Charles II.
Ritter, Tod und Teufel
My Lord Rochester
The Imperfect Enjoyment
Eine englische Querelle des Anciens et des Modernes
Satire, Ironie und Provokation
Charles, Nell, Aphra & Co.
Zurück nach Tunbridge Wells
Alles Theater
Sex and Politics
Sex as Sex can?
Die Lust und die Angst
Samuel Pepys
Exkurs: Jäger und Sammler à la francaise
Charles II.
Charles II. heiratet Caterina aus dem portugiesischen Königshaus der Braganza. Portugal ist gerade (1640) von Spanien unabhängig geworden und profitiert vom Pyrenäenfrieden von 1659, in dem Frankreich über Spanien triumphiert. Die englisch-portugiesische Verbindung paßt in die Pläne des jungen Sonnenkönigs, der sich auf die Eroberung der Spanischen Niederlande vorbereitet und die Heirat seines Bruders, des Herzogs von Orléans mit Charles Schwester Henriette-Anne befördert.
Auf das Scheitern des zweiten Krieges gegen Holland (den ersten hatte Cromwell veranstaltet) folgt der Sturz von Clarendon durch Buckingham, nachdem es dem alten Herrn nicht gelingt, eine parlamentarische Mehrheit für die Hofpartei zu erreichen. Später werden die Anhänger Arlingtons Buckingham stürzen, noch später Shaftesbury Danby. Wie James II. später feststellt, werden auf diese Weise durch Impeachments des Parlaments der Krone die Möglichkeiten aus der Hand genommen, Kabinette zu bilden, mit denen Staat zu machen ist. Die Staatsgeschäfte gehen an die Geschöpfe großer Geldmagnaten über, fortschrittliche Befürworter einer fortschrittlichen Verfassung.
Außerpolitisch kommt es zunächst zu einer Tripelallianz mit Holland und Schweden, die Frankreich zum Frieden mit Spanien zwingt und die die antifranzösischen Whigs beruhigen soll, was kaum gelingt. Von da an führt Charles Geheimverhandlungen mit Ludwig XIV. vermittels seiner über alles geliebten Schwester, der Madame, die mit dem schwulen Monsieur (Duc d'Orléans), dem Bruder Ludwigs zu ihrem persönlichen Unglück verheiratet ist. Im Geheimvertrag von Dover 1670 sichert Ludwig seinem englischen Schwager Subsidien zu (die fast vollständig in die Erneuerung der Navy gehen), der verspricht einen dritten holländischen Krieg im Verein mit Frankreich und für irgendwann den Übertritt seiner Majestät zum katholischen Glauben, den er aber erst auf dem Totenbett vollziehen wird. Bischof Burnet beklagt sich schon 1683 darüber, dass der König eine seltsame Vorstellung von Gottes Güte entwickelt habe, laut der Gott es nur hasst, wenn man bösartig ist und Unheil plant, von einem freundlichen und via Sakramente verzeihenden katholischen Gott also, einen, der nichts gegen Lebensfreude und Genuß einzuwenden hat. (*Fraser, King Charles II.,p.333)
Der zweite holländische Krieg läßt den König ohne Ressourcen, das Parlament gibt ihm keine, und so annihiliert er alle Privatschulden und Bankkredite an die Krone, was viele in den Bankrott treibt und ihn noch unbeliebter macht. Auf massiven Widerstand trifft Charles mit einer zweiten religiösen Toleranzerklärung 1672 (Declaration of Indulgence). Im dritten holländischen Krieg können die Holländer sich gegen die französische Übermacht zu Lande nur noch retten, indem sie ihre Schleusen öffnen und das Land überfluten. Zu Wasser finden die Engländer in de Ruyther einen überlegenen Gegner, der allerdings am Ende keine offene Seeschlacht mehr wagen kann.
Der Staatshaushalt kann nur dadurch gerettet werden, dass der König seine Toleranzerklärung zurückzieht. Das Parlament gewährt ihm eine kleine Summe für den Krieg, dafür setzt es den Test Act durch: Danach muß nun jeder Amtsinhaber öffentlich an der Kommunion in der anglikanischen Staatskirche teilnehmen, mehrere Eide schwören und eine Erklärung zugunsten der anglikanischen Auslegung der Lehre von der Transsubstantiation. Darauf müssen der zukünftige James II. als Hochadmiral der Flotte und Clifford als Chef des Staatsschatzes zurücktreten. England fällt für mehr als ein Jahrhundert in finsterste unduldsame Barbarei, der Erfolg jener freeborn Englishmen, die sich selbst zwischen dem 18. und 20. Jahrhundert als Apologeten von Demokratie und Menschenrechten feiern lassen. Männer wie der erzprotestantische Whig Shaftesbury, der noch von Schiller und Goethe gefeiert werden wird, bringen es fertig, sowohl für die gescheiterte königliche Toleranzerklärung wie für die Testakte zu stimmen. Als Drydens Architophel, als bösartig-zynischer moderner Politiker, geht er in die Literaturgeschichte ein. Nach seinem Sturz setzt das Parlament einen Separatfrieden mit Holland durch.
Shaftesbury beginnt nun, die Whigs zu jener Opposition auszubauen, die als Opposition von Geldadel und kapitalistischem Bürgertum die Monarchie zunehmend unterminiert. Dabei setzen diese Leute auf den populären Antikatholizismus, einen englischenVerwandten des Antisemitismus.
1678 beginnt Titus Oates, ein Pendler zwischen Halbwelt und Unterwelt, im Kontakt mit dem Green Ribbon-Club der Whigs, Katholiken, insbesondere fünf katholische Peers, zu beschuldigen, einen Umsturz in England herbeiführen zu wollen. Der Anteil der Katholiken an der englischen Gesamtbevölkerung ist in dieser Zeit noch geringer als der der Juden 1933 in Deutschland. Das Unterhaus verhaftet die katholischen Mitglieder des Oberhauses. Darauf fordert Shaftesbury, den Duke of York aus dem Privy Coucil auszuschließen, was misslingt. Aufgeregter Pöbel verbrennt eine riesige Puppe des Papstes, die mit (lebenden) Katzen gefüllt wurde, welche beim Verbrennen eindrucksvoll päpstliches Jaulen vorführen.
Der König ordnet Neuwahlen an, und die Whig-Opposition gewinnt vier Fünftel der Unterhaussitze. Sie fordert sofort die Verhaftung von Danby, der inzwischen die königlichen Regierungsgeschäfte leitet, und der nun im Tower eingesperrt wird. Da Charles seinen (katholischen) Bruder gefährdet sieht, schickt er ihn (quasi ins Exil) nach Frankreich. Inzwischen versucht der protestantische Monmouth, der uneheliche Sohn des damals exilierten Königs mit Lucy Walters, den protestantischen Pöbel im Land an sich zu binden. Immer häufiger werden katholische Priester, die heimlich Gottesdienst abhalten, verhaftet, verurteilt und hingerichtet, ebenso wie andere Angehörige der winzigen katholischen Minderheit.
Neuwahlen 1680 bringen ein noch radikaler antikatholisch und gegen die Stuarts gerichtetes Parlament hervor. Shaftesbury, persönlich wenig religiös und den sinnlichen Genüssen eher abhold, versucht den Duke of York wegen seines Katholizismus vor Gericht zu zerren und mit ihm Louise de Keroualle (inzwischen Duchess of Portsmouth) als katholische Hure. Zugleich intrigieren Whigs gegen die katholische und unter zwei missglückten Schwangerschaften leidene Königin, um den König zu einer Scheidung und zur Eheschließung mit einer protestantischen und fruchtbareren Gemahlin zu bewegen. Es ist in diesen Zeiten ungewöhnlich, dass ein Monarch so zu seiner Ehefrau steht, - auch unter misslichsten Bedingungen.
Januar 1681 löst Charles auch dies Parlament auf und kündigt an, dass das nächste im März in Oxford, fern vom Großstadt-Pöbel zusammentreten werde. In einem Husarenstreich löst er dies Parlament sofort auf und macht klar, daß er keines mehr dulden werde: Besser mögt ihr einen König haben als fünfhundert (You had better have one King than five hundred), ist seine abschließende Bemerkung. Dennoch gehen zunächst die Hinrichtungen katholischer Geistlicher, Adeliger und Laien weiter. Aber es gelingt dem König zunehmend, die Richterposten neu zu besetzen. Nach der Rye-House-Verschwörung schließlich muß Shaftesbury das Land verlassen. Die Whig-Opposition, ohne Parlament bedeutungslos, verläuft im Sande. Charles II., der angetreten war, mit Lords and Commons zusammen das Land zu regieren, sieht sich am Ende gezwungen, die Zügel allein in die Hand zu nehmen. Für kurze Zeit erreicht die Stuartmonarchie den Höhepunkt ihrer Macht.
Der Bruder von Charles II., der spätere zweite Jakob heiratet eine Katholikin, tritt selbst zum Katholizismus über und lässt das Fass der protestantischen Geduld dann überlaufen, als er aus parlamentarischer Sicht wieder absolutistische Anwandlungen bekommt. Wilhelm von Oranien, mit einer protestantischen Maria Stuart verheiratet, wird von einigen Kreisen bedeutet, daß man ihn willkommen heißen würde, falls er von Holland übersetzen wolle. Als er mit kleiner Streitmacht anlandet, sucht James II. das Weite und läßt sich als erster eine Abfolge von Kronprätendenten in Frankreich nieder. Nach Wilhelms Tod muß noch einmal eine Stuart ran, die protestantische Queen Anne. Da sie keinen Thronerben liefert, sorgt das englische Parlament dafür, daß nicht die in Frankreich exilierten Stuarts, sondern die über Heirat mit den Stuarts liierten Welfen-Fürsten aus Hannover den Zuschlag bekommen. Die Masse einer opportunistischen englischen Wendehals-Gesellschaft schwört den Eid auf den neuen König, bürgerliche Gesellschaften werden bis heute eines überhaupt nicht haben: Zivilcourage, jenen minimalen Antand, der einen Menschen von einem Stück Dreck unterscheidet. Zu den wenigen, die auf Amt und Würden verzichten, wird Samuel Pepys gehören, der auf die Jugendsünde des Sympathisierens mit dem Königsmord nicht noch eine Charakterlosigkeit des Alters folgen lassen möchte.
Auf das Scheitern des Staates der Frommen folgt so der Weg in Parlamentarismus und “Demokratie” unter dem Deckmantel der Monarchie als säkularisierter Heilsweg des Fortschrittsglaubens hinein in das in der Ferne lauernde Unheil des englischen Sozialismus. Dieser Pfad der Tugend wird auch in Frankreich und Deutschland und anderswo kein Menschenopfer scheuen, um die jeweils auserwählten Überlebenden unermeßlich zu beglücken.
Mit Humanismus und Renaissance und bis zum Sieg dieser bürgerlichen Revolution in Permanenz, die zugleich zum Untergang des Bürgertums und zur Zerstörung seiner natürlichen Ressourcen führt, existiert eine spezifisch abendländische Faszination des Bösen, die als lebendiger Gegenpol zum pursuit of goodliness solange auftritt, bis der Mythos des Abendlandes durch die Vorstellung von der “Welt” als zu manipulierender Maschinerie abgelöst ist. Der große Satan hat ausgedient, wenn der Klassenfeind, der Verfassungsfeind, die Katholiken/Protetanten, die Juden, die Zigeuner oder wer auch immer als demokratisierte Form ihre aristokratische Majestät ablösen. Bis dahin kommt es immer wieder zu satanischen Auftritten, in denen Lebendigkeit zunächst religiös begründet diabolisch ist, um dann unter neuen sozio-ökonomischen Vorzeichen ganz säkular-moralisch den bösen männlichen Unhold zu beschreiben, dem das im 18. Jahrhundert weithin durchgesetzte Gutmenschentum entgegentritt. Dieser Unhold ist bis zur Mitte des Jahrhunderts machtvoll in der damaligen Medienlandschaft verglüht. An seine Stelle tritt in der Libertinage der französischen Aufklärung, im deutschen Sturm und Drang und in der englischen Romantik der Attitüden übende Poseur, das Originalgenie, der moderne Künstler, der nicht(s) mehr zu bieten hat als sich selbst.
Ritter, Tod und Teufel
Das Bild ist nicht nur von Dürer, und inzwischen heißt es Fürst, Edelmann und Bourgeois. Die abendländische Welt ist spätestens seit dem Untergang Trojas ( ihrem Anbeginn) eine krisenhafte, die kurzen Phasen der Behaglichkeit der Biedermänner sind so trügerisch wie die Perioden von Mord und Totschlag, Verstümmelung und Vergewaltigung handfest wirklich sind.
Alle Reformationen seit der Erfindung des Christentums waren so unduldsam wie sie niedergeschlagen wurden. Dann positionieren sich im 16. Jahrhundert Volkshorden und Herrschaften anhand von abstrusesten Definitionen von Abendmählern und geistlichen Gewändern, allerheiligster Feststellungen über eine Muttergottes, die die Mutter des Gottessohnes war, - was wie oder am Ende gar nicht an heiligem Ort zu singen sei, und ob Orgeln oder Violinen zum Lobe des Herrn zu nutzen seien, immer wieder neu, um im Namen des jeweils wahren Gottes, der immer und immerhin ein “christlicher” sein soll, dann auf einander einzuschlagen und sich haßerfüllt umzubringen.
Religiös verbrämte Grausamkeiten treiben die Menschen im heiligen Römischen Reich um, in Frankreich, in Britannien. In einem dreißigjährigen Krieg fallen die frommen Herrscher vor allem auf deutschem Boden übereinander her, wobei die nichtdeutschen Herrschaften versuchen, sich deutsche Lande unter den Nagel zu reißen. Am Ende vereinnahmt die französische Krone das schöne Elsaß und Lothringen mit seiner zum guten Teil deutschen Bevölkerung.. Das übriggebliebene Deutschland ist verwüstet, die Bevölkerung dezimiert und unter provinzielle Potentaten diverser religiöser Profession zerteilt. Die Deutschen bleiben kulturell depraviert und intellektuell verkümmert auf jener Strecke, die über holprige Wege zum niederösterreichischen Führer aller Kretins führen wird.
Die aristokratische Welt basierte auf Grundbesitz und Landbewirtschaftung; die abendländische Fürstenherrlichkeit, unter der der Adel verkommt, hat die Ausweitung des Handels zur Voraussetzung. Der neuzeitliche Händler bedarf des Kapitals, jener investiven Masse, die Grundbesitz per se nicht hergibt. Wenn der verarmende Ritter Ulrich von Hutten dem Nürnberg Bürgersmann Pirckheimer von seinen bescheidenen Verhältnissen berichtet und dabei des bürgerlichen Wohlstands gewahr wird, wenn Sickingen und Berlichingen nicht mehr aus noch ein wissen, geht es mit aristokratischen Vorstellungen zu Ende. Der fünfte (habsburgische) Karl braucht das Geld der Fugger, um zum heiligen römischen Kaiser gewählt zu werden.
Die Habsburger kontrollieren unter anderem Mitteleuropa (mehr schlecht als recht) und Spanien, und kein König kann im von Religionskriegen zerissenen Frankreich dauerhaft die Krone tragen, wenn er dieser merkwürdigen Herrscher-Familie nicht Paroli bietet. Kriege können die Bourbonenhäuptlinge aber nicht führen, wenn sie nicht das Land unter ihre Knute bringen, und dann die Finanzierung ihrer Kriege aus den Menschen saugen. Die Mehrzahl von ihnen, die sich immer mehr als “Volk” im modernen Sinne begreifen, d.h. als ländlicher und städtischer Pöbel, greifen zur Steinschleuder, der fronde, um gegen das Herrscherhaus vorzugehen. Dieser Mob (das bewegliche Menschenmaterial aller modernen Politiker) wird in Frankreich zunehmend von zwei Konkurrenten um die Krone mobilisiert, vom Prinzen Condé und vom Herzog von Orléans. Das passiert gleichzeitig zu jener Entwicklung in Britannien, in der verbürgerlichter Adel und puritanisch aufgeheizter städtischer Pöbel gegen die Stuarts antreten.
Dasselbe wird in verschärfter Form Ende des 18. Jahrhunderts in beiden Reichen wieder passieren. Dieselben Kräfte der Straße und ihre mächtigen und reichen Hintermänner werden erneut antreten, und sie werden in Frankreich und Nordamerika flankiert von den heiligen Schriften propagandistisch wortmächtiger Schreiberlinge, die das etablieren, was seitdem “System” heißt, Gesellschaftssystem, das Unheil, das nichtige Kretins zur Etablierung irdischer Paradiese propagieren, um ihre Erbärmlichkeit in allenthalbene Großartigkeit zu permutieren.
Die Fürsten, die auf der Strecke bleiben werden, weil sie im Unterschied zu den säkularen Theologen von Fénelon über Thomas Paine bis Goethe weder irdisches Glück noch anhaltende Glückseligkeit versprechen können, sind am Ende noch mehr auf das Geld der (zum Teil betitelten) Händler, Bergwerksbesitzer und Manufakturkapitalisten angewiesen als schon am Anfang. Die an sie gerichtete Erwartung der Kapitaleigner, durch Krieg und Eroberung deren Gewinnerwartung zu steigern, erfüllt sich nicht, wo ihnen die entsprechenden Staatseinnahmen verweigert werden.
Bevor die Fürsten ihre Macht ganz an die Kolonialgesellschaften, die Assoziationen der Einzelhändler, die Eisenhüttenbesitzer, die Vereine zur Reformierung der Sitten, deren eternellen Readers' Digest der letzten Jahrhunderte und den aus alle dem resultierenden randalierenden Pöbel auf der Straße verlieren, subventionieren sie die Kultur des Barock, deren Aktivisten in der Musik, der Malerei und Baukunst und zunehmend auch der Literatur aus dem kleiner werdenden Teil des Volkes kommen, für den Kunst ohne handwerkliche Grundlagen zum letzten Mal undenkbar ist und undenkkbar vor allem ohne Bezug zur lebendigen Wirklichkeit.
In England wird nach 1688 der holländische gekrönte Protestant die Bank(von England) etablieren, den kolonialen Handelsgesellschaften und den Whig-Kapitalisten den Weg ebnen und propagieren, daß das himmlische Seelenheil genauso am Bankkonto und einer gnadenlosen Konsumentenhaltung hängt, wie an jener Frömmigkeit, die die neuen Werte fördert.
Aber noch einmal zurück zum London der Restaurationszeit und zu jenem späten höfischen Satan in Menschengestalt, der uns nicht nur ein buntes “wildes” Leben, sondern vor allem herausragende Dichtung hinterlassen hat.
My Lord Rochester
John Wilmot, der zweite Earl of Rochester, wird uns ausgerechnet beim protestantischen Dissenter-Kaufmann, Spion und Reisenden in Diensten der Krone Daniel Defoe wiederbegegnen. Moll Flanders wird sich zweimal auf ihn beziehen. Sein Vorbild wird zwei Jahrzehnte später für den bösen Rake Lovelace (Name eines Freundes von Rochester) des Dissenter-Druckers Richardson herhalten, und noch im erbärmlichsten frömmelnden Viktorianismus der Charlotte Bronte wird der vermögende Liederling Rochester heißen. Jane Eyre, das eponyme Alter Ego der Autorin, Produkt eines protestantischen Pfarrhauses im dunkelsten Yorkshire, wird ihm solange widerstehen, bis er dank eines üblen Unfalls an Haupt und Gliedern verstümmelt ist. Der akzeptable Mann/Mensch ist der seiner Lebendigkeit und Männlichkeit beraubte Mann.
Geboren wird der zweite Earl of Rochester 1647 als Sohn einer puritanischen Mutter und eines Cavalier-Vaters, eines royalistischen Generals, der wegen seiner Verdienste vom König zum (ersten) Earl (of Rochester) ernannt wird. Dieser Henry Wilmot hatte Charles (II.) bei dessen wochenlanger Flucht aus Worcester ins zweite Exil begleitet und danach jahrelang versucht, auf dem Kontinent um Unterstützung für die königliche Sache zu werben. Sein Sohn wird ihn niemals zu Gesicht bekommen und seine Frau ihn niemals wiedersehen. Aber Charles soll Henry Wilmot auf dem Totenbett versprochen haben, sich um dessen Sohn zu kümmern und er wird dieses Versprechen halten.
In der Burford Grammar School meistert der Sohn vor allem lateinische Texte. Seine spätere Dichtkunst wird immer den augustäischen Klassikern verpflichtet bleiben, den Lukrez, Petronius, Ovid, Horaz und selbst Seneca. Mit zwölf beginnt er in Oxford zu studieren, wo er unter den Einfluß dortiger Freigeister gerät, einer heißt Lovelace und wird für Richardson den Namen für seine von Ambivalenzen getränkte Rochester-Studie 'Clarissa Harlowe' abgeben. Mit vierzehn ist er M.A.und feiert mit ganz Oxford die Rückkehr des Königs. Er geht an den Hof, wird mit einer königlichen Pension ausgestattet und vom König auf die Grand Tour geschickt, die ihn vier Jahre lang zumindest durch Frankreich und Italien führt.
Weihnachten 1664 wird er beim Stuart-Hof eingeführt und ist von nun an vollendeter Höfling und einer der leading wits, zusammen mit Etheridge, Sedley und Buckingham. Er entführt die von vielen begehrte Elizabeth Malet, um so die Ehe mit ihr zu erzwingen, wird deswegen kurz im Tower eingesperrt und dann vom König freigelassen. Er meldet sich ob dieses Missgeschicks freiwillig für den zweiten Holland-Krieg, bekommt zur Belohnung nach seiner Rückkehr das Amt eines Gentleman of the Bedchamber des Königs und heiratet nun seine Liebste, die ebenfalls ein Hofamt bekommt. Offenbar auf sein Drängen hin konvertiert sie bald darauf zum Katholizismus.*22b
Die Ehe ist, wenn man ihren Briefen glauben darf, zunächst (ungewöhnlich) glücklich; beide leben sich stärker auseinander, als sie aufs Land zurückkehrt, während er in königlichen Diensten in London bleibt. Rochester ist eben in vielen Betten der typische restoration-rake, der libertin und “Wollüstling” (voluptuary. Der libertin war ursprünglich in Frankreich der Skeptiker, der Freidenker. Im Laufe des Barocks wird das Wort zunehmend auf sexuelle Freizügigkeit hin umgedeutet und das ist dann der Wortsinn in England und Deutschland im 18. Jahrhundert.)
So wie die Könige ein offizielles Doppelleben als Ehemann einerseits und Liebhaber (mindestens) einer Maitresse andererseits führen, tun das ganz selbstverständlich auch viele Aristokraten bei Hofe, und mit ihnen Rochester. Außerdem amüsiert er sich wie sein König auch mit zahllosen einfacheren Mädchen und Prostituierten. Das Hofleben, das Dichten, der Alkohol und ein unbändiges Liebesleben bestimmen neben seiner Familie sein Dasein. Der Preis ist, daß er sich mit Anfang zwanzig die Syphilis zuzieht, die zusammen mit den Quecksilberkuren, die sie vermeintlich bekämpfen sollen, seine Gesundheit untergraben werden.
Der rake und rogue dieser Zeiten genießt nicht nur ein ausführliches Liebesleben, er ist oft auch in einer merry gang oder band mit anderen rakes verbunden, und stellt allerlei höheren und oft auch sehr niedrigen Unfug an. Überliefert ist zum Beispiel folgende Episode im Kurort Epsom aus dem Frühsommer 1676, an der u.a. Rochester und Etheredge beteiligt sind: Man trinkt und feiert und findet dann Musiker, die man bittet, für sie aufzuspielen. Die Geiger weigern sich und werden zur Strafe von ihnen in Bettlaken immer wieder in die Luft geworfen. Ein Barbier bekommt das mit, kommt hinzu und ihm wird das gleiche angedroht. Er entgeht dem, indem er den Hallodris verspricht, sie zum Haus der schönsten Frau des Ortes zu führen, dem Haus von dem er wußte, daß es das eines Constables war. Der Barbier führt die Hallodris dort hin. Der Konstabler verweigert den Zutritt, als sie sagen,daß sie zu der (versprochenen) Hure wollen.Es war nur des Hilfspolizisten Eheweib daselbst anwesend Darauf brechen sie die Tür ein, er entkommt und kehrt mit der Wache wieder. Etheredge bietet darauf Frieden an, die Wache verläßt den Ort dieser Heldentaten, und nun bedroht Rochester plötzlich den constable mit seinem Schwert. Der schreit Murder und Downs will seinem Freund die Waffe entwinden. Die Wache kehrt zurück, sieht Downs in Aktion und spaltet ihm den Schädel. Rochester und Etheredge rennen weg und müssen nach einem Haftbefehl des Königs für einige Zeit untertauchen, wohl ohne gleich vom Tod ihres Freundes zu erfahren.
Alle Welt denkt, Rochester sei nach Frankreich geflüchtet, dabei taucht er sofort wieder in London auf, am Tower Hill, als der “berühmte italienische Pathologe Dr. Alexander Bendo” verkleidet: in exotische orientalische Kleidung mit falschem Bart. Er verteilt einen Handzettel, auf dem er sich folgendermaßen anpreist: An alle Herren, Damen & andere, ob aus London, Stadt oder Land. Alexander Bendo (also: “Wohltäter”) wünscht allen Gesundheit und Wohlstand. Während diese berühmte Metropole von England immer heimgesucht wurde von zahlreichen Leuten, deren arrogantes Selbstbewußtsein den Leuten entweder mit geplanten Betrügereien imponierte oder bestenfalls mit öden und leeren Vorstellungen der Physik, Chemie und Galenik, Astrologie, Physiognomie, Handlesen, Mathematik, Alchemie oder sogar Regierungskunst – letztere schlage ich nicht vor zu besprechen, da sie nicht wie alles übrige zu meiner Berufung gehört, welche, ich danke meinem Gott, ich viel sicherer, ebenso ehrenhaft und darum viel profitabler finde. Dann wendet er sich gegen den (möglichen) Vorwurf, ein Hochstapler zu sein (!): Überlegt ein wenig, was für eine Art von Geschöpf der ist: er behauptet, großes Können mit listigen Mitteln zu verbinden; er zieht viele Menschen an, indem er seltsame Dinge zu vollbringen vorgibt, die gar nicht hinzubekommen sind. Der Politiker, indem er herausfindet, wie beindruckt Leute von wundersamen Unmöglichkeiten sind, spielt dasselbe Spiel – verspricht Dinge, von denen er sicher ist, daß sie nicht funktionieren; die Leute glauben es, sind getäuscht und begeistert. Die Erwartung eines zukünftigen Gutes, das sie nie bekommen können, zieht ihre Augen von gegenwärtigen Übeln ab; so werden sie in Unterdrückung gehalten, er in Größe, Reichtum und Macht. So, seht ihr, ist der Politiker ein Hochstapler in Staatsgeschäften, und der Quacksalber ist ein wandernder Politiker in medizinischen Angelegenheiten.
