ANHANG 20: ANMERKUNGEN ZU SCHWELLENZEIT UND LAND

 

 

Anmerkung *1 Mit etwa dem zehnten Jahrhundert gelangen wir nun an die Schwelle zu einem einigermaßen sinnvoll so zu bezeichnenden "Mittelalter". Über diese "Schwelle" gelangen wir dann hier vor allem in den Entstehungs- und Aufstiegsprozess von Kapitalismus hinein. Dabei ist immer im Auge zu behalten, dass hier betrachtete Geschichte ein Kontinuum mit kleinen und größeren Bruchstellen bleibt.

 

Dieser Übergang von einer Nachantike zu einem Mittelalter entfaltet sich in verschiedenen Gegenden des lateinischen Abendlandes an der Oberfläche von Macht und Herrschaft etwas unterschiedlich. In Ostfranzien einigen sich Große der verschiedenen Regionen auf Könige eines zukünftig römisch-deutschen Reiches, welches weder römisch noch wirklich deutsch und ohne starke Macht-Zentrale sein wird.

Der Zerfallsprozess des westfränkischen Reiches in einzelne Fürstentümer wird erst am Ende des 10. Jahrhunderts durch den Aufstieg der Dynastie der Kapetinger etwas abgebremst, aber viele andere strukturelle Veränderungen, die in die Anfänge von Kapitalismus hinein führen, sind ähnlich.

Das angelsächsische Reich von England nimmt über einige Küstenstädte mit Handel und Gewerbe an diesen kapitalistischen Wurzeln teil, bevor es erst 1066 einen größeren Bruch und Neuanfang erlebt. Italien ist in dieser Wendezeit ein Sonderfall, da sowohl die fränkischen wie die Eroberungszüge der sächsischen Kaiser keine stabile Reichsbildung ermöglichen, sondern sich eine Entwicklung hin zu den vielen späteren Stadtstaaten andeutet, wobei Süditalien längst eine Sonderrolle spielt. Solche Stadtstaaten werden dann aber ein Vorreiter auf dem Weg zu frühkapitalistischen Neuerungen sein.

Reichsbildungen im nordgermanischen und slawischen Raum werden erst mit Verspätung auftreten, wobei aber Handel, Handwerk und Christianisierung etwas vorausgehen.

 

Mit der Schwellenzeit ungefähr des 10. Jahrhunderts im lateinischen Abendland lassen wir als Mittelalter die Geschichte eines noch frühen Kapitalismus beginnen, weil wir hier die Grundlagen und Rahmenbedingungen für das deutlicher entstehen sehen, was ihn dann später zunehmend ausmachen wird. Man könnte auch stattdessen das 11. Jahrhundert dafür einsetzen, wie das Karl Bosl aus anderen Gründen tat.

 

Damit lassen wir hier dann auch ein langes Mittelalter beginnen, welches erst im 18. Jahrhundert langsam verschwindet. Das von Renaissancegelehrten ausgerufene vorzeitige Ende dürften die meisten Menschen nicht erlebt haben, vielmehr finden die großen Rupturen im 18. und 19. Jahrhundert statt und mit ihnen endet erst eine bis dahin eher kontinuierliche Entwicklung. Hier wird deshalb die "Neuzeit" des 16. bis 18. Jahrhunderts der gängigen Geschichtsbücher als letzte Phase des Mittelalters zu betrachten sein.

Immerhin: "Weder Arbeitstechniken noch Lebensstandards oder soziale Schichtungen änderten sich grundsätzlich zwischen 1000 und 1800." (Ertl, S.16) Dasselbe betrifft bis 1648 in groben Zügen die Grenzen der Herrschaften der großen Potentaten in diesem Raum. Und die Quote der Abgaben an Herrscher bzw. Staat bleiben im ehemals lateinischen Abendland noch länger niedrig, bis sie dann in den immer totalitäreren Staaten der letzten rund 200 Jahren massiv anschwellen. Und erst im späten 18. und oft auch erst im 19. Jahrhundert schwindet die Macht der Kirche über die Köpfe der Menschen deutlicher. Noch kurz vor 1789 besucht König Louis XVI. ein Krankenhaus, um dort Menschen durch diese immer noch beeindruckendes Handauflegen zu heilen. Aber inzwischen hat eine wenn auch winzige Gruppe von Belesenen im nunmehr ehedem lateinischen Abendland einem von der Theologie gelösten Operieren mit Erfahrung und Vernunft zum Durchbruch verholfen, analog zum bald anstehenden Durchbruch des Fabriksystems.

 

Erst im 18. Jahrhundert findet schließlich jener Verarmungsschub statt, der dann die billige Arbeitskraft für die neuartige Industrialisierung schafft, und erst an seinem Ende (1781) werden in Frankreich die Zünfte abgeschafft und damit das Ende des produktiven Handwerks eingeläutet. Erst seitdem auch werden Bauern "befreit", was wiederum den Ruin der bäuerlichen Landwirtschaft einleitet. Dazu dient dann in den Rheinbundstaaten und in Preußen im 19. Jahrhundert die Gewerbefreiheit als grundsätzliche Entfesselung des Kapitals.

 

Insbesondere deutsche Historiker haben dann noch ein frühes, hohes und spätes Mittelalter unterschieden, und andere haben sich angeschlossen. Ich werde versuchen, nach und nach diese so gemeinten Begriffe aus meinem Text zu eliminieren, da sie bestenfalls deutsch-zentriert durchzuhalten wären.

Sobald man anerkennt, dass die treibende Kraft des sogenannten Mittelalters die Entstehung und der Aufstieg des Kapitalismus ist, verliert diese an der Entfaltung von Herrschaft, dem üblichen Hauptthema der Geschichtsschreibung, orientierte Epochalisierung ohnehin ihren Sinn. Aber dazu muss Geschichtsschreibung erst einmal die Identifikation mit den Machthabern und ihrer Propaganda aufgeben...

 

Anmerkung *2 Im 10. Jahrhundert befinden sich Skandinavier und Slawen noch weitgehend außerhalb des seit längerem extrem geschrumpften lateinischen Abendlandes. Das nur in geringem Umfang für Landwirtschaft geeignete Skandinavien verleitete schon länger zu Raubzügen und Handel. Die Masse der Menschen sind aber Bauern wie fast überall in Europa, in der Merowingerzeit bereits in anzivilisierte kleine Herrschaften aufgeteilt, wie ein Häuptling im Süden Jütlands, der den Handelsort Ribe gründet.

 

Zur Zeit der Karolinger entsteht in Dänemark dann eine Art  Königtum, welches aber nach 870 auseinander bricht. Erst die Könige Gorm und Harald ("Blauzahn") errichten es neu und letzterer nutzt ab 865 Konversion und Christianisierung vom Erzbistum Hamburg/Bremen aus für Herrschaftszwecke.

Das Gebiet wird sich dann als eigene Kirchenprovinz Lund verselbständigen. Sein Sohn Svein erobert England und Knut herrscht Anfang des nächsten Jahrhunderts von Norwegen bis England.

 

Norwegischen Mächtigen gelingt es noch im 10. Jahrhundert nicht, eine zentrale Macht zu etablieren, die sich dann um 1000 mit der Bekehrung von Olaf Trygvasson andeutet. Schwedische Häuptlinge beherrschen die Gegend um (Alt)Uppsala und kontrollieren Birka. Im späten 10. Jahrhundert beginnt dann auch die Christianisierung der Svear, die die Götar besiegen und eine eigene schwedische Reichsbildung versuchen.

