Anhang 16: Hochadel: Sachsen, Welfen, Canossa

 

 

Adel: Sachsen

Für die nicht romanisierten Gebiete unter neuer Herrschaft bieten sich als Beispiel für die Entwickliung eines Adels die späteren germanischen Völkerschaften, welche fränkische Herrscher eroberten und unterjochten, die Sachsen an, und ebenfalls die noch später christianisierten und dabei zivilisierten Völkerschaften Skandinaviens. Nur ist aufgrund fehlender Schriftlichkeit dort die Übergangsphase kaum und nur durch die (feindseligen) Eroberer und die sich etablierenden neuen Machthaber dokumentiert, was erneute Schwierigkeiten bietet.

 

Die Kulturen sächsischer Volksgruppen lassen sich aber noch dadurch erahnen, dass bei ihnen die Erinnerung an eine spezifische (ethnisch verstandene) „Freiheit“ bis ins hohe Mittelalter bei manchen wach blieb, was sich in regelmäßigen massiven Widerständen gegen die Könige äußerte, die sie mit Gewaltmaßnahmen und brutalen Strukturveränderungen unter ihre Botmäßigkeit zu bringen versuchten. Als zweites Erbe aus ihrer Phase ethnischer Kulturen formulieren Leute nur in Sachsen noch ein Bestehen auf Recht, welches auf ethnischer Tradition beruht und nicht nur auf sich zunehmend institutionalisierenden Machtverhältnissen. Zwar wird das in der Regel bereits von dem schon von den Karolingern eingerichteten neuartigen Adel artikuliert, aber darunter ist gelegentlich bäuerlicher Widerstand wahrnehmbar, der für die Könige, selbst die aus sächsischem Hochadel, im Bündnis mit der Kriegerschicht besonders bedrohlich werden kann.

Solches dokumentiert mehr als eine andere Quelle das Geschichts- und Geschichtenbuch des Widukind von Corvey, in dem von Anfang bis Ende völkisch fundierter Sachsenstolz durchschimmert. Dazu gehört die zum Teil legendär gehaltene Frühgeschichte der Sippschaft der Billunger, selbst durch die fränkische Eroberung und Überfremdung hochgekommen, in das merkwürdige Christentum eines germanischen Kriegeradels eingebunden, aber dennoch nur partiell und gelegentlich widerwillig mit den neuen Machtverhältnissen verklammert, die den Edelfreien gelegentlich einen Teil ihrer Würde und ihres Stolzes rauben.

 

Dabei ist dieser neue sächsische Adel nur durch jene Privilegierung entstanden, die mit Unterordnung unter das fremde regnum möglich wurde, um als dessen Herrschaftsinstrument zu dienen. Der Wendepunkt in der Zerstörung sächsischer Kultur war die mit brutaler Gewalt vollzogene Christianisierung, also Unterwerfung unter die Kirche, die auch mit Hilfe dieser Überläufer zu den militärisch Mächtigeren stattfand, und die diesen neuen Adel von fränkischen Gnaden erst hervorbringt.

 

Nach Unterwerfung unter die von den Franken als Unterdrückungsinstrument benutzte Kirche wird tatsächliche Christianisierung noch Jahrhunderte dauern und beim neuen Krieger-Adel vor allem Anerkennung eines neuen Kriegsgottes bedeuten, dem man nun Kirchen und Klöster und ihre Ausstattung als Opfergaben darbringt. Von diesen wird dann die innere Unterwerfung der Sachsen ausgehen. Neu ist dabei vor allem die Drohung mit schlimmstem Unheil nach dem Tode, wichtigstes Motiv für die Unterwerfung unter die Kirche. 

 

 

Historisch gesicherter Ahn einer mächtigen Sippe ist der 866 gestorbene Graf Liudolf, der auch als dux des östlichen Sachsen benannt wird und dort vielleicht eine markgräfliche Stellung innehat. Liudolf gehört von seiner Machtfülle her der manchmal so genannten karolingischen Reichsaristokratie an, die dazu angehalten wurde, über die Stammensgrenzen hinaus zu heiraten, und so ist er mit der vornehmen Fränkin Oda verheiratet, deren Vater ein princeps namens Billung gewesen sein soll. Das Kerngebiet seiner Besitzungen liegt wohl in Ostfalen in der Landschaft zwischen Leine und Harz. Dort gründet er um die Mitte des 9. Jh. als Hauskloster und Familiengrablege das Kanonissenstift Gandersheim¶, in dem drei seiner Töchter nacheinander Äbtissinnen waren.

Seine Tochter Liudgard heiratet mit dem ostfränkischen König Ludwig III. ("dem Jüngeren") den Sohn Kg. Ludwigs des Deutschen.

 

Den Herzogstitel übernimmt nach Liudolfs Tod zunächst der ältere Sohn Brun, der eine Angehörige der großen Karolinger-Sippe heiratet, und als dieser 880 in einer großen Schlacht gegen die Normannen fällt, folgt ihm sein jüngerer Bruder Otto. Mit Ottos Gemahlin Hadwig gelingt die Verbindung mit dem Geschlecht der Babenberger/Popponen, mit denen sie sich im Kampf um sächsische und mainfränkische Besitzungen gegen die Konradiner verbündeten.

 

Ottos Tochter Oda heiratet den Karolinger König Zwentibold von Lothringen. Im Grenzkampf gegen Normannen und Slawen bewährt, fällt Otto ("dem Erlauchten“) die Führung des gesamten sächsischen Stammes zu, und er gewinnt Einfluss in Thüringen.