Diese schöne Darlegung des politischen Berufs samt dem herrlichen Eingeständnis am Schluß, ein Hochstapler zu sein, hinderte die Leute nicht, wie Kumpan Thomas Alcock später beschrieb, seine selbsterfundenen Medizinen zu kaufen, während sein medizinischer Ratschlag für alle kostenlos blieb: einige rührten einen alten kochenden Kessel voll Ruß und Urin, gefärbt mit einem übelriechenden Harz und all den ekelhaften Ingredienzien, die den Geruch noch übler machten, andere fachten das Feuer an, andere machten eine feste Masse aus der Retorte oder Pülverchen...alle angezogen wie die die alten Hexen in Macbeth, während der ernste und weise, der höfliche, bescheidene und gerechte Pathologe, der edle Doktor Alexander Bendo, in einem alten übergroßen Gewand welches er frommerweise in Erinnerung an seinen Meister Rabelais trug, das Gewand, das er schon trug, als er seinen Doktortitel in Montpellier erhielt, durchwoben mit exotischen verschiedenfarbigen Pelzen, samt einer antiken Kappe, einem ehrgebietenden Bart und einer herrlichen falschen Medaille, eingefaßt in glitzernden Perlen, Rubinen und Diamanten, die in einer goldartigen Kette aus einer Mischung aus Kupfer und Zink um seinen Hals hing (welche ihm der König von Zypern gegeben hatte wegen seiner Sofortheilung seiner Lieblingstochter Prinzessin Aloephangina, die auf einem Banner abgebildet war, das an seinem Ellbogen hing)...Alle diese Hallodris voller Freude und Lachen bei ihrer Arbeit im öffentlichen “Laboratorium”. Doktor Bendo wird über London hinaus berühmt und für Tage strömen arm und reich, Adel und Kammermädchen zu ihm hin...
Nach zwanzig Jahren puritanischer Bigotterie und Lebensfeindlichkeit agieren diese gebildeten, das Theater, die Musik und bildenden Künste kultivierenden jungen Leute mit unverhohlener Aggression und exzessiver, kalkulierter Provokation gegen die puritanisch-bourgeoise Kretinhaltung. 1663 erscheinen Sir Charles Sedley (Autor vieler Texte, die Purcell vertonte) und Charles, Lord Buckhurst (später Earl of Dorset) nackt auf dem Balkon einer Taverne in Covent Garden, wie Pepys in sein Tagebuch schreibt, acting all the postures of lust and buggery that could be imagined, and abusing of scripture and, as it were, from whence preaching a mountebank sermon from that pulpit, saying there he hath to sell such a powder as should make all the cunts in town run after him. And that being done, he took a glass of wine and washed his prick in it and then drank it off; and then took another and drunk the king's health.
Das Publikum bewirft sie mit Steinen und natürlich muß die königliche Justiz sie verfolgen, ohne Erfolg: Es gibt damals noch keine Strafe auf öffentliche Indezenz. Buggery ist homosoxuelle anale Penetration und symbolisiert hier freie sexuelle Lust; den Wein zu trinken, in dem der Penis gesäubert worden war (womöglich samt Sperma) provoziert den Ekelschrecken des protestantischen Bürgers vor menschlicher Sexualität.
Verglichen damit waren die sexuellen Provokationen der 68er des zwanzigsten Jahrhunderts (nach Nazionalsozialisten und anderen Kommunisten) einer Kindergartenmentalität entsprungen; die sexuellen Verklemmtheiten dieser Protestler vor fünfzig Jahren führten denn auch in die Schrecken des Terrorismus, der keinen Spaß mehr kennt.
In Charles II. übrigens wie bei vielen seiner Höflinge verkörpert sich Lebenslust auch in anderen Formen körperlichen Auslebens. Der Stuartkönig stand früh morgens auf, lief durch seinen Park und schwamm in der Themse, wie später der Tory Jonathan Swift. Er spielte regelmäßig Tennis, war ein begeisterter Reiter, Falkner (zusammen mit Rochester) und Angler und liebte Segelrennen auf seiner königlichen Jacht (er brachte den Begriff Yacht, Verballhornung des holländischen Jaghtschip aus seinem Exil nach England).
High life der high society ist intense living, und die intensivsten Lebensäußerungen sind erotischer Natur. Vermutlich wird Defoe in seiner 'Moll Flanders' mit Rochesters “Mistress” diejenige aus seinem Gedicht 'The Platonic Lady' meinen, das eine Übertragung des Petronius-Gedichtes mit der Anfangszeile Foeda est in coitu et brevis voluptas ist:
I could love thee till I die / Wouldst thou love me modestly And ne'er press,whilst I live, / For more than willingly I would give
Which should sufficient be to prove / I'd understand the art of love.
I hate the thing is called enjoyment: / Besides it is a dull employment,
It cuts off all that's life and fire / From that which may be termed desire;
Just like the bee whose sting is gone / Converts the owner to a drone.
I love a youth will give me leave / His body in my arms to wreathe;
To press him gently, and to kiss; / To sigh, and look with eyes that wish
For what, if I could once obtain ,/ I would neglect with flat disdain.
I'd give him liberty to toy / and play with me, and count it joy.
Our freedom should be full complete, / And nothing wanting but the feat.
Let's practise, then, and we shall prove / These are the only sweets of love.
Defoes Moll Flanders wird in ihrer Lebensbeichte über ihren Gefängnisaufenthalt folgendes schreiben: However, I kept myself safe yet, though I began, like my Lord Rochester's mistress, that loved his company, but would not admit him farther, to have the scandal of a whore, without the joy; and upon this score, tired with the place, and indeed with the company too, I began to think of removing.
Die Lady ist natürlich nicht platonisch, wie der skeptische Ironiker im Titel vorgibt, sondern ein Wollüstling: Enjoyment ist der Koitus mit dem Abspritzen des Sperma, the feat, und das lehnt die Dame ab, denn danach schlafft der Mann ab und verliert das Begehren (desire), abgesehen davon ist der schiere Koitus a dull employment. Der Lady dieser Rollenlyrik geht es um möglichst lang andauernde Lust, die nur durch das Nichterfüllen der Begierde möglich ist: sie huldigt dem christlichen Laster der voluptas, sie begeht in diesem Sinne eine schwere Sünde, denn sie entzieht der Geschlechtlichkeit ihre einzige christliche Rechtfertigung, nämlich der Fortpflanzung zu dienen.
Der blödsinnige Terminus „platonische Liebe“ bezeichnet seit der Renaissance den Eros ohne körperlichen Einsatz. Ganz hinterhältigerweise kann der Ironiker Rochester das Wort aber doch benutzen, denn im Sinne der christlichen Morallehre tut die Lady gut daran, ihm die letzte Gunst, die last favour zu entziehen, the feat. Denn erst the feat ist die vollendete (Un)Tat.
Die „platonische“ ist eine wirkliche „Lady“, ihre Ansprüche sind aristokratisch. Wichtig ist, sie ist in der Rollenlyrik keine Hure, sondern sie wird eher ihren „Jüngling“ beschenken und belohnen. Sie ist der Prototyp der starken Frau des englischen und französischen 17. Jahrhunderts, die seit dem 18. Jahrhundert von Frauenrechtlerinnen und männlichen Gutmenschen gleichermaßen so intensiv verteufelt wird, daß sie aus dem Abendland fast völlig verschwindet.
Rochester liebt das Schauspiel und seine Frau ist eine der gefeiertsten Schauspielerinnen Londons. Dass die ganze Welt eine Bühne sei, ist Shakespeares Entrée ins abendländische Barock, der Abschied von der Renaissance, und am Ende des Barock, in der Restoration-Ära, findet das zweite (und letzte) große Zeitalter englischer Bühnenkunst statt.
Mit Etheridge, Wycherley, Congreve, Aphra Behn und vielen anderen gelangt unter den Stuarts das von den Puritanern verbotene Theater zu neuer Blüte. Theaterfreund (und vor allem auch Komödienfreund) Rochester liebt das Rollenspiel und dazu gehört, daß er sich selbst oft bis zur Unkenntlichkeit verkleidet, sei es, um sich so unter Freunde zu mischen, auf Mädchenfang zu gehen oder nur die Menschen um sich herum unbeachtet zu beobachten*24.
Rochesters Gedichte sind wie die seiner antiken Vorbilder Rollengedichte, und bis Anfang des 18. Jahrhunderts gelingt es der Dichtkunst immer wieder, die Geschlechterrolle zu tauschen. In der Frauenrolle bringt Rochester sich aber ungeniert in einem Subtext selbst ein. Diese feine Ironie tritt bereits mit dem Titel auf, und der Petroniuskenner weiß, daß bei diesem heftigste und derbste Fleischeslust thematisiert wird, so wie die platonische Vorkämpferin erotischer sensibility die raffinierteren Gelüste anspricht. Des weiteren thematisiert Rochester hier ja tatsächlich ein Männerproblem, denn Frauen können die Wollust hinauszögern, verlängern und bald wiederholen, der männliche Geschlechtsapparat dagegen verlangt nach Entladung und Entspannung. Auch Rochester wie viele andere kultivierte Liebhaber wollen nichts mehr als das lange Liebesspiel, aber dabei geraten sie leicht in die Gefahr der ejaculatio praecox, und...
...'The Imperfect Enjoyment' ist 'The Disappointment'
Rochesters Unvollendete lautet so (mit meinen Auslassungen von etwa ein Viertel des Textes):
Naked she lay, clasped in my longing arms, / I filled with love, and she all over charms;
Both equally inspired with eager fire, / Melting through kindness, flaming in desire.
With arms, legs, lips close clinging to embrace ,/ She clips me to her breast, and sucks me to her face.
Her nimble tongue, Love's lesser lightning, played / Within my mouth, and to my thoughts conveyed
Swift orders that I should prepare to throw / The all-disolving thunderbolt below.
My fluttering soul, sprung with the pointed kiss ,/ Hangs hovering o'er her balmy brinks of bliss.
But whilst her busy hand would guide that part / Which should convey my soul up to her heart,
In liquid raptures I dissolve all o'er, / Melt into sperm, and spend at every pore.
A touch from any part of her had done't / Her hand, her foot, her very look's a cunt.
Smiling, she chides in a kind murmuring noise ,/ And from her body wipes the clammy joys,
When, with a thousand kisses wandering o'er / My panting bosom, „Is there then no more?“
She cries. „All this to love and rapture's due; / Must we not pay a debt to pleasure too.?“
But I, the most forlorn, lost man alive, / To show my wished obedience vainly strive:
I sigh, alas! And kiss, but cannot swive./ Eager desires confound my first intent,
Succeeding shame does more success prevent, / And rage at last confirms me impotent.
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Thou treacherous, base deserter of my flame, / False to my passion, fatal to my fame,
Through what mistaken magic dost thou prove / So true to lewdness, so untrue to love?
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Like a rude, roaring hector in the streets / Who scuffles, cuffs, and justles all he meets,
'But if his King or country claim his aid, / The rakehell villain shrinks and hides his head;
Ev'n so thy brutal valor is displayed, / Breaks every stew (Bordell), does each small whore invade,
But when great love the onset does command, / Base recreant to thy prince, thou dar'st not stand.
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May'st thou ne'er piss, who didst refuse to spend / When all my joys did on false thee depend.
And may ten thousand abler pricks agree / To do the wronged Corinna right for thee.
Dieses an Ovid und anderen geschulte Gedicht ist sicher eines der schönsten erotischen Gedichte des nachantiken Abendlands, und dies aus vielen Gründen. Selten wird erotische Zweisamkeit so detailgenau beschrieben bis hin zu seiner zurückweichenden Vorhaut und ihrer Hand, die seinen Penis einführen will, - ohne dass im Text eine pornographische Absicht vorliegt. Ich meine damit, daß alles bis auf den vorzeitigen Samenerguß auf ihren Leib als Sinnenlust bejaht wird, während Pornographie den Voyeur mit dem Verbotenen konfrontiert und so erregt.
Mit prick, cunt und sperm wird genau das benannt, was selbst ein Casanova metaphorisch umschreibt, und Rochesters Metaphern sind nicht verschämt oder beschönigend, sondern verstärkend: the all-dissolving thunderbolt below, sein hartes Glied beim Eintritt in die Scheide, ist ja tatsächlich der Donnerschlag, der die Entladung bringen soll, und zwar auch für die Frau.
Ähnlich wie bei erotischer Lyrik des frühen römischen Kaiserreiches fehlt neben der Scham der Ekel, und zwar bei Mann und Frau, und was hätte wohl die frauenbewegte Mary Wollstonecraft über den Mann gesagt, der jede Pore ihrer Haut mit seinem Sperma bedeckt, und den die Frau dann anlächelt, das Sperma abwischt und am Penis des Mannes gleich wieder (wenn auch erfolglos) Hand anlegt.
Was Rochester hier beschreibt, ist ohne den Zustand der Begierde eher abstoßende Körperlichkeit, und wenn die Lust nicht hinreichend vorhanden ist, sind die weiblichen und männlichen Sekrete und das Sperma unappetitlich und stinkend. Er kann das alles beschreiben, weil er den Moment höchster Lust bejaht, in dem wir soweit in Fieberwahn geraten, das wir verzückt sind, wie verzaubert; rapture, phrenzy, ecstasy, felicity werden auch Jane Austen und Wollstonecraft sagen, aber der Gegenstand ihrer Verzückung wird nicht die Fleischeslust sein.
Es gibt selten ein so detailgenau erotisches Gedicht, das zugleich so gefühlvoll ist. Das beginnt mit ansteigender leidenschaftlicher Lust, geht über Betrübtheit, ja Trauer dann zur Wut, um schließlich wieder beim Mitgefühl für die unbefriedigte Frau zu enden. Insbesondere die lange Wutpassage ist wohlgelungen, denn nur in ihr blitzt die ansonsten in dieser Schaffensperiode so wunderbare skeptische Ironie durch, die nach ihm nur noch bei Swift und Pope wiederkehren wird.
Erst macht shame die Hand der Geliebten erfolglos, und dann rage confirms me impotent. Mit dieser Wut schafft er sich mental und seelisch aus seiner Not heraus. Er erinnert sich zunächst daran, was für ein unglaublicher Frauenheld und Mädcheneroberer er war, was gut tut. Zehntausend Mädchen hat er mit Jungfernblut eingefärbt (alle Achtung!), ob weiblische Scheide oder Männerarsch, immer leistete sein gutes Stück gute Dienste (holla!), sogar bei der oyster-cinder-beggar -common whore.
Diese heftigen Wutausbrüche mit den von der Rage motivierten Übertreibungen wirken ganz unmittelbar, als ob wir uns am Ort des Geschehens befinden, das Gedicht ist aber aus größter Distanz kunstvoll komponiert worden. Und diese kunstvolle Form macht uns schmunzeln über die Don-Juan-Pose, in die der Arme sich rettet. Er übertreibt gewaltig, er wird überderb, wenn er behauptet, jeden männlichen Anus in eine Scheide verwandeln zu können.
Und dann wieder, mitten in diesen derb-wüsten Wutausbrüchen und Gockelposen, erscheint folgende Aussage: But when great love the onset does command, / Base recreant to thy prince, thou dar'st not stand. Also: Der derbere Sex ohne große Gefühle bläht seine Schwellkörper auf, die „große Liebe“ läßt sie erschlaffen. Die animalische Erektion bringt das Tier im Mann zum Vorschein (und in der Frau), und der kultivierte und gefühlvolle Mann kriegt Probleme. Kultur bringt das Willkürliche und das Unwillkürliche gegeneinander in Stellung, das Gefühl behindert den bloßen Trieb, und was bleibt ist der Trost in der Kunst (?). Unter anderen Vorzeichen wird Rousseau später Saint-Preux nun aber in einer verkehrten Welt schreiben lassen: alle meine Begierden, die euer Zauber entflammte, erlöschen an der Vollkommenheit eurer Seele (tous les désirs enflammés par vos charmes s'éteignent dans les perfections de votre ame,NH,1-10)
Aus zwei Gründen folgt hier das Parallelgedicht ('The Disappointment') der mit Rochester befreundeten Aphra Behn: Zum einen zeigt der Vergleich die Rochestersche Meisterschaft, zum anderen wird deutlich, daß die erotische Kultur der Restoration-Zeit eine gemeinsame von Männern und Frauen ist, wenn auch mit unterschiedlicher Rollenverteilung, wie Aphra Behn in ihren Texten immer wieder (kritisch) anmerkt.
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In a lone thicket made for love, / Silent as yielding maid's consent,
She with a charming languishment, / Permits his force, yet gently strove;
Her hands his bosom softly meet, / But not to put him back designed,
Rather to draw him on inclined; Whilst he lay trembling at her feet,
Resistance 'tis vain to show; / She wants the power to say – 'Ah! What d'ye do?'
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His burning trembling hand he pressed Upon her swelling snowy breast /While she lay panting in his arms. All her unguarded beauties lie / The spoils and trophies of the enemy.
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He saw how at her length she lay; / He saw her rising bosom bare;
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She does her softest joys dispense, Offering her virgin's innocence / A victim to love's sacred flame;
While the o'er-ravished sheperd lies / Unable to perform the sacrifice.
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Cloris returning from the trance / Which love and soft desire had bred,
Her timorous hand she gently laid / (Or guided by design or chance)
Upon that fabulous Priapas, / That potent god, as poets feign;
But never did young sheperdess, / Gathering of fern upon the plain,
More nimbly draw her fingers back, / Finding beneath the verdant leaves, a snake.
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The nymph's resentment none but I / Can well imagine or condole:
But none can guess Lysander's soul, / But those who swayed his destiny.
His silent griefs swell up to storms, / And not one god his fury spares;
He cursed his birth, his fate, his stars / But more the shepherdesses charms,
Whose soft bewitching influence / Had damned him to the hell of impotence.
Aphra Behn war nur in ihrer Prosa wirklich eigenständig, sie half, den englischen Roman auf jenen Weg zu bringen, auf dem Defoe weiterschreiten wird. Ihre Gedichte und Komödien sind eher konventionell, und obiges Gedicht zeigt das deutlich. Ihre 'Enttäuschung' hat die Form eines konventionellen Schäfergedichts, die Rochester nur noch gelegentlich spielerisch andeutet, und unterscheidet sich von Rochesters persönlicher Rollensprache, die uns den Eindruck unmittelbaren Miterlebens erlaubt; bei Aphra Behn wird ein vorgegebenes Thema in vorgegebener Sprache abgehandelt. Sie gibt zwar vor, das resentment der Schäferin/Nymphe besser als jeder andere nachzuvollziehen, d.h. zu kennen, aber man spürt das aus ihrem übrigen Gedichttext nicht heraus. *25
Das konventionelle Moment des Gedichtes beginnt mit der Eingangssituation des ersten Verses, in der der junge Schäfer die unschuldige Schäferin überrascht. Der dritte Vers ist ganz der Konvention verpflichtet, in der z.B. auch der junge Goethe Generationen später in Frankfurt „dichten“ wird: Sie droht zu schreien, falls er “mehr” will, nachdem sie ihm mit ihrem Herzen schon ihr Wertvollstes gegeben hat. Sie heizt ihn so bewußt durch Widerstand an, weiß sie doch, dass der junge Mann ein junges Mädchen lieber erobert, als es geschenkt zu bekommen. Es ist dies die frivole Koketterie, die vom Barock zum Rokoko überleitet und die die Feministinnen der Revolutionszeit so sehr abstoßen wird. Neben dem Inhalt ist es aber die Sprache, die im Formelhaften stecken bleibt. So heißt es in der zweiten Hälfte des 5. Verses:
.................where
His daring hand that altar seized,/Where gods of love do sacrifice:
That awful throne, that paradise / Where rage is calmed, and anger pleased,
That fountain where delight still flows, / And gives the universal world repose.
Die Scheide als der Altar, in dem der Mann via Penis opfert, ist eine alte Vorstellung, die das Sperma zur Opfergabe des Mannes via Libation macht; inzwischen ist das bereits eine Stilblüte. Awful heißt hier natürlich noch „Achtung gebietend“, und rage and anger sind die sexuelle Begierde.
Aber wie auch immer, wir haben es hier mit einer Frau zun tun, die relativ ungeniert lustvolle Erotik ohne moralischen Schweinehund benennt. Die Scheide als fountain where delight still flows, zeigt das am ungeniertesten. Still ist natürlich nicht das modernere englische „noch“, sondern die aus dem angelsächsischen stammende Bedeutung, die wir Deutschen immer noch besitzen. In der Scheide fließt alles still und leise, und sie als Quelle im ursprünglichen Wortsinn ist ja der Ort, wo im Moment der Wonne die weiblichen Sexualsekrete hervorquellen, und was abgesehen davon dort fließt, wenn alles gutgeht, wie bei Lysander gerade nicht, ist der Samen.
Tatsächlich gibt es auf Grund der Konventionalität des Gedichts (und es handelt sich um männliche Konventionen) wenig weibliche Handschrift, die erwähnenswert wäre. Es bleibt nur folgende Passage:
Cloris returning from the trance / Which love and soft desire had bred,
Her timorous hand she gently laid / (Or guided by design or chance)
Upon that fabulous Priapas, / That potent god, as poets feign;
But never did young sheperdess, / Gathering of fern upon the plain,
More nimbly draw her fingers back, / Finding beneath the verdant leaves, a snake.
Das ist bitteres weibliches resentment, gewonnen aus dem Gefühl des Angewiesenseins der Frau auf den männlichen Phallus, der im altgriechischen Gott Priapos verehrt wird, und der immer wieder als großartiger männlicher Geschenkartikel gepriesen wird, aber eben auch versagt. Resentment ist hier noch nicht ressentiment à la Nietzsche, sondern re-sentiment, eben disappointment. Die Schäferin ist ein arkadisches Kunstprodukt, die (griechische) nymphä ist zunächst einfach ein junges Mädchen, in der Mythologie dann eben auch ein entsprechendes Wesen an der Quelle, Grotte, im Hain, das zwischen Göttern und Menschen mittelnd steht.
Noch heftiger tritt dieses Resentment zu Tage, wo Behn Cloris mit den Fingerchen in der offenbar umfangreichen Schambehaarung von Lysander nach dem Phallus krabbeln läßt, und sie feststellen muß, daß dieser im entspannten Zustand eine Schlange ist, die ihre Hand zurückzucken läßt.
Aber es ist nicht nur Ressentiment, sondern eben auch kunstvoll. Die falsche Schlange ist das Attribut der Äpfelchen-Eva, Aphra Behn gibt sie sozusagen den Männern als schlaffen Pimmel zurück, mit dem sie als Liebhaber eben nichts taugen. Die Lehren des Paradieses werden auf den Kopf gestellt.
Der Rest aristokratischen Lebensgefühls: Leben im Hier und Jetzt
Der nachantike Aristokrat war ursprünglich ein Ritter, ein kriegerischer Mann zu Pferd, dessen Freiheit zum einen in Verfügung über Land und die, die es bebauen, und zum anderen in einem hierarchischen Geflecht persönlicher Beziehungen bestand. Seine Tugendvorstellungen rankten sich um Mut, Ehre und Treue, Werte, die seine Tauglichkeit ausdrückten.
In England hatten bereits die Tudors die aristokratischen Freiheiten unter die monarchische Knute gezwungen: Auf dem Lande wird der Adel zum immer einflußloseren Privatier, im 18.Jahrhundert ist er dort mehr oder weniger Rentier- Geschäftsmann mit Landbesitz. Einfluß hat nur noch der Hofadel, der jetzt aber von der Gunst des Monarchen abhängt.
Mit dem Verbot des Duells durch den restaurierten Charles II. wird dem Hofadel auch sein Ehrbegriff genommen, - darf er seine “Ehre” jetzt doch nicht mehr selbst verteidigen. Auch Rochester, der “große Satyr” und persönliche Freund des Königs muß wegen eines Duelles einige Zeit im Tower verbringen. Richardsons Lovelace wird aller Verbote zum Trotz im Duell sterben.
In Frankreich schafft es die Monarchie unter Henri Quatre, dem Großvater Charles II., dem Paris eine Messe wert ist, ihre Ansprüche gegen den Hochadel zu formulieren. Dieser begehrt im Interregnum zwischen dem dreizehnten und vierzehnten Ludwig in den Frondekriegen noch einmal auf, die das französische Exil des Stuartkönigs überschatten und im Sieg von Mazarin über den Prinzen von Condé enden.
Die erfreuliche Seite des monarchischen Autoritarismus (des frühen Nationalismus) war die vorübergehende Herstellung von innerem Frieden, dessen Haltbarkeit aber bis heute nie sehr lange gehalten hat. Jene Bürgerkriege, die gemeinhin als die Revolutionen um 1640, von 1776, 1789 usw. tituliert werden, haben die modernen Nationen bis heute in einem fast permanenten Unruhezustand gehalten.
Die bittere Seite dieses Nationalismus ist die Herstellung eines Untertanenverbandes moderner, am Ende totalitärer Prägung; mit der schrittweisen Vernichtung aristokratischer Freiheiten verschwinden zunehmend auch alle anderen und gehen schließlich unter in jener Schimäre (staats)bürgerlicher “Freiheit”, in der jedes Recht zu einem staatlichen Gnadenakt wird: Der moderne Staat konstituiert sich prinzipiell auf der Herstellung jener merkwürdigen Annahme bisheriger völliger Rechtlosigkeit aller Bürger: Er erklärt willkürlich und unter Mißachtung aller tradierten Rechte, was er für Rechte derer hält, die wehrlos unter seiner drakonischen Knute gefangen sind. Traven und Kafka werden die letzten sein, die schriftstellerisch dagegen aufbegehren, der eine aus Freiheitsliebe, der andere aus schwärzestem Unglück.
Als Charles II. 1646 zusammen mit Jugendfreund Buckingham im Exil in Paris ist, wird Thomas Hobbes, damals schon ein älterer Herr, für einige Zeit ihr Mathematiklehrer und scheint sie mit seinen Gedanken beeinflußt zu haben, ähnlich wie später auch unseren Poeten Rochester. Während des Commonwealth wird Hobbes aus Gründen der Selbsterhaltung den Mitläufer spielen, aber Charles holt ihn desungeachtet nach der Restoration an seinen Hof und zahlt ihm eine Pension. Das Parlament, bald wieder in Händel mit der Krone verstrickt, wird ihn wiederholt als Blasphemiker angreifen und seine Schrift 'Leviathan' zur Begründung heranziehen. Hobbes muß sein Gnadenbrot dank parlamentarischer Unduldsamkeit mit Stillschweigen erkaufen.
Der Leviathan war ein ungeheures mythisches Seeungeheuer, und nach ihm benennt Hobbes den “Souverän”, an den die Menschen eines Landes in einem “Gesellschaftsvertrag” die Rechte abtreten müssen, die ihre Freiheit beinhaltet hatten. In letzter Instanz formuliert er – hier nicht ganz anders als später Rousseau – diese Freiheit als den ursprünglichen Naturzustand des Menschen. Im Gegensatz zu Rousseau (aber genauso unhistorisch) ist für ihn dieser Naturzustand der viehischer Barbarei, der des homo homini lupus. Der Leviathan entpuppt sich idealiter als absoluter Fürst, den besten Garanten jener Untertanenfreiheit, die Entfaltung von Lebendigkeit, Lebensglück bedeuten kann.
Während Rousseau vom Genfer Calvinismus und den Heldenlegenden Plutarchs getrieben werden wird, bewegt sich Hobbes auf den Spuren einer anderen, skeptischeren Tradition, wie sie die Texte eines Heraklit und eines Lukrez verkörpern. Gott taucht hier allenfalls noch als Weltenschöpfer auf, der aber nicht mehr präsent und daher vernachlässigbar ist. Diese Welt ist beständig im Fluss und wirklich ist nur der Augenblick, der durch die Sinne und den Verstand wahrgenommen wird und in dem das Begehren und die Leidenschaften stattfinden. Die Vergangenheit verschwindet im Wankelmut der Erinnerung und die Zukunft ist unbekannt. Der durchgängige Beweggrund menschlicher Existenz ist die Furcht, und sie treibt die Menschen zur Selbsterhaltung und zum Vergnügen. Die menschliche Seele lebt wie die griechische Psyche nur in Verbindung mit dem Leib; der Tod ist das wahrnehmbare Ende des Menschen und treibt ihn deshalb zum Lebensgenuss.