 

 

Die Leute der großen Sprachfamilie der Slawen sind zunächst in kleine Gruppen unter eher schwachen Häuptlingen aufgeteilt, ähnlich wie die Nordgermanen. Im Süden geraten sie unter die Hoheit der Awaren und des Turkvolkes der Bulgaren.

 

Die Waräger, byzantinisch Rus, beginnen als skandinavische Besiedler von Handelsstationen, Staraya Ladoga und dann Nowgorod. Siedlungen entstehen in der dichten Waldlandschaft im wesentlichen entlang von Flüssen. Im Norden kommt es zu einer Reichsbildung von Nowgorod aus und zur Herausbildung kleinerer Fürstentümer, in denen Skandinavier zusammen mit finno-ugrischen Völkern und Slawen in den Städten zu einem Volk verschmelzen werden.

 

Nicht nur in Kiew beginnen Rus mit dem Aufbau eines Fürstentums, wobei Ziel die Unterwerfung von Völkerschaften insoweit ist, dass man ihnen Tribute abzwingen kann. Fürst Igor versucht, in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts ein Großreich dieser Rus aufzubauen und scheitert. Seine Witwe Olga (Helga) übernimmt die Aufgabe und tritt zum byzantinischen Christentum über. Sohn Swjatoslaw erweitert das Reich vom Ladogasee bis zum Schwarzen Meer. Halbbruder Wladimir tötet Swjatoslaw und tritt um 988 nun auch zum Christentum oströmischer Machart über. Die Hauptstadt Kiew hat um das Jahr 1000 mehrere tausend Einwohner, große Kirchenbauten, und kann sich mit gleichzeitigen deutschen Städten messen.

 

Derweil ist die herrschende Schicht der benachbarten Chasaren jüdisch und etwa um dieselbe Zeit tritt ein Seltschuk am Aralsee mit seinen Oghusen zum Islam über.

 

Weiter westlich schaffen morawische Fürsten ein großmährisches Reich, welches die Ungarn um 900 zerstören, während ein kroatisches Fürstentum länger überlebt. Im Südosten stabilisiert sich ein Bulgarenreich.

Im westlichen Balkanraum mit seiner Weidewirtschaft halten sich noch lange andere Strukturen. Man ist abstammungs-orientierter und streng patrilinear, in Stämmen organisiert. Darum gibt es auch einen wichtigen patrilinear orientierten Ahnenkult.

 

Die slawische Einwanderung in Osteuropas große Waldgebiete ist durch Brandrodung- und Wirtschaft gekennzeichnet. Als in den fränkischen Gebieten bereits punktuell der Wendepflug Einzug hält, sind im slawischen Raum zunächst noch einfachere Pflugformen üblich.

 

Ganz im Westen formiert sich im 10. Jahrhundert unter böhmischen Fürsten von Prag aus ein durch Gebirge abgegrenzter Machtraum, von dem aus dann versucht wird, sich in Richtung des entstehenden Polens und des geschwächten Mährens hin auszudehnen. Die um Gnesen und Posen beheimateten Polen schaffen unter dem Piasten Mieszko eine rapide Expansion Richtung Ostsee, die ohne klare Grenzen bleibt. Aber ähnlich wie slawische Stämme gegen deutsche Herrschaft, so stehen andere auch vorläufig gegen die polnische auf.

 

Anmerkung 2a Viel mehr als die Rus trägt das Byzantinerreich an der Peripherie durch Handel zur Entwicklung von Kapitalismus im lateinischen Raum bei. Seine Hauptstadt kann sich an Größe und Reichtum mit den islamischen Metropolen im ehemaligen Imperium Romanum messen. Aber die inneren Strukturen, Weiterentwicklungen aus der klassischen Antike, werden ebenfalls in keinen Kapitalismus führen, sondern in seinen langsamen Abstieg. Zu inneren Wirren kommen zunehmende Angriffe von außen. Im Osten bleibt ihm nur noch Kleinasien. 941 greifen sogar die Rus unter Fürst Igor die Hauptstadt mit einer Flotte an, wie Liutprand von Cremona berichtet. In den nächsten Jahrhunderten wird die Bedrohung dann unter anderem von den Seldschuken, den Normannen, Slawen und den italienischen Seestädten ausgehen.

 

Aber unter der makedonischen Dynastie (867-1056) kommt es erst einmal zu einem wirtschaftlichen Aufschwung, der verbunden ist mit einem steten Bevölkerungswachstum. Der Fernhandel wie der regionale Handel florieren rund um das Zentrum Konstantinopel, dabei verlagert sich dort wie überhaupt im östlichen Mittelmeer der Seehandel nach und nach auf italienische Schiffe. 992 schließt Basilius II. einen ersten Handelsvertrag mit Venedig.

 

1054 wird es wieder einmal zu einem Bruch zwischen Rom und Konstantinopel kommen. Beide "christlichen" Religionen haben sich wie alles andere auch auseinanderentwickelt, von der griechischen Liturgie über barttragende "orthodoxe" Priester, bis zum mit Hefe gesäuerten Brot bei der Kommunion. In Ostrom gilt das Zölibat darüber hinaus nur für Bischöfe. Diese religiösen Unterschiede helfen bei der Abschottung des Byzantinerreiches von westlichen Entwicklungen.

 

Anmerkung *3 Den Emiren von Cordoba gelingt es nicht, ihr Gebiet weiter auszuweiten. Ganz im Gegenteil: Den asturischen Königen gelingt es bis 910, León, Astorga, Zamora und Burgos einzunehmen  so dass sie in fünzig Jahren ihr ursprünglich kleines Gebiet verdreifacht haben.

 

912-61 schafft es Abdalrahman III., den islamischen Zentralstaat El-Andalus wieder herzustellen. 932 fällt Toledo in seine Hand, aber erst 937 gelingt es, mit Zaragoza das letzte Widerstandsnest einzunehmen.

Dieser Abderrahman beginnt nach Unterwerfung von Al-Andalus sehr erfolgreich mit jährlichen Raub- und Zerstörungszügen in die christlichen Reiche hinein. Immer wenn das Getreide hoch steht oder zur Ernte gereift ist, wird es abgefackelt oder niedergeritten. Mit seinen Heeren ziehen beutehungrige Freiwillige des Heiligen Krieges, wie sie sich nennen. Es geht daneben auch darum, Tribute einzutreiben, und es kommt zunächst selten auch zu Beutezügen christlicher Herrscher gegen Al-Andalus.

 

Asturien-León gelingt es 939, den Emir wenigstens einmal zu besiegen. Es sind eher unruhige Zeiten für die Halbinsel.

Inzwischen besteht das islamische Heer zum großen Teil aus "Slaven", zu denen auch überhaupt Nordeuropäer gezählt werden. Ein großer Teil der Bevölkerung ist arabisiert und auch islamisiert.

 

Die christlichen Reiche geraten dann unter faktische Oberhoheit und Tributpflichtigkeit von Cordoba, León 959 unter Sancho I.  Könige von Leon und Navarra wie auch Grafen von Kastilien reisen nach Madinat Al-Zahrá, um dem Kalifen ihre Aufwartung zu machen, oder schicken wenigstens hochrangige Delegationen.

 

Derweil bildet sich eine Grafschaft Aragon heraus, die 924 vorübergehend unter Sanchez García in das Königreich von Pamplona  integriert wird, welches sich zu der Zeit auch Rioja angliedert. Unter García Sanchez (925-71) ist das künftige Navarra mit der neuen Hauptstadt Nájera genauso mächtig wie León.

 

Ähnlich wie in Mitteleuropa breitet sich auch im bald so genannten Katalonien wohl unter fränkischem Einfluss Roggen aus so wie in Asturien und Galizien der Roggen den Dinkel verdrängt, und der Haferanbau nimmt zu.

