien) bei Fontenoy in einem grausigen Blutbad auf Karl (Westreich) und Ludwig (Ostreich). Eine Einigung wird nötig, um die nun verhandelt wird. Im Vorfeld treffen Karl und Ludwig in Straßburg zusammen.

Bei den Straßburger Eiden fallen für das sich aufteilende fränkische Reich die Texte in zwei Sprachen aus: in eine romanische und einen althochdeutschen Dialekt. Damit sollen die vielen, die kein (klassisches) Latein verstehen, in die Eide eingebunden werden.

Pro Deo amur et pro christian poblo et nostro commun salvament, d'ist di en avant, in quant Deus savir et podir me dunat, si salvarai eo cist meon fradre Karlo, et in adiudha et in cadhuna cosa, si cum om per dreit son fradra salvar dist, in o quid il mi altresi fazet, et ab Ludher nul plaid numquam prindrai qui meon vol cist meon fradre Karle in damno sit.

 

In godes minna ind in thes christanes folches ind unser bedhero gehaltnissi fon thesemo dage frammordes so fram so mir got geuuizci indi mahd furgibit so haldih thesan minan bruodher soso man mit rehtu sinan bruodher scal in thiu thaz er mig so sama duo indi mit ludheren in nohheiniu thing ne gegango the minan uillon imo ce scadhen uuerdhen.

 

Die Kommunikation, vor allem die schriftliche, findet bei den Mächtigen in einem sich leicht verändernden Latein statt. Dieses entwickelt sich in den romanischen Regionen „im Volk“ zu Idiomen, die sich stärker vom Lateinischen lösen. Zwischen Valencia und Venedig entsteht im Mittelmeerraum dabei ein gemeinsamer Raum der Verständigung, der auf der iberischen Halbinsel zu catalán wird, im westfränkischen Raum als langue d'oc bezeichnet, im Unterschied zur langue d'oeil im Norden.

Das ursprüngliche Galizien entwickelt seinen eigenen Dialekt, das Baskische bleibt bestehen, ebenso wie das Bretonisch-Keltische.

 

Im germanischen Raum entstehen in den sich konstituierenden Stammesregionen ebenfalls Dialekte, die sich unter dem Oberbegriff theodisc, Sprache des Volkes, versammeln. Die Dominanz einzelner Idiome über andere auf dem sehr langen Weg zu Nationalsprachen stellt sich später einmal durch wirtschaftliche Macht, zum anderen aber auch durch militärische Gewalt her, und damit auch über "politische" Vorherrschaft.

 

Die Übersetzung in beide Sprachen bei Straßburg macht aber vor allem die Mitsprache der Großen beider Reiche an den Entscheidungen ihrer Könige möglich. Sie üben dann auch Druck aus bei dem langen Weg in eine Übereinkunft von Karl, Lothar und Ludwig 843 in Verdun, die ein westliches, ein mittleres und ein östliches Reich schafft. Grenzen sind einmal der Rhein, und im Westen Maas und Schelde. Burgund wird zerteilt, Italien fällt ans Mittelreich.

 

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Von den geringen Herrschaftsinstrumenten des "großen" Karls, die ein großes Reich zusammenhielten, bleibt immer weniger übrig. Strukturell herrscht Vasallität vor, die Großen eines Reiches oder Fürstentums sind Herrschern als Kriegeradel zur Treue in der Gefolgschaft in Krieg und Frieden verpflichtet, wofür sie als Gegenleistung entweder Versorgung oder aber Benefizien, Wohltaten an Land und Leuten erhalten. Vasallen aber schaffen sich Untervasallen, auf die der direkte Zugriff von Herrschern schwindet, und Vasallen und Untervasallen (in Italien Capitane und Valvassoren von bischöflichen Stadtherren) begeben sich bald aus Eigeninteresse in die Vasallität mehrerer Herren. Auf der Basis der Grundherrschaft eines Kriegeradels bildet sich so ein immer komplexeres Netzwerk persönlicher Beziehungen und Bindungen heraus, welches selbst die bescheidenen Ansätze ausgeprägterer Staatlichkeit beim großen Karl ersetzt.

 

Machtvollster Herrscher wird nun wohl Karl ("der Kahle") in Westfrancien, dem es gelingt, sich mit kleinen Schritten in Aquitanien gegen Pippin den Jüngeren durchzusetzen und über Septimanien bis in die spanische Mark auszugreifen. Er stützt sich stark auf seine Vasallen in den Bischofskirchen, wobei unter Hinkmar von Reims dessen Bistum herauszuragen beginnt, und in den Klöstern, wo nicht selten adelige Laienäbte regieren, zu denen auch der König, wie in Saint-Denis, selbst zählt. Seit 852 steigt unter den großen Gefolgsleuten ein Robert auf, bald Graf von Anjou und der Touraine, dann auch von Blois und Orléans, Laienabt unter anderem von Marmoutier und St.Martin, beide in bzw. bei Tours. Ähnlich wie ihm gelingt es auch einem Grafen Balduin von Flandern für die dringender werdende Abwehr der immer brutaleren Beutezüge der Normannen eine Fürstendynastie zu bilden.

 

Im Ostreich erstarkt Ludwig (843-876), später etwas verfrüht "der Deutsche" genannt, welcher breite Adelsopposition im Westreich ausnutzt, um seinen Sohn (Ludwig den Jüngeren) 854 dort einfallen zu lassen. Erst die von Erzbischof Hinkmar von Reims aufgebotenen Bischöfe schaffen eine Gegenbewegung, die Ludwig vertreiben kann.

Die meiste Zeit verbringt Ludwig damit, die Slawen, die sich in den fränkischen Bruderkriegen verselbständigt hatten, wieder tributpflichtig zu machen, einmal die Abodriten, insbesondere aber die Böhmen und Mähren (Moravier).

 

855 stirbt Lothar (I.), und zuvor verteilt er sein Lotharingien von Nord nach Süd in drei Teilen unter seinen Söhnen, Italien an Ludwig II., das spätere Lotharingien an Lothar II. und die Provence an Karl. Letzterer stirbt 863 und Karl (der Kahle) bemächtigt sich des Erbes. Er versucht, sich ganz Lotharingien von Süden aus einzuverleiben, worauf ihm Ludwig wiederum entgegentritt. 869 stirbt Lothar II. erbenlos. 870 schließlich wird das Mittelreich unter beiden im Vertrag von Meersen aufgeteilt.

 

 

In Italien herrscht 840-75 Ludwig II. 866-72 kämpft er in Süditalien gegen die "Araber" und erobert Bari, wird dann aber 871 vom Fürsten von Benevent besiegt und eingesperrt.

Über die Provence gelingt es dem kahlen Karl, in Italien einzudringen, nachdem er das Königreich von Ludwig II. erbt, und sich 875 mit der Kaiserwürde  schmückt. Der Preis für seine Großreichspläne sind Zusagen an den Adel, die immer mehr auf eine Erblichkeit ihrer Lehen (und Ämter) hinauslaufen. An der Spitze des Adels übernehmen unter Karls Nachfolgern hochadelige Herren wie Vertreter der Welfen (Hugo Abbas), der Robert-Nachfolger Odo oder ein Gauzlin Machtpositionen. 879 lässt sich ein Boso, seit 876 Vizekönig in Italien und Schwiegersohn Ludwigs II.,  in der Nähe von Vienne zum König der Provence und von Niederburgund wählen, erster Nichtkarolinger auf einem Thron, gegen den nun unter anderem Hugo ("Abbas") kämpft, der 882 entmachtet wird.

 

885 vereint der Ostfranke Karl III. ("der Dicke"), seit 881 Kaiser und Herrscher des erneut vereinten Ostreiches, für kurze Zeit noch einmal beide Frankenreiche. Er macht einen Bernhard zum Markgrafen von Aquitanien, Berengar von Friaul zu einem solchen in Italien und begründet so zwei weitere Fürstendynastien, wie manche andere aus dem "karolingischen Reichsadel" aufgestiegen.

 

Nach 868 gelang es Karl ("dem Kahlen"), dem Roberterben Odo sein Erbe zu entziehen. 882 kann der dann den Titel eines Grafen von Paris annehmen, bekommt nach Verteidigung der Stadt gegen die Normannen Roberts Erbe an der Loire dazu.

887 wird Karl III. im Ostreich abgesetzt, nachdem er versucht, sich scheiden zu lassen, um an einen legitimen Erben zu kommen. Er wird durch seinen illegitimen Neffen Arnulf von Kärnten ersetzt, der etwas Unterstützung in Westfranzien, Burgund und Italien hat. Das alte Karolingerreich zerfällt in fünf Königreiche, von noch mehr Großen beansprucht, von denen nur noch einer aus der Familie der Karolinger stammt.

 

888 wird Robertiner Odo König des Westfrankenreiches, ein weiterer Nichtkarolinger auf einem Thron, den Ostkönig Arnulf anerkennt. Das Westreich zerfällt in rund zehn Fürstentümer, die sich zunehmend die Machtvollkommenheiten des Königs aneignen. Guido von Spoleto wird König in Italien und nach ihm Berengar von Friaul, Bosos Sohn Ludwig wird König in der Provence und der Welfe Rudolf in Burgund.

 

 

Das neunte Jahrhundert versucht insbesondere in Westfranzien die Belesenheit und Verfügbarkeit von Texten aus der Zeit Karls ("des Großen") weiter zu führen und zu erweitern, bevor diese Entwicklung dann in etwa mit dem Tod Karls ("des Kahlen") abbricht. Dabei entfaltet sich weiter die Praxis, Vernunft und Vernunftfeindliches (Religion) so zu vermengen, wie es den Machthabern gefällig ist. Wer dabei im Räderwerk der Macht zu selbständig denkt, wie Amalarius von Metz, der die Liturgie allegorisch verstehen möchte, oder Gottschalk, der die Prädestinationslehre nicht als doppelte Prädestination verstehen und an die Bedeutung guter Werke nicht glauben will, fliegt aus dem Amt und wird diffamiert, aber noch nicht wie später verbrannt.

 

 

Das christlich-lateinische Abendland, dessen Kernraum nun die vier Reiche der West- und Ostfranken, von Burgund und Italien einnehmen, ist im Westen und Süden von islamischen Völkerschaften bedroht, was noch im zehnten Jahrhundert anhalten wird. Im Norden beruhigt sich langsam mit der Ansiedlung einer Gruppe in der zukünftigen Normandie die Bedrohung durch die Normannen, während im Osten neue slawische Fürstentümer, zu denen auch Böhmen und Mähren gehören, die Grenze beunruhigen, und südlich davon die Ungarn gerade erst beginnen, in Italien und Bayern einzudringen. Erst im Verlauf des 10. Jahrhunderts wird sich die Lage nach und nach stärker beruhigen und ein soliderer Binnenraum für den Handel wird entstehen.

 

Die Familie der Karolinger verschwindet mit dem 9. Jahrhundert im Osten, aus dem sich die deutschen Lande unter sächsischen und salisch-fränkischen Herrschern entwickeln werden, und Ende des 10. Jahrhunderts im Westen mit der Machtergreifung der Kapetinger. Der Osten zerfällt dabei in neuartige Stammesherzogtümer und der Westen in regionale Fürstentümer, über die die kapetingischen Könige dann zunächst bestenfalls wie ein primus inter pares verfügen. In Nord- und Mittelitalien steigen die Städte langsam mit ihrem Hinterland zu neuen Formen von Staatlichkeit auf. Als viertes Reich entsteht Burgund neu.

 

Mit den Ostgoten, die Byzanz vernichtet, den Westgoten, deren Reich von einem muslimischen Heer vernichtet wird und und die in den Norden der iberischen Halbinsel abgedrängt werden, den Karolingern, die unter anderem mangels Nachwuchs nach einer Zeit des Niedergangs verschwinden, und dem dann von romanisierten Normannen abgelösten angelsächsischen Königtum verschwinden die sich aus den Völkerwanderungen herleitenden Reiche. Im ostfränkischen Reich, in dem die „Franken“ nun räumlich und bevölkerungsmäßig eine kleine, sich neu definierende Minderheit sind, stellt sich bei den weltlichen und geistlichen Großen der inzwischen herausgebildeten Stämme neuen Typs, den eroberten Völkerschaften des alten Frankenreiches zusammen mit den ebenfalls theodisc sprechenden Ostfranken, ein nicht näher erklärtes Gemeinschaftsgefühl heraus, welches dazu führt, dass sie sich nach dem Aussterben ihres Karolinger-Zweiges nicht an die westfränkischen (weithin romanisierten) Karolinger um eine Herrschaftsübernahme wenden, sondern sich auf einen der Ihren einigen, den fränkischen Herzog Konrad aus einer anderen mächtigen Familie.

Da die Quellen nicht überzeugend hergeben, warum sie das tun, sind wir auf Vermutungen angewiesen. Die hier bevorzugte ist, dass einer der Ihren die inzwischen entwickelten Stammesstrukturen am ehesten respektieren und keine starke Königsherrschaft aufkommen lassen würde.

Mit der Entscheidung für Konrad stellen sich die Lothringer, kein sich ethnisch begründendes Stammesgebiet wie Alemannien, Bayern oder Sachsen, unter die Oberhoheit des westfränkischen Karolingers Karl („der Einfältige“). Lothringen ist nun einer der Reste des 843 geschaffenen Mittelreiches, welches nach seinem ersten König als Lotharingien bezeichnet wurde, und welches romanische und germanische Volksgruppen umfasst (es reichte ursprünglich von Rom über die Provence bis nach Flandern).

 

Stämme als sich ethnisch definierende Zusammenhänge hatten sich im Osten im Kontakt mit den erobernden Frankenherrschern als regna in Fortsetzung alter Königreiche verfestigt. Die Position des Herzogs, dux, ist aber dabei nicht ethnisch definiert, sondern in ihrem Rang und Prestige gegenüber dem König einerseits und den Großen im Herzogtum andererseits. Insofern ist auch die Einsetzung der vielen Söhne, Enkel und Urenkel Heinrichs I. in Schwaben, Bayern, Kärnten und Lothringen nicht ungewöhnlich. Als Nebeneffekt werden sie dabei den Königen in Sachsen und Franken nicht ins Gehege kommen. (Keller, S.69ff)

 

Das römische Erbe ist aufgebraucht. Wir sind an den Wurzeln für jene Vorformen neuer Staatlichkeit angekommen, aus denen sich der „politische“ Rahmen für die Entwicklung von Kapitalismus ergeben wird, der zwar Ansätze von Staatlichkeit benötigt, aber keinen starken Staat, wie er erst später zunehmend auftreten wird, dann allerdings sich aus etablierten kapitalistischen Strukturen nährend. Die Schwäche der Monarchien, die sich nun entwickeln, liegt in dem Fehlen einer Verwaltung, eines Apparates, mit dem Herrschaft ausgeübt werden kann, anders gesagt, an der fehlenden Reichweite und Intensität von Herrschaft. Stattdessen müssen Herrscher Verbündete suchen, „Freunde“, Getreue (fideles), an die dezentral Aufgaben delegiert werden.

 

Herrschaft

 

Ganz langsam geht das aus dem Militärischen stammende Gefolgschaftsprinzip in ein von Historikern so genanntes Lehnswesen über, wobei die Übergabe (Kommendierung) entweder aus Not heraus geschieht und zu servitium et obsequium, Dienst und Gehorsam führt, oder aber bei Mächtigeren und Wohlhabenderen zu consilium et auxilium, Rat und Hilfe. Dafür, dass der Mann dem Herrn einen solchen Treueid leistet, bietet dieser ihm Schutz, also in letzter Instanz militärische Unterstützung an.

Diesem mündlichen "Vertrag" fehlen genauere Festlegungen, sie unterscheiden sich auch deshalb von der Beauftragung mit einem "Amt", also einer konkreten Aufgabe.

 

Zu Karl Martell heißt es, es wurde

wegen der drohenden Kriegsnot und des Ansturms der umliegenden Völker ein Teil des Kirchengutes als zinspflichtige Landleihe zur Unterstützung des Heeres auf einige Zeit zurückbehalten. (ut sub precario et censu aliquam partem ecclesialis pecuniae in adiutorum exercitus nostri cum indulgentia Dei aliquanto tempore retineamus) (in: Althoff(5), S.150)

 

Auf diese Weise kommt zu Geschenk und Beute als Belohnung für den Gefolgsmann nach und nach das Lehen hinzu, welches den Vasallen solider als zuvor an den Herrn binden soll.

 

Herrschaft ist seit Pippins Königssalbung sakralisiert, das heißt, die Herrschaft geschieht "von Gottes Gnaden" und in seinem Auftrag, was auch durch das ganze lange Mittelalter so bleiben wird. Schon im Westgotenreich (Isidor von Sevilla) wird die Salbung des Herrschers bis auf Moses zurückgeführt.Seinen Gipfel erhält diese Macht-Legitimation mit der Heiligsprechung zahlreicher Könige. Erst 1776/89 beginnt die Zeit, in der politische Ideologie, schon länger vorbereitet, den göttlichen Auftrag ablösen wird.

 

Aus älterer Zeit stammt die bekannte Begründung von Herrschaft aus gewalttätiger Stärke, die ihn unter anderem zum obersten Krieger macht und zugleich zum obersten Jäger in seinen vielen königlichen Forsten. Herrscher und Fürsten unterihnen werden dann Beinamen wie "der Große", "der Starke/Tapfere", "der Löwe/Löwenherz" usw. tragen, die sich alle auf erfolgreiche Gewalttätigkeit beziehen.

 

Das Rechr ist in allen Zivilisationen an Macht und Stärke gebunden, mit denen definiert wird, was Gerechtigkeit sei. Darum sind Könige oberste Richter-Instanz. Recht taucht in den inzwischen verschriftlichten Volksrechten auf, in den Verordnungen bzw. Gesetzen der Herrscher, aber wohl auch in ersten Selbstsetzungen/Willküren von Dorf- und Händlergesellschaften. Rechtsprechung ist ihrem Wesen nach nicht wie bei Hitler oder Putin Terrormaßnahme eines Diktators, sondern soll konsensualer der Friedensstiftung als Wiederherstellung von Ordnung dienen. Deshalb werden, soweit möglich, außergerichtliche Einigungen vorgezogen, für die oft auch Vermittler wichtig werden. Andererseits gilt für hinreichend mächtige Freie das Fehderecht, wenn sie sich begründet ungerecht behandelt sehen.

 

 

Kirche und Christentum (derzeit in Arbeit)

 

Die Verklammerung von Kirche und Macht erreicht, wie schon einmal in der Endphase des römischen Reiches einen neuen Gipfelpunkt mit der Annäherung karolingischer Herrscher und der Päpste, also der römischen Bischöfe, die ein geistliches Primat über die „katholische“ Kirche beanspruchen, und endet in der päpstlichen Kaiserkrönung Karls.

 

Karl d.Gr. sieht sich ähnlich wie Kaiser Konstantin als selbsternanntes Oberhaupt der Kirche, welches weltliche Macht und geistliche Legitimation vereint. Dasselbe gilt für seine Nachfolger. Bistümer wiederum werden von Mitgliedern mächtiger Familien verwaltet. Kurz gesagt handelt es sich um eine aristokratische Einrichtung, in der die Mehrheit der produktiv arbeitenden Bevölkerung als unterworfene, Abgaben leistende und auf sie verpflichtete Schicht dient. Diese Kirche spiegelt die weltlichen Machtstrukturen und sorgt dafür, dass sie mit Härte durchgesetzt werden.