 

Nach Ottos Tod 912 erbte sein Sohn Heinrich die sächsische Herzogswürde. Mit seiner Heirat mit Erbtochter Hatheburg des Gf. Erwin von Merseburg gewinnt er Besitzungen in und bei Merseburg. Nach Auflösung dieser Ehe heiratet er die Widukind-Nachfahrin Mathilde, wodurch er mehr Einfluss in Westsachsen gewinnt. Auch wegen des alten liudolfingisch-konradinischen Gegensatzes kommt es zum Konflikt mit König Konrad I. Konrad kann sich nicht gegen ihn durchsetzen, und empfiehlt wohl auf seinem Sterbebett die Wahl des Sachsenherzogs zu seinem Nachfolger. Damit beginnt die Königs-Herrschaft der Ottonen, die bis ins 11. Jahrhundert reichen wird.

 

 

811 taucht ein Graf Wichmann (Wychmannus comes) auf. Zur Familie gehört auch der princeps Billung, der durch seine Tochter Oda († 913) der Schwiegervater des sächsischen Grafen Liudolf († 866) ist.

Die Familie des älteren Wichmann steigt unter den sächsischen Königen und Kaisern durch Eheschließungen und wachsenden Großgrundbesitz mit abhängig gemachten Bearbeitern des Landes bis zu Verwandtschaftsbeziehungen mit dem Königshaus auf. Da die Könige bzw. Kaiser selbst Sachsen sind, entwickelt sich dort kein sogenanntes Stammesherzogtum als eine Art Unter-Regnum, sondern die Könige versuchen, das Land unter direkter Kontrolle zu halten. Aber die Sippe der Billunger wird zeitweilig von Teilen der Sachsen als authentische Führer angesehen.

Sicher nachweisbar sind die Billunger erstmals im Jahre 936, als Otto I. Hermann Billung für einen Feldzug gegen die slawischen Redarier mit dem Amt des Heerführers (principes militiae) betraue. Dabei tritt Hermann die Nachfolge Bernhards († 935) an, wohl eines Verwandten, denn Hermanns älterer Bruder Wichmann I. beansprucht ebenfalls den Posten und verlässt aus Protest gegen die Entscheidung des Königs das Heer. Gleichzeitig mit der Ernennung zum Heerführer überträgt Otto I. Hermann wahrscheinlich auch den Grenzschutz im nördlichen Sachsen.

 

Es gab kein Verfassungsdenken, welches seine Anfänge erst mit der Legalisierung eines Lehnswesens seit dem 11. Jahrhundert hat, und welches mit der gleichzeitigen Reformkirche im klerikalen Raum aufkommt. Damit gibt es bis dahin auch keine entsprechende Definition von Adel, dieser ist vielmehr aus Gewalttätigkeit, Sippenbildung und dem Sammeln von Grundbesitz zustande gekommen, und von oben durch Privilegierung und Einheirat. Adel entwickelt sich aus großem Grundbesitz, aus sogenannter Grundherrschaft, wie die Historiker das genannt haben, aus einem durch Privilegierungen erweiterten und durch Dienste in persönlichen Bindungen wiederum eingeschränkten Freiheitsbegriff und aus einer all das überliefernden Familientradition. Solcher Adel ist vererbbar. Einen Familiennamen gibt es noch nicht, aber bestimmte Namen, die in der Sippe tradiert wurden, wie Liudolf, Heinrich und Otto bei den Liudolfinger/Ottonen oder Wichmann und Hermann bei den Billungern.

 

Die wichtigsten ethischen Werte sind Ehre und Stolz, die nicht nur zusammengehören, sondern sich auch durch Erfolg im Kampf und bei der Anhäufung von Reichtümern als Schätzen erweisen. Dazu kommen Heiratsverbindungen, die Machtvergrößerung bedeuten, was Adel de facto, wenn auch noch nicht de iure nach unten abschließt. Unten, das ist dann Unfreiheit und Minderwertigkeit.

 

Ehre und Stolz sind ohne ein gewisses Maß an handfester Freiheit nicht möglich, und diese kann nur darin bestehen, dass Adel seine Angelegenheiten weitestmöglich selbst regelt. Wenn also jemand eigenes Recht durch edle Konkurrenten bedroht sieht, oder aber durch den König selbst, dann kann er auf dem Anspruch bestehen, sich zu wehren, indem er zur Fehde übergeht, sich also sein Recht erkämpft. Ein Widerstandsrecht nimmt der Adel gelegentlich auch gegenüber dem König oder einem dazwischen angesiedelten Fürsten in Anspruch. Solche Herrscher sind oft so klug, nach Sieg über den Widerborstigen ihn nicht rechtlich zu verfolgen oder dauerhaft zu enteignen, sondern ihm nach Unterwerfung zu verzeihen bzw, ihn nach einer Weile wieder in die eigene Huld aufzunehmen.

 

937 kommt es zu einem Aufstand Thankmars, des Halbbruders Ottos I., und anderer sächsischer Großer gegen den König. Dieser überträgt die Führung des königlichen Heeres nun nicht an den mächtigen und ehrgeizigen Sachsen Wichmann, sondern an dessen jüngeren Bruder Herrmann (Billung). Wichmann unterstützt darauf zunächst die Aufständischen gegen seinen Bruder und den König, merkt aber wohl bald, wo die stärkeren Battalione versammelt sind. Thankmar wird am Ende erschlagen. Wichmann wird vom König wohl stillschweigend eine Art Widerstandsrecht gegen Entscheidungen des Königs zugestanden, die er für ungerecht oder unangemessen hält, denn ihm wird verziehen.