In der kunstvollen Einfachheit von 'Against Constancy', eines liedhaften Gedichtes wehrt sich unser Rochester gegen alle Prätensionen eines christlichen Barock, gegen das, was er für hypocrisy, Vorgeblichkeit hält:
Tell me no more of constancy, / The frivolous pretense / Of cold age, narrow jealousy, / Disease, and want of sense.
Let duller fools on whom kind chance / Some easy heart has thrown, / Since they no higher can advance, / Be kind to one alone.
Old men and weak, whose idle flame / Their own defects discovers, / Since changing does but spread their shame, / Ought to be constant lovers.
But we, whose hearts do justly swell / With no vain-glorious pride, / Knowing how we in love excel, / Long to be often tried.
Then bring my bath, and strew my bed, / As each kind night returns. / I'll change a mistress till I'm dead, / And fate change me to worms.
Dies gelegentlich als anakreontisch bezeichnete Lebensgefühl von Wein, Weib und Gesang, in dem sich Lebendigkeit erfüllt, die sich nur aus sich selbst begründet, legitim und illegal, ist das, was dem Hofmann der Restoration, dem courtier und seiner courtizane, von Bitternis durchsetzt, von seinem aristokratischen Erbe geblieben ist. Als Gentleman of the Royal Bedchamber dient der Hofmann ganz intim seinem Herrn und König, als mutiger Ofizier der Royal Navy dient er nicht weniger, Herr ist er nur noch in seiner sich hedonistisch gebärdenden (Lebens)Lust.
Dem moralisierenden Bourgeois, dem neuen Menschen, fehlt es an Sense, d.h. an Verstand und Sinnlichkeit, und er ersetzt beides durch Vernünfteln. In seinem vielleicht bedeutendsten Gedicht, 'A Satyr against Reason and Mankind', setzt er den freien Geist (free spirit) gegen das eitle Tier, welches so stolz ist, vernünftig zu sein (so proud to be rational), weil seine Sinne so stumpf sind (senses too gross).
Reason, an ignis fatuus of the mind, / Which leaving light of nature, - sense, behind, / Pathless and dangerous wand'ring ways it takes, / Through Error's fenny bogs and thorny brakes.
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His wisdom did his happiness detroy, Aiming to know that world he should enjoy
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But thoughts are given for action's government; / Where action ceases, thought's impertinent: / Our sphere of action is life's happiness, / And he that thinks beyond thinks like an ass.
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Thus, while against false reasoning I inveigh, / I own right, reason which I would obey: / That reason which distinguishes by sense / And gives us rules and ill from thence; / That bounds desires with a reforming will, / To keep'em more in vigour, not to kill.
Dies sind kurze Ausschnitte aus einem der schönsten nachantiken Gedichte des Abendlandes und es ist zugleich ein Abschied: Defoe erwähnt Rochester noch einmal wenige Jahrzehnte nach dessen Tod, und gesteht ihm zu, ein großartiger Lyriker zu sein, bloß leider zu unmoralisch: Dorset and Rochester and those superior poets who, as they conceived lewdly, so they wrote in plain English, and took no care to cover up the worst of their thoughts in clean linen; which scandalous custom has assisted to bury the best performances of that age...They are not fit to be read by people whose religion and modesty have not quite forsaken them; and which, had those grosser parts been left out, would justly have passed for the most polite poetry that the world ever saw.
Wie wahr, Herr Defoe: Religion und Prüderie werden im 18. Jahrhundert den bürgerlichen Nihilismus daran hindern, die große abendländische Kultur noch wahrnehmen zu können: Shakespeare erscheint jetzt vorwiegend in zensierten, entstellten Textausgaben, Rochester wird unterschlagen, Ovid verketzert, auf Renaissance-Gemälde werden Feigenblätter aufgemalt und die griechische Antike wird von Winckelmann über Schiller und Goethe bis Hölderlin mit soviel klassizistischem Firnis überzogen, bis von ihr nichts mehr übrigbleibt als das Flachbild der Schulbücher des 19. Jahrhunderts.
Es ist die Wahrnehmung von Wirklichkeit, die Defoe der Romancier selbst noch einmal und ziemlich unglücklich versucht, die er aber hier verteufelt und verketzert, die mit der Zeit der Stuarts langsam aus England verschwindet. Es ist die (wie auch immer im Abendland problematische) Wahrnehmung der eigenen Körperlichkeit, und es ist vor allem die Wahrnehmung des Sexus, die einem Rochester angelastet werden. Es ist sein Angriff gegen die Prätensionen der Hypokriten, der sich nach deren Sieg gegen ihn wendet. To cover up...in clean linen (Deutschlands Lieblingsbeschäftigung nach 1945 und 1990) ist das, was das protestantische Bürgertum des 18.Jahrhunderts betreibt, das Verstecken menschlicher leiblicher Wirklichkeit im weißen Leinen verlogener Ideologie. Dies ist das clean linen, die weiße Wäsche der Bourgeoisie, mit dem sich Rochesters Texte wie übrigens noch die von Jonathan Swift so wütend befassen und das in Goethes Texten mit ihrem Triumph der “Reinlichkeit” den Weg zu allen irdischen Purgatorien weisen wird.
Rochester wird weggeschlossen, bis ihn Graham Greene mit jugendlichem Mut Mitte des 20 Jahrhunderts in einem 'Times'-Artikel wieder zum Vorschein bringt.
In einer 'Addition' zum Gedicht sagt Rochester: All this with indignation have I hurled / At the pretending part of the proud world, Who, swollen with selfish vanity, devise / False freedoms, holy cheats, and formal lies, Over their fellow-slaves to tyrannise.
Die Prätentionen des neuen bürgerlichen Menschen werden falsche Freiheiten, heilige Falschheiten und förmliche Lügen propagieren, die Welt Fénelons, Rousseaus, Schillers/Goethes, Robespierres, Lenins, Hitlers, Pol Pots, und die Routinen der modernen Demokraten.
Eine englische Querelle des Anciens et des Modernes
Da Edward de Vere, der dritte Earl of Oxford, ganz unstandesgemäß nicht nur das Theater liebte, sondern selbst ein enormes Quantum an Theaterstücken schrieb, brauchte er ein Pseudonym für deren Veröffentlichung/Aufführung und fand es in dem kleinbürgerlichen Theatermann Shakespeare. Am Hofe Charles II. ist das, hundert Jahre später, ganz anders. Höflinge wie Buckingham, Etheridge, Rochester und andere bekennen sich ganz offen zu ihren Theaterstücken, deren Aufführungen der König genießt. Die Öffentlichkeit, d.h. Veröffentlichung von Schauspielen ergibt sich daraus, dass sie für die (öffentliche) Aufführung bestimmt sind.
Diese Höflinge schreiben aber, wie schon der dritte Earl of Oxford, nicht für Geld, sondern für ihr “Vergnügen”. Dryden, dessen Patronage Rochester betreibt, für den er sich auch dahingehend verwendet, daß er 1668 poet laureate (königlicher Hofautor) wird, ist als bürgerlicher Autor aus einfachen Verhältnissen dagegen darauf angewiesen, mit seinen Theaterstücken Geld zu verdienen.
Mit Gedichten, bis in den Barock hinein als eine höhere Kunstform angesehen, steht es anders. Die Sonnette des Earl of Oxford, Hofmann bei der ersten Elizabeth wie beim ersten James, waren nur für den engsten Freundeskreis bestimmt, und manche Stellen darin sind deshalb bis heute für Außenstehende nur schwer verständlich. Erst nach dem Tod des höfischen Autors werden sie in Buchform einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht; allerdings ohne dass sich jemals eine solche ernstlich für sie interessieren wird.
Der zweite Earl of Rochester schreibt ebenfalls nie für eine anonyme Öffentlichkeit, sondern immer nur für seine Freunde. Nach seinem Tod erklärt sein Freund Robert Wolseley: My Lord Rochester entwarf seine Lieder nicht, damit sie als Hymnen in der königlichen Kapelle gesungen werden, genauso wenig wie er seine anderen obszönen Schriften für die Kabinette von Damen oder die Studierzimmer von Geistlichen produzierte, oder für irgendeine öffentliche oder allgemein zugängliche Unterhaltung, sondern für das private Vergnügen der happy few whom he used to charm with his company and honour with his friendship.(* nach Goldsworthy, The Satyr,p.48f).
In der privaten Öffentlichkeit des Hofes kann Charles II. die vielen Spottgedichte Rochesters auf ihn ertragen oder sogar goutieren, wie etwa den Vierzeiler: We have a pretty, witty king / Whose words no man relies on: / He never said a foolish thing, / And never did a wise one.
In der Sache heftiger ist folgendes Spottgedicht Rochesters auf Charles' geringe Neigung, Kriege zu führen (zur Empörung der Whig-Partei, die sich mit Wilhelm (von Oranien) in einen gigantischen Landkrieg gegen Frankreich stürzen wird): Bella fugis, Bellas sequeris, Belloque repugnas, / Et Bellatori sunt tibi Bella Tori. / Imbelles imbellis amas; audaxque videris / Mars ad opus Veneris, Martis ad arma Venus. (Du fliehst die Kriege, verfolgst die Schönen, weist den Krieg von dir, / deine Schlachtfelder sind die Betten der Schönen. / Du bist kriegsuntüchtig und liebst die (Schönen) die keinen Widerstand leisten; du betrachtest / Mars als kühn, wenn er sich an Venus heranmacht, und Venus als kühn in den Armen des Mars).
Es versteht sich von selbst, daß Charles II. solchen Spott gutgelaunt auch als Lob betrachten konnte. Anders wäre es, wenn solche Gedichte ähnlich wie auch Liebesgedichte an konkrete Damen, Gegnern der Betroffenen in Buchform in die Hände gefallen wären.
Um 1775 beginnt der Streit zwischen Dryden und Rochester. Ersterer war inzwischen der Protegée von Mulgrave, einem persönlichen Gegner von Rochester geworden und Rochester, der dessen bessere (zukünftige) Werke noch nicht kennt, beginnt ihn als Lohnschreiber und Speichellecker zu verachten. Dryden war im Commonwealth wohlfeiler Lobhudler von Cromwell gewesen und hatte 1660 die Seiten gewechselt, um Lobgedichte auf Charles II. zu schreiben. Um eine Stelle an einer Universität zu erhalten, studiert er dann für einen geistlichen Job bei der anglikanischen Kirche. (Als der katholische James König wird, wechselt er zum Katholizismus, um sich dann 1688 beim Amtsantritt des calvinistisch-protestantischen Wilhelm entgültig düpiert zu fühlen und seine Poet Laureate Stelle an Shadwell zu verlieren).
Um sich Rochesters Protektion zu erhalten, kann er sich Ende der 60er Jahre nicht genug tun mit Lobeshymnen auf seinen Maecenas. Er versucht zugleich mit Texten voll derber Flüche und Obszönitäten Zugang zum Kreis der Court Wits und der Merry Gang zu erhalten, was ihm aber nicht gelingt. Darauf fängt er an, die höfischen Amateure (Liebhaber) der Poesie verächtlich zu machen, ist er doch ein professioneller Autor. Damit zieht er die Abneigung von Leuten wie Savile, Sedley (Dorset) und Wilmot (Rochester) auf sich, für die die Künste höchstes Vergnügen und nicht Gelderwerb sind. Rochester verachtet die Prätentionen des protestantisch-“bürgerlichen“ “Klassenbewusstseins”, dessen zerstörerische Kraft noch im heutigen England wirkt, wo die Feststellung, ob jemand lower, middle oder upper middle class ist, immer noch eine große Rolle spielt. Für den konszienten Underling Dryden spielt das alles eine Ressentiment-geladene Rolle.
1774 nimmt Rochester in 'Timon' Dryden (und andere) noch freundlich auf die Schippe: Mine host, who had said nothing in an hour, / Rose up and praised The Indian Emperor. / 'As if our old world modestly withdrew, /And here in private had brought forth a new.' / There are two lines! Who but he durst presume / To make the old world a withdrawing room, / Whereof another world she's brought to bed! / What a brave midwife is a laureate's head.
Das Stück ist von Dryden, der Zweizeiler im Original aus diesem Stück; aus dem Drawing Room, für dessen Privatheit die höfische Literatur bestimmt ist, wird der Withdrawing Room, aus dem Dryden sich in eine anonyme Öffentlichkeit zurückzieht. Die alte Welt, das Abendland und seine verfallende Kultur wird ersetzt durch die neue Welt, in der die Handlung des Stückes spielt, und die neue Welt eines ungebildeten aber gefälligen Massenpublikums.
1675 widmet Dryden sein Stück 'Aurengzebe', diesmal über einen indischen Moghulkönig à la mode, Mulgrave und wirft den Amateur-Autoren vor, vor den Profis zu katzbuckeln, weil sie ihnen hoffnungslos unterlegen seien. Sie stehlen ganze Textpasagen von ihnen, wenn diese abwesend sind; in ihrer Anwesenheit zitieren sie diese liebedienerisch.
Das stellt zwar die Realität auf den Kopf, repräsentiert aber zugleich die zukünftig siegreiche Partei. Die Lohnschreiber für ein anonymes zahlendes Publikum werden die erfolgreichen Autoren des 18. Jahrhunderts, sie werden die Produzenten der säkularisierten heiligen Schriften, die Apologeten einer Eigentlichkeit, die die Wirklichkeit erst im Textformat koppheister gehen läßt, um dann das paranoide Sadomaso des Helterskelter der Revolutionen, der world upside down als Karneval des alltäglichen Massenmord und der banalsten Entmenschung bis heute in Gang zu halten.
Rochester schlägt zurück in Passagen seines großen Poetik-Gedichtes, 'An Allusion to Horace' in Anlehnung an die zehnte Satire aus dessen erstem Buch, dem einzigen Werk, von dem sich feststellen läßt, dass es literarische Auswirkungen hatte, nämlich auf Pope's großes Poetik-Gedicht. Alexander Pope wird Drydens Formvollendung den freieren Formen seines Gegenspielers vorziehen, aber von dessen inhaltlichen Aussagen beeindruckt sein.
Zunächst zeigt Rochester, daß er durchaus im Unterschied zu Dryden eines differenzierten Urteils fähig ist: Well sir, 'tis granted I said Drydens rhymes / Were stolen, unequal, nay dull many times: / What foolish patron is there found of his / So blindly partial to deny me this? But that his plays, embroidered up and down / With wit and learning justly pleased the Town / In the same paper I as freely own: / Yet having this allowed, the heavy mass / That stuffs up his loose volumes must not pass.
Dann geht er zum Frontalangriff auf einen Autor los, der bloße Obszönität und Boshaftigkeit um ihrer selbst willen schon für geistreich hält: Dryden in vain tried this nice style of wit, / For he, to be a tearing blade thought fit; / But when he would be sharp, he still was blunt, / To frisk his frolic fancy, he'd cry 'cunt'; / Would give the ladies a dry bawdy bob, / And thus he got the name of Poet Squab. Das heißt: Seine Art Ausgelassenheit und Herumtollen beschränkt sich darauf, die weibliche Scheide bei ihrem Namen zu rufen. Das aber gibt den Damen einen trockenen Orgasmus, ohne das Abspritzen des Samens, ohne Lust und ihm den Spitznamen Dichter Streithammel. Der Whig-Poet Shadwell wird ihn dafür von der anderen Seite abstrafen: He huffs and struts, and cocks an hundred ways, / And damns the Whigs 'cause they did damn his plays. / So raging once 'twas thought himself had stabbed / 'Cause Rochester baptised him 'Poet Squab'.
Den Kern der Drydenkritik schreibt Rochester aber in die folgenden Zeilen seiner Horaz-Paraphrase: To write what may securely stand the test / Of being well read over thrice at least, / Compare each phrase, examine every line, / Weigh every word, and every thought refine; / Scorn all applause the vile rout can bestow / And be content to please those few who know. Nachdem noch Alexander Pope und Jonathan Swift diesem Anspruch genügen werden, wird er danach sang-und klanglos untergehen. Die spätere Literatur wird sich an den gemeinen Pöbel wenden, - den Beifall der Stiftsdamen, Betschwestern, Friseusen, Schullehrer und politischen Mordbrenner suchen.
1778 schlägt Dryden noch einmal in geistreicher, wenn auch zugleich böser Form zurück: Ich denke, dass es in keinster Weise an mir ist, mit Ihrer Lordschaft zu konkurrieren, die besser über das niedrigste Thema schreiben kann als ich über das beste. Der Lohnschreiber schlägt mit verdeckter bürgerlicher Moral zurück, aber talentiert kombiniert mit höfisch kultivierter Rhetorik.
Ein Jahr später ist sein (politisch nicht unbegabter) Mäzen Mulgrave mit einem 'Essay on Satire' an der Reihe: Rochester I despise for his mere want of wit, / Though thought to have a tail and cloven feet, / For while he mischief means to all mankind, / Himself the ill effects does find. Das ist unübersehbar weit unter dem Niveau der beiden Kontrahenten: Rochester ist zwar ein Teufel, aber dennoch/zugleich nicht geistreich, sondern nur bösartig, trifft seine Gegner nicht, sondern schadet nur sich selbst. Das unterstützt jene Tradition, die den männlichen Wit und Rake Rochester von einem sympathischen Satansbraten zu einem veritablen Satan macht. Wann immer sich Dryden selbst nach dem Tod seines Kontrahenten an ihn erinnert, erwähnt er ihn im Unterschied zu Mulgrave mit freundlichen Worten: Der Sieg des protestantischen Bürgertums mit der “Glorreichen Revolution” mochte ihn wie auch Samuel Pepys und viele andere sehnsüchtig an bessere Zeiten zurückdenken lassen.
Satire, Ironie und Provokation
Das Moment der Lebenslust ist in den besseren Gedichten Rochesters ganz barock immer durchsetzt von einem Element des Bitteren, Grantigen und Galligen. In den folgenden Jahrhunderten bürgerlicher Welt wird er so auf doppelte Weise immer wieder als der aristokratische katholisch-heidnische Satan auftreten können. Auf der Höhe dessen, was ziemlich ungenau als “Viktorianismus” bezeichnet wird, kann so Edmund Gosse 1873 schreiben: So sullen was his humour, so cruel his pursuit of sensual pleasure, that this figure seems to pass through the social history of his time, like that of a veritable Devil. (* Goldsworthy, The Satyr,p.66). Ich vermute, wenn Rochester aus der Hölle der Sünder ein Blick auf diese Zeilen vergönnt worden wäre, hätte er geschmunzelt über die Schlichtheit dieses bürgerlichen Mißverständnisses, zu dem auch der Vorwurf der Feigheit (!, Rochester steht an Bord eines Schiffes der königlichen Flotte, als zwei Freunde neben ihm von einer feindlichen Kugel weggeschossen werden, ohne wegzulaufen), des Verrats gegenüber Freunden (!, Gosse nennt zu Recht kein Beispiel) und der Untreue gegenüber seinem König (!, er war überzeugter Stuartanhänger bis zu seinem Tode) gehörte; alles beispielloser Unfug.
Ein Gedicht aus seinen späteren Jahren gehört hier hin, weil es mit seiner Galligkeit eher auf Rabelaissche Deftigkeit zurückweist, als nach vorne, obwohl es andererseits das Thema zunehmender Verfeinerung impliziert, zu dem auch die körperliche Reinlichkeit gehört. Aber hier wird andererseits – wie vorhin bei Aphra Behn – Ressentiment laut:
By all love's soft, yet mighty powers, / It is a thing unfit
That men should fuck in time of flowers, / Or when the smock's beshit.
Fair nasty nymph, be clean and kind, / And all my joys restore
By using paper still behind / And spunges for before.
My spotless flames can ne'er decay / If after every close,
My smoking prick escape the fray / Without a bloody nose.
If thou wouldst have me true, be wise / And take to cleanly sinning;
None but fresh lovers' pricks can rise / At Phyllis in foul linen.
Die „Blumen“ sind das Menstruationsblut und die „blutige Nase“ ist unappetitlich, wenn er sie sich nicht bei einer Jungfrau geholt hat, sondern bei einer Menstruierenden. Die “Nase” wird noch in Sternes 'Tristram Shandy' den Penis meinen.
Die Provokation besteht in der Erwähnung von Scheiße am Hintern und Monatsblut in der Scheide. Nur Hartgesottene äußern sich dazu in Gedichtform und mehr als nur andeutungsweise. Jonathan Swift wird ähnlich derb schreiben, aber mit der Erziehungsarbeit von Addison und Steele und dem neuen Feingefühl werden das tabuisierte Pfui-Regionen, mit allen Annehmlichkeiten des Tabus für Hartgesottene und allem Neurosenpotential für Sensible.
Die Ironie ist bitter und bezieht sich auf seine nachlassende Potenz: None but fresh lovers' pricks can rise /At Phyllis in foul linen. Das ironische Moment entfaltet sich hier nicht in dem Zusammenbringen verschiedener Ebenen in eine Gedichtstruktur, wie in einigen seiner Meistergedichten, sondern darin, dass er sich komplementär ausdrückt und so nur mittelbar das sagt, was er sagen will – und die nachlassende Potenz kann für Männer schon etwas sein, was besser mit Ironie behandelt wird.
Das satirische Element erwächst aus einer formalen Ironie: Der Derbheit der Aussagen steht die extreme Regelmäßigkeit der Verse mit ihren perfekten Kreuzreimen, ihren vierzeiligen Strophen, der ehern-schlichten Rhythmik und dem mock-pathetischen apodiktischen Stil, der den mock-heroic style des Augustan Age ein Stück weit vorwegnimmt: It is a thing unfit....etc. Jane Austen wird sowas mit ihrem it is a truth universally ...als Anfang von 'Pride and Prejudice' ironisch wieder aufnehmen.
Der einzige schwächere Reim verbindet cleanly sinning mit foul linen. Es mag sein, dass ihm hier nichts besseres eingefallen ist, aber das satirische Moment könnte ja auch hier aus ironischem Sprachspiel hervorgehen, welches Satire aus völliger Überdrehtheit gewinnt, denn hier kommt zum Kreuzreim noch eine Überkreuz-Aussage : Der christlich-abendländische Haushalt schreibt schließlich die Kombination von reinem plus Leinen(bett) und andererseits von schmutziger plus Sünde vor. Er hingegen verlangt sauberes Sündigen im reinlichen Sündenpfuhl und unterläßt es darauf einzugehen, wie das Leinen wohl nachher aussieht.
Rochesters Welt ist der teuflische Gegenpol zu Fénelons himmlisch-utopischen Landschaften. An der Stelle abstrakter Begrifflichkeit steht konkrete Körperlichkeit, statt sexuell zurückgenommenen Hausfrauen treten Frauen mit selbstbewußt-subjektiver Geschlechtlichkeit auf, anstatt “die Welt” zu verbessern geht es um ein gutes Leben im Hier und Jetzt. Aber bei Rochester ist andererseits bereits zu beobachten, dass der “alte Mensch” sich zunehmend nur noch in Opposition zum “neuen” formulieren kann. Die Kultur der Rakes, der Hallodris, demonstrativen Rabauken und ausschweifenden Lustkerle opponiert zunehmend nur mehr gegen das neuzeitlich-bürgerliche Ideal.
Im letzten Nachfahren dieser Gattung Mann, dem wilden Lord Byron, scheitert dieses Modell der Rebellion daran, dass ihm die Substanz abhanden kommt. Der Regency-Dandy als Verseschmied langweilt sich schnell mit Frauen, die hinter romantischer Pose ganz bürgerliche Absichten haben und flüchtet immer wieder zu Frauen, deren Interessen ihn nicht belasten, ihn aber auch nicht tangieren. Je größer sein Erfolg als Dichter und Darsteller, den er zunächst sucht, desto mehr will er ein Leben, das mehr seelische Tragkraft hat. Da er aus sich heraus keins entwickeln kann, überläßt er sich der seit fünfzig Jahren bewährten Rolle des Freiheitshelden, und das im vollen Bewusstsein von deren hohler Attitüdenhaftigkeit. Letztere genügt aber dann, um die “hellenische Freiheit” zu einem weltweiten Markenzeichen zu machen.
Zum Schluß noch ein Rochestergedicht, geschrieben nicht lange vor seinem Ende, ohne das, was heutige schwache Seelen so irritiert, und eine Ermunterung für alle, mehr von ihm zu lesen . Es handelt sich um eine Paraphrase des Chores des zweiten Aktes von Senecas 'Troades':
After death nothing is, and nothing, death, / The utmost limit of a gasp of breath. / Let the ambitious zealot lay aside / His hopes of heaven, whose faith is but a pride; / Let slavish souls lay by their fear, / Nor can be concerned which way nor where / After this life they shall be hurled.
Dead we become the lumber of the world, / And to that mass of matter shall be swept / Where things destroyed with thhings unborn are kept. /Devouring time swallow us whole; / Impartial death confounds body and soul. / For Hell and the foul fiend that rules / God's everlasting fiery jails / (Devised by rogues, dreaded by fools). / With his grim, grisly dog that keeps the door, / Are senseless stories, idle tales, / Dreams, whimseys and no more.
Zunächst aber noch einmal zurück zur englischen Restaurationszeit, und zu dem, was die englische Erinnerung des 18. und 19. Jahrhunderts daran als so besonders schlimm empfindet.
Charles, Nell, Aphra und Co.
Im Juli 1667 macht sich eine riesige Karawane von Kutschen mit Personen und Fracht, begleitet von einer stattlichen Schar von Reitern, auf den Weg nach Tunbridge Wells. Dort hatte zuvor der dritte Baron North 1606 etwas seltsames in einem Wassertümpel entdeckt, er kostet das Wasser und stellt fest, dass es ähnlich schmeckt wie das von Spa in den Niederlanden, dem ersten aller “Spas”. Mehrere Doctores untersuchen das Wasser und stellen fest, daß es heilsam sei, insbesondere, wenn man es ganz früh am Morgen trinke, - was den ganzen restlichen Tag für das Amüsement potentieller Kurgäste übrig ließ...
1629 reist Henrietta Maria, die Frau von Charles I., nach Tunbridge Wells, um sich von einer Fehlgeburt zu erholen. Nun wird der Ort endgültig fashionable. Zwei Vorstädte werden für die Kurgäste gebaut, und 1638 kommt eine Promenade im Ortszentrum dazu, die Pantiles (noch heute hübsch anzusehen), wo die fashionablen Leute auf und ab gehen, sehen und gesehen werden können.
Der erste, der sich über diesen Quellen-und Spa-Unfug lustig macht, ist My Lord Rochester, der in einem langen Gedicht den Ort beschreibt: The rendezvous of fools, buffoons and praters / Cuckolds, whores, citizens, their wives and daughters (Der Treffpunkt von Narren, Witzbolden und Großmäulern / Hahnreien, Huren, Bürgern, ihren Frauen und Töchtern).