Familien der grundbesitzenden Oberschicht geben nachgeborene Söhne gelegentlich in Domschulen, wo der Klerikernachwuchs herangebildet wird, so wie andere wie auch Töchter im selben kindlichen Alter in Klöster abgegeben werden. Damit ist den Söhnen nach Ausbildung eine höhere Klerikerlaufbahn offen, die über Protektion des Königs und von Fürsten dann stattfinden kann. Dabei können mächtige Familien, wie schon gesagt, Bistümer auch schon mal über Generationen besetzen.

 

Seit dem 8. Jahrhundert bestätigen karolingische Könige die Bischöfe und setzen sie ein. Diese Investitur geschieht im 9. Jahrhundert noch vor der Weihe. Es sind oft Vertraute des Königs, manchmal auch Verwandte, die zu Bischöfen werden, im 10. Jahrhundert zunehmend auch aus der Hofkapelle stammend.

 

Spätestens seit dem 8. Jahrhundert erhalten Bischöfe so immer mehr Regalien wie Münz- Markt- und Zollrecht, Schenkungen, die ihre Grundherrschaft erweitern und manchmal ganze Grafschaften. Wie auch weltliche hohe Herren unterhalten sie einen eigenen Hof und eigene Vasallen. Schließlich entstammen Bischöfe wie auch viele der neuen Heiligen dieser Zeit dem Adel.

 

Bischöfe sind Machthaber und Herrscher in einem doppelten Reich: Sie sind je nach Privilegierung Herren über ihre Stadt. Sie sind zudem Herrscher in ihrem Kirchenbezirk über den Klerus und über alle Laien, soweit es kirchliche Belange betrifft, und dann ganz weltlich auch über die erheblichen Besitzungen, über die sie für ihr Bistum verfügen. Die liegen nicht nur im Bereich ihres kirchlichen Regiments, sondern können über das ganze Reich und darüber hinaus verstreut sein, praltischerweise hauptsächlich nicht allzu weit entfernt. Dazu kommt der persönliche Besitz, den der Bischof mitbringen und grundsätzlich auch behalten kann.

 

Diese Bischofskirche hat eine Kontinuität seit der späten Zeit des römischen Imperiums erlebt, wie es sie nirgendwo auf Seiten weltlicher Herrschaft gab. Das Amt, in der Regel nicht in der Verfügung von wechselnden Dynastien und auch nicht ethnisch definiert, gibt der Kirche als Institution eine Modernität, wie sie sich auf weltlicher Seite erst seit dem hohem Mittelalter langsam herauszubilden beginnt. Mit dem Amtscharakter kirchlicher Würdenträger einher geht auch eine Verrechtlichung, die, aus der römischen Antike hergeleitet, wenigstens theoretisch immer präsent ist, während weltliche Macht auf personale Beziehungen rekurriert und im 9./10. Jahrhundert zunächst einen Tiefpunkt erreicht, was römisches oder heutiges Rechtsverständnis angeht.

Schließlich kennt Bischofskirche auch eine auf alledem fußende Vorstellung von Verwaltung, deren solider Kern in der Verwaltung der Kirche, der kirchlichen Betreuung der Laienschar und der kirchlichen Einnahmen fußt.

 

Da laut Kirchenordnung Bischofssitze in ehemaligen, überlebenden oder neuen Städten angesiedelt sein müssen, gibt es eine gewisse Ferne der aristokratischen Kirche zur Masse der Bevölkerung. Dafür bieten Bistümer Kerne für den Aufstieg neuartiger Städte, ähnlich wie Klöster, königliche Pfalzen und andere Fürstensitze. Bischöfe herrschen dabei als geistliche Herren über das Umland, welches die Diözese bildet, und als weltliche Herren zumindest soweit über die Stadt, wie ihr „rechtlich“ definierter Immunitätsbezirk reicht und wie sie mit königlichen Privilegien, den Regalien ausgestattet werden. Darüber hinaus herrschen sie ganz weltlich wie die weltliche Oberschicht über die bischöflichen Grundherrschaften und über jenen Privatbesitz, den sie in ihr Amt mitbringen.

 

Auf dem Lande ist Kirche wie das von Grundherrn gestiftete Kloster unter der direkten Kontrolle der Grundherren, welche allerdings auch Bischöfe oder Äbte sein können, die kleine Kirchengebäude aus Holz bauen und wohl oft Hörige als Pfarrer einsetzen, die in der Regel kaum dafür ausgebildet sind. Eigenkirchen sind aber immer auch in die Diözesanordnung integriert, wiewohl der weltliche Herr zumindest in der Praxis in allen Fragen eingreifen kann. Kritik gibt es seit dem 10. Jahrhundert nicht an der Einrichtung der Eigenkirche, sondern vor allem an den inhaltlichen Eingriffen weltlicher Herren: "Die Adelsherrschaft über die Kirche galt als selbstverständlich (... GoetzEuropa, S.232)

 

Die illiterate Landbevölkerung entwickelt einen christlich-heidnischen Synkretismus, der sicherlich von theologischem Unverständnis geprägt ist und versucht, entweder vorchristliche Vorstellungen in das Christentum zu übertragen oder aber alte natur“religiöse“ Vorstellungen parallel weiterzupflegen. Da das Christentum längst nicht nur, was das Gottesbild angeht, dem alten Judentum angenähert worden ist, sind neben den Geschichten der Evangelien die des Alten Testamentes zumindest gleichwertig präsent: Auf diese Geschichten vor allem dürfte sich das „christliche“ Vorstellungsvermögen der Landbevölkerung und der illiteraten Städter konzentriert haben, also auf Mythisches, Legendäres und Sagenhaftes.

 

Ein Karl ("der Große") begleitet die sich über Jahrzehnte hinziehende brutale Unterwerfung der Sachsen nicht nur mit Massenmord, sondern auch mit gewaltsam erzwungenen Massentaufen für frisch Unterworfene, denen überhaupt keine religiöse Unterweisung vorausgehen muss, sondern denen nur fürderhin schwerste Strafen für "heidnische" Kulthandlungen und Taufverweigerung angedroht werden. Erst 794 wird in Frankfurt überhaupt offiziell zugelassen, Missionierung in den Volkssprachen durchzuführen: Dennoch blieb und bleibt das von kaum jemand noch verstandene antike Latein weiterhin die Sprache in der Kirche. Christentum der meisten bleibt so vor allem die Rechtfertigung der Unterwerfung unter die wenigen und das (weithin wohl wenig verständliche) Glaubensbekentnis Ídeologisierung des Verhältnisses von Herr und Knecht.

 

Für die quellenmäßig ausführlicher belegten Herrschergestalten war es immerhin naheliegend und vernünftig, jener Religion samt Kirche zu folgen, die ihre Macht begründen und Teil der sie tragenden Machtstrukturen ist. Einhard schreibt in seiner Karls-Vita über den "großen" Kaiser:

Der christlichen Religion, zu der er von Jugend an angeleitet wurde, war er mit größter Ehrfurcht und Frömmigkeit zugetan. Darum erbaute er auch das herrliche Gotteshaus zu Aachen und stattete es mit Gold und Silber, mit Leuchtern und mit ehernen Gittern und Türen aus. (26)

 

Bischöfe und Domherren sind "adelig",und im Extremfall nehmen sie nicht nur das Fehderecht, sondern auch die Rachepflicht als Haupt einer Sippe sehr ernst. Als der (Erz)Bischof von Mainz erschlagen wird, übt sein Sohn Gewiliub, Nachfolger im Kirchenamt, eigenhändig Blutrache. Bischöfe treten, wie man am Beispiel sieht, nicht selten auch bewaffnet auf.

 

Manche Priester stehen dem Populus bzw. der Plebs näher, wie das "Volk" damals manchmal genannt wird. In die Diözese, die nicht mit den weltlichen Machtstrukturen identisch ist, sind für den Kirchenalltag der Menschen nach dem Ende der antiken Taufkirchenorganisation die Pfarreien eingesetzt. Mit Pfarre und Bistum gibt die Kirche so eine klare Territorialisierung vor, wie sie im weltlichen Bereich erst im 11.-13. Jahrhundert langsam angestrebt wird. 

Schon unter den Karolingern wird deutlich, dass nicht nur allgemein Religion und Kirche Herrschaftsinstrument ist, sondern dass die Pfarrei neben der sich weiter ausweitenden Grundherrschaft die Basis des herrschaftlichen Disziplinierungs- und Unterdrückungsapparates zu sein hat. Sie strukturiert den Lebensalltag der meisten Menschen so wie die Pflichten gegenüber den weltlichen Herren, ist aber als feiertäglicher Raum von den Mühen produktiver Arbeit abgehoben.

 

In einem Brieftext des Erzbischofs von Lyon an den Bischof von Langres um 853 heißt es so: Auf dass die Plebs ruhig in ihren Pfarreien und den Kirchen, zu denen sie gehört, lebe, wo sie die heilige Taufe empfängt, wo sie Körper und Blut des Herrn empfängt, wo sie die Gewohnheit pflegt, die Feierlichkeiten der Messe anzuhören, wo sie vom Priester die Strafen für ihre Verbrechen/Sünden empfängt, den Besuch bei Krankheit, wo man außerdem von ihnen die Zehnten und die ersten Früchte abverlangt. (in Audebert/Treffort, S.84) 

Zu ergänzen wäre noch die Beteiligung des Priesters beim Tod des Menschen.

 

Die aktive Mitgliedschaft in der Pfarrei ist spätestens seit dem 9. Jahrhundert Pflicht und unumgänglich. Während Juden mehr oder weniger in rechtlicher Sonderstellung ein Dasein in der lateinischen Christenheit erlaubt wird, kann ein Nichtjude nur im Rahmen einer Pfarrei überhaupt existieren. Und ohne die Hilfe des Priesters ist es nicht einfach nur unmöglich, dereinst "durch die Pforten des Paradieses" zu schreiten, sondern man landete, wie einem ständig vorgehalten wird, in jenen ewig währenden Folterkellern, die Hölle heißen.

Deshalb gibt es dort, wo keine Pfarrkirche ist, wenigstens eine einfache Kapelle, zu der der Priester mit einem tragbaren Altar regelmäßig hinreisen kann.

 

Wenn man den überlieferten Texten glauben kann, dann beruht die Unterwerfung der Menschen unter die Knute der Kirche neben offener Gewalt seit der Missionierung im wesentlichen auf Drohgebärden: Eine Hölle perverser Folterqualen wird angedroht und ausgemalt und daneben der vergleichsweise bequeme Weg der Unterwerfung unter einen kirchlich bestimmten Alltag samt allerdings erheblicher Abgaben benannt. Indem Bilder aus den Schrecken der Apokalypse, dem ultimativen Krieg der Welten, benutzt werden, wird Angst verbreitet, eine Methode, die zwischen hohem und spätem Mittelalter noch verfeinert wird:  Wehe, wenn die Trompeten des Jüngsten Gerichts eine nach der anderen erschallen! 

 

Die Pflicht zur regelmäßigen Teilnahme an der sonn- und feiertäglichen Messe ist im wesentlichen ein Mittel zur Disziplinierung der Menschen vor Ort. Damit das machbar wird, setzt eine Synode in Tribur (erst 895) fest, dass der Abstand zwischenden einzelnen Pfarrkirchen nicht weiter als vier Meilen betragen soll. Erst damit wird das Land nun auch ganz einbezogen.

Nicht nur verstehen die "Pfarrkinder" allerdings kein Wort von der lateinischen Messe, sie sehen auch nicht das Entscheidende, was bei einem ihnen dabei den Rücken zukehrenden Priester vor sich geht, noch können sie die merkwürdige Theologie von der Dreifaltigkeit Gottes, soweit sie etwas davon mitbekommen, anders als in ihre vorchristlichen Vorstellungen übersetzen.

 

Das ist der Kirche bekannt. Und so vollzieht sich denn auch die Messe nach dem Vortrag des Bibelabschnitts im sermo, der Predigt, im wesentlichen in Ermahnungen zu braver Untertänigkeit und Friedfertigkeit untereinander, so wie sie ja insbesondere bei Protestanten bis heute im wesentlichen eine Art politische Propaganda primitivster Art enthält, den wahren Kern aller drei Schriftreligionen, wie er sich bei der Christenheit allerdings erst nach mehreren Generationen herausgebildet hat.

 

Nach kanonischem Recht entsteht eine Pfarrei nur dort, wo sie so dotiert ist, dass sie sich selbst trägt. Erweitert wird solcher Besitz durch Spenden von Laien, und dazu kommt die decima, der Zehnte, der allerdings spätestens im Karolingerreich nicht direkt an einen Priester, sondern die Diözese fließt, die einen Teil einbehält, und dazu kommen die ersten Früchte an Pflanze und Tier in regelmäßigen Abständen.

Die Kirchensteuer ist ein lateinisch-christliches Spezifikum, Ausdruck der engen Verbindung von weltlicher und geistlicher Macht. Spätestens im 10. Jahrhundert ist sie eine Steuer auf alle Einkünfte, und damit ist die Kirche den späteren Staaten weit voraus in der Ausplünderung ihrer Untertanen.

 

Daran möchten sich allerdings weltliche Herren beteiligen, die aufgrund eigener Stiftung die Pfarre weiter als ihr Eigentum betrachten oder aber wenigstens versuchen, sich die Erträge daraus anzueignen. Im zehnten Jahrhundert beginnt die Kirche zunehmend, dagegen anzukämpfen, was dann auch als Aspekt in die Wurzeln einer Friedensbewegung eingeht. 

 

Die Pfarrkirche ist ein in seiner Gründung extra konsakrierter sakraler Raum zusammen mit dem Friedhof, meist durch eine symbolische Mauer eingehegt. In diesem Raum erhält sich darum ein vorchristlich gegründetes Asylrecht. Sie gehört zu einer Gemeinschaft, die dort ihr erstes Zentrum hat. Pfarrei ist so erste Gemeindebildung vor aller anderen, mit dem gemeinsamen Recht kirchlicher Versorgung, allerdings unter der Bedingung vollständiger Unterordnung. Und die Priester haben ein durchaus materielles Interesse, dass es eher Zu- als Abwanderung bei ihrer "Herde" gibt, kommen doch zu den allgemeinen Abgaben zunehmend noch die bei kirchlichen Dienstleistungen wie der Taufe dazu.

 

Mit dem Verfall der kaiserlichen Zentralgewalt unter den Kindern und Enkeln des großen Karl wird die Kirche als Klammer und Ordnungsfaktor noch wichtiger.

 

Schon die Kirche des großen Karl als wichtiger Teil seines Machtapparates soll latinisiert und romanisiert werden. (Genaueres dazu im Großkapitel 'Der große Karl'). Wie selbstverständlich setzt Karl also Bischöfe (und Äbte) ein, die mit dem Auftrag versehen werden, sich selbst weiter zu bilden und zugleich minimale Ansprüche dieser Art an die untergeordneten Priester weiterzugeben. In Metz hatte schon Bischof Chrodegang nach 755 eine feste Regel für seinen Domklerus eingeführt. "So entstand in Metz ein dem liturgischen Rhythmus folgendes Gemeinschaftsleben des Klerus innerhalb eines claustrum mit täglichem capitulum, mit gemeinsamer Küche sowie Räumen zum Essen und Schlafen, geleitet vom Bischof, dem der primicerius oder archidiaconus als ständiger Vertreter sowie die Inhaber niedrigerer Ämter (...) zur Seite standen." (Schieffer)

 

Diese zeitweilige Sonderregel wird 816 in Aachen unter dem Einfluss vor allem vom von Ludwig dem Frommen unterstützten Benedikt von Aniane durch eine institutio canonicorum Aquisgranensis für alle Dom- und Stiftsherren abgelöst (und durch eine entsprechende und kürzere Regel für Stiftsdamen).

 

Vorbild für die nun erneut verlangte vita communis ist Augustinus, der schon in seinem Elternhaus in Thagaste und dann als Bischof von Hippo mit seinen Klerikern in einer Art klösterlicher Gemeinschaft lebte.

Regularkanoniker, auch Augustiner-Chorherren genannt, legen ein Gelübde auf ihr Domstift (Hochstift) oder Kollegiatstift (Niederstift) ab und wählen unter den beiden überlieferten Augustinusregeln entweder die maßvollere Version Praeceptum / ordo antiquus oder der strengeren Observanz folgend die Version Ordo monasterii / ordo novus aus. Für ein so oder ähnlich einheitlich geregeltes Leben wenigstens des hohen Domklerus wird für die geistlichen Herren allgemein ein Leben in Gemeinschaft, gemeinsames Essen und Schlafen wie natürlich auch das gemeinsame Gebet verfügt. Dabei dürfen sie allerdings daneben noch persönliches Eigentum besitzen und ein eigenes Haus zum Beispiel, in das sie sich tagsüber zwischendurch auch zurückziehen konnten. Privatbesitz und kirchliches "gemeinsames" Eigentum sind deutlich getrennt.

 

Frühe Bezeichnung für Dome war Monasterium (Münster), und was den Dombezirk vom Kloster unterschied, war eine gewisse Öffnung nach außen, zu den Laien hin, der „Herde“. Dennoch konnten die Gebäude des Domklerus im 9. Jahrhundert auch als claustrum bezeichnet werden (R. Schieffer in Bernward, S. 269), so wie einfache Kirchen zum Beispiel in Ravenna auch als monasterium bezeichnet wurden (Jäggi, S.107 u.a.), Ausdruck fehlender klarer Trennung zwischen mönchischer Heiligkeit und Weltklerus.

 

Auch diese vergleichsweise milde Kanonikerregel scheint aber nur wenig zur tatsächlichen Reform der Geistlichkeit beigetragen zu haben, wie die bis in die Kirchenreform des 11. Jahrhunderts anhaltenden Klagen erweisen werden.

Sie dient auch dazu, Kirche im Interesse weltlicher Herrschaft zu stabilisieren. Das gelingt aber nicht überall und auf Dauer. Vielmehr wohnen die "Kanoniker" des sich in der Karolingerzeit ausbildenden Domkapitels bald wieder in eigenen Häusern im Dombezirk und verbringen nur noch die Zeit des Gebetes gemeinsam.

 

Derweil geraten die Kirche und das Kloster in den gewalttätigen Wirren des neunten Jahrhunderts immer mehr in Abhängigkeit von fürstlichen und kleineren weltlichen Herren, deren Schutz sie bedürfen, dabei gleichzeitig von ihnen bedroht.

 

Nach apokalyptischen Vorstellungen kündigt sich das Weltenende durch das Aufkommen von Irrlehren an. Nun nehmen diese dort zu, wo die Definitionen von Rechtgläubigkeit enger werden. In der Zeit, in der im 8. Jahrhundert unter anderem von Toledo ausgehend bekundet wird, dass Jesus einerseits Mensch, andererseits in seine Göttlichkeit hinein von Gott quasi adoptiert worden sei, ein deutlicher Verstoß gegen das Symbolon von Nikäa, aber an sich nichts neues, sieht der gelehrte kantabrische Mönch Beatus aus dem Liébana-Tal das Ende für 800 voraus und kommentiert ausführlich den Apokalypse-Text.

In seiner Admonitio Generalis, der allgemeinen Ermahnung, erklärt Karl d. Gr.: Denn wir wissen, in der Endzeit werden falsche Lehrer sich erheben. Deshalb ihr Lieben, wollen wir uns mit ganzem Herzen in der Kenntnis der Wahrheit üben, damit wir denen widersprechen können, die sich ihr widersetzen. Und nach Toledo lässt Karl ausrichten: Hütet euch, dass die heiße Verschlagenheit des alten Feindes euren Geist nicht mancherorts verderbe und der Teufelsdienst im Innern nicht schlimmer werde als der Dienst für das verhasste Heidenvolk (des Islam) im Äußeren. Erwartet euren Erlöser, den ihr zum Urheber eures Heiles habt (beides nach Joh. Fried in: 798, S.28).