 

 

Als Markgraf belegt ist Hermann allerdings erst 953. In den königlichen Urkunden wird er als marchio oder comes bezeichnet. Auf welches Gebiet sich die Mark der Billunger erstreckte, geht aus den Quellen nicht hervor. Machtbasis der Billunger sind der Eigenbesitz der Familie sowie die gräflichen Rechte an der Elbe, um Lüneburg und an der Oberweser. Sie fördern Lüneburg und gründen das zugehörige Kloster, was nicht nur ein besonderes Bündnis mit dem vorgeschriebenen Kriegsgott bedeutet und darüber Ort des familiären (noch sehr germanisch aufgefassten) Totengedächtnisses, sondern im Zusammenhang damit auch den Ort, der Zentrum ihres Familienverbandes sein kann, bevor eine zentrale Burg auf dem Weg ins Hochmittelalter diese Rolle übernimmt.

 

Nach 953 vertritt Hermann mehrfach Otto I. in Sachsen und wird ab dieser Zeit  in den Quellen mehrfach dux genannt.

Eine knappe Generation später, 953, wendet sich Ottos Sohn Liudolf, Herzog von Schwaben, zusammen mit seinem Schwager, dem Herzog von Lothringen, gegen seinen Vater. Höchster Adel wendet sich gegen die immer stärkere Unterordnung unter den Herrscher. Hermann (Billung) ist inzwischen die wichtigste Stütze des Königs, und seine Neffen, Wichmann der Jüngere und Ekbert, verweigern, die Gelegenheit nutzend, Otto nun auf wohl recht hinterhältige Weise die Unterstützung. Sie werfen dabei dem Onkel vor, sie um Erbe und Macht durch sein Bündnis mit dem König ein Stück weit betrogen zu haben.

 

Hermann ist inzwischen längst wichtiger Markgraf im Osten und einer der mächtigsten Freunde des Königs. Also verurteilt ein königliches Gericht zumindest den jüngeren Wichmann zu einer Art ehrenhafter Haft. Er flieht, verbündet sich wieder mit seinem Bruder, ihr erneuter Aufstandsversuch wird aber vom Onkel niedergeschlagen. Wichmann der Jüngere ist von nun an unentwegt auf der Flucht, mal führt er eine Gruppe Slawen gegen das neue "frankisierte" Sachsen an, mal ist er bei dänischen, mal bei französischen Feinden des Königs. Manchmal führt er auch Wenden gegen den polnischen Herrscher, ihren Feind auf der anderen Seite. Er wähnt das Recht, die Freiheitsliebe und die Ehre dabei immer auf seiner Seite.

 

Wäre alles anders gekommen, wenn der König Wichmanns Vater statt dessen Bruder ausgewählt und bevorzugt hätte? Möglicherweise schon, aber vielleicht wäre dann auch die andere Seite aufständisch geworden. Der sächsische Adel fränkischer Art vertritt dabei für sich selbst manchmal alte sächsische Freiheit, bezieht diese aber nur auf die eigene Person und arbeitet dabei zugleich an der Verbreiterung von Unfreiheit unter der produktiven Bevölkerung, aus der er seinen neuen Reichtum bezieht.

 

 

Die Söhne Wichmanns I., Wichmann II. und Ekbert der Einäugige, begannen während des Konflikts König Ottos I. mit seinem Sohn Liudolf († 957) eine Fehde gegen ihren Onkel Hermann Billung, da er sie um ihr väterliches Erbe betrogen habe, und verbündeten sich in deren Verlauf mit den Abodriten.

 

Hermann Billung folgt als Herzog sein Sohn Bernhard I., der durch Heirat mit Hildegard von Stade das Land Hadeln erwirbt. Aus dieser Ehe stammt Herzog Bernhard II. († 1059). Nach Hermann werden die Konflikte unter den Söhnen dadurch geregelt, dass der Zweitgeborene immerhin einen comes-Titel trägt. Sein Sohn, Herzog Ordulf, regierte bis 1072. Danach treten die Billunger in Gegnerschaft zum Kaiser und verlieren den Herzogstitel an Lothar von Supplinburg und die Besitzungen gehen an Askanier und Welfen.

 

 

 

Hochadel: Das Beispiel der frühen Welfen

 

819 erfahren wir von einer zweiten Eheschließung Kaiser Ludwigs des Frommen mit einer Judith, von deren Familie bis dahin nichts Schriftliches überliefert ist. Der von den Historikern heute gelegentlich als Astronom bezeichnete zeitgenössische Geschichtsschreiber berichtet folgendermaßen:

Um diese Zeit dachte er auf Anraten seiner Vertrauten darüber nach, ob er eine neue Ehe schließen solle; manche waren nämlich besorgt, dass er die Regierung des Reiches niederlegen könnte. Doch, von ihnen gedrängt, tat er schließlich ihrem Willen Genüge, beschaute die von überall herbeigeführten Töchter der Vornehmen und nahm Judith, die Tochter des edlen Grafen Welpo, zur Gemahlin.

 

Damit tritt eine der mächtigen Familien der Karolingerzeit für uns heute ins Blickfeld, ohne dass wir viel davor über sie wissen. Der Trierer Thegan schreibt noch in seinem Tatenbericht Kaiser Ludwigs:

Im folgenden Jahr vermählte er sich mit der Tochter eines Herzogs Welf, der einer hochadeligen Familie der Bayern entstammte. Das Mädchen hieß Judith und gehörte von Seiten seiner Mutter Heilwig einem hochadeligen sächsischen Geschlecht an. (Beides so in Schneidmüller, S.45f)  

 

Bayern, Alemannien und das alte Kerngebiet Franziens sind vermutlich die Gegenden, in denen die Familie große Besitzungen hatte. Judiths Schwester Hemma wird Ludwig II. ("den Deutschen") heiraten, ihr Bruder Konrad wird Schwager von Kaiser Lothar I. Beide Brüder, Konrad und Rudolf, sind consiliarii am Hof Ludwigs ("des Frommen"). Heilwig wird Äbtissin des einflussreichen Klosters Chelles werden. 

