Der große Karl
Alleinherrschaft und Italien
Sachsenkriege
Italien und Byzanz
Bayern
Bretonen, Basken und Spanien (Aquitanien und spanische Mark)
Die Slawen
Die Jagd und der Krieg
Macht und Herrschaft
Romanisierung
Kaiser
Der große Karl
Seit dem 12. Jahrhundert und bis weit ins zwanzigste hinein werden sich Deutsche und Franzosen
darüber streiten, wem der große Karl gehört. Dabei gehört er keinem von beiden oder beiden zugleich, denn er ist zwar fränkisch-"germanischer" Abkunft, aber alles andere als ein Deutscher, und
ein Franzose ist er schon gar nicht, denn noch war die Francia nicht zur France geworden, und einem romanischen Frankreich hatte er nie angehört, wohl aber einem Mischgebilde aus Romanen,
Germanen, Basken, mit Versuchen, auch Kelten der Bretagne und Slawen am Rand des damaligen großen Bayern und am Rand Sachsens an sich zu binden.
Wenn er etwas war, dann war er fränkischer Vertreter eines lateinisch-christlichen Abendlandes und Erbe eines römischen. Man könnte auch "Europäer" sagen, obwohl das gewiss irriger ist, denn ein Bewusstsein von einem Europa gibt es damals kaum; das von einer Christenheit gibt es zwar, die ist aber keineswegs mit einem geographischen Europa übereinstimmend: Spanien ist überwiegend islamisch, Skandinavien und der Norden späterer deutscher Lande germanisch-heidnisch; schließlich wurde Osteuropa gerade fast flächendeckend slawisch-heidnisch (die letzte große Völkerwanderung). Dafür ist das oströmisch/orientalische Christentum zunächst noch über Europa hinausgreifend.
Das Wort „französisch“ hätte damals keinen Sinn gemacht, der entsprechende Begriff war
"fränkisch". Theodiscus in lateinischer Form ist seit dem 8. Jahrhundert belegt als Bezeichnung einer germanischen Volkssprache, meint aber keineswegs irgendetwas, was sich mit „deutsch“
schon verbinden ließe. Das Wort taucht zunächst weniger im „germanischen“ Sprachraum auf, sondern erst etwas später außerhalb wie im germanisch kontrollierten Italien, um die Fremden aus dem
Norden - und das meist abwertend - zu bezeichnen (oder als Teutonen wie im regnum Teutonicum des siebten Gregor).
Einen weiteren Beleg gibt es in einem Dekret einer Synode von Tours über das Predigen in der Volkssprache dort, wo das "Volk" anwesend ist: Dabei wird unterschieden zwischen der rustica
Romana lingua und der thiodisca lingua als zwei Oberbegriffen. (nach: Hägermann, S.611) Das eine meint die vielen romanischen, das andere die vielen aus dem Germanischen stammenden
Volkssprachen.Der Ausdruck „Deutsches Reich“ taucht nördlich der Alpen erstmals 1084 auf, zusammen mit zaghaften Versuchen, aus sprachlichen Gründen „Deutsche“ und andere abzugrenzen, aber ohne
Gemeinschaftsgedanken unten bei den Leuten.
Deutschland ist ein sehr spätes Wort, es wird erst im 15. Jahrhundert gebraucht und das noch lange sehr selten, bezieht es sich doch auf keine staatlichen Grenzen. Im 16. Jahrhundert ist immer
noch der Plural üblich, die tiutschen lande, während einige wenige unter den Humanisten und Reformatoren anfangen, "patriotisch"-abfällig gegenüber allem "Welschen" zu werden.
Der große Karl hatte mit Gewalt, List und Schauprozessen dafür gesorgt, dass Alemannien, Bayern
und Sachsen fest in das Frankenreich integriert und möglichst weitgehend „frankisiert“ wurden. Als dann unter den Erben das Reich in einen West- und Ostteil auseinanderfällt, deren einer bald von
Kapetingern, deren anderer von einer sächsischen Familie regiert wird, entsteht zunächst ein sehr kleines Franzien romanischer Volkssprache, während die großen deutschen Lande sich von der
Nordsee bis über die Alpen hinaus dehnen und nach Osten zunehmend stärker in slawische Gebiete ausgreifen. Diese deutschen Lande sind aber ein Sprach- und kein Herrschaftsraum. Für letzteren gibt
es noch nicht einmal ein Kerngebiet.
Das deutsche Karlsbild ist vor allem von zwei Seiten geprägt: Einmal ist der große Karl ein Geschöpf des mainfränkischen Edlen Einhard, der seine Bildung aus dem Kloster (Fulda) bezog, seit 794
am Hofe Karls zu Aachen lebt und das Unglück von dessen Sohn Ludwig ("dem Frommen") noch miterleben muss.
Einhard schreibt um 826 mit seinem Karlsbuch die wohl bedeutendste Biographie der Zeit in Westeuropa, und es ist eine
Hommage an den Vater Karl, dem der Sohn Ludwig im Vergleich nicht standhält. In Einhards vorromanischer Basilika im Odenwald kann man dem Autor noch ein wenig begegnen, wie auch in Seligenstadt,
dessen Abtei er gründet, in einer der ältesten nicht von Römern gegründeten Städte in den späteren deutschen Landen. So wie man eben auch Karl noch in Aachen begegnen kann, wo seine
architektonischen Vorstellungen teilweise späteren Veränderungen standgehalten haben.
Für diesen Einhard ist Karl im wesentlichen König der Franken, seine Rolle als Kaiser mit den sich anbahnenden
Abhängigkeiten von Päpsten und deren neuen Ansprüchen ist, vielleicht auch angesichts des damit in Zusammenhang stehenden Debakels des Karlssohnes Ludwig des Frommen weniger seine Sache.
Die zweite Prägung für Deutsche zumindest, die wesentlich propagandistischer und verfälschender
noch ist, erfährt das Bild vom großen Karl durch Kaiser Friedrich Barbarossa und sein staufisches Umfeld, und zwar einmal in dessen Auseinandersetzung mit Rom, zum anderen aber auch in der
Auseinandersetzung mit dem entstehenden Frankreich, den französischen Königen besser gesagt, und deren Propagandisten. Dieses Karlsbild wird dann in Romantik und Wilhelminismus wieder
aufgenommen.
Wie weit die Vorstellungswelt zur Zeit Karls von Anfängen eines Frankreich oder Deutschland entfernt ist, zeigt folgendes: Karl ist zunächst "König der Franken", wird zusätzlich "König der
Langobarden" und wird Weihnachten 800 "Imperator und Augustus" über drei Gegenden der Welt: "Italien, Gallien und Germanien." Germanien, das sind vorwiegend die ostrheinischen Gebiete, die Karl
als Erbe der Merowinger, Karl Martells und König Pippins vor allem, unter die königliche Knute zwingt.
"Groß" (magnus) wird dieser Karl übrigens erst langsam, nachdem die Herausbildung von Sagenhaftem und Anekdotischem viel Historisches überdeckt und verwischt hat, also um die Jahrtausendwende. Aber schon zu Lebzeiten, genauer, in Zeiten seiner Herrschaft, hatte Karl mit Hilfe von Hofschreibern und Verwandten dafür gesorgt, dass ein ihm gefälliges Geschichtsbild entsteht. Da schreibt der Langobarde Paulus Diaconus für ihn bzw. den Metzer Bischof einen Text über die Taten der Bischöfe von Metz (Gesta episcoporum Mettensium). Um 790 entstehen die sogenannten 'Reichsannalen' (Annales Regni Francorum) und schon unter dem Kaiser die 'Annales Mettenses'.
Für unser Geschichtsbild, auf diese Weise propagandistisch entstellt, fehlt so der freiere Blick auf seine Taten, wozu auch gehört, dass wir kaum etwas über die sicher deutlich vorhandene Opposition gegen seine gewaltige und gewalttätige Herrschaft erfahren. Aber auch der kleinere Karl, seine Person jenseits der großen Taten, bleibt uns weitgehend verschlossen. Wir wissen von wenigstens vier oder fünf Ehefrauen, von Konkubinen außerdem, und können ahnen, dass er vermutlich ähnlich wie andere große Sklavenhalter Sklavinnen sexuell benutzt hat. Aber er sieht sich wohl zugleich als vorbildlicher Christ mit dem täglichen Gang in seine Kirche und darüber hinausgehenden Gebeten. Er sieht sich als verantwortlicher Herr über seine Kirche, aber er scheut nie vor brutaler Gewalt zurück, auch nicht vor Mord und Totschlag. Vermutlich ist er ein etwas bekannteres Musterbild für das, was damals bei hohen Herren Christentum bedeutet. Bei Fried heißt es: "Er glaubte, was und wie es ihm seine kirchlichen Berater - Päpste, Bischöfe, Äbte und Kleriker - nahelegten und lehrten." (S. 48) Hinzuzufügen wäre, dass es wohl darunter niemanden gab, der ihn dabei zu kritisieren wagt.
Alleinherrschaft und Italien
Die Jugend Karls lässt sich nur erschließen. In zwei nahe beieinander liegenden Dingen wird er auf jeden Fall unterrichtet: Der Jagd und dem Krieg. Für 761 berichten die Annalen von der Beteiligung des Sohnes an einem Heerzug seines Vaters gegen Waifar von Aquitanien, Teil eines Eroberungskrieges, den Karl später zu Ende bringen wird. Und sicherlich gibt es religiöse Unterweisung, mit der Herrschaft nun umfassender als zuvor untermauert wird.
Königtum hieß ganz germanisch offiziell immer noch nicht Monarchie. Pippin teilt seinen Herrschaftsbereich für die Söhne Karl und Karlmann in zwei auf, die allerdings ein Frankenreich bilden
sollen. Karl erhält die Nordhälfte, Karlmann das Elsass, Alemannien, Burgund, und die Provence, Aquitanien wird unter beide aufgeteilt, und das Dukat Maine bildet dabei für Karl die Landbrücke in
den Süden. Vor Augen halten muss man sich, dass es damals keine brauchbaren Karten gibt. Solche Teilungen sind darum immer ungenau, solange man sich keiner Flüsse für Grenzziehungen bedienen will
oder kann.
Offensichtlich arbeiten die beiden Brüder nicht zusammen, sondern gegeneinander. Als ein Aufstand in Aquitanien ausbricht, lässt Karlmann seinen Bruder im Stich, und der muss ihn alleine niederschlagen (wobei zu bedenken ist, dass uns das alles vorwiegend aus der Perspektive Karls und von Einhard überliefert ist). 769 ist Aquitanien samt Septimanien nach langer Zeit wieder zur Gänze Teil eines vereinigten Frankenreiches.
Zwei, drei Jahre ist gespannte Ruhe. Dann bricht eine schwere Krise im weströmischen Machtgeflecht auf. Der Bayernherzog Tassilo hatte sich de facto unabhängig gemacht von fränkischer Oberhoheit, hatte eine Langobardenprinzessin geheiratet und kontrolliert bis nach Bozen den Zugang zum Langobardenreich. Karlmann, dessen Herrschaft an die Langobarden heranreicht, soll wohl auf Betreiben der Mutter Bertha/Bertrada eine Langobardenprinzessin heiraten, was den Papst erzürnen muss. Karl wiederum avisiert die Heirat mit einer anderen Langobardenprinzessin, und verstößt seine erste Frau Himiltrud.
Papst Stephan zetert und schäumt gegen die Pippin-Witwe Bertrada, die das Ganze angezettelt haben soll (der Teufel bedient sich immer des Weibes!) und besonders gegen das treulose und
stinkende Volk der Langobarden, das verfluchte Volk, und was sich die Franken wohl denken würden. Das ist vielleicht päpstlicher Originalton, wobei die Langobarden längst Christen
sind. Bertrada zieht nach Bayern, dann zu den Langobarden, die sie dazu bringen, vom Papst und seinem Einflussbereich abzulassen. In Rom dann billigt der Papst offenbar ihre Pläne. Von dort kehrt
sie nach Pavia zurück und begleitet die junge Königstocher ins Frankenland, wo sie womöglich Karl heiratet.
Karlmann sieht nun seine Position bedroht und lässt durch Gesandte in Rom gegen den Papst intrigieren. Daraufhin marschiert Langobardenkönig Desiderius bis vor Rom und lässt die beiden Anführer der Karlmann-Partei in der Stadt blenden und foltern bis in den Tod. Das nötigt den Papst entsprechend zu vorübergehender Unterwürfigkeit gegenüber ihm. Daneben ist das Papsttum längst jenen Streitigkeiten konkurrierender römischer Adelsgeschlechter ausgesetzt, die noch das 11. Jahrhundert prägen werden.
In etwa dieser Zeit verstößt Karl wohl seine langobardische Ehefrau, was von deren Vater Desiderius sicher als feindseliger Akt gesehen wird, und heiratet eine vielleicht dreizehnjährige
Hildegard, mit der er eine ausführlichere Ehe beginnt. Sie stammt aus alemannischem Hochadel, Alemannien aber ist Teil des Erbes Karlmanns, und Hildegards Familie wohl mit den bayrischen Herzögen
und langobardischen Königen verwandt. Sie wird ihm in rund 12 Jahren wohl neun Kinder gebären.
So viel Ruppigkeit führt offenbar zu Kritik im fränkischen Adel. Karls Neffe Adalhard zieht sich ins Kloster Corbie zurück.
Dann stirbt Karlmann im Dezember 771 in der Nähe von Laon mit rund zwanzig Jahren verdächtig jung. Karl lässt sich staatsstreichartig noch im selben Monat von einigen Großen des Karlmann-Teilreiches zum Alleinherrscher aller Franken ausrufen und schließt damit die legitime Nachfolge der Söhne Karlmanns aus. Dessen Witwe flieht mit den Kindern und einem kleinen Teil der fränkischen Großen nach Pavia und Verona und begibt sich so in den Schutz der Langobarden, die von nun an den Papst bedrängen werden, diese zu fränkischen Königen zu salben, um das Frankenreich zu spalten.
Bis 773 ist Karl mit dem ersten Krieg gegen die Sachsen beschäftigt, auf den später einzugehen sein wird. Inzwischen ist der auf Karl hin orientierte Papst Hadrian I. auf dem Stuhl Petri und wird
immer massiver von den Langobarden bedroht. Was damals passiert, ist einer der wichtigeren Wendepunkte in der abendländischen Geschichte: Mit Karls langsam reifender Entscheidung zur Eroberung
Sachsens und des Langobardenreiches und der erneuten Unterwerfung Bayerns wird die wesentliche Vorentscheidung für die Entstehung Deutschlands und Frankreichs, den Aufstieg des Papsttums und die
Entstehung des zumindest nominell tausendjährigen Kaiserreiches getroffen.
Seit 772 ist Hadrian I. Papst. Er lässt die von seinem Vorgänger inhaftierten Frankenfreunde wieder frei und verjagt die Byzantinerfreunde. Dabei baut er seine Macht aus.
773 stehen die Langobarden wieder einmal vor den Toren Roms und verlangen die päpstliche Salbung der Karlmann-Söhne. Am Ende sieht sich Karl als Erbe seines Vaters gezwungen, über die Alpen zu marschieren. Eine breite langobardische Opposition gegen den eigenen König geht laut Quellen mit fliegenden Fahnen zu Karl über. Er dringt ohne Schlacht bis zur Hauptstadt Pavia vor, die er daraufhin fast neun Monate lang belagert, bevor sie sich ergibt. König Desiderius und seine Familie samt der verstoßenen zweiten Frau Karls werden in die übliche "Klosterhaft" ins Frankenreich deportiert. Die Karlmann-Witwe und ihre Söhne verschwinden nach der Eroberung Veronas im Dunkel der Geschichte. Karl nimmt zum Titel eines fränkischen auch den eines langobardischen Königs an (rex Francorum et Langobardorum), den er dann bald noch durch ac patricius Romanorum ergänzt. 781 wird er seinen Sohn Karlmann, den er inzwischen mit päpstlicher Hilfe in Pippin hat umtaufen lassen, um die Erinnerung an seinen toten Bruder zu verhindern, zum (Unter)König von Italien einsetzen, so wie Sohn Ludwig zum (Unter)König von Aquitanien.
Laut 'Liber pontificalis' ist Papst Hadrian Ostern 774 erschrocken, als sich Karl während der Belagerung Pavias mit Gefolge Rom nähert. Aber der Papst muss Karl das Betreten der Stadt erlauben, 112 Jahre, nachdem ein (ost)römischer Herrscher sich zum letzten Mal in ihr aufgehalten hatte. Dann greift Hadrian auf das Zeremoniell zurück, mit welchem bislang der Exarch von Ravenna in die Stadt geleitet wurde (Fried, S.133ff / LHL, S.31)). Karl lernt die antike Stadt in ihren Resten von einem Ende über die Reste des Forum bis zum anderen Ende ad Lateranis kennen, wobei er vielleicht erste Vorstellungen für sein zukünftiges Aachen entwickelt.
In Rom findet eine hochtheatralische Verbrüderung zwischen König und Papst statt, der ihm den Titel eines Patricius verleiht. Die Pippinsche Schenkung an den Papst, deren Details unklar sind, wird erneuert, also das (vage) Versprechen, solche Gebiete für den Papst zu erobern. So steht es im 'Liber Pontificalis', während die fränkischen Quellen nichts davon erwähnen. Allerdings wird die Verwirklichung dieses Versprechens in kleinerer Ausführung bis 781 warten müssen.
Aus dieser dubiosen Pippinschen Schenkung wird später die päpstliche Fälschung einer "Konstantinischen Schenkung" hervorgehen. Darin verzichtet Kaiser Konstantin nach seiner Bekehrung zum
Christentum zugunsten vom Papst auf Rom, weswegen (!) er sich die Hauptstadt Konstantinopel bei dem Ort Byzantion erbaut, und er verzichtet auf die ganze westliche Hälfte des römischen Reiches
zugunsten des Papstes, aller Provinzen und Italiens und des Okzidents.
Dabei verschwindet in der Vorstellungswelt die alte Einheit eines Abendlandes, sein Ostteil wird ganz langsam aber dauerhaft zu einer neuen Art von Orient, der sich immer stärker auf das alte Makedonenreich bezieht. Zum neuen Okzident wird im Bewusstsein der Menschen das weströmische Erbe, welches Karl nun antritt. Und der Papst datiert nun seine Urkunden nicht mehr nach oströmischen Kaiserjahren, sondern nach denen seiner eigenen Amtszeit.
Mit Italien und ganz besonders Rom begegnet Karl einem Feld neuer Inspiration, was in ihm wohl den Gedanken verstärkt, seinem Reich (auch) germanischer Wurzeln stärker römische hinzuzufügen. Dieses Neue wird in einem Kapitular (I,30) deutlich:
Da uns die göttliche Milde unablässig in Krieg und Frieden schützt, (...) deshalb wollen wir, da wir Sorge tragen, den Stand unserer Kirchen ständig zu verbessern, die durch die Nachlässigkeit unserer Vorfahren nahezu vergessene Aufgabe der Wissenschaft (litterarum officina) mit wachem Eifer erneuern (reparare) und - so viel wir können - durch unser Beispiel zu eindringlichen Studien der freien Künste anhalten. (deutsch in Fried, S.43)
Das ist sicher ein Bildungsprogramm, von dem nur wenig eingelöst wird. Aber es ist auch ein Programm für ein Reich, welches neue Züge des Machterhaltes zugeführt bekommen soll: Mehr Schriftlichkeit, mehr Text als Machtlegitimation, mehr kirchlich-religiöse Machtbasis.
Aber daneben wird es weiter Jahr für Jahr Eroberungskriege geben. Laut Einhard sind das Kriege gegen Aquitanien, Sachsen, Sarazenen, Bayern, Bretonen, Benevent und gegen Slawen.