 

Wir wissen nicht, was Karl davon glaubte, und wieviel davon Instrument dafür ist, die Vereinheitlichung seiner Kirche für seine Herrschaftsausübung zu betreiben. Für die meisten Menschen war wohl nur wahrnehmbar, dass ihr König ein großer Glaubensstreiter ist. Als dann für das erste christliche Millenium der Weltuntergang samt Gericht mal wieder vorausgesagt wird, gehen viele Quellen gelassen darüber hinweg. Am Ende zählte für fast alle wohl eher das individuelle Schicksal nach dem Tode, jedenfalls mehr als die große weite Welt.

 

Im 9. Jahrhundert wird die Verleihung des Palliums an die Erzbischöfe durch den Papst überall die Regel.

 

Das Land

 

Der Herrschaftsraum der Karolinger ist im wesentlichen ländlich-agrarisch geprägt, wohl rund 95% der Bevölkerung sind Bauern. Ausgenommen ist der Mittelmeerraum, wo es ausgeprägte Stadtlandschaften gibt, zum Beispiel in der Provence oder der Poebene. Karls Germania, also vorwiegend die von Merowingern und Karolingern unter fränkische Aufsicht gebrachten rechtsheinischen Gebiete, teilen sich in den teilweise romanisierten Süden und Westen und die ganz anderen sächsischen, hessischen und thüringischen Gebiete, die noch zu nicht geringem Teil aus Waldland, Sümpfen und ähnlichem bestehen.

 

Vermutlich steigt die Bevölkerung in West- und Ostfranzien wie im Norden und der Mitte Italiens zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert in einigen Gegenden langsam wieder an. Jedenfalls werden neue Ländereien aus Wald, Heide und anderem „Ödland“ für die Landwirtschaft erschlossen. Die Umformung in Agrarland wird mit Rodungen und anderen Formen der Urbarmachung zunächst wesentlich von Klöstern aus und dann auch zunehmend von privaten Grundherren betrieben. Sie greift wohl immer mehr auf Wälder im Mittelgebirge über, die weniger ertragreiches Land bedeuten. Ortsnamen mit -hausen und -felden tauchen hier auf, nicht nur im Hunsrück zudem mit -schied und -scheid. Das erweist sich später auch daran, dass sie bei kühlerem Klima dann wieder "wüst" liegen.

 

Die Erträge sind für heutige Verhältniss ungeheuer niedrig. Sie werden erst langsam auf ein durchschnittliches Verhältnis zwischen Saatgut und Ernte von 1 zu 3 ansteigen. Wir befinden uns am Anfang der Zeit des Übergangs vom Hakenpflug zum Pflug mit Pflugscharen. Die strapaziöse Arbeit mit dem Hakenpflug besteht in der Qual, diesen, wenn er gezogen wird, in das Erdreich zu drücken. Dieses zu wenden gelingt mit der neuartigen Pflugschar, die Erde nicht mehr nur anritzt, sondern umpflügt, die sich aber erst im hohen Mittelalter langsam durchsetzt.

In derselben Zeit entwickelt sich auch an ersten Orten die Dreifelderwirtschaft, welche ebenfalls die Produktivität erhöht, so wie man auch in diesen Jahrhunderten nach und nach an einigen Orten beginnt, das Pferd als Zugtier statt des Ochsens einzusetzen.

Der geringe Ertrag liegt auch daran, dass die Düngung im wesentlichen in dem Verteilen des Tierkotes über die Äcker besteht, und die meisten Bauern haben davon zu wenig.

Langsam nimmt die Zahl der  Wassermühlen zu, früher Maschineneinsatz, welcher der Hausfrau das Getreidemahlen per Hand abnimmt, welches aber wohl vorläufig noch die Regel ist.

 

 

Es gibt keine Stände im mittelalterlichen Sinne, aber einen unterschiedlichen rechtlichen Status wie schon in der Merowingerzeit. Der umfasst die Freien (ingenui), die Lazen (lidi) und die gänzlich Unfreien (servi). Darin eingeordnet sind die romani und die ihnen gleichgestellten ecclesiasti.

Grundsätzlich für den servus gilt, dass er nicht rechtsfähig ist, sondern darin von seinem Herrn vertreten wird. Die untere Stufe der Unfreien sind die, welche keine eigene Hufe haben und die sich dadurch auszeichnen, dass sie, ob Männer oder Frauen, unverheiratet sind. Männer heißen am Beispiel des Prümer Urbars haistaldi, woraus der spätere Hagestolz wird. Frauen heißen einfach femine, sind unverheiratet und haben oft dennoch Kinder. Der Herr wird ihnen wohl nur ungern die Zustimmung zur Verheiratung geben, da er dann eine ganze Familie ernähren muss.

Sie arbeiten allesamt vermutlich auf der Domäne des Herren und sind wohl alle zu extremer Unterwürfigkeit gegenüber ihm verpflichtet und zudem seinen möglichen spontanen Gewaltausbrüchen ausgesetzt. (Staab, S.332ff) Wohlhabendere Herren besitzen solche Leute auch als Kämmerer, Kanzler,  Hauskaplan, als einen Jäger oder Notar.

 

Die servi casati, ein Begriff, der aber nur selten in den Quellen auftaucht, sitzen auf einer Hufe (mansus) entweder einzeln mit Familie oder aber gleich zu mehreren, wenn die Hufe dafür groß genug ist. Fronen und Abgaben zeichnen sie ebenso aus wie das Recht des Herrn zu Körperstrafen.

 

Als Halbfreie kann man die Lazen ansehen. Aus ihnen werden manchmal auf dem Weg ins Hochmittelalter Ministeriale mit Benefizien, also milites im Sinne von Ritter. (Staab, S.354)

 

Die Freien bekommen das höchste Wergeld, uneingeschränkte Rechtsfähigkeit und Rechtsgleichheit bei unterschiedlichen Vermögensverhältnissen. Dafür müssen sie Kriegsdienst leisten, am Ding, dem Gericht teilnehmen, bestimmte öffentliche Arbeiten verrichten und gewisse Naturalabgaben in einem besonderen Verhältnis zum König leisten. Ähnlich wie Lazen können sie auf Hufen sitzen und dort Abgaben leisten, oder aber auf Eigenbesitz wirtschaften.

Besitzen sie wenig, werden sie von oben gelegentlich als pauper angesehen. (Staab, S.365ff)

 

Freiheit heißt natürlich wie in jeder Zivilisation, Mächtigeren Untertan zu sein, zu allermindest dem König - und das streng hierarchisch gegliedert. Wer nicht nur nach oben gehorcht, sondern neben sich Zusammenhalt sucht, ist schnell des Todes, wie die Annalen von St. Bertin für 859 belegen:

Die Dänen verwüsten das Land hinter der Schelde. Das gemeine Volk (vulgus) zwischen Seine und Loire, dass sich miteinander verschworen hatte (inter se coniurans), leistete den Dänen, die sich an der Seine festgesetzt hatten, tapfern Widerstand; da aber ihre Verschwörung unvorsichtig (incaute) betrieben war, so wurden sie von unsern Großen (potentiores) ohne Mühe getötet. (in: QuellenkarolReichsgeschichte II) 

 

Besser also, das Land den alljährlich eindringenden fremden Mordbrennern zu überlassen, als dass Untertanen durch gemeinsames Handeln womöglich Selbstvertrauen gewinnen. Dabei erweisen sich die Könige meist als unfähig, Wikinger anders als durch hohe Tributzahlungen von tausenden von Pfund Silber  loszuwerden oder Sarazenen und Slawen von Überfallen abzuhalten. Wenn, dann erringen mächtige Familien wie die Robertiner hier Erfolge.

 

Sich wehren gegen die mächtigen Herren vor Ort können sich (freie) Bauern nur mit wohl bescheidenem Erfolg vor Gericht. Der Aufstand der Stellinge in Sachsen 841/42 ist wahrscheinlich nur möglich im Kontext der Brüderkriege im Reich und der besonderen sächsischen Situation nach der mühsamen und brutalen Unterwerfung durch "den großen" Karl. In den Xantener Annalen für 841 heißt es dazu wenig aufschlussreich:

In demselben Jahr war durch ganz Sachsen die Macht der Knechte (potestas servorum) weit hinausgewachsen über ihre Herren und sie legten sich den Namen Stellinge bei und begingen viel Unverantwortliches (inrationabilia). Und die Edlen jenes Landes wurden von den Knechten sehr geschädigt und erniedrigt. (in: QuellenkarolReichsgeschichteII, S.345)

 

Es wäre wünschenswert zu wissen, wer mit servi gemeint ist und was sie wollten, aber das interessierte den frommen Autor nicht. König Ludwig macht sich 842 dorthin auf und die übermütig aufgeblasenen Knechte der Sachsen schlug er auf eine für ihn ehrenvolle Weise und führte sie zu ihrem eigentlichen Stand (ad propriam naturam) zurück. (s.o. S.347)

 

 

Zwischen die Freigeborenen und die unterschiedlich Unfreien schiebt sich langsam häufiger eine Anzahl von bedingt Freien, die sich einmal aus in einer Kirche freigelassenen servi zusammensetzen, die weiter in einer Art Patronat von Kirche bzw. Kloster existieren, nicht mehr unmittelbar für ihren Patron arbeiten, aber einen (Kopf)Zins in Geld oder Wachs leisten müssen, der ihre (bedingte) Freiheit auszeichnet, dazu eine Abgabe bei Heirat und Tod, - letztere, weil sie mit ihrem Eigentum auch ihren rechtlichen Status vererben.

Dazu kommt eine weitere Anzahl von Freien, die aus einem Schutzbedürfnis heraus oder weil sie sich auch andere Vorteile erhoffen, sich in denselben Status unter einen kirchlichen oder klösterlichen Patron begeben und dafür dieselben Abgaben leisten müssen. In die Zukunft eines etwas einheitlicheren Bauernstandes verweist, die Tatsache, dass sie in Urkunden wie die anderen Abhängigen oft als mancipia (servi und ancillae) bezeichnet werden, mit der Besonderheit der Pflicht zum Kopfzins. Andererseits entstehen dann vor allem im zehnten Jahrhundert regelrechte Zensualenverzeichnisse.

 

Diese Leute, die erst im 10./11. Jahrhundert einen größeren Anteil der Bevölkerung in großen Teilen der damaligen deutschen Lande zu umfassen beginnen, werden von den modernen Historikern als "Zensualen" zusammengefasst, also von ihren Kopfzins her bestimmt, der üblicherweise bis zu vier Denare umfassen. (Siehe auch 'Übergänge1')

Zunehmend häufiger bestehen sie nicht mehr nur aus freigelassenen servi, sondern aus sich selbst unter den Schutz, das patrocinium und die defensio bzw. mundiburdium von Kirche oder Kloster zu begeben.

Sie beginnen langsam, sich als besondere Gruppe innerhalb der von einem Herrn Abhängigen zu verstehen.

 

Inwieweit es neben Streusiedlung und Weilern Dörfer gibt, wird nicht ganz klar. Aber es gibt von Hinkmar von Reims bischöfliche Gesetzgebung gegen das, was O.G.Oexle "dörfliche Gilden" nennt, die sich gegen Trunksucht und Völlerei, Unzucht und Obszönität, Streit und Totschlag dort wenden, ganz wie ein halbes Jahrhundert später Alpert von Metz über die Kaufleute von Tiel schreibt:

pastos (Verfressenheit) autem et comessationes (Trinkgelage), quas divina auctoritas vetat, ubi et gravedines et indebite exactiones et turpes ac inanes letitie, rixe (Raufereien,) sepe etiam, sicut experti sumus, usque ad homocidia et odia et dissensiones accidere solent, adeo penitus interdicimus, ut qui de cetero hoc agere presumpserit, si presbyter fuerit vel quilibet clericus, gradu privetur; si laicus est aut femina, ab ecclesia usque at satisfactionem separatur. (bei: Oexle in: Jankuhn/Ebel, S.185)

 

 

Das Verhältnis zur "Natur" wird wie in der römischen Antike, wo sie dort nicht idyllisiert wird, durch Effizienzdenken bestimmt, welches sie als unnütze und in Nutzlandschaft zu verwandelnde "Wüste" betrachtet.  Für die Vielen, die ihr Überleben dieser Natur durch mühsame Arbeit abringen, hat sie eher bedrohliche Züge, was durch die neue Religion und ihre Einordnung von "Welt" als sündhaft gefördert wird. Sicherlich aber ist die Kenntnis von lebendiger Natur bei den meisten Menschen viel, viel größer als heute im konsumistischen Europa, wo die Masse der Menschen sie, durch die Amüsierindustrie instrumentalisiert, noch nur ideologisch verzerrt "kennenlernen".

 

Gewerbe und Handel der Karolingerzeit

 

Vermutlich steigt die Bevölkerung in West- und Ostfranzien wie im Norden und der Mitte Italiens zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert in einigen Gegenden langsam wieder an. Jedenfalls werden neue Ländereien aus Wald, Heide und anderem „Ödland“ für die Landwirtschaft erschlossen. Bevölkerungswachstum und langsam wachsende landwirtschaftliche Produktivität sind es denn auch vor allem, die die Städte wieder wachsen lassen.

Marktorte, ländliche Siedlungen und auch die Neustädte und burgi ziehen dabei Leute an, die sich dort niederlassen.

Grundherrschaften kontrollieren dabei mit den Vorkommen auf ihrem Land einen großen Teil der gewerblichen Rohstoffe. Das Kloster Cluny erhält Salzpfannen in Salins im Jura geschenkt, und der Betrieb wird von einem monachus salnerius beaufsichtigt. Das Kloster Fulda verlangt von Marschenbauern nicht einmal mehr Wolle, sondern fertige Tuche als Abgabe und von Bauern im hessischen Bergland Eisen. Im Churer Reichsguturbar ist in Vorarlberg ein ganzes ministerium, "ein Domänenbezirk, ausschließlich mit der Eisenproduktion beschäftigt. Acht Schmelzhütten werden genannt, die Eisenabgaben sind vergleichsweise hoch. Außer dem König erhält der Schultheiß Eisenabgaben. (Sprandel in: Schwineköper, S.21) In die Eisenproduktion ist dann, wie besonders für Italien dokumentiert, auch Lohnarbeit von servi integriert.

 

Das Handwerk ist überhaupt zum guten Teil weiter auf dem Lande angesiedelt und ist weithin in die Grundherrschaften eingegliedert. Weber(innen) in etwa im Status von Sklaven stellen mit Spinnen und Weben die Tuche auf dem Gutshof her, die aus Wollabgaben der Herrenhöfe der weiteren Umgebung zusammen gezogen werden. Vermutlich dient ein Teil der Produktion dem Handel. Nur in Nordgallien gibt es noch städtische Zentren für die Erzeugung hochwertiger Stoffe.

In einer Aufzählung Karls d. Gr. für seine Krongüter (Capitulare de Villis) heißt es dann:

Jeder Amtmann soll in seinem Bezirk tüchtige Handwerker zur Hand haben: Grob-, Gold- und Silberschmiede, Schuster, Drechsler, Stellmacher, Schildmacher, Fischer, Falkner, Seifensieder, Brauer – Leute, die Bier-Apfel- und Birnmost oder andere gute Getränke zu bereiten verstehen -, Bäcker, die Semmeln für unseren Hofhalt backen, Netzmacher, die Netze für die Jagd, für Fisch- und Vogelfang zu fertigen wissen, und sonstige Dienstleute, deren Aufzählung zu umständlich wäre. (Schulz, S. 24) Nur große Güter können natürlich eine solche Vielfalt aufweisen.

Zum Kloster Corbie gehören 822 zahlreiche Handwerker, Schuster, Tuchwalker, Schmiede, Schildmacher, Pergamenter, Schleifer, Gießer, Stellmacher. Zu welchem Herrengut die Handwerker auch gehören, sie arbeiten in persönlicher Abhängigkeit von ihren Herren.

 

In die familia eingeordnete Handwerker werden von hohen Herren für deren Luxusbedürfnisse gefördert. Sie werden zum Beispiel zur Ausbildung in der Goldschmiedekunst zu Meistern anderer Herren geschickt; der Erzbischof Ebo von Reims (gest.851) bietet zum Beispiel „einigen artifices Wohnungen an, um sie in seine Stadt zu ziehen; und Ludwig der Fromme offeriert ihm aus der Schar seiner Hörigen einen Goldschmied als Geschenk.“ (Nonn, S.60)

 

Unter den Handwerkern, die ihre Produkte auf dem Markt verkaufen, gibt es die Unfreien, die auf Herrenhöfen im Marktort oder seiner Umgebung arbeiten, dann persönlich Unfreie, aber in ihrem Gewerbe Freie, die auch auf eigene Rechnung arbeiten und verkaufen können, und eine Minderheit persönlich freier und wirtschaftlich unabhängiger Leute.

 

 

Abhängige Bauern produzierten wenig für einen Markt, Grundherrschaften erzielen aber gelegentlich und wohl zunehmend größere Überschüsse für den Verkauf auf Wochenmärkten und im Fernhandel. Zwar ist weiterhin möglichst breite Selbstversorgung erstes Ziel, aber es ist anzunehmen, dass für Luxus vor allem auch Handelsware produziert wird: Getreide, Wein, Leinen, Holz, Steine, und manchmal sogar Metallwaren. Dazu dienen auch ländliche Jahrmärkte jenseits der großen Handelswege.

 

Kirchliche Doktrin entwickelt, je mehr Tauschwirtschaft aufkommt, die Forderung nach dem "gerechten Preis", der sich allerdings nicht ernstlich definieren lässt, und über den hinaus alles Wucher sei. Etwas handfester wird es im Kapitular Karls ("des Großen") von 806:

Alle die, welche zur Zeit der (Getreide)Ernte und der Weinlese ohne Not, aber mit dem Hintergedanken der Gier nach Reichtum, Getreide oder Wein kaufen, zum Beispiel indem sie (eine Einheit) für zwei Denare kaufen und dann solange behalten, bis sie sie für vier oder sechs oder sogar noch mehr verkaufen können, machen sich eines unehrlichen Gewinns schuldig. Wenn sie ganz im Gegenteil kaufen, um es für sich zu behalten oder aber (gleich)  an andere zu verteilen (zu verkaufen), dann nennen wir das Geschäft (negotium). (in: Audebert/Treffort, S.49)

In der Praxis spielt wohl weder die geistliche noch die weltliche Ablehnung von "Wucher" eine sonderliche Rolle.

 

Zum Wiederaufschwung des Handels nördlich des Mittelmeerraumes in der zweiten Hälfte des 8. und durch das 9. Jahrhundert tragen im 8. Jahrhundert die Friesen bei. Friesen beherrschen den Nordseehandel wie Skandinavier den der Ostsee. Zudem reisen friesische Händler auch den Rhein bis Straßburg hinauf. Innerhalb des Frankenreiches handeln fränkische Händler mit Getreide, Wein, Eisen und Salz vor allem. Salz, selten vor Ort vorhanden, ist ein überall begehrtes Gut. Es kommt in deutschen Landen aus Reichenhall, Hallein, Schwäbisch-Hall und Lüneburg. Friesen haben aber außerhalb ihres Kern-Siedlungsgebietes kein Monopol auf Handelsaktivitäten.

 

Die syrischen/orientalischen und griechischen Händler, die zuvor die gallorömischen ersetzt hatten, verschwinden aus den Quellen der Nordhälfte Franziens mit der Orientierung des dortigen Handels nach Norden. Selbst die Messe von St.Denis ist auf den Handel mit Orten wie Rouen, Amiens und Quentovic ausgerichtet. Die Bedeutung von Gent an der Schelde und Mastricht mit Zoll und Münze steigt, wie die der Maasorte Dinant, Huy und Namen (Namur).