Die Grafschaft Barcelona kann das Bistum Vic (Vich) wiederherstellen und daneben entstehen die Grafschaften von Urgell und der Cerdanya am Rand des Pyrenäen-Hauptkamms. In die drei teilen sich Söhne des Grafen Wifred, ohne dabei noch auf Weisungen des fränkischen Königs zu warten. 965 werden die Markgafen von Barcelona formell von der Markgrafschaft Toulouse getrennt, bleiben aber zunächst noch in engem Kontakt mit Westfranzien.

 

Während die Abbassiden in Bagdad in interne Konflikte geraten und ihr Einfluss schwindet, steigen neben den Omayaden in Nordafrika die Fatimiden auf, eine Familie, die sich von Alí, dem Vetter von Mohammed, herleitet und von dessen Frau Fatima, der Tochter des Propheten. Sie proklamieren als Machtmittel die Wiederherstellung der Reinheit eines schiitischen Islam als Basis ihrer Herrschaft. 909 nehmen sie Kairouan ein, das heutige Tunis, und begründen dort ihr maghrebinisches Kalifat. Als sie dann in Marokko in gefährliche Nachbarschaft zur Omeya-Herrschaft gelangen, erklärt sich Abdalrahman III. 929 selbst zum Kalifen und wird von nun an als solcher dann in allen Moscheen von Al-Andalus im Freitagsgebet erwähnt.

 

Kurz darauf lässt der spanische Kalif Melilla und Ceuta erobern und breitet seine Herrschaft über Marokko soweit aus, dass der Import von afrikanischem Gold und Elfenbein und von Berbern zur Besiedlung erheblich zunehmen kann. Gegen die fatimidische Frömmigkeit setzt er seine eigene, die auch härtere Despotie begründet. Dann erklärt er aber ganz unislamisch seinen noch minderjährigen Sohn Al-Hakam von seiner Lieblingsfrau des Harems, einer ursprünglich christlichen Sklavin, zu seinem Nachfolger, der kaum noch den Alcázar und dann Medinat Al-Zahrá verlassen und sich auf keine Frau einlassen darf, während die zahlreichen übrigen Söhne über das Land verstreut werden.

 

Der unermessliche Reichtum des Kalifen beruht auf den immer größeren Abgaben, die er aus der Bevölkerung eintreibt, wobei eine kleine reiche Oberschicht davon ausgenommen bleibt, zudem aus seinen riesigen Privatbesitzungen, die er ansammelt, und aus den oft erfolgreichen Beutezügen gegen die christlichen Herrschaften, denen er erhebliche Tribute aufbürdet. Einnahmen, die er mit der Oberschicht teilt, resultieren auch aus den christlichen Sklavenmassen, die diese Raubzüge ebenfalls einbringen. Mit dem Bau der großen und ungeheuer prächtigen Palast- und Verwaltungsstadt Madinat Al-Zahrá 940 neben Cordoba, auf dem Höhepunkt seiner Macht, erreicht er eine Pracht, wie sie im übrigen Europa weithin unbekannt ist.

 

Es floriert vor allem eine Wirtschaft, die Luxusgüter für diese Oberschicht herstellt, Seidenstoffe, golddurchwirkte Tuche, Edelstein- und Elfenbeinschmuck. Die hochprivilegierte kleine Oberschicht wird durch eine mittlere Schicht von Besitzern von Ländereien ergänzt, die diese durch Kleinpächter bewirtschaften lassen, und die Dienste wie Abgaben mit einer gewissen Ähnlichkeit zu fränkischen, asturischen oder aragonesischen Adeligen verlangen.

 

Die Landwirtschaft produziert wie in christlichen Gegenden Südeuropas weiter Weizen, Gerste, Oliven und Wein, zusätzlich aber bringen die neuen Herren Reis, Apfelsinen, Zuckerrohr, Safran, Wassermelonen, Spinat, Auberginen, Baumwolle und anderes mehr. Große Maulbeerplantagen entstehen für die Seidenproduktion. Zudem entwickeln sie in ihrem teils ariden Andalusien hervorragende Bewässerungssysteme, deren Ansätze sie wohl schon aus Nordafrika und dem Orient kennen. In letzterem kann die Landwirtschaft in den weniger ariden Gebieten mit der Bevölkerung bis ins 11. Jahrhundert expandieren, um dann ab dem 12. eher wieder zurückzugehen.

Die Rinderzucht nimmt ab, stattdessen dienen Kamele nun für Transporte auch anstelle von Wagen. Wassermühlen existieren mit horizontalen Rädern, die später allerings nicht mit Nockenwellen verbunden werden können, von Tieren angetriebene ebenfalls horizontale Mühlen zerquetschen das Zuckerrohr.

 

Derweil entwickelt sich in den christlichen Reichen eine frühe neuartige Adelsschicht aus aufsteigenden reicheren Bauern und vom König Privilegierten, die versucht, sich über Bauerndörfer zu setzen und Bauern in Abhängigkeit zu bringen. Mit einem Einkommen, welches den Besitz eines kampffähigen Reitpferdes ermöglicht, wird man in Galizien, León und Kastilien dann zum infanzón, aus dem sich in den nächsten Jahrhundert die Schicht der Fidalgos/Hidalgos entwickeln wird, der Söhne (fijos) von denen, die etwas (algo) besitzen.

Immer mehr arme und verschuldete Bauern müssen sich einem Herrn anvertrauen, was in Galizien dann incomunicación heißt. Außerhalb Kataloniens und des östlichen Aragon entwickeln sich so recht unabhängig von den fränkischen Entwicklungen ganz ähnliche Strukturen. Über dem niedrigen Landadel teilt sich das Land in Machtbereiche oft selbsternannter condes auf, von Grafen also.

 

Während die Grafen von Kastilien im 10. Jahrhundert nach mehr Selbständigkeit streben, werden im Duero-Raum Städte wie Zamora und östlich Burgos ausgebaut. Das Land ist hier in sich teils selbst verwaltende Siedlungen aufgeteilt und in Festungen. In fueros werden bäuerliche Rechte festgeschrieben, für die aber militärische Dienste geleistet werden müssen.

 

Abderrahman III beginnt nach Unterwerfung von Al-Andalus sehr erfolgreich mit jährlichen Raub- und Zerstörungszügen in die christlichen Reiche hinein. Immer wenn das Getreide hoch steht oder zur Ernte gereift ist, wird es abgefackelt oder niedergeritten. Mit seinen Heeren ziehen beutehungrige Freiwillige des Heiligen Krieges, wie sie sich nennen.

Die christlichen Reiche geraten unter faktische Oberhoheit und Tribut-Pflichtigkeit von Cordoba. Könige von Leon und Navarra wie auch Grafen von Kastilien reisen nach Madinat Al-Zahrá, um dem Kalifen ihre Aufwartung zu machen, oder sie schicken wenigstens hochrangige Delegationen.

 

Al-Hakam setzt die Maßnahmen seines Vaters fort und nutzt das Machtvakuum, welches die Fatimiden nach ihrem Abzug nach Ägypten hinterlassen haben, für Feldzüge nach Marokko.

Er stirbt 976 und hinterlässt nur einen möglicherweise schwachsinnigen Sohn Hisham, der zum Spielball hoher Funktionäre in Cordoba wird. 981 gelingt es einem in diese Machtkämpfe verwickelten Mohammed ibn Abi Amir, sich mit einer Berbertruppe gegen eine "slavische" militärisch durchzusetzen und seine Gegner umzubringen. Er steckt den jungen Kalifen in komfortablen Hausarrest und herrscht nun ab 981 selbst mit dem Titel hayib und gibt sich den Beinamen "der Siegreiche", Almansor.  Mit Madinat al Zahira gründet er eine neue Palastanlage.