Über dreißig Jahre Sachsenkriege
Ohne die grausame Eroberung des Sachsenreiches durch die Franken unter Karl hätte es vielleicht nie einen Weg zu irgendwelchen "deutschen Landen" gegeben. Die mit Terror durchgezogene Zerstörung
der sächsischen Lebensformen zwischen den Westfriesen, den Dänen und den nach Ostelbien eingewanderten Slawen ruiniert den einzigen bis dato nur wenig römisch beeinflussten Raum germanischer
Völkerschaften, der in ein späteres Deutschland eingehen wird, und der ohne seine Frankisierung vielleicht einen ähnlichen Weg gegangen wäre wie die skandinavische Welt - oder einen ganz anderen
eigenen.
Schon in der vorangehenden Eroberung, "Verwüstung" und Christianisierung der (West)Friesen erweisen sich fränkische Herrscher als späte Vollender des gebremsten Integrationsprozesses germanischer
Gebiete ins antike Imperium Romanum und zudem als gnadenlose Zerstörer germanischer Kulturen. Karl tritt in fränkischem Gewand auf und die fränkische Volkssprache ist wohl seine Muttersprache.
Aber er repräsentiert eine Francia, in der inzwischen Herrschaft seines Typs immer mehr auf die römischen Wurzeln angewiesen ist, zu denen nicht zuletzt das Christentum als Herrschaftsinstrument
gehört. Die nicht "zivilisierten" Germanen, Sachsen wie Skandinavier, sind für ihn und seine Umgebung "Wilde" wie auch die damals oft als "Hunnen" bezeichneten Awaren aus Innerasien. Die
Entdeckung einer germanischen Vergangenheit der Deutschen im 16. Jahrhundert wird ein Irrtum sein: Die mittelalterlichen Zivilisationen mit ihren neuen Formen zu wirtschaften, Macht auszuüben und
Herrschaft zu etablieren - aus denen unter anderem Deutsches hervorgehen wird - beruhen auch auf Anteilen eines steten Entgermanisierungs-Prozesses. In ihm geht dann das römische wie das
germanische Erbe regional in Verschiedenem auf, wobei Neues entsteht.
Konflikte an der Nordwestgrenze des Frankenreiches nimmt Karl zum Anlass, 772 im Sachsenland einzufallen, wobei die Domestikation "der Wilden" so erfolglos bleibt, dass sie fast Jahr für Jahr zu einem neuen fränkischen Kriegszug führen wird. Hätten die Sachsen sich nach und nach geduckt, wäre bei Karl so schnell nicht der Plan gereift, sie bis zur Elbe zu unterwerfen; es ist ihre absolute Weigerung, sich zum Christentum zwingen zu lassen, und damit ihre "wilde" Unbotmäßigkeit überhaupt, die ihre kulturelle Vernichtung herbeiführt.
Laut Reichsannalen macht Karl aber bei diesem ersten großen Überfall auf die Sachsen nicht nur reiche Beute und verwüstet mit Schwert und Feuer das ganze Land, sondern er zerstört auch ihr zentrales Heiligtum, die Irminsul, bedrohte also den Kern ihres kultischen Zusammenhangs.
Die Sachsen kennen noch nicht die von Römern indirekt und später von den Franken herbeigeführte Stammesbildung, wie sie zum Beispiel in Alemannien teilweise und Bayern ganz gelingt, die beide vor
allem fränkische Erfindungen zum Zweck der Einverleibung bzw. Kontrolle sind. Mit ihrer Einwanderung in zum Teil ehemals langobardische Gebiete bilden sich vor allem drei lose miteinander
verbundene sächsische Volksgruppen aus, die Westfalen, Ostfalen und Engern, die aber selbst wieder keinen engeren Zusammenhang über Kultgemeinschaften und kurze militärische Bündnisse hinaus
kennen. Die fehlenden zentralen und autoritären Herrschaftsstrukturen wie auch fehlende Straßen und Städte werden es den Franken so schwer machen wie zuvor den Römern. Die Beharrlichkeit, mit der
Karl sich an die Eroberung machen wird, zeigt seine Herkunft aus einer Kriegerwelt, und zeigt Unterschiede zum Verhalten der Römer zu den Germanen, die allerdings auch damit zu tun haben, dass
das römische Zentrum die Mittelmeerwelt war.
Zentrales Ziel aller Kriege bis Anfang des 9. Jahrhunderts wird die Zerstörung der sächsischen, etwas anzivilisierten Kultur als Basis für die Etablierung fränkischer Herrschaft. Im Zentrum jedes
Kriegszuges steht die völlige Vernichtung der sächsischen Kultstätten. Sie wird begleitet von mit Drohungen und Gewalt herbeigeführten Zwangstaufen, denen in Ermangelung von geistlichen
Instruktoren und der fehlenden Bereitschaft der Sachsen, ihnen zuzuhören, kaum religiöse Unterweisung vorausgeht.
Monotheistische, unduldsame Vorstellungen von Religion waren den Sachsen wie ursprünglich allen Germanen und wohl früher einmal allen Indogermanen fremd. Der christliche Sündenbegriff war nicht
in ihre Sprache übersetzbar, so wenig wie andere christlichen Kernbegriffe.
Elementar waren für die Sachsen wie für alle Kulturen (zeitweilig als Naturvölker bezeichnet, um ihnen Kultur abzusprechen) ein enges Verhältnis zur Natur, aus der viele Gegenstände der Verehrung
kamen, in strengem Gegensatz zum bisherigen kirchlichen Christentum, welches diese Welt von Teufeln durchsetzt und beherrscht sieht und zur Abwendung von ihr aufruft. Quellen und belaubten
Bäumen erweisen sie ihre Verehrung, schreibt einige Jahrzehnte nach den Sachsenkriegen ein Autor aus Fulda. Ferner gibt es die germanische Götterwelt mit Thor, Wotan, Saxnot und anderen.
Dazu kommt das unmittelbare Verhältnis zu den Vorfahren, die Verehrung genießen, das, was man heute Ahnenkult nennt, und was in völlig anderer Form in die christlichen Memorialrituale eingehen
wird.
Von einem Großen aus (West)Friesland, der gute Kontakte zu den Franken hatte, wurde erwartet, dass er sich taufen ließe, nachdem ihm von Gott und Teufel, Himmel und Hölle erzählt worden war. Darauf fragte er, ob er, wenn er in den Himmel käme, dort seine Vorfahren wiedersehen würde. Als ihm das verneint wird, da sie als Heiden zur ewigen und höllischen Verdammnis verurteilt seien, erklärte er, unter diesen Umständen wolle er kein Christ werden, denn von seinen Vorfahren getrennt wolle er nicht leben.
Kaum sind die sengenden und verwüstenden fränkischen Krieger wieder abgezogen, bauen die zwangsgetauften Sachsen ihre Heiligtümer wieder auf, wenden sich gegen das Kloster Fritzlar und
brennen die kleinen christlichen Holzkirchen ab. Ganz langsam werden aber Teile der sächsischen Oberschicht mit Geschenken und Versprechungen für die Sache der fränkischen Eroberer gewonnen.
Sobald die fränkische Streitmacht jeweils abgezogen ist, wenden sich die Sachsen dann gegen solche eigenen Oberen. Das wird jahrzehntelang so weitergehen.
Mit dem Hoftag von Quierzy 775 wird Karls Krieg endgültig zum Eroberungskrieg, denn er beschließt laut Einhardsannalen,
das treulose und vertragsbrüchige Volk der Sachsen mit Krieg zu überziehen und so lange durchzuhalten, bis sie entweder besiegt dem christlichen Glauben unterworfen oder aber gänzlich vernichtet seien. (in LHL, S. 35)
Der christliche Gott, den Konstantin und ihn vielleicht imitierend Chlodwig angenommen hatten, ist ein Kriegsgott vor allem, ein Herr der Heerscharen, ein Gott, der militärische Siege verspricht.
Bei Karl d.Gr. ist er zusätzlich ein ziviler Gott, der himmlische Programmatiker von Herrschaft und Zivilisation. In den von Karl veranlassten Texten, den Kapitularien vor allem, ist durchaus von
der christianisiert-römischen caritas und pietas die Rede, so wie auch von Gerechtigkeit, Schutz der Armen und Schwachen. Aber da dieser zivilisierende und eine zivile Ordnung
im Sinne des Augustinus verheißende Gott die Sachsen nicht interessiert, kehren die Franken weiter den grausamen, rachsüchtigen und gnadenlosen alttestamentarischen Gott der Juden heraus.
Sengen und verwüsten sind die beiden zentralen Tätigkeiten der fränkischen Heere durch wenigstens zwei Jahrzehnte, und so heißen sie auch in den offiziellen Texten der Franken
Jahr für Jahr.
Der König säte Verzweiflung unter vielen Sachsen und zerstörte ihr Gebiet... Er verwüstete alles, brennend und plündernd, tötete eine große Zahl Sachsen, die versuchten, Widerstand zu leisten, und kehrte mit einer riesigen Beute zurück... Hass gegen das verruchte Volk... Er ordnete an, dass alles durch das Feuer und das Eisen zerstört werden sollte... im Verlauf von 25 Tagen durchquerte er das Land, es verbrennend und zerstörend. Riesige Beute und zahllose Gefangene, Männer, Frauen und Kinder, wurden mitgenommen...
(usw.usf. Eine längere Aufzählung gibt es bei Minois, Charlemagne, S.180)
777 lässt Karl auf einer Versammlung in Paderborn seine ganze zivilisatorische Grauenhaftigkeit im Festgedicht 'Carmen de conversione 'feiern: Die Heiden sind mit dem blitzenden Schwert gezähmt, von reißenden Wölfen (lupos saevos) in zarte Lämmer verwandelt und als neue Christusverehrer dem Himmelslicht zugeführt worden. Kein Wunder, dass Karl noch von den heutigen Machthabern in Frankreich und der BRD als "der Große" gefeiert wird, nachdem man ihn zwischenzeitlich bereits heilig gesprochen hatte.
Je länger die Kriege andauern, desto mehr werden Besiegte, die sich vor Ort nicht unterwarfen und stante pede taufen lassen, in größerer Zahl einfach abgeschlachtet. „Taufe oder Tod“ heißt die Parole. Als frankenfreundliche Sachsen ihre sächsischen Gegner bei Verden an Karl ausliefern, lässt dieser sie massenhaft abschlachten. Daneben wird immer mehr zum Mittel der Massendeportationen Einheimischer gegriffen, welches Karl schon bei den Langobarden verwendet hatte. An ihrer Stelle werden dann Franken und Slawen angesiedelt.
In der 'Vita Sturmi' über den Abt von Fulda heißt es:
Mit einem ungeheuren Heer und Christi Namen auf den Lippen brach Karl nach Sachsen auf. In seinem Gefolge führte er zahllose Bischöfe, Äbte, Priester sowie rechtgläubige und glaubenskundige Leute mit sich, damit sie das Sachsenvolk, das vom Anbeginn der Welt an von den Stricken der Dämonen gefesselt war, mit heiliger Lehre dem Glauben an das sanfte und süße Joch Christi unterwürfen. (deutsch in Fried, S.157)
Schon früh wird Karl ungeduldig über die fehlende Fügsamkeit der Sachsen gegenüber dem Herrscher und seiner Kirche. In seinem Sachsen-Kapitular, welches nach seinem Sieg wieder etwas abgemildert werden wird, heißt es:
Wenn jemand heidnischen Riten folgt und veranlasst, dass der Leichnam eines Toten vom Feuer verzehrt werde (...) soll er mit dem Leben dafür bezahlen. (...) Wenn sich unter dem sächsischen Volk einer ungetauft verbirgt und es verschmäht, zur Taufe zu kommen, und will sich absondern und ein Heide bleiben, soll er sterben. (...) Wenn jemand unserem Herrn, dem König, untreu gefunden wird, möge er die Todesstrafe erleiden.
Was hier wie die Sprache eines brutalen Despoten klingt, wird sich allerdings auch in jenen Anordnungen wiederfinden lassen, die für das übrige Reich gelten. Mit Karl gewinnt die brutale Gewaltherrschaft neuer Herrscher neue, ideologisch verbrämtere Qualität.
Nach drei Jahrzehnten lassen sich die ersten Bischofskirchen dauerhaft etablieren, in Bremen, Minden, Paderborn. Insgesamt wird Sachsen in acht Bistümer aufgeteilt, die an die Erzbistümer Köln und Mainz fallen. Danach wird es noch wenigstens zwei Jahrhunderte dauern, bis das Sachsenland komplett mit Pfarrkirchen überzogen ist, bald werden aber die ersten Abteien errichtet (Werden, Corvey). Diese fränkische Kirche im Sachsenland wird zum zentralen Herrschaftsinstrument der Franken, die zudem fränkische Grafen als Zwingherren etablieren, aber auch sächsische aus der heimischen Oberschicht, die eher als das „Volk“ geneigt ist, sich den Franken anzuschließen.
Die Kölner Erzbischöfe profitieren durch die Ausweitung ihrer Diözese über Münster bis nach Bremen (bis auch dies dann später erzbischöflichen Rang erhält). Mainz wird zum Erzbistum erhöht und ihm werden viele der übrigen neu entstehenden sächsischen Bistümer unterstellt.
Das sächsische wie überhaupt das Christentum nicht hinreichend romanisierter Germanen entwickelt einen spezifischen Synkretismus, in den erhebliche "heidnische" Elemente eingebaut werden, die
z.B. in Oster- Pfingst- und Weihnachtsbräuchen bis ins industrielle Zeitalter überleben. Die den meisten Menschen fremde, in Rom vereinheitlichte christliche Theologie bleibt fast allen
unverständlich, wesensfremd. Neben der zivilisierenden und Herrschaft etablierenden Wirkung des Christentums wird dieses zu von oben reglementierter und immer wieder zugleich eingedämmter
Folklore in der Alltagswelt.
Das wichtigste Element wird die Pfarrgemeinde im Stadtteil und Dorf: Sie wird zum alltäglichen Ort der Begegnung und des Miteinanders. Nicht völlig unähnlich dem Leben um den Mittelpunkt Synagoge
und Moschee, aber mit ganz eigenen Zügen wird es in oft unterschätzter Weise für etwa tausend Jahre die "weströmische" Zivilisation prägen, nicht zuletzt auch als horizontale Ebene zu der immer
wichtiger werdenden vertikalen, der die Menschen ausgesetzt sind. Im großen Zerstörer Industrialisierung wird sie weithin verschwinden und die Menschen alleine lassen, die darauf dazu tendieren,
in säkulareren Glaubensrichtungen ihr Heil zu suchen.
Der Bewunderer und Biograph Karls, Einhard, stellt Anfang des 9. Jahrhunderts fest, Franken und Sachsen seien dabei, zu einem Volk zu werden. (Vita Karoli, c.7) Das ist Geschichte von oben und
außen. Was ein Stück weit mit dem Frankenreich zusammenwächst ist die von Karl privilegierte sächsische Oberschicht, gegen die es kurz nach Mitte des 9. Jahrhunderts den Stellinga-Aufstand der
einfachen Leute geben wird.
Zivilisieren heißt hier nicht nur Etablieren von vorstaatlichen Herrschafts-Strukturen, es heißt auch Veränderung der Persönlichkeitsstrukturen im Alltagsleben. Bei den Sachsen der nächsten Jahrhunderte wird in Reinkultur zu beobachten sein, was das heißt: Neue Formen der Impulskontrolle, resignative Hebung der Frustrationstoleranz, Ableitung der Aggressionen vom unmittelbaren Objekt und Übertragung auf weniger bedrohliche Schwächere, Demutshaltungen der Unterwerfung gekoppelt mit Versprechungen auf ein besseres Jenseits, zunehmende Unterwerfung unter Formen von Arbeit auch für Herren.
Wenn wir das Verhältnis fränkischer Großer zu den "Wilden" zur Zeit des großen Karls mit dem des römischen Reiches zu ihnen vergleichen, dann stellen wir eine Zunahme von Verachtung und
Aggression fest. Man vergleiche die (propagandistisch gefärbte) 'Germania' des Tacitus mit folgendem Zitat von Einhard:
Die Sachsen sind wie fast alle Völker in Germanien dafür bekannt, dass sie eine wilde Natur haben, sich dem Dämonenkult hingegeben, sich unserer Religion widersetzen und es nicht für unehrenhaft zu halten, die göttlichen und menschlichen Gesetze zu verletzen und zu übertreten.
Zwischendrin kommt es zu Karls spanischem Abenteuer, welches wohl auf Unkenntnis der inneren Verhältnisse auf der iberischen Halbinsel beruht. Daneben wird versucht, die Basken ansatzweise zu unterwerfen. (s.u.)
Wegen der Tatsache, dass die Integration Aquitaniens in sein Reich sich nicht völlig durchsetzen lässt, setzt der Herrscher dort seinen gerade erst geborenen Sohn Ludwig als Unterkönig zur (Rex Aquitanorum) ein. Er wird mit seiner Reichsbildung zur weiteren Separation Aquitaniens im 9. Jahrhundert beitragen, wobei der Graf von Toulouse erhebliche Macht ansammeln wird.
Ein weiteres nicht so leicht zu überwältigendes Volk sind trotz einzelner Kriegszüge Karls die Bretonen. Sie werden erst viel später von französischen Herrschern kulturell ausgelöscht werden. Ähnliches wird später auch den Basken im nunmehr französischen Raum geschehen.
Die zentrale historische Leistung Karls besteht darin, Kulturen zivilisatorisch und dabei gewalttätig zu vernichten und damit ein Stück Uneinheitlichkeit der Welt verschwinden zu lassen. Dieser
Prozeß ist heutzutage immer noch im Gange. Lügenpropaganda gehörte damals wie heute dazu. Ein fränkischer Graf äußert sich laut Ermoldus über die Bretonen folgendermaßen:
Diese verlogene und übermütige Nation ist seit jeher rebellisch und ohne gute Eigenschaften gewesen. Das treulose Volk ist nur dem Namen nach christlich, denn von guten Werken, Bräuchen oder dem christlichen Glauben findet sich keine Spur. Sie kümmern sich weder um Witwen und Waisen noch um die Kirche. Bruder und Schwester teilen das Bett. Der Bruder nimmt die Gattin des Bruders. Sie leben in Inzest und Verbrechen. Sie wohnen in Wäldern und stellen ihre Lager im Dickicht auf. Sie freuen sich, von Raub zu leben wie die wilden Tiere.
Unzivilisiert ist animalisch und wird mit Phantasien geringer repressiver Sexualität verbunden. Die Aggression gegenüber harter christlicher Domestikation der Sexualität wird von den Mächtigen
zur Diffamierung derer genutzt, die sich dem Schmerz dieser Domestikation verweigern. Dass Kulturen jeweils auf ihre andere Weise ihr Miteinander regeln, wird dabei ausgeblendet. Damit wird das
Christentum zu einem verschärften Argument für Hass so wie heute der Islam.
Italien und Byzanz
Neben dem ständig neu aufflackernden Krieg gegen die Sachsen, Feldzügen gegen die Sarazenen und die Bretonen findet Karl auch Zeit, dreimal mit einem Heer nach Italien zu ziehen. Es gibt offenbar 776 einen Hilferuf Papst Hadrians I. gegen eine Bedrohung durch die Herzöge von Friaul, Spoleto und Benevent. Karl siegt in Friaul und kehrt dann wieder um, denn die Sachsen geben keine Ruhe.
Das Ergebnis ist, dass der Papst eine militärische Erweiterung seiner Macht gen Süden versucht, aber Neapel verbündet sich darauf mit Benevent und Byzanz und bedroht Rom nun seinerseits.