Den gesundheitlichen Teil der Badekultur hielt er (zu Recht) für Mumpitz, statt dessen erläutert er den amüsanten Teil des Kuraufenthalts, der auch den älteren Goethe so oft nach Karlsbad oder Marienbad bringen wird - und insbesondere das Spielfeld für erotische Abenteuer, das Moll Flanders so sehr an Bath gefallen und die so brave wie talentierte Jane Austen so abstoßen wird.
In der Mitte des 18. Jahrhunderts wird der medizinisch vorgebildete Schotte Smollett in seinem wunderschönen Roman ''Humphrey Clinker' einen aufgeklärten feinen walisischen Landlord von Kurort zu Kurort ziehen lassen und überall (besonders anhand von Bath und Bristol Hotsprings) herausfinden, warum das Wasser entweder schädlich oder zumindest unnütz ist. In Tunbridge Wells kann man übrigens gegen einen kleinen Obolus noch immer am Ende der Pantiles die übelschmeckende Brühe zu sich nehmen.
Unsere Karawane im heißen Sommer 1667 wird von Charles II. und seiner (Ehe)Frau Catherine gebildet, umgeben von einer großen Entourage und Heerscharen von Bediensteten. Caterina de Braganza hatte der König nicht zu seinem Vergnügen geheiratet, sondern um an die bitter benötigte beachtliche Mitgift zu kommen und die Beziehungen zu Portugal und gegen Spanien zu festigen, indem sie ihm zumindest einen Thronfolger gebärt. Sie ist aber bislang noch nicht einmal schwanger geworden, und es gibt inzwischen Gerüchte, dass der König sich von ihr scheiden lassen wolle, um in der Ehe mit einer fruchtbareren jungen Dame aus dem europäischen Hochadel erneut sein Glück zu versuchen. Das war zwar wahrscheinlich nur gossip, aber immerhin konnte längst alle Welt sehen, dass es nicht am König lag, wenn es keinen Thronfolger gab.
Charles Stuart verbringt Kindheit und Jugend mit seiner Mutter, besagter Henrietta Maria, verarmt im Exil in Paris, Köln und Brügge. Als Erzieherin wird für den Fünfzehnjährigen zunächst die wunderschöne Mrs. Christabella Wyndham bestimmt, die ihn in die Freuden des Bettes einführt. Im Jahr darauf kürt er auf Jersey (auf der Flucht) die zwanzigjährige Marguerite Carteret zu seiner Kurzzeit-Favoritin., mit der er möglichweise seinen ersten Bastard zeugt. Zusammen mit seinen Freunden lässt er auch sonst keine junge Dame aus, derer er ansichtig wird. Er ist ein attraktiver junger Mann, sportlich, elegant, geistreich. Eine weitere Favoritin wird die frohsinnige Elizabeth Killigrew, deren Ehemann nicht anders kann als wegzuschauen; 1651 gebiert sie dem zukünftigen Charles II. eine Charlotte Jemima Henrietta Maria Fitzroy, Henrietta nach Charles Mutter, Fitzroy, weil sie damit als (uneheliche) Tochter des Königs gekennzeichnet ist, was ihr Vorzugsbehandlung einbringt.
Seine erste förmliche Maitresse wird Lucy Walters; 1649 gebiert sie ihm einen Sohn, der als Duke of Monmouth später mit einem “protestantischen” Aufstand gegen James II. in die Geschichte eingehen wird. Zuvor wird es Streit darüber geben, ob Charles nicht womöglich Lucy heimlich geheiratet habe und der Sohnemann legitimer Thronfolger sei. Lucy ist das, was Engländer damals sensual nennen und von einer ungeniert erotischen Natur und high spirits (was kann ein junger Mann sich mehr wünschen...). Sie sucht ihren Spaß aber auch außerhalb des königlichen Bettes und bekommt in dieser Zeit ein Kind von einem anderen Mann. Als sie es in Den Haag um 1665 zu heftig und zu öffentlich treibt, schickt Charles einen Vertrauten zu ihr, um ihr mehr Diskretion anzuempfehlen; die Mission scheitert, denn auch dieser Mann landet gleich in Lucys Bett.
Des Königs nächste offizielle Mistress wird die sinnliche Schönheit Barbara Villiers, die ihre ersten bekannten Leibesübungen als 16-jährige mit Lord Chesterfield absolviert hatte und deren sexuelles Temperament bis ins hohe Alter stürmisch bleibt. 1659 wird sie mit dem gebildeten und kultivierten Roger Palmer verheiratet, langweilt sich aber bald bei ihm und reißt immer wieder zu ihrer Lordschaft aus . Wir sind kurz vor der Restoration und so macht Palmer sich mit seinem ungetreuem Eheweib auf zum königlichen Thronanwärter, um diesem ein Geldgeschenk zu machen, auf dass er ihn bald in England nicht vergessen möge. Offensichtlich kommt ihm bei dieser Gelegenheit außer dem Geld auch seine Frau endgültig abhanden, - wenig mehr als ein Jahr später gebiert sie dem König eine Tochter, die der König später als die seinige anerkennen wird.
Vor der Geburt des nächsten Kindes von ihr (November1661) macht Charles den gehörnten Ehemann zum Earl of Castlemaine, und sie damit zur Lady (Castlemaine), ein Titel, den nur die zukünftigen männlichen Kinder der Lady erben dürfen, the reason whereof everybody knows (Pepys, Diary, 7.11.61). Als Charles Fitzroy (später Duke of Southhampton) geboren wird, zieht sich der arme Nichtvater nach Frankreich zurück: er ist inzwischen Katholik geworden. Nun bekommt Barbara Lady Castlemaine eine ganze Suite im Whitehall-Palast, wird 1663 auch katholisch und gebiert dem König noch weitere fünf Kinder.
Ihr Ehemann kommt im Februar 1665 aus Frankreich zurück nach London, alle beobachten ihn und spekulieren, but to no avail; ganz besonders übrigens unser Pepys, der einerseits ein Gegner höfischer Unmoral, andererseits aus der Ferne aber Verehrer von Mylady und so gut er kann, klammheimlich selbst unmoralisch ist. 1670 wird aus Lady Castlemaine die Duchess of Cleveland und sie ist endgültig an der Spitze der höfischen Rangordnung angekommen. Eine (nicht nur höfische) Gesellschaft, die heimlich Aretinos Zeichnungen der vielen Stellungen des Geschlechtsaktes fasziniert studiert (mit denen Casanova im nächsten Jahrhundert Damen verführen wird), munkelt darüber, dass sie wohl ziemlich alle in Vollendung beherrsche.
Caterina de Braganza muß sich, als sie in Whitehall einzieht, nach einigen Wutausbrüchen und Anfällen von Verzweiflung (sie hatte eine vollendet keusche Erziehung hinter portugiesischen Klostermauern hinter sich gebracht) mit alledem abfinden und auch damit, dass der König durchsetzt, daß Barbara nun die Liste ihrer Ladies of the Bedchamber anführt. Als die Queen 1663 schwer krank darniederliegt, erlebt sie allerdings einen Gemahl, dem der Schmerz ins Gesicht geschrieben steht. Das wird ihr zukünftig helfen, seine Maitressen und deren königliche Bastarde zu tolerieren.
Der Duke of York, Bruder des Königs und potentieller Thronfolger, solange der König seinen Bastard, den Duke of Monmouth, nicht legalisiert, unterhält eine ähnliche Maitressenwirtschaft. So erzählt Pierce unserem Samuel Pepys, wie dieser in seinem Tagebuch notiert, how the Duke of York is wholly given up to his new mistress my Lady Denham, going at noonday with all his gentlemen with him to visit her in Scotland Yard; she declaring she will not be his mistress, as Mrs. Price (eine maid of honour), to go up and down the Privy-stairs, but will be owned publickly; and so she is. Mr.Brouncker, it seems, was the pimp to bring it about; and my Lady Castlemaine, who designs thereby to fortify herself by the Duke; there being a falling-out the other day between the King and her...
Zurück nach Tunbridge Wells:
Offenbar langweilt sich die Königin hier nach einer Weile und setzt durch, dass die beiden lizensierten Theaterkompagnien, die vom König und die vom Duke, nachkommen und regelmäßig im Badeort auftreten. Hier kommt es zu einer klassischen Roxana-Szene, wie sie Defoe im gleichnamigen noch näher zu betrachtenden Roman beschreiben wird: Mall Davis, eine junge, aber arrivierte Schauspielerin, tritt vor dem königlichen Paar und dem ganzen Hof auf und tanzt eine so aufreizende Jig (Gigue auf dem Kontinent), dass die Königin empört die Szene verläßt. Mylady Castlemaine schließt sich ihr kaum weniger empört an. Daraufhin ziehen sich Charles und Mall ins königliche Bett zurück. 1673 wird sie ihm eine Tochter gebären. (Hier wie auch anderswo in diesem Kapitel vertraue ich mich den Informationen von Parker, Nell Gwyn an. Hier p.86. Wie ein Vorgeschmack auf diese Szenen in Tunbridge Wells mutet Pepys Tagebucheintrag vom 7.2.67 sieht er little Miss Davis did dance a jig after the end of the play, and there telling the next day’s play; so that it come in by force only to please the company to see her dance in boy’s clothes; and the truth is, there is no comparison between Nell’s dancing the other day at the King’s house in boy’s clothes and this, this being infinitely beyond the other.)
Möglicherweise hatte Buckingham, ein führender politisch interessierter Höfling aus Rochesters Hallodri-Clique, sie quasi für den König plaziert, weil er über sie seinen Einfluß auf den König verstärken und das heißt, den nachlassenden Einfluß von Lady Castlemaine ersetzen will.
Ob die Schauspielerin Nell Gwyn, wohl Defoes Hauptvorbild für seine Roxana, in Tunbridge Wells auch für den König tanzt, ist ungewiß, aber kurz darauf wird sie neben die Titularmaitresse (Barbara) treten und sie in der Gunst des Königs zeitweilig überrunden. Überliefert ist aber, das Peg Hughes von der Schauspieltruppe The King's Company' es während der (erfolglosen) Fertilitätskur von Königin Catherine dort schafft, Prince Rupert zu verführen und für längere Zeit seine Maitresse zu werden.
Dieser war niemand anderer als jener Kurfürst Ruprecht von der Pfalz, Cousin von Charles und von der katholischen Partei im Dreißigjährigen Krieg aus seinem Fürstentum vertrieben. Die Puritaner werden es Charles I. nie verzeihen, daß er nicht wirklich energisch für diesen protestantischen Gesinnungsgenossen und sein rechtgläubiges Fürstentum eingetreten war, was England allerdings auf das verheerendste in die kontinentaleuropäische Katastrophe verwickelt hätte, von der sich Deutschland als der Hauptkriegsschauplatz nie mehr ganz erholen wird. Im Bürgerkrieg führt er einen Teil der Kavaliers-Armee und geht dann mit den Stuarts und ihrem Hof ins Exil.
Am 29. 9.1660 schreibt Pepys in sein Tagebuch: Prince Rupert is come to court; but welcome to nobody. Er war wohl auch ein unerfreulicher Liebhaber für eine blutjunge Maitresse, aber immerhin hatte er Geld. Mit ihm hatte sich Elisabeth, die ‘Königin von Böhmen’, am englischen Hof angesiedelt. Sie war die Witwe des Kurfürsten Friedrich von der Pfalz, der 1619 König von Böhmen wurde, aber das Unheil des dreißigjährigen Krieges nicht überlebte.
Alles Theater
Das Barock ist nach der griechischen Antike die zweite Kurzzeit-Blüte des abendländischen Theaters. War das Schauspiel in Athen aus den Dionysien hervorgegangen, den (religiösen) Feierlichkeiten für Gott Dionysos, der ursprünglich Rausch und Entgrenzung verkörpert hatte, so kommt es im Umfeld des spanischen, französischen und englischen Hofes im 17. Jahrhundert zu einem neuerlichen Aufschwung mit Shakespeare/de Vere, Ben Jonson, Calderon, Lope de Vega, Corneille, Racine und Molière. Das durch den dreißigjährigen Krieg zerstörte Deutschland ist nicht relevant vertreten.
Das höfische Ballett insbesondere in Versailles geht aus dem Hofzeremoniell hervor und wird selbst Hofzeremoniell, das Fürst und Hof tanzend aufführen. „Die Vorführung gipfelt im Ballet de Cour, in dem die Seinsanalogien von Makro-und Mikrokosmos im Gesamtkunstwerk des Tanzes durch das Zusammenspiel von Bildsymbol, Allegorie, Musik und Bewegung zum Ausdruck gebracht werden.“ (Schwanitz Englische Kulturgeschichte,I, S.109).
In den court masques des ersten James steigert sich das bereits dahin, dass der Hof selbst mitspielt.
Das höfische Zeremoniell erfindet den starken Fürsten, indem es ihn inszeniert. Vom Levée (dem manchmal stundenlangen öffentlichen Aufstehen des Fürsten aus dem Bett) über die (öffentlichen) Mahlzeiten und das Plaisir, alles wird zum großen Auftritt, an dem der entmachtete Hochadel über seine Hofämter mitwirkt und eingebunden bleibt. In der Architektur werden Außen-und Innentreppen zu einer wichtigen Bühne: der Gastgeber wandelt herab, der Gast herauf; die Showtreppen von Operette und Musical werden das später zu schlechter Musik nachahmen.
Prachtentfaltung ist wichtig, denn die “absolutistischen” Fürsten identifizieren sich mit dem Staat, sie sind der Staat: L'état c'est moi. Sie selbst sind nicht mehr zuallererst Personen wie frühere Herrscher, sondern Repräsentanten, Schauspieler: sie „spielen“ Staat. Diese Erfindung des modernen Staates mit seinem Zentralismus, seiner Bürokratie und seinem stehenden Heer – einem immer gigantischeren Unterdrückungsapparat, der mit der öffentlichen Wohlfahrt verbunden wird, wird bald der Ruin der Fürsten werden. Er wirkt immer mehr wie das gemachte Nest für Demokraten, sie werden den kompletten Apparat übernehmen, ihn effektivieren, vor allem werden sie die öffentliche Wohlfahrt, den salut public übernehmen: Aus dem Diktat des Fürsten wird die Diktatur der Gesetzgeber und demokratischen Exekutiven. Fénelon fordert eine Entwicklung, die schon im Gange ist.
Großes Theater schreiben im Barock überwiegend gebildete Bürger, aber es ist seinem Wesen nach aristokratisch. Die Helden auf den Brettern sind stark und frei, keine Sklavenseelen wie die Freiheitsposeure der Schiller und Goethe, die sich als bürgerliche Moralisten gerieren; ihre Spannung erhalten die Stücke dadurch, daß Liebe und Tod Freiheit und Stärke konterkarieren und dass alles, was gesagt wird, am Ende doch bloßer Text ist. In den Worten von Schwanitz: Wer andere beobachtet, beobachtet immer,daß diese Beobachtungen standortgebunden und oft völlig illusionär sind; man beobachtet Illusionen.(..)*
29 Anders gesagt: Die Wahrheit eines Textes ist textgebunden, nicht mehr durch irgendeine Theologie fixiert. Da auch das Theater als Spiegel gedacht wird, ergibt sich eine Parallele zwischen menschlicher Seele und Theater. Der Geist wird zum ,,theatrum internum”, besichtigt von ,,the mind's eye" *30.
Das barocke Schauspiel dann wird zu einem ganz erheblichen Teil mehr noch als Spiegelung Reflektion höfischer Existenz. . „Wahrnehmung und Verdoppelung der Wahrnehmung in der Kunst werden also im selben Modell des Spiegels gedacht.(..). Wenn das Publikum die Beobachtung der Figuren beobachtet, beobachtet es zugleich mit, daß die Beobachtungen begrenzt sind. Es relativiert diese Begrenzung auf die Standortgebundenheit der Figuren. Es sieht also Perspektivik. Es sieht immer zugleich was die Figur sieht und was sie nicht sieht.Deshalb ist das paradigmatische Schema für die Doppeldeutigkeit des Dramas die Intrige. Die Erfahrung eines Theaterstücks ist also die Simultanpartzipation an diskrepanten Optiken.Die Optik des Zuschauers wird stereoskopisch“. (Schwanitz EK S.74) „Jede Beobachtung einer anderen Beobachtung demaskiert diese als Illusion. Die Paradoxie des Theaters ist es, daß es das zeigen kann, aber selbst wieder mit Illusionen arbeitet. Und das ist der Grund für die Ästhetik der Verdoppelung, die wir bei Shakespeare so häufig finden. Er schweIgt geradezu in Spiegelbildern. Jede Welt hat ihre gespiegelte Gegenwelt. Die himmlische Hierarchie spiegelt sich in der höllischen Hierarchie der Dämonen, die geistige Welt in der materiellen und die ewige in der irdischen. Das Reich der Tiere ist ein Spiegel der Gesellschaft, der menschliche Körper ein Spiegel des Staates etc.“ (Schwanitz EK S.75)
Das protestantische Bürgertum des 16. und 17. Jahrhunderts in seiner seelischen und moralischen Enge lehnt das Schauspiel entsprechend zu einem guten Teil ab: Es ist (gottloses) Vergnügen, stellt es doch Allzumenschliches dar, Sünde, Zweifel, Irrungen und Wirrungen. Erst im 18.Jahrhundert wird sich das Bürgertum eine Bühne zwecks Seelenveredlung aufgrund eines Drangs nach “Höherem” erobern und dort die bürgerlichen Revolutionen vorbereiten, begleiten und nachher als mit dem Ideal nicht übereinstimmend dekouvrieren.
Eine Besonderheit des englischen Schauspiels unter den Tudors und den ersten Stuarts war, dass alle Rollen von Männern gespielt wurden, eine tugendhafte Engländern bot sich eben nicht auf einer öffentlichen Bühne dar, und die Untugendhaften durften nicht. Die Frauenrollen wurden von jungen Männern gespielt, die aber durchaus auf Damen wie Herren erotisch wirkten, - und gelegentlich in den Betten beiderlei Geschlechts landeten. Gleichgeschlechtliche Erotik war Todsünde, aber geduldet, solange sie nicht provokant zur Schau getragen wurde. Wo sie literarisch hymnisch gefeiert wird, bleibt sie als Privatdruck Freunden und Freundinnen vorbehalten.
Mit dem Sieg der Puritaner werden die Theater geschlossen, die Schauspieltruppen aufgelöst; sie können jetzt nur noch heimlich auftreten. Öffentliche Bühnenspiele waren der wahrhafte Prunk des Teufels, dem wir in der Taufe entsagen,,wenn wir den Vätern glauben...sündhaft, Heidentum, schlüpfrige, gottlose Spektakel, und unheilvollste Verderbnis erklärt der führende Puritaner William Prynne (Popular stage-plays waren the very pomp of the Devil, which we renounce in baptism, if we believe the Fathers...sinful, heathenism, lewd, ungodly spectacles, and most pernicious corruption, in: ‘Histrio-Mastix, the Plyers’ Scourg ‘, 1635). Als der zweite Charles nach England zurückkehrt, gehören zu seinen ersten Taten die Wiederzulassung zweier Schauspieltruppen und die Restaurierung des kleinen Theaters in Whitehall. Das King's und das Duke's Theatre ziehen in zwei umgebaute Tennishallen. Und ausdrücklich dekretiert er, daß Frauen jetzt die weiblichen Rollen übernehmen sollen. Der Hof hatte im Exil in Frankreich mitbekommen, daß dort Schauspielerinnen selbstverständlich waren.
Pepys sah 1660 noch den Damendarsteller, one Kynaston, a boy,acted the Duke’s sister (Olympia), but made the loveliest lady that ever I saw in my life. After then play,we went to drink,and,by Captain Ferrers’ means, Kinaston, and another that acted Archas the General,came and drank with us. (’a Loyall Subject’ von Beaumont and Fletcher,Diary,18.8.60) 3.1.61 im Diary: ...here the first time that ever I saw Women come upon the stage.
Die neu auszubildenden Aktricen kamen weithin nicht aus den Kreisen ehrbarer Mädchen und Frauen. In seiner ''Panegyric upon Nell' schreibt Rochester über seine Freundin: As men commence at University / No doctors 'till they've masters been before, / So she no player was 'till first a whore.
Nell Gwyn wahrscheinlich und ihre Schwester Rose sicherlich waren schon in ihrer frühesten Jugend Prostituierte in der Kneipe ihrer Mutter in London. „...in the Restoration world girls like Nell Gwyn began their amorous and professional careers in their early teens."(Janet Todd:Introduction p.2)
Der erste Schritt zur Bühne gelang ihnen, als Mary Meggs, die bei der King's Company eine Lizenz zum Verkauf von Zitronen, Orangen und ähnlichem hatte, sie als orange girls einstellte. Sie standen mit dem Rücken zur Bühne und priesen ihre Orangen an, vermittelten den Zuschauern aber zugleich intime Kontakte, einen attraktiven Anblick und verhökerten sich auch selbst. Nell läßt sich mit dem Sohn des Theater-Leiters Killigrew ein und schafft vermutlich so den Sprung auf die Bühne. Ihre Kollegen Charles Hart und John Lacy bilden sie aus und teilen sich in ihre Reize.
Hart wird Nells Tanzlehrer und Tanzen ist wichtig für die Karriere der blutjungen Schauspielerinnen: Sie verdienen auf der Bühne zwar kaum mehr als kleine Nutten, aber als actresses bekommen sie die besseren Freier ab. Charles II. verbietet zwar (scheinheilig?), dass andere als die Theaterleute Zugang zu den Umkleideräumen der Schauspieler(innen) bekommen, aber niemand scheint sich daran zu halten.
Tanzeinlagen sind das, worin auch mittelmäßige Schauspielerinnen brillieren können. Ihre Kostüme sind schulterfrei und extrem dekolletiert, mit vom Walfischknochen-Korsett (bodice) hochgeschobener Brust, und sie können so bei den Tanzbewegungen nicht nur Anmut, sondern auch Busen zeigen. Dieses bodice, welches oben immer mehr offenbarte, verlängert sich wieder mal nach unten in ein spitzes Dreieck, das unmittelbar auf das Schamdreieck verweist. Darüber hinaus lüfteten die Schauspielerinnen beim Tanzen ein wenig die bodenlangen Kleider und verzückten die Männer mit zarten Knöcheln und zierlich-kleinen Füßchen ( die Rousseau und später der Fußfetischist und bürgerliche Revolutionär Rétif de la Bretonne so sehr schätzen werden).
Die nach unten und oben immer länger und enger geschnürte Taille der Damen nimmt ihnen nicht nur Beweglichkeit, sondern macht aus dem Schnürmieder erst das ungesunde Kleidungsstück, das die Organe beengt und das dergestalt von der Reformbewegung zwischen Rousseau und den Emanzen des frühen zwanzigsten Jahrhunderts pauschal abgelehnt werden wird.
Auf diese extreme Restriktion des weiblichen Körpers folgt dann als Gegenbewegung die Mode des der privaten Sphäre zunächst vorbehaltenen undress (déshabillé): dessen erste Stufe ist das Ablegen des Fischbein-Mieders, die zweite ist die Einführung eines nightgown, wie er als erstes auf Gemälden von Van Dyck auftaucht: Über dem smock, dem weißen,weiten Unterkleid, das die Dame auch im Bett anbehält, wird dieses lockere tiefdekolletierte Gewand entweder ein Stück weit offen getragen oder nur durch einen Gürtel zusammengehalten. Hybride Femininität wird dadurch erreicht, dass das lange Taillenstück dieses nightie die Form des aktuellen bodice hat, aber eben ohne die stays. Die fishbones haben den Körper geformt, das nightgown wird von ihm ausgefüllt und verrät so mehr über den Körper.
Undress ist zunächst das Privileg der Höhergestellten, die Niedrigrangigere hat zugleich formell gekleidet zu sein. Wenn Lely und Kneller also ihre Ladies immer häufiger im undress portraitieren, heißt das, dass dies exklusive Damen sind, die mehr erotische Offenherzigkeit zeigen dürfen. Des zweiten Charles Catherine und James des Zweiten Mary of Modena werden im undress offiziell portraitiert
Letzte Stufe des undress ist dann die Reduktion der Bekleidung auf den smock, der so zu einem Vorläufer des Négligées wird. Undress ist bei anständigen bürgerlichen Damen bis zu Jane Austen, Fanny Burney oder Mary Wollstonecraft Ausdruck entweder von negligence oder aber von unverfrorener Anmache und wird heftig diskutiert. Undress als sich öffentlich immer mehr-aus-als-angezogen-präsentieren wird schließlich zum Thema der Moderne und der Postmoderne für die Massen, aus dem große Teile der Modeindustrie inzwischen ihre Profite ziehen.
Im Laufe der Zeit wird das nightgown in die formale Mode übertragen, indem es immer kürzer wird, so daß es nur noch den Torso eng umschließt. Es heißt jetzt mantua, wird vorne von einem Gürtel zusammengehalten, läßt aber eine Linie offen, auf der das Spitzenmieder zu sehen ist. Wenn in Texten von Haywood, Lennox, Austen oder Burney von einer sehenswerten figure die Rede ist, dann ist es oft das körperenge, kurzärmelige Mantua-Jäckchen, das dieses Urteil ermöglicht. Unter dem mantua wird das mantua-skirt an den Hüften aufgehängt, das sich mit Hilfe eines Reifen weitet und den Rock schwingen läßt, unter dem die Spitzen des petticoat hervorblitzen. So werden Brust, Taille und Hüften/Hintern als spezifisch weibliche Silhouette betont.
Damit hört auch der Effeminierungstrip des barocken männlichen Kostüms auf: Beim männlichen Körper würde diese Kleidung keinen Sinn machen. Der Mann entwickelt den three-piece-suit weiter; Ende des 18. Jahrhunderts machen sich dann ganz langsam Frauen kleidungsmäßig auf in die von Wollstonecraft geforderte Entweiblichung, in die Androgynie.
Deren erste Etappe wird das riding-costume (später riding-coat, redingote), das aus enganliegender Jacke, um die Hüften engem Rock, Perücke und Männerhut besteht. Am 12. 6. 1666 sieht Pepys die Ehrendamen der Königin in their riding garbs, with coats and doublets with deep skirts, just for all the world like men, and buttoned their doublets up the breast, with perriwigs and with hats; so that, only for a long petticoat dragging under their men's coats, nobody could take them for women in any point whatever – which was an odde sight, and a sight did not please me. (Diary)
Die Wegdefinierung der Geschlechter wird ein ähnliches Thema wie ihre Umdefinierung in der Homosexualität und wie das Wegdefinieren von Verwandtschaftsbeziehungen in die Terminologie der Brüderlichkeit. Andererseits steht aber bei Pepys auch das folgende: Am 27. Juli 1665 machen sich König und Königin und nach ihnen Duke und Duchess von Hampton Court auf nach Salisbury. Und Pepys hält folgende Beobachtung am Abend in seinem Tagebuch fest:...it was pretty to see the young, pretty ladies dressed like men, in velvet coats, caps with ribbands, and with laced bands, just like men. (Diary)
Während die weibliche Kleidung immer mal eine Tendenz zu mehr Einfachheit und Bequemlichkeit entwickelt, wird ihre Haartracht jetzt zum Großereignis: Die Haare werden hoch und höher getürmt, große Drahtgestelle werden als Unterkonstruktion eingebaut und jede Menge Dekoration zugefügt, von Blumen bis Vogelnestern.