 

Als Heerführer ist er schnell enorm erfolgreich. Selbst Orte wie Pamplona, später Barcelona und Santiago de Compostela werden kurz überfallen, ausgeraubt und zerstört, bevor das Heer sich schnell wieder zurückzieht. Im Chronicon de Sampiro heißt es zu Santiago: Er riss alle Kirchen, Klöster und Paläste ein und verbrannte sie im Feuer. (Quelle in: Manzano, S.812)

Da die Muselmanen das "Grab des Jakobus" in Santiago als Kaaba der Christen ansehen, lassen sie es intakt, während die Stadt komplett zerstört wird. Coimbra wird ebenfalls zerstört, dann aber dauerhaft gehalten und muslimisch neubesiedelt.

 

Immer mehr Leute in Al-Andalus lösen, wie auch später in geringerem Umfang in den Frankenreichen  und noch später in England ihre Militärpflicht mit Zahlungen ab. Das führt dazu, dass zunehmend Berbertruppen aus Nordafrika von Almansor ins Land geholt werden, was die Herrenschicht ethnisch weiter verändert.

 

Derweil erobern um 970 Fatimiden Ägypten und gründen dort Kairo. Sie nehmen dann Damaskus ein und bringen Mekka und Medina unter ihre Kontrolle. Derweil geraten die Abbassiden in ihrem Palast in Samarra immer mehr unter die Kontrolle von Turk-Truppen.

 

Anmerkung 3a Darüber hinaus übernehmen Gelehrte in islamischen Städten griechisches Gedankengut und anverwandeln es ins Arabische. Auf diesem Weg wird ein gewisser Teil griechischer Gelehrsamkeit nicht über das antike Rom, sondern über die islamische Welt an das lateinische Abendland vermittelt werden. Seit sich im 10. Jahrhundert Medressen entwickeln, Schulen privater Stifter, steigt das Bildungsniveau der dort unterrichteten kleinen Gruppe junger Männer beträchtlich.

 

Anmerkung 3b Während sich in Skandinavien eine Schwellenzeit mit einer gewissen Verspätung einstellen wird, werden die Reiche der Rus und der Romania/Ostrom dauerhaft draußen bleiben, und dasselbe gilt besonders auch für Afrika. Dabei hat dieses ganz massiv zwei Waren zu liefern, und zwar auf direktem Wege in die islamische Welt: Das sind Gold und Sklaven. In der Nordhälfte Afrikas verschränken sich dabei zwei Dinge ineinander, nämlich der Handel und die Islamisierung.

 

Schwarzafrikanische Sklavenjagd und entsprechender Sklavenhandel hat eine Tradition, die wohl bis in die Antike zurückgeht. Negroide Händler werden etwa ebenso viele schwarze Sklaven in die islamische Welt verkaufen wie später an weiße Händler, die sie über den Atlantik verschiffen. Nach 650 bis um 1900 sollen so insgesamt weit mehr als 20 Millionen Schwarzafrikaner von ihren Landsleuten eingefangen und verkauft worden sein.

 

Diese Sklaven dienen in der islamischen Welt als Haussklaven, und dabei z.B. als Eunuchen zur Aufsicht über den Harem. Zu diesem Zweck kastrieren die Sklavenhändler schon junge Sklaven. Deutlich mehr Männer noch landen als Militärsklaven in den Heeren islamischer Herrscher. Als Ibn Tulun im 9. Jahrhundert Ägypten kontrolliert, stehen ihm unter anderem Zehntausende schwarzafrikanische Militärsklaven zur Verfügung.

 

Schließlich dient ein Teil der weiblichen menschlichen Ware in der islamischen Welt auch als Sexsklavinnen. Dafür dienlich sind (bis heute) islamische Gesetze, die z.B. die Kurzzeit"ehen" über Tage oder auch nur Stunden erlauben. Ibn Butlan, auch Verfasser des 'Tacuinum sanitatis in medicina', lobt besonders die versklavten Bewohnerinnen einer Region in Ostafrika, wenn sie denn jung und noch unberührt sind, weil sie in dieser Gegend die Beschneidung praktizieren. Mit einem Rasiermesser entfernen sie die komplette äußere Haut auf der Vulva bis auf den Knochen. (in: Hansen, S.159) Ein Ratgeber für den Sklavenkauf aus dem 11. Jahrhundert besagt u.a. über die Frauen eines ostafrikanischen Volkes: Sie haben einen goldenen Teint, schöne Gesichter, grazile Glieder und eine zarte Haut. Sie geben angenehme Bettgespielinnen ab, wenn man sie aus ihrem Land holt, solange sie noch jung sind. (in: Ertl, S.53)

 

Das islamische Recht erlaubt Sklavenbesitzern Geschlechtsverkehr mit ihrem Eigentum, verlangt allerdings die Legitimierung der Nachkommenschaft, was deren Freilassung nach sich zieht. Auch dadurch bricht die Nachfrage nach Sklaven nie ab, während in der lateinischen Schwellenzeit der Nachwuchs von Sklaven weiter Eigentum des Herrn bleibt und offiziell nicht sexuell missbraucht werden darf. Entsprechend ziehen in unserer Schwellenzeit jährlich Kamelkarawanen von insgesamt über 5000 Sklaven alleine durch die Sahara nach Norden

 

Alt-Simbabwe steigt über Sklaven und Gold zu einer Stadt auf, die in ihrer besten Zeit vielleicht 10 000 Einwohner hat. Es soll pro Jahr etwa eine Tonne Gold gefördert und verkauft haben. Andere Handelsstädte erreichen wenigstens ca. 5000 Einwohner. Daneben errichten Suaheli in Ostafrika mit unter anderen Mombasa und Mogadischu bedeutende Handelsstädte bis hin nach Sansibar und bedienen das Rote Meer bis Ägypten und den Indischen Ozean mit Gold, Hölzern und Elfenbein, wobei letzteres bis ins lateinische Abendland gelangt und dort zu handwerklichen Kunststücken verarbeitet wird.

 

Ein zweites auf Gold (von den Ufern des Senegal) basierendes Reich ist das von Ghana mit Städten wie Djenné, das an Größe die deutschen Städte der Zeit übertrifft. Der Reichtum des Herrschers beruht auf seiner Macht über das Gold, welches über almoravidische Händler Marokkos nach Spanien gelangt.

 

Anmerkung 3c Das hier interessierende Asien, weitab von den Regionen des lateinischen Abendlandes, in denen Kapitalismus entsteht, ist geteilt in nördliche Steppen- und Wüstenlandschaften vom Kaspischen Meer bis zur Mongolei, die als Handelswege dienen, und in alte Zivilisationen von Persien über Indien bis China, die Rohstoffe und Fertigprodukte anbieten, die teilweise von herausragender technischer Perfektion sind. Geteilt ist der Kontinent auch in drei Großreligionen: Den in unserer Zeit weit vordringenden Islam, den Buddhismus und den Hinduismus.

 

Im Raum des heutigen Usbekistan herrschen die Mitglieder der Saman-Familie, die sich schon im 9. Jahrhundert nur noch nominell den Abbassiden unterstellen. Als kriegerisches Volk machen sie enorme Mengen an Kriegsgefangene, die sie in Bagdad, Kairo und anderswo verkaufen, wodurch sie erhebliche Reichtümer anhäufen. Um den Marktwert der Sklaven zu erhöhen, richten sie sogar eine Schule für Militärsklaven ein (Hansen, S.194). Mit der Hauptstadt Buchara und mit Samarkand entwickeln sie zwei große und bedeutende Städte.