Weihnachten 780 ist Karl dann in Pavia und Ostern 781 in Rom, wo er Sohn Pippin (ehedem Karlmann) zum König der Langobarden krönen und salben lässt und Sohn Ludwig zum König über Aquitanien. Sie sind drei bzw. vier Jahre alt. Der 'Astronom' beschreibt in seiner 'Vita Hludowici' den Herrschaftsantritt des kleinen Ludwig: Bis Orléans wurde er im Kindertragstuhl getragen, dort aber mit seinem Alter angemessenen Waffen bekleidet, aufs Pferd gesetzt und mit Gottes willen nach Aquitanien hinübergeführt. (c4, in LHL, S.41)
Mit den Krönungen übernimmt Karl ein Zeremoniell der Langobarden. Als „König, der über Könige herrschte“, war Karl nun bereits „kaisergleich“. (Fried) Vielleicht passt genau dazu ein Bündnis mit Irene, die in Byzanz die Regentschaft für ihren minderjährigen Sohn Leo übernommen hatte. Dem Papst kann das allerdings nicht recht sein.
786 ist Karl zu Weihnachten in Florenz. In der nach seinem Tod überarbeiteten Version der Reichsannalen wird die Eroberung von Benevent als Ziel angesehen, womit das ganze nicht byzantinische Italien dann unter seine Herrschaft gebracht wäre. Dabei unterschätzt Karl die Macht und die zivilisatorische Höhe dieses „Fürstentums“, wie es sich nach dem Ende des langobardischen Königtums nannte. In Hofhaltung, an Byzanz angelehnter Architektur, in den bildenden Künsten überhaupt und den litterae war das Prinzipat dieses Herzogs (princeps) Arichis II. dem Frankenreich weit überlegen, war es doch unmittelbar in west- und oströmische Traditionen eingebunden.
Arichis bietet aber von sich aus Unterwerfung, einen Vertrag und Geiseln an und weicht nach Capua aus, als dann doch ein Heer anmarschiert. Als Karl nach Arichis Treueschwüren abzieht, lässt er schließlich nach dem Tod von Arichis dessen Sohn Grimoald, eine der Geiseln, frei, der sich erst einmal gegen die Byzantiner wendet, die den exilierten Sohn des Langobardenkönigs Desiderius nach Italien entsandt hatten. Nachdem dieser wieder fliehen muss, macht sich Grimoald aber immer selbständiger, um dann nach 791 in kriegerische Konflikte mit dem neuen „italienischen“ König Pippin zu geraten.
Letztlich wird die Südhälfte Italiens von fränkischen und später ostfränkischen Königen bis zu den Staufern niemals so recht zu unterwerfen sein.
Karls Reich grenzt nun in Italien an Byzanz. Dort muss Irene (Eirini Basilisse) um die Macht für ihren kleinen Sohn kämpfen und sucht das Bündnis mit dem Frankenkönig, dessen Sohn sie für die Ehe mit einer Tochter Karls anbietet. Das Verlöbnis scheitert dann aber, als der Junge bald darauf einer Armenierin versprochen wird. Karl wird in Zukunft seine Töchter in seinem Haushalt behalten.
In Byzanz spielt der Bilderstreit massiv in die Machtpolitik hinein. Am Punkt der Abbildung Christi auf Ikonen hatten bilderstürmerische (ikonoklastische) Kaiser seit etwa 730 die Position vertreten, dass Heiliges wie der Gottessohn nicht abgebildet werden dürfe, weil das zu einer falschen Verehrung von ihm führe und damit auch das (dadurch sichtbare) Menschsein Jesu betont würde - eine späte Erinnerung an die Konflikte seit dem 4. Jahrhundert. 754 setzt ein Konzil bei Konstantinopel diese Position durch. Zeitweilig führt die Auseinandersetzung, in der bilderverehrende Mönche auch gegen Klerus antreten, bis in bürgerkriegsähnliche Zustände. Es kommt in der Frage auch zum Bruch mit Rom. Irene nun, eine Griechin aus Athen, mehr als nur Regentin für ihren minderjährigen Sohn Konstantin, sucht Unterstützung bei der Gegenseite der den Ikonen eher positiv gegenüber stehenden Ikonodulen. 786 wird eine bilderfreundliche Synode in Konstantinopel von der bilderfeindlichen Palastgarde gesprengt. 787 tagt das Konzil dann in Nikäa, wo es Verehrung der Bilder, allerdings nicht Anbetung beschließt.
In dieser Zeit ist Karl in Süditalien in Gebieten, über die Byzanz Hoheitsansprüche stellt. Während Papst Hadrian in der Bilderfrage zwischen den Franken und Byzanz laviert, erhält Karl eine schlechte Übersetzung der (griechischen) Konzilsakten, die ihm den Eindruck zu großer Bilderverehrung vermittelt. Das ist Karl mehr als verdächtig, hält er doch, beraten auch von Theodulf, nur das Wort (Gottes) und der Kirchenväter für heilig, nicht aber Bilder. "Bilder dienten, das war Karls Überzeugung, dem Schmuck, der Erbauung und der Belehrung von Illiteraten." (Joh. Fried in: 794, S.29)
Nachdem er sich vom Papst, der darüber Kontakte mit Byzanz hat, in Stich gelassen fühlt, nutzt Karl die große Frankfurter Synode von 794 nicht nur zur Verurteilung des spanischen Adoptianismus, sondern auch zur Ablehnung fehlender byzantinischer Rechtgläubigkeit. Damit zieht er in aller Deutlichkeit mit dem byzantinischen Kaiser gleich, obwohl in noch eine Anzahl von Jahren vom eigenen Kaisertum trennen.
Irene will in der Folge ihre Macht nicht an ihren Sohn abgeben und lässt ihn blenden. 802 wird sie von Nikephoros gestürzt. Das Bilderverbot bezieht sich übrigens nur auf die Darstellung heiliger Personen, weltliche Bilder werden davon nicht berührt.
Ganz sicher üben die Aufenthalte Karls insbesondere in Rom und Ravenna starken Eindruck auf ihn aus. San Vitale in Ravenna, der Zentralbau mit Apsis und den zwei Säulenreihen übereinander wird wohl das wichtigste Modell für die Pfalzkirche in Aachen, und von dort kommen Marmor und Säulen. Ein wenig Romanisierung des Frankenreiches soll sichtbar werden.
Bayern
Den Konflikt zu dem verwandtschaftlich verbundenen Herrscherhaus der Agilolfinger zettelt Karl wohl bewusst an, vielleicht weil ihm der Herrscher zu mächtig und selbständig wird. Bayern ist
bereits ein wenig an Unterwerfung und Zivilisierung erst durch die Römer und dann die angelsächsisch überformte Christianisierung gewöhnt. Unter den Herzögen der Agilolfinger ist es seit Anfang
des 7. Jahrhunderts stärker zu einem "Stamm" mit dem Zentrum Regensburg zusammengeschweißt worden, auch im Kontakt mit den Franken, die immer mehr oder weniger eine Art Oberhoheit beanspruchen.
Mit der Unterwerfung durch Karl wird die Voraussetzung dafür geschaffen, dass sich hier ebenfalls ein zukünftiges Stück "Deutschland" entwickeln kann.
Die Vorgeschichte beginnt 740, als wegen innerer Streitereien Herzog Odilo an den fränkischen Hof Karl Martells flieht. Hiltrud, Schwester Pippins und Tochter des verstorbenen Karl Martells, bekommt 741 den Sohn Tassilo von Odilo, der sie heiratet und bald mit beiden nach Bayern zurückkehren kann (Joh.Fried). Er strukturiert sein Herzogtum durch die Schaffung der Bistümer Regensburg, Salzburg, Freising und Passau und die Gründung von Klöstern. 748 stirbt er und Hilttrud übernimmt die Vormundschaft bzw. Regentschaft für den siebenjährigen Tassilo. Bald darauf bemächtigt sich, soweit noch erkennbar, Grifo, Sohn Karl Martells und der Agilolfingerin Swanahild, seines Neffen und regiert in Bayern, bis Pippin ihn von dort vertreibt.
Als Hiltrud 754 stirbt, übernimmt Pippin offenbar die Vormundschaft und Tassilo hält sich dann auch gelegentlich am fränkischen Hof und beim fränkischen Heer auf. Die fränkischen Reichsannalen werden zur Rechtfertigung von Tassilos Sturz später davon schreiben, Pippin habe den jungen Mann 757 in Compiègne dazu gebracht, ihm einen Treueid zu schwören, den er dann gebrochen haben soll, als er 763 das Heer seines Herrn, der mal wieder gegen Aquitanien zieht, verlässt, weil er nicht als dessen Vasall fungieren möchte:
Und König Pippin hielt seine Versammlung mit den Franken in Compiègne; dorthin kam Tassilo, der Herzog der Bayern, und während er sich ihm durch seine Hände in die Vasallität übergab, schwor er viele, ja unzählige Eide, die Reliquien der Heiligen mit den Händen berührend; und er gelobte dem König Pippin und seinen Söhnen Karl und Karlmann Treue, als ihr Vasall mit aufrechter Gesinnung und in fester Ergebenheit nach dem Recht, wie ein Vasall es seinem Herrn schuldet. So bekräftigte der genannte Tassilo über den Leibern der Heiligen Dionysius, Rusticus und Eleutherius, sowie denen des heiligen Germanus und des heiligen Martinus, dass er es zeit seines Lebens so halte, wie er es eidlich versprochen hatte; so bekräftigten es auch seine Begleiter von hoher Abkunft, wie gesagt, an den oben genannten wie auch an vielen anderen Orten. (Reichsannalen für 757)
Tatsächlich herrscht Tassilo wie ein König in seinem regnum, wobei der bayrische Adel, wohl auch in Opposition zum machtvoll herrschenden Herzog, zum Teil weiter gute Beziehungen ins
Frankenreich pflegt. Tassilo heiratet eine Tochter des Langobardenherrschers Desiderius, Liutpirc, und besiegt 772 die Karantanen, gewinnt also das spätere Kärnten hinzu. Zahlreiche bedeutende
Klöster wie Altaich, Kremsmünster, Tegernsee werden gegründet, erste Gelehrsamkeit und Kleinkunst, Buchmalerei, kunstvoll geschmiedete Gefäße wie der Tassilokelch tauchen auf.
Der Konfliktfall tritt ein, als Karl Tassilos Schwiegervater besiegt. Tassilo wird nun zu Unterwerfungsgesten gezwungen. Eine Gesandtschaft von Papst und Frankenkönig ermahnt ihn laut Reichsannalen, den Treueid von Compiègne einzuhalten.
Die Lage wird für den Bayernfürsten immer bedrohlicher, fränkische Truppen inszenieren wohl Drohgebärden, und sie gipfelt in einer Vorladung für eine neue Reichsversammlung in Worms 787. Als Tassilo nicht kommt, weil er wohl weiß, was ihm blüht, marschiert Karl mit einem Heer gegen Bayern, und man dringt von drei Seiten in sein Reich ein.
Angesichts der Tatsache militärischer Übermacht und wohl - laut den fränkischen Reichsannalen - einer (pro)fränkischen Opposition im eigenen Land muss Tassilo klein beigeben, unterwirft sich und schwört den Vasalleneid gegenüber Karl. In den Murbacher Annalen heißt es:
Der Bayernherzog übergab dem König sein Land mit einem Stab, an dessen Spitze sich ein nachgebildeter Mensch befand, wurde zum Vasall des Königs gemacht und gab diesem seinen Sohn Theodo als Geisel. (in LHL, S.43)
Kaum ist er zurück zu Hause, legt sich laut fränkischer Propagandatexte seine Unterwürfigkeit wieder. Möglicherweise knüpft er in höchster Not nun Kontakte zu den Awaren.
788 zitiert Karl ihn darum nach Ingelheim zu einem Hoftag, wo ihn ein Verein fränkischer, sächsischer, langobardischer und bayrischer Großer, alles willige Helfer Karls, wegen Majestätsverbrechen
zum Tode verurteilt, weil er unter König Pippin einmal die Heeresfolge verweigert habe. In einer beispiellosen Farce erklärt Karl danach als gnädiger Herr die Umwandlung der Strafe in
lebenslängliche Klosterhaft, die Karl dann eigenhändig noch auf Frau und Kinder ausdehnt. Die Familie wird getrennt in weitentfernte, verlässliche Klöster gesteckt, nachdem sie vorher
"tonsuriert" wurde. Das Abschneiden der langen Haare hat immer noch nicht seinen erniedrigenden germanischen Symbolgehalt verloren. Tassilo landet im Kloster Jumièges.
791 fällt Karl im Awarenland ein. Diese hatten Tassilo unterstützt. Sie werden unterworfen und ihres riesigen Goldschatzes beraubt, von dem Karl an Freunde und Gefolgsleute austeilt.
794 kommt die letzte Demütigung Tassilos, denn offenbar gibt es immer noch öffentliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit von Karls Handeln. Er wird nach sechs Jahren
aus dem Kloster geholt und vor die Synode von Frankfurt gezerrt. Er muss wieder feierlich seine Schuld bekennen. Zudem muss er noch einmal auf alle seine Rechte und sein gesamtes persönliches
Eigentum auch für seine ganze Familie verzichten. Offenbar sind "die Bayern" immer noch nicht ganz mit dem neuen Regime einverstanden. Sie werden auch in den nächsten Jahrhunderten weiter wie
auch die Sachsen in Ostfranken bzw. den deutschen Landen ihre Eigenständigkeit pflegen.
Bayern wird nun nach der bislang nachhaltigsten Einverleibung laut fränkischer Reichsannalen von einem fränkischen "Präfekten" kontrolliert, einem Schwager Karls. Das Land wird nach fränkischem Muster in Grafschaften eingeteilt.
Da das Frankenreich damit an das der Awaren im Osten, in Pannonien angrenzt, erbt es auch die schon älteren fränkischen Konflikte mit diesem zumindest ehedem räuberischen Reitervolk, welches wie
vormals die Hunnen aus den Steppen Innerasiens gekommen war. 791 bis 95 führen fränkische Heerführer nun gegen sie Krieg, erobern den Schatz des Khan und gliedern das Land dem Reich des immer
mächtigeren Karl ein.
Offenbar wurde zunächst mit großem königlichem Heer ins Awarenland gezogen, dessen Heer sich zurückzog und keine große Schlacht anbot. Darauf können die Leute Karls das Land verwüsten, plündern und viele Gefangene wegschleppen. Wohl in der Hoffnung auf awarische Unterstützung bricht 793 ein großer Sachsenaufstand aus, dem sich Teile der Friesen und Slawen anschließen. Während dieser niedergeschlagen wird, erscheinen Gesandte eines pannonischen Tudun und bieten Unterwerfung an. 795 gelingt es einer kleinen "fränkischen" Reiterarmee unter dem Slawen Woynimir, den Ring des Khans und seinen Schatz zu erobern. 796 erscheint dieser Tudun in Person, unterwirft sich und lässt sich taufen. Nun beginnt die fromme Awarenmission im neuen Vasallengebiet, aber 799-803 kommt es zu einem letzten Aufstandsversuch. Wer freier Aware bleiben möchte, zieht sich nun in das Gebiet östlich der Theiß zurück.
Bretonen, Basken und Spanien
Anfang des fünften Jahrhunderts verselbständigt sich der (natürlich ursprünglich keltische) Nordwesten Galliens und in der Mitte desselben beginnt wohl die Einwanderung keltischer Leute - bald insbesondere aus Wales in die spätere Bretagne. Mit der angelsächsischen Eroberung Englands kommen mehr Flüchtlinge hinzu. Im Verlauf des 6. Jahrhunderts dominiert dann das Bretonische über das Gallorömische, bis dieses weithin verschwindet.
Im Jahr 497 werden die Bretonen von Chlodwig zwar kurz unterworfen, bleiben aber praktisch weitgehend unabhängig. Ab etwa 600 schwingt sich ein heimischer König über die Britania auf, wie Gregor von Tours sie nennt. 786 überfällt Karl das Land und formt im Osten eine bretonische Mark. 799 vernichtet er das Königtum, ohne die Bretagne zur Gänze dauerhaft in sein Reich integrieren zu können
Erst seit 1532 gehört die Bretagne (bretonisch Breizh, bei Gregor von Tours Britannia) formell ganz zu Frankreich. Die bretonischen Eigenarten mitsamt ihrer Sprache werden erst noch viel später von französischen Herrschern zur Gänze ausgelöscht werden und viele Bretonen fühlen sich bis ins 19./20. Jahrhundert als Menschen in einem besetzten Land.
Im islamischen Teil der iberischen Halbinsel verfällt in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts die Omaijadenherrschaft, und schrittweise Machtübernahme der Abbasiden unter Emir Abderrahman von Cordoba aus lässt das islamische Reich erst einmaL zerfallen. Machthaber von Städten wie Saragossa oder Barcelona wünschen mehr Unabhängigkeit und unterstellen sich auf dem Reichstag von Paderborn dem fränkischen Herrscher, auf dessen Unterstützung hoffend. Als der aber 778 mit einem Heer anrückte, werden ihm keine Stadttore geöffnet: Eroberung ist nicht erwünscht, und Karl muss wieder abrücken.
Karl lässt offenbar auf dem Rückweg Pamplona plündern und die Mauern schleifen. Im Überfall auf einen Heeresteil Karls, der später in zwei Rolandsliedern ins Heldenhafte übertragen wird, bringen darauf (möglicherweise) Basken ihm (vielleicht) bei Roncesvalles 778 seine nachhaltigste Niederlage bei.
Dafür verbündet sich nun bald die einst christlich-visigotische Familie der Banu Quasi (des Casius) im oberen Ebrogebiet mit den Franken.
785 unterstellt sich Gerona, wo die Einwohner sie herbeigerufen hatten, fränkischer Herrschaft, Urgel, Cerdanya und Ribagorza folgen. Aber 793 stößt eine Truppe Hischams I. bis nach Narbonne vor, verheert das Umland und besiegt ein Heer Wilhelms von Toulouse, kehrt dann aber mit reicher Beute nach Spanien zurück. Ab 798 gehen die Franken wieder etwas in die Offensive. Kurz nach 800 wird Barcelona nach längerer Belagerung durch Ludwig ("den Frommen") erobert und einem Grafen Bera unterstellt, der fränkische und visigotische Vorfahren hat. Damit entsteht die spanische Mark des fränkischen Reiches, die ihre erste große Krise durchlebt, als sich Graf Bera auf Bündnisse mit muselmanischen Nachbarn einlässt, darauf abgesetzt wird und nach Aachen in die Verbannung gerät. Seine Nachfolger werden dann zunächst alles Franken sein. Etwas später stellen sich Navarra und Pamplona unter fränkischen "Schutz".
Die Integration Nordkataloniens ins frankische Reich bedeutet auch die in die römische Kirche mit ihren Vorstellungen, ihren Riten und ihrer Liturgie und dem Erzbistum Narbonne als Oberaufsicht. Zudem entstehen hier früher als anderswo an Westfranzien orientierte klösterliche Gemeinschaften. Sie bedeutet auch zuerst Integration in die Grafschaftsverfassung und dann auch in die fränkischen Frühformen von Lehnsrecht und Vasallität. Früher als in den anderen christlichen Regionen beginnt hier auch ein Städtewesen und die Integration in den Handel über die Mittelmeerhäfen.
Ähnlich wie die Sachsen wollen sich auch die Basken ihre Kultur nicht von außen nehmen lassen. Diese natio Wasconum, wie sie der sogenannte Astronom im 9. Jahrhundert nennt, soll zwar von Karl und Sohn Ludwig mit zwei Grafen kontrolliert werden, Basken leisten auch schon mal Heerfolge, aber das Gebiet bleibt tatsächlich ziemlich selbständig. 812/13 versucht Ludwig ("der Fromme") vergeblich, einen Aufstand niederzuschlagen. Sie werden östlich der Pyrenäen im Verlauf vieler Jahrhunderte ganz langsam romanisiert und christianisiert, sind aber im Westen wegen ihrer unzivilisierten und darum wenig korrumpierbaren Strukturen nicht besiegbar.