 

Als Sohn Judiths und Ludwigs wird Karl II. in den folgenden Jahrzehnten zum Herrscher über den Westteil des Frankenreiches, im Sinne agnatischer Dynastiebildung wird er allerdings Karolinger und eben ein Erbe des großen Karl.

Die bürgerkriegsartigen Zustände im Reich Kaiser Ludwigs steigern die Macht der Adelsverbände, von denen die streitenden Parteien jeweils abhängig sind. An der Spitze kristallisiert sich ein Hochadel von principes heraus, deren führende Leute die regna der ostfränkischen Stammesverbände führen, während sie im Westen die Kontrolle von Regionen übernehmen, die als ehemalige Teile des Imperium Romanum nicht derart ethnisch definiert sind. 

 

Die welfischen Brüder Konrad und Rudolf können ihre durch Verwandtschaft gestärkten Beziehungen zu dem west- und ostfränkischen Königshof über alle Reichswirren hin erhalten und wohl dabei ihre Besitzungen ausbauen. Konrad gewinnt zu den alemannischen Besitzungen die Grafschaft Paris hinzu und taucht als Laienabt von St.Germain zu Auxerre auf, Rudolf mit Besitzungen in Alemannien und Rätien als Laienabt von Jumièges und St.Riquier..

 

Als 858-60 Adelsgruppen wie die Robertiner Ludwig II. ins Westreich rufen, unterstützen die Söhne Konrads und Roberts Karl den Kahlen und verlieren nach dessen Sieg ihren Einfluss im Ostreich. Zunächst steigt Hugo, wegen seiner Laienabt-Stellen auch Hugo Abbas genannt, am Hof Karls auf, bis er dann von Robert "dem Tapferen" verdrängt wird, und sie sich dem Lotharingien Lothars II. zuwenden.

Inzwischen beginnt der Adel mit dem Zerfall des Karolingerreiches sich stärker regional zu orientieren. West- und ostfränkische Welfen verlieren den Kontakt zueinander. Im Ostreich gab es wohl Vorfahren der dortigen Welfen in Alemannien und Bayern.

 

864 wird Konrad das Gebiet um Lausanne, Genf und Sitten von König Ludwig II verliehen mitsamt der Laienabtswürde für St.Maurice d'Agaune beim Großen Sankt Bernhard und dem Herzogstitel.

Hugo Abbas gelingt es bald darauf, mit Unterstützung Karls II das Erbe Roberts zwischen Loire und Seine mit den wichtigen Klöstern von Tours anzutreten. Unter den Nachfolgern Karls wird Hugo führender Großer, und als das Westreich geteilt wird, herrscht er de facto unter Karlmann über Aquitanien und das westfränkische Burgund. Mit seinem Tod 886 endet dann die westfränkische Welfengeschichte, die dort von den Robertinern mit Odo beerbt wird.

 

Konrads Sohn Rudolf führt das Herzogtum Hochburgund weiter. Zur Königskrönung des Welfen 888 schreibt Regino von Prüm: Um diese Zeit eroberte (…) Rudolf, Sohn Konrads und Neffe des Hugo Abbas, die provintia zwischen Jura und penninischen Alpen. Unter Beiziehung einer Adeliger und Priester setzte er sich selbst die Krone auf und befahl, dass er König genannt werde. Danach schickte er Gesandte durch ganz Lotharingien; durch Zureden und Versprechungen stimmte er den Sinn der Bischöfe und adeliger Männer zu seinen Gunsten. Als das Arnulf gemeldet wurde, fiel er sogleich mit einem Heer über ihn her. (nach Schneidmüller, S.76)

Aber es gelingt dem König des Ostreiches nicht, ihn in seinem Anspruch einzuschränken. Rudolf herrscht als König von Hochburgund, wie es Historiker später nennen, bis 912. Er kann dann gegen das alte Erbrecht mit seinen Teilungen die Nachfolge seines Erstgeborenen Rudolf durchsetzen.

 

Der Versuch Rudolfs II., sich stärker in Schwaben zu etablieren, scheitert zwar, aber es kommt durch die Heirat mit der Tochter des Schwabenherzogs Burchard zu einem Familienbündnis. Im selben Jahr 922 macht eine italienische Adelsgruppe Rudolf II. zum italienischen König. 924 wird sein Kontrahent Berengar ermordet, aber italienische Hochadelige unterstützen nun Hugo von Arles. Als Burchard nach Italien zieht, um dem Schwiegersohn auszuhelfen, wird er 926 erschlagen und Rudolf muss Hugo das Feld überlassen.

Darauf beginnt eine Phase der Bündnisse mit König Heinrich I., der Rudolfs alemannische Eroberungen südlich von Basel anerkennt. Den minderjährigen Sohn Konrad stellt König Otto I. nach dem Tod des Vaters unter seinen Schutz. Inzwischen hat Hugo von Arles Berta, die Witwe des (hoch)burgundischen Königs geheiratet und ihre Tochter Adelheid, Konrads Schwester, mit seinem Sohn Lothar verheiratet.

 

Währenddessen gibt es Mitte des 10. Jahrhunderts einen Bischof Konrad von Konstanz, der laut späterer welfischer Familiengeschichte einen Bruder namens Rudolf und einen namens Eticho oder Welf gehabt haben soll. Nachdem Rudolf in Altdorf bestattet wird, gibt es dort einen Kristalisationspunkt für Familiengeschichte, die nun agnatisch-dynastisch wird. Damit entwickelt sich ein neues Verständnis von Adel. Der Familienbesitz scheint sich auf ein Gebiet zwischen Bodensee und Ammer zu konzentrieren.