 

Um 914/943 rebellieren aus Turkvölkern bestehende Militärsklaven gegen den letzten Samanidenherrscher und ein Teil zieht ab nach Ghazna (Ghazni im heutigen Afghanistan). Sie zwingen den dortigen Völkern den Islam auf und errichten unter Sultan Mahmud ein Riesenreich, welches bald über Persien, Afghanistan, das heutige Pakistan und Nordindien herrscht. Ghazna wird mit dem Gelehrten Al Biruni und dem persischen Dichter Firdausi, die beide dorthin ziehen, zu einer Metropole belesener Schriftlichkeit.

 

In Xinjiang, welches riesige Gebiet nordöstlich an Afghanistan und Kaschmir anschließt, etabliert sich eine Karakhaniden-Dynastie, welche den Großraum islamisiert und westlich bis nach Buchara ausdehnt. Wiederum östlich von ihnen etabliert sich ein Reich der Kitan, in dem neben Kitan Chinesisch, Uigurisch und manche andere Sprache gesprochen und vorwiegend Buddhismus gepflegt wird.

 

Südlich vom Liao-Reich herrschen die südchinesischen Song-Kaiser zwischen 960 und 1279, weiter östlich liegt Korea und noch etwas weiter nach Osten Japan, allesamt damals mehr oder weniger buddhistisch. Während die Liao und die Song Handel bis nach Indonesien und Indien und sogar bis in den (von Europa aus gesehen) Nahen Osten betreiben, schließt sich Japan stärker ab, und lässt "internationalen" Handel nur über den Hafen von Fukuoka auf Kyushu zu.

 

Vor den Europäern entwickeln Chinesen den Wendepflug und das Kummet. Von Süden dringt der Nassfeld-Reisanbau nach Norden vor, auch unter dem Einfluss des vietnamesischen Champa-Reiches. Dami wird Bewässerung wichtig, dabei fehlen Ochse und Pferd, stattdessen gibt es Wasserbüffel. Die Bevölkerung vermehrt sich dabei erheblich. Da Reis kein Brotgetreide ist, verbreiten sich auch keine Wassermühlen. Zudem werden kaum gewerblich nutzbare Pflanzen angebaut.

 

Lange vor Europäern benutzen Chinesen um das Millennium den magnetischen Bordkompass. Sie befahren mit dem Seeweg vom Persischen Golf nach Guangzhu (Kanton) eine fast doppelt so lange Strecke wie Kolumbus fünfhundert Jahre später. China liefert per Schiff bis nach Afrika Keramik, Textilien und Waren aus Gold, Silber und Eisen. Insbesondere chinesische Töpferwaren genießen hohes Prestige, und zwar sowohl kunstvolle Einzelstücke wie Massenwaren in nie dagewesenem Umfang. Insgesamt erwirtschaftet China einen enormen Handelsüberschuss über handwerkliche und manufakturielle Produktion.

 

In der Zeit der lateinischen Nachantike entwickelt sich China zum wichtigsten und am meisten globalisierten Handelsreich der Welt. Guangzhu und Quanzhu sind unter den Song-Kaisern wohl die bedeutendsten der damals bekannten Hafenstädte, beides Millionenstädte wie die Hauptstadt Kaifeng.

 

Zwischen China und Afrika liegen mächtige Reiche wie das der Chola in Südindien, die den Hinduismus verbreiten, buddhistische Klöster plündern und zerstören und bis nach Ceylon vordringen. Ihr Teil von Indien treibt Handel über die ganze Halbinsel hinaus mit Malaya und Persien.

 

Das Srivijaya-Reich von Sumatra liefert nicht nur den Chinesen Stoßzähne von Elephanten, Hörner des Rhinozeros und Aromastoffe. Um riesige Tempelanlagen wie das javanische Borobodur konzentriert sich die mächtige Herrschaft der mit den Srivijaya liierte Sailendra-Dynastie mit voll ausgebildeter Marktwirtschaft und hochentwickeltem Handwerk. Reis und Pfeffer werden exportiert, letzterer nach China, und Gewürznelken, Sandelholz und Muskat werden eingeführt. Es gibt zudem regional beschränkten Sklavenhandel.

 

Ein anderes Machtzentrum bildet sich in Kambodscha um die Angkor-Dynastie, die sowohl Buddhismus wie Hinduismus duldet. Solche Tempelanlagen wie Angkor Wat (über 200 Quadratkilometer und wenigstens 800 000 Einwohner) mit ihren für damalige Verhältnisse riesengroßen Städten sind im lateinischen Europa noch lange undenkbar. Zwischen den Herrschaften von Angkor und China herrscht beträchtlicher Handelsverkehr.

 

Anmerkung 3d Viel mehr als die Rus trägt das Byzantinerreich an der Peripherie durch Handel zur Entwicklung von Kapitalismus im lateinischen Raum bei. Seine Hauptstadt kann sich an Größe und Reichtum mit den islamischen Metropolen im ehemaligen Imperium Romanum messen. Aber die inneren Strukturen, Weiterentwicklungen aus der klassischen Antike, werden ebenfalls in keinen Kapitalismus führen, sondern in seinen langsamen Abstieg. Zu inneren Wirren kommen zunehmende Angriffe von außen. Im Osten bleibt ihm nur noch Kleinasien. 941 greifen sogar die Rus unter Fürst Igor die Hauptstadt mit einer Flotte an, wie Liutprand von Cremona berichtet. In den nächsten Jahrhunderten wird die Bedrohung dann unter anderem von den Seldschuken, den Normannen, Slawen und den italienischen Seestädten ausgehen.

 

Aber unter der makedonischen Dynastie (867-1056) kommt es erst einmal zu einem wirtschaftlichen Aufschwung, der verbunden ist mit einem steten Bevölkerungswachstum. Der Fernhandel wie der regionale Handel florieren rund um das Zentrum Konstantinopel, dabei verlagert sich dort wie überhaupt im östlichen Mittelmeer der Seehandel nach und nach auf italienische Schiffe. 992 schließt Basilius II. einen ersten Handelsvertrag mit Venedig.

 

1054 wird es wieder einmal zu einem Bruch zwischen Rom und Konstantinopel kommen. Beide "christlichen" Religionen haben sich wie alles andere auch auseinanderentwickelt, von der griechischen Liturgie über barttragende "orthodoxe" Priester, bis zum mit Hefe gesäuerten Brot bei der Kommunion. In Ostrom gilt das Zölibat darüber hinaus nur für Bischöfe. Diese religiösen Unterschiede helfen bei der Abschottung des Byzantinerreiches von westlichen Entwicklungen.

 

Anmerkung 3e Fraxinetum beim heutigen St.Tropez untersteht dem Kalifen von Cordoba. Von hier kommen Holz für den Flottenbau und Sklaven, und von hier aus werden die Provence, die Westalpen und Ligurien ein Stück weit kontrolliert.

 

Anmerkung 4 Dazu gehören seit dem Aachener Tierpark Karls ("des Großen") auch ähnliche Tiergärten zum Beispiel der Ottonen. Hugo ("der Große") schenkt ihnen zwei Löwen, der Pole Mieszko Otto III. ein Kamel (Thietmar, IV,9), und selbst der tuszische Markgraf Bonifaz hält Löwen. Tiere zum Vergnügen und als Ausdruck von Macht einzusperren gehört eben zum Repertoire aller Natur verachtenden Zivilisationen.