***Aquitanien und spanische Mark***
Mit dem gescheiterten Einfall ins muslimische Spanien konzentriert der König die dortige Grenzsicherung auf eine Stabilisierung Aquitaniens in seinem Sinne.
778 wird Sohn Ludwig (Chlodwig) dem Herrscher geboren und wohl so früh wie möglich einer jagdlichen, militärischen und im damaligen Herrschersinne "christlichen" Erziehung unterworfen. Im frühesten Kindesalter wird er 781 zum Unterkönig von Aquitanien erklärt und dann dort weit weg von seiner Familie unter Aufsicht eines Regentschaftsrates erzogen.
Aus Aquitanien zwischen Loire, Atlantik, Pyrenäen und Rhône wurden die Westgoten durch Chlodwig vertrieben, und es wird nach ihm ein merowingisches Teilkönigreich. Es bleibt aber gallorömischer und weniger fränkisch geprägt, wenn man von fränkischen Grafen und einigen anderen Herren absieht.
In Septimanien und der seit 821 gelegentlich so benannten spanischen Mark teilen sich (west)gotische und fränkische Große die Macht und hier werden auch Flüchtlinge aus dem islamischen Spanien angesiedelt. Im Norden setzen sich Orléans und manchmal auch Tours mit seinem Umland davon ab.
Die Zerstörungen durch den muslimischen Einfall um 732 und durch weitere Raubzüge schaden dem Land ebenso wie die vielen gewalttätigen Konflikte in der höheren Herrenschicht. König Pippin unternahm zwar einen siegreichen Feldzug zur Unterwerfung des Landes, aber stärker als Neustrien, Austrien und Burgund ist es beim Antritt Karls ("des Großen") weiter der königlichen Kontrolle entglitten.
791 ist Ludwigs Schwertleite und vermutlich 794 heiratet er die Grafentochter Irmingard. Inzwischen begleitet ihn eine Hofkapelle von Pfalz zu Pfalz, die auch notarielle Aufgaben übernimmt. Es gibt Hofämter, einen Kreis von Ratgebern und Königsboten.
Unter der Aufsicht seines Vaters gelingt Unterkönig Ludwig ein Stück weit Herrschaft durch die Förderung einer loyalen Kirchenorganisation wieder zu intensivieren. "Die Weichen hatte Pippin mit seinem aquitanischen Kapitular von 768 gestellt, das die Wiedererrichtung der verlassenen und zerstörten Kirchen anordnete, den kirchlichen Besitz sicherte und Bischöfen, Äbten und Äbtissinnen vorschrieb, ein Leben gemäß ihrem ordo zu führen." (Boshof(2), S.38) Letzteres scheint dann akut zu bleiben, denn laut dem Astronomus ist der Klerus verweltlicht und kriegerisch und wenig seinen geistlichen Aufgaben zugetan.
In der monastischen Welt bringen Klostergründungen und der mit dem Unterkönig verbundene Reformer Benedikt von Aniane dem karolinigischen Machtgefüge mehr Stabilität. Der am Hofe König Pippins erzogene Grafensohn Witiza gotischer Abkunft hat eine Art Konversionserlebnis, wird Mönch und gründet um 782 auf seinem Besitz das Kloster Aniane bei Montpellier. Er überträgt es König Karl und erhält von ihm 792 Immunität, freie Abtwahl und Königschutz. Von diesem Kloster aus wird eine strenge Auslegung der Benediktregel in Aquitanien vorgenommen, was auch dadurch möglich wird, dass der große Zulauf in sein Kloster es ihm ermöglicht, sowohl Reformmönche in andere Klöster zu entsenden wie von dort aufzunehmen.
Slawen
Kurz vor der rasanten arabischen Ausbreitung im Zeichen des Islam machen sich die "Slawen" vermutlich aus dem Großraum um Kiew auf. Bis zum 9. Jahrhundert haben sie an manchen Stellen die Elbe
überschritten und sich im böhmischen Binnenland niedergelassen. Dabei nehmen sie Gebiete ein, die durch Wanderungsbewegungen germanischer Scharen ein Stück weit entvölkert waren.
Seit dem sechsten Jahrhundert gibt es auch eine Ausdehnungsbewegung nach Südwesten, wo sie auf das byzantinische Reich trifft. Dabei schließen sich Slawen auch den Vorstößen innerasiatischer Reiternomaden an, den Bulgaren und Awaren zum Beispiel, zwei Volksgruppen, die am Ende slawisiert werden.
Die Slawen sind ähnlich den Germanen unzivilisierte Ackerbauern und Viehzüchter mit wenigen einfachen Handwerken, und sie sind in lose verbundenen Sippschaftsverbänden organisiert. Als die
Franken unter Karl auf sie stoßen, geschieht das im Zusammenhang mit der Unterwerfung der Sachsen in der Elbe- und Saale-Gegend.
Ein Zentrum der slawischen Volksgruppe der Abodriten ist der Vorläufer von Lübeck. Sie sind mit den südlich davon eingewanderten Wilzen verfeindet. Diese verbünden sich nun mit den immer wieder
aufständischen Sachsen, während die Abodriten ein dauerhaftes Bündnis mit den Franken eingehen.
Weitere, defensiv gemeinte Feldzüge führt Karl dann später noch gegen die Sorben, die Mähren und die Böhmen. Dabei werden erste Stützpunkte am östlichen Ufer von Elbe und Saale angelegt. Derweil "christianisieren" die Bayern die slawischen Karinthier, deren Gebiet, das zukünftige Kärnten, von ihnen dabei übernommen wird. Eine kleine slawische Minderheit wird sich in Kärnten bis heute erhalten.
Wichtig für die damalige Zeit ist, dass es im heutigen Sinne keine "ethnischen" Konflikte gibt. Es gibt Völkerschaften, oft gentes genannt wie bei den Römern, und Ziel der
Frankenherrscher ist es, einige unter ihrer Herrschaft zu vereinen und soweit zu beeinflussen, wie das für deren Beherrschung nötig ist. Die Wahrnehmung romanischer, germanischer und slawischer
Idiome findet in ähnlicher Art statt wie die Wertschätzung der wenigen Belesenen für das Lateinische. Verbunden damit gibt es keine spezifische Verachtung der einen gegenüber den anderen,
schlecht sind höchstens die, die sich nicht unterwerfen lassen, oder die Heiden, wozu im engeren Sinne zumindest die Juden oft nicht so recht gehören. Also: Es gibt keinen romanisch-germanischen
Gegensatz im modernen Wortsinn und damals auch keinen zwischen Germanen und Slawen. Das alles geschieht erst später und wird sich erst im Umfeld der großen französischen Revolution und eines
neuen Nationalismus unheilvoll ideologisch entwickeln.
Erst für das 9. Jahrhundert mit dem Verfall des Reichs des großen Karl ist eine an Volkssprachen sich orientierende Fremdenverachtung im Einzelfall überliefert. Dann wird ein Geistlicher
gegenüber der langsam verschwindenden romanischen Minderheit in Bayern den vielzitierten Satz sagen: Die Welschen sind dumm, die Bayern sind klug. Auf der anderen Seite der Alpen schreibt der
Autor der 'Gesta Berengarii' von dem wilden Gallien und dem grausamen Germanien. Damit nimmt dies Unheil dann seinen Lauf.
Die Jagd und der Krieg
Dies beides waren miteinander verwandte Beschäftigungen des freien germanischen Mannes gewesen. Unter und vor allem nach Karl werden sie zunehmend zum Privileg, Vorrecht des Adels bzw. des
Herrschers. Dem dient dann auch die Entwaffnung der abhängig werdenden Bauern, die zugleich zwischen dem 9. und 11. Jahrhundert vom Kriegsdienst freigestellt werden.
Der Adelige wird nun wesentlich zum exklusiven Jäger und Krieger, zudem wird für ihn und seine Ausrüstung ein gewisser Wohlstand Voraussetzung, ebenso wie der Verzicht auf niedere Arbeiten im Handwerk und der Nahrungsmittelproduktion. Die komplette Ausrüstung eines Ritters kostet damals, wird geschätzt, den Gegenwert von etwa zwanzig Kühen, ein Vermögen also.
Die Grundausbildung adeliger Jungs besteht hauptsächlich im Reiten, Jagen und Waffengebrauch. Dies kommt vielen dieser Knaben zwischen vier und vierzehn sehr entgegen: Da paart sich
Geschicklichkeit mit erschöpfendem Einsatz von Körperkräften, das Vergnügen des Wettbewerbs mit dem Lohn des Erfolges. Schon königlichen Kindern werden gefangene Tiere zugeführt, damit sie sie
eigenhändig und mordlüstern töten können, wie zum Beispiel Ermoldus Nigellus berichtet. Andererseits gibt es auch einige wenige, die sich lieber in eine Schreibstube zurückgezogen haben. Hierfür
bietet das Kloster den hauptsächlichen Freiraum.
Jagen und Kriegen hat das Verletzen und Töten gemeinsam. Der sich entwickelnde christliche Adel sieht damals darin keinen Widerspruch zur Religion, man orientiert das Männerbild in Adel und Herrschaft nicht an Jesus, sondern an Saul, David, Salomo etc. In ersten volkssprachlichen Texten der nächsten Jahrhunderte für zukünftige Deutsche wie dem 'Heliand' wird beispielsweise Jesus zu einem edlen aristokratischen Krieger und Herrscher oder Petrus zu einem wackeren Recken, dem das Abschlagen des Ohres des Feindes gar nicht hoch genug angerechnet werden kann, während Jesu Mahnung an ihn einfach ignoriert wird.
Gewalt und Aggression, wenn sie für "gerecht" oder gar "heilig" erklärt werden, sind erwünscht und "männlich". Wo aus der klösterlichen und kirchlichen Ecke schon mal (nicht allzu häufig) der Verweis auf den Friedensfürsten Jesus kommt, wird das oft als dem Adel wesensfremd ignoriert.
In seinem ersten Kapitular von 769 erklärt Karl:
Den Geistlichen ist das Tragen von Waffen und das Ziehen in den Krieg ganz und gar verboten, ausgenommen sind die, die ausgewählt wurden, ... um die Messe abzuhalten und die Reliquien der Heiligen mitzuführen.
Das ist religiös korrekt, aber weder er noch seine Nachfolger halten sich daran. Von Bischöfen und Äbten wird erwartet, dass sie den vollen Kriegsdienst mit der Waffe leisten, und als adelige
Herren sind sie davon auch kaum abzuhalten. Das wird oft noch in den nächsten Jahrhunderten so sein.
Die Jagd zu Pferde und mit Waffen wird von den Herren immer weniger primär als Nahrungsbeschaffung betrachtet und mehr einmal als "sportliches" Vergnügen, woraus im englischen Mittelalter die
Gleichsetzung von Jagd und sports hervorgeht, ein Wortimport aus Nordfrankreich, welcher so etwas wie Freizeitvergnügen meint. Zum anderen war es ein stetes Training für die Fehde, die
offiziell etwas verpönt wird, für die Blutrache, die trotz Verbotes nicht verschwindet, und für den Krieg.
So wird die Jagd zu einem den königlichen und darunter überhaupt herrschaftlichen Status bezeichnenden "Vergnügen". Könige jagen vor allem im Herbst. Des Sohnes Ludwigs Biograph Thegan schreibt entsprechend: Im Monat August aber, wenn die Hirsche am fettesten sind, betrieb er die Jagd, bis dann die Zeit der Eber kam.
Einerseits möchte Karl auf seinen Besitzungen Rodungen vorantreiben, um die Produktion zu steigern, andererseits reserviert er sich, ebenso wie die hohen Herren unter ihm, große Waldgebiete als seine höchst persönlichen Jagdreviere (Forste). Im 'Capitulare de villis' heißt es dazu:
Dass unsere Wälder und Forsten gut geschützt werden. Wo sich ein geeigneter Ort zum Roden findet, sollen sie roden, und die Felder sollen nicht mehr vom Wald überwuchert werden. Wo Wald sein soll, sollen sie ihn nicht schlagen oder schädigen. Das Wild in unseren Forsten sollen sie hegen. (c.36)
Schon die Jagd zu Pferde ist nicht ungefährlich und eine relativ häufige Todesursache im Adel und bei karolingischen Königen. Man kann nicht nur stürzen, beim Kampf gegen Wölfe, Bären und Auerochsen kann man auch schon mal den kürzeren ziehen, vor allem, wenn die Tiere die Distanz verkürzen, damit die Distanzwaffen Lanze und Pfeil und Bogen ausschalten, der Jäger absteigen und mit Schwert oder langem Dolch kämpfen muss. Der Unterschied zwischen einem großen Jäger und einem großen Krieger ist damals also nicht sehr groß.
Das Vergnügen der Krieger besteht einmal im Kampf, zum anderen im Plündern, im Beutemachen. Aus der Sicht der Opferseite berichtet Ermoldus Nigellus über einen fränkischen Feldzug in die
Bretagne:
Wie im Herbst die Drosseln und andere Vögel in dichten Schwärmen in die Weinberge einfallen und die Trauben stehlen, so erschienen die Franken sofort bei Beginn der Erntezeit und plünderten den reichen Ertrag dieser Gegend ... Sie suchten nach den in Wäldern, Sümpfen und Gräben versteckten Reichtümern. Sie nahmen unglückselige Menschen, Schafe und Rinder mit. Die Franken verwüsteten alles. Die Kirchen wurden, wie es der Kaiser befohlen hatte, geschont, aber alles andere wurde in Brand gesteckt. (Deutsch in: Riché, Welt der Karolinger, S.98)
Der Krieg im frühen Mittelalter hat wenig mit dem zu tun, was uns später Heldenlieder als Herrlichkeiten verkaufen wollen. Die Heere von Karl, vielleicht
insgesamt jeweils 5-10 000 Mann, bestehen aus leichter und schwerer Reiterei und einer Mehrzahl von Infanterie. Im 8. Jahrhundert ist dann durch Funde der langsame Einzug des Steigbügels belegt. Jeder Reiter braucht mehrere Pferde zum Wechseln. Die Versorgung wird durch eine Unmenge von Ochsenkarren hergestellt, die pro Tag nur wenige Kilometer schaffen. Man ist unentwegt auf Weideland für die Tiere angewiesen, was den Sachsen-Krieg zum Beispiel in den großen Wäldern schwierig macht. Links karolingische Reiterei (Manuskript der Stiftsbibliothek St.Gallen)
Die königlich-fränkischen Heere spätestens seit Karl ("dem Großen") sind bei größeren militärischen Anstrengungen in der Regel multiethnisch. Als Karl 778 relativ erfolglos nach Spanien zieht, tut er das mit Truppenteilen aus Bayern, Austrasien, Burgund, der Provence, Septimanien und Norditalien. (Boshof(2), S.20)
Der Kampf ist eine furchtbare Metzelei mit Pfeilen, Äxten, Schwertern und Lanzen unterschiedlicher Länge. Medizinische Versorgung von Verletzten gibt es kaum, im Kampfgetümmel bleiben sie einfach liegen. Niemand spricht in irgendwelchen Quellen von den zahllosen Verkrüppelten, die aus den Kriegen heimkehren und danach auf die Versorgung durch andere angewiesen sind. Kampf und Krieg unterstützen eine aus heutiger Sicht in Texten verklärte Rohheit und Brutalität, die sich dann in die Friedenszeiten hinein fortsetzt.
Im Hildebrandslied geht der verherrlichte Kampf Mann gegen Mann so:
Sie strafften ihre Panzerhemden und gürteten ihre Schwerter über die Eisenringe, die Männer, als sie zum Kampf ritten (…) Dann ließen sie die Eschenlanzen gegeneinander rasen, mit einem so harten Stoß, dass sie sich fest in die Schilde gruben. Darauf ließen sie ihre laut dröhnenden Schilde selbst aufeinander prallen. Sie schlugen voll Ingrimm auf die weißen Schilde ein, bis ihnen das Lindenholz zu Spänen zerfiel.
Erst langsam werden christliche Reformer im Verlauf des Mittelalter eine höhere Wertschätzung von Friedfertigkeit bei einigen wenigen durchsetzen können. Aber der wesentliche christliche Beitrag besteht in der Ideologisierung und Rechtfertigung des Krieges, und das bis heute. In den 'Annales Regni Francorum' heißt es so zu 791 und zu Karls Awarenkrieg:
Von hier brach er auf, zog nach Baiern und gelangte vor Regensburg, dort zog er sein Heer zusammen. Und nachdem er dort mit Franken, Sachsen und Friesen beraten hatte, beschlossen sie wegen der allzu großen und unerträglichen Übeltat, die die Avaren gegen die heilige Kirche und das christliche Volk begangen hatten (...) den Heereszug durchzuführen: mit Gottes Hilfe zogen sie gegen die Avaren. Als sie aber an die Enns kamen, beschlossen sie, drei Tage lang Bittgänge zu veranstalten und Messen abzuhalten; so suchten sie Gottes Trost zu bekommen für die Rettung des Heeres und die Hilfe unseres Herrn Jesus Christus und für den Sieg und die Rache an den Avaren.
Zum Krieg für den großen Karl sind einmal zunächst alle Freien verpflichtet, und zudem natürlich die Vasallen, sowohl die mit Benefizien wie die ohne, die als Kriegergefolge Karls durch Kriege Karriere machen können. Über den Kriegsdienst der Freien, in aller Regel Bauern, verfügt Karl:
Jeder freie Mann, der vier Hufen bestelltes Land zu eigen oder von irgend jemand zu Lehen hat, muss sich bereithalten und in eigener Person ins Feld ziehen, und zwar mit seinem Herrn, wenn dieser nämlich mit auszieht, oder mit seinem Grafen. Wer drei Hufen als Eigen besitzt, werde mit einem anderen verbunden, der nur eine Hufe hat und ihm Unterstützung geben soll, damit dieser für beide marschieren kann. Wer aber nur zwei Hufen als eigen hat, werde mit einem anderen zusammengetan, der ebenfalls zwei Hufen hat, und einer von ihnen rücke mit Unterstützung des anderen aus. Wer aber eine einzige Hufe besitzt, mit dem sollen drei andere zusammengetan werden, die auch nur eine haben, und einer soll ausrücken, die anderen aber ihn unterstützen. Die drei aber, die diese Unterstützung leisten, sollen zu Hause bleiben. (in LHL, S. 166)
Es geht hier einmal um die Verpflichtung zum Kriegsdienst, zum anderen um die Versorgung der Hufen, die der Krieger zu verlassen hat. Hier wird zudem deutlich, in welchem Umfang die Verhufung in der Villifikation ökonomische, soziale und militärische Belange miteinander verband.
In demselben Kapitular (I.50) wird deutlich, dass Bauern es natürlich vorzogen, Haus und Hof (und die Familie) nicht zu verlassen, was mit einer hohen Geldstrafe belegt wird. Dem Tod gar verfällt, wer nach Monaten desertiert, um sich um sein Zuhause zu kümmern.
Aber der Anteil der Vasallen im Heer nimmt immer mehr zu. Einen solchen Vasallenverband soll der Abt von Saint-Denis einem Hoftag Karls in Staßfurt in Ostsachsen im Juni zuführen:
Du wirst also wohlvorbereitet mit deinen Leuten an dem genannten Platz erscheinen, um von hier aus, wohin dich auch unser Befehl schicken mag, eine militärische Expedition durchzuführen; das heißt, mit Waffen und Gerät und aller anderen kriegerischen Ausrüstung, mit Proviant und Bekleidung. Jeder Berittene soll Schild, Lanze und Schwert und Hirschfänger haben, dazu Bogen, Köcher mit Pfeilen, und eure Packwagen sollen Vorräte aller Art mitführen, Spitzhacken und Äxte, Bohrer, Beile, Spaten, eiserne Grabscheite und alle anderen Werkzeuge, die man bei einem Feldzug braucht. Die Lebensmittel müssen vom Hoftage an gerechnet drei Monate reichen, Waffen und Bekleidung ein halbes Jahr. Wir befehlen dir, streng darauf zu achten, dass du in Ruhe und Frieden den genannten Ort erreichst, durch welche Teile unseres Reiches dein Weg dich auch führen mag, dass außer Grünfutter, Holz und Wasser keinerlei Vorräte angerührt werden; durch wessen Besitz aber eure Leute mit Packwagen und Pferden gerade marschieren, der soll immer dabei sein, dass nicht die Abwesenheit des Herrn seinen Besitz den Leuten preisgibt, um Unheil anzurichten... (s.o.S.168)
Die Bauern auf dem Wege haben die Pflicht zur geordneten Versorgung (fodrum) der Truppe, ohne aber ausgeplündert zu werden.