 

 

 

Canossa

 

Die Machtfülle moderner Staaten beruht auf dem, was in den tausend Jahren zuvor Fürsten und Monarchen dabei zusammenraffen konnten und erweitert das nun, ohne noch handfeste rechtliche Schranken zu kennen. Am Beginn des Weges in spätere Fürstenherrlichkeit stehen in Reichsitalien Herren wie die von Canossa, die allerdings dann erst einmal durch die Entwicklung von Ansätzen neuer Staatlichkeit in den Städten dort gebremst und durch Aussterben der Familie dann (hier 1115) ihr Ende finden.

 

Bemerkenswert ist zuallererst der rasante Aufstieg jener Familie, die innerhalb eines Jahrhunderts vom Edelfreien zur Vormacht in Teilen Nord- und Mittelitaliens aufsteigt. Am Anfang steht ein Siegfried aus Lucca (Sigefredus de comitatu Lucensi), wohl ein Vasall des tuszischen Markgrafen Adelbert. Dieser Siegfried schlägt sich um 925/30 auf die Seite des italienischen Königs Lothar, des Sohnes von Hugo von Vienne, und erhält dafür ein Gut in der Nähe von Parma. Donizo schreibt fast zweihundert Jahre später, dass es ihm gelungen sei, daraus einen größeren Familienbesitz zwischen Parma und dem nördlichen Appeninenhang zu formen. Sohn Atto-Adalbert, Vasall des Bischofs von Reggio, schafft dann mit dem Bau oder Ausbau der kaum einnehmbaren Burg Canossa die Kontrolle über erste Teile des Gebirges. Sein Bruder Sigifred ist wohl Lehnsmann des Bischofs von Parma, dessen Nachkommen dann wie sein Bruder Gerard in der Capitanenschicht von Parma auftauchen.

 

958 kauft Atto/Adalbert Land mit zwei Burgen in der Nähe hinzu. Offenbar reichen seine Einnahmen inzwischen dafür aus. Daneben erwirbt er ein Kastell (GoezMathilde) auf einer Poinsel umd danach vom Bischof von Mantua daneben liegendes Land. Alleine an diesem Beispiel wird schon deutlich, inwieweit Land mit darauf sitzenden mehr oder weniger abhängigen Bauern im 10. Jahrhundert bereits Ware auf einem Immobilienmarkt ist, der der Arrondierung und Erweiterung von Besitzungen dient.

 

Inzwischen war die Witwe König Lothers, Adelheid, in die Hände Berengars von Ivrea geraten, der das Königtum an sich reißen möchte. Sie kann fliehen und kommt dann auf der Burg Canossa unter, die Berengar nicht einzunehmen vermag. Da sie bald Gemahlin Ottos I. wird, hat der Herr von Canossa auf das richtige Pferd gesetzt. 962 taucht zum ersten Mal der Titel Graf für ihn auf, und zwar für Reggio und Modena. Rund zehn Jahre später ist er dann auch Graf von Mantua. Einen Sohn macht er zum Bischof von Brescia, wohl im Einvernehmen mit dem sächsischen Herrscher.

 

Nicht als Graf, sondern durch Nutzung der Titel für die Steigerung seines Grundbesitzes steigt seine Macht vor allem (Wickham). Mit Klostergründungen und der "Schutzherrschaft" über andere insbesondere in der Poebene werden seine Besitzungen immer geschlossener. Durch die Kultivierung von Sumpfland dort steigern sich seine Einkünfte. Das Land wird dann durch neue Burgen gesichert. Zu seinen Vasallen werden nun Söhne von Grafen und Vizegrafen (Hagen Keller).

 

Unter ihm und seinem Sohn Thedald (976-1015) wird die erfolgreiche Zusammenarbeit mit den Sachsenkaisern vertieft. Dem Sohn wird dafür offenbar der Titel dux et marchio verliehen. Inzwischen ist er auch noch Graf von Brescia. Als Otto III. überraschend in der Nähe von Rom stirbt, vertritt Thedald die Position Heinrichs II. gegen den neuen italienischen König Arduin. Parallel dazu werden erste Kontakte zu den Päpsten geknüpft. Vielleicht vom Papst bekommt er die Grafschaft Ferrara übertragen und hat nun den Zugriff auf die Salinen von Comacchio an der Adria. „Die landfremden Emporkömmlinge mausern sich binnen zweier Generationen zu den wichtigsten Hütern der Ordnung und zu Garanten der Rechtssicherheit in den von ihnen dominierten Regionen.“ (GoezMathilde, S.25)

 

Sohn Thedald wird Bischof von Arezzo, während der andere, Bonifaz, das Erbe antritt, vielleicht nach Ausschaltung eines weiteren Bruders. Mit der Mitgift bei der Heirat mit der Tochter des Pfalzgrafen von Bergamo kann er seinen Einflussbereich von dort bis in die Region Verona ausdehnen. Er erweist sich nun als Stütze der Italienpolitik Konrads II., wofür er 1027 auch noch die Markgrafschaft Toskana (Tuscien) dazu erhält. Dort hat er keine eigenen Besitzungen, weswegen er seinen Einfluss über einige Klöster in und um Florenz (San Miniato, Badia Fiorentina etc.) auszuüben versucht, die er dann gegen die kommunalen Bestrebungen einsetzt.