 

Der Übergang vom Händler als Teil der herrschaftlichen familia mit Beauftragung durch den Herrn über den, der nebenbei auch auf eigene Rechnung Handel treibt, zum ganz selbständigen Händler ist im Einzelfall kaum nachvollziehbar. Ein Zwischenschritt ist der Einkauf am Zielort nach Verkauf vorgegebener Waren, wobei Händler wohl zusätzlich auf eigene Rechnung einkaufen. Wenn der Herr vom Händler beispielsweise eine bestimmte Menge Salz erwartet, kann dieser auf eigene Rechnung und für eigenen Handel zukaufen. 

Andererseits tritt zum Beispiel der Friese und homo ecclesiae Ibbo in der 'Vita Maximini' schon zur Merowingerzeit auf, der für das Trierer Kloster "selbständig zwischen England und dem Kontinent Handel treibt. Wir beobachten bei ihm eine Teilnahme an einer Gruppenbildung außerhalb der Grundherrschaft. Er schließt sich einer Flotte von sechs Schiffen an. Er war Kirchenabhängiger geworden, ohne die freiheitlichen Formen seiner Betätigung aufzugeben, Wahrscheinlich hat die Aufnahme solcher Freier in die Herrschaft über die Assimilation auch den Freiraum der Altabhängigen vergrößert." (Sprandel in: Schwineköper, S.24)

Auch Verpachtungen wie die von Landungsstegen oder Marktständen an Händler kann ein Weg in ihre Verselbständigung sein.

 

Insgesamt kann man feststellen, dass unter den Karolingern die Bedeutung des Handels zunimmt und das auch so wahrgenommen wird. Es gibt mehr Schutzversprechen und Zollprivilegien, die zwar an Bischof und Abt gehen, aber die Handlungsmöglichkeiten von Händlern erhöhen.

 

Neben den Friesen, die sich im fränkischen Reich schon vor der endgültigen Eroberung und fränkischer Zivilisierung nach und nach integrieren, sind von Grundherrschaft freiere Händler auch aufgrund ihrer ebenfalls andersartigen Religion die Juden. Mit der endgültigen Eroberung und Zivilisierung germanischer Räume vor allem nordöstlich des Rheins entstehen an Domburgen, Pfalzen und Klöstern zu Handwerkersiedlungen auch solche von Händlern, die zunehmend privilegiert werden.

Jüdische Händler des nördlichen Schwarzmeerraumes vermitteln zentralasiatische Seidenstoffe über Kiew bis nach Mainz. (Haussig in: Jankuhn/Ebel, S.27). Dabei hilft der Übertritt der Chasaren zum Judentum um 800, möglicherweise aus merkantilen Gründen. Sie spielen eine erhebliche Rolle im Sklavenhandel des 9. Jahrhunderts. In Haithabu liegt ein chasarischer Kaufmann begraben.

 

In der Karolingerzeit gewinnt auch islamischer Handel an Bedeutung, der allerdings vorwiegend innerislamisch stattfindet und in dem Juden ebenfalls eine Rolle spielen. Schon Mohammed betrieb Handel und der erste Kalif ebenso. Es gibt Formen von Handelsgesellschaften, die auch Fernhandel betreiben. Vergelichsbares zu Kaufmannsgilden kann aber nicht entstehen, da sie die Willkür islamischer Herrscher einschränken würden, die sich auch gelegentlich gerne aus der Kasse von Kaufleuten bedienen möchten. Dafür fehlen auch Rechtsvorstellungen jenseits der religiös begründeten Scharia, die sich dann in mehrere "Schulen" aufteilt..

 

 

Die Flüsse bleiben weiterhin besonders für Massenwaren wichtigste Handelswege. Schon Einhard erwähnt für die Zeit Karls ("des Großen"), dass Mainzer Händler in Süddeutschland Getreide einkaufen und mit Schiffen über Rhein und Main nach Mainz transportieren. Daneben findet Zivilisierung über Handelsinteressen in Nordgallien über die Flüsse statt, die Maas und die Schelde vor allem, denn Zivilisierung und Handelsniederlassungen gehören zusammen. Dabei ist für beide Flüsse auf ihrem schiffbaren Verlauf bekannt, dass die Tagespensen von etwa 30 Kilometern keine Entsprechung im Abstand der portus als Handelsstationen finden. Von daher wird vermutet, das solche mit dem Kreuzen von Handels - mit Flusswegen verbunden sind. (Despy in: Verhulst, S.354)

 

Fernhandel ist weiter aufwendig und beschränkt sich auf Luxuswaren wie Seide, Gewürze, Elfenbein. Er wird vom karolingischen König und von den Großen unter ihm mit Abgabenerleichterungen und Schutz privilegiert.

 

Luxus ist eine humanistische Entlehnung aus dem Lateinischen, welche im Deutschen dann Verschwendung, Prunk, Pracht bezeichnet, also einen moralischen Unterton bekommt. Das ist in Spätantike und Mittelalter oft anders. Prunkvolle Waffen, Prunkgewänder, entsprechender Schmuck, prachtvolles Geschirr dienen nicht nur ästhetischem Vergnügen, sondern mit diesem auch dem Vorzeigen eines herausgehobenen Status. Damit ist der potens, der Reiche und Mächtige, nicht nur ein hervorragender und als solcher zunehmend privilegierter Krieger, sondern mit der Anhäufung vorzeigbarer Luxusgüter auch Vertreter eines herausgehobenen Lebensstils. Vorbildlich dafür sind die wohlhabenderen Kirchen und Klöster, die ihre Prachtentfaltung damit rechtfertigen, dass sie dem Lobe Gottes dienen solle. Tatsächlich dient sie wenn nicht zuerst dann doch zugleich dem Ansehen der jeweiligen klerikalen Mächtigen.

 

Für die fränkischen Könige wird der Handel nicht nur aus Konsumenteninteresse wichtig, sondern auch dadurch, dass sie einen Teil des Gewinns, in etwa 10 Prozent, als Zoll abschöpfen, und dokumeniert ist der zumindest für die Ostgrenzen zum Slawenland. Förderung des Handels führt auch zu einem Sonderstatus der Juden als einzigen akzeptierten Nichtchristen im Reich. Und da Christen offiziell nicht am äußerst lukrativen Sklavenhandel teilnehmen können, den Juden ihre Religion nicht verbietet, werden sie als Händler geradezu gefördert. Wichtige Sklavenmärkte der Karolingerzeit sind offenbar Verdun und Mainz, zwei damals besonders mächtige Bischofsstädte.

 

Der Handel wird auch durch immer wieder neue Schutzerklärungen der Herrscher für Fernhändler, und zwar für den Aufenthalt am Markt und die Wege dorthin und wieder von dort weg, gefördert, wobei unter den Ottonen dann oft auf die Rechtsmodelle wichtiger Handelsstädte wie Köln, Mainz oder Regensburg verwiesen wird.  Dabei wird gelegentlich auch unmittelbar das persönliche Interesse von Kaisern und Königen am Gelingen des Handels angesprochen.

 

Nicht vergessen darf man die ökonomische Bedeutung von Fehden und Kriegen. Bei ihnen werden zwar regelmäßig einerseits das Land und die Höfe der Bauern zerstört und beraubt, während die andere Seite Beute macht. Aber die Nachfrage nach Waffen und Rüstung versorgt regelmäßig einen ganzen Zweig von Produzenten und Händlern mit Aufträgen. Zudem zieht ein ganzer Tross von Händlern (und Huren) mit den Heeren mit, was so selbstverständlich ist, dass es nur selten erwähnt wird.

Als König Karl ("der Kahle") nach dem Tod seines Bruders Ludwig ("des Deutschen") die Chance sieht, sich des ganzen Lothringens zu bemächtigen, erleidet er bei Andernach 876 eine vernichtende Niederlage und bei der Flucht behindern sie die Krämer (mercatores) und Waffenverkäufer (scuta vendentes) (die) dem Kaiser und seinem Heer folgten und der ganze Tross und alles, was die Kaufleute mitführten, fiel dem Heere Ludwigs in die Hände. (Annalen von St.Bertin, in: Quellen karolReichsgeschichteII, S. 249)

 

Handelsförderung bedeutet auch Förderung der Geldwirtschaft. Der etwas einheitlichere Wirtschaftsraum des großen Frankenreiches wird von Karl ("den Großen") auch durch den Silberdenar mit erhöhtem Gewicht hergestellt, den die Angelsachsen übernehmen und der volkssprachlich im Osten zum "Pfennig" wird. Das wird zur Leitwährung, die für Jahrhunderte das europäische Geldwesen prägen wird, während in Byzanz der Goldsolidus weiter besteht.

 

Zunächst setzt die Reform den modius publicus als eine Art Königsscheffel für die Getreidearten fest, und setzt diesen dann jeweils mit Anzahlen von Broten und Denaren in Beziehung. "Die glatten Relationen zwischen den Preisen und der Vergleich mit anderen Kapitularien zeigen indessen, dass keine Marktpreise dekretiert, sondern Getreidepreisrelationen festgelegt und über sie Hohlmaß und Gewicht für frisches und ausgebackenes Getreide in Beziehung zueinander gebracht wurden." (Joh. Fried in: 794, S.32)

 

"Für die Zähleinheiten des neuen Währungssystems wurden römische Begriffe verwendet: 240 Pfennige (denarii) = 20 Schillinge (solidi) = 1 Pfund (librum/talentum). Pfund und Solidus bildeten nur Rechenwerte, keine real geprägten Münzen. Wenn also beispielsweise der Preis für ein Pferd 20 Pfund betrug, dann musste der Käufer 4800 Pfennigmünzen bezahlen. Um das umständliche Zählen so vieler Münzen zu umgehen, wurde das Geld gewogen." (Ertl, S.137)

 

Im Mittelmeerraum gilt weiterhin die nun von den Byzantinern durchgesetzte Goldwährung.

Aber selbst beim Denar ist der Wert zu hoch für den alltäglichen Gebrauch. „Im Alltag herrschte der Tauschhandel.“ (Groten, S. 34) Tributzahlungen in Kriegszügen unterworfener Völker werden oft in Vieh bezahlt, wie zeitweilig laut Fredegar die Sachsen an die Merowinger jährlich 500 Kühe abgeben müssen.

Überhaupt wird Münzgeld östlich des Rheins in der ganzen Karolingerzeit selten, und "das reiche Kloster Fulda bezahlte im Jahre 827 urbar gemachtes Land mit 8 Schwertern, 5 Stücken Tuch, 4 Stück Vieh, einem Pferd und zwei paar Ohrringen" (Michael North in: Römer und Barbaren, S.303)

 

Dennoch nimmt wahrscheinlich spätestens unter dem "großen" Karl der Geldumlauf wieder etwas zu. Grundherrn erwirtschaften mit ihren abhängigen Bauern und Handwerkern gelegentliche Überschüsse, die auf Märkte an Bischofssitzen und Klöstern gelangen und manchmal gegen Geld getauscht werden. Das betrifft Lebensmittel, aber auch Tuche vor allem.

 

Indem die Karolinger ein königliches Münzmonopol für etwa 70 Münzstätten des Reiches durchzusetzen versuchen, beabsichtigen sie eine gewisse Währungssicherheit herzustellen: Der aufgeprägte Wert soll dem Edelmetallgehalt entsprechen. Das gelingt allerdings erst später. Und noch etwas: Der "neue Pfennig lehnte sich an die damalige >Leitwährung< der Mittelmeerwelt an, den arabischen Dinâr. Der König band durch die Reform sein Reich in die Welt jenes Fernhandels ein, der über das Mittelmeer, Russland und die Ostsee den lateinischen Westen erreichte." (Joh. Fried in: 794, S.32)

 

Während Grund und Boden, selbst Ernteerträge und die handwerkliche Produktion, soweit nachzuvollziehen sind, dass daraus Abgaben errechnet werden können, lässt sich das Geld des Kaufmannes zumindest zu einem guten Teil vor solchen Nachforschungen verstecken. Ludwig der Fromme ist möglicherweise der erste, der darauf kommt, durch Münzverrufung dabei Abgaben wenigstens indirekt zu erreichen: Dabei werden alle Pfennigmünzen für ungültig erklärt und durch neue ersetzt. Wer immer sie bei den Münzstätten umtauschen möchte, muss den „Schlagschatz“ bezahlen, eine willkürlich erhobene Gebühr für die Münzprägung. Natürlich ist bekannt, wer über beträchtliche Summen Geldes verfügt, und gelegentlich wird auch so versucht, zumindest an einen kleinen Teil davon heranzukommen.

 

 

Ähnlich wie bei den Handwerkern treten neben den meist unfreien Kaufleuten, die Handel im Auftrag ihrer Herren betreiben, nach und nach immer mehr einheimische freie auf, so mancher ein wohlhabender Handwerker, der von der eigenen Handarbeit, die er selbst auf den Markt bringt, dazu übergeht, Rohstoffe und Produkte anderer auf dem Markt zu verkaufen. Im frühen Mittelalter gelangen solche Leute zuerst in Italien zu Reichtum. Anderen gelingt es, durch Handel außerhalb der dem Herrn zustehenden Zeit wohlhabend zu werden. Handel ist also für Unfreie ein guter Weg zu einem Wohlstand, der dann auch in die Freiheit führen kann.

 

Über einzelne Händler erfahren wir kaum etwas. Immerhin lesen wir im Kapitular von Herstal (Capitulare Haristalense) von 779 vom Verbot vom sich Verschwören in (Kaufmanns)Gilden (geldae). Dort heißt es: Über die Eide der in Gilden gegenseitig Schwörenden (de sacramentis per gildonia invicem coniurantium): niemand darf es tun (ut nemo facere praesumat). Erlaubt bleiben die Almosenkasse, Brandhilfe und Schiffbruchshilfe, aber ohne Eid. (Alio vero modo de illorum elemosinis aut de incendio aut de naufragio, quamvis convenentias faciant, nemo in hoc iurare praesumat). (Staab, S.371 / Jankuhn/Ebel, S.173). Solche gildonia oder confratria bzw. coniurationes mit ihren convenientiae (Übereinkünften) tauchen auch im weiteren 9. Jahrhundert fränkischen Raum auf und werden immer wieder von den Königen verboten, die hierarchische statt genossenschaftliche Formen durchsetzen wollen.

Genauso geht die Kirche seit der Merowingerzeit vor, die jede horizontale Vereinigung von Klerikern verbietet zugunsten der innerkirchlichen Hierarchie.

 

In der Karolingerzeit verbietet Hinkmar von Reims dann auch 852 collectis, quas geldonias vel confratrias vocant, (Oexle in: Schwineköper, S.155) und knüpft dabei an kirchliche Bestimmungen gegen Kleriker-Vereinigungen (coniurationes clericorum) mit dem Ziel gegenseitiger caritas in der Merowingerzeit an. Erlaubt sind für ihn nur Vereinigungen rein religiösen Inhalts. Selbsthilfe darüber hinaus erscheint offenbar gefährlich.

Im 8. und 9. Jahrhundert taucht auch im deutschen Raum zunft in verschiedenen Versionen als Vereinigung von Personen auf.
Solche Gilden enthalten Männer wie Frauen, die sich unter einem Eid vereinigen. Ein besonderer Dorn im Auge der Kirche sind dabei die Mähler (comessationes), die mit Völlerei, Obszönitäten, Streitereien und Schlimmerem verbunden seien.

 

Im 11. Jahrhundert erscheinen Verschwörungen dann auch in England und Schweden.

 

In den Annalen von St.Bertin werden immer wieder Kaufleute erwähnt, allerdings ohne dass wir Näheres über sie erfahren.

Außerhalb Italiens und einiger Stadtlandschaften wie am Rhein sind Handel und Gewerbe aber im 9. Jahrhundert noch nicht auf Städte konzentriert, sondern bleiben im wesentlichen auf dem Lande. In den fränkischen Reichen auch noch des 9. Jahrhunderts sind Städte und Märkte auch formal meist kaum herausgehoben, sie sind Teile der Grafschaften – es gibt kaum einen so verstandenen Gegensatz zwischen Stadt/Markt und Land. Unter den Karolingern werden die gräflichen Gerichte allerdings als Schöffengerichte aus herausgehobenen Einwohnern, die neben den übrigen Großen in der Stadt ein dezidiertes Vorschlagsrecht für die Zusammensetzung haben, zu einer Art Vorläufer für Gemeindeorgane. Aber von solchen ist man noch weit entfernt.

 

Mehr Handel über die Alpen kommt Ende des 8. Jahrhunderts auf, als der Po in größerem Umfang Handelsweg wird. Im 8./9. Jahrhundert gelangen so zum Beispiel exotische Gewürze über Venedig, Po, Alpen und Rhein nach Mainz, von dort auch, wohl noch seltener, nach England. Das wird im 10. Jahrhundert dann häufiger werden.

 

Im westslawischen Raum entstehen nach der slawischen Besiedlung Herrschaften, die in Burgen hausen, an die sich Siedlungen anschließen, die bis über 1000 Häuser umfassen können (wie Lublin im 8. Jahrhundert). Diese im 9. Jahrhundert mit einem Wall umgebenen Orte besitzen Handwerker und Händler.

 

Frühe Handelsorte im Norden

 

Bereits vor dem 9. Jahrhundert n. Chr. entstehen in Nordeuropa Handelszentren der Wikinger und Waräger, darunter Ribe in Westjütland an der Nordsee, Haithabu in Schleswig an der Ostsee und Staraja Ladoga in Russland am Ladogasee. Hier siedeln sich offenbar freie Menschen primär zum Zwecke des Handeltreibens an.

 

Birka, dessen Vorläuferort Helgö bereits im 5. Jahrhundert auch Metallverarbeitung betreibt, wird um 790 n. Chr. auf der Insel Björkö im Mälaren gegründet, damals einer Einbuchtung der Ostsee.

Transporte von Handelswaren sind wegen fehlender Straßen und dichter Wälder schwierig und gefährlich, es bleiben im wesentlichen die natürlichen Wasserwege. Auf dem Mälaren können Waren von der Ostsee bis weit ins Inland hinein transportiert werden.

 

Das altnordische Wort birk mit der Bedeutung ‚Handelsplatz‘ bezeichnet einen abgegrenzten Rechtsraum. Birka bleibt für rund zweihundert Jahre eines der wichtigsten Handelszentren Skandinaviens. Die Siedlung hat in ihrer Blütezeit geschätzte 700-1000 Einwohner, die in Holzhäusern wohnen. Rund 3000 Gräber sind ausgegraben worden. Es gibt einen Hafen mit Runenstein und einen Thingplatz.

Der Ort steht unter dem Schutz des Krongutes auf der Nachbarinsel Adelsö, auf dem bald die damaligen Svea-Könige ihren Sitz haben. Dort befinden sich eine Wallburg und große Hügelgräber der Häuptlinge.

 

Der Handel geht weit über Skandinavien hinaus.  Fundstücke weisen auf ausgedehnte Handelsnetze und vielleicht lange Reisen hin. Sie wurden teils in weit entfernten Gegenden eingetauscht oder geraubt. Objekte aus der Frühzeit Birkas zeigen Kontakte mit den Herrschaftsgebieten der Araber wie etwa ein Ring mit eingravierten Kufi-Schriftzeichen, und mit dem Khaganat der Chasaren, später auch zum Rheinland und Gebieten in West- und Südeuropa.

 

Archäologen haben neben größeren Mengen Silbermünzen aus dem arabischen Raum, die in der Regel zu Silberschmuck verarbeitet wurden, auch Seidenstoffe und Gewürze aus dem Orient gefunden. Ebenso fand man bunte Glasperlen, kostbare Glasbecher und kunstvolle Keramikgefäße aus dem südeuropäischen Raum.