Nur wer das entsprechende Vermögen besaß, kam zu Pferde oder gar in voller Rüstung. Als Panzerreiter, wie ihn Historiker heute nennen, war er Besitzer von zwölf oder mehr Hufen und musste sich einen Brustpanzer, die Brünne leisten können. Um die Zahl dieser oft kriegsentscheidenden Elite zu erhöhen, versah Karl sie mit beneficia. (Fleckenstein) Sie bilden den Kern seiner Vasallen, wobei Vasallität und verliehenes Gut noch nicht zwingend verbunden sind. An ihrer Spitze stehen die vassi dominici mit rund dreißig Hufen Land und einige sogar über einhundert.
Die übrigen Krieger zu Pferde mit Helm und Waffen stellten das Gros der Reiterei. Die vielen Krieger zu Fuß, die sich nicht selbst ausrüsten konnten, wurden von ihren Herren versorgt.
Die ersten Jahrzehnte der Herrschaft Karls haben einen stets wiederkehrenden Jahresablauf: Im Frühjahr Versammlung der Großen, dann die der Wehrfähigen auf dem Maifeld, Kriegszug, im Herbst oft noch eine Versammlung, dann jagt der König in einem seiner Reviere. Winter in der Königs-Pfalz. Wer andererseits nicht an den Grenzen des Reiches lebt und von den Kriegsvorbereitungen nicht betroffen ist, lebt bei Karl im Frieden, d.h. im kriegsfreien Raum: Die Kriege sind zum Teil Abwehr und zum großen Teil Eroberungskriege, immer nach außen gerichtet. Das wird sich im 9. Jahrhundert mit den Invasionen der Normannen und dann der Ungarn, im Mittelmeerraum auch denen der Sarazenen, ändern.
Macht und Herrschaft
Die Macht der Karolinger beruht zuallererst auf ihrem Familienbesitz, und das ist vor allem zwischen Maas und Moselland verstreuter riesiger Großgrundbesitz. Dazu gehören villae, also
Landgüter, und Residenzen, die palatium oder palas hießen (Pfalz), die mit Landgütern verknüpft sind, mit Klöstern und Ortschaften.
Die Könige ernähren sich aus diesem Landbesitz und finanzieren sich aus dessen verkauften Überschüssen. Formen von Abgaben sind dagegen untergeordnet und bleiben zum großen Teil ohnehin bei lokalen und regionalen Großen hängen. Steuern gibt es keine. Der Königsschatz besteht noch ganz germanisch aus "Geschenken" und Beute. Solche Geschenke, die die Großen des Reiches bei der jährlichen Versammlung dem König darbringen, werden von Königen allerdings ausdrücklich erwartet.
Königtum wie frühere Formen von Häuptlingstum beruht primär auf Freigiebigkeit, Großzügigkeit. Der Reichtum, der freigiebig macht, kam unter den Merowingern nicht zuletzt aus Beutemachen. Zu diesem Zweck gab es früher kriegerische Raubüberfälle, inzwischen sind es Eroberungszüge. Der sagenhafte Schatz der Awaren beispielsweise fällt so an Karl, der ihn unter seiner Gefolgschaft und seinen Freunden bis nach Rom und England verteilt.
Der schenkenden Großzügigkeit des Herrschers entspricht die ergebene und entsprechend geringere Großzügigkeit der Beschenkten, die Geschenke durch den Herrscher durch kleinere Geschenke erwidern.
Karl häuft selbst laut den spärlichen Quellen wenig Prunk und Protz an, sondern verteilt in der Regel seine Beute.
Im Beschenken und bald Verleihen erwirbt der fränkische Herrscher sich Gefolgschaft, Leute, die mit ihm in den Krieg ziehen und dort selbst Beute machen dürfen.
Die wesentliche wirtschaftliche Basis der Macht des Königs aber ist sein riesiger Grundbesitz, der durch Eroberungen noch erweitert wird. Aus ihm verschenkt der Herrscher an seine Getreuen. Die Basis waren die gewaltigen Besitzungen der Merowingerfamilie in der Francia, nun verschmolzen mit den ebenfalls gewaltigen der Karolingerfamilie. Als große Komplexe von Grundherrschaften, wie Historiker das heute nennen, verbindet sich hier Grund und Boden mit darauf arbeitenden und daran mehr oder weniger gebundenen Arbeitskräften.
Der königliche Besitzung liegt meist "in großen zusammenhängenden Komplexen und ist nicht bloß in einzelne Villae, königliche Wirtschaftshöfe mit abgabepflichtigen Bauernstellen, (<<Hufen>>), gegliedert, sondern in riesige Domänen. Der Komplex um Frankfurt etwa umfasste zahlreiche Orte in der Wetterau, dazu im Süden den Forst Dreieich, der sich bis in das Vorfeld des heutigen Darmstadt erstreckte." (Fried, S.209)
Meier (maiores) sollen dafür sorgen, dass möglichst effizient gewirtschaftet und Überschüsse auf dem Markt gehandelt werden, wie es im 'Capitulare de villis' heißt (c.33). Hörige allerdings sollen tüchtig arbeiten und sich nicht auf dem Markt tummeln. (c.54) Die Villa soll mit allem Nötigen für den königlichen Besuch ausgestattet sein. Alle für eine Selbstversorgung nötigen Handwerke sind ebenfalls vorhanden, von diversen Schmieden, Schustern, Drechslern Seifensiedern bis zu Bäckern. Eine Grundherrschaft ist in sich tendenziell autark.
Aus alledem geht dennoch hervor, dass Ziel auch das Erwirtschaften von Überschüssen für einen Markt und das Erzielen von geldlichem Gewinn ist. Unter anderem kosten auch die Kriege Karls schon Geld, insbesondere, wenn sie allzu lange ins Jahr hinein dauern.
Das Reisekönigtum beruht auch darauf, dass eine feste Residenz vor Ort sich nicht durchs Jahr hätte ernähren können. So etwas wird erst vom Kaiser nach 800 mit Aachen angedacht. Stattdessen zieht der König von Pfalz zu Pfalz, also immer zu festen Zentren seiner Grundherrschaften, und ist zudem bei Bischöfen zu Gast. In den Pfalzen ist alles vorrätig, was damals zum königlichen Komfort vonnöten ist (Bettdecken, Matrazen, Federkissen, Bettlinnen, Tischtücher, Bankpolster usw., heißt es in einem Kapitular) . Aus den nahen königlichen Gütern muss der ganze Hof dann für eine Weile ernährt werden können.
Wenige Spitzen der Gefolgschaft reisen mit ihm durch sein Herrschaftsgebiet in Ausübung dieser Herrschaft, aber zum Tross sollen bis zu zweitausend Leute gehört haben, nicht zuletzt eine Anzahl Krieger in Waffen. Sie bilden zusammen mit der Hofkapelle den Hof. Kapelle heißt die Einrichtung, weil dort die (halbierte) cappa, der legendäre Umhang des heiligen Martin und hohe Reliquie des Reiches, aufbewahrt wird. Martin ist früh von den Merowingern zu einer Art fränkischem "Stammesheiligen" gemacht worden.
Alles spricht dafür, dass für Karl der Glaube an sein ehernes Bündnis mit seinem Gott des Krieges und des Friedens elementar ist. Erste Aufgabe seiner Hofkapelle ist entsprechend die Pflege dieses Bundes, wie er im sagenhaften altjüdischen Königtum (Josias) vorgegeben war. Karl wird darum bei Hofe auch gerne als "David" bezeichnet. Bei Einhard sieht das so aus:
Die Kirche suchte er morgens und abends, auch bei den nächtlichen Horen und zur Zeit der Messe fleißig auf, solange es ihm sein Befinden erlaubte; und er ließ es sich angelegentlich sein, dass alle gottesdienstlichen Verrichtungen mit möglichst hoher Würde begangen würden, indem er häufig die Küster mahnte, keinen Unrat oder Schmutz in die Kirche zu bringen oder darin liegen zu lassen. Heilige Gefäße aus Gold und Silber sowie priesterliche Gewänder ließ er in solcher Menge anschaffen, dass nicht einmal die Türsteher, die doch den untersten kirchlichen Rang bilden, beim Gottesdienst in ihrer gewöhnlichen Kleidung zu erscheinen brauchten...(Vita Karoli, c.26)
Formen, Rituale, Zeremonielles, Äußerlichkeiten eben machen sein Christentum, und nicht nur seines aus. Und deshalb wird er sich in seinem Reformwerk besonders darum kümmern. Nichts hingegen verweist mehr auf den Gottvater des evangelischen Jesus.
Die Kapelle dient dem Gottesdienst und der „höfischen“ Verwaltung durch den cappellan, den Kanzler (cancellarius, eigentlich ursprünglich: Türsteher) und die Schreiber.
Spezialisten müssen neben der enorm zeitaufwendigen Schreiberei in Maiuskeln oder nun Minuskeln auch eine Art schnelle Kurzschrift beherrschen, die sogenannten (tironischen) Noten,
notae, und wer das beherrscht, wird später Notar genannt, also Flinkschreiber. Die Geistlichkeit der Hofkapelle untersteht dabei keinem Bischof, sondern es handelt sich um eine Art
direkte Gefolgsleute des Königs/Kaisers. (Fleckenstein)
Daneben gibt es Hofämter, die im großen Haushalt der Germanen vorgeformt waren: Den Marschall, der für die Mähren (Pferde) und die Reiterei und überhaupt das Militär zuständig ist, den Mundschenken als Spezialisten für die Ernährung des Hofes, dann gibt es den Spezialisten für die Reisevorbereitungen und andere. Die Wohnung des Herrschers, Kapelle, Kanzlei und die ganze Entourage, die Höflinge, bilden den Hof.
Mit dem König zieht seine engere Familie, die Ehefrau oder Konkubine, soweit vorhanden, bei Karl sind einige namentlich mit ihren Kindern bekannt. Mit ihm ziehen seine Töchter, die er selten
missen möchte, und zudem die Töchter verstorbener Anverwandter, die er ebenfalls in seine Familie zu integrieren weiß. Der Inhalt der Kapelle zieht natürlich auch mit, der Königsschatz vermutlich
nicht, den verwaltet wiederum der camerarius (später: Kämmerer) in der camera (Kammer).
Ungeachtet kirchlicher Vorstellungen hat Karl nacheinander fünf Ehefrauen, verstößt sie nach Machtkalkül und heiratet danach wieder. Er hat wohl schon zu ihren Lebzeiten Konkubinen, und nachdem er als Kaiser keine Ehe mehr eingeht, werden einige davon namentlich bekannt. Die mindestens sieben Töchter behält er an seinem umher reisenden Hof und erlaubt ihnen offenbar Liebschaften dort bis hin zu Schwangerschaften. Darüber hinaus gibt es Anzeichen für "homoerotische" Beziehungen an Hof, wie Fried das nennt (S.377ff).
Höfisches Leben findet vor allem dann statt, wenn Karl sich nicht auf Kriegszug befindet, also vor allem im Winterhalbjahr, in dem er sich als Kaiser immer regelmäßiger in seiner prächtigen Pfalz in Aachen aufhält.
Diese baut er nach römischen und ravennatischen Vorbildern zum größten und prächtigsten Bautenkomplex nördlich der Alpen aus, ein steinernes Herrscherzentrum von 20 ha ummauerter Fläche. Über einem Eingangstor tagt das Gericht und sitzt die Garnison (Leiverkus in LHL, S.159) Innerhalb sind die Gebäude durch Gänge miteinander verbunden. Da ist die Kirche zentrales Gebäude, dann die Königshalle (Aula regia), da sind die Wohngebäude des Königs. Dazu gehören die großen Badeanlagen, die Aachen den Namen gegeben hatten. Außerhalb des Palastbereiches hausen Handwerker und Händler, ein Markt entsteht. Und dazu gibt es das obligate Tiergehege und den königlichen Forst als Jagdgebiet,
Um in den Friedenszeiten, die damals vor allem im Winter stattfinden, seine Herrschaft durchzusetzen, muss die Gefolgschaft darüber hinaus bei der Stange gehalten werden. Da ist das Band der
Freundschaft, die ein besonderes Talent Karls gewesen sein soll, und da sind die noch nicht rechtlich allgemein fixierten Bindekräfte der Vassalität und die Belohnung durch Geschenke
(beneficia, also Wohltaten), zum Beispiel durch Land.
Der Vasall, wahrscheinlich ursprünglich der keltische Knecht (gwas), lateinisch vassus, ist in der Zeit Gregors von Tours noch ein Teil des Gesindes (als gasindus).
Unter den Karolingern handelt es sich dann um einen Freien, durch ein persönliches vertikales Treueverhältnis gebunden, welches idealiter ein gegenseitiges Geben und Nehmen bei unterschiedlicher
Machtverteilung beinhaltet. Gemeinhin wird er als Getreuer, fidelis, bezeichnet. Der Ritus des Eintritts in die "Mannschaft" des Herrn, die Kommendation, ist allerdings erst für das 9.
Jahrhundert überliefert. Der Mann als Vasall gibt seine zusammengelegten Hände in die des Herrn, schwört einen Treueeid unter Anrufung Gottes, möglichst durch Berührung einer Reliquie oder
wenigstens eines heiligen Buches.
Frühe Vorformen viel späterer feudaler Strukturen deuten sich an: Dem getreu Dienenden kommen nicht mehr nur Geschenke zu, sondern entweder Leihgaben an Grund und Boden (beneficia),
insbesondere in der Form der precaria, des zum Nießbrauch übergebenen Landes gegen einen symbolischen Zins, der an die Besitzverhältnisse erinnert. Das ist schon mal eine Villa von dem
Umfang eines Dorfes. Für so etwas gibt es aber erst im hohen Mittelalter ein rechtliches Regelwerk, zuvor sind solche Transaktionen vielfältig und den Personen und Situationen angepasst.
(Patzold) Stattdessen kann er aber einem geringeren Vasallen auch Kleidung, Nahrung und Waffen direkt stellen, was wohl dazu führt, dass er ihn stärker an seinen Hof zieht.
.
Nach längerer Friedenszeit hofft die Gefolgschaft auf Krieg, auf Beute, Ruhm und Abenteuer. Wird es ihr zu viel, wie gelegentlich bei Karl, versucht sie sich vor dem Kriegsdienst zu drücken. Dies geschieht besonders gegen Ende seiner Herrschaft.
Die immer größere Bedeutung der Reiterei lässt Karl die Verminderung seiner Infanterie verschmerzen, als immer mehr freie Bauern in die Abhängigkeit
und aus dem Heeresdienst in der Infanterie abwandern. Ein Reiter/Ritter muss mit Schild und Lanze, Schwert und Kurzschwert, Bogen und Köcher mit Pfeilen ausgerüstet sein. Das ist die
Minimalausrüstung. Dazu kommen Äxte, Messer, Hacke und Spaten und manches andere, wie es in einem Schreiben Karls an den Abt von St.Quentin heißt. Das ist die leichte Ausrüstung, dazu
können Helm und Brünne bzw. Kettenhemd kommen, und das muss alles erst einmal gekauft werden - nicht zu vergessen das für den Kriegseinsatz taugliche Pferd. Später kommen dazu noch ein Packpferd
und ein Knappe und seine Mähre. Aber das ist dann wohl schon eigentliches Mittelalter.
Bezüglich einer Oberschicht haben wir es also mit zwei Phänomenen zu tun: Aus dem germanischen Kriegertum der Freien hatte sich unter anderem über die schwer gepanzerte Reiterei Vasallität herausgebildet, in der höhere Vasallen zu erheblichem Grundbesitz gelangen. Die andere Entwicklungslinie beginnt mit der Übernahme römischer Ämter, die von einer reichen Oberschicht besetzt sind, die honores, deren spätantike Titel zum guten Teil erhalten bleiben. Da sie vom König verliehen werden, verbinden sie sich nun zunehmend mit der hohen Vasallität und damit auch mit dem Kriegsdienst. Unter Karl müssen spätestens seit 779 auch Bischöfe und Äbte mit ihrem Aufgebot für den König in den Krieg ziehen.
Der Eigenkirche des Grundherren auf der untersten Ebene entspricht auf der obersten, dass Karl sich als Chef "seiner" fränkischen Kirche versteht. Dies versucht er nicht nur inhaltlich zu
demonstrieren, sondern tut es auch personell, indem er das letzte Wort bei der Einsetzung der Bischöfe hat und, soweit es geht, auch die Einsetzung der Äbte beeinflusst. Auch sie gehören zu
seiner Gefolgschaft, was voraussetzt, dass dort die richtigen Leute sitzen sollen.
Andererseits lassen sich die adeligen Kirchenherren nicht einfach alle kritiklos für Macht und Herrschaft vereinnahmen. Manche wie der Bischof Theodulf von Orléans machen das gelegentlich mehr
als deutlich:
Schweiß und Arbeit des Volkes haben dich reich gemacht. Der Reiche wird reich mit Hilfe des Armen. Aber die Natur hat euch beide dem gleichen Gesetz
unterworfen. Ihr seid gleich bei der Geburt und im Tod, das gleiche Weihwasser hat euch getauft, ihr seid mit dem gleichen Öl gesalbt, Fleisch und Blut des Lammes Gottes sättigt euch alle
gemeinsam. (Deutsch in: Riché, Welt der Karolinger, S. 119)
Dieser andere christliche Ton, weit entfernt von germanischen Vorstellungen, auch mit der Anrufung einer eher philosophisch gedachten Instanz "Natur" neben Gott, wird dieses Abendland genauso
prägen wie auch der andere, die enge Verbindung weltlicher und geistlicher Macht. Daneben fällt hier die Vorstellung einer allgemeinen Menschlichkeit/Menschheit auf, deren Transformationen bis
heute wirken.
Das alles hätte kein so großes Reich zusammengebunden, und es wird ja auch bald zerfallen. Was Karl darum zum einen macht, ist, Mittelgewalten zwischen König und Adel einzurichten, und dann des
weiteren, „Ämter“, besser gesagt, Aufgaben zwischen Zentrale und hochadelig kontrollierter Region einzurichten. Mittelgewalten sind vor allem seit 781 die Unterkönigtümer Italien und Aquitanien
für seine Söhne Pippin und Ludwig und ein Dukat von Le Mans für Sohn Karl. Die Unterkönige sollen auf den Vater hören und sich gegenseitig unterstützen, so wie Karl auf Befehl seines Vaters
Bruder Ludwig 801 bei der Belagerung von Barcelona zur Hilfe kommt.
Dazu kommt die Einrichtung von Grafschaften in Teilen des Reiches, die mit dem Ausheben des Heeres dort, fiskalischen Fragen und der Gerichtsbarkeit betraut werden. Diese comes,
Gefährten, gehören zur comitiva, dem direkten Umkreis des Herrschers und werden zu Vertretern der Herrschaft in von ihm zugeteilten Regionen. Sprachlich werden sie italienisch zum
conte, französisch zum comte, englisch zum count. Es sind allerdings nicht überall Grafschaftsbezirke nachgewiesen.