 

Demonstrative Patronage über Kirchen und Klöster laufen bei ihm längst einher mit der Ausplünderung derer, die ihm weniger wohlgesonnen sind, durchaus auch mit militärischer Gewalt, wie beim Bistum Modena. In einem Fall ist ein Brief von Petrus Damiani überliefert, der darum bittet, seine Truppen von einer solchen Plünderung zurückzuhalten. In einigen Quellen wird Bonifaz als grausam beschrieben. „Nach seinem Tod erstellten die Konvente lange Schadenslisten, um ihre durch den Markgrafen erlittenen Verluste zu dokumentieren...“. (GoezMathilde, S.41) Zumindest eine Rebellion von Untervasallen schlägt er blutig nieder

 

1036 stirbt die erste Gemahlin Richilde kinderlos. In dieser Zeit nimmt Bonifaz an Kriegszügen Konrads II. in Italien teil und heiratet dann die am Hofe Konrads erzogene höchstens fünfzehnjährige Beatrix, Erbin von Oberlothringen mit königlicher Unterstützung. Es heißt, er habe inzwischen beispiellosen Reichtum angesammelt, der sich in Prunk und Protz geäußert haben soll. Durch Kauf, Heirat, Nutzung der Beziehung zu Kaiser und Papst und vor allem durch jene latente und offene Gewalt, die damals in den Quellen zu kurz nur erwähnt wird, war es dazu gekommen.

 

Mit Heinrich III., dem die Machtentfaltung des italienischen Fürsten zeitweilig zu bedrohlich erschien, kommt es zu einzelnen, ersten Konflikten, die darin kulminieren, dass der Kaiser sich gegen Übergriffe von Bonifaz auf geistliche Güter wendet. Am Ende allerdings soll Bonifaz unter dem Einfluss seiner zweiten Frau fromm geworden sein. 1052 wird der mächtige Fürst dann aus dem Hinterhalt ermordet.

 

Beatrix verwaltet nun ihren riesigen Herrschaftsbereich für ihren einzigen Sohn und muss gleich Aufstände niederschlagen. Als dieser jung stirbt und am Ende nur Tochter Mathilde übrigbleibt, hat sie zunächst keine Rechtsgrundlage mehr für ihre Herrschaft, können königliche Lehen doch damals nicht an Frauen vergeben werden. Zudem begehren die größeren Städte immer mehr auf gegen fürstliche Gewaltherrschaft. In dieser Situation entscheidet sie sich für einen massiven Affront gegen den Kaiser und heiratet, ohne sich seine Erlaubnis zu erbitten, Gottfried den Bärtigen von Oberlothringen, der sie offenbar mit dieser Absicht besucht hat (WGoez, S.179).

 

Ein Jahr später ist Heinrich mit einem Heer in Italien. Während Gottfried flieht und untertaucht, nimmt der König, dabei durchaus formalem Recht genügend, Beatrix und die etwa neunjährige Tochter Mathilde gefangen, als sie bei ihm für ihren Gemahl eintreten will, und lässt sie nach Deutschland schaffen. Aber als der Kaiser bald darauf stirbt, können beide zusammen mit Papst Victor II. wieder zurückkehren und Gottfried wird nun zum Unterstützer des kleinen vierten Heinrich.

 

Mit Beatrix und Mathilde werden übrigens Frauen zu Herrscherinnen über eines der mächtigsten Fürstentümer in den Reichen des Kaisers. Zur zweiten Heirat von Beatrix schreibt Lampert von Hersfeld für 1055: Nach dem Verlust ihres ersten Gatten habe sie dem verödeten Hause (domui) einen Beschützer gegeben und als Edle ohne Nebenabsicht irgendwelcher verruchter Machenschaften einen edlen Mann geheiratet. Er vergesse Recht und Billigkeit, wenn er, ohne seine Gnade zu verlieren, das nicht gestattet sein sollte, was im römischen Reich (in imperio Romano) edlen Frauen immer erlaubt gewesen sei. Dass hochfürstliche Frauen heirateten bzw. verheiratet wurden, um Machtverhältnisse auszubauen, wird hier genauso unterschlagen wie auch, dass die Erbin eines kaiserlichen Lehens über dieses nicht nach freiem Willen verfügen konnte.

 

Mit dem Tod des Papstes endet die enge Verbindung von Papsttum und Kaisertum. 1057 wird der Bruder Gottfrieds des Bärtigen als Stephan IX. zum Papst gewählt. Von nun an werden das Haus Oberlothringen/Canossa und die Reformkräfte um das Papsttum eng zusammenarbeiten, auch wenn das überwiegend machtpolitische Gründe haben mag. So wird dann auch bald der noch von Bonifaz eingesetzte Bischof Gerhard von Florenz als Nikolaus II. Papst der Reformkräfte, dabei unter dem militärischen Schutz des toskanischen Markgrafenpaares stehend. Nach seinem Tod wird wieder ein tuszischer Bischof, Anselm von Lucca, unter dem Einfluss von Hildebrand und Beatrix zum Papst (Alexander II.) gewählt. Eine von Gottfried und Beatrix militärisch bewachte Synode von Mantua, in ihrem Machtbereich, setzt ihn dann endgültig durch. Die beiden ignorieren auch die Forderung Alexanders nach Auflösung der unkanonischen Ehe (wegen zu enger Verwandtschaft) und unterstützen ihn weiter militärisch.