Nachdem die Schauspielerei in England früher eine Männerdomäne war, wird sie jetzt zur Frauendomäne: Die Autoren schreiben jede Menge Hosenrollen für die Damen... „About 90 of the 350 or so of the Restoration plays feature women disguised as boys, many of whom at some point reveal that their masculinity is false by stripping open their jerkins (Art Bolero-Jäckchen) or having a man feel their breasts“. (Parker,Nell Gwyn,p.55)
Diese Frauen können nun ihre Schenkel in enge breeches (Kniehosen) kleiden, die oft auch geschlitzt sind und ihre Unterschenkel noch offener darbieten: Weite Kurzhöschen (pettycoat breeches, wie sie Charles II. aus Frankreich mitbrachte) bedecken den Hintern und die Scham und oft wenig von den Oberschenkeln. Darunter sitzen die hautengen dünnen Kniehosen, die bis über die Knie gehen. Dann kommen die gelegentlich vom Strumpfgürtel (garter) gehaltenen hautengen Strümpfe. Das ist der Gipfel öffentlicher Nacktheit für Frauen damals, selbst die Straßenhuren waren (unten herum) schamhafter verpackt.
Am 28.Oktober 1661 ist Pepys im Theater, where a woman acted Parthenia, and come afterwards on the stage in men's clothes, and had the best legs that ever I saw, and I was very well pleased with it. Am 23.2.63 ist er wieder bei einer Aufführung. Das Stück gefällt ihm nicht, aber being most pleased to see the little girl dance in boy's apparel, she having very fine legs, only bends in the hams, as I perceive all women do. Am 7.2.67 sieht er little Miss Davis did dance a jig after the end of the play, and there telling the next day's play; so that it come in by force only to please the company to see her dance in boy's clothes; and the truth is, there is no comparison between Nell's dancing the other day at the King's house in boy's clothes and this, this being infinitely beyond the other.
Pepys' Kommentare nach seinen Theaterbesuchen machen sehr deutlich, welche Rolle die Darbietungen von Schauspielerinnen auf öffentlichen Bühnen spielten.Versuche, diesen Beruf im 19. Jahrhundert in England ehrbarer zu machen, wurden nicht zuletzt von Theaterfreund Charles Dickens betrieben, der es sich aber nicht nehmen ließ, auf seine alten (verheirateten) Tage die junge Schauspielerin Ellen Ternan zu seiner (heimlichen) Maitresse zu machen.
Später in der Restoration wird aus dieser Kleidung die nicht weniger offenherzige Kombination aus Weste, Tunika-Oberteil und Kniehosen bei den Männern, am 13. Oktober 1666 von James, dem noch nicht zweiten, vorgestellt. Zwei Tage später stellt Pepys fest, daß tout le monde nur noch diese Kleidung trägt. Jetzt freut sich der etwas karg-protestantische John Evelyn, der diese Mode als „persische Kleidung“ (Persian clothing) vorgestellt hatte, to leave the French mode, which had hitherto obtain'd to our great expence and reproach. (The Diaries of John Evelyn,III.)
Charles befürwortet diese mit billigen Fellteilen versetzte Mode nicht nur, weil er ohnehin nicht an Mode interessiert ist, sondern weil sie außerdem preiswert ist, gerade hatte das Große Feuer vier Fünftel der City of London in Schutt und Asche gelegt und den Handel fast zum Erliegen gebracht. Der vierzehnte Ludwig, der schon allein aus Gründen der Staatsraison den teuersten Prunk und erlesenste Klediung bei Hofe liebte, lieferte umgehend den Kommentar zur Sparsamkeit des englischen Schwagers: Er kleidete süffisanterweise seine Dienerschaft in eine Karrikatur dieser englischen “persischen” Mode. Als die Nachricht davon in Whitehall ankommt, kleidet man sich umgehend wieder “französisch” ohne “persischen” Einschlag..
Aus der Weste wird bald der waistcoat, und so haben wir den offiziellen three-piece-suit aus Jackett, Weste und Hose in seiner Urform schon unter den Stuarts.
Licentiousness war nicht nur Sache der Schauspielerinnen, leichte Mädchen waren bei jeder Aufführung zugegen und manche Dame ging ins Theater, weil sie auf erotische Abenteuer aus war. Manche Damen fingen bald an,vizard masques zu tragen, die das ganze Gesicht maskierten. Samuel Pepys beobachtet das 1663 zum ersten Mal und kauft flugs seiner Frau auch so eine Maske. Pope kommentiert das später so: The fair sat painting at a courtier's play, / And not a Mask went improved away; / The modest fan was lifted up no more, /And virgins smiled at what they blushed before.
Die einzige Schauspielerin, die im Ruf stand, halbwegs keusch zu sein, war Elizabeth Davenport. Sie lehnte es ab, Maitresse des Earl of Oxford zu werden, worauf der ihr eine böse Posse vorspielte: Er verkleidete seinen Trompeter als Priester und läßt ihn für sich und seine Schauspielerin eine Hochzeitszeremonie inszenieren. Erst nachdem er sie besessen hat, bekommt sie heraus, daß sie betrogen wurde. Inzwischen vermißt Theater-Aficionado Pepys sie, wie er seinem Tagebuch anvertraut. Darauf kehrte sie zur Bühne zurück. Aber Roxelana, wie sie nach einer Rolle genannt wurde, ist nun „entehrt“, und kehrt am Ende eben als Geliebte zu dem Earl zurück, dem sie 1664 einen Sohn gebiert (Aubrey Vere). Pepys wird ihr solange nachtrauern, bis er sich in die kokette Nell Gwyn verguckt.
Bald schreiben Dryden und seine Kollegen Nell die Rollen auf den Leib und sie wird der Star der Kompanie. Samuel Pepys und sogar seine (Ehe)Frau sind von ihr begeistert, er wird ihr „Fan“, streicht um ihr Haus, um einen Blick auf sie zu erhaschen und ist überglücklich, als er es schafft, sie backstage beim Umkleiden zu überraschen.
Direkte Konkurrenz besteht zwischen ihr und jener Mall Davis von Tunbridge Wells, und es geht dabei nicht um Kunst, sondern um ein weibliches Machtspiel. Vor den Stücken der Duke's Company tritt Mall meist in Knabenkleidung auf (!) und gibt eine Jig zum besten, Nell wiederum kann unwiderstehlich von der Bühne herunter verbal mit dem Publikum flirten.
Immer wieder gibt es Anlässe, das Theater zu schließen: die große Pest, das große Feuer, und 1667 Admiral de Ruyters Husarenstück im Medway, mit dem er die englische Seehoheit bedroht. Die Schauspieler sind dann von einem Tag auf den anderen arbeitslos. Nach der großen Pest 1666 wird diese vorzeitig offiziell für beendet erklärt, damit der Bischof die Theater nicht länger daran hindern kann, wieder zu öffnen. In einer solchen Situation nun wendet sich Nell an den neunzehnjährigen John Wilmot, Earl of Rochester und großen Theaterliebhaber. Dieser empfiehlt ihr, sich von seinem Freund Buckhurst aus der merry gang aushalten zu lassen. Kurz darauf schreibt Pepys in sein Tagebuch: my Lord Buckhurst hath got Nell away from the King's Theatre, lies with her and gives her Pounds 100 a year, so that she hath sent her parts to the house and will act no more...(13.7.1667), eine höchst bedauerliche Sache für den hochgestellten bürgerlichen Tagebuchschreiber, der auch moralisch empört ist, bringt Buckhurst ihn doch um ein erotisches Voyeurs-Vergnügen.
Pepys gibt aber nicht auf und überredet seine Frau, mit ihm und Mrs. Turner nach Epsom zu fahren, um dort die salzigen Quellen zu genießen, die ebenso heilsam sind wie die von Tunbridge Wells. Und, welcher Zufall, dort hausen Buckhurst und Nell, aber, welche Unmoral, zusammen mit Sedley, jenem Mitglied aus der merry gang, der folgenden Vierzeiler verbrochen hat: My love is full of noble pride / And never will submit / To let that fob , discretion, ride / In triumph over it. ('The Advice')
Mrs. Sedley und Tochter Catherine kommen gelegentlich zu Besuch, und Nells Biograph Parker meint, daß Sedleys Tochter dabei ihre Vorstellungen über ihren späteren Lebensweg formt: sie wird die Maitresse von James (II.), dem Herzog von York, Bruder des Königs und Thronfolger werden und wird später Countess of Dorchester. Nell ist inzwischen gerade mal siebzehn und offenbar unwiderstehlich. Pepys hingegen füllt einige Flaschen mit heilsamem Wasser und muß mit Eheweib und Mrs. Turner noch am selben Tag zurück. Zum Glück hatte er sich seinen Fuß verletzt, which Mrs. Turner, by keeping her warm hand upon it, did much ease (Diary 14.7.67). Was wohl sein Eheweib dabei empfunden hat? Am nächsten Tag jedenfalls bleibt er im Bett, Frau Turner verbindet seinen Fuß und gleich geht es ihm besser. Irgendwann wird er lernen, seine Frau mit Geschenken zu verwöhnen, um sie mit seinen Eskapaden zu versöhnen.
Sex and Politics
Warum alle diese Details, die uns moderne, durch Prüderie und Pornographie geprägte Menschen Anfang des 3. Jahrtausends auf Anhieb erst einmal erstaunen oder verwirren? Der Grund ist, dass weder „Kultur“ noch Politik dieser Zeit ohne solchen Hintergrund verständlich sind. Politik, im bürgerlichen Zeitalter als Popanz der Journaille wahrnehmbar, hat mit dem alltäglichen wirklichen Leben der meisten Menschen damals wenig zu tun, wo Politiker nicht gerade Unheil über diese hereinbrechen lassen. Politik, das ist unter Charles II. ein König, der privat ein Freigeist ist und ganz unpopulär auf Religionsfreiheit hinsteuert, und von den bürgerlich-protestantischen Modernisten, die auf Gewerbefortschritt und Handelsvorteile aus sind, nach Kräften behindert wird. Die Moderne ist damals die Freiheit des Kommerzes, der zur Untertänigkeit der Produzenten und Konsumenten führt. Es wird bis Defoe, Swift und Pope dauern, bis das Bürgertum es wenigstens in seinen Geistesgrößen schafft, Toleranz zu lernen, aber geistige Freiheit wird politisch erst zugelassen, als sie gesellschaftlich wirkungslos wird.
Politik, das heißt außerdem Hofintrige, Kabale heißt das in Schillers Jugendstück, und in des zweiten Charles England regiert nach dem Abgang des ebenso weisen wie bigotten Clarendon eine cabal: Clifford, Arlington, Buckingham, Ashley Cooper (Shaftesbury) und Lauderdale, allesamt Charles' Minister.
Hofintrige, das heißt nicht zuletzt das geschickte Plazieren von Maitressen im königlichen Bett. Für den Oberintriganten Buckingham geht es zunächst darum, den die Unduldsamkeit der anglianischen Kirche vertretenden und gegenüber dem Parlament schwachen Konkurrenten Lord Clarendon zu beseitigen. Dazu hatte er Barbara Villiers/Palmer, die er unter seine Fittiche genommen hatte, ins königliche Bett gesetzt; sie soll Charles einflüstern, auf ein stehendes Heer zu setzen. Im zweiten holländischen Krieg, als die Flotte versagt, versucht der Monarch, ein Landheer durchzusetzen. Das Parlament ist, wie zu erwarten, entrüstet, verweigert dem König wie immer das nötige Geld. Dieser setzt Clarendon ab, will ihn anklagen, und der muss außer Landes gehen. Er wird sein Leben lang über „dieses Weib“ schimpfen, wiewohl Charles' Maitressen immer eher das Echo des Königs sind als umgekehrt. Ansonsten wird er im Exil eine Geschichte der englischen Wirren schreiben, auf der später jene Whiglegenden bis hin zu Macaulay aufbauen werden, die in sozialistisch eingefärbter Form noch heute die englischen Schul-Geschichtsbücher zieren
Samuel Pepys notiert 1662 einen Tag vor Heilig Abend: Dr. Pierce tells me that my Lady Castlemaine's interest at Court increases, and is more and greater than the Queen's; that she hath brought in Sir H.Bennet, and Sir Charles Barkeley; but that the Queen is a most good lady, and takes all with the greatest meekness that may be.
Als Barbara ihren Einfluß verliert, versucht Buckingham mehrmals vergeblich, junge Mädchen gegen Lady Castlemaine aufzubauen, um seinen Einfluß beim König indirekt zu stärken. 1667 wird er verhaftet und angeklagt und sie setzt sich beim König heftig für ihn ein. Bald darauf ist er wieder frei, laut Pepys wohl auf ihren Einfluß hin. Parker meint, daß Buckingham dann auf Nell Gwyn verfällt, und damit den königlichen Geschmack trifft. Spätestens 1668 ist sie seine (inofizielle Zweit)Geliebte, ein Jahr später ist ihr Status halboffiziell. Leider interessiert sich Nell nicht für Politik, sondern für ein gutes Leben an der Seite des Königs. Zu allem Überfluß tritt etwas später noch die dritte des zukünftigen Maitressentriumvirats bei Hofe auf.
Louise de Kéroualle stammt aus einer armen aber alten französischen Adelsfamilie. Sie wird Ehrendame bei Henriette-Anne (d'Angleterre), Madame, der Schwester Charles II. Es wird gemunkelt, daß sie früher schon mal auf Louis XIV. angesetzt worden war. Bei einem Besuch von Madame beim Bruder in London nimmt ihre Hofdame Louise diesen für sich ein, was Henriette (nach ihrem Großvater Henri Quatre benannt) nicht gefällt. Sie nimmt sie mit zurück nach Frankreich. Kurz darauf stirbt die englische Prinzessin und Charles schickt Buckingham wegen des Trauerfalls und in geheimer diplomatischer Mission nach Versailles. Offensichtlich will die französische Diplomatie Louise jetzt in Whitehall plazieren, um Lady Castlemaine zu vertreiben. Das kann Buckingham (von der französischen Partei) nur gepasst haben, jedenfalls nimmt er sie nach London mit.
Lady Castlemaine ist inzwischen siebenundzwanzig und auch äußerlich kein junges Mädchen mehr. Aber sie hat dem Kinderfreund Charles viele Nachkommen geboren. Andererseits versucht sie ihre Protégées in Amt und Würden zu bringen, und je mehr der König sie vernachlässigt, desto häufiger läßt sie sich mit anderen Männern ein: Mit einem stadtbekannten Hochseilakrobaten, mit Nells Ex-Liebhaber Hart, mit dem Komödienautor Wycherley. Schließlich bekommt sie von einem Jermyn ein Kind und versucht, dieses dem König unterzuschieben, was der aber nicht hinnimmt. Pepys schreibt am 29.7.67: She is fallen in love with young Jermin, who hath of late been with her oftener than the King, and is now going to marry my Lady Falmouth; the King is mad at her entertaining Jermin, and she is mad at Jermin's going to marry from her: so they are all mad; and thus the kingdom is governed! Mittlerweile zieht Nell ins modische Lincoln's Inn Fields um und gebärt Charles einen Sohn. Kurz darauf steht sie in Drydens 'Conquest of Granada' auf der Bühne; ein Stück, welches eine kleine Rolle für Almahide/Nells Dienerin Esperanza (Hoffnung) enthält. Diese junge Schauspielerin, Anne Reeves, wird damals die Geliebte des Autors. Kurz darauf wird auch Barbara Villiers, jetzt Duchess of Cleveland, dessen Geliebte. Nun ist Dryden oben angekommen..
Nell Gwyn zieht inzwischen um in die Feudaladresse von Defoes Roxana: Pall Mall, Grundstück an Grundstück mit dem königlichen Garten und dem St.James Park, der jetzt erst von einer halben Wildnis in einen barocken Park umgewandelt wird. Nell lebt in jenem Luxus, den Defoe an der selben Adresse für Roxana beschreiben wird und ist, soweit überprüfbar, glücklich.
Inzwischen wohnt Louise de Kéroualle in Whitehall und 1671 wird sie königliche Maitresse. Der französische Botschafter führt sie an langer Leine und berichtet Louis XIV. , als ihre Entjungferung durch Charles nach einem Jahr vollbracht ist. Sie erhält eine riesige Suite luxuriös ausgestatteter Appartements im Palast: jetzt hält Charles drei offizielle und entsprechend teure Maitressen aus, von denen zwei neben der Königin in Whitehall wohnen, und die andere auf der anderen Seite des königlichen Gartentörchens.
Als Louise dem König ihren ersten Sohn gebiert, wird sie Duchess of Portsmouth. Die kleine Schauspielerin Nell wird zwar nie nobilitiert, aber ihre Kinder (vom König) werden schöne Titel erhalten.
Louise wird es nicht schaffen, Charles zu heiraten oder den nominell anglikanischen Freigeist während seiner Regierungszeit zum Katholizismus zu bewegen. Aber inzwischen ist Bruder James, der Thronfolger, dahin konvertiert. Seine (erste) Frau ist verstorben und er ist mit der inzwischen sechzehn-jährigen Tochter von Sir Charles Sedley verbandelt, die wir schon in Epsom Spa kennenlernten, wo Nell mit Buckhurst und Sedley senior herumkurt.
Ihm wird nun aus Versailles die Duchesse de Guise angeboten, die verwitwet ist und mit drei Schwangerschaften in zwei Jahren ihre Fruchtbarkeit hinreichend unter Beweis gestellt hat. Aber gegen die englische Teenager-Maitresse hat sie keine Chance. Nun werden die beiden jungen Fräulein d'Elboeuf in Stellung gebracht, aber sie ziehen das Kloster vor. Schließlich heiratet er die fünfzehnjährige Maria de Modena, eine französische Katholikin. Louise gratuliert ihrem Louis (Quartorze) zu dem Coup, aber „das Volk“ in London ist unzufrieden und murrt: Erst wird My Lady Castlemaine katholisch, dann kommt die catholic whore Louise und nun die catholic bitch Mary.
Die katholische Hure hat mittlerweile Pech und fängt sich die Syphilis ein, bei wem auch immer. Bei Hofe unbrauchbar, reist sie nach Tunbridge Wells, um das Unheil zu kurieren, wird dort aber nicht respektvoll genug aufgenommen und kuriert sich dann in Windsor aus. Sie ist damit nicht aus der Welt, und wird später wieder königliche Geliebte sein. Es wird berichtet, Buckinghams Nachfolger, der Schatzkanzler Earl of Danby, habe ihr 55.000 Pfund gezahlt, eine exorbitante (und sicher übertriebene) Summe, um sich ihrer Unterstützung zu versichern. Nell wird den König überleben und von diesem und seinem Nachfolger großzügig bedacht, ein gediegenes und glückliches Leben führen, - ganz anders als Defoes Roxana..
Sex as Sex can?
In Aphra Behns Gedicht ,The Golden Age' bedeutet blushing noch eher sexual arousal und nicht shame. Nymphs were free, no nice, no coy disdain, / Deny'd their Joyes, or gave the Lover pain'. In diesem goldenen Zeitalter fehlen labour, war, ambition, property, honour, laws, rulers, religion. Frei nach Tassos ,Aminta' und Ovids Liebeskunst wird hier von freier Liebe und von ungetrübter Erotik geträumt. Frauen sind dort anders als in irgendeiner Wirklichkeit bei der Geschlechterbeziehung gleichgestellt: Honour! Thou who first didst damn, / A Woman to the Sin of shame. Im Unterschied zu 'The Disappointment' ist hier der Penis a thing of tactile pleasure and visual beauty... Behn schafft es in ihrem erotischen Arkadien fast wie ein Rochester zu schreiben, - nur eben als Frau. Tatsächlich bleibt aber dieses weibliche Gleichgestelltsein eine Übung für Phantásien, und der reale Ausweg für Behn ist der der Gespielin einer Gespielin. Unter den Gedichten von Aphra Behn befindet sich auch folgendes:
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Wir sehen, nach Shakespeare/de Vere und neben Rochester bekennt sich auch Astrea Behn zur Bisexualität. Was ist los im Staate Engeland? Sexualität ohne Familie und Kinder ist eine Geschlechtlichkeit jenseits ihrer “natürlichen” Bestimmung. Der Trieb und die Lust, die der Fortpflanzung dienen sollen, verselbständigen sich und führen ihr Eigenleben. Sexualität als reine Lustbarkeit verzichtet aber leicht auf den naturgegebenen Sexualpartner und erfindet immer neue unfruchtbare erotische Praktiken.
In der Restoration führen große Teile der männlichen Society ein Doppelleben. Sie sind einerseits Ehemann und Familienvater, wie Rochester oder der Organisator der britischen Armada, Samuel Pepys, heiraten aus Liebe und lieben ihre (Ehe)Frauen, führen daneben aber, soweit es ihnen möglich ist, ein Leben schierer sexueller Lustbarkeit. In diesem Leben sind Kinder unerwünscht und entweder wird von den Geliebten erwartet, daß sie alle damals vorhandenen Mittel der Geburtenverhütung nutzen (sichere Kondome gibt es noch nicht), oder der Mann muß sich auf jene Sexualpraktiken beschränken, die nicht zur Zeugung führen. Ausgenommen sind die maitresses en titre der Fürsten, regelrechte Zweitfrauen, deren Kinder mit Adelstiteln, Pensionen und Aussteuern beschenkt werden, und die nicht zuletzt die Manneskraft der Herrscher, die ja zu ihrer übrigen (pleni)potentia paßt, dokumentieren.
Den Ehefrauen wird aus guten Gründen solches offiziell verwehrt. Die Liebes-Partner dieser Galane sind entweder selbstbewußte Frauen aus den oberen Kreisen, die sich ein solch selbständiges Leben leisten können, oder aber es sind diejenigen, die es wie Nell Gwyn schaffen, ausgehend von schäbigster Armutsprostitution zur Maitresse eines Reichen und Mächtigen aufzusteigen und so die Karriere vom Tellerwäscher zum Millionär ohne Fleiß und Genügsamkeit, aber unter geschicktestem Ausnutzen der eigenen Reize zu schaffen. Einige, wie die Maitresse des schottischen Generals Monk, der der Rückkehr von Charles II. den Weg ebnet, haben sogar das Glück, geheiratet zu werden.
Schauspielerinnen, Ballettmädchen und Musikantinnen wissen in der Regel, warum sie diese schlechtbezahlten, aber anstrengenden, Berufe ergreifen. Sie können, wenn sie talentiert und hinreichend reizvoll sind, als schwerreiche Lady, als Herzogin oder wenigstens Gräfin enden. Die meisten Mädchen von der Straße haben diese Chancen allerdings nicht und gehen im Alter oft elendiglich zugrunde, wenn sie Tripper (clap), Syphilis (pox) oder Schanker (shancre) zu oft erwischen. Die Glücklicheren machen selbst einen Puff auf oder einen Schankbetrieb oder beides.
Um damals Karriere durch die Betten zu machen, muß man stark sein. Erfolgreich auf dem Weg nach oben sind dabei vor allem die Mädchen, die wie Nell Gwyn den Liebhaber spüren lassen können, daß ihnen die Liebesspiele selbst Spaß machen, für das Vortäuschen falscher Tatsachen kommen die Herren mit billigeren Nutten aus. Darüberhinaus müssen sie geistreich sein (Nell kann kaum lesen und gar nicht schreiben, zeichnet sich aber durch beachtlichen wit aus ), und sollen auch Zugang zu den Künsten haben. Seit den Zeiten der ersten Elisabeth steht dabei die Musik hoch im Kurs, daneben die Poesie und das Schauspiel.
Die Courtisanen, wörtlich „Hofdamen“, sind Gespielinnen, Freundinnen, Vertraute ihrer Liebhaber. Sie können mit Roxana, nachdem sie der Ehe überdrüssig ist, argumentieren: Sie haben ungeahnte Freiheiten, können eigenes Vermögen ansammeln und den Liebhaber wechseln, wenn sie seiner überdrüssig sind, und er sie nicht vorher pensioniert. Solche Frauen haben Macht und ein enormes Selbstbewußtsein. Dieses drückt sich darin aus, daß viele neben dem offiziellen (Titular)Liebhaber sich selbst Galane halten, die sie wiederum bezahlen, wie es Lady Castlemaine und Louise, Duchess of Portsmouth, tun. Nell Gwyn dagegen gibt sich mit ihrem König zufrieden. Defoes Roxana wird sich nahe dem Höhepunkt ihrer Karriere fragen, warum sich vermögende Frauen nicht genauso Liebhaber halten sollen, wie Männer ihre mistresses.
Voraussetzung für dieses lustvolle Lotterleben ist Geld, denn die Damen kosten, und zwar nicht nur ein regelmäßiges Einkommen, sondern zusätzliche Geschenke hier und dort. Alle drei Titular-Maitressen von Charles II. haben nach der Geburt des ersten Kindes Anspruch auf 10 000 Pfund „Pension“ im Jahr, dazu kommen Zigtausende an Geschenken besonders an die beiden inzwischen hochadeligen Damen.
Das ist für Charles II. ein Problem, der mit Holland Krieg führen will (im geheimen Bündnis mit Frankreich), was teuer ist und für Steuern und Abgaben auf das Parlament angewiesen bleibt. Louis XIV läßt ihm wohl heimlich Geld zustecken, aber es reicht hinten und vorne nicht. Der Zorn von Teilen des Parlaments und der puritanischen Sektion der Bevölkerung ist ihm deshalb sicher; aber auch der von einem Mann wie Lord Shaftesbury, der die neue, gebildet-bürgerliche Zeit vertritt. Nicht zuletzt aber auch der Zorn all der bürgerlichen Ehefrauen, die zur lustlosen Ehrbarkeit verdammt, in Ermangelung praktizierter Lebendigkeit voll Neid den Hass der Rechtschaffenen artikulieren.
Wir haben es hier mit zwei Welten zu tun, der hocharistokratischen der hemmungslosen Lebenslust, und der bürgerlichen des Lustverzichts und der Triebunterdrückung. Während Rochester, Charles II., Sedley, Buckingham und die anderen, wenn der Trieb ruft, sofort ein Mädchen brauchen und auch bekommen, geht der puritanische Handwerker oder Kaufmann davon aus, dass der Teufel nirgends anders seine Zelte aufgeschlagen hat als zwischen den Beinen der Weiblichkeit. Dazu musss er auch noch ertragen, daß dieses Sündenbabel ihn von allen Ämtern, public schools und Universitäten ausschließt und ihm nur beschränkte Religionsausübung erlaubt. Daß das alles von einem anglikanischen Parlament gegen den Willen des Königs beschlossen wird, ändert für sie wenig.
Gilt in Kreisen des Stuarthofes der Katholizismus als die Religion der Lebensfreude (die er ja im Barock zum Teil auch ist, wenn auch nicht immer für die “kleinen Leute”), wird er fürs Bürgertum zur popery, zum Sodom und Gomorrha, als das dann fast ganz England bis ins zwanzigste Jahrhundert diese Religionsgemeinschaft betrachten wird.
Die Stuarts werden aber nicht wegen ihrer Unmoral gestürzt; die Leute, die Maria und Wilhelm aus Holland nach London rufen, wollen ein englisch-holländisches Bündnis gegen Frankreich, und eine wohlausbalancierte konstitutionelle Monarchie für England, die nach den Erfahrungen des letzten Bürgerkriegs einen neuen vermeiden helfen soll. Es paßt allerdings gut, daß ein in Holland verbürgerlichtes und sittenstrenges Oranierpaar nun das Heft in die Hand nimmt, und die nachfolgende Queen Anne wird ihnen in punkto Moral folgen, was ein Daniel Defoe nur mit Wohlwollen betrachten kann.