Karl vollendet dabei die Herausnahme gräflicher Befugnisse aus dem Bischofsamt, belässt ihnen aber die Immunität im gesamten Raum ihres Kirchenbesitzes und verleiht solche in einigen Fällen auch neu, so wie die besondere Rechtsstellung des Klerus erhalten bleibt.
Bischöfe und Äbte bestellen für größere Immunitätsbesitzungen Vögte (advocati). "Diese sollten rechtskundig sein, die Gerichtsfälle im Immunitätsgebiet erledigen sowie die Strafgebühren einziehen, zudem die Vertretung nach außen hin vor anderen Gerichten übernehmen und eigentlich auch das militärische Aufgebot ins Feld führen" (Angenendt(2), S.326)
Da der Königsbesitz aus der "Verwaltung" des übrigen Reiches herausgenommen ist, haben die Grafen in ihm auch nichts zu bestellen. Er ist ein besonderer im allgemeinen Herrschaftsbereich.
Zudem beauftragt Karl hochgestellte Herren als Königsboten mit der Verkündung und Durchführung seiner Beschlüsse sowie als eine Art reisender Aufsicht, immer häufiger als Doppel eines geistlichen
und eines weltlichen Herren. Das Problem mit Grafen wie Königsboten ist allerdings, dass er sie aus Kreisen der Großen nehmen muss, den zentrifugalen Kräften des Reiches, den Vertretern lokaler
und regionaler Eigeninteressen auch gegen die Krone.
Mitten in der Zeit der Eroberungen beginnt dann das, was man kaum als Gesetzgebung, eher als eine Fülle von Dekreten bezeichnen kann, auf Synoden und in Kapitularien, nach Kapiteln geordneten befehlsartigen Verordnungen. Da wird verboten, Rüstungen nach außerhalb des Reiches zu verkaufen, oder Schwur-Einungen werden illegalisiert.
Oberstes Gebot des Herrschers neben dem Siegen nach außen ist die "Gerechtigkeit" nach innen, die Durchsetzung von dem, was gerade als Recht gilt. Wichtige höhere Instanz sind die Grafschaftsgerichte, die selten und an festen Orten tagen. Wichtiges Beweismittel ist der Eid, der durch eine möglichst große Zahl von Eideshelfern bekräftigt werden muss. Das führt nicht immer unbedingt dazu, dass danach das Gefühl gerechter Behandlung Frieden stiftet.
Strafen sind deutlich: Wer zum ersten Mal des Raubes verurteilt wird, verliert ein Auge, bei Wiederholung die Nase, wird er dann noch einmal erwischt, gilt die Todesstrafe. (Erstes Kapitular, c.23)
Der "Adel" ist kein abgeschlossener und klar definierter "Stand" und nach Macht und Reichtum in seinem Einfluss sehr verschieden. Oben haben sich im Laufe der Zeit rund dreißig große Familien herausgebildet, die ihr Eigentum und ihre Verwandtschaft über die verschiedenen Regionen des Reiches verteilt haben. Einige Historiker werden sie "Reichsaristokratie" nennen. Aus ihren Reihen kommen die Grafen, die für Karl Herrschaft in den Regionen durchsetzen sollen.
Aus dieser "Aristokratie" werden sich im Westfrankenreich dann auch im 9./10. Jahrhundert jene Fürsten (principes) herausbilden, mit und gegen die sich als ihr erstes Haus die Kapetinger als Könige durchsetzen und damit nach und nach ein Frankreich begründen. In Ostfranken werden unter anderem daraus Stammesherzöge und andere Fürsten hervorgehen, die die königliche Macht begrenzen, als diese langsam deutsch wird.
Adel und Kriegertum sind ganz germanisch eine Einheit. Die Ehre ist ein zentraler Begriff, sinkt der Ehrlose doch im Status. Zur Ehre gehört die Rache für erlittenes Unrecht, die Tapferkeit im Kampf. Wer wegläuft, ist ehrlos, wem das Leben wichtiger ist als seine Ehre, ebenfalls. Dieser Ehrbegriff wird immer stärker vom Adel als sein exklusives Merkmal in Anspruch genommen: Ein Unfreier jedenfalls kann keine Ehre haben.
Vasallität nimmt dabei immer konkretere Formen an. Zunehmend strukturiert sich das königliche Heer nach den Verbänden, die über größeren Grundbesitz verfügende Königsvasallen aufbieten können. Was schon unter Karl Martell begann, wird nun deutlicher: Für solchen Kriegsdienst, der die Rüstung und die Zeit der Abwesenheit kostete, wird Land mehr noch als geschenkt verliehen. Das werden die Wurzeln eines Lehnswesens, wie es sich dann in den kommenden Jahrhunderten zunehmend herausbildet.
Die geographische Ausdehnung des Reiches auf 1400 x1200 km muss von Reitern durchmessen werden. Die Phantasie Karls, mit einem Rhein-Main-Donau-Kanal Ersatz zu Wasser zu schaffen, bleibt technisch nicht bewältigbar. Von Pferdestation zu Pferdestation reitende Boten stellen die Kommunikation her. Gesandtschaften zu Harun-Al-Raschid in Bagdad brauchen für Hin- und Rückweg um die drei bis vier Jahre. Zwischen dem Norden und Italien bricht in den Wintermonaten wegen der Unwegsamkeiten der Alpen der Kontakt gelegentlich ganz ab.
Das klassische Moment griechischer poleis und der urbs Roma war die Volksversammlung. Das war es in irgendeiner Form auch bei den Germanen. Bei Karl haben sich daraus je nach Gelegenheit Mischformen gebildet, in denen entweder das aufgebotene Heer unter seinen Großen aufmarschiert, vor allem, wenn wieder ein Kriegszug bevorsteht, oder die Versammlung hat mehr den Charakter eines Konzils, wo geistliche und weltliche Große über theologische oder weltliche Fragen beraten.
Es gibt noch keine generelle "Untertänigkeit", sie wird sich erst ganz langsam im Laufe des nächsten Jahrtausends ausprägen. Aber es gibt zwei Vorformen. Die eine ist die grundherrliche
Abhängigkeit der Bauern, die sich langsam verändert. Die zweite entwickelt Karl, indem er als erster alle in seinem Reich einen Eid zu schwören verpflichtet, der jeden persönlich an ihn bindet.
Dieser Eid bindet allerdings an die konkrete Person, nicht an eine Institution. Vollendete Untertänigkeit wird daraus erst mit der viel späteren Entwicklung von Staatlichkeit.
Es mag sein, dass Aufstände wie die wenig bekannte valida coniuratio in Germania (Einhard) des ostfränkischen Grafen Hardrad von 786 dazu beigetragen haben. Das neue, vom Vater begründete und vom Sohn ausgebaute Königtum stößt vermutlich auf viel mehr Widerstand als überliefert ist.
In diesem Fall verweigert der Edle die Herausgabe seiner Tochter an einen Franken trotz Befehls durch Karl ("den Großen") .Sie soll nämlich nach fränkischem, und nicht thüringischem Stammesrecht verheiratet werden. Das führt zur Verschwörung Hardrads mit einer Anzahl thüringischer Edler, wohl Anlass für Widerstand gegen die Einführung der karolingischen Reichsordnung in Thüringen. Offenbar gibt es auch Unterstützer am Hofe Karls. Als seine Sippe vor den König geladen wird, sollen sie dort erklärt haben, dass sie dem König verwehren wollen, lebendig den Rhein zu überqueren. Karl der Große reagiert mit aller Härte. Er schickt Truppen nach Thüringen und verwüstet die Besitzungen der Aufständischen. Diese fliehen ins Kloster Fulda. Deren Abt nimmt sie zwar unter seinen Schutz, unterrichtet aber zugleich Karl den Großen davon, dass sich die Thüringer in seiner Obhut befinden. Karl befiehlt die Aufständischen an seinen Hof. Im dortigen Prozess erklärt Hardrad als Rechtfertigung für die Verweigerung der Gefolgschaft, dass er dem König keinen Treueid geleistet habe. In Begleitung von Königsboten schickt man die Thüringer nach Italien und Aquitanien, damit sie dort auf die Reliquien bestimmter Heiliger Treueide auf Karl und seine Söhne schwören sollen, die ersten ihrer Art im Frankenreich. Während der Rückkehr werden einige von ihnen geblendet; andere werden in Worms gefangengenommen, ihres Besitzes beraubt, geblendet und exiliert. (u.a. Althoff(5), S.45).
Bald wird der Treueid Pflicht für jeden (Freien) ab 12 Jahren:
So verspreche ich, der ..., zugunsten meines Herrn, des Königs Karl, und seiner Söhne, dass ich treu bin und mein Leben lang treu sein werde ohne List und böse Absicht. (deutsch in Fried, S.234) Das ist nicht Vasallentreue, sondern schiere einseitige Untertänigkeit.
Ein einziger weiterer Aufstandsversuch ist für 792 überliefert. Er betrifft Sohn Pippin ("den Buckligen") aus der Beziehung Karls mit der später als concubina bezeichneten Himiltrud.
Nach der Taufe des Sohnes Karlmann aus der Ehe mit Hildegard 791 auf den Namen Pippin ist der "Bucklige" ausgeschaltet zugunsten des nun erbberechtigen neuen Sohnes, und er verschwört sich mit fränkischen Adeligen gegen seinen Vater. Der Plan wird verraten, ein Großteil der Verschwörer wird hingerichtet und Pippin auf Lebenszeit in die Abtei Fulda eingesperrt, wo er auch sterben wird.
Für 802 ist dann folgender Untertaneneid überliefert:
Durch diesen Eid verspreche ich, meinem Herrn, dem sehr frommen Kaiser Karl, Sohn des Königs Pippin und der Bertha, treu zu sein, wie von Rechts wegen ein Vasall seinem Herrn zur Erhaltung seines Reiches sein soll. Und ich werde und will diesen von mir geschworenen Eid halten, so wie ich es weiß und verstehe, künftig von diesem Tage an, wenn mir Gott, der Schöpfer des Himmels und der Erde, und diese Reliquien helfen. (deutsch in LHL, S. 165)
Aber Untertänigkeit soll natürlich nicht wie heute einer Vertikale entsprechen, bei der oben eine hierarchisch gegliederte Staatsmacht steht und darunter eine rechtlich gleichgemachte horizontale Untertanenschicht, vielmehr bedeutet sie damals, dass oben ein Herrscher mit seiner Person steht, und zwar lebenslang, und darunter eine hierarchisch geschichtete Bevölkerung mit nach unten abnehmenden Rechten. Alle horizontalen Vereinigungen wie Schwurbünde, die den direkten Bezug des Einzelnen zum Herrscher unterlaufen könnten, werden verboten.
Wie solche Untertänigkeit dann in der Praxis aussehen kann, zeigt ein Bericht von der allgemeinen Synode von 802:
Im Oktober berief er eine universale Synode nach Aachen und ließ allen dabei versammelten Bischöfen, Priestern und Diakonen die Kanones verlesen und befahl, diese allen genau zu erläutern. Bei der gleichen Versammlung kamen auch alle Äbte und Mönche zusammen (…) und diese bildeten eine eigene Versammlung und die Regel des heiligen Vaters Benedikt wurde verlesen, und gelehrte Männer erläuterten diese den Äbten und Mönchen (…) und während diese Synode abgehalten wurde, versammelte der Kaiser auch die Herzöge, die Grafen und das übrige christliche Volk (…) und allen wurden die Gesetze ihres Volkes verlesen, jedem wurde sein Gesetz erläutert und dasselbe dabei verbessert (…) und dann wurde das verbesserte Gesetz niedergeschrieben. (so in Brown2, S.324f)
Dass Brown dabei eine alttestamentarische Passage zu Josias einfällt, ist wohl naheliegend:
Er ging zum Haus des Herrn hinauf mit allen Männern Judas und allen Einwohnern Jerusalems, den Priestern und Propheten und allem Volk, jung und alt. Er ließ ihnen alle Worte des Bundesbuches vorlesen, das im Haus des Herrn gefunden worden war. (Zweites Buch der Könige, 23,2)
Als Herr der Kirche kann Karl eben Untertänigkeit am ehesten über die Religion durchsetzen, in der er allein bestimmt. Untertänigkeit kann dabei auch durch die immer besser königlich durchgesetzte Entrichtung des Zehnten eingeübt werden, und natürlich durch das Zeremoniell der Taufe, die das Kind nicht nur dem Teufel entriss, sondern zugleich auch dem König bzw. Kaiser zuführte. Irgendwann schreibt der Kaiser, dem besonders auch letzteres am Herzen lag, an den Bischof von Lüttich:
Zu Epiphanias waren viele Personen bei uns, die Kinder aus der Taufe zu heben wünschten. Wir befahlen, dass ein jeder sorgfältig geprüft und alle gefragt werden möchten, ob sie das Vaterunser und das Glaubensbekenntnis auswendig wüssten. Es waren viele unter ihnen, die keine der beiden Formeln ihrem Gedächtnis eingeprägt hatten. Wir befahlen, diese zurückzustellen (…) Sie waren sehr beschämt. (so in Brown2, S.335)
Vermutlich der wichtigste Schritt hin zur Einübung von Untertänigkeit in dieser Zeit ist aber das Abhängig-Werden immer größerer Teile der Landbevölkerung auch dort, wo das römische Erbe dies nicht vorgegeben hat. Damit wird zudem die wichtigste persönliche Beziehung zwischen Herrscher und "Volk" abgeschnitten, die Begegnung im Kriegszug. Der Ausschluß der kleinen Leute von der Heeresfolge und ihre "Mediatisierung" durch den Mittler Grundherr entzieht "dem Königtum den volkstümliche(n) Unterbau... Am Ende dieser Entwicklung war die Königsherrschaft vom Volk abgeschnürt." (Hägermann, Karl der Große, S.255) Sie wird zur Gänze abhängig vom Adel. Später werden auch deshalb Könige das Bündnis mit den Städten suchen.
Eine weitere Form von Untertätigkeit soll hier nicht vergessen werden: Alle sind der Kirche untertan, die sich immer mehr in ein starres hierarchisches Gebilde verwandelt. Am Rande dieser
Hierarchie stehen die Juden. Es gibt keine Vorstellung von Toleranz, aber noch eine gewisse Selbstverständlichkeit, dass sie ihren Glauben praktizieren dürfen. Das wird später immer mehr in Frage
gestellt werden.
Der zweite mit dem Papst verbundene und von ihm gesalbte Frankenkönig will mit der Aufsicht über "seine" Kirche auch die über die theologische Wahrheit verbinden, wobei er sich mit den Päpsten einig ist, dass es nur eine geben könne. Bisher wurden solche konziliaren Wahrheits-Feststellungen - und zwar seit Konstantin - in von Kaisern präsidierten Konzilien getroffen, d.h. inzwischen unter Aufsicht oströmischer Kaiser und der Patriarchen von Westrom und Ostrom.
Die wachsende Entfremdung zwischen Rom und Byzanz ist durch den Bilderstreit inhaltlich und durch das Bündnis der Päpste mit den Frankenherrschern "machtpolitisch" angereichert worden. Karl zeigt schon bald, dass er auch "konziliar" mit den Oströmern mithalten möchte. Er selbst spricht wohl sehr gut Latein und einigermaßen Griechisch, macht sich aber erst spät und mühsam des Schreibens kundig. Seine Muttersprache als Volkssprache ist ein fränkisches Idiom, inwieweit er die romanischen Dialekte der westlichen und südlichen "Untertanen" beherrscht, wird nicht recht klar.
Neben dem Bilderstreit (darf man Abbilder Gottes bzw. der Heiligen anbeten und was bzw. wen betet man da an) treten zwei weitere hochtheologische Fragen auf, die schon älter waren, aber nun vor allem auf der iberischen Halbinsel virulent werden. Die eine beschäftigt sich damit, ob Jesus leiblicher Sohn Gottes oder nur eine Art Adoptivsohn war bzw. ist, woran auch die Frage der wirklichen oder nur geistlichen Schwängerung Mariens hängt. Die andere beschäftigt sich als filioque-Frage direkt mit dem Glaubensbekenntnis von Nicaea: Vereinfacht war es die, ob der Heilige Geist nur vom Vatergott, oder auch von seinem Sohn "ausgeht". Anders gesagt, strahlt der spiritus sanctus gleichermaßen von Sohn und Vater aus, oder liefert dabei der Sohn nur den Abglanz dieses Geistes, den er vom Vater empfangen hat.
Beide Fragen sind ein Stück weit miteinander verbunden. Während oströmische Konzilien ihre Lehrmeinung vertreten, der Papst seine, lädt Karl mehrmals zu fränkischen Konzilien, in denen unter seinem Vorsitz und mit seiner Beteiligung die Gelehrten nach der einzig wahren, nämlich fränkischen Lösung suchen. Das konnte dem Papst nicht so recht gefallen, ist er doch zunehmend darauf aus, die Auffindung und die Verkündung der Wahrheit ganz an sich zu ziehen. Auch das wird ein Grund, um am ersten Tag des Jahres, dem Weihnachtstag 800 den Versuch zu unternehmen, seinen Einfluss auf Karl zu vergrößern, indem er ihn zu etwas macht, was ganz sein Werk ist oder wenigstens zu sein scheint, nämlich zum Inhaber eines so neuen wie merkwürdigen Amtes, welches bald unter dem Titel "Kaiser" firmieren wird.
Da alle Machtausübung an Personen gebunden ist, sollte man noch nicht von einem Staat sprechen. Das Wort ist von status abgeleitet, dem Zustand, und bekommt seine enge moderne Bedeutung erst im 17. Jahrhundert mit seiner Analogisierung zum französischen état. Frühe Formen von Staatlichkeit werden erst im hohen Mittelalter wieder sichtbar, im normannisch-staufischen Süditalien, in den entstehenden Stadtstaaten Nord- und Mittelitaliens, im anglonormanischen England zum Beispiel.
Romanisierung
Das Reich Karls entsteht im Zuge von Eroberungen, die sich, wo irgend möglich, als solche gewaltsamer Christianisierung darstellen bzw. wenigstens kirchlich-religiös mitbegründet werden. In der Begegnung mit Rom und dem Papsttum verschmelzen dann Religion und Herrschaft weiter. Du führst die Schlüssel der Kirche, er die des Himmels. Du lenkst seine Macht, leitest Klerus und Volk. Er führt dich zu himmlischen Chören, schreibt der Westgote Theodulf an Karls Hof über das Verhältnis von König und Papst. (in Fried, S.262)
Karl ist gottgesandt, Vertreter Gottes auf Erden, wie es an anderer Stelle heißt, und damit Haupt von zwei Seiten eines Reiches, der weltlichen wie der geistlichen. Um das effizient zu machen, bedarf es der Missionierung nicht nur nach außen, sondern auch nach innen. Die geringfügige Christianisierung in dem immer größer werdenden Reich soll also intensiviert werden. Dazu braucht es eines Klerus, der lesen und am besten auch schreiben kann, und zwar lateinisch. Noch ist keine der heiligen Schriften wie bei den Westgoten in eine der Volkssprachen übersetzt worden. Erst im 9. Jahrhundert entstehen der Heliand und die Texte des Otfried von Weißenburg. Bei der Messe, sonntägliche Pflicht für alle, ist höchstens die Predigt für das Volk verständlich, wenn auch vielleicht nur oberflächlich.
Renovatio ist Angleichung germanischer "Rückständigkeit" an die zivilisatorischen Höhen Roms. Angilbert, der mit einer Tochter Karls ein uneheliches Kind hat, schreibt am Hof Karls über diesen: David wünscht Lehrer, weise im Geist, zum Schmuck, zum Ruhm jedweder Wissenschaft in der Königshalle zu haben, damit er fleißigen Geistes die Weisheit der Alten erneuere. (in Fried, S. 285) Nicht einmal Mönch, aber gebildet, wird er - selbst kein Mönch - zum Laienabt von Centula/St.Riquier. Aber auch der eine Generation jüngere, verheiratete Einhard wird Abt mehrerer Klöster werden.