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Der gesamte Handel läft als Tauschgeschäft ab. Im Gegenzug zu den fremden Waren werden hauptsächlich hochwertiges Eisen aus den mittelschwedischen Erzrevieren (Bergslagen) sowie Felle, Pelze, Geweihe und der relativ häufig im Mälaren vorkommende Bernstein getauscht.

 

Überliefert ist, dass der Mönch Ansgar im Jahr 830 nach Birka kommt, um zu missionieren. Er bleibt dort anderthalb Jahre, doch nur wenige Einwohner lassen sich taufen.Ein zweiter Versuch 22 Jahre später ist noch weniger erfolgreich.

 

Ende des 10. Jahrhunderts verlassen die Menschen Birka. Es sind keine Spuren einer Plünderung entdeckt worden, nur die Herrscherburg in der Nähe brennt ab. Dafür wird um 970 am Mälaren auf dem Festland an der Straße nach Alt-Uppsala eine neue Siedlung angelegt, das von Erik Segersäll gegründete Sigtuna, das Birkas Rolle als Handelsplatz übernimmt.

 

Eine weitere Handels"metropole" ist das um 770 gegründete Haithabu an der Schlei. Spätestens seit dem 9. Jahrhundert gibt es eine vom Handel genutzte Verbindung zwischen Nord- und Ostsee. "Über die Eider bei Tönnig konnte man beim heutigen Friedrichstadt in das kleine Nebenflüsschen Treene abbiegen, das bis zum Flusshafen Hugstaeth (heute Hollingstedt) führte. Von dort war es ein kurzer Weg über Land bis nach Haithabu..." (Kümper, S.33)

 

808 unternimmt der dänische König einen Kriegszug, bei dem er in der Nähe des späteren Wismar den Handelsplatz Reric zerstört und die dortigen Kaufleute nach Haithabu zwangsumsiedelt. Hier werden sich dann dänische und ostfränkische Herrscher weiter um die Kontrolle streiten.

 

Die Stadt hat bald um die 1000 Einwohnern und Handelsbeziehungen nach Skandinavien, in den slawischen Raum und das Rheinland. Tuche, Getreide, Wein, Keramik, Schmuck und Waffen des Südwestens werden gegen Pelze, Wachs, Honig und Sklaven aus dem Osten gehandelt. Handwerk verarbeitet Holz, Bernstein, Geweihe, es gibt Textil- und Glasproduktion, "Eisenverhüttung, Feinmetallverarbeitung, Bronzeguss und Goldschmiede..." (Fuhrmann, S.28). Es wird Spelzgerste und etwas Roggen angebaut, an Vieh werden Schweine zum Verzehr und Rinder vor allem als Zugtiere gehalten. Häuser haben eigenen Backofen und Brunnen.

Adam von Bremen jedenfalls berichtet vom 11. Jahrhundert aus, dass von Haithabu ständig Schiffe ins Slawenland, nach Schweden, ins Samland und bis nach Griechenland gefahren seien. (Kümper, S.39)

 

Zum nördlichen Handels-Netzwerk gehören auch Dorestad und Quentovic, die archäologisch weniger erschlossen werden können.

Dorestadt liegt südöstlich vom späteren Utrecht und an der Gabelung von Rijn und Lek, wobei es am Rijn viele Landungsbrücken gibt. Hier treffen eine Handelsroute über den Rhein nach Süden, eine nach Westen bis Quentovic und eine nach Hamvic (Southampton), London, Ipswich in East Angila und York, eine dritte östlich nach Haithabu, Birka und ins Baltikum. Wichtig ist vor allem die Verbindung mit England.

 

690 wird hier zum ersten Mal ein castrum erwähnt. Es gibt in dieser Handels-Siedlung vor 650 und nach 690 eine fränkische Münzstätte und spätestens im 8. Jahrhundert eine Kirche. Friesen liefern vor allem Waren aus dem Rheinland nach England und kommen mit Sklaven zurück. Wohlhabende heidnische Kaufleute und freie Bauern prägen nach 670 eigene Silbermünzen mit dem Bild Wotans (Brown2, S303f). Kein Wunder, dass schon Merowingerkönige versuchen, die Kontrolle über das Gebiet zu erreichen, welches seine Freiheit auch gegen christliche Missionare verteidigt.

 

Die friesische Siedlung wird um 700-719 von den Franken dauerhaft erobert und ein fränkisches Kastell errichtet. Über Archäologie und Quellen erfahren wir, dass irgendwann vor 777 außerhalb des merowingischen Kerns zwei Uferstraßen entlang von Rhein und Lek entstehen. Im alten Kern liegt eine Kirche, die Karl ("der Große") 777 fördert. Die wirtschaftliche Bedeutung des Ortes nimmt erheblich zu und er wird bedeutender als Utrecht. In Dorestad werden nun fränkische Münzen geprägt und eine fränkische Zollstation eingerichtet, überhaupt wird der Ort von den fränkischen Königen gefördert. Es gibt Tuchweberei, Schmiede und Metallbearbeitung, Kammacher und Bearbeiter von Bernstein.

Während seiner Blütezeit hat Dorestad wohl 2.500 bis 3.000 Einwohner auf rund drei Quadratkilometern, um 800 eine bedeutend größere Fläche, als Mainz sie hat.

Zu den Handelsgütern gehört Wein vom Oberrhein, Glaswaren und Lava-Mahlsteine.

Nach mehreren Plünderung Dorestads durch Wikinger um 830 bis 863 und der gänzlichen Vernichtung des Ortes durch eine Rheinüberschwemmung ist die Stadt wohl untergegangen.

 

Quentovic (emporium in einem Dokument Karls ("des Kahlen"), südlich vom späteren Boulogne und an der Canche, nahe bei der Abtei St.Josse, ist ein weiterer wichtiger Hafen und Handelsplatz vor allem für den Kontakt mit Kent. Es ist vielleicht von einem neustrischen König im sechsten/siebten Jahrhundert zu diesem Zweck gegründet worden und ist spätestens seit 669 Zwischenstation für englische Pilger auf dem Weg nach Rom und aus dem Süden/Südosten nach England. Als Hafen für England löst es nun Boulogne ab.

Hier gibt es eine Münze spätestens seit etwa 670, und bei der Verringerung der Münzen auf zehn im Edikt von Pîtres 864 ist Quentovic noch dabei.

eine Zollstation

 

Eine Erklärung für das spätere Verschwinden des Ortes im 11. Jh ist die Versandung der Mündung des Canche und die Konkurrenz anderer Handelsstädte.

 

(Ribe in Jütland)

 

Neben den Kaufmannssiedlungen an Meer und Ärmelkanal (portus) gibt es auch solche als vicus oder Wik (685: Lundenwic = London) bezeichnete im Inland, die auch als portus, also kaufmännischer Hafenort an Flussläufen auftauchen. Dabei bezeichnet portus auch den Stapelplatz oder Kaufmannsort. Dorestad wiederum wird in seiner Spätzeit zu Wik, und ein solcher ist dann auch der Nachfolger Tiel an der Maasmündung, angelehnt an das dortige Kloster, und Utrecht, die aber dann beide bereits stabilere befestigte Orte werden.

 

***Ottar von Halogaland***

 

Es gibt für die Frühzeit dieser sich enfaltenden Handelswelt kaum Texte über einzelne der wagemutigen Fernhändler. Der Kaufmann Ottar stammt aus der nördlichen Fjordlandschaft Norwegens. Er war mehrmals mit einer Schiffsladung Tierhäute und Rentiergeweihe in See gestochen, und hatte Handelsplätze in Südnorwegen, Dänemark und England besucht. (Kümper, S.36)

 

890 trifft er auf einer Reise auf den englischen König Alfred ("den Großen"). Der lässt gerade die 'Historiae adversum Paganos' des Orosius in das Englische der Zeit übersetzen. Da in der einleitenden Beschreibung der damalig bekannten Welt (des 5. Jahrhunderts) Nordeuropa fehlt, bittet der König ihn offenbar, ihm davon zu erzählen.

 

Ottar beschreibt sich als reichen Mann im nördlichsten Norden. Er besitzt wenig Ackerland, welches mit einem Pferd gepflügt wird. Darüber hinaus gehört ihm eine große Herde halbwilder Rentiere von über 600 Tieren, darunter überaus wertvolle zahme Tiere, mit denen wilde und halbwilde Rentiere angelockt werden, dazu zwanzig Schafe und zwanzig Schweine. Sein Reichtum besteht aber eher aus den Luxuswaren Pelz und Walrosszahn, nach welchen er auf seinen Reisen aktiv Ausschau hält, und die er von Samen einhandelt.

 

"Nach seiner Beschreibung ist Norðmanna land ein langes schmales Gebiet am Meer. Alle besiedelten Landteile lägen an der Küste. Weiter im Osten sei das Gebiet der Samen (finnas). Je weiter man nach Norden komme, desto schmaler werde das besiedelte Land. Im Südosten sei es etwa 60 alte englische Meilen, ca. 90 km, tief, in der Mitte 30 Meilen, im Norden an manchen Stellen nur bis 3 Meilen schmal, bevor man ins Gebirge kommt.

Die Samen gingen im Winter auf die Jagd und fischten im Sommer und seien Ottar tributpflichtig. Der Tribut wiederum richtete sich nach der sozialen Stellung. So hatte der Vornehmste fünfzehn Marderfelle, fünf Rentierfelle, ein Bärenfell, zehn Bütten Vogelfedern, eine Jacke aus Bären- oder Otterfell und zwei 60 Ellen lange Schiffstaue aus Walross- oder Seehundhaut zu erbringen.

Weiterhin berichtete er über seine Expedition um die Halbinsel Kola ins Weiße Meer vermutlich bis in die Gegend des heutigen Archangelsk. Dort wohnte ein Volk, das er Bjarmer nannte und von dem er sagte, dass sie eine den Samen ähnliche Sprache sprächen.

Am südlichen Ende Norwegens beschrieb er eine Handelsstadt, hier als Sciringesheal bezeichnet (Skiringssal). Ottar brauchte einen Monat, um dorthin zu kommen, wenn der Wind gut war und er nicht bei Nacht segelte. Dabei hatte er immer den Norðvegen an Backbord." (https://de.wikipedia.org/wiki/Ottar)

 

 

Städte der Karolingerzeit im Norden (8./9.Jh)

 

Vorauszuschicken ist, dass unser Wissen auch noch über die Städte der Karolingerzeit sehr gering ist, es gibt nur spärliche und zufällige Informationen.

 

Städte entwickeln sich weiter, so wenn sie einen dauerhaften Kern besitzen, der auch Überfälle und Zerstörungen übersteht, eine Kathedrale oder eine weltliche Festung - und Zuwanderung von außen bekommen. Die damit verbundene Institution sichert das Überleben. Im Norden angesiedelte Kaufmannssiedlungen wie Dorestad, Tiel oder Haithabu mit einigen Handwerkern zur Versorgung der Kaufleute und mit einfachen Kirchgebäuden hingegen verschwinden, nachdem sie zerstört werden. Sie können anderweitig ersetzt werden durch stabilere Handelsorte. Um 800 entsteht Emden und Deventer,

 

Die Welt des lateinischen Abendlandes bleibt unsicher durch Kriege, Fehden und Unruhen im Inneren und zerstörerische Attacken von außen. Im siebten Jahrhundert beginnt die Expansion der arabischen Welt und des Islam, welche nach 711 fast ganz Hispanien bis auf den äußersten Norden umfasst, wobei erst unter Karl I. ("dem Großen") eine kleine spanische Mark zurückgewonnen wird. Im neunten Jahrhundert fällt Sizilien an nordafrikanische Heerführer. Im ganzen lateinisch gebliebenen Mittelmeerraum findet muslimische Piraterie statt, die sich an Küstenorten festsetzt und durch das ganze 9. Jahrhundert das Rhônetal und die Provence wie auch die italienischen Küsten bedroht.

 

In der ersten Hälfte des neunten Jahrhunderts beginnen die brutalen Raubzüge von Nordmannen/Wikingern, die immer häufiger werden, bis sie sich dann in der zweiten Hälfte im Winter an Küstenorten von Nordsee, Ärmelkanal und Atlantik festsetzen, um im Frühjahr neue Überfälle zu beginnen. Sie verwüsten Küstenorte und ziehen über die Flüsse bis tief ins Landesinnere, manchmal bis nach Paris oder Trier. Die Städte sind ihnen offenbar meist wehrlos ausgeliefert. Zudem geht manchmal der natürliche Verfall weiter.

Nicht ganz klar ist, in welchem Verhältnis dabei Raubzug und Handel stehen. Laut den Annales Bertiniani werden die Normannen 873 bei Angers zum Rückzug gedrängt, willigen aber nur ein, falls sie auf einer Loire-Insel noch eine Weile einen Markt betreiben können. In der Chronik des Aethelward vom Ende des 10. Jahrhunderts fragt sich ein Beauftragter des Königs von Wessex angesichts einer normannischen Flotte vor Dorchester, ob es sich eher Räuber oder Händler handele.

 

Dennoch lassen Bevölkerungswachstum und wachsende landwirtschaftliche Produktion Städte durch Zuwanderung wieder wachsen. Könige, hoher Adel und Stadtherren beginnen verstärkt, repräsentative und bequemere Steingebäude zu errichten wie Karl in Aachen, welches danach zur Stadt wird. Mehr zentrale Kirchen werden wieder aus Stein gebaut. Im 9. und 10. Jahrhundert entsteht so zum Beispiel mehr Baugewerbe, welches selbst bei niedrigen Löhnen viel Geld verschlingt, auch wenn die meiste Arbeit als Dienst am Grundherrn verrichtet wird. Bedrohte Städte versuchen, Befestigungen zu reparieren oder neu zu errichten.

 

Marktorte, ländliche Siedlungen und auch die Neu"städte" und burgi ziehen Leute an, die sich dort niederlassen. Unter den Handwerkern, die ihre Produkte auf dem Markt verkaufen, gibt es die Unfreien, die auf Herrenhöfen im Marktort oder seiner Umgebung arbeiten, dann persönlich Unfreie, aber in ihrem Gewerbe Freiere, die auch auf eigene Rechnung arbeiten und verkaufen können, und eine winzige Minderheit persönlich freier und wirtschaftlich unabhängiger Leute. Genaueres weiß man aber kaum.

 

Neben den meist unfreien Kaufleuten, die Handel im Auftrag ihrer Herren betreiben, treten nach und nach mehr einheimische freie auf, so mancher ein wohlhabender Handwerker, der von der eigenen Handarbeit, die er selbst auf den Markt bringt, dazu übergeht, Rohstoffe und Produkte anderer auf dem Markt zu verkaufen. Im frühen Mittelalter gelangen solche Leute dann zuerst in Italien zu Reichtum. Anderen gelingt es, durch Handel außerhalb der dem Herrn zustehenden Zeit wohlhabend zu werden. Handel ist also für Unfreie ein guter Weg zu einem Wohlstand, der dann auch später in die Freiheit führen kann.

 

Außerhalb Italiens und einiger Stadtlandschaften wie am Rhein sind Handel und Gewerbe aber im 9. Jahrhundert noch nicht so sehr auf Städte als civitates konzentriert, sondern bleiben im wesentlichen und insbesondere in den niederen Landen auf dem Lande in Orten, die als portus (an Flüssen) oder vicus bezeichnet werden, manchmal auch als emporium. Sie treten an die Stelle des merowingischen municipium oder castrum (Verhulst, S.370). Diese Fernhandelsplätze mit manchmal etwas Gewerbe wie Haithabu oder Dorestad sind weithin Umschlagsplätze und haben darum keinen Marktplatz und im wesentliche Funktionen für den Handel dort ansässiger reisender Händler. (Schutz)Herr der bis ins zehnte Jahrhundert oft unbefestigten Orte ist der König.

 

In den fränkischen Reichen bis ins 9. Jahrhunderts sind Städte und Märkte auch formal meist noch kaum herausgehoben, sie sind Teile der Grafschaften bzw. Diözesen– es gibt zunächst kaum einen so verstandenen Gegensatz zwischen Stadt/Markt und Land.

 

Insbesondere in den niederen Landen Nordgalliens mangelt es noch an Städten. Vielleicht bis Anfang des 9. Jahrhunderts hat Brügge wohl (wieder) einen Hafen. Irgendwann Mitte des 9. Jahrhunderts baut Graf Balduin I. hier eine Festung (castrum), zu der bald ein vicus samt Kirche gehört. Gegen Ende des Jahrhunderts gibt es hier eine Münze, was den vicus wohl als Handelsort charakterisiert. Der Ort liegt zudem an der gräflich geförderten Strecke Gent-Brügge- Torhout - Ypern.

 

Um 800 wird Einhard in Ganda (Gent) Abt beider Klöster St.Bavo und St.Peter. Um 825 wird der Ort, in dem die cella des Bavo lag, neben der St.Bavo-Abtei, als vicus bzw. portus bzw. als befestigtes castrum Gandavum erwähnt. Diesen vernichten die Normannen 851, aber die Abtei wird wieder aufgebaut. 879 dann lassen sich die Normannen auch über den Winter in der Abtei, und der vicus ist nun verlassen. Darauf entwickelt sich gegen Ende des 9. Jahrhunderts nördlich ein neuer vicus, der dann auch Kaufmannssiedlung (portus) mit Umwallung wird.

 

Um 650 errichtet der heilige Amandus in einem castrum beim späteren Antwerpen eine Kirche, aus der dann das Kloster St.Michael werden wird. Anfang des 9. Jahrhunderts heißt der Ort civitas. 836 brennen die Normannen alles nieder. In der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts entsteht weiter nördlich ein vicus.

 

Utrecht war ein Römerkastell (Traiectum = Furt), welches gegen 200 ummauert wurde, und an das ein vicus angeschlossen ist. Möglicherweise ist hier damals ein Arm des Rheins entlang geflossen.

Um 270 wird es von Franken zerstört und wohl erst im 7. Jahrhundert wieder neu besiedelt und dann von den Friesen besetzt. Um 700 scheitert zunächst eine Bistumsgründung. Der Ort bekommt den Namen Ultra Traiectum/ Uut Trecht. Es entstehen im Kastell erste kleine Kirchen. Im  9. Jahrhundert flieht der Bischof vor Friesen und Normannen nach Deventer. 936 verleiht Otto I. das Marktrecht und in dem Maße, in dem Dorestad an Bedeutung verliert, steigt die Utrechts dann.

 

Bischofsstädte

 

Die Produktion von Nahrung dient zunächst dem schieren Lebensunterhalt der meist wenigstens 95 Prozent der Bevölkerung, die damit beschäftigt sind. Darüber hinaus ernährt sie weiter und deutlich reichhaltiger die Herren über das Land, die Überschüsse auf den Markt bringen und damit Waffen, Krieg und luxuriöse Statussymbole finanzieren können, wobei letztere auch als Geschenke wichtig sind, die Verbundenheit schaffen. 

 

Aber die Herrscher der neuen Reiche haben die überlebenden und sich neu bildenden Städte meist im Blick. In einer weithin agrarisch geprägten Welt sind sie Stützpunkte königlicher Macht.

Seit Karl Martell werden die Besitzungen und Rechte der Bischöfe beschnitten, Klöster werden der bischöflichen Kontrolle genommen und königsfreundlichen Äbten übergeben. Bischöfe, die sich nicht unterwerfen, werden mit (Waffen)Gewalt entfernt. Bischöfe müssen sich die Macht in der Stadt mit Grafen teilen.