Die Lust und die Angst
Die erste Körperöffnung, mit der das kleine Menschenkind Kontakt mit seiner Umwelt aufnimmt, ist der Mund. Erst wird es dort hinein gefüttert, dann lernt es (im Abendland), mit dem Mund geküßt zu werden und selbst zu küssen. In einem guten Elternhaus wird der Mund ein lustbesetztes Organ.
Die Krise bricht dann über der zweiten Körperöffnung, dem Anus aus. In der Reinlichkeitserziehung lernen die jetzt schon etwas älteren Kleinen, daß Pipi und Scheiße pfui sind und zurückgehalten werden müssen, bis sich ein angemessener Ort zur Körperentleerung findet, und daß man sich nachher saubermachen muß. Alles das ist für die Kleinen mit Anstrengung verbunden, und mit der Entwicklung eines ersten Schamgefühls, dem ein weiteres folgt. Das Pinkeln bedeutet eine weitere Körperöffnung, die mit “pfui” verbunden wird, und beim Jungen ist dies der Penis, der wiederum mit noch nicht ganz gewissen Implikationen eine besondere Schamhaftigkeit nach sich zieht. Schließlich, in der Pubertät spätestens, lernt der Knabe,daß sein Pinkelorgan zugleich sein Fortpflanzungswerkzeug ist, und die Mädchen erfahren, daß sie eine weitere Körperöffnung besitzen, in der sie einmal diesen Penis aufnehmen sollen, und aus dem regelmäßig das Monatsblut entströmt.
Das alles ist weitreichend und anstrengend genug, aber mit der Pubertät lernen die Jungs, und auf ihre Weise auch die Mädchen zudem, daß ihre Sexualität mitnichten ihrer Willkür unterworfen ist. In ihnen wirkt eine Macht, die sie notgedrungen zunächst einmal als von außerhalb ihrer Willkkür kommend empfinden. Das Sperma, das den Jungs entströmt, riecht ekelhaft und sieht ekelhaft aus, und die Mädchen lernen, daß ihr Menstruationsblut mindestens so abstoßend ist.
Zu allem Unglück ist der Ausgang für die übelriechenden Exkremente ganz nahe bei dem, was Lustmolche im 18. Jahrhundert den Eingang ins Paradies nennen werden.
Nur in einer höfischen Kultur à la Whitehall oder Versailles wird damals ein lustbetonter Umgang mit alledem gefunden. Für den Frommen, insbesondere den calvinistisch beeinflußten Protestanten, ist der (eigene) Körper schnell ein Graus. Für den etwas katholischeren Barockmenschen ist die eigene Leiblichkeit immerhin ein Problem: Wer durch eine angstbesetzte Erziehung in diese Richtung sensibilisiert wird, sieht in dem verführerisch schönen Leib der Dame schnell die mit Kot gefüllten Gedärme, und wer hinreichend disponiert ist, sieht mit dem jugendlich-schönen Körper zugleich das verwesende Fleisch der Toten. Der deutsche Barockpoet Gryphius ist ein Virtuose dieser Zwiespältigkeit, unser 'Troilus und Cressida' handelt auch davon.
Lust, Scham, Schmerz und Angst wohnen nahe beieinander. Ende des 17. Jahrhunderts beginnt dann mit der Reformbewegung eine weitere Welle der Tabuisierung der Körperäußerungen. Während bei Luther Rülpsen und Furzen noch zu einem guten Essen dazugehören, wird den Menschen nun anerzogen, diese vitalen Äußerungen möglichst zu unterlassen und wenigstens aus der Öffentlichkeit herauszuhalten. Die Körperlichkeit des Gentleman und der Lady des 18. Jahrhundert wird zivilisiert, kultiviert, der Leib wird zum edlen Gefäß des Geistes, der sich in gepflegter und den Körper immer mehr ignorierender Konversation darstellt. In Schillers Edeltexten ist die menschliche Leiblichkeit komplett verschwunden und bei Goethe immerhin ins closet abgedrängt.
Je besser die Menschen das lernen, desto mehr sie also Körperlichkeit öffentlich ignorieren, desto intensiver tritt eine Spaltung in Sein und Schein auf: Man muß sich nur einmal vor dem Ein-und Ausgang der Damentoilette in der National Gallery in London postieren: Große Kunst, Kult des Schönen, Geistesgenuß, und dann die leicht pikierten Blicke, wenn die Damen in die Toilette schreiten, und der verzweifelte Versuch, das Plätschern der Pisse und den Gestank der Scheiße, die man aus sich entlassen hat, wieder von sich abzuschütteln, sobald man an das schöne Tageslicht des Kunsttempels tritt. Männer nehmen dies Erlebnis tendenziell etwas tougher, aber auch an ihnen geht das nicht spurlos vorbei.
Die höfische Kultur versucht seit ihren Anfängen das Grobianisch-Animalische vermittels einer Verfeinerung der Sitten durch das Prächtige zu ersetzen, ohne aber Körperlichkeit gleich zu verleugnen. An den europäischen Fürstenhöfen breitet sich die burgundische Hofetikette aus. Sie kommt über Frankreich mit der Heirat zwischen Kaiser Maximilian und Maria von Burgund an die deutschen und spanischen Höfe und strahlt von dan auf England aus. Zugleich liest man Etikettebücher, die sogenannten courtesy books, die lehren, wie ein Hofmann sich zu benehmen hat. Das wohl einflußreichste dieser Bücher ist Baldassare Castigliones II libro del cortigiano. 1561 wird es von Sir Thomas Hoby ins Englische übersetzt.
Als der perfekte Hofmann des elisabethanischen Zeitalters gilt Sir Philip Sidney. Seine Mutter war die Tochter des Duke of Northumberland, und die Schwester von Elisabeths erstem Favoriten, des Earl of Leicester. Sein Pate war Philipp II. von Spanien, und sein Vater war ein Freund Lord Burghleys. Er studiert in Oxford die klassischen Autoren, bereist den Kontinent, lernt in Padua die Sonette Petrarcas kennen, läßt sich von Paolo Veronese portraitieren und kehrt dann, weitläufig und gebildet, an den englischen Hof zurück. Er verkörpert wie kein anderer die Tatsache, daß der englische Adel jetzt mäzenatisch geworden ist. Auch darin zeigt sich: Schichtzugehörigkeit und gute Herkunft genügen nun nicht mehr. Die traditionellen Schichteigenschaften - die sogenannten ,,qualities" - die man bisher Herkunft zuschrieb - Adel, Reichtum, Schönheit -, werden zu Tugenden umgearbeitet, die sich in Noblesse, Ritterlichkeit manifestieren,- und via Manieren und Grazie an persönliches Verhalten gebunden sind. *35 Kein Wunder, daß Sidney das Theater Shakespeares verachtet...Falls der Earl of Oxford dessen Stücke geschrieben hat, tat er gut daran, sie nicht unter seinem Namen zu veröffentlichen. Hätte der historische Shakespeare sie geschrieben, wäre er vermutlich aus der bürgerlichen Welt Stratfords ausgeschlossen worden.
„Bei Hofe herrscht Rangordnung und damit Unterordnung.Der Hofmann muß den Höherrangigen mit Respekt begegnen und sich deshalb gesteuert verhalten. Er mußte lernen, sich zu benehmen. Wer sich benimmt, unterwirft sein Verhalten einer mitlaufenden Kontrolle und muß sich selbst dabei so beobachten, wie er von seinem Gegenüber beobachtet wird. Damit wird er zugleich in die Lage versetzt,die Rolle des anderen einzunehmen.Nach Norbert Elias, der die psycho-historischen Begleitumständee dieses Verhöfischungsprozesses beschrieben hat, führt das beim höfischen Adel zu einem Wandel des Triebhaushalts, der durch habituelle Selbstkontrolle und automatische Verhaltensregulierung geprägt ist. Zugleich verlieren die kriegerischen Eigenschaften an Gewicht. Wenn auch auf die Demonstration von Mut nicht verzichtet werden kann, ist der Hof im Prinzip eine befriedete Gesellschaft. Zum ersten Mal bildet sich eine soziale Sphäre, die von körperlicher Gewalt weitgehend frei ist. Der Umgang mit Damen bei Hofe wird daher zur Schule der Affekte. Ihr Bezugsfeld wird markiert von Frauenkult und höfischer Liebe.
Psycho-historisch führt die Verhöfischung also in kurzer Zeit zu einem dramatischen Zivilisierungsschub, zu einer plötzlichen Internalisierung von Affektkontrolle, die Elias am Wandel der Tischsitten und des Sexualverhaltens europäischer Oberschichten nachgewiesen hat. Das Ergebnis ist eine generelle Dämpfung der Affekte. Das ist naturgemäß mit einer ganz anders organisierten Selbst- und Fremdwahrnehmung verbunden. Selbstkontrolle bedeutet Trennung des Verhaltens von den eigenen Impulsen. Ich und Rolle werden zunehmend als verschieden wahrgenommen. Dem Gegenüber wird dasselbe unterstellt. Dadurch tritt zum ersten Mal die Eigengesetzlichkeit von Interaktion ins Bewußtsein“. (Zitiert aus Schwanitz EK, S.57)
Dieser Prozeß der Verfeinerung, der Sublimierung wird erst nach und nach als schmerzlich empfunden. Das Refinement, Raffinement des 17. und insbesondere des 18. Jahrhundert, wie es vor allem das Bürgertum und eine langam verbürgerlichende Aristokratie betreibt, kostet aber auf Dauer zwei hohe Preise: Den der Verleugnung und den der Verschachtelung (compartmentalization). Die Verleugnung spaltet das “Pfui” von dem “Schönen” ab, degradiert die Leiblichkeit und sperrt sie weg. Das ist vor allem der weibliche Weg im 18. Jahrhundert: Der Preis ist ein Verlust an Lebendigkeit, Sinnlichkeit, und da von den Damen dennoch Weiblichkeit verlangt wird, findet diese in infantilisierter Form statt.
Das infantilisierte Frauenbild und die entsprechenden Damen sind ein Zentralthema von Dickens 'David Copperfield'. Dickens erste große Liebe war ein solches Püppchen-Mädchen, und zu seinem Glück, wie er später erkennt, als er sie in erwachsenem Zustand wiedersieht, kriegt er sie nicht. Copperfields erste Gattin ist ein solches „liebes“, puppig-schönes Mädchen, das nicht nur partout nicht erwachsen werden will, sondern sich in vielerlei Hinsicht als nicht ehealltagstauglich erweist.
Bis in den amerikanischen Rock'n'Roll hinein wird insbesondere in den USA dieses infantilisierte und infantilisierende Frauenbild erhalten bleiben: Die Liebste dieser Texte ist my baby, a doll,also eine Puppe, sie ist sweet im Sinne von lieb und dumm. Diese Mädchen werden Mütter, die alles daran setzen, ihre Söhne durch eine extrem enge Mutter-Sohn-Beziehung nun auch zu infantilisieren. Der Kult der großen Titten in den Anglo-USA ist ein Resultat davon. In einem wunderbaren frühen Film von Stanley Kubrick läßt dieser einen jungen Mann immer wieder durch den Central Park zu seiner Mutter auf der anderen Seite rennen, obwohl der jedes Mal von affenartigen Rüpelmenschen überfallen wird. Die Mutter hatte ihn teilentmannt und hochgradig an sich gebunden. Hitchcock läßt seinen verrückten Helden in 'Psycho' im Parterre morden, während er sich im Keller nicht von der vermodernden Leiche seiner Mutter trennen kann.
Das, was ich hier 'Verschachtelung' nenne, ist im 17./18. Jahrhundert eher eine Domäne der Männer. Es gibt eine Abteilung 'Benehmen mit Damen', eine für 'Verhalten in Gesellschaft', eine andere für den Herrenabend und noch eine für den Verkehr mit anderen Frauen als der Ehefrau, Schwester und Mutter. Zur Doppelmoral als verschiedener moralischer codices für Männer und Frauen gesellt sich die doppelte Moral der Männer in ihrem Verhalten zu „ehrbaren“ und unehrenhaften Frauen.
Während die Frauen einerseits körperlich zumachen, andererseits aber an der Oberfläche eine mädchenhafte Weibchenattitüde kultivieren, im tiefsten Innern kalt und wehleidig und dabei äußerlich herzig, wenden sich die autoaggressiven Wege des Mannes in eine neue Kultur harter Männlichkeit nach außen bei zunehmender innerer Schwäche.
In beiden Fällen wird das sentiment zunehmend vom ressentiment abgelöst: Die Verletzungen der Moderne werden in entferntere Seelenkammern abgeschoben, um sich vor jeder Auseinandersetzung zu schützen, und der unverarbeitete Schmerz sucht sich seinen (Ersatz)Feind; die aggressive Auseinandersetzung bleibt aber soweit unter dem Deckel, bleibt soweit unbewußt und zugleich virulent, daß das aggressive Moment sich daraus immer neu nähren kann. Als Erlösung für die gequälte und quälende Seele bleiben dann Totschlag, Krieg, Pogrom und jene aggressive Sexualität, die sich notgedrungen der kleinen Nutten bedient, bis sie ich in der Welt als universalem Warenkatalog das Mädchenleitbild zu dem der ewgigen kleinen Nutte umformt.
Rochester und seine noblen Freunde aus der merry gang stehen beispielhaft für den letzten Versuch, aus privilgierter Warte heraus diese Entwicklung zu stoppen. Ihr Tun ist Spaß, Lebensfreude, (des öfteren auch auf Kosten anderer), aber es ist vor allem auch Provokation, ein Aufbegehren gegen die neue Zeit. Rochesters Ekelgedicht gegen den Sex mit schmutzigen und menstruierenden Frauen ist der extreme Ausdruck von Widerwillen gegen das körperlose Gutmenschentum, das heranzieht (und dem wir heute zu einem guten Teil verpflichtet sind). Deswegen toben sie nackt und frolicking durch den St. James-Park, bis ein Konstabler auf sie aufmerksam wird, deswegen werden sie gesichtet, wie sie nackt und fröhlich durch Londoner Straßen ziehen, und deshalb bekennen sie sich in ihren Gedichten so ausdrücklich zu einem Verhältnis schierer Lustbarkeit zwischen Männern und Frauen (zusammen mit Frauen wie Aphra Behn).
Ein Gutteil dieser noblen Rakes bezahlt dafür aber einen bitteren Preis. Wer sich ständig starken Reizen aussetzt, kann dem Leiden der Überreiztheit ausgeliefert werden, er wird entnervt im alten Sinne des Wortes. Andererseits setzt er sich der Gefahr des Überdrusses aus, einer speziellen Form des ennui, Mussets frankoromantischer Maladie du Siecle, der offensichtlich auch der letzte Held dieser Texte hier, Lord Byron, erliegen wird. Dann ist das Resultat Freudlosigkeit, Lustunfähigkeit. Wer wie Rochester in mittleren Jahren chronisch krank wird und langsam dahinsiecht, kann aus dem Verlust gehobener Lebensfreude in die Depression, die Bitterkeit, die Verachtung des Sinnengenusses rutschen, denn in seiner Selbstbezogenheit wird er seinen Absturz um so weniger ertragen können. Die späten Rochester-Gedichte dokumentieren diesen Verlust von Lebenslust als Bitterkeit und werden so zum Echo von Thersites.
Ein weiteres Phänomen ist die Überreizung der Phantasie, wie sie Janet Todd anhand der Figur des Philander in Behns 'Love-Letters' analysiert. Sie schreibt: “Philander is an imaginist, requiring the fancy that can be employed in a new amour. He exists fully , with bare imagination . He is necessarily the master of discourse, an erotic fantasist whose sexual heat can accelerate through discursive stimulus until it must reach impotence in the body.” (Janet Todd, Aphra Behn Studies,)
Charles II. schafft es durch sein ganzes Leben hindurch, ungeachtet aller Probleme, mit denen er von klein auf konfrontiert ist, diesen Lebensmut, diese hohe Lebendigkeit bis zu seinem Tode durchzuhalten. Mag er auch in seinen politischen Zielen scheitern Bündnis mit Versailles, religiöse und geistige Tolerenz, ein starkes Königtum, so haben ihm doch seine königlichen Mittel die Möglichkeit gegeben, die Höhen des Lebens in ihrer ganzen Fülle auszukosten.
Der Abschied davon in die Untertänigkeit, in die Strenge des Bürgertums des 18. Jahrhunderts, in den Kult des Mammons, der nicht mehr verschwendet wird und den Kult des moralisch Guten führt zu schwerwiegenden Auseinandersetzungen in den Menschen. Daniel Defoe wird europaweit berühmt für seinen Robinson Crusoe, der es bürgerlich gut haben könnte, aber das Abenteuer sucht, der reich wird, und doch immer wieder neuen Ufern entgegensegelt. Von Rousseau bis zu Wilkie Collins Gärtner in 'The Moonstone' wird dieses Buch als großes eindimensionales Dissenter-Traktat mißverstanden. Aber in seinen Romanen ist Defoe Vertreter einer nachrestaurativen Übergangszeit. Die Spannung in ihnen, die der Leser mitempfindet, entsteht über den steten Widerspruch zwischen traktathaftem bürgerlichem Moralisieren einerseits und einer menschlichen “Natur”, die sich damit nicht abfinden kann oder will. Mit Moll Flanders und Roxana schafft er zwei Frauengestalten, die sich in den Widersprüchen verheddern; die zweite wird aufgrund des an seinem Gipfel angekommenen Talentes des Autors nicht mehr herausfinden. Doch davon später.
The Uneasy Protestant:
Samuel Pepys und der Aufstieg der doppelten Buchführung
Samuel Pepys wird 1633 in London geboren. Seine Familie und Verwandtschaft sind fromme Puritaner, - und zwar solche, die ihre Frömmigkeit im Rahmen der anglikanischen Staatskirche ausleben. Der Vater ist selbständiger Schneider, die Mutter, eine Wäscherin, kommt aus noch einfacheren Verhältnissen und wird im Laufe der Zeit eine immer rigorosere, und für Ehemann und Sohn unleidliche, psychisch derangierte Fromme. Samuel wächst in einer Atmosphäre moralischer Gewißheiten und strenger Verbote auf und in der Überzeugung, einer der Auserwählten Gottes zu sein. (...an atmosphere...of moral certainties, strict prohibitions, and a conviction of being the elect of God (Stephen Coote,Samuel Pepys, A Life, London,2000, p.4)
Die Schule ist von ähnlich frommen Zielen geprägt, gibt ihm aber außerdem eine ordentliche klassische Bildung. Der fließende Umgang mit dem Lateinischen, der Sprache der Diplomatie und der (noch) internationalen Gelehrsamkeit, samt intensiver Kenntnis der römischen Literatur ist oberstes Ziel.
Die andere Welt tut sich bei den Besuchen im Großen Haus vornehmer Verwandter und Bekannter von Verwandten auf. Dort war ich als kleiner Junge sehr froh (merry), notiert er 1662, und ein Jahr später: wo ich so viel Freude (mirth) gesehen habe. In diesem vornehmen Umfeld ist man pro-Cromwell, reich, kultiviert, gebildet.
Schon als kleiner Junge bekommt er den immer gewalttätigeren Eifer religiöser Fanatiker in London mit. Sein Cousin Edward Montagu zieht mit achtzehn mit den parlamentarischen Truppen in den Krieg. 1647 sieht Samuel die New Model Army Cromwells in London einmarschieren. Mit fünfzehn ist er bei der Hinrichtung des Königs dabei, ganz überzeugt davon, daß dieser gotteslästerliche Mensch das Richtbeil verdient hat. In den Jahren darauf bekommt er immer wieder die Anarchie auf den Straßen mit, wenn Presbyterianer, Leveller, Fifth Monarchy Men, Independents und Royalisten sich gegenseitig bekämpfen.
Mit 17 ist er undergraduate in Cambridge und bekommt jene systematische aristotelische Ausbildung, auf der der ganze Rationalismus des 17. Jahrhunderts aufbaut: Erst kommt ein Vortrag, und dann die disputatio, in der im strengen Rahmen klarer logischer Regeln die Studenten in ciceronischem Latein lernen, eine Argumentation aufzubauen und die des Gegners auseinanderzunehmen, - und alles aus dem Stegreif, was Gedächtnis, große Sprachfertigkeit, esprit und wit verlangt und schult.
Daneben lernt er mit dem Geist von Cambridge den größeren Horizont und die pragmatische Ablehnung jeden Eiferertums kennen und schätzen. Er freundet sich locker mit dem zukünftigen Protégée und späteren Rivalen Rochesters, Dryden an und beide entdecken ihre Liebe für den großen Chaucer. Sein liebstes Freizeitvergnügen wird die Musik, und er lernt nach und nach die Viole, die Violine, die Laute, die Theorbe und die Flageolett-Flöte spielen. (Coote,Pepys,p.14) Später wird er sich mit den Komponisten Locke und Purcell anfreunden.
Nach seinem Abschluß kehrt er 1654 nach London zurück und verliebt sich in ein 14-jähriges Mädchen, die in Frankreich aufgewachsene Elizabeth St.Michel. Wenig später befinden sie sich in einer recht wilden, von Armut geprägten und oft unglücklichen Ehe, die bei dem Mädchen immer mal wieder Fluchtgedanken auslöst, welche sie einmal auch monatelang wahr macht. Elizabeth ist vermutlich noch in einem frühen Stadium der Pubertät, was Pepys' vitales sexuelle Begehren behindert. Darüber hinaus bekommt sie immer wieder einen Abszeß im Genitalbereich, der den Geschlechtsverkehr für sie sehr schmerzhaft macht, während er offensichtlich gerne auf seinen nokturnen Rechten besteht. So notiert er zum 31.10.60 in sein Tagebuch: Meine Frau ist mal wieder so krank mit ihrem alten Leiden, daß ich seit fast 14 Tagen nicht mit ihr kopuliert habe (have not known her this fortnight ), worunter ich sehr leide. Eine Operation macht ihn wenig später vermutlich steril, wenn auch nicht impotent, so daß die Ehe keinen Halt in einem Familienleben mit Kindern bekommt*57.
Die erotisch attraktive aber vergleichsweise schlichte Frau ist dem kultivierten virtuoso und Dilettant auch sonst oft kein adäquater Partner. Am 7.12.60 schreibt er auf, daß er am Abend Fullers history of Abbys liest, während seine Frau vom Grand Cyrus gepackt wird, einem zehnbändigen Schundroman, wie wir heute sagen würden, von Madeleine de Scudéri, Anführerin der französischen précieuses. Glaubt man dem Tagebuch, wird sich Frau Pepys auch in Zukunft für nicht mehr als (mehr schlecht als recht) ihren Haushalt, (und ausgiebig) Mode und Amüsements interessieren.
In dieser Zeit wird Cromwell Lord-Protector und macht Edward Montagu (der als Parlamentarier in den Zwangsruhestand geschickt worden war) zum Organisator der Ausrüstung der Flotte, mit der der Fast-Monarch seinen Krieg gegen Spanien führen will. Pepys zukünftiger Förderer wird einer der führenden Staatsmänner des Protektorats , erhält den Titel eines Earl of Sandwich und stellt nun seinen Verwandten erst als persönlichen Laufburschen und dann in der Flottenverwaltung an. Wie schon in früher Jugend lernt er so noch einmal aristokratische Lebensführung und Werteorientierung unter bürgerlichem Einfluß kennen. Zugleich erlebt er als Twen das Land unter einem Militärdiktator, der mit autokratischen Edikten regiert, ohne Parlament, mit Zensur und einem Heer von Spitzeln. In den Regionen herrschen Militärs von Cromwells Gnaden; wer in England reisen will, braucht von Gegend zu Gegend neue Reiseerlaubnisse und wird mißtrauisch beäugt.
Unser Pepys wird dann clerk of the council unter Downing (dem von der Downing Street). Januar 1657 bietet dieser im Unterhaus Cromwell die Königskrone an. Wie andere sucht auch er nach einer stabileren Verfasstheit Englands, die den Menschen wieder einen Ordnungsrahmen geben würde. Und so wird er später auch zu denen gehören, die den Bürgerkrieg durch die Restaurierung der Stuart-Monarchie beenden wollen. Downing gibt Pepys Bescheid, als er zu Sondierungen nach Holland zu Charles II. fährt, womit der junge Mann zunehmend in die Bewegungen im Machtzentrum eingeweiht wird. Er wendet sich in diesen Jahren vom Puritanismus ab und der anglikanischen (immer noch verbotenen) Kirche zu. Seine Frau andererseits wird ohnehin ihr Leben lang insgeheim dem Katholizismus ihrer Kindheit verbunden bleiben. 1658 richtet er sich mit ihr und einem ersten Dienstboten in Axe Yard ein, nahe bei seinem Arbeitsplatz.
Bürgerlich
Ein Bürger lebt ursprünglich in der befestigten Stadt, seiner Burg. Er kann außerhalb der Stadtmauern Grundbesitz haben und von Landwirtschaft leben, aber er genießt die bürgerlichen Freiheiten, die seiner Stadt zustehen. Und: Das besondere an der Stadtbevölkerung ist, daß ihre Bürger tendentiell immer häufiger Handwerk und Handel und weniger Landwirtschaft betreiben. Auch bäuerliche Landbevölkerung verhandelt Waren auf dem Markt und betreibt häusliche Handwerke, aber sie erreicht selten mehr als die eigene Subsistenz, während die bürgerlichen Städter beginnen, Geld anzuhäufen, für Luxus, und für Investitionen, die aus dem Angehäuften Kapital machen. Das Kapital wird zur Haupt-Sache, die sich rentieren, also auszahlen soll und unterscheidet sich vom Luxus, der Neben-Sache, den sich die Bürger vom Aristokraten und vom Fürsten abgucken, und der Status demonstrieren und Genuß ermöglichen soll (luxury meint im englischen Mittelalter “Wollust”). Der NATUR wird das Lebensnotwendige abgerungen, und die KUNST (im weitesten Wortsinn) als hauptsächlich dekoratives Element wird das Feld, auf dem der Lohn eingefahren wird. Die Antipoden Jean-Jacques Rousseau und (der ältere) Edmung Burke werden die beiden Extreme “politisch” vertreten, platt wird das durchs 18.Jahrhundert formuliert werden als “zurück zur Natur” und “hin zur Kultur”. Goethes Weimar wird daraus die klassische Mär von der Einheit des nicht mehr Vereinbaren fabrizieren.
Bürgerliche Kultur ist ins bürgerliche Wirtschaften hineinmodifizerte aristokratische und höfische Kultur. Mit deren langsamem Verschwinden im 17. und 18. Jahrhundert (die Aristokratie verbürgerlicht – zuerst in England – ökonomisch/kulturell, und mit dem Aufstieg eines neuartigen Bürgertums zur (vor)herrschenden Klasse (sie sind kein Stand mehr, kein état oder Staat als status, sondern die Nation), müssen sie ihre Existenz aus sich selbst legitimieren: Sie tun dies konsequenterweise mit der Ablehnung aller Legitimität: Das Bürgertum an der Macht, undenkbar ohne die abendländischen Reformationen, erklärt sich zur Revolution in Permanenz: Nicht das Hergekommene, sondern das die Kapitalverwertung weiterbringende Immer-Neue wird zum Gesetz.