Und so holt Karl auc den Langobarden Paulinus aus Cividale an seinen Hof, den Grammatiklehrer Petrus Pisanus aus Pavia, 781 Alkuin, Lehrer in York und einen der belesensten Menschen seiner Zeit im lateinischen Raum, sowie den Westgoten Theodulf, der von der iberischen Halbinsel geflohen war. Nachdem sie ihm eine Weile gedient haben, werden sie in hohe (kirchliche) Ämter versetzt: Paulinus wird Erzbischof von Aquileia, Alkuin Abt des großen Stiftes in Tour, Theodulf Bischof von Orléans. Niemand wird Romanisierung aber besser bezeugen als Einhard, der nach genauer Kenntnis Karls nach dessen Tod sein 'Leben Karls' nach Suetons 'Leben des Augustus' modellieren wird.
Eine Art "Palastschule" für den Nachwuchs der Reichsverwaltung existiert wie schon seit der Merowingerzeit. Da sich ansonsten ein Schriftwesen in die Klöster zurückgezogen hatte, verlangt Karl die Öffnung ihrer „Schulen“ auch für die, die nicht Klosternachwuchs sein würden, was natürlich Widerstand hervorruft. Zudem fördert er die wichtigste Aufgabe ihrer Skriptorien, Schreibstuben, das Abschreiben alter Texte, welches zeitaufwendig und kostspielig ist, denn für einen Band ging oft die Haut einer ganzen Ziegen- oder Schafherde drauf. Eine neue, lesbarere Handschrift setzt sich durch, die karolingische Minuskel. Karl sieht sich nicht nur als Herr über die rund 180 Bistümer, sondern auch über viele Klöster, darunter rund 700 größere, von denen viele Abgaben an ihn und Kriegsdienst leisten müssen.
Parallel zur Einteilung in Grafschaften wird die spätantike Metropolitan-Verfassung der Kirche wieder hergestellt. Der König bestellt Erzbischöfe und Bischöfe, die Erzbischöfe kontrollieren Bischöfe und die ihre Priester. Erzbischofe sollen dazu Synoden einberufen. Machthierarchien sollen institutionalisiert werden, frühe Ansätze von Staatlichkeit lassen sich erahnen, obwohl aus ihnen zunächst nichts werden wird. Genauso werden auf königlichen Befehl königlich kontrollierte Abteien besetzt, auch schon mal mit Laien wie Angilbert, der zuvor am Hof diente und mit einer Königstochter zwei Kinder zeugt.
Zentralisierung ist auch deshalb Romanisierung, weil sie sich über die Kirchenorganisation leichter als durch weltliche Strukturen herstellen lässt, denn im weltlichen, germanischen Raum gibt es keine dem geistlich-lateinischen Raum entsprechende zwingende Ideologie, die Zentralisierung begründet.
Schon ungefähr 771 wird deshalb im sogenannten 'Capitular primum' folgendes verfügt:
Priester, die ihren Dienst nicht ordnungsgemäß erfüllen können und es versäumen, gemäß dem Befehl ihrer Bischöfe nach Kräften zu lernen, (...) sollen so lange vom Amt suspendiert werden, bis sie dieses Verhalten vollständig abgestellt haben. Weigert sich aber jemand trotz häufiger Mahnung seines Bischofs, sich durch Lernen um Wissen zu bemühen, so soll er sein Amt und seine Kirche (...) endgültig verlieren, denn wer das Gesetz Gottes nicht kennt, kann es auch nicht anderen verkündigen und predigen. (deutsch so in LHL, S.109)
Man sieht, viel hat sich seit den Zeiten des Bonifatius offenbar bislang noch nicht geändert.
Um 785/87 verlangt Karl in der 'Epistola de litteris colendis' von den Mönchen und Weltgeistlichen, dass sie ordentliches Latein lernen und sich auch mit der Grammatik dieser Sprache, die die des westlichen Christentums ist, befassen. Adressiert ist dieser Rundbrief wohl an Bischöfe und Äbte:
Wir hielten es für nützlich, dass in den uns durch Christi Gunst zur Leitung anvertrauten Bischofssitzen und Klöstern außer der Ordnung regelmäßigen Lebens und dem Wandel in heiliger Religion bei denjenigen, die durch Gottes Gabe lernen können, je nach Fähigkeit der Lerneifer auch für das Studium der Buchstaben, Wörter und Sätze aufgebracht wird. Wie die Norm der Regel die Ehrbarkeit der Sitten ordnet und schmückt, so soll auch die Beharrlichkeit der Lehrens und Lernens Ordnung und Schmuck in die Wortfolge bringen, so dass diejenigen, die Gott durch rechtes Leben gefallen wollen, nicht vernachlässigen, ihm auch durch richtiges Reden zu gefallen. (deutsch in LHL, S.111)
Da das gesprochene Latein in den romanischen Gebieten deutlich abweicht von dem, welches die Gelehrten an Karls Hof für klassisch und korrekt halten, verstehen es die Leute selbst dort bei ihrem Kirchgang nicht mehr. "Im Jahre 813 erklärte ein in Tours versammeltes Bischofskonzil zum ersten Mal, dass hinfort die Homilien (...) zwar wie bisher zunächst im lateinischen Text verlesen werden sollten, sodann aber auch übersetzt in rusticam Romanam linguam aut Thiotiscam (... Brown2, S.332). Wenn dann die "bäurische römische Sprache" in ihrer volkstümlichen Aussprache später aufgeschrieben wird, werden daraus die geschriebenen regionalen romanischen Volkssprachen werden.
789 wird zu einer ersten großen Reichssynode nach Aachen gerufen und dafür eine entsprechend große 'Admonitio generalis' verfasst, eine allgemeine Ermahnung. Das Zölibat der Priester wird verfügt, Homosexualität bei ihnen verboten, sie dürfen keine weltlichen Geschäfte mehr betreiben und nicht in Tavernen gehen und vieles mehr.
Es geht dabei vor allem um die Verbesserung des eigentlichen Gottesdienstes (Laudage) und darum wird weiter an schulförmiger Lateinbildung gearbeitet:
Wenn die Menschen Gott gut bitten wollen, es aber mit Hilfe fehlerhafter und unkorrigierter Bücher tun, dann bitten sie oft schlecht. Und: Die Bischöfe sollen in ihren Pfarreien sorgfältig die Priester prüfen, ihren Glauben, ihre Taufen und Messfeiern, dass sie den rechten Glauben haben und die katholische Taufe beachten und die Messgebote wohl verstehen und dass die Psalmen würdig nach den Unterteilungen der Verse gesungen werden, und dass sie das Vaterunser verstehen und predigen, dass es alle verstehen, damit jeder weiß, was er von Gott erbittet, dass das 'Ehre sei dem Vater' mit aller Ehrerbietung bei allen gesungen werde und der Priester selbst bei den Engeln und dem Volk Gottes gemeinsam 'Heilig, heilig, heilig' singe (…) Und dass Leseschulen für Knaben entstehen mögen, Psalmen, Kurzschrift, Gesänge, Computus (Rechnen), Grammatik und die katholischen Bücher verbessert werden in den einzelnen Klöstern und Bischofssitzen (…) Und eure Knaben, lasst sie nicht beim Lesen und Schreiben (den Text) verderben; vielmehr, wenn es nötig ist, ein Evangeliar, einen Psalter oder ein Messbuch zu schreiben, sollen Erwachsene mit aller Sorgfalt schreiben. (so in LHL, S.113)
"Karl wollte eine Bildungserneuerung, und er wollte sie aus religiösen Grünen" (LHL, S.113) Hinzuzufügen wäre aber diesem Satz von Laudage, dass religiöse per se auch machtpolitische Gründe sind, da sich für jemanden wie Karl beides nicht mehr unterscheiden lässt.
Um 800 beschreibt Bischof Theodulf von Orléans seine Priesterschaft, die sich kaum geändert hat, wie denn auch, ist es doch schon schwierig, Karls Botschaften durch Boten wenigstens ansatzweise und mündlich zu den Adressaten zu tragen:
„Da waren Brot, Wein und Wasser für die Opferung offenbar nicht immer sauber, näherten sich Frauen dem zelebrierenden Priester, lebten gar mit Priestern unter einem Dach, da lagerte Getreide und Heu in der Kirche, da trafen sich dort die Leute zum Schwatz, betranken sich Priester in den Schenken, manch einer kannte kaum die heiligen Schriften, missbrauchte die heiligen Altargeräte zu unheiligem Zweck; mit den Pfarrschulen haperte es.“ (so von Fried, S.301 zusammengefasst)
Heidnische Praktiken, Zauberei, Verehrung von Quellen und Bäumen und manches andere bleiben natürlich ebenfalls weiter bestehen. Laster, die es dem Volk auszutreiben gilt, bleiben außerdem: Unzucht, Befleckung, Ausschweifung, Götzendienst, Feindschaft bis hin zu Totschlag, Trunksucht. (Fried, S.317f)
Da das Christentum zur Zeit Karls längst weit weniger mit den Zuständen im vorderen Orient eines Jesus, sondern mit spätantiken lateinisch-römischen Verhältnissen zu tun hat, in die es hineinverwandelt worden war, sollen gedankliche Aspekte, die in Grammatik, Dialektik und Rhetorik eingegangen waren, wiedergewonnen werden. Das ging nur lateinisch, denn die germanischen Idiome hatten mangels Philosophierens die Mittel dazu nicht entwickelt. Die romanischen Volkssprachen hatten sich derweil zu stark vom lateinischen Ursprung entfernt und ihnen fehlte die antike urbane Substanz.
Erste lateinisch-althochdeutsche Wörterbücher entstehen, wie das bayrische 'Abrogans' nach dem ersten Wort: Abrogans – dheomodi, humilis - samftmoati, aegomet – ihha, ego ipse – ih selbo usw. (in Fried, S.324). Erst ganz langsam wendet man sich dann Bedeutungsunterschieden zu, die oft erheblich sind und oft auch nicht erkannt werden.
Alkuins' Retorica' und 'Dialectica' sollen dem König beide nahebringen: Induktion ist eine Rede, die über gewisse (Aussagen) ungewisse Sachverhalte erschließt und den, der sich sträubt, zur Zustimmung nötigt. (in: Fried, S.333) Logisches Denken erschließt so nicht nur Herrschaftskönnen, sondern auch verbale Machtausübung durch Argumentieren über reine Erfahrungswerte hinaus.
Daneben gibt es ein zunehmendes Interesse an Astronomie und einfacher Mathematik, nicht zuletzt beim König. Das alles schafft die Vorstellung von einem nicht nur argumentierenden Menschen, sondern von einem, der stärker bereit ist, seine Vernunftgründe zu reflektieren. In dieser kleinen bildungsbeflissenen Gruppe führt so Christentum zu Lernbegierde und dem Wunsch nach weiterer Aneignung antiker intellektueller Höhenflüge.
Den meisten Menschen bleibt das fern und fremd. Sie beten, wie im sogenannten Wessobrunner Gebet, eher folgendermaßen, wenn sie das denn so gelernt haben: Dô dâr niuuiht ni uuas enteo ni uuenteo, / enti dô uuas der eino almahtîco cot, / manno miltisto, enti dâr uuârun auh manake mit inan / cootlîhe geistâ. enti cot heilac.
(wenn man das -h- für -ch- liest, das Doppel-U für -w- und das -c- für -g-, und enti als das angelsächsische -and-, und, dann lässt sich der Text heute noch verstehen (Da war kein Ende und Wenden, und da war der eine allmächtige Gott, der Mildeste zu den Menschen, und da waren mit ihm viele göttliche Geister und der heilige Gott.)
Romanisierung soll auch die Übernahme römischen Kirchenrechtes bringen, wie es ihm Papst Hadrian in einer Sammlung als Grundlage für Karls 'Admonitio generalis' schickt. Nachdem schon Vater Pippin Kirchengesang aus Rom eingeführt hat, wird jetzt auch die ganze Messliturgie importiert und vereinheitlicht. Einheit schaffen zudem die in Notzeiten reichsweit angeordneten Fastentage, um Gott gnädig zu stimmen. Das geht dann bis ins Detail der Sterberituale, wie sie nun festgelegt werden.
Aber je mehr Verordnungen, Gebote und Befehle Karl ins Land schickt, desto hoffnungsloser wird das Unterfangen. Die Leute können nicht lesen und es gibt außer Gerichtsversammlungen kaum Orte, wo man die Dinge unters Volk bringen könnte, welches überdies Übersetzungen braucht. Und nach Karl werden die Versuche, Struktur in sein Reich zu bringen, nach und nach wieder verfallen.
Romanisierung ist Zentralisierung, die Macht sollte in den Händen eines Mannes zusammenlaufen, der sich mit Vertrauten berät, aber alleine entscheidet, Ämter besetzt, verordnet und diktiert und ebenso letzte Instanz für alle Glaubensfragen ist. Karl setzt Höchstpreise für Getreide fest, sagt, wieviele Brote aus einem bestimmten Menge Getreide zu backen sind, bestimmt, dass man, um als Mönch Einsiedler zu werden, der Zustimmung von Bischof und/oder Abt bedarf, dass Mönche keine Tavernen besuchen dürfen und Nonnen nicht zu oft zur Ader gelassen werden sollen.
Überhaupt ist die Palette der Bereiche, in denen sich Karl für seine Bevölkerung zuständig fühlt, enorm und in diesem Umfang etwas neues, was auch nach den Karolingern deutlich zurückgehen wird. Immer geht es ihm dabei um Gerechtigkeit, wie er sie versteht, und seine Verordnungen durchzieht dennoch immer die Ahnung, dass ihm die Mittel fehlen, so etwas durchzusetzen: Es darf nicht geschehen, dass Speichelleckerei, Bestechung, Vetternwirtschaft oder Furcht vor mächtigen Menschen die Justiz auf ihrem Wege aufhält, gibt er seinen Missi auf den Weg (im Deutsch von LHL, S.154). Aber es sind gerade seine Zivilisierungsbemühungen, die solche Verhaltensformen fördern, wie sie auch noch moderne Staaten heute auszeichnen.
Konzentration der Macht auf Karl als Romanisierung macht ihn vor allem zum Herrn über "seine" Kirche, die sein Reich umfasst. Das ist als Vorbereitung auf eine kaiserliche Rolle in Konkurrenz zu Ostrom die Aufsicht über den rechten Glauben.
Nach apokalyptischen Vorstellungen kündigt sich das Weltende durch das Aufkommen von Irrlehren an. Nun nehmen diese dort zu, wo die Definitionen von Rechtgläubigkeit enger werden. Der gelehrte kantabrische Mönch Beatus aus dem Liébana-Tal sieht das Ende für 800 voraus und kommentiert ausführlich den Apokalypse-Text.
In seiner Admonitio Generalis, der allgemeinen Ermahnung, erklärt Karl ("der Große): Denn wir wissen, in der Endzeit werden falsche Lehrer sich erheben. Deshalb ihr Lieben, wollen wir uns mit ganzem Herzen in der Kenntnis der Wahrheit üben, damit wir denen widersprechen können, die sich ihr widersetzen. Und nach der Verurteilung des Adoptianismus lässt Karl ausrichten: Hütet euch, dass die heiße Verschlagenheit des alten Feindes euren Geist nicht mancherorts verderbe und der Teufelsdienst im Innern nicht schlimmer werde als der Dienst für das verhasste Heidenvolk (des Islam) im Äußeren. Erwartet euren Erlöser, den ihr zum Urheber eures Heiles habt (beides nach Joh. Fried in: 798, S.28).
Als dann für das erste christliche Millenium der Weltuntergang samt Gericht mal wieder vorausgesagt wird, gehen viele Quellen gelassen darüber hinweg. Am Ende zählt für fast alle wohl eher das individuelle Schicksal nach dem Tode, jedenfalls mehr als die große weite Welt.
Unter muslimischer Herrschaft war das spanische Christentum eigene Wege gegangen. Zwischen Toledo und Urgell in den Pyrenäen wird im 8. Jahrhundert zwischen einem eingeborenen Sohn Gottes unterschieden, der mit Gott (irgendwie) identisch und entsprechend körperlos sei, und einem körperlichen, von Maria geborenen. Der Mensch Jesus sei in seine Göttlichkeit hinein von Gott quasi adoptiert worden, er sei in adoptione Gottes Sohn (filius adoptivus), ein deutlicher Verstoß gegen das Symbolon von Nikäa, aber an sich nichts neues . Die Menschen, die die Endzeit und den Weltuntergang in der Nachfolge Christi überleben würden durch Auferstehung, wären similes utique in carnis adobtione, non similes ei in divinitate, sie glichen dann dem körperlichen Christus, aber nicht ihm in seiner Göttlichkeit. (Fried, S.441)
Mit dem Erzbischof von Toldeo und dem Bischof Felix von Urgell hat der "Adoptianismus" mächtige Vertreter. Felix wird 792 auf einer Synode zu Regensburg verurteilt, nach Rom überstellt und widersagt unter Druck. Wieder frei, vertritt er seine Positionen erneut und wird nun auf der Frankfurter Synode von 794 verurteilt. Westgotisches Erbe stört den fränkischen Herrscher, der Einheitlichkeit verlangt. 798 droht der Papst mit dem Anathema. Felix widerruft, nachdem ihm eine Art freies Geleit versprochen wird, in Aachen, sicher unter Druck erneut. Ihm wird dennoch sein Bistum genommen, und er wird dann bis zu seinem Tod in Lyon in Gefangenschaft gehalten. Laut Alkuin werden nun zwanzigtausend Anhänger des Adoptionismus mühsam wieder vom rechten Glauben überzeugt.
Das ist nur die Spitze eines Eisberges an unterschiedlichen Vorstellungen und Riten allein im lateinischen Raum. Und Karl verhält sich wie einst Kaiser Konstantin: Spaltungen im Christentum werden als gespaltenes Reich verstanden, und das über die jeweils aktuellen Reichsgrenzen hinaus. Häresien müssen bekämpft werden, obwohl nur wenige Menschen überhaupt verstehen, worum es geht. Adoptianismus wird so zu Reichsfeindlichkeit.
Ein zweites großes Thema (siehe weiter oben) fast schon kaiserlicher Machtausübung wird die Auseinandersetzung mit dem Bilderstreit in Ostrom, wo in wechselnden Zeiten eine radikale Verehrung heiliger Bilder und ein ebenso radikales Verbot stattfinden. Karl sucht den Mittelweg, die Bilder seien zur Belehrung des leseunkundigen Volkes erlaubt, dürfen aber nicht angebetet werden (was dann doch bis heute in frommen Gegenden geschehen wird).
In dieser Situation lässt Papst Hadrian den König allerdings im Stich. Als Reaktion auf die schlechte Informierung über das Konzil von Nikäa beauftragt Karl Theodulf, gerade Bischof von Orléans geworden, mit einer Streitschrift gegen zuviel Bilderverehrung. Als Papst Hadrian sich eher ablehnend dazu äußert, scheint Karl den Text dann einer Öffentlichkeit vorenthalten zu haben. Aber deutlich erweist sich Karl inzwischen als Herr einer kontinentalen lateinischen Christenheit.
Immerhin: „...die Konfrontation mit den Häretikern wirkte als Stimulus intellektueller Schulung und methodischen Fortschritts und eines von formalisierter Vernunft geleiteten Denkens. Mit ihnen meldeten sich die zaghaften Anfänge einer abendländischen Theologie“. (Fried, S.455).
Hier sei nur am Rande erwähnt, dass Romanisierung auch in der Buchmalerei stattfindet, wo nun insbesondere in Aachen an spätantike Vorbilder angeknüpft wird. Noch deutlicher wird das mit dem Wieder-Anknüpfen an die Bauform der antik-römischen Basilika. Vorreiter ist dabei die 775 geweihte Klosterkirche von St.Denis und die nach dem Vorbild der Petersbasilika vierzig Jahre später errichtete Klosterkirche von Fulda. Einen anderen, wohl vor allem von San Vitale in Ravenna abgeleiteten Bautyp stellt die Pfalzkapelle zu Aachen dar.