Andererseits wird städtisches Wirtschaften gefördert. Könige geben Verordnungen für ihre Städte heraus. Schon 744 veranlasst der Hausmeier Pippin der Jüngere, dass Bischöfe in ihren civitates ständige (Wochen)Märkte und korrekte Maße einrichten sollen (MG Capit.1, 12: ut per omnes civitates forus et mensuras faciat secundum abundantiam temporis). Wohl noch stärker als zuvor wird in diesem Jahrhundert die Förderung von Märkten Sache der hohen Machthaber.

 

Unter Markt verstand man zunächst einen Markttag, der zu bestimmtem Datum an bestimmtem Ort stattfand, und zwar vor allem auf dem Lande und in der Nähe der Orte der Nahrungsmittelproduktion. In dem Maße, indem solche Märkte wichtiger werden, werden sie mit einer Abgabe belegt, zugleich aber weiter privilegiert.

Markt konnte natürlich kein germanisches Wort sein. Es stammt von merx ab, der Ware, und vom mercatus, dem Ort, an dem Handel getrieben wird (mercari).

Marktwirtschaft verlangt Geldwirtschaft, und dem dienen die Münzreformen Karls d. Großen. Sie verlangt aber vor allem zumindest einen zentralen Impuls, um in Gang zu kommen. Und den bietet der Wunsch einer Oberschicht, die die wirtschaftlichen Möglichkeiten hat, an jenes Geld zu kommen, welches gegen Luxus eingetauscht werden kann.

 

Zentrale Märkte sind der Ort, an dem Grundherren ihre Überschüsse verkaufen und dafür Luxusgüter nicht zuletzt aus Fernhandel kaufen. Beteiligt sind aber an lokalen kleineren Märkten auch freie Bauern und darüber hinaus alle, die wenn auch wenige Waren zum Überleben  brauchen. Dazu gehört insbesondere Salz, selten vor Ort vorhanden, ein überall begehrtes Gut. Es kommt für die deutschen Lande aus Reichenhall, Hallein, Schwäbisch-Hall und Lüneburg.

 

Der Handel läuft vorwiegend über Wochenmärkte und über wenige zentrale Jahresmärkte. Das Wort "Messe" hat damals drei Bedeutungen: Einmal meint es den Gottesdienst, zum zweiten eine Mahlzeitengemeinschaft (die Offiziersmesse ist davon zum Beispiel erhalten geblieben), zum dritten meint das Wort aber auch die Feste des Kirchenkalenders und der lokal verehrten Heiligen und von daher rührt das Wort Messe für Jahrmarkt.

Die Messen, vor allem noch an großen Klöstern angesiedelt, vermarkten im Unterschied zu häufigeren Märkten zunächst vor allem Luxusgüter für die Oberschicht.

 

Bis in die Zeit der Karolinger wird das alte Recht der urbanen Kerne der civitates tradiert, weiter Märkte abzuhalten. Andererseits wird es ein grundherrliches Recht, überall landwirtschaftliche Märkte abzuhalten. Im Laufe der Zeit entwickelt sich bei zunehmender Marktdichte die Vorstellung, dass die Könige das Recht der Konzessionierung solcher Märkte hätten, da vor ihren Gerichten geklagt wird, wenn die Konkurrenz solcher Orte und Tage überhand nimmt. (Pitz, S. 132)

 

Geistlichen Herren wird von den fränkischen Königen zunehmend ein Marktrecht verliehen. Ziel mächtigerer Herren wird es nun, den eigenen Markt vom Zoll zu befreien, ihn insofern immun zu machen. Dann genießen sie zum Beispiel das Recht auf Standgebühren, ohne dafür Abgaben zahlen zu müssen und indirekt auf die Transit-Zölle eines aufstrebenden Handels.

 

Einen Schritt weiter sind wir mit den Vorschriften Karls des Kahlen von 864 über die Marktaufsicht der Bischöfe und Grafen im Edikt von Pîtres. Die betreffen die „Kontrolle von Maß und Gewicht, Preisbestimmung, Warenprüfung und Beaufsichtigung der Handwerker.“ (Pitz, S. 134) Markt-Wirtschaft entsteht so neu unter der strengen Aufsicht und aus den Interessen von Herrschern und Machthabern heraus, das sich hier mit dem von Handel und Handwerk trifft. Etwa um 900 ist das königliche Marktregal im ostfränkischen Reich voll ausgebildet. Dies wird an den Grundherrn vergeben. Grundsätzlich gilt: „Die Ordnung des Marktes ist herrschaftlich.“ (Ennen, S.66) Marktordnungen entstehen andererseits und zugleich aus Bräuchen, die dann rechtlich tradiert werden.

 

Oft wird am städtischen Handels-Ort eine Münze eingerichtet. Er wird damit ein wenig zum Finanzplatz. Nachdem das Gold zunehmend in den wirtschaftlich stärkeren byzantinischen Raum abgeflossen ist oder als Schatz gehortet wird, führen die späten Merowinger eine neue Silberwährung ein.

Auch das Recht zur Prägung der Münze erhöht das Einkommen der Stadtherren. Dabei gilt die Münze nur für den Ort der Prägung, fremde Münzen müssen also eingetauscht werden, was dazu führt, dass Münzer zugleich auch zu Geldwechslern werden und zu Teilen einer städtischen Oberschicht wie am Gericht beteiligte Schöffen, beide Gruppen im Dienste des Herren.

 

Karl ("d.Gr.") begrenzt die Bischofsmacht weiter durch seine ausgebaute Grafschaftsverfassung. Die Grafen übernehmen weltliche bischöfliche Herrschaftsrechte und beide werden gleichermaßen für königliche Herrschaft benutzt.

Entgegen dem eigentlich kirchlich geforderten Wahlrecht durch Klerus und Volk besetzt Karl die Bistümer mit Leuten aus seiner Hofkapelle und nimmt Bischöfe wiederum in diese auf. Dem Dienst am König (servitium regis) verpflichtet, müssen sie mit ihren Vasallen persönlich oder durch den Vogt vertreten in seine Kriege ziehen, ihn beherbergen und an seinem Hof erscheinen. Zusammen mit den Grafen stellen sie die Königsboten (missi).

Bischöflicher Besitz mit den darauf Lebenden und Arbeitenden ist weiter zunehmend immun, das heißt, er untersteht nur bischöflicher, durch Vögte ausgeübter Gerichtsbarkeit. Die Vögte werden dann im 10./11. Jahrhundert oft von hochadeligen Familien gestellt werden, die gelegentlich mit der Macht der Bischöfe konkurrieren. Kleriker sind hingegen die Pröpste (prepositi), die spätestens im 9. Jahrhundert dann den weltlichen Vögten assistieren.

Daneben entsteht eine engere Immunität direkt um den Dombereich. Das Befestigungsrecht bleibt aber beim König bzw. Grafen. Die Aufsicht über Markt, Münze, Zoll und Einkünfte daraus teilt er sich in unterschiedlicher Weise mit dem Grafen.

 

Die Königsmacht begründet sich wie jede Herrschaft mit ihrem Schutzangebot an die ihr Untergebenen gegen deren Leistungen, wobei der Schutz wie bei mafiosen Organisationen heute aufgezwungen ist. Das Angebot bedeutet auch innerer Friede, aber faktisch ist das Unterwerfung unter die Macht von Herrschern und Krieger-Aristokratie.

Das Schutz-Angebot lösen die Könige des neunten Jahrhunderts kaum mehr ein, weder gegen skandinavische Mordbrenner noch gegen deren sarazenische Kollegen, und sie verwüsten selbst das Land in Bruderkriegen, wie die Annalen immer wieder beklagen.

 

822 erklärt Ludwig I. ("der Fromme"), auf Wunsch des Bischofs von Paderborn, seinen Bischofssitz einschließlich der ihm zugehörigen Sachen und Hörigen unter unseren Schutz und unter den Schirm unserer Gerichtsfreiheit zu stellen (...) auf dass sich kein öffentlicher Richter oder sonst jemand, der rechtsprechende Gewalt innehat, unterstehen soll, in die Kirchengebäude, Ortschaften, Feldfluren oder sonstigen Besitztümer der vorgedachten Kirche einzudringen (...) um dort gemäß dem gerichtlichen Brauch Verhöre durchzuführen, Friedensbußen zu erheben, Häuser oder Hütten zu errichten, Burgen auszuheben, die Leute dieser Kirche ohne Grund zu unterdrücken oder um dort zu beliebiger Zeit irgendwelche Erhebungen oder unerlaubte Forderungen einzuziehen, - womit deutlich wird, was offenbar stattfindet.

 

Darüber hinaus wird der Bischofskirche Abgabenfreiheit zugesichert, denn die Erträge aus ihrem Besitz gestehen wir der Armenkasse und auch dem Unterhalt der Wachslichter der vorgenannten Kirche zu, womit vornehm umschrieben ist, dass die Kirche eigentlich kein Betrieb sein sollte, der der Besitzmehrung dient. Das Ganze soll dann auch finanzieren, dass diese Kirche für das ewige Seelenheil des Kaisers, seiner Gattin und Familie fleißig betet. (in Hergemöller, S.62f)

 

Größter Eigentümer in Bischofsstädten ist der Bischof und sind daneben einzelne Kirchen. Klösterlicher Besitz ist hier eher gering, es gibt daneben noch den der Grafen, des Fiskus, und "private" weltliche (freie) Eigentümer.

 

 

Indem Münze und Zoll zum Markt dazu kommen, entsteht ein abgesonderter Wirtschaftsraum, aus dem ein herrschaftlicher Rechtsraum werden wird. Dazu kommt eben dann noch die Immunität als Gerichtshoheit.

In diesem Raum werden Stadtherren dann Banngewalt gewinnen, also das Recht, im Interesse des lokalen Friedens zu gebieten und zu verbieten. Auf diese Weise werden sie erst eigentlich zu Stadtherren, was aber vor allem dann in das 10. Jahrhundert fällt.

Unter den Karolingern werden die gräflichen Gerichte als Schöffengerichte aus herausgehobenen Einwohnern, die neben den übrigen Großen in der Stadt ein dezidiertes Vorschlagsrecht für die Zusammensetzung haben, zu einer Art Vorläufer für Gemeindeorgane.

 

In (bald) deutschen Landen gibt es im 8./9. Jahrhundert zwei Arten von Städten: Solche, die aus der Römerzeit stammen und vor allem als Bischofssitze überlebt haben, dabei allerdings wie selbst Trier nun inzwischen eine dominierende germanische Bevölkerung besitzen, und solche, die östlich davon Neugründungen vor allem seit der Karolingerzeit sind und erst langsam stärker städtischen Charakter entwickeln.

 

In den nichtromanisierten deutschen Landen, insbesondere im erst von Karl ("dem Großen") eroberten Sachsen, entstehen stadtähnliche Siedlungen im neunten, zehnten Jahrhundert oft an neuen Bischofssitzen, und ihre Namen sind noch von adeligen Grundherren abgeleitet, wie Braunschweig von Brun/Bruno. Außer höchstens der Kirche gibt es dort nur Holzbauten, adelige Herrensitze haben eventuell bereits ein Steinfundament.

 

Schon 787/89 ist in Bremen Dom und Bischofssitz errichtet worden, wobei der Markt zunächst weiter dem König untersteht. Erst König Arnulf (von Kärnten) verleiht 888 detaillierter dem Bremer Bischof das Recht, einen Markt abzuhalten, Münzen zu schlagen und die Zölle einzunehmen. Im 10. Jahrhundert gewinnen die Bischöfe von Bremen dann auch die Gerichtshoheit. Auf diese Weise werden sie erst eigentlich zu Stadtherren werden.

 

793 wird im Auftrag Karls des Großen in oder bei der kleinen sächsischen Bauernsiedlung Mimigernaford ein Kloster (monasterium) zwecks Eingliederung in sein Reich gegründet. 805 wird hier ein Bistum eingerichtet und Liudger vom Kölner Erzbischof Hildebold als Bischof berufen. Dafür erhält die Siedlung den Status einer civitas (Stadt). Ein Dombau wird in Angriff genommen. Im neunten Jahrhundert siedeln sich dann in Münster Handwerker und Ministeriale an. Stadtrechte gibt es jedoch erst einige Jahrhunderte später.

 

In Paderborn entsteht, ebenfalls im Zuge der Eroberung Sachsens, bei einer längst untergegangenen Handwerkersiedlung eine Kaiserpfalz und ein Missionszentrum, aus dem der Dom wird. Patris Brunna ist die Quelle der Pader. In der Pfalz hält sich der Kaiser des öfteren auf. 799 wird wohl im Beisein des Papstes das Bistum gegründet. Die Domfreiheit wird zur ummauerten Domburg.

 

Magdeburg ist seit 805 als Handelsplatz "mit fränkischem Kastell, Königsgut, einem Grafensitz und gewiss auch einer Kirche" (Schieffer in: Ottonische Neuanfänge S.31) dokumentiert. Bischofssitz wird es erst unter Otto

 

Zentrale Ausgangspunkte für die Stadtbildung von Erphesfurt (Erfurt) sind der Domberg und der Petersberg mit Peterskloster und vermuteter königlicher Burg. Bereits Bonifatius spricht von einer iam olim urbs paganorum rusticorum, einer seit ehedem existierenden Stadt heidnischer Bauern. 725 lässt er eine Marienkirche errichten und empfiehlt dem Papst, die Stadt zum Bischofssitz zu machen, was dann 742 geschieht.. Bei ihr kreuzen sich zwei Fernhandels-Straßen. Als Bonifatius Erzbischof von Mainz wird, gliedert er das Bistum Erfurt an Mainz an. Ende des 10. Jahrhunderts gelangt die Stadt ganz unter die Herrschaft der Mainzer Erzbischöfe.

 

Daneben gibt es andere Städte in den ehemaligen Regna, die nun "fränkisch" sind. Mit der Machtübernahme der Karolinger gewinnt Regensburg weiter an Bedeutung. Im 8. Jahrhundert beschreibt Bischof Arbeo von Freising in seiner Vita des hl. Emmeran, wie man von einem Berg aus die Kirche von Gottes heiligem Märtyrer und die weit ausgedehnte, mit Mauern und Turmbauten bewehrte Stadt Regensburg erblickt. (in: Hartung, S.94) Diese Stadt brennt aber dann 891 ab und wird neu aufgebaut. Ein Markt ist als Ort des Handels mit den Slawen, vor allem auch mit Sklaven, erst für 934 belegt.

 

Einen Siedlungsansatz gibt es in Würzburg wenigstens seit dem 6. Jahrhundert. Wohl 741 richtet Bonifatius einen Bischofssitz ein. Unter Ludwig dem Frommen erhalten die Bischöfe Markt-, Münz- und Zollrecht. Es gibt Kaufleute, vor allem aber Handwerker und Weinbergarbeiter, die Hintersassen des Bischofs und des Domklerus sind. Im 9. Jahrhundert wird eine bedeutende Domschule erwähnt.

 

***Trier***

 

Die hocharistokratischen Bischöfe Triers scheinen seit dem Ende des 7. Jahrhunderts eng verbunden mit den gerade aufsteigenden Arnulfingern und Pippiniden, was auch die Besetzung des Äbtissinnenstuhls von St. Irminen mit Freunden und Verwandten der Familie zeigt. Unter Pippin dem Jüngeren wird Trier zu einer zentralen Münzstätte im Frankenreich.

 

In der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts gelingt die Ausweitung bischöflicher Macht auf Dietkirchen (Lahn) und an die Nahe. Andererseits setzt Karl ("der Große") für die weltlichen Rechte (Münze, Zoll und Steuern) nun einen Grafen (comes) ein, womit der Bischofsherrschaft ein Ende gesetzt ist. (Kaiser(3), S.62f)

 

In seinem Leben des Hl. Willibrod beschreibt Alkuin um 800 Trier "als eine alte und mächtige Stadt, die von Mauern, Türmen und Klosteranlagen mit Scharen von Klerikern und Mönchen umgeben war." (in: Anton/Haverkamp, S.88)

In den Reichsteilungen wird Trier Teil des Mittelreiches.

 

882 fallen Normannen in Trier ein, wie Regino von Prüm berichtet:

Sie brechen also mit allen ihren Streitkräften aus ihrem befestigten Lager hervor und erobern Trier, die berühmteste Stadt Galliens (...). Hier ruhten sie bis zum heiligen Ostertage die vom Marsch ermüdeten Glieder aus und verwüsteten das ganze Gebiet der Stadt ringsum von Grund auf; dann lassen sie die Stadt in Flammen aufgehen und führen ihre Scharen nach Metz. Als dies der Bischof dieser Stadt erfuhr, vereinigte er sich mit Bischof Bertulf und dem Grafen Adalhard und rückt jenen aus eigenem Entschlusse zum Kampf entgegen. Es kam zum Kampf und die Normannen blieben Sieger. (in: Fuhrmann, S.23)

 

***Mainz***

 

Langsam beginnt mit den vielen neuen Kirchen die Beerdigung bei ihnen in der Stadt.  Am Rhein haben Schiffer, Fischer und Händler längst einen Altstadtkern mit einem Markt gebildet. Es gibt etwas Glasproduktion. (Falck, S.23)

Die römische Stadtmauer ist längst zerstört und eine neue fehlt wohl noch, aber die Domburg dürfte irgendwie befestigt gewesen sein. Weithin um sie herum liegen noch im 8. Jahrhundert große Gutshöfe mit ihrem Land. Hinter den Bleichwiesen existiert weiter das Altmünster-Kloster mit seiner kleinen Siedlung von Arbeitsleuten. Selenhofen am Rhein bildet einen Vorort.

 

Um 746 lässt sich Bonifatius Mainz als neues Erzbistum für Germanien zuweisen, wo er aber auf den in Ostfranzien für ihn nun starken Adelswiderstand stößt und nach wenigen Jahren zurücktritt. Zugleich geht die Erzbischofswürde nach Metz an den mächtigen Bischof Chrodegang. Bonifatius-Anhänger Lul wird Bischof in Mainz. Um 760 setzt dann aber der ostorientierte "große" Karl durch, dass es doch wieder statt Metz Erzbistum wird. Lul und den folgenden Bischöfen gelingt es dann, die von Bonifatius gegründeten hessischen und thüringischen Bistümer sowie zahlreiche süddeutsche  in die Erzdiözese einzubeziehen. Die neuen sächsischen teilen sich dann Köln und Mainz.

Damit wird Mainz bis 1802 größte Kirchenprovinz in Europa. Mit St.Alban und seiner sehr großen Kirche wird der Rang der Stadt im Reich Karls noch unterstrichen.

Am Mittelrhein wird alleine Mainz Münzstätte. Der Versuch, auf der römischen Brücke eine Holzkonstruktion aufzusetzen, scheitert durch Feuer und Mainz wird durch gut tausend Jahre ohne eine feste Rheinbrücke auskommen müssen.

 

Um 800 werden außerhalb der Stadt bereits Bretzenheim, Gonsenheim und Hechtsheim erwähnt.

 

847 ( bis 863) wird der gelehrte Fuldaer Mönch Hrabanus Maurus Erzbischof. In seiner Zeit gewinnt die Kathedralschule an Bedeutung. Der übernächste Erzbischof Liutbert wird 870 Erzkapellan von Ludwig ("dem Deutschen"), Vorläufer der späteren Erzkanzler. Laut den Fuldaer Annalen wird der Normannensturm von 882 zum Anlass eines Baus von Mauer und Graben.

 

Bis Ende des neunten Jahrhunderts halten die Schenkungen an Kirche und Kloster (vor allem St.Martin, St.Alban und Altenmünster) an, so dass sie am Ende wohl zwei Drittel des ganzen Grundbesitzes in der Stadt und in ihrem Umfeld besitzen. Dazu gehört auch Besitz von Fulda, Lorsch und dem Trierer St.Maximin sowie anderen ferngelegenen Institutionen.