Dieses, im neuen Legalismus, ist der ständigen Revision durch die wechselnden Machthaber unterworfen, die sich für diesen Zweck Gesetzgeber halten, bevor Macht ganz in die Systematisierung hineintrudelt. Dies alles ist ein langer Prozeß, in dem sich aber immer mehr Menschen einbinden. Einen kurzen Weg davon geht Pepys, dem Überzeugungen zugunsten von Begehrlichkeiten abhanden kommen, der aber mit den Überzeugungen nicht das sie begleitende rigoros-autoritäre psychische Korsett mitsamt den dazugehörigen Schuldgefühlen und Schuldzuweisungen verliert.
"Bürgerliche" Ehe und Familie
Die puritanische Lucy Hutchinson unterwirft sich zumindest in ihrem Text völlig dem Kommando ihres Mannes. Der unter puritanischem Einfluß groß gewordene Pepys als Ehemann der Restoration-Zeit landet bei diesem Machtkonflikt in innerem Zwiespalt, aber sein französisch-katholisch beeinflußtes Eheweib besteht auf eigenen Rechten. Bürgerlicher Haushalt heißt zuallererst die Einstellung von Dienstboten, denn eine bürgerliche Ehefrau beaufsicht den Haushalt, das heißt, sie beaufsichtigt Dienstboten, legt aber möglichst wenig Hand an. Als weiteres Recht besteht sie auf eigenem Amüsement und Konsum. Der Ehemann ist nomineller, das heißt legaler Chef zu Hause, seine Frau ist ihm Gehorsam schuldig, er muß aber seine Rechte immer wieder persönlich durchsetzen. Er verdient das Geld, und zwar zunehmend außer Haus, so wie sie fürs Zuhause zuständig ist.
Anzumerken ist: Was für die Antike die Sklaverei war, ist für das Bürgertum bis ins 20. Jahrhundert die Dienstbarkeit, die niedrigst bezahlte Erledigung aller “niedrigen” häuslichen Arbeiten, die Ende des 20. Jahrhunderts bei besser Verdienenden auf eine Schicht illegal arbeitender Ausländer(innen) übergeht, vor allem aber durch neue Gerätschaften abgelöst wird.
Samuel Pepys hat wie Colonal Hutchinson bis zur Einführung der Perückenmode schönes, langes Haar. In Imitation des höfischen Prozedere läßt er dieses allabendlich an seinem Bett von einem der Dienstmädchen kämmen. Da diese in der Regel die für den Hausherrn attraktivste ist, kommt es ganz naturgemäß zu erotischen Spannungen, die laut Tagebuch die Hand des Arbeitgebers schon einmal unter das in der Regel damal noch schlüpferlose Gewand des Mädchens führen. Dies ist ein Grund für Ehekräche.
Andererseits ist Frau Pepys, nachdem der Haushalt eine ganze Anzahl (auch männlicher) Dienstboten aufweist, weitgehend unbeschäftigt und langweilt sich, insbesondere da ihr Mann nicht nur aus beruflichen Gründen selten zu Hause ist. Am 13. Januar trägt Pepys in sein Tagebuch ein, daß er nach der Arbeit nach Hause kommt, und seine Frau ihn zur Rede stellt, als er bald wieder ausgehen will. Sie droht ihm schließlich damit, daß sie auch ausgehen wird, wenn er das tut und macht es prompt auch wahr. Das gefällt dem nicht mehr puritanischen, aber mit allen puritanischen Ängsten ausgestatteten Ehemann gar nicht.
Ähnlich wie eine Dame bei Hofe verlangt seine Frau und bekommt eine Gesellschafterin. Wenn diese sich aber auch dem Ehemann gegenüber entgegenkommend zeigt, gibt es Grund für neue Ehekräche. Sie langweilt sich wieder, ihr Mann kann tanzen und sie will und bekommt auch einen Tanzmeister. Nachdem der aber immer häufiger (auch in Abwesenheit des Hausherrn) mit der Dame im Hause herumtanzt, wird der Nicht-Mehr-Puritaner ganz entsetzlich eifersüchtig. Am Ende muß sie ihre häuslichen Tanzstunden abbrechen.
Für Pepys (wie für Schiller) regiert die Ehefrau ihren Haushalt als ihr eigenes keusches Reich, sie begleitet ihn gelegentlich, und sie ist ihm nächtens zu Diensten. Die Frau seines Chefs und Anverwandten, my Lady Sandwich, muß ihn erst darauf hinweisen, ihr mehr Geld für Kleider, Schmuck und ähnliches zu geben; er muß dann allerdings in seinem Tagebuch feststellen, daß er bislang viel mehr Geld für sich selbst als für sein Weib verbraucht hat und gelobt widerwillig Besserung.
Zu dieser modernen bürgerlichen Ehe gehört die Liebesheirat mit ihrem Bündel an hormonell verstärkten Illusionen. Das Liebes-Spiel der höfischen Liebe wird eine Etage darunter zu erst himmelhoch jauchzendem und dann bitterem Ernst. Das führt zur schrittweisen Ernüchterung bis hin zur Enttäuschung, der dadurch entgegengewirkt wird, daß Scheidungen rechtlich und finanziell für Leute wie das Pepys-Paar praktisch unmöglich sind. Am 25.12.65 notiert er in sein Tagebuch: Morgens zur Kirche, und dort sah ich eine Hochzeit in der Kirche, welche ichs chon viele Tage nicht mehr gesehen habe, und die jungen Leute so fröhlich miteinander! Und seltsam zu sehen, welches Entzücken wir verheirateten Leute haben, diese armen Narren zu sehen, wie sie in unsere Lage hineingelockt worden sind, und jeder Mann und jede Frau starrt und lächelt sie an. Hier sah ich auch wieder meine schöne Lethulier. Letztere war auch schon am 3. Dezember sein Augenschmaus in der Kirche gewesen: ...meine wohlgerundete braune Schönheit unserer Pfarrei, die Lady des reichen Kaufmanns, a very noble woman. Am 13.Dezember notiert er sie als our noble fat brave lady in our parish that I and my wife admire so. Sobald Pepys Verliebtheit verraucht ist, schaut er sich unentwegt nach neuen Frauen um.
Sind beide gemeinsam unterwegs, halten sie, und das heißt auch er, einen gewissen Standard an Zucht und Ordnung aufrecht: Er nimmt sie am 24.1.60 mit zu Mr.Pierce, ärgert sich, daß sein Weib in ihren neuen und schicken Schuhen zu langsam ist, obwohl sie schon spät dran sind, um dann dort zu sehen, wie Mrs. Carrick und ein Mr.Lucy miteinander in einem mock-wedding “Mann und Frau spielen” (who called one another husband and wife).. Nach dem Dinner gibt es eine Menge verrrückter Unruhe: Man reißt Frau Braut und Herrn Bräutigam die Bänder herunter, worauf sie sich wie nach einer richtigen Hochzeit endlich auch ganz intim wie Mann und Frau fühlen können. Darauf kam es zwischen ihnen zu einer Menge von Narrheiten, die ich und meine Frau nicht mochten. Interessanter ist ein Besuch alleine bei Mrs. Pierce, denn sie ist very pretty and wanton (hübsch und lose). (4.11.1669)
Das Pepys-Paar streitet nicht nur, beide mögen sich auch. Am 16.3.60 trägt er ein: Ich ging nach Hause ins Bett, sehr traurig, mich morgen von meiner Frau zu trennen, aber Gottes Wille wird geschehen. An Bord der Nazenby, die ihn auf den Kontinent zum Stuartkönig bringen wird, schreibt er: Mein Herz ist über die Maßen schwer, weil ich nichts von meiner Frau höre; und wahrhaftig, ich erinnere nicht, daß mein Herz jemals so besorgt war wie jetzt. (3.4.60) Da paaren sich Sorge und Eifersucht um sie. Im Juli desselben Jahres ist er mit ihr bei einer Hochzeit: Aber unter all den Schönheiten hielten alle meine Frau für die größte. (10.7.60) Das macht stolz, wenn er dabei ist, und besorgt, wenn er sie nicht unter Kontrolle hat.
Intimes über seine koitale Zweisamkeit mit ihr gibt es (verständlicherweise) im Tagebuch wenig, handelt es sich dabei doch um Routine. Nur wenn seine Frau genital unpäßlich ist, erwähnt er schon mal sein Vergnügen danach: Wir lagen da sehr angenehm und entspannt die ganze Nacht, und ich hatte mein Vergnügen mit meiner Frau am Morgen, was das erste Mal ist, nachdem ihre Schmerzen vorbei sind. (8.8.60: We lay there all night very pleasantly and at ease, I taking my pleasure with my wife in the morning, being the first time after her being eased of her pain.)
Die aristokratische und die fürstliche Ehe sind dynastisch und bis ins 18. Jahrhundert von den Eltern arrangiert. Ihr Ziel ist die Produktion eines männlichen Erben für Thron und Besitz. Je weniger jemand zu erben hat, desto eher kann er (oder sie) bei der Entscheidung für den Ehepartner seinen bzw. ihren (Liebes)Neigungen nachgehen. Die Haltbarkeit der dynastischen Ehe beruht bis dato auf der Konvention, daß die Frau ihrem Ehemann (nur dessen) Kinder gebiert und daß er wiederum den materiellen Wohlstand der Familie gewährleistet. Die Haltbarkeit der bürgerlichen Liebesehe wird von der Dauer der Liebe und nicht zuletzt durch die restriktiven Scheidungsgesetze gewährleistet.
Die Ehe der ländlichen und städtischen Unterschichten ist in unserer Übergangs-Zeit von der alltäglichen Sorge um Lebens-Notwendigkeiten geprägt, sie ist eine rechtlich begründete Wirtschaftsgemeinschaft, in die aristokratische Liebesvorstellungen kaum einsickern. Solch eine Ehe kann gut funktionieren oder an gravierender Lieblosigkeit zugrunde gehen. Tut sie das, gibt es Möglichkeiten unauffälliger Trennungen ohne jede öffentliche Kontrolle (die nicht so weit reicht). In der "bürgerlichen" Ehe eines Pepys drückt sich der Wunsch aus, diese “niedere” Sphäre zu verlassen und aristokratische Haltungen zu kopieren, ohne jedoch die bürgerliche Existenz verlassen zu können. Dies führt zu endlosen Konflikten, müssen doch die männliche und die weibliche Rolle ständig neu definiert werden. Im Laufe des 18. Jahrhunderts wird die bürgerliche Ideologie die weibliche Rolle dabei so definieren, daß ihr der Charakter der Unterlegenheit in einem angenommenen Geschlechterkampf zukommt. Dieser, so etabliert, wird helfen, das Institut der Ehe in den folgenden Jahrhunderten fast vollkommen zu zerrütten. Großmeister solcher (spieß)bürgerlicher Ideologie werden in Deutschland Schiller und Goethe sein.
Bei Pepys sind wir erst auf dem Weg dahin. Seine Frau hat viel Zeit, er hat immer mehr Geld, und sie beansprucht den ihr “standesgemäß” zustehenden Luxus und das dazugehörige Amüsement. Das ruft viele Situationen hervor, in denen er eifersüchtig wird, - seine Frau ist erotisch attraktiv und genießt die Aufmerksamkeiten der Männer, die von ehelicher Routine entlasten.
Er wiederum als man about town hat zunehmend mehr Gelegenheiten zur Untreue und nimmt sie laufend wahr. Dabei kommt es oft nicht bis zum Koitus, aber immerhin zu gegenseitigen lüsternen bis lustvollen Handgreiflichkeiten.
Sexus: Man and Hormones
Was kann ein Knabe machen, wenn in ihm die genitale Geschlechtlichkeit erwacht, mit ihren unwillkürlichen Erektionen, mit ihren anfangs noch diffusen Anflügen von Geilheit, was macht der suszeptible Mann des 17./18.Jahrhunderts, wenn er das kleine Füßchen, die zarten Fesseln, die feinen Rosenlippen oder gar ein exquisites Dekolleté sieht?
Wenn er kurz lebt, früh heiratet, Kinder bekommt, hart und lang arbeitet, ist er womöglich aus dem Schneider. Wenn er via Reinlichkeitserziehung und sexueller Prüderie in seiner Kindheit heftige Angstgefühle bei der Begegnung mit seiner Sexualität bekommt, wird er seine Finger vielleicht unter oder noch wesentlich lobesamer über der Decke halten, und der große weiße Vater in seinem Kopf wird ihn vor Weiterungen abhalten und ihm zur Not den Alkohol als den Allentspanner zuführen. Bei dieser, der Standarderziehung im englischen siebzehnten Jahrhundert, kommt als größter Verbündeter des armen Kerls die erst heimliche und mit der Pubertät offen aggressive Abwertung alles Sexuellen in den Schmutz, in dem Scheiße, Urin, Sperma und Menstruationsblut auf das Sinnigste einen üblen Ringelrein tanzen.
Immer neue punktuelle Triebunterdrückung und Sublimation sind für uns Menschen lebenswichtig. Das Diabolische daran ist die Gefahr, daß die vielen kleinen zu Teufelchen mutierten eingegrenzten Gelüste an anderer Stelle wieder herauskommen.
Samuel Pepys macht in diesem Dilemma das, was seine Moralinstanz ihm immer wieder verbietet, was aber “geht”: Er trennt zunehmend den Sexus in eheliche Routine und Eskapaden. Was Charles II, die Queen, my Lady Castlemaine, my Lord Rochester und all die anderen ihm vorleben, und was er fast tagtäglich mitansehen kann, wird zunehmend von ihm soweit als möglich selbst praktiziert. Wenn viel später Großstaatsmann Gladstone oder der feinsinnig-sensible Autor Galsworthy ihr go slumming praktizieren, werden sie das ganz unterschiedlich für sich selbst und andere, aber vor allem viel verschwiemelter zurechtformulieren, verglichen mit Pepys' Tagebuch.
Pepys macht sich zunächst an ehrbare Frauen und jungfräuliche Mädchen heran, bei denen nicht die Gefahr besteht, sich mit allgegenwärtigen Geschlechtskrankheiten anzustecken. Dann nähert er sich bei seinem Flanieren in Londons einschlägigen Gegenden immer mehr den Straßenhuren, von denen einige bedenklich gut aussehen (ich vermute, die minderjährigen und noch nicht so verbrauchten vor allem), bis er von der Tuch- zur Hautfühlung übergeht. Und entgegen allem Protestantismus machen Pepys die spontanen Ausflüge in Dekolletés, unter Röcke ohne Unterhöschen, in die Mäulchen der Mädelchen und schließlich auch in das natürlich und amtlich vorgesehene Gefäß für männlichen Samen mächtig Spaß. Zugleich leidet er, nicht nur wenn ihn seine Frau schon mal einschlägig mit dem Dienstmädchen erwischt, sondern auch, weil eine wichtige Instanz in ihm weiß, daß mit seinem Seelenhaushalt auch seine Karriere unter seiner debauchery leidet, und weil er weiß, daß Englands Weg in die Weltgeltung darunter leidet, daß die Stuart-Lebenslust bei Hofe zu wenig Geld für die Kriegsmarine übrig läßt, - ein häufiges Thema seiner Tagebucheintragungen. Zudem ist Pepys sonn-und feiertags regulär zweimal im Gottesdienst und bekommt dort wenig Bestätigung für sein sündiges Treiben, wobei er dort nicht nur aufmerksam und kritisch den Predigten lauscht, sondern seine Augen neugierig über die Mädchen und Frauen im Gotteshaus schweifen läßt..
Männliche Sexualität drängt nach kurzzeitiger Machtentfaltung im Leib der Frau, diese wiederum entfaltet unentwegt Macht vermittels ihrer physischen Attraktivität, die sie kulturell verschieden durch modische Drapierung und allerlei Mittelchen zu steigern sucht. In einem barocken Umfeld, dort wo unmittelbare Subsistenz gesichert ist, richten immer mehr Frauen im öffentlichen Raum ihr Augenmerk auf ihren sexuellen Status, auch wenn nur wenige das sich oder gar anderen gerne zugeben.
Die sexuelle Attraktivität wird von ihnen wahrgenommen in der Aufmerkamkeit, die ihnen Männer (und Frauen als eingestandene oder uneingestandene Konkurrentinnen) entgegenbringen. Die erotischen Signale werden bewußt wie auch unbewußt von den Männern aufgenommen und in körperliche Reaktionen umgesetzt. Männer mit starkem Geschlechttrieb werden bei Gelegenheit zu Voyeuren und die Wahrnehmung attraktiver Weiblichkeit versetzt sie in sexuelle Erregung.
Wo immer Pepys die Gelegenheit sieht, weil das Objekt der Begierde ihm unterlegen scheint, sucht er in Berührung, im Fahren unter ihre Kleider, im Verführen der Mädchen und Frauen dahin, ihm mit ihren Händen, ihrem Mund oder ihrer Scheide Triebabfuhr zu gewähren, Erleichterung vom sexuellen Druck. Jungfräuliche bürgerliche Töchter aus gutem Hause, Ladenmädchen, verheiratete Frauen, soweit sie sozial nicht über ihm stehen, unter allen diesen findet Pepys geneigte Partnerinnen für seine Techtelmechtel.
Kommt abends als Nachhall der vom Tage gespeicherten erotischen Bilder neue Erregung auf, und steht seine Frau nicht zur Verfügung, so muß die Phantasie herhalten. Am 26.2.61 geht er so zu Bett – wo, Gott möge mir verzeihen, ich mich dank der Kraft meiner Phantasie mit der jungen Dame vom Lande (the young country Segnora) vergnügte, die heute mit uns gegessen hatte.
Wo kann man damals in schönerer Regelmäßigkeit den Schönen in Stadt und Land begegnen und sie betrachten und wann? Natürlich sonntags in der Kirche. Solange die jungen oder wenigstens noch jüngeren Damen in die Kirche gehen, ist dies ein hocherotischer Ort, dessen erotischer Reiz noch gesteigert wird durch die vorgestellte Anwesenheit eines Gottes, der dem Sexus und den Weibern gleichermaßen abhold ist. Zu diesem Reiz des stets vergeblich Verbotenen kommt der Reiz einer von der Kirche verlangten besonders umfassenden Verhüllung der Damen im Gotteshaus.
In 'The Fair Jilt' beschreibt Pepys' Zeitgenossin Aphra Behn, wie Prinz Tarquin auftaucht, und die Titelheldin ihm zur Kirche folgt: diese geheiligten Aufenthaltsorte, die so oft von solchen Verehrern (= Frommen, devotees) entweiht werden, deren Geschäft es ist, einen anzustarren und zu umgarnen. In Anne Brontes 'Tenant of Wildfell Hall' ca. 150 Jahre später sitzt Huntingdon in der Kirche: Er hielt sein Gebetbuch falsch herum, oder an jeder Stelle bloß nicht der richtigen aufgeschlagen, und er tat nicht anderes als herumzustarren, es sei denn, er traf auf den Blick meiner Tante oder von mir, und dann würde sich seiner auf sein Buch senken, mit einer puritanischen Art von scheinheiliger Feierlichkeit, die lächerlich gewesen wäre, wäre sie nicht zu herausfordernd gewesen.(S.149)
Am Anfang von Pepys' Tagebuch sieht es noch recht harmlos aus. Während einer Predigt stellt er sich nahe bei (der sitzenden) Mrs. Butler auf, der großen Schönheit. Mr. Edward und ich nach Gray's Inn walks, und wir sahen viele Schönheiten. (17.6.60). Man könnte von der Eintragung her noch fast meinen, er habe die Misses zufällig gesehen. Immerhin scheint sie der bleibende Eindruck dieses Kirchbesuchs zu sein, und gleich draußen sieht er auch nichts anderes mehr als beauties. Zum Valentinstag hatte er sich Frau Batten als seine Angebetete erkoren und ihr Geschenk waren weiße Handschuhe. In der Kirche sieht er sie gleich: Mein Valentine (Mrs.Martha Batten) hatte ihre feinen Handschuhe, die ich ihr gab, heute in der Kirche an. (24.2.61) Vom Kirchgang am 3.August des nächsten Jahres bleibt ihm folgender Eindruck haften: Eine volle Kirche, und einige hübsche Frauen in ihr...Genau zwei Wochen später in der Kirche: Ich war hocherfreut mit dem Anblick einer feinen Dame, die ich oft in den Gray's Inn Walks gesehen habe.
Zum 3.5.63 vermerkt er: Zur Kirche, wo mir Sir W.Penn die junge Dame zeigte, welche der junge Dawes, der in dem neuen Eckstuhl in der Kirche sitzt, dem Sir Andrew Rickard ,ihrem Vormund, weggestohlen hat, sie ist 1000 Pfund per annum wert, gutes Land und einiges Geld, und sie ist zudem eine wohlerzogene und gutausehende Dame. Er ist fürchte ich, ein schlichter Bursche. Aber trotzdem, er hatte das gute Glück, sie zu bekommen, und micht deucht, ich bin imstande, ihn darum von ganzem Herzen zu beneiden. Der schlichte Kerl bekommt auf nicht ganz saubere Art die Junge, Reiche und Schöne, Pepys ist neidisch, sind doch die Jungen, Reichen und Schönen oft viel attraktiver als das eigene entzauberte Eheweib.
Während der gesamten Tagebuchzeit hat er eine casual liaison. Sie arbeitet an einem Kurzwaren-Stand in Westminster Hall und heiratet einen Samuel Martin um 1664, was Pepys aber nicht weiter behindert. Danach ging ich los; und als ich Mrs. Lane von Westminster-Hall traf, nahm ich sie mit zu my Lord's und gab ihr eine Flasche Wein im Garten, wo Mr. Fairebrother aus Cambridge dazukam und mit uns trank. Danach nahm ich sie mit zu meinem Haus (das inzwischen leere Haus in Axe Street), wo ich mit ihr ungeniert herumspielte (to dally) und sie machte ganz ungeniert mit. (12.8.60) Ab 1666 hat Pepys eine ähnliche Affaire mit ihrer Schwester Doll. (Anmerkung zum 20.1.60 der Latham/Matthews-Ausgabe der 'Diaries of Samuel Pepys', (1971/1990), London, 1995)
Während Frauen dazu neigen, auf die ökonomische, soziale und sexuelle Potenz des Mannes zu achten, seine Macht also, an der sie partizipieren wollen, indem sie ihn gewähren lassen, schauen die Männer auf jene Augenfälligkeiten, die Lust versprechen. Auf der Nazenby, schreibt Pepys in sein Tagebuch, überholen sie zwei schöne Kauffahrteischiffe (that overtook us yesterday, going to the East Indys), und der Leutnant und ich beugten uns aus seinem Fenster mit seinem Fernglas und betrachteten die Frauen, die da an Bord waren, und sie waren ganz schön hübsch. (8.4.60) In Holland macht er eine Kutschfahrt, und vorne in dem Gefährt waren zwei sehr schöne Frauen, sehr fashionable mit schwarzen Schönheitsflecken (black patches), die fröhlich und sehr gut den ganzen Weg sangen. Und sie küßten sehr ungeniert ihre zwei Begleiter (14.5.60). Schlecht für Pepys, der zum anregenden Zuschauen verdammt ist.
Ende August wird er zum ersten Mal seine Frau mit den schwarzen Schönheitspflästerchen (black patches) sehen, und er ist nicht gleich begeistert. Erst im November erlaubt er ihr diese neue Narretei. Vier Tage später notiert er vom Rückweg eines Ausflugs nach Delft, wo ein hübsches holländisches Mädchen dabei ist, und ich konnte sie nicht in ein Gespräch verwickeln. Bis zum Küssen schafft er es am Ende doch noch in Holland. Zum 20.5. notiert er, daß er in einem Gastzimmer übernachtet, wo in einem anderen Bett eine hübsche Holländerin im Bett allein ist; aber obwohl ich die Geilheit eines ganzen Monats (a month's-mind to her) für sie hatte, hatte ich nicht die Kühnheit, zu ihr zu gehen. So schlief ich also dort eine oder zwei Stunden. Schließlich steht sie auf; und dann stehe ich auf und ich ging im Zimmer auf und ab und sah ihr zu, wie sie sich nach holländischer Mode anzog, und sprach zu ihr so viel ich konnte und nutzte die Gelegenheit, als ich ihren Ring sah, den sie am ersten Finger trug, ihre Hand zu küssen; aber ich hatte nicht den Mut, weiterzugehen. So ließ ich sie schließlich dort zurück und ging zu meiner Gesellschaft.
Zum 2. September desselben Jahres, nach morgentlichem und nachmittäglichem Kirchgang schickt er seinen Burschen nach Hause, um mitzuteilen, er komme nicht zurück am Abend, weil er früh am nächsten Tag mit Lord Sandwich unterwegs sei. Tatsächlich verbringt er den Abend dann bei Mrs. Crisp, wozu er reichlich Wein mitbringt. Ich trank, bis die Tochter anfing, sehr liebevoll und nett zu mir zu sein (to be very loving to me and kind), und ich fürchte, sie ist nicht so gut wie sie sein sollte. Zwei Tage später kommt er in Axe Yard an, wo Mrs. Diana, die an der Tür stand, zu mir kommt, welche ich ins Haus nach oben mitnahm und dort eine ganze Weile an ihr herummachte (did dally with her a great while), und heraufinde, daß auf Lateinisch „nulla puella negat“. Das war wohl Mrs. Crisp, das “Mädchen, das nichts verweigert”.
Den nächsten Tag ist seine Frau a little impatient, und so geht er mit ihr eine Perlenkette kaufen. Diana (Dinah) trifft er zehn Tage später auf der Straße, sie tut geheimnisvoll und will eine Unterredung mit ihm. Er macht sich Sorgen, und dann kommt sie nicht zur verabredeten Zeit (16.9.60).Und so geht das weiter: 27.3.64 It being church-time, walked to St. James's, to try if I could see the belle Butler, but could not; only saw her sister, who indeed is pretty, with a fine Roman nose. 18.8.67 In St. Dunstan's Church...and stood by a pretty, modest maid, whom I did labour to take by the hand; but she would not, but got further and further from me; and, at last, I could perceive her to take pins out of her pocket to prick me if I should touch her again....And then I fell to gaze upon another pretty maid, in a pew close to me, and she on me; and I did go about to take her by the hand, which she suffered a little, and then withdrew. So the sermon ended, and the church broke up, and my amours ended also.
Wenn seine Frau nicht dabei ist, nimmt Pepys gerne an frivoleren Gesellschaftsspielen seiner Zeit teil, wie am 4.2.61 in einer Taverne: Und hier nahm ich mit Vergnügen die Pfänder (forfeits) derjenigen Damen an, die ihre Aufgaben nicht lösen konnten, indem ich sie küßte. - unter anderen eine hübsche Dame von der ich nachher herausfand, daß sie die Ehefrau von Sir William Battens Sohn war. Die sozial unter ihm stehenden Mädchen scheinen allesamt Freiwild zu sein. Im Legg ißt er mit Kollegen, und nach dem Essen sah ich die Tochter des Hauses (the girl of the house), die sehr hübsch war, in ein Zimmer gehen, und ich ging ihr nach und küßte sie (6.4.61). Am 24.5.61 in der Küche der Wardrobe: Und dort faßte ich eines der Mädchen am Kinn, denn ich dachte, es wäre Susan; aber es stellte sich heraus, daß es ihre Schwester war, die ihr sehr ähnlich sieht.