Kaiser
Was mit dem Kaisertitel Karls gemeint war, lässt sich mit heutigen Maßstäben nicht klar definieren. Im Widerstreit der
damaligen Standpunkte, soweit sie erhalten sind, lässt sich jedenfalls kein klares Bild erkennen, dieses wäre wohl auch ein Anachronismus. Anstelle einer Definition scheint es besser, sich an die
Überlieferung zu halten und an das, was einigermaßen sicher als Handlungsablauf zu rekonstruieren ist. Überhaupt ist die Auflösung der Definition in Abläufe und Beziehungen oft lebendiger als die
Verdichtung in enger Begrifflichkeit.
Der Herrscher über Gallien, Germanien und Italien, wie es damals in den Annalen heißt, also der fränkische König war
bereits in eine Sonderbeziehung zu Rom getreten: Von dort kommt der neue sakrale Aspekt seiner Herrschaft und dort ist er als Schutzmacht aufgetreten. Zudem hat Karl sich bereits als theologisch
beschlagener Herr über Kirche und Konzilien, die er im Sinne Roms weiter vereinheitlichte, angeboten, Aufgaben des oströmischen Kaisers zu übernehmen, zu denen der selbst im Westen gar nicht mehr
in der Lage ist.
Auf einem Konzil in Frankfurt 794 wird Karl bereits als Rex et sacerdos bezeichnet, und der Priester Cathulf ruft ihn – so wird überliefert – auf: Denke daran, dass du stellvertretend für Gott alle Glieder der Kirche schützen und lenken musst, und dass du darüber Rechenschaft ablegen musst beim Jüngsten Gericht. (Nach Audebert/Treffort, S. 17) Damit stellt er die gelasianische Zweigewalten-Lehre auf den Kopf.
In den immer wieder auftretenden heftigen Thronwirren in Byzanz hatte es 797 Kaiserin Irene geschafft, Alleinherrscherin zu werden, nachdem sie ihren aufständischen Sohn durch ihren Eunuchen und Kanzleichef Staurakis hat vom Thron stoßen und blenden lassen. Die latente und theologisch eminente Abneigung der römischen Kirche gegenüber einem Weiberregiment macht sich Karls Hof vermutlich zunutze. Dabei möchte Irene den Ausgleich mit Rom und gute Beziehungen zum Frankenherrscher. Als irreguläre Kaiserin braucht sie Bündnispartner außerhalb, die sie aufwerten.
Andererseits fühlt sich Karl inzwischen stark genug, um mit Harun-Al-Raschid, dem Feind von Byzanz, den Kontakt zu intensivieren. Fünf Gesandtschaften reisen nach Jerusalem, Raqqa oder Bagdad. Harun, Sohn eines arabischen Kureisch und einer jemenitischen Sklavin, wird denn auch vorübergehend am Hof Karls nicht mehr als saracenus, sondern als Perser bezeichnet. (Fried, S.464ff)
In einer kurzen Notiz von Karls Hofkaplan heißt es für 798, griechische Gesandte seien zu Karl gekommen, um ihm Kaisergewalt zu übertragen (ut traderent ei Imperium, Fried, S.471) Fried ist der Ansicht, Karl sei bereits dabei, sich zum Kaiser aufzuschwingen. Bei allen Anzeichen bleibt das aber doch eine Vermutung.
Mit Leo III. kam derweil ein weniger mächtiges römisches Adelsgeschlecht auf den Stuhl Petri, welches heftige
Widersacher in der Anhängerschaft des letzten Papstes hat. Leo sucht offenbar auch darum schnell den Schulterschluss mit Karl. Auf einem Mosaik in der Kardinalskirche Sta Susanna ist König Karl
gegenüber dem Papst in fränkischer Tracht zu sehen. Seine Urkunden datiert er zusätzlich nach Karls Jahren als König.
Die Gegner werfen dem Papst sexuelle Verfehlungen vor, Ämterschacher („Simonie“) und ähnliches. Karl schickt Gesandte nach Rom, Erzbischof Arn von Salzburg und den Abt von Stablo. Noch bevor sie April 799 ankommen, überfallen zwei Leute der Opposition den Papst auf einer Bittprozession, zerren ihn vom Pferd, versuchen ihm dann die Augen auszustechen und die Zunge herauszureißen, wohl um ihn amtsunfähig zu machen. Jedenfalls behauptet die leoninische Seite das später. Umso wunderbarer, dass er dann kurz darauf von alledem geheilt ist. Leo kann mit Getreuen und der Hilfe der fränkischen Gesandten fliehen und begibt sich zu Karl nach Paderborn. Dort wartet der König auf Ergebnisse des neuesten Heerzuges gegen die Sachsen, den sein gleichnamiger Sohn anführt. Was Karl und Leo besprechen, ist unbekannt.
Im Schutz eines Geleites des Frankenkönigs kann Leo später nach Rom zurückkehren. Karl lässt dort eine Untersuchungskommission arbeiten, lässt dann die Attentäter festnehmen und ins Frankenreich bringen. Eines ist klar, der Papst ist nun abhängig von Karl. Alkuin schreibt noch 799 an Karl:
Deine Würde erhebt sich über die beiden anderen, verdunkelt sie an Weisheit und überstrahlt sie. Jetzt beruhen die Kirchen Christi allein auf dir, erwarten allein von dir ihr Heil, von dir, Rächer der Untaten, Führer derer, die irren, Tröster der Beladenen, Stütze der Guten. (Nach Audebert/Treffort, S. 17)
Zunächst macht Karl 800 noch eine Rundreise durch den Nordwesten seines Frankenreiches, beschäftigt sich mit der Abwehr von Wikingern an der Küste und teilt dann sein Reich in Tours erneut unter seine Söhne, wie die Chronik von Moissac kurz erwähnt. Dann geht es gen Süden, und in Ravenna wird Pippin mit einem Feldzug gegen Benevent beauftragt.
Schließlich zieht er nach Rom, wo er laut Reichsannalen Ende November wie ein (oströmischer) Kaiser empfangen wird. Als er aber nach Rom kam, zog ihm der Papst Leo mit den Römern tags zuvor nach Mentana 12 Meilen vor der Stadt entgegen und empfing ihn mit höchster Demut und größten Ehren. Wahrscheinlich sieht Karl dann in der päpstlichen Residenz ein weiteres Mosaik mit einem thronenden Petrus, der auf der einen Seite Leo das Pallium verleiht und auf der anderen den schwertgegürteten Karl, dem Petrus eine Fahnenlanze übergibt.
Um bei dem zu bleiben, was einigermaßen gewiss ist: Anfang Dezember beruft Karl (!) ein Konzil ein, das unter seinem Einfluss feststellt, dass niemand das Recht habe, einen Papst zu richten. Vermutlich war mit Leo vorher abgesprochen, was dann passiert: Der Papst reinigt sich nämlich „aus freien Stücken“ mit einem Eid von allen Vorwürfen. Da im Frankenreich inzwischen der Meineid mit dem Abhacken der Schwurhand und bald mit dem Tode bestraft wird, ist das schon bedeutsam in fränkischen Augen.
Am ersten Weihnachtsfeiertag (also dem ersten Tag des Jahres 801) setzt dann laut Papstchronik Leo
in St.Peter seinem Freund und Bruder Karl eine kostbare Krone auf und bezeichnet ihn als den allerfrömmsten Augustus, von Gott gekrönt und als friedensspendenden Imperator.Das ist der direkte Bezug auf den ersten Caesar Augustus, dessen strahlende pietas sich dabei in
Beziehung zu christlicher Frömmigkeit setzen lässt. Danach salbt Leo „seinen Sohn“.
Hier ist die Initiative beim Papst. In den Reichsannalen und denen von Metz geht Karl in die Peterskirche,
und als er sich vom Gebet erhob, setzte ihm der Papst eine Krone aufs Haupt und das ganze Römervolk rief dazu:" Karl, dem Augustus, dem von Gott gekrönten großen und friedebringenden Imperator der Römer, Leben und Sieg!" Und nach den lobenden Zurufen wurde er vom Papst nach der Sitte der alten Kaiser durch Kniefall geehrt und fortan unter Weglassung des Titels Patricius Kaiser und Augustus genannt. (Annales Regni Francorum, in LHL, S. 45)
Beim Lorscher Autor heißt es etwas anders:
Und weil damals auf Seiten der Griechen die Kaiserwürde (nomen imperatoris) aufgehört hatte und diese bei sich ein weibliches Kaisertum (femineum Imperium) angenommen hatten, erschien es dem Papst, den heiligen Vätern, die in der Synode versammelt waren, und dem übrigen Christen-Volk dort richtig, dass sie diesen Karl, den König der Franken, als Kaiser (Imperator) bezeichnen sollten. Denn er besaß Rom, wo stets die Caesaren regiert hatten, und zudem die übrigen Kaisersitze in Italien, Gallien und Germanien. Weil der allmächtige Gott ihm diese Sitze in seine Gewalt gegeben habe, schien es ihnen richtig, dass er mit Gottes Hilfe und auf Bitten des gesamten Christenvolkes diesen Namen trage.
Danach war der Imperatorentitel ein gemeinsamer Beschluss von Papst und Karl, die übrigen spielten eine untergeordnete Rolle, und der Imperator ist auch kein Kaiser der Römer, sondern eben des Reiches, welches er tatsächlich beherrscht.
Um deutlich zu machen, wie unterschiedlich das Ereignis gesehen wurde, hier des Einhard Darstellung in seiner Karlsbiographie aus der
Zeit Ludwigs des Frommen:
Die Ordnung des Wirrwarrs in der Kirche erforderte den ganzen Winter. In diesen Tagen nahm er den Namen des Imperators und Augustus an. Dies war ihm anfangs so zuwider (adversatus), dass er versicherte, dass er, obgleich es ein hoher Feiertag war, die Kirche nicht betreten hätte, wenn er den Ratschluss des Papstes (pontificis Consilium) vorhergesehen hätte. (c.28)
Fried und andere vermuten, dass Einhard das mit Karls Entscheidung abglich, den Ausgleich mit Byzanz zu suchen, der 812 zur Anerkennung durch den basileus tón Romaíon führte und ein Jahr später zum Mitkaisertum Ludwigs ohne römische Beteiligung. (S.493)
Nur laut Papstchronik wird Karl in Erweiterung des patricius Romanorum zum imperator
Romanorum, also zum Kaiser der Römer. So oder so ist das keine Erneuerung des weströmischen Kaiserreiches, vermutlich wollte der Papst damit den König nur auf seinen Schutz und seine
Interessen verpflichten. Für Karl ist der Titel eines "römischen" Herrschers allerdings inakzeptabel, der Kern seiner Herrschaft ist die Francia, und von der ausgehend die von ihm eroberte
Italia, die er nicht dem Papst verdankt. Was genau damals geschah, wissen wir nicht.
Zukünftig wird Karl sich als „König von Gottes Gnaden über die Franken und Langobarden“ bezeichnen und zusätzlich als imperator Romanum imperium gubernans, also als über das „römische Reich“ herrschend. Dieses römische Reich gibt es aber nur auf dem Papier. Von Caesar=Kaiser ist noch nicht die Rede.
In den germanischen Volkssprachen gibt es keine Entsprechung für den Terminus imperium. Der Begriff regnum als das, was der rex innehat, ist an seine Person gebunden, und wenn Germanen richi sagen, meinen sie wohl genau das. Alles, was mit dem Kaiserbegriff nun zusammenhing, kann nur auf Byzanz bezogen werden, und die byzantinischen Strukturen sind dem germanisch beeinflussten Frankenreich ziemlich fremd. So wird der Kaisertitel erst rund 150 Jahre später mit Inhalt gefüllt und dann allerdings für die europäische Geschichte von großer Bedeutung werden. Für Karl kann man wohl vor allem annehmen, dass er den Titel als persönliche Überhöhung ansah, weniger als "politische". Und für die andere Seite mag Peter Browns Einschätzung gelten: "So suchte der Papst durch seine zeremonielle Anerkennung der einschüchternden <imperialen> Macht, die sich ohne sein Zutun in Aachen konstituiert hatte, die eigene Autorität zu behaupten." (Brown2, S.321f)
Die unentwegten Kriege des Herrschers haben sicher einmal den Grund, die Großen seines Landes bzw. seiner Länder als kriegerische Gefolgschaft für sich zu mobilisieren, sich als erfolgreicher Kriegsherr zu erweisen und Beute zu versprechen. Zum anderen rechtfertigen sie ein neuartiges Königtum religiös durch die Missionierung der Eroberten und Unterworfenen. Es deutet sich ein imperialer Charakter in der Nachfolge Westroms an, dessen ehemalige Hauptstädte Rom, Ravenna, Mailand, Trier nun alle in seiner Hand sind. Außerdem ist Karl nun König nicht nur über Herzöge und Grafen, sondern über Könige selbst. Inwieweit ihm das einen Caesarentitel nahelegte, muss allerdings offen bleiben.
Ein einheitliches Reich entsteht aber so nicht. "Die Sprachen, die Volksrechte,, Lebensformen und Gewohnheiten, ihr Erb- und Eherecht trennten die Völker nach wie vor." (Fried, S.195) Aber mit den Aufenthaltsorten Karls in seinem Reich verschiebt sich das Zentrum nach Osten, in Richtung Rheintal vor allem.
Karl ist der erste fränkische König, der nach dem Vorbild der römischen Imperatoren seit Konstantin eine Krone trägt, ohne dass von einer offiziellen Krönung etwas überliefert ist. 781 hat er dann seine Söhne feierlich gekrönt. Dass der Papst ihn nun krönt, und ihm zudem den byzantinischen Purpurmantel der Kaiser umhängt, verweist nicht nur auf alte Tradition, sondern auch neue Konkurrenz zum einzigen bisherigen Kaiser im Osten. (Elsbeth Orth in: Römer und Barbaren S. 244)
Bezeichnend ist, dass Karl nicht mehr nach Rom zurückkehren wird. Die Ereignisse um den Kaisertitel waren wohl so problematisch, dass er sich keine Bestätigung irgendeiner Sichtweise oder das Ringen um eine Neudefinition leisten möchte. Ein neues Rom in Kleinformat hatte er sich ohnehin in Aachen erbaut.
Nach Aburteilung der dortigen Papstgegner und Beschäftigung mit seinen italienischen Interessen reist Karl im Frühjahr wieder in den
Norden ab. In vielerlei Hinsicht bestätigt die Kaiserkrönung nur, was vorher schon Praxis gewesen war, nur beruht diese Praxis nun nicht mehr auf dem Königtum Karls, sondern sie lässt sich neu
aus einem päpstlichen Auftrag begründen: Karl kontrolliert weiter die kirchliche Gesetzgebung auf den Konzilien, reformiert die Liturgie, stellt den rechten Glauben fest und grenzt Häresien aus,
ernennt Bischöfe und Äbte und beteiligt sie an seiner Herrschaftsausübung. Dazu gehören 55 Kapitularien nach 800, in denen immer wieder Gerechtigkeit, Schutz der Armen und Schwachen und vieles
andere gefordert wird.
Aber ein so geordnetes Reich, wie es in den Kapitularien erscheint, müsste "mit den überkommenen Traditionen des Frankenreiches und seiner Adelsgesellschaft brechen (...), um Friede und Wohlergehen der vielen Völker seines Reiches, seiner Kirchen, seiner freien und armen Leute zu sichern." (Fried, S.535) Es wird nur auf dem Papier realisiert und schwindet mit der Person seines Herrschers. Der verfällt darum in seinen letzten Lebensjahren in einen leidenschaftlichen Predigtton, unterschwellig genährt von apokalyptischen Endzeitvorstellungen.
Erneute Nachfolgeregelungen folgen, wie die von 805/06 von Diedenhofen. Pippin soll nun zu Italien große Teile Alemanniens und Bayerns erhalten, Ludwig behält Aquitanien, dazu sollen Septimanien, die Provence und Burgund kommen, Sohn Karl soll die ungeteilte Francia erhalten, ergänzt durch Sachsen und Nordteile Alemanniens und Bayerns. Damit wird mit der traditionellen Merowingerregelung gebrochen, dass bei Erbteilungen jeder Erbe einen Anteil am Kernland der Krone erhält. Für wie gefährlich der Kaiser die Zukunft dieser Regelung hält, zeigen Regelungen, die Gewalt zwischen den Reichsteilen und gegenüber Verwandten der Brüder verbieten.
808 überfällt ein Dänenkönig (Dänen entstehen gerade als Volk) die Abodriten und zerstört den Handelsort Reric. Die Kaufleute werden nach Haithabu (Schleswig) überführt. Karls gleichnamiger Sohn kommt mit einem Heer, scheint aber wenig ausrichten zu können. 810 wird von Wikingern (Dänen?) Friesland überfallen und den Leuten ein Lösegeld abgepresst.
Karls Sohn Ludwig kämpft gegen die Muslime im Bereich der daraus hervorgehenden spanischen Mark (dem heutigen Katalonien). Mit Mühe kann Barcelona und später Tortosa erobert werden.
809 entscheidet Karl als Herr über die Westkirche den filioque-Streit gegen die Position von Byzanz und letztlich auch gegen den Papst. Im fränkischen Glaubensbekenntnis geht der Heilige Geist nun nicht nur vom Vater, sondern auch vom Sohn (filius) aus, was machtpolitisch wichtig, religiös für die meisten Menschen aber wenig erhellend ist.
Nachzutragen bleibt, dass Karl danach die Auseinandersetzung mit Byzanz über deren eher nominelle Besitzungen Istrien und Venetien forciert. Diese Gebiete lassen sich aber weder dem einen noch dem anderen dauerhaft zuordnen. Darauf kommt es 812 unter Kaiser Michael I. zum Kompromiss: Karl verzichtet auf Venetien und Byzanz nimmt den Imperatortitel Karls hin. Der Kontakt mit dem Papsttum bricht zunehmend ab.
Als Karl sein Ende nahen sieht, sind seine Söhne Karl und Pippin bereits gestorben, und damit ist ein erster Erbteilungsplan obsolet geworden. Anders als es fränkisches Recht vorsieht, will der Kaiser 812 die Interessen von Pippins Sohn Bernhard gewahrt sehen, und übergibt ihm Italien unter der Regentschaft von Abt Adalhard von Corbie und dem Ratgeber Wala. In derselben Zeit lässt Karl sich von Byzanz das westliche Kaisertum bestätigen.
Ein Jahr später wird Ludwig dann in Aachen zum Mitkaiser erhoben. Und er fragte sie alle, ... ob es ihnen gefalle, dass er seinen Namen, das heißt den Namen des Kaisers, auf
seinen Sohn Ludwig übertrage. So berichtet jedenfalls der Bischof von Trier. Bei Einhard wird allerdings nicht gefragt, sondern es heißt, mit Zustimmung von allen und: Diese
seine Absicht wurde von allen Anwesenden mit großem Beifall aufgenommen, schien es doch, als wäre ihm dieser Gedanke zum Besten des Reiches vom Himmel eingegeben worden. (Vita Karoli cap.30)
Karl krönt Ludwig dann selbst.
Für wie bedrohlich Karl allerdings die Lage nach seinem bald zu erwartenden Tod sieht, erhellt folgender Passus: Über unsere Enkel (...) gefällt es uns zu befehlen, dass keiner von ihnen getötet, verstümmelt, geblendet oder gegen seinen Willen geschoren wird ohne gerechte Verhandlung und Untersuchung. (in LHL, S.54) Man wird sich nicht dranhalten, so wie Karl sich nicht dran gehalten hatte.