Inzwischen gibt es wahrscheinlich auch erste Ansätze von Pfarreibildung bei nichtbischöflichen Eigenkirchen. 

 

886 gibt es in den Fuldaer Annalen eine (einzige) Nachricht von einem Viertel friesischer Kaufleute: Optima pars Moguntiae civitatis, ubi Frisiones habitabant (...) conflagravit incendio, sie siedeln im besten Teil von Mainz, der abbrennt. (in: Falck, S.49) Mainz ist spätestens jetzt wichtiger Umschlagplatz für Getreide, Wein und Sklaven und daneben für Luxusgüter, friesische Tuche wie exotische Gewürze.

 

Bischofsstädte in Westfranzien (unter Karl "dem Kahlen")

 

Mit dem Vertrag von Coulaines Ende 843 wird ein Rechtsverband aus den Großen des Westreiches und dem König beschlossen, der die Rechte aller bestätigt, was auch auf die Erblichkeit der Grafenwürde hinausläuft, die 877 in Quierzy auch so verkündet wird. Dafür setzt er über sie Duces und Markgrafen, die dann allerdings auch erblich werden. Mit ihnen aber muss der König nun regieren.

Stattdessen kommt es zum engen Bündnis von Bischöfen und König. Auch hier werden Bischöfe als Vasallen nun vom König aus der Hofkapelle eingesetzt und bei Treue privilegiert. Ihr Amt gilt als beneficium. (Kaiser(3), S.98) Dabei ist der Einfluss des Königs in der Bretagne und in Teilen des Südwestens gering. Fast überall bestätigt er die von Vater Ludwig vergebenen Immunitätsprivilegien, wobei er die vom Hochstift und den anderen Stiften und den Klöstern weiter trennt wie auch innere und weitere Immunitäten. Einzelnen mächtigeren Bischöfen wird das Münzrecht verliehen und ihnen werden Zölle oder Anteile daran übertragen - und damit auch Anteile an gräflichen Einkünften.

 

Die Macht der Bischöfe misst sich an der aufkommenden Macht weltlicher Fürsten.

 

Paris, das antike Lutetia,wird unter den Zerstörungen des 3. Jahrhunderts stärker auf die Seineinsel beschränkt. 507 verlegt Chlodwig seinen Hauptort von Soissons hierher und macht die (spätere) Genovevakirche zu seiner Grablege. In der ersten Hälfte des sechsten Jahrhunderts macht König Childebert das spätere Saint-Germain-des-Prés zu seiner Grabeskirche. Im 7. Jahrhundert wird das etwa sieben Kilometer von der damaligen Stadt entfernte St.Denis zur Grabstätte der Könige. Hier entsteht eine Siedlung in einiger Entfernung von der Stadt.

Zunächst stehen die Kirchen unter bischöflicher Aufsicht. Dann erhält im 7. Jahrhundert erst St.Germain Immunität und Zollbefreiung der Klosterkaufleute und dann auch St.Denis mit seinem Jahrmarkt zum Fest seines Heiligen. (Kaiser(3), S.475) Regiert wird sie nun von Grafen, die versuchen, hier ihre Einkünfte genauso wie die Bischöfe zu vergrößern. Das sich immer mehr verselbständigende Domkapitel nimmt ebenfalls an Wohlstand zu.

 

Die Stadt verliert unter den stärker östlich orientierten Karolingern im Vergleich zu Metz enorm an Bedeutung. Der Hauptstadtcharakter wird  seit dem "großen" Karl am ehesten durch Aachen ersetzt. Während nun Stadt und Bischof an Bedeutung verlieren, wird St. Denis in der Nähe immer bedeutender.

Seit 845 wird die Stadt mehrmals von Normannen überfallen, geplündert und gebrandschatzt. Die Bevölkerung unter dem Robertiner Graf Odo und Bischof Gauzlin hält hinter den spätantiken Mauern der Seine-Insel dann 885-86 einer Belagerung stand. Der Bischof wird Erzkanzler von König Odo. Die Stadt wird weiter von den Robertinern kontrolliert,und Odos Bruder Robert wird hier Graf. Die ersten robertinischen Könige halten sich aber mehr in Orléans als in Paris auf.

 

Tours bekam nach 275 seine antike Stadtmauer von etwa 1200 Meter Länge, womit es nicht zu den ganz großen gallorömischen Städten gehörte. Am südwestlichen Ende dieser civitas wird die Kathedrale errichtet. Mehr als einen Kilometer weiter westlich entsteht die Martins-Basilika, was Tours zur Doppelstadt macht. Im Umfeld beider Orte entstehen weitere Kirchen, bei der Kathedrale die Bischofspfalz und die Klausur der Domkanoniker. Etwa drei Kilometer entfernt liegt das Kloster Marmoutier (monasterium maius) mit seiner suburbia. Zwischen Abteisiedlung und Kathedralsiedlung entsteht St.Julien, wo sich ebenfalls ein burgus mit Händlern und Handwerkern entwickelt.

 

Unter Bischof Chrodebert werden die suburbanen Klöster dem Bischof entzogen und erhalten eigene Immunitäten. Andererseits gelingt es Bischöfen im siebten Jahrhundert, selbst die Grafen einzusetzen. Unter Karl Martell wird auch hier die Macht zwischen Bischof und Graf geteilt und die Bischöfe werden auf die Rolle von karolingertreuen Immunitätsherren beschränkt.

St. Martin und Marmoutier gelangen unter karolingische Regie. St. Martin erhält unter Pippin Zollprivilegien, die Abteisiedlung enthält eine Münze und hier siedeln sich Tuch- und Weinhändler an. Die Stadt wird mehrmals von Normannen überfallen, die römische Stadtmauer wird 869 unter Robert ("dem Tapferen") besser befestigt. Anfang des 10. Jahrhunderts wird auch die Martinsabtei mit ihrem burgus von einer Mauer umgeben. Bis 987 kontrollieren Robertiner über vicecomites sowohl Martinsabtei-Siedlung wie civitas und setzen ihre Bischöfe ein. Dann werden aus den Vizegrafen für die civitas Grafen, während die Könige die Siedlung um die Martinsabtei weiter direkt kontrollieren.

 

Poitiers ist eine der bedeutendsten und größten Römerstädte Galliens. Gegen 300 wird es von einer starken Mauer von 2650 Metern umgeben. Im Kern befindet sich das Praetorium und die Kathedrale, am Rande St Hilarius. Die Stadt blüht unter den Merowingern schnell wieder auf. Es entwickelt sich eine Stadtherrschaft des Bischofs in Zusammenarbeit mit einer kleinen Oberschicht-Gruppe. Um 700 kommt es zum Machtverlust der Bischöfe durch Unterordnung unter die aquitanischen Herzöge und ihren Grafen. 766 erobert Pippin die Stadt. Die merowingische Königspfalz wird als Grafensitz auch die der Karolinger. Um 840 beginnt das Grafenamt eines Ramnulf, welches bis 1204 in seiner Familie bleiben wird. Er beginnt auch mit der Ernennung der Bischöfe von Poitiers und als Herzog derer von Saintes.

863/65 wird die Stadt von den Normannen geplündert, verbrannt und dann neu errichtet.

 

Autun, das bedeutende römische Augustodunum, besaß eine ummauerte Fläche von 200 Hektar. Die Mauer hält aber den Angriffen dann nicht stand und zerfällt. Ab 659 entwickelt Bischof Leodegar eine starke Herrschaft über die Stadt, die allerdings unter den Konflikten erst mit Hausmeier Ebroin, dann mit Childerich II. und dann wieder mit Ebroin leidet, der den Bischof am Ende verstümmeln und schließlich töten lässt.

Unter Karl ("Martell") wird das Hochstift massiv um die Versorgung der Grafen gemindert, die auch Saint-Symphorien und Saint-Martin und geistlichen Besitz im castrum mit seinem Dom erhalten (Kaiser(3), S.378).

 

Im neunten Jahrhundert versuchen die Könige, die Position des Bischofs gegen den Grafen unter anderem durch Restitutionen wieder zu stärken. Sie erhalten (wahrscheinlich) die Münze zurück, die an die Grafen gefallen war. 

Seit Ende des neunten Jahrhunderts setzen die burgundischen Herzöge die Bischöfe wieder ein. Diese übernehmen aber nun den gräflichen Grundbesitz im castrum zur Gänze.

 ("Eine bürgerliche Siedlung im weiten Abstande zur Domburg bildete sich aber erst im 11./12.  Jahrhundert um das Forum" ( H.Stoob in: Frühgeschichte, S.12).)

 

Toulouse hat in der Römerzeit eine ummauerte Fläche von etwa 90 Hektar. Es wird Hauptstadt der Westgoten mit Residenz im Prätorium, welches dann Sitz des fränkischen Unterkönigtums und im 10. Jahrhundert Grafenschloss wird. Seit um 900 ist die Stadt dauerhaft in der Hand der Raimundiner, denen der Bischof untergeordnet ist, von dem im 10. Jahrhundert wenig bekannt ist. Er wird wohl vom Grafen bestimmt.

Um 924 wird Gotien (von Narbonne bis Nîmes) mit der Herrschaft von Toulouse vereint. In deren Randbereich vor allem bauen Vizegrafen und Bischöfe praktisch unabhängige Herrschaften auf. Kirchliches Zentrum ist weiter das Erzbistum Narbonne.

 

Bordeaux, das antike Burdigala, wird bis etwa 685 von starken Bischöfen regiert, die sich danach ihre Macht mit Grafen teilen müssen. Diese haben die Abwehr der Basken zu übernehmen. Nach 675 tauchen für über hundert Jahre keine Bischöfe mehr auf. Danach übernehmen fränkische Grafen wieder die Basken-Abwehr.

732 verwüstet Abd ar-Rahman während seines Feldzugs die Stadt.

 

Erst 814 taucht für Bordeaux," am äußersten Winkel der antiken Mauer der Dom St. André" auf und der Ort funktioniert wieder als Bischofsstadt. 848 wird die Stadt massiv von Normannen zerstört. Der Bischof flüchtet. Vorübergehend nimmt der Baske Sancho-Sanchez Bordeaux unter seinen Schutz, bevor um 863 dort mit seinem angeheirateten Verwandten wieder ein fränkischer Graf hier residiert und dann bald die Gascogne wieder angeschlossen wird. Grafen kontrollieren auch weiterhin die Stadt, die sich langsam nach den Zerstörungen wieder erholt.

"Ein suburbium belebte sich erst seit Ausgang des 11. Jahrhunderts" (Stoob in: Frühgeschichte , S. 11)

 

 

Klosterstädte

 

Besonders in Westfranzien entstehen Städte neu an großen Klöstern wie St. Martial in Limoges, Sint Vaast (Vedast) in Arras, St. Front in Perigueux. Äbte wohldotierter Klöster sind oft so mächtige Herren wie Bischöfe und weltliche Magnaten. Nachantike Klöster (wie auch Domkirchen) sind fast eine Stadt im Kleinen: Sie sind vereinen die religiöse Einrichtung, "einen landwirtschaftlichen Großbetrieb mit eigenem Absatzsystem und weiterverarbeitendem Handwerk, ein Kreditinstitut, eine Immobilienbörse, ein Sozialamt und eine Versorgungseinrichtung für unterschiedlichste Personen", fungieren "als Gericht, Wehrbehörde und Rüstungsbetrieb und als Finanzamt", modern ausgedrückt (Esders, S.75).  All das wird durch Immunitätsverleihungen gefördert.

 

Bei Klöstern lassen sich Händler nieder, das Handwerk konzentriert sich manchmal dort aus ländlicher Grundherrschaft heraus. Die Abtei Elnone (St.Amand) in Tournai lässt auf ihren Gütern von Arbeiterinnen Textilien aus Leinen herstellen. (Petri in: Verhulst, S.7) Die zur familia von Sint Vaast gehörenden und darum von Zollfreiheit begünstigten Kaufleute verkaufen zum Beispiel Gold und Sklaven. St.Bertin (Saint-Omer) erwirbt etwa 800 Land, um dessen Erträge gegen englische Tuche einzutauschen. (s.o. S.40)

 Südlich davon, nahe Amiens, heißt es 822, dass das bedeutende Kloster Corbie sich auf 300 Mönche und 150 Hilfskräfte als reguläre Kostgänger beschränken solle. Das alleine ist schon Grundlage für eine städtische Entwicklung. (Petri in: Verhulst, S.40f)

 

Ein Markt entsteht, bei St.Bertin 873 als Wochenmarkt, mit Buden, Tavernen, und dem Kloster als Herrn fallen darüber Abgaben und Rechte zu. Dabei konkurrieren Klöster, Bischöfe und weltliche Herren auch schon mal gewalttätig miteinander. 

 

Ein gutes Beispiel ist das Prümer Tochterkloster Münstereifel. Als 844 die Knochen der Heiligen Chrysanthus und Daria dorthin überführt werden, setzt bald eine Wallfahrt dorthin ein, die wirtschaftlich bedeutend genug ist für die Anlage eines Marktes, einer Münze und einer Zollstätte, von deren Einnahmen zwei Drittel an das Kloster fallen sollen (in: Hergemöller, S.68f).

 

800 erhält der Abt von Corvey für die weiter entfernte Siedlung Horhusen (Niedermarsberg) an einer Furt das Markt- und Münzrecht und für Mons Eresburg (Obermarsberg) das Zollrecht.

 

852 gründet der sächsische Graf Liudolf zusammen mit seiner Ehefrau das Gandersheimer Stift mit päpstlicher Erlaubnis und Reliquienversorgung an der Kreuzung zweier Fernhandelsstraßen. Es dient der Grafenfamilie zur Versorgung zweier Töchter als Äbtissinnen und anderen vornehmen sächsischen Damen als Aufenthalt. 877 stellt König Ludwig ("der Jüngere") das Kloster unter seinen Schutz. Handwerker werden angesiedelt und es entsteht ein Markt mit eigenem Recht. Eine eigentliche Stadt mit Mauer und Rat wird aber erst im 14. Jahrhundert entstehen.

 

908 erlaubt Ludwig IV. ("das Kind") dem Bischof von Eichstätt für den Ort beim Kloster einen öffentlichen Handelsmarkt sowie eine Münze errichten und einen Zoll erheben zu dürfen, so wie es bei den übrigen Handelsorten (mercationum locis) Brauch ist, sowie einige Befestigungen in seinem Bistum gegen den Ansturm der Heiden ausbauen zu dürfen. Zusammenfassend heißt das, eine Stadt zu errichten (urbem construere), wobei die Einkünfte aus ihr dem Kloster zufließen sollen. Zudem verfügt der Bischof nun alleine über die Nutzung der Wälder.

 

Das sind nur einige Beispiele.

 

Ähnlich wie im ehemaligen Germanien entstehen in Flandern im 9. und 10. Jahrhundert Städte aus Vorstädten an Burgen der Bischöfe und an Klöstern und an befestigten Plätzen der nun erstmals für dort erwähnten Grafen. Sie werden Zentren der nun langsam einsetzenden unmittelbaren Entstehungsgeschichte von Kapitalismus werden, zusammen mit oberitalienischen Städten. Beim späteren Gent werden im 7. Jahrhundert die beiden Klöster St. Pieter und St. Bavo gegründet, von denen Siedlungen mit von den Klöstern abhängigen Beschäftigten ausgehen.

 

Pfalzorte

 

Kontinuität bieten nicht nur die alten Bischofs-civitates. Im Gebiet von Duisburg gab es schon bronze- und eisenzeitliche Siedlungen. Gegenüber besteht auf Krefelder Gebiet das römische Kastell Gelluba (Gellep) an der Kreuzung zwischen Rhein und Hellweg. (siehe Anhang 7)  Als dessen Hafen verlandet, steigt Duisburg als Handelsplatz auf. Spätestens um 922 ist für Dispargum eine königliche Pfalz anzunehmen, die von den Sachsenkaisern häufiger besucht wird. Der Ort wird mit Wall, Graben und einer ersten Mauer befestigt.

 

Einen festen Kern der desungeachtet sich neu entwickelnden Städte bildet neben dem Dom oder an seiner Stelle die Pfalz, wie sie König Pippin in Aachen errichten lässt, und die durch einen prachtvollen Neubau von König Karl ersetzt wird, zu dem auch die Marienkirche gehört und ein neues Bad, in dem der Kaiser mit seinem Hof die Thermalquellen nutzen kann. Hohe Geistlichkeit und weltliche Große bauen dort ihre kleinen "Höfe", Bedienstete kommen dazu, Handwerker und ein Markt mit Händlern, darunter Juden. Darüber hinaus gibt es Gebäude für die  Lagerung von Nahrung und große Stallungen und drumherum Landwirtschaft.

Größere Pfalzen werden auch an anderen Orten errichtet, die da herum wachsen, wie Ingelheim, Nimwegen und Paderborn. Allerdings bieten Pfalzorte nicht immer die Gewähr dafür, dass dort auch dauerhaft eine städtische Siedlung entsteht, wie Tribur/Trebur und Grone beispielsweise belegen.

 

Aber die Pfalz von franconovurd wird zum Musterbeispiel dafür, wie ein königliches palatium sich aufmacht, im hohen Mittelalter dann zu einer der wichtigsten Städte im "römischen" Reich zu werden. Gelegen an einem Handelsweg mit einer Furt durch den Main, ist der Fluss selbst noch wichtiger für den Transport von Getreide aus östlicheren Gebieten nach Mainz. Hier liegt ein karolingischer Fiskalbezirk, der "insgesamt mindestens zwölf königliche >Villae< (Fronhöfe) mit knapp 1400 Morgen Ackerland umfasst haben dürfte, Wiesen und Wald, das Land der 112 abhängigen Bauernstellen, die das Urbar nennt, sowie die Lehen der Vasallen nicht mitgerechnet. (...) Die königliche Villa Frankfurt, deren Lage auf dem heutigen Domhügel zu suchen ist, verfügte allein über 450 Morgen Ackerland." (Joh.Fried in: 794, S.26f)

 

794 bekommt dieser Ort durch eine große Synode erheblichen Anschub, als Große aus Italien, West- und Ostfranken und Nordspanien hier zusammenkommen. Für Karls langen, siebenmonatigen Aufenthalt zwischen Feldzügen gegen die Sachsen und die Awaren muss es feste, wenn auch weithin nicht steinerne Gebäude geben, eine Kirche, die allerdings nicht repräsentativ genug ist für die Aufnahme des Leichnams der dort sterbenden königlichen Gemahlin Fastrada, die dann in Mainz beerdigt wird. Dazu Wirtschaftsgebäude und damit verbundene Arbeitskräfte.

Karls Sohn Ludwig der Fromme wird dann die Pfalz vergrößern, die eine Generation später von Ludwig ("dem Deutschen") noch ein Salvatorstift erhält.

 

Ob eine Pfalz Zukunft als Kern einer bedeutenderen Stadt hat, ist damals aber noch nicht abzusehen. Die viel prächtigere Ingelheimer Pfalz der Karolinger, aus Stein gebaut wie die von Aachen und Nimwegen (Einhard), mit ihrem Königssaal von 14 x 30 m, hat in ihrer Nähe dörfliche Ansiedlungen, von denen eine viel später sogar ummauert wird, aber in der Nähe von Mainz wird daraus keine Stadt, sondern eine Reichsburg mit reichem ländlichem Siedlungsgebiet.

 

 

Stadt und Land im Italien und Spanien der Karolingerzeit

 

Kontinuität erweist sich darin, dass die oft romanischen Mehrheiten weiter nach römischem Recht leben.