 

Anmerkung *4a Im 15./16. Jahrhundert entwickelt sich aus dem lateinischen status der italienische stato, eine Form verfasster Macht. Staat (aus dem Lateinischen) und Stand (aus dem Germanischen) sind im sich entwickelnden Französischen beide état. Es gibt den Stand der Ehe, den état als Zustand der Kasse, also den Haushalt des Machthabers und seine Hofhaltung, aber eben auch bald den geistlichen und andere Stände, und die Unterständischkeit von fast allen, die noch im französischen 15. Jahrhundert aus höfischer Sicht vilains sind, ein Wort, welches ursprünglich die Bauern bezeichnet und bald nur noch den dummen Pöbel bezeichnen wird. Erst zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert erhält der heutige "Staat" als zentral gesteuerter Machtapparat langsam seinen Namen.

 

Anmerkung 4b Für das Jahr 1027, etwas nach unserer Zeit hier, aber diese schon erhellend, verfasst der königliche Kaplan Wipo in seinem Tatenbericht Konrads II. eine Rede von zwei Grafen, die ihre Haltung zum König und dem aufständischen Schwabenherzog Ernst diesem gegenüber begründen:

Wir wollen nicht, dass es verdunkelt würde, dass wir euch unverbrüchlich Treue (fidem) schworen gegen alle außer denjenigen, der uns euch gegeben hat. Wären wir Unfreie (servi) unseres Königs und Kaisers, und von ihm eurer Rechtsgewalt (iuri vestri mancipati), dann würde es uns nicht erlaubt sein, uns von euch zu trennen. Nun aber, da wir frei (liberi) sind und als höchsten irdischen Beschützer unserer Freiheit (nostrae libertatis) unseren König und Kaiser haben, verlieren wir, sobald wir jenen verlassen, die Freiheit (libertatem), die, wie jemand gesagt hat, kein guter Mann verliert, es sei denn mit seinem Leben. (in: Esders, S.102) 

 

Anmerkung *5 Aber in einer Urkunde Konrads II. von 1025 werden als Zensualen bestätigte ehedem schiere Hörige auch als domini ac domine angesprochen werden. (Esders, S.106) Die Benennungen sind nicht normiert.

 

Anmerkung *6 Wo dabei der Übergang vom Herren zum Adeligen stattfindet, ist eine Frage, die die erhaltenen Quellen nicht zu interessieren scheint. Aber es gibt Andeutungen: Immerhin schimpft schon Thegan in der Zeit Ludwigs ("des Frommen") gegen die Unfreien, welche zu hohen Positionen aufgestiegen seien und dann gleich versuchten, ihre niedrig geborene Verwandtschaft durch Verheiratung mit Adligen gesellschaftsfähig zu machen. (GoetzEuropa, S.318) Der Kaiser hat dich zum Freien gemacht, nicht zum Edlen, was unmöglich wäre. (Vita Ludwigs, cap.44) Geadelt wird man danach nicht, sondern einen adeln Ahnen, Besitz und Macht.

 

Anmerkung *7 Für den Mönch und Geschichtsschreiber Ademar von Chabannes aus Angoulême sind um das Jahr 1000 in Westfranzien nur duces und comites Adel  im Sinne von nobilitas.

Für Fleckenstein spiegelt sich in der Schichtung der Vasallen die Ambivalenz eines entstehenden neuen Adels: Er gehört in der militia zu den Vasallen, "steht aber gleichzeitig über ihnen, da er der Senior seiner Vasallen ist (…)." (S.53)

 

Anmerkung *8 "Hatte der Verstorbene sich nichts zuschulden kommen lassen und hatte er einen erwachsenen Sohn, dann sprach nichts dagegen, diesem das Lehen oder Amt zu übergeben. Es sprach sogar alles dafür, denn das Lehns- oder das Amtsgut war ja in den Jahrzehnten zuvor zusammen mit den Allodien, den Eigengütern, und anderen Lehen bewirtschaftet und verwaltet worden. Es aus diesen gewachsenen Strukturen herauszulösen, war ein schwieriger Vorgang, weil man zumeist über die genauen Grenzen und Gegebenheiten gar nicht Bescheid wusste." (Althoff(5), S.54) Was zunächst nur praktisch ist, wird dann im Laufe der Zeit zur erwarteten Gewohnheit.

 

In den Annalen des Lampert von Hersfeld zu 1071 wird das rückblickend für Flandern zusammengefasst:

In der Grafschaft Balduins und in seiner Familie war es schon seit Jahrhunderten ein durch ein ewiges Gesetz geheiligter Brauch, dass einer der Söhne, der dem Vater am besten gefiel, den Namen des Vaters erhielt, und allein die Würde eines Fürsten von ganz Flandern erbte, die übrigen Söhne aber entweder ihm untertan und seinen Befehlen gehorchend, ein ruhmloses Leben führten oder außer Landes gingen und es lieber durch eigene Taten zu etwas zu bringen versuchten, als sich in Müßiggang und Stumpfheit über ihre Dürftigkeit mit eitlem Stolz auf ihre Vorfahren hinwegzutrösten. Das geschah, damit nicht durch Aufteilung der Provinz der Glanz des Geschlechts durch Mangel an Vermögen getrübt würde.

Unübersehbar ist, in welchem Maße ein Mönch hier adelige Wertvorstellungen bedenkenlos übernimmt.

 

Dabei sah das fränkische Erbrecht bislang die reguläre Erbteilung vor. Diese, und damit die Zersplitterung von Besitz und honores (Titeln) wird vermieden, wenn man "überzählige" Söhne für den geistlichen Stand bestimmt. Oft beginnt das allerdings erst mit dem dritten Sohn, da der erste in gefährlichen Zeiten vorzeitig sterben könnte.

 

Anmerkung 9 In der Historia Welforum, die allerdings vielleicht erst um 1120 entsteht, wird bis in die Römerzeit zurück gegangen werden. Die Staufer führen sich am Ende bis auf Chlodwig zurück. Inwieweit die Herrschaften solche Geschichten selbst glauben, ist eine andere Sache.

 

Anmerkung 10 Arno Borst gibt ein Bild vom frühmittelalterlichen Krieger:

...der niedere Adel Frankreichs war eine Horde von Draufgängern, die nur Erfolg und Faustrecht anerkannten. Sie paktierten mit Tod und Teufel und überfielen jeden Schwachen. Rücksichtnahme war Feigheit, der tapferste Gegner wurde ohne jede Ritterlichkeit rabiat niedergehauen. Neben dem Raubkrieg war der Lieblingssport dieser Frischluftfanatiker die Hetzjagd auf Großwild... Das Geraubte und Erjagte gab man mit vollen Händen wieder aus; knausern mochten die Schwächlinge, die selber arbeiteten. Keuschheit und Zucht galten gleichfalls als Geiz; die engen Holztürme, in denen sie wohnten, wimmelten von unehelichen Kindern und niemand schämte sich ihrer. Das Leben im Turm spielte sich in lärmendem Gedränge ab. Man saß dicht nebeneinander auf langen Bänken und griff sich das Fleisch aus der Schüssel mit den Fingern; was übrigblieb, schnappten die Hunde, oder es fiel ins Stroh, das den kalten Boden deckte. Lesen und Schreiben konnten die Herren selten. Höchstens ließ sich einer vorlesen von gewaltigen Recken, die waren, wie er es sich wünschte, muskelstark, tollkühn, von unerschöpflichem Appetit. Man war eher abergläubisch als fromm; die Frauen wurden wenig geachtet und viel geschlagen. (Borst, S.219f)

 

Das entspringt allerdings dem Vorstellungsvermögen eines akademischen Schreibtischtäters, der hier ein emotional gefärbtes Kontra zu modischen Ritterlichkeitsvorstellungen darlegen möchte.