 

Spätestens kurz vor dem Tod Gottfrieds 1069, vielleicht schon viel früher, wird die Ehe Mathildes mit dem Sohn ihres Stiefvaters, einem Gottfried, der wegen seines Aussehens den Beinamen „der Bucklige“ trug, eingefädelt. Damit soll die Verbindung der lothringischen mit der italienischen Herrschaft besiegelt bleiben. Bei Lampert von Hersfeld wird dieser Gozelo/Gottfried als hochangesehene Persönlichkeit beschrieben, denn, obgleich von winziger Gestalt und durch einen Buckel entstellt, überragte er die übrigen Fürsten weit durch den Glanz seines Reichtums und die Menge der auserlesensten Krieger, dazu auch durch seine ausgereifte Klugheit und seine Redegewalt. (Annales für 1075)

 

1070 ist Beatrix bereits in Italien zurück, um dort persönlich präsent zu sein. Machtentfaltung ist immer noch an persönliche Anwesenheit gebunden und in Abwesenheit ihres Mannes ist sie die mächtigste Fürstin in Nord- und Mittelitalien, so wie Gottfried mächtigster Reichsfürst nördlich der Alpen. Sie hält persönlich Gericht, belehnt Vasallen und das alles ohne eine lehnsrechtliche Absicherung durch den Herrscher über ihr.

 Mathilde wird in Lothringen offenbar eine Tochter entbinden, die kurz darauf (?) stirbt, wonach sie offenbar keine ehelichen/sexuellen Beziehungen mehr zu ihm oder einem anderen Mann wünscht. Sie flieht (?) vor ihm nach Italien, wo sie 1072 in Mantua auftaucht. Ein Versuch ihres Gemahls, sie noch im selben Jahr zurückzugewinnen, scheitert und sie sieht ihn laut Elke Goez dann nicht mehr wieder. Für den Sommer 1073 heißt es in einer Chronik: Ohne die eheliche Gemeinschaft je wiedergefunden zu haben, zog er sich ergebnislos nach Lothringen zurück. (in WGoez, S.183)

 

Das ist ein für damalige Verhältnisse unerhörter Vorgang, insbesondere, da Gregor VII. ihre Ehe aus machtpolitischen Gründen nicht annulliert, obwohl er rechtlich dazu sogar verpflichtet gewesen wäre.Der Papst schreibt an sie: Setze deinem Wunsch, Sünde zu tun, jetzt ein Ende! Wirf dich vor Maria hin und weine dich mit zerknirschtem Herzen bei ihr aus. Du wirst sie - das verspreche ich dir, - in ihrer Liebe zu dir noch bereitwilliger und versöhnlicher finden als deine leibliche Mutter. (in WGoez, S.185) Elke Goez vermutet, er habe befürchtet, dass sie ein einer Nonne gemäßes zölibateres Leben angestrebt habe, welches Gregor ihrer Truppen und ihres Geldes hätte berauben können. Lampert von Hersfeld nennt das Phänomen in seinen Annalen viuditas, also eine Art Witwenschaft.

 

Gottfried schlägt sich denn auch bis 1076 auf die kaiserliche Seite, um kurz darauf meuchlings ermordet zu werden. (Lampert von Hersfeld, Annalen zu 1076, beschreibt das anschaulich). Als dann auch noch im selben Jahr Mutter Beatrix stirbt, wird es für die Tochter immer schwieriger, ihre Besitzungen zusammenzuhalten, wobei ihr vor allem oberlothringische Güter in der Ferne nach und nach entgleiten werden. Lampert spricht immerhin davon, dass ein großer Teil Italiens ihrer Herrschaft unterstand und sie an allen Gütern, die die Sterblichen als die höchsten schätzen, weit mehr besaß als die übrigen Fürsten des Landes. (Annalen zu 1077)

 

Ihre häufige Anwesenheit in Rom bei Gregor, ihr intensiver Briefkontakt werden bekannt und führen besonders bei antigregorianischen Kreisen zu Getuschel über unkeusche Verhältnisse, das sogar in den so wichtigen Wormser Beschluss der Gehorsamsverweigerung der Bischöfe für Gregor eingeht.

 

Sie versucht nun in allerengster Verbindung mit Gregor VII. gegen alle hochmittelalterlichen Rechtsvorstellungen ihren italienischen Machtbereich zusammenzuhalten, ohne aber den Kontakt zum Kaiser ganz abzubrechen. Von daher kommt beiden Parteien dann Mathildes Vermittlerrolle auf Canossa entgegen. Nach Heinrichs erfolgreichem Bußgang hält sie zunächst den Kontakt zu ihm, der in Italien beginnt, seine Macht wiederherzustellen, während Gregor monatelang auf ihren Burgen ausharrt und auf deutsches Fürstengeleit nach Augsburg wartet.

 

Sie selbst praktizierte wohl eine sehr eigenwillige Form von Frömmigkeit, die einerseits sehr persönlich zu sein schien, andererseits aber nicht ausschließt, dass sie weiter gegen jede kirchliche Reformbemühung Bischöfe investieren und ihre Macht durch die sehr weltliche Kontrolle geistlicher Institutionen aufrechtzuerhalten sucht. Quellen behaupten, sie habe in dieser Zeit ihre Besitzungen dem Papsttum vermacht, aber sie verhält sich weiter in ihnen als Herrscherin.