 

 

Sie resultiert aber auch daraus, das römische Vorstellungen von Stadt (welche auch sonst!) weiter existieren. In der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts kann Isidor von Sevilla im Visigotenreich so in seiner lateinischen Etymologie schreiben:

Civitas ist die Vielzahl der Menschen, geeint durch das Band der Gemeinschaft, benannt nach den cives, als nach den Einwohnern der Stadt selbst, denn es schließt zur Gemeinschaft zusammen und enthält das Leben der Vielen. Denn urbs sind die Mauern selbst, aber die civitas wird nicht wegen der Steine, sondern aufgrund der cives so genannt. (XV,2). Dass urbs nun nicht mehr Roma, sondern das Gebäudeensemble benennt, ist neu, aber der Rest ist römisch-antik.

 

Der 'Versus di Verona' vom Ende des 8. Jahrhunderts sieht Kontinuität gerade in den Baulichkeiten:

Eine große und berühmte Stadt erhebt sich in Italien, in Venetien, wie Isidor lehrt, die seit der Antike Verona genannt wird. Sie ist in quadratischer Form gebaut, fest von Mauern umschlossen, achtundvierzig Türme ragen aus dem Mauerring hervor, von denen acht sehr hoch sind und die anderen überragen. Sie hat ein hohes Labyrinth von großer Ausdehnung, aus dem niemand, der einmal eingetreten ist, imstande ist, wieder herauszukommen (… das Amphitheater wohl), ein weites, geräumiges und mit Steinen gepflastertes Forum, in dem sich auf jeder der vier Seiten ein großer Bogen befindet, Plätze wundervoll gepflastert mit behauenen Steinen, Tempel, erbaut und geweiht in alter Zeit der Luna, dem Mars, der Minerva, dem Jupiter und der Venus, dem Saturn und der Sonne, die mehr als alles andere glänzt. (in: Staufer und Italien, S.217)

 

Ähnlich wie in Gallien bis nördlich nach Paris tauchen auch in Italien neben einheimischen syrische und jüdische Kaufleute auf, Syrer laut Prokop in Neapel und Juden laut Gregor ("dem Großen") in Palermo.

 

Im 8./9. Jahrhundert dürfte die Bedeutung italienischer Städte und des Handels stärker zunehmen als nördlich der Halbinsel. Die zwischen dem Vertreter des Königs und dem (Erz)Bischof geteilte Macht bleibt in Mailand bestehen, aber ganz langsam neigt sich das größere Gewicht manchen Bischöfen zu. Das asemblatorio, der Ort der allgemeinen Versammlung, befindet sich im 9. Jahrhundert bereits auf dem Platz vor der Kathedrale.

 

Im sich kontinuierlich weiter entwickelnden Lucca ist die Kathedrale längst größter Landbesitzer. In das übrige Land im von der Stadt beherrschten Umland teilen sich andere Kirchen und etwa zwanzig große weltliche Landbesitzer, von denen ein Teil in der Stadt wohnt. Wohlhabenderes Handwerk erwirbt selbst kleineren Grundbesitz. Grund und Boden bestimmen den Status der Menschen. (Wickham, S.85f)

 

Eine gewisse Dominanz schafft der Handel vielleicht in wenigen Küstenstädten, und vielleicht schließt er ganz langsam in Mailand, Cremona und natürlich Venedig zu den landbesitzenden Großen auf. 852 ist ein erster Zusammenstoß zwischen Cremonenser Händlern und ihrem Bischof über die Hafenzölle bekannt.

Ziel des Handels ist aber Geld, mit dem Land gekauft werden kann, denn nicht Handel, sondern Grund und Boden bedeutet Status.

 

Für das Handwerk sind magistri dokumentiert, was eine gewisse Organisation andeutet. "Schon im 8. und 9. Jahrhundert gibt es Belege für einen weiten Bereich von Handwerken: Bearbeiter von Gold, Silber, Kupfer und Eisen; Hersteller von Leder, Tuchen, Seife; Erbauer von Häusern und Schiffen. Es gab sogar Salzproduktion, Suchen mit Pfannen nach Gold und Silberabbau." (in meinem Deutsch: Wickham, S.89)

 

Im Süden steigt neben der Stadt Benevent ab etwa 780 Salerno als zweite Residenz der Duces von Benevent auf. Um 840 löst sich Amalfi von napolitanischer Kontrolle.

 

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Die Entwicklungen im Raum der Mittelmeerküste Galliens, welches sich bald zum fränkischen Westreich entwickeln wird, ähneln denen Italiens.

 

Schließlich sei noch kurz Hispanien erwähnt, die iberische Halbinsel, zum größten Teil bald unter islamischer Herrschaft, in der die antiken Städte weiterentwickelt werden, dabei aber nicht jene Strukturen ansteuern, die Kapitalismus entwickeln helfen, weswegen die christliche Rückeroberung Neuanfänge mit sich bringen wird. Immerhin dürften um 900 in Cordoba an die 100 000 Einwohner gelebt haben, als in den Frankenreichen größere Städte ein paar tausend besitzen, dazu 40 000 in Toledo und vielleicht 25 000 in Granada. Handwerk und Handel florieren weit mehr als in der christlichen Welt, aber die Verbindung von Despotie und Islam erlaubt es nicht, Voraussetzungen für ein Bürgertum zu bilden.

 

Nur der ohnehin wenig urbanisierte Norden bleibt in den Händen derer, die sich als Nachfahren der Visigoten sehen. Als erstes stadtartiges Gebilde entsteht dann im 9.-11.Jahrhundert das galizische Santiago de Compostela und bald darauf das asturische Oviedo und León, das leonesische Zamora und das kastilische Burgos.

 

***Venedig***

 

Ein Sonderfall ist Venedig, welches wohl als Fluchtziel vor den Bedrohungen der Hunnen, Goten und Langobarden entsteht, also erst nach dem Untergang des römischen Westreiches.Während die Langobarden das Binnenland beherrschen, behält Byzanz ein Gebiet aus Häfen und Inseln, welches als Exarchat von Ravenna bezeichnet wird. Im Raum Venedig amtet ein Unterbeamter des Exarchen, ein dux, ein Militärführer also. In der Volkssprache wird daraus viel später der Doge.

Venedig gehört so zu den italienischen Restgebieten unter byzantinischer Herrschaft, gehört aber zugleich weiter dem römisch-lateinischen Christentum an. Ein Patriarchat lässt sich auf der Insel Grado nieder, und nach längerer Friedenszeit unter den Langobarden kehrt ein zweites nach Aquileia zurück.

 

Vielleicht in einer Absetzbewegung von Byzanz ist, als es dort unter Kaiser Leo III. zu Unruhen kommt, in Venedig die Wahl eines dux Ursus überliefert. Vorübergehend kommt es wohl wieder zu direkter Herrschaft der Kaiser, aber 742 wird ein Sohn des Ursus erneut zum Dogen gewählt, wie es heißt von einer Volksversammlung. Der macht Malamocco auf dem Lido zu seinem Herrschaftszentrum. Venedig gerät immer mehr aus dem Blickwinkel von Byzanz.

 

Im Gegensatz zu allen anderen bedeutenden italienischen Städten ist Venedig keine alte Bischofsstadt, sondern gehört zu Grado. Aquileia begründet dagegen schon gegen Ende des 8. Jahrhunderts seinen kirchlichen Machtanspruch mit der Legende, der Evangelist Markus sei dorthin gereist, um einen ersten Patriarchen einzusetzen. Danach dann habe es ihn nach Alexandria gezogen, um dort ebenfalls ein Patriarchat einzurichten.

 

Da Venedig fast ausschließlich vom Seehandel abhängt, "verbürgerlicht" die Stadt früher als andere: Ohne Festland gibt es keine Grundherrschaft und später keine Feudalstrukturen. Die soziale Schichtung beruht also wesentlich auf Eigentum und Kapital. Ihre Bevölkerung setzt sich zunehmend aus Kapitalisten und für diese Arbeitende zusammen.

 

Schon mit der Kaiserkrönung Karls 800 gerät Venedig in das Spannungsfeld zwischen den beiden Kaisern, welches es zu nutzen sucht.

809/10 versucht Pippin auf einem Heerzug von Chioggia aus, Venedig anzugreifen worauf das Zentrum  nun nach Rialto (rivo alto) mitten in der Lagune verlegt wird. Vermutlich errichtet schon der (offiziell byzantinische) dux Agnello Partecipazzo in diesen Jahren seinen Amtssitz dorthin, wo heute der Dogenpalast steht.

Zudem kämpft Venedig wie einige andere italienische Städte mit dem Malariaproblem. Pisa wird sich bald mit dem Versuch beschäftigen, Sumpfgebiete verlanden zu lassen. Zunächst reicher und größer als Rialto ist Torcello im nördlichen, schilfbewachsenen Lagunenteil, mit Kathedrale, Kirchen und Palästen reich ausgestattet. Aber nach und nach bis ins 12. Jahrhundert hinein werden die meisten Einwohner weiter südlich ins Zentrum der Lagune umziehen.

 

Unter der führenden Partecipazio-Familie verteilt sich im 9. Jahrhundert die Macht wohl auf mehrere sich adelig gebende Handelshäuser. Dux Johannes (Partecipazio) ist, obwohl auch Grundbesitzer auf dem Festland, laut seinem Testament kurz vor seinem Tod noch mit 1200 Pfund solidi Investor in Seehandel. 

 

In dieser Zeit beginnt Venedig die nördliche Adria unter seine Kontrolle zu bringen und zur Seemacht aufzusteigen. Die Stadt entwickelt sich unter dem dux/Dogen relativ unabhängig von den byzantinischen Oberherren, deren einen allerdings 812 Kaiser Karl mit Kaiser Michael I. im Frieden von Aachen bestätigt. Aber Venedig regelt seine Außenbeziehungen wohl zunehmend selbst.

 

Die Siedlungskerne Venedigs bestehen noch aus eher kleinen Holzhäusern mit kleinen Flächen für den Anbau von Gemüse, Wein und die Haltung einiger Schweine und Kühe.

Ohne Festland entwickelt sich kein Großgrundbesitz, sondern eine Oberschicht aus Händlern und mit ihnen frühe Geldwirtschaft. Sobald sich muslimische Herrscher an den Südküsten des Mittelmeers festgesetzt haben, beginnen Venezianer mit ihnen Handel zu betreiben, gegen die Wünsche der Päpste und von Byzanz.

 

827 lässt der aquilegische Patriarch Maxentius auf einer Synode zu Mantua verkünden, Grado sei nur eine ganz normale Pfarrei unter seiner Herrschaft. Das veranlasst die Venezianer zu einem Gegenschritt. Unter seinem wohlhabenden Dogen Guistiniano werden 828 die Reliquien (der mutmaßliche Leichnam) des "heiligen" Markus mit anderen Handelswaren aus Alexandria herausgeschmuggelt, um der Stadt Prestige zu verleihen. Damit sie nicht geraubt werden können, werden sie so gut versteckt, dass man sie später kaum wiederfinden kann.

 

Mit dem Bau der Markuskirche wird Venedig dann auch zur Pilgerstadt. Das Wahlamt des Dogen wird nicht erblich, aber dafür wie das päpstliche auf Lebenszeit verliehen, und ist im 9. und 10. Jahrhundert vor allem in den Händen weniger reicher Familien.

 

840 werden der Stadt im Pactum Lotharii die bisherigen Privilegien bestätigt, ohne dass Byzanz noch Erwähnung findet.

 

Seit dem 8. Jahrhundert dringen kroatische Siedler auf die dalmatinische Küste vor, wo sie Piratennester einrichten, von denen aus sie einen Kleinkrieg mit venezianischen Schiffen führen und Tribute für deren Sicherheit erpressen. Das wird bis ins 10. Jahrhundert so weitergehen.

 

Die Venezianer beginnen mit einem Flottenbau-Programm. Zu Bündnissen mit lateinischen Kaisern kommen im 9. Jahrhundert solche mit Byzanz und mit muslimischen Herrschern hinzu. Die Handelsinteressen der städtischen Oberschicht lassen sie immer aggressiver werden.

883/89 wird Comacchio an der Po-Mündung erobert und niedergebrannt, womit Venedig die Kontrolle über den regionalen Salzhandel bekommt und in den nächsten Jahrzehnten erlangt die Stadt die Hegemonie über Istrien. Der Frachtverkehr von Norditalien nach Konstantinopel gerät immer mehr in ihre Hand.

 

 

***Rom***

 

Mit dem langsamen Verschwinden des Senates wuchs der römische Bischof als größter Landbesitzer in die Rolle des Stadtherrn hinein. Als solcher übernimmt er nun auch die Versorgung der sich verringernden Bevölkerung mit Getreide. Schon im 7. Jahrhundert, immer noch unter byzantinischer Hoheit, ist die Kirche auch im weiten Umland mit ihrer ausgeprägten Verwaltung fast monopolartiger Grundbesitzer.  Die Päpste vergeben ihr Land an die Kirchen der Stadt. Ein sich neu formierender Krieger"adel" beginnt, Grund und Boden im Umland der Stadt zu pachten. Damit kann die Kirche bzw. können die Kirchen der Stadt ihren Besitz in etwa halten, zugleich gewinnen sie eine sie schützende militärische Klientel. (Wickham(2), S.21f)

Wo es im weiten Umland nicht stadtrömischer kirchlicher Besitz ist, gehört das Land zum Großgrundbesitz von Klöstern wie Farfa und Subiaco oder zu Bischöfen wie denen von Sutri und Tivoli.

 

Eine kleine Gruppe mächtiger Familien regiert die Stadt zusammen mit dem Papst, ausgehend von hohen juristischen und Verwaltungs-Ämtern wie dem des Primicerius und des Arcarius oder dem des magister militum. Daneben besetzen sie die geistlichen Spitzenämter der nahen Bistümer oder der Titularkirchen und der Diakonien. Aus ihnen wird sich später das Kardinalskollegium entwickeln.

 

Im Verlauf des 8. Jahrhunderts entzieht sich die Stadt immer mehr byzantinischem Einfluss, von dem es sich im Bündnis mit den Franken dann ganz löst. Dabei begreifen sich die Päpste nun als souveräne Herren der Stadt, da sie vermeiden können, im Frankenreich aufzugehen: Ihr Machtbereich gehört formell nicht zum Kaiserreich. Indem sie sich als Erben des byzantinischen imperialen Landes begreifen, nimmt ihr Landbesitz noch einmal zu.

 

Das Amt des Papstes bedeutet die Macht, eine eigene Klientel mit Land und lukrativen Ämtern zu bereichern und wird entsprechend umkämpft. Im 9. Jahrhundert wird das immer deutlicher. Immerhin ist Rom nun mit gut 20 000 Einwohnern eine der großen und reichen Städte des lateinischen Abendlandes.

 

Die wechselvolle Geschichte der Stadt und ihrer gelegentlich wenig friedfertigen Päpste (21 im 9. Jahrhundert) wird von den Kaisern wenig beeinflusst, die wohl auch wenig von den stadtrömischen Parteienkämpfen mitbekommen und verstehen.

882 wird Johannes VIII. ermordet, während zugleich Sarazenen immer mehr in Latium einfallen. 898 wird das bedeutende Kloster Farfa geplündert und besetzt. 897 wird Nachfolger Stephan VI. ebenfalls ermordet, während die islamische Gefahr weiter zunimmt.

 

***Das Land***

 

Die Teilung des ländlichen Status in Großgrundbesitz mit Herrenhöfen, kleine freie (Besitz)Bauern, die allerdings langsam weniger werden, und freie sowie unfreie Pächter und immer weniger Sklaven bleibt. Dazu erwerben Städter wie wohlhabende Handwerker (Goldschmiede z.B.) Grund. Der Großgrundbesitz der Kathedralen, anderer Kirchen und der Klöster nimmt bis ins 10. Jahrhundert zu.

 

Das Land wird einerseits durch Erbteilung vor allem immer stärker fragmentiert, andererseits gelingt es großen Klöstern wie Bobbio, das Land ganzer Dörfer unter ihre Kontrolle zu bekommen. Freie Pächter unterschreiben Verträge als libellarii, die meisten unterliegen weiter einem Gewohnheitsrecht. Immer wieder vergeben aus unbekannten Gründen einzelne freie (Besitz)Bauern oder gar ganze Gruppen ihr Land an Kirche oder Kloster, verschenken pder verkaufen es, um es zur Pacht und gegen Dienst, oft offenbar für einen Tag in der Woche, zurückzuerhalten. Erbenlose Bauern schenken ebenfalls öfter testamentarisch ihr Land an geistliche Herren.

Verarmung, der Druck des Zehnten, der Wunsch nach Schutz bzw. erpresserische Manöver der Mächtigen spielen wohl eine Rolle. Widerstand taucht im wesentlichen in der Gesetzgebung seit der späteren Langobardenzeit im Echo repressiver Maßnahmen wie harter Strafen auf. 

 

Wie überall im Karolingerreich tendieren zwei Entwicklungen zu einer Pächterschicht: Lage und Status kleiner freier Bauern verschlechtert sich in Richtung Abhängigkeit von Herren, und die Unfreiheit andererseits tendiert in eine Art Halbfreiheit, wie bei sich freikaufenden Sklaven. Herrenhöfe werden verpachtet, entsprechend schwinden die Arbeitsdienste, und der Pachtzins wird bis ins 10. Jahrhundert immer mehr in Geld geleistet.

 

Es gibt bis Ende des 9. Jahrhunderts  wie im übrigen Frankenreich keinen Adelsbegriff, es gibt nur reichere und weniger reiche Freie, die alle formal zum Militärdienst und zur Beteiligung an Gerichten und den fränkischen placita berechtigt bzw. verpflichtet sind. Germanisches Erbe sind die weit gefassten wichtigen horizontalen Verwandtschaftsverbände, die sehr strikt patrilinear geordnet sind und so Frauen in aller Regel Männern unterordnen. Die seltene starke Rolle von Frauen wird entsprechend mit Misstrauen betrachtet.

 

Unter anderem aus diesen Verbänden rekrutieren sich die Eideshelfer bei Gericht und aus ihnen leitet sich auch das Fehderecht ab, welches sehr unrömisch ist. In stärkerem Maße formalisiert lässt sich da auch der Zweikampf als Rechtsentscheid einordnen. Beides betrifft vor allem Gewalttaten, während vor Gericht vor allem Eigentumskonflikte - im wesentlichen über Land - auftauchen. In den Zeugenlisten der Urteile stellt sich Status dar und in den Unterschriften vage Anzeichen einer wesentlich höheren Literalität als nördlich der Alpen.

 

Auch wenn es keinen adeligen Rechtsstatus gibt, gibt es doch eine Art Oberschicht reicher und mächtiger Männer (Familien), der auf Landbesitz gründet. Bei genügend solchem Besitz bekommt man Zugang zum Hof eines Herzogs/(Mark)Grafen und eine Etage darüber beim König. Das alles spielt sich dann in der Stadt ab. Zugang zum Herrschaftsapparat kann dann solcher zu Ämtern bedeuten und darüber wieder zu mehr Land.

Wer es sich leisten kann, hält sich ein bewaffnetes Gefolge, welches über Geschenke funktioniert. Bei den Langobarden sind das die gasindii, bei den Franken heißen sie vassi. Indem die Zahl der dem König direkt zugeordneten Freien immer mehr abnimmt und die Gefolge von Oberschichtherren zunehmen, findet ein Prozess der Dezentralisierung statt, welcher im 10. Jahrhundert alle Ansätze von (zentraler) Staatlichkeit zusammenbrechen lassen wird. Diese Entwicklung verschärft sich mit den Ansätzen juristischer Funktionen der Herren über ihre Pächter. (Wickham, S.129ff)

 

Versuche königlicher Gesetzgebung seit dem 7. Jahrhundert, das Absinken der kleinen freien Landbewohner zu verhindern, werden bis ins 9. Jahrhundert anhalten, aber im Resultat erfolglos sein.