 

Anmerkung 11 Der Radius des durch Immunität ausgezeichneten Banngebietes des Klosters Cluny beträgt im 10. Jahrhundert am Ende sieben Kilometer. Außerhalb davon gibt es Burgbezirke mit ihren Vögten. Diese tendieren dazu, sich zu verselbständigen und ihre Eigeninteressen stärker zu vertreten.

 

Anmerkung 12 Darüber hinaus beginnen befreundete Klöster Gebets-Verbrüderungen einzugehen, in denen sie Namenslisten austauschen, die in die jeweiligen Gebete eingehen sollen.

Schon 762 verpflichteten sich unter der Führung des bedeutenden Bischofs Chrodegang von Metz in Attigny "44 fränkische Bischöfe und Äbte dazu, im Todesfall eines Verbrüderten je 100 Messen zu lesen oder 100 Psalmen zu singen, und ähnliche >Vorsorgen< unter Bischöfen durchziehen noch den gesamten Zeitraum." (GoetzEuropa, S.246) 200 Jahre später gilt das dann auch für den Stifteradel.

 

Besonders hervor tut sich dabei Cluny insbesondere dann im 11. Jahrhundert, wo  viele Priester an zahlreichen Altären fast unentwegt Messen für die Toten lesen. Da derartige Memorialstiftungen oft mit Armenspeisungen verbunden werden, kann das Kloster dabei an die Grenzen seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit kommen.

 

Anmerkung 13 Hagen Keller beschreibt anhand eines Diploms Ottos ("d.Gr.") von 969 die Dimensionen des Besitzes eines solchen Hochadeligen namens Ingo. Diesem fidelis bestätigt der Kaiser Besitz in Grafschaften von Bulgaro, Lomello, Pombia, Mailand, Ivrea, Pavia, Piacenza und Parma. Dazu gehören wenigstens 10 Herrenhöfe (curtes, meist mit einem castrum versehen, "darunter eine curtis cum castro in derr Stadt Novara selbst." (Oberitalien, S. 254). In der Urkunde wird Ingo samt Söhnen weitgehende Immunität gewährt, was Abgaben und Gerichtsbarkeit betrifft.

Von einem dieser Herren ist das Privileg erhalten, beim Kastell Jahrmarkt abzuhalten, ohne dafür selbst Abgaben zu zahlen. Wenige Jahre später taucht Ingo dann als miles des Novareser Bischofs auf, wie eine Generation später einer seiner Söhne. Vermutlich hat ihm der Bischof Land verliehen/verpachtet, um sich seiner Treue zu versichern.

 

Anmerkung 14 Die Briten, durch die Angelsachsen auf das spätere Wales reduziert, werden von diesen als Grenzbewohner bezeichnet, was sie dann auf Lateinisch zu Wallenses macht. Sie besitzen in groben Zügen eine gemeinsame keltische Sprache und viele "Könige", die man zunächst besser als regionale Häuptlinge bezeichnen sollte. Ihr rudimentäres Christentum erlaubt ihnen das Konkubinat mit mehreren Frauen, die Gleichstellung aller Kinder, die leicht zu erreichende Ehescheidung und manches mehr. Sie werden dann im späten Mittelalter durch weitere Christianisierung und sonstige Überfremdung verändert, schließlich durch Eroberung und Anglisierung unter eine gemeinsame (englische) Verwaltung gebracht, die sie zunächst eher als französisch bezeichnen.

Die gälisch sprechenden Leute von Alba, dem Zentrum des späteren Schottland, die Albanaic, werden von außen und lateinisch als Scotti bezeichnet. Mit der Übernahme anglonormannischer Machtstrukturen durch ihre Könige und immer größere Kreise der zum Teil aus dem Süden einwandernden Oberschicht und die damit verbundene Ausweitung des Reiches wird Scocia zu dem Namen, den sie dann selbst ihrem Land geben.

 

Anmerkung 15 Thietmar von Merseburg ist auf sein Bistum und wie Widukind auf sächsische Geschichte und die der sächsischen Kaiser fixiert, insofern eben auch auf Ostfranzien. Westfranzien ignoriert er weitgehend und setzt seine Sachsen vor allem von den ihn umgebenden Slawen ab.

 

Wenn im 10. Jahrhundert zunächst aus dem damaligen Sachsen und dann auch dem damaligen Franken heraus geherrscht wird, dann auch deshalb, weil Alemannien und Bayern alte Königsherrschaften sind, als deren Erben nun Herzöge auftreten. Das wird sich erst gegen Ende des Jahrhunderts und dann besonders im nächsten ändern. Bis dahin behalten sich beide Herzöge viele königliche Rechte vor. Dabei vertreten sie nicht irgendwelche Stammesrechte, sondern die Interessen ihrer Familien, was besonders dort deutlich wird, wo es weder alemannische noch bayrische Große mehr sind, die dort herrschen, sondern Mitglieder der Königsfamilie, die so versorgt werden.

 

Aber es gibt ein Gemeinsamkeitsgefühl zum Beispiel der Sachsen, deren Oberschicht deutlich die Fremdheit der Griechin und Kaisergemahlin Theophanu bemerkt. Leider erfahren wir von solchen Gemeinschafts-Bindungen der Masse der produktiven Bevölkerung kaum etwas in Texten, da diese sich für sie kaum interessieren.

 

Anmerkung 16

Beispielhaft dafür ist die de molinis (...) ratio der Statuten des Klosters Corbie:

Erstens, dass einem jeden Müller ein mansus und sechs Tagwerk an Land (ex bonuaria de terra) gegeben werden; weil wir wollen, dass er etwas hat, aufgrund dessen er das, was ihm zu tun befohlen wird, tun kann, und er jenes Mahlen gut und richtig macht: dass heißt, dass er Ochsen und anderes Vieh hat, mit denen er erarbeiten kann, wovon er und seine ganze Familie leben können; er soll Schweine, Gänse und Hühner füttern, die Mühle in Ordnung halten und alles Bauholz heranbringen, das zum Ausbessern jener Mühle dient, die Schleuse ausbessern, Mühlsteine heranbringen und alles, was eben dort nötig zu haben oder zu tun ist, soll er er haben und tun können. Und gleichermaßen wollen wir nicht, dass er irgend einen anderen Frondienst tut: weder mit dem Karren noch dem Pferd, er soll keinen Handdienst leisten, nicht pflügen, nicht säen, kein Getreide oder Heu einbringen, kein Getreide malzen, keinen Hopfen und kein Feuerholz zinsen oder sonst irgendetwas für die Herrschaft verrichten, sondern er diene ausschließlich sich und seiner Mühle. (...) Das, weil nämlich 2000 Scheffel Mehl von den Mühlen zu unserer Verfügung zum Kloster kommen müssen (... in: Kuchenbuch, S.115f)

 

Anmerkung 17 Guy Bois hat für Weiler in der Nähe von Cluny im Mâconnais herausgefunden, dass die Sklavenfamilien gegen Ende des 10. Jahrhunderts dort noch etwa 15% der Gesamtbevölkerung ausmachen. Sie gehören den wenigen Familien freier Bauern, die mehr als zwei und manchmal sechs oder sieben "Bauernstellen" besitzen, was gewährleistet, dass sie nicht mit ihren eigenen Händen arbeiten müssen. (Bois, S.36ff).

 

Anmerkung 18 Zwischenstufen bilden u.a. auch die wohl aus dem Besitz des römischen Fiskus über den fränkischer Könige hervorgegangenen norddeutschen Liten, die in Süddeutschland Barschalken heißen. Sie sind rechts- und vermögensfähig und insofern frei, andererseits aber dienst- und zinspflichtig und an die Scholle gebunden. Der Schalk ist in dem Wort ein Knecht.