 

1080 tritt Mathilde offen gegen Heinrichs Gegenpapst Wibert von Ravenna ein und verbündet sich mit dessen Gegnern in der Pataria wie in hochadeligen Kreisen. Toskanische Grafenhäuser wie auch viele Städte wie Pisa und Lucca sagen sich darauf von ihr los. Gregor schreibt an deutsche Unterstützer: Wenn Unsere Tochter Mathilde von euch keine Hilfe erhält, bleibt ihr nichts anderes übrig, als um Frieden zu bitten oder alles zu verlieren, was sie besitzt. Denn ihr kennt ja die Stimmung ihrer Vasallen, (die) die Gräfin in dieser Hinsicht für wahnsinnig halten. (in WGoez, S.191)

 

1081 zieht Heinrich IV. durch mathildische Lande und nimmt ihr förmlich alle diejenigen Güter, die sie zu Lehen hat. Unterstützt wird sie in der Toskana nur noch von dem mächtigen Grafen Guidi. Danach kann Heinrich Gregor aus Rom vertreiben. In dieser Zeit gelingt einem mathildinischen Heer ein Sieg in der Nähe von Modena. Der Abt Desiderius von Monte Cassino bittet Mathilde nach dem Tod Gregors im Salerner Exil, eine neue Papstwahl vorzubereiten. Der Abt selbst wird von wenigen Getreuen in Rom gewählt, kann sich aber nicht durchsetzen und entschwindet wieder in sein Kloster. Boten Mathildes beeinflussen dann die Wahl des Franzosen Urban II.

 

Der neue Papst fädelt im Interesse seiner Durchsetzung in Italien für die etwa 42-jährige Mathilde eine wohl rein politische Eheschließung mit dem vielleicht 16-jährigen Welf V. ein, wobei dieser am Ende die Hoffnungen der Papstpartei dann so enttäuscht, wie er sich bald um das mathildische Erbe getäuscht sieht.

 

Immerhin heißt es zunächst bei Bernold von St.Blasien: In Italien verheiratete sich die nobilissima dux Mathilde, Tochter des Markgrafen Bonifaz, Witwe des Herzogs Gottfried, mit Herzog Welf, dem Sohn Herzog Welfs. Das geschah weniger aus Unenthaltsamkeit denn aus Gehorsam gegenüber dem römischen Papst, damit man um so tüchtiger der heiligen römischen Kirche gegen die Exkommunizierten beistehen könnte. (nach Schneidmüller, S.144)

 

Aber zunächst trumpft Heinrich noch einmal militärisch auf, bevor er dann vom Welfen zurückgedrängt werden kann. Der Kaiser wird schließlich militärisch und durch die Rebellion von Sohn Konrad massiv in die Enge getrieben, und ist in der Gegend zwischen Verona und Gardasee mehrere Jahre fast untergetaucht. Die Welfen verhindern seine Rückkehr in den Norden durch Sperrung der Alpenpässe. Kaiserin Praxedis flüchtet zu ihnen und verbreitet Übles über den Kaiser. Urban II. zieht derweil erst nach Piacenza und dann nach Clermont zu seinem spektakulären Kreuzzugsaufruf.

 

Schließlich kommt es zum Bruch des jungen Welfen mit Mathilde: Welf, der Sohn Herzog Welfs von Bayern, zog sich vollständig von der Ehe mit Frau Mathilde zurück und versicherte, sie sei von ihm gänzlich unberührt geblieben. Das hätte sie gerne dauerhaft verschwiegen, wenn er es nicht zuvor unbedacht verbreitet hätte.

Letzteres ist vielleicht eine Projektion des frommen Bernold von St. Blasien.

 

Es kommt bald danach zur Verständigung mit Heinrich, der in die deutschen Lande zurück kann und nie mehr nach Italien zurückkehren wird.

 

Bild

 

Mathilde lässt sich comitissa, marchionissa und ducatrix nennen, liebt es, "hoch zu Ross mit stattlichem Gefolge und in prächtiger Kleidung durch das Land zu ziehen" (WGoez, S.188) und ihr Abbild in Donizos Huldigungsgedicht aus ihren letzten Lebensjahren würde einem König gebühren. Sie thront unter einem Baldachin in edelsten Gewändern, rechts ein Mönch mit aufgeschlagener Bibel, links ein Ritter mit langem Schwert.

 

Aber ihr Einfluss in den Städten und gegenüber ihr eigentlich untergebenen Grafen nimmt zunehmend ab, während sie zugleich über päpstliche Legaten immer mehr unter den Einfluss des apostolischen Stuhles gerät. Darüber kann auch eine gewisse Hofhaltung und der Besuch gelehrter Theologen nicht mehr hinwegtäuschen. Was ihr aber bleiben wird, sind ihre ganz erheblichen Eigengüter.

 

Darüber hinaus versucht sie durch eine ebenfalls rein machtpolitisch motivierte Adoption des Guido Guerra, Erbe reicher toskanischer Besitzungen der Guidi auf dem Lande und vieler Burgen, die Kontrolle über die Toskana zu behalten. Der pendelt zwischen aggressivem Kriegertum und Unterstützung der Reformkirche und von Reformklöstern wie Vallombrosa. Aber spätestens mit ihrer erneuten (?) Schenkung ihrer Allodialgüter an die Päpste wendet der sich zunehmend von ihr ab, fühlt er sich nun wohl getäuscht um sein angenommenes Erbe.

 

In ihren späteren Jahren kümmert sich Mathilde bevorzugt um ihr zukünftiges Seelenheil und übt sich in Einvernehmen mit Heinrich V., dem sie laut wenigstens einer Quelle ihre Besitzungen vererbt haben soll. 1115 stirbt sie kinderlos und damit beginnt die gewalttätige Auseinandersetzung um ihr Erbe, was ihren Eigenbesitz betrifft, und findet das Auseinanderfallen ihrer Herrschaftsbereiche statt. Besonders die Städte erheben sich. Die auf Belehnung und Ämtern wie auf Eigengütern auf dem Lande basierenden „feudalen“ Herrschaften gehen in Reichsitalien ihrem Ende entgegen und werden durch entstehende Stadtstaaten mit ihren Territorien ersetzt. Nicht mehr das Land, sondern die Stadt wird von nun an Zentrum der Machtentfaltung.

 

(Dieser Text beruht vorläufig überwiegend auf Elke Goez, Mathilde von Canossa)