 

Anmerkung 19 Ein Arleius verkauft in der Nähe von Cluny einen Teil seines Erbes an das Kloster für 17 Solidi, erhält aber nur 7, da er dort bereits mit 10 Solidi verschuldet ist.  Ein Richelmus verschenkt seinen gesamten freien Besitz dem Kloster, 19 Parzellen, von denen er 9 von Kleinbauern erworben hatte (Bois, S.64f).

 

Anmerkung 20 In einer Prozessionsordnung der Abtissin von Schildesche in Westfalen heißt es 939:

Wir verordnen, dass ihr jährlich am 2. Pfingsttag unter dem Beistand des hl.Geistes den Patron in euren Pfarrdistrikten in langer Prozession herumtragt, eure Häuser reinigt, statt des heidnischen Flurumgangs unter Tränen und Hingebung selbst trauert und zur Labung der Armen Almosen einsammelt. Auf dem Klosterhof sollt ihr dann übernachten und über den Reliquien feierlich Nachtwache halten und singen, so dass ihr am besagten Tage frühmorgens den von euch beschlossenen Umgang durch fromme Fahrt beendet (... in: Goetz, S.140) Damit soll in nun christlicher Weise reichere Ernte und gutes Wetter beschworen werden.

 

Anmerkung 21 "Das Aachener Konzil von 816 bestimmte, an jedem Dom sei ein Kanonikerkolleg einzurichten, zu dessen Pflichten u.a. auch die Pflanzung und der Unterhalt eines Weinbergs gehörte." (Gilomen, S.41)

 

Anmerkung 22 In den germanischen Rechtsvorstellungen war die Eheschließung eine "Privatsache" der betroffenen Familien, die sich in der Verehelichung ihrer Kinder miteinander verbanden. Diese Verbindung betraf Eigentum, Machterweiterung, Ansehen, gegenseitige Hilfeleistung und andere praktische Erwägungen. Darum tendierten Eheschließungen zu einer gewissen Endogamie, die Kinder sollten im engeren oder weiteren Verwandtschaftskreis verheiratet werden, damit der Besitz in möglichst engem Rahmen zusammengehalten wird.

 

Anmerkung 23 Wie komplex sich das Zusammentreffen von Christentum und Germanen auswirkte, lässt sich an Vorstellungen erkennen, wie sie das Gesetzeswerk des Liutprand für langobardische Frauen festlegt. In seinem Kapitel 204 findet sich einerseits die Bestimmung, dass die Frau ihr Leben lang im mundium, der germanischen munt des Mannes verbleibt, also des Vaters, des Ehemannes, danach des Sohnes. Das heißt aber auch, sie ist frei über ihren freien Vater und Mann. Sie bleibt aber immer unter der rechtlichen Vormundschaft des einen oder anderen.

Andererseits muss der zukünftige Ehemann ihr vor der Hochzeitsnacht Geschenke machen, und auf die Hochzeitsnacht folgt die „Morgengabe“ von einem Viertel seines Eigentums. Die rechtliche Ohnmacht wird also durch erhebliche wirtschaftliche Macht kompensiert. Diese quarta wird im Süden Italiens bis in die Neuzeit hinein erhalten bleiben als germanisches Element einer Stärkung der weiblichen Situation. (Jean-Pierre Martin, Les Lombards, derniers barbares du monde romain. www.clio.fr./BIBLIOTEQUE/les-lombards-derniers-barbares-du-monde-romain.asp.)

 

Anmerkung 24 Wieweit die Kirche damit bereits in königliche Familien hineinregiert, zeigt der frühe Fall von König Lothar II., der mit der hochadeligen Thietberga verheiratet ist, die kinderlos bleibt, während er gleichzeitig ein Verhältnis zu seiner Friedel Waldrada hat, von der er einem Sohn bekommt. Nach Jahren gelingt es ihm 862, seine Ehe auf einer Synode zu Aachen für ungültig erklären zu lassen, da er die Ehefrau der Blutschande bezichtigt. Thietberga appeliert an den Papst, der 865 den König zwingt, Thietberga wieder als Gemahlin anzunehmen und Waldrada exkommuniziert. Die Scheidung wird dann hingenommen unter der Bedingung, dass beide Partner fürderhin ehelos leben.

 

Anmerkung 25 In Rom zum Beispiel werden noch im zehnten Jahrhundert ein Drittel der überlieferten (Oberschicht-)Leute matronym benannt, wie Crescencius de Theodora, Stephan de Imiza, Gregorius filius Maroze senatrix. Das mag allerdings auch etwas damit zu tun haben, dass es sich dabei um besonders machtvolle Frauen handelt.

Aber diese weibliche Rolle geht wohl schon im Verlauf des 10. Jahrhunderts zurück. Männlich bezogene Zunamen nehmen dabei zu. Zwar entspricht der weibliche Erbteil zunächst noch in etwa dem männlichen, aber in großen Teilen Italiens des 11. Jahrhunderts geht er bereits zurück, im 12. Jahrhundert noch stärker. Dabei werden die Mädchen auf die Mitgift und die Gabe des Bräutigams (dos) als Hälfte der Mitgift zurückgeworfen. Die Verfügung über Land gelangt immer mehr in männliche Hände. Damit wird im Laufe der Zeit auch das öffentliche Auftreten von Frauen geringer werden.

 

Anmerkung 26 „...a donation made by the Marchesa Willa in 978 to the Florentine monastery known as the Badia shows that one third of an estate at Signa in the Arno valley only a few miles from the city was uncultivated; at another estate in the same region, the proportion of waste was five-eighth, while at Bibbiano in the Valdelsa, near the boundaries of Florentine territory, the uncultivated part of the estate was ten times the area where grain, vines and olives were grown.“ (Hythe, S.25)

 

Anmerkung 27 In einem Beispiel von vor 1025 hat die villa von Maroxo mit dem Land eine Ausdehnung von 650 ha und die elf Höfe durchschnittlich von etwa 60 ha.

 

Anmerkung 28 Zu Alfons (Adefonsus) III. heißt es:

(...) vicos et castella erexit et civitates munivit (befestigt er) et villas populavit atque eas certis limitibus firmavit et terminis certis locavit (und begrenzt sie) et inter utrosque abitantes divisit. (in: López Alsina, S.210)

 

Anmerkung 29 Unterschieden werden von den spanischen Historikern communidades de valle (Talgemeinden) in den Bergen mit Streusiedlung und Viehzucht und größeren  Verwandtschafts-Verbänden und daneben enger zusammensiedelnde comunidades de aldea (Dorfgemeinden) mit Zwei-Generationen-Einheiten aus Eltern und Kindern und deutlicherer territorialer Abgrenzung. Im 10 Jh. bestehen sie wohl in der Regel überwiegend aus kleinen produktiven Subsistenz-Einheiten Der Terminus ist villa, von der ganz anderen römischen villa abgeleitet, manchmal auch locus.

 

Anmerkung 30 In den leonesischen Gesetzen von 1017 heißt es: "im Fall dass einer durch einen anderen verletzt wird, muss der Agressor dem Sayonen ein Quantum (canadilla) Wein und außerdem den Schaden beseitigen, wenn er aber nicht vor dem sayón erscheint, genügt eine Entschädigung für die Verletzung." (Godoy, S. 64.)

Andererseits findet ein Eigentumskonflikt 946 seinen Abschluss in einem Dokument, laut dem beide Parteien am Ende die Gerichtskosten (iudicatos) an den Richter, den Sayonen und einen vermittelnden Priester zahlen müssen (Godoy, S.63)