Drei Tage später sieht er Mr.Allen und zwei seiner Töchter, beide sehr groß und die jüngste sehr hübsch, so daß ich nicht umhin kam, sie ganz außerordentlich zu lieben (to love her exceedingly), hatte sie doch neben anderen Dinge die beste Hand, die ich jemals sah. Stunden später ...die Damen und ich und Captain Pitt...nahmen eine Barke und runter, um die Sovereigne zu sehen, was wir mit großem Vergnügen taten, - wobei wir die ganze Zeit sangen; und unter anderen Vergnügungen brachte ich my Lady, Mrs.Turner, Mrs.Hempson, und die zwei Mrs.Allens, in die Laterne (des Schiffes), und ich ging hinein und küßte sie, wobei ich das als Lohn für einen höheren Offizier verlangte....Am nächsten Abend macht er sich an die nächste Dame heran: Wir hatten ein schönes Mahl, aber mein Vergnügen daran war gering...weil meine Aufmerksamkeit ganz auf Mrs. Rebecca Allen gerichtet war...Und so ging ich nach Hause, Mrs. Rebecca an meinem Arm– die, ich weiß nicht warum, in diesem und anderen Dingen den Wunsch hatte, meine Gunst zu besitzen und mir in allen Dingen Achtung bezeugte...Dann geht es mit ihr zu den Allens, wo er und Mrs. Turner bis zwei Uhr morgens bleiben: Ich hatte die Gelegenheit, Mrs. Reb sehr oft zu küssen. Am nächsten Tag trifft er sich wieder mit den jungen Damen: Die jungen Damen kamen auch und ich vergnügte mich wieder (did again please myself) mit Mrs. Rebecca.
Im Unterschied zu ihm hatte Frau Pepys wohl laufend Grund zur Eifersucht. Dabei schluckte sie sicher viel Ärger herunter, was er wohl unterschwellig mitbekam und was ihn dazu brachte, es auf die Spitze zu treiben: ...meine Frau und ich stritten uns lauthals wegen Mrs.Pierce (ob sie eine Schönheit sei), bis wir beide verärgert waren (5.5.61). La Belle Pierce ist Frau eines Arztes bei Hofe und gehört zu jener Gesellschaft, die Frau Pepys nicht verhindern kann. Diese kann aber auch demonstrativ freundlich zu ihr sein: Sie kommt, um meine Frau zu sehen und bringt ihr ein Paar Perücken mit (a pair of peruques of hair) wie sie jetzt bei Damen in Mode sind; sie sind schön und von dem eigenen Haar meiner Frau, sonst hätte ich sie nicht ertragen (24.3.62).
Frau Pepys wird nicht nur nach Strich und Faden von ihrem Gemahl “betrogen”, sie macht sich selbst als wohlhabende bürgerliche Dame immer selbständiger und ist viel unterwegs. Am 4.April 1664 trifft Pepys zum Beispiel beim Halfway House auf sie mit ihrer maid Besse to have a walk.. Aber Gott, wie mein eifersüchtiger Kopf sie verdächtigte, daß sie dort eine Verabredung habe, um jemanden zu treffen. Wer selbst so mannigfach und mannigfaltig Erfahrungen gemacht hat, wie leicht verheiratete Frauen mehr oder minder “zu haben” sind, der wird die Eifersucht so leicht nicht los. In diesem Falle allerdings kann er sich überzeugen, daß mit den poor souls alles in Ordnung ist.
Am nächsten Tag trifft er selbst auf Betty Lane, aber ihr Körper war nicht gelaunt für irgendeine Liebelei (dalliance, die keine alliance aber auch keine mésalliance ist). Er bleibt drei oder vier Stunden dort mit dem Ehepaar Swayne, achtete aber sehr darauf, meinen Eid einzuhalten, nicht länger als eine Viertelstunde mit ihr (alleine) zusammen zu sein. Als er nach Hause kommt, findet er sein Weib angezogen, als ob sie auswärts gewesen wäre, aber ich denke, sie war es nicht. Aber da sie mir auf eine Weise antwortete, die mir nicht gefiel, zog ich sie an der Nase....Die arme Unglückliche nahm das mächtig schlecht auf; und ich glaube, abgesehen davon (von der Demütigung), daß ich ihre Nase herumgedreht hatte, tat es ihr weh und sie weinte eine ganze Weile. Aber nach und nach sorgte ich dafür, daß wir wieder Freunde wurden.
Mrs.Turner hat es ihm weiter angetan. Am 3.Februar 1665 besucht er sie: Sie zog sich gerade beim Feuer in ihrem Zimmer an, und nutzte die Gelegenheit, um mir ihr Bein zu zeigen, welches wahrhaft das schönste (the finest) ist, das ich jemals gesehen habe.
Ein ganz besonders loses Weib scheint die Gattin von Pepys' Kollegen Batten zu sein, wie er immer mal wieder anmerkt. Am 12.4.65 kommt er verärgert nach Hause und macht sich umgehend wieder auf zu my Lady Batten's,wo ich bei ihr in ihrem Zimmer viele fröhliche Frauen fand...wo mich Lady Pen (Mutter des frommen Gründers von Pennsylvania) aufs Bett warf und sich und andere, der Reihe nach, auf mich warf, und wir waren sehr vergnügt.
27.7.65.....I had a little opportunity to kiss and spend some time with the ladies above – his (Mr.Gaudens) daughter, a buxom lass, and his sister Fissant, a serious lady,and a little daughter of hers, that begins to sing prettily. 14.1.66...This afternoon, after sermon, comes my dear fair beauty of the Exchange, Mrs. Batelier, brought by her sister, an acquaintance of Mercer's, to see my wife. I saluted her with as much pleasure as I had done any a great while. We sat and talked together an hour, with infinite pleasure to me, and so the fair creature went away, and proves one of the modestest women and pretty, that ever I saw in my life, and my wife judges her so, too....etc.pp.
Mary Mercer ist zwei Jahre lang Gesellschafterin von Frau Pepys und bleibt auch danach insbesondere dem Herrn des Hauses verbunden. Der kommt am 24. 5.65 heftig erkältet zum Essen nach Hause. Die Erkältung hatte er sich zugezogen, indem er zu lange mit bloßem Kopf dagesessen hatte, damit Mercer das Haar kämmt und ihm die Ohren wäscht *
Mehr noch als beim Thema Alkohol und seinem fast tagtäglichen Schauspielbesuch verbinden sich mit seinen erotischen Eskapaden Gewissensbisse. Am 17.4.66 notiert er: Zum Büro, aber, Gott! Was hatte ich für einen Konflikt mit mir selbst, denn mein Herz sehnte sich 1000 mal raus zu gehen, um irgendeine Art von Vergnügen zu suchen, obwohl das Wetter schlecht war. Aber ich rührte mich nicht.; und so erledigte ich eine Menge Arbeit zu meiner großen Zufriedenheit.
Aber unser womanizer hat genug Freizeit. Drei Wochen später geht er zu den Pierces, wo auch Frau Knipp ist, eine andere entgegenkommende Dame, und sie machen sich nach Cornhill auf, um für Herrn Pierce ein Kaminsims auszusuchen. Meine Frau war heftig verärgert darüber, daß ich mit diesen Frauen ausging; und als sie gegangen waren, nannte sie sie ich weiß nicht was, was mich ärgerte, war ich doch so unschuldig mit ihnen gewesen (9.5.66). Im Sommer desselben Jahres ist er mit seiner Frau und Mercer im Garten und man singt zusammen. Als er mit seiner Frau alleine im Haus ist, beschwert sie sich, daß er so viel mit Mercer zusammen ist, um ihr das Singen beizubringen, während er sich mit ihr viel weniger Mühe macht. Aber es ist deswegen, weil sie so musikalisch ist, und seine Frau nicht, und Musik ist seine große Leidenschaft und inzwischen sein größtes Vergnügen. So to bed, in some little discontent, but no words from me (30.7.66)
14.11.66: To Knipp's lodging, whom I find not ready to go home with me; and there staid reading of Waller's verses, while she finished dressing, her husband being by. Er setzt den Ehemann dann irgendwo ab und geht mit ihr Essen.
Pepys betrachtet und behandelt Kollege Battens Frau als “Hure”, den Kollegen Penn scheint er gehaßt zu haben, vielleicht, weil der kenntnisreicher und ihm auch menschlich über war. Jedenfalls läßt er seine Aggressionen gegen ihn an dessen Tochter aus. Am 28.11.66 ist er mit Penn und anderen dienstlich unterwegs. Von dort nach Hause, und da kommt my Lady Pen, Pegg, und Mrs. Turner, und spielten Karten und aßen mit uns, und waren ganz schön fröhlich (were pretty merry) – und Pegg mit mir in meine Kammer (closet) eine ganze Weile, and did suffer me a la besar mucho et tocar ses cosas upon her breast – woran ich viel Vergnügen hatte, und so verbrachte ich den Abend; und dann brachen sie auf , und Ich zu Bett, mein Geist (my mind) mächtig erfreut über die Vergnügungen dieses Tages.
Also: Lady Penn, ihre Tochter und Frau Turner besuchen das Ehepaar Pepys, und der Ehemann lotst die Tochter seines Kollegen, deren Frau bei ihm gerade zu Besuch ist, in seine Kammer, und die erträgt, daß er sie eifrig küßt, ihre Brutwarzen berührt etc. Später wird er mit dem Mädchen, auch nach deren Verheiratung, noch intimer werden. Sie bleibt dabei immer Objekt seiner Lust, die ein heftiger Akt sozialer Aggression ist, gegen den Vater des Mädchens gerichtet. Er weiß, daß er etwas Verbotenes tut, und wie immer dort, wo Wollust, Sexus, Angst und Böartigkeit sich bei ihm verbünden, wird sein Text ins Italienische, Spanische, Französische verfallen.
Edle Vorbilder
Samuel Pepys geht im Hause Montague fast wie ein Familienmitglied aus und ein. Er kümmert sich ausgiebig um die Kinder und sieht sich mit my Lady Jemima spätestens seit dem ersten Jahr seiner Tagebuchnotizen (1660) befreundet. Von klein auf vertraut mit dieser puritanischen Aristokratie, fängt er, als sie anglikanisch-royalistisch wird an, sie in dem Maße zu imitieren, wie er Geld dafür hat. Ähnlich wie bei seinem verwandten Vorgesetzten und Patron verlassen ihn seine puritanischen Überzeugungen, er wird immer skeptischerer Anglikaner und Monarchist. Die radikal-protestantische Moral ersetzt er dabei Zug um Zug durch eine (puritanisch-säkulare) Arbeitsethik, die ihm seine Karriere ermöglicht, und zugleich durch eine kalkulierte Unmoral im Umgang mit Frauen, eine nicht mehr durch Moral sondern Angst vorm Erwischtwerden kontrollierte pekuniäre Ausnutzung seiner Ämter und ein Talent, sich seinen höhergestellten Förderern unterzuordnen, ohne als Speichellecker unangenehm aufzufallen.
Das ist die Moral "bürgerlicher" doppelter Buchführung für das Seelenkonto: Auf der einen Seite der oft tatsächlich gefährdete Anschein ehelichen Einvernehmens, ein zunehmend luxuriöserer Haushalt, was Speis und Trank angeht, versehen mit immer neuen Reihen von Büchern, immer neuen Bildern an den Wänden und immer kostbarerem Geschirr, sozialem Erfolg und Anerkennung durch den König und den Duke of York, den obersten Flottenchef. Auf der anderen Seite Angst und Schuldgefühle und ein Notizbuch (neben dem Tagebuch), in dem er gelobt, soundso lange keinen Alkohol mehr zu trinken (mit wechselndem Erfolg), für eine bestimmte Zeit nicht mehr ins Theater zu gehen, die Finger ganz wortwörtlich von bestimmten Frauen zu lassen, usw.
Seine Persönlichkeitsstruktur bleibt puritanisch und seine Verhaltensweisen werden immer großbürgerlich-säkularer. Der innere Widerspruch macht den uneasy puritan, und der Alkohol und die kurzen illiziten sexuellen Lustbarkeiten dienen als Betäubungsmittel. Er wird damit alles in allem, soweit heute nachzuvollziehen, erfolgreich sein.
Eine offenbar unheilbare Korrumpierung der “Gesellschaft” beginnt mit des achten Heinrich Hinrichtung hoher Geistlichkeit, der Einziehung der Klöster und von Kirchengut. Die Gesellschaft spaltet sich in Überzeugungstäter, Opportunisten und alle Schattierungen dazwischen. Dasselbe passiert im Bürgerkrieg mit seinem wechselnden Kriegsglück und wieder bei der Restauration der Monarchie. Edward Montague, unter Cromwell Lord, dann enttitelt, wird unter Charles II. wieder Peer und Earl of Sandwich. Seine Karriere befördert die von Pepys unter ihm; der wird Signateur der Petitionen an den König beim Privy Seal und Einkassierer der Gebühren. Sandwich der Puritaner wird jetzt Sandwich der Agnostiker, der Witze über Kirche und Religion macht. Nun sitzt er mit anderen über jene ehemaligen puritanischen Freunde zu Gericht, die als Königsmörder Haft oder Hinrichtung zu erwarten haben, zusammen mit dem ehemaligen Puritaner Ashley Cooper, der in Kürze als Lord Shaftesbury Karriere machen wird, bevor er der Krone irgendwann wieder in den Rücken fällt.
Man hängt wie auch zuvor bei den Puritanern die ("politischen") Übeltäter kurz auf, läßt sie ein wenig zappeln, holt sie dann herunter, möglichst noch lebendig, schneidet ihnen dann Kopf und Glieder ab und holt Herz und Eingeweide heraus; der Pöbel als Publikum schreit und jubelt vor Freude, wenn das zuckende und blutende Herz und der Kopf, an den Haaren hochgehalten, gezeigt werden. Die Grausamkeit dabei liegt weniger bei Cromwell und dem König als vielmehr bei den vielen, die dieses Schauspiels bedürfen.
Downing, der zweite Vorgesetzte von Pepys, ebenfalls aktiv am Regiment Cromwells beteilt, holt sich vom König den Titel eines Barons ab, indem er einige Freunde aus vergangener Zeit in Holland in eine Falle lockt und der königlichen Justiz ausliefert.
Noch in den folgenden Jahren wundert sich Pepys über die fehlende Beständigkeit seiner Mitmenschen, auch solcher, die wie Creed sozial inzwischen eher unter ihm stehen. Nach dem nachmittäglichen Kirchgang mit wenig befriedigender Predigt am 12. Mai 1661 trifft er ihn und sie speisen zusammen im King's Head. Auf dem Heimweg wunderte ich mich sehr, wie sich die Dinge bei Mr.Creed geändert haben, der sich vor zwölf Monaten lieber selbst erhängt hätte, als am Sonntag in eine Kneipe (drinking-house) zu gehen.
Spätestens im Herbst 1663 bekommt Pepys mit, daß sein Chef und Förderer Lord Sandwich in Chelsey eine kept woman hat, eine Maitresse namens Mrs. Becke. Er schämt sich, daß sein Lord so derb sich zum Narren macht (play the fool), und dabei allen Respekt verliert, indem er sie ausführt, unter ihrem Fenster die Laute spielt (etc, 9.9.63). Am 14.6 des folgenden Jahres sieht er sie und notiert: sie hat nicht einen guten Zug in ihrem Gesicht, ist aber eine feine Dame mit einer schönen Taille und Körperhaltung und sehr diskret....er ist sehr froh...daß ich my Lord's mistress gesehen habe.
Dort wo Eros und Sexus mehr Freiheiten erhalten, beginnen Faszination, Begierde, Scham und Angst miteinander zu kämpfen. Als Commissioner of the Navy gehört Lord Brouncker in den Arbeitsbereich von Pepys, als Viscount steht er sozial über ihm. Herbst 1665 nimmt er das Boot nach Woolwich...Dort war die lady of pleasure von Lord Brouncker, die wie ich sehe, überall mit ihm zusammen hingeht. (3.9.) Dagegen nehmen sich Pepys' flüchtige und heimliche Liebschaften und Affairen bescheiden aus; er kann sich einfach nicht mehr leisten und für einen Bürgerlichen sind förmliche aristokratische Ausschweifungen nicht standesgemäß.
Am ersten Sonntag im August 1666 steht er auf und landet gleich im Old Swan, wo er Betty Mitchell samt Ehemann trifft und zwei oder drei lange Küsse von ihr hatte out of sight of su marido (außer Sicht ihres Ehemanns), was mir mächtig gefiel. Seine erotischen Geplänkel scheinen allzu oft gepaart mit einer heftigen Prise Boshaftigkeit, liebt er es doch, Töchter in der Nähe ihrer Eltern und Frauen in der Nähe ihrer Ehemänner zu begrapschen. Dann plädiert er in St.James mit Sir Coventry zusammen gegenüber dem Duke of York für die Belange der Navy. Danach geht es zur Pfarrkirche, um einen Blick auf Betty Mitchell zu werfen. Dann, auf dem Heimweg, zu einer anderen Kirche, zu der, wie ich glaube, Mrs. Horsly geht, dann hat er zu Hause ein gutes Dinner. Am Nachmittag landet er mit seiner Frau, Mercer und Jane Birch wieder im Old Swan. Irgendwo unter diese Eintragungen für den 5.6.66 findet sich auch der Satz: Nan bei Sir W. Penn, kürzlich verheiratet mit einem Markeham, einem Verwandten von Sir W. Penn – sie ist ein hübsches Mädel (a pretty wench). Eine Wench ist ein eher loses Mädel, vorzumerken für künftige Unternehmungen...
Am nächsten Morgen geht es zur Arbeit, und beiläufig erfahren wir von der großen Pest, die dabei ist, England in tödlichen Schrecken zu versetzen. Am Nachmittag kommt die flotte Schauspielerin Mrs. Knipp. Ich bin sehr vergnügt mit ihr, merke aber, daß meine Frau nicht sehr erfreut ist, daß sie da ist, weil sie nicht erfreut ist über meine Nettigkeiten ihr gegenüber. Jedoch, wir unterhielten uns und sangen und waren sehr vergnügt. Arme Frau Pepys, denn schließlich kommen auch noch Mr. Pierce mit seiner Frau. Man unterhält und vergnügt sich, nur meine Frau ist übellaunig, sie mag meine Freundlichkeiten gegenüber beiden nicht. Schließlich verfällt sie auf lächerliche Äußerungen, und ich versuchte sie zu bremsen, was sie ganz mürrisch macht, und sie äußert sich sehr verletzend gegenüber Mrs. Pierce, was mir mißfällt. Schließlich bringt er die beiden Frauen nach Hause, seine Frau weigert sich verständlicherweise mitzukommen.
Man kommt dabei im Gespräch auf my Lord Brouncker und Mrs.Williams, über die Knipp bestens Bescheid weiß. Die Maitresse des Lords nämlich, obwohl sie selbst eine Hure ist, spricht schlecht von Pepys und insbesondere seiner Frau, weil beide sie schneiden. Knipp erzählt mir außerdem, daß my Lord noch eine Frau außer Mrs. Williams aushält, und daß neulich, als ich da war, ein großer Tumult im Haus ausbrach, als Mrs. Williams krank wurde, weil my Lord zur anderen Maitresse gegangen war und sie warten ließ, bis er von der anderen Maitresse zurückkehrte. (man bemerke die Betonung auf the other mistress; es muß Pepys ungemein faszinieren, was für Möglichkeiten sich für andere auftun). Großes Aufhebens gab es und Mrs.Williams fiel in Ohnmacht, gerade als Pepys da war und nur mitbekam, daß my Lord wenig Zeit für ihn hatte. Als er zurückkommt, beschwert sich seine Frau über die losen Weiber, aber am nächsten Morgen ist er wieder ziemlich gut Freund mit ihr. (6./7.8.66) Die losen Weiber können aber zufrieden sein, genießen sie von Pepys, dem inzwischen hohen Beamten, doch schmeichelhafte Liebesdienste und natürlich auch materielle Belohnungen, wie demnächst sichtbar werden wird.
Am 4. Februar 1667 notiert Pepys, daß er mit seiner Frau im Theater ist, wo er die schöne Mrs.Stewart betrachten kann, die auffallende künstliche Locken (puffes) trägt, wie inzwischen auch schon andere große Damen. Pepys gefällt das nicht, seiner Frau schon, aber die mag ja alles, wenn es in Mode ist. Außerdem sieht er dort my Lord Rochester mit gerade (after all this ado) geheirateter Ehefrau. Im Pit hört er jemand munkeln, daß sie sehr gnädig sei, da er keinen estate habe. Dann freut er sich, als er sieht, wie my Lord Butler, ein ehemaliger Verehrer, sie lächelnd begrüßt. Der Mann hat Manieren.
Am spannendsten ist aber vielleicht seine Nachbarin im Theater, ganz ähnlich wie my Lady Castlemaine, wie ich niemals jemanden jemandem anderen ähnlicher gesehen habe. Aber dann stellt sich heraus, daß sie eine gewöhnliche Hure ist. Pepys hatte mal wieder einen heiligen Eid geschworen, eine Weile nicht ins Theater zu gehen, denn seine late laziness hatte ihn seine Arbeit vernachlässigen lassen.
Aber am nächsten Tag ist er zusammen mit Frau und little Betty Mitchel schon wieder da, diesmal im King's house. Die Knipp singt wunderbar, aber am meisten, wie immer, gefällt ihm der Anblick vieler feiner Damen, darunter my Lady Castlemaine. So weit, so gut. Auf der Heimfahrt kauft er Betty in der New Exchange zwei Paar Handschuhe und ein Toilettentäschchen. Dann geht es zurück durch die Ruinenlandschaft, die das Große Feuer in der City hinterlassen hatte. Ihm tut sein rechter Hoden weh, aber daß ist ganz günstig, dient es doch als Vorwand, mit seiner Frau den Platz zu tauschen...and I did come to sit avec Betty Mitchell and there had her mano, which ella did give me very frankly now, and did hazer whatever I voudrais avec la – which did plazer me grandement. (und so kam ich dazu, neben Betty Mitchel zu sitzen und hatte ihre Hand, welche sie mir sehr freizügig gab, und sie machte damit was ich wollte mit meinem (Penis) – was mir sehr gut gefiel.) Bettys Massage von Pepys' Penis, während seine Frau hoffentlich nichtsahnend daneben sitzt, verdoppelt wie bei allen solchen Gelegenheiten den Text in den englischen und den unanständig französisch-spanischen Teil, der ihm hilft, bei seinen Tagebuchaufzeichnungen damit fertig zu werden, daß er sich einerseits seiner Frau gegenüber wie ein Schwein benimmt und sich der anderen willfährigen Frau wie einer käuflich-dienstbaren Hure bedient, andererseits (böartig aufgepeppte) sexuelle Lust genießt.
Samuel Pepys stellt unentwegt Frauen nach, mit den Augen, den Händen, dem Genital. Er bringt die Frau eines Untergebenen, der aufsteigen will, dazu, des öfteren mit ihm zu kopulieren, wohl mit die ekelhaftete Art von Korruption im Amt. Er hat definitive Vorstellungen von Sitte und Anstand gegenüber Frauen, schert sich aber in seinem eigenen Verhalten nicht darum. Ende Mai 1667 spaziert er mit Creed im Spring Garden in Vauxhall (e rschreibt Fox hall) und beobachtet, wie zwei unbegleitete hübsche Frauen von einigen müßiggängerischen Herrn (idle gentlemen) belästigt werden und gezwungen sind wegzulaufen...sie hinter ihnen her, und manchmal sind die Damen auf einer Höhe mit anderer Gesellschaft, worauf die Verfolger zurückfallen; schließlich entkommen sie in ein Boot auf der Themse und entschwinden. Ich war sehr beunruhigt, sie so grausam behandelt (abused) zu sehen; und hätte gerne den Mut gehabt, so wenig ich mich schlagen möchte, die Damen zu beschützen (und wohl Lohn dafür einzufahren) (28.5.67).
Das große Faszinosum im Leben von Pepys ist my Lady Castlemaine, die erste im Dreigestirn der Titularmaitressen des Königs. Am 20. April 1661 ist er im königlichen Cockpit-Theater und sieht eine seiner Ansicht nach schlechte Aufführung...und so viele große Schönheiten, aber vor allem Mrs. Palmer (die erst im Dezember von ihrem Liebhaber-König zur Countess of Castlemaine ernannt wird), mit der der König öffentlich eine Menge von Vertraulichkeiten austauscht. Pepys Mißfallen über die königliche Ungeniertheit läßt sich erahnen, aber auch sein Neid.
Ziemlich genau drei Monate später vertraut er dann seinem Tagebuch an, wie sehr er von der immer noch nicht geadelten Schönheit hingerissen ist: Nach dienstlichen Visiten trifft er erst Mrs. Mitchell in Westminster und sieht dann wieder mal ein schlecht aufgeführtes Stück ...nur, ich saß vor Mrs.Palmer, der Maitresse des Königs, und füllte meine Augen mit ihr, was mir sehr gefiel. (23.7.) Am 20. Mai des folgenden Jahres ist er, wie so oft und mit seiner Frau, im Theater und sieht - nicht zum ersten Mal – die 'Belagerung von Rhodos', aber es fehlt die Schauspielerin Hester Davenport, die er - nach seiner Lieblingsrolle von ihr - Roxelana nennt... die, wie man sagt, inzwischen my Lord of Oxford gehört, und deshalb derzeit der Bühne nicht zur Verfügung steht.
Das Unterhaltungsbedürfnis des bürgerlichen Pepys nähert sich wieder einmal deutlich dem der Aristokratie an und folgendermSatz könnte my Lord Rochester zustimmen:...obwohl ich dagegen bin, zu viel auszugeben, halte ich es doch für am besten, ein gewisses Maß an Vergnügen zu genießen, jetzt wo wir Gesundheit, Geld und Gelegenheit haben, anstatt die Vergnügungen aufs hohe Alter oder die Armut aufzuschieben, wenn wir sie nicht mehr so genießen können.
Am 21.Mai wiederum des folgenden Jahres spaziert er mit seiner Frau in Whitehall Garden: Und im Privy Garden sah ich die feinsten Unterkleider und Leinen-Petticoats von my Lady Castlemaine, unten beispiellos mit reiner Spitze eingefaßt; und es tat mir gut, sie anzuschauen. Was wird Frau Pepys wohl bei den erotischen Phantasien ihres Voyeur-Ehemanns empfunden haben? Im Herbst sieht er bei Lely, dem Maler der High-Society, das von mir so vielbegehrte Bild von my Lady Castlemaine, welches ein ganz wunderbares Bild ist (most blessed); und eins, von dem ich unbedingt eine Kopie brauche. Danach geht er mit seiner Frau ins Theater, wo es viel gutes Singen und Tanzen gibt, aber er ist voller unguter Gefühle, denn sein Gewissen nagt an ihm, bricht er doch wieder mal einen Eid, eine Weile nicht ins Theater zu gehen, und die Pflichten verlangten ihn anderswo. Aber wie dem auch sei,sobald ich nach Hause kam, zahlte ich meine Krone in die Armenbox gemäß meinem Eid, und so ist hier kein Schaden angerichtet, sondern nur Arbeit verpaßt und Geld verloren und meine alte Neigung zum Vergnügen erweckt, die ich in Zukunft niederhalten werde, denn Gottseidank macht mir der Genuß dieser Vergnügungen keinen Spaß.( these pleasures are not sweet to me in the very enjoying of them) (20.10.62). Die Poor's Box hatte er sich in Holland abgeschaut, und als guter (und immer skeptischerer) Protestant braucht er keinen Beichtvater, denn er hat sein Tagebuch, und er gibt sich selbst Absolution, indem er seine Buße in Geld (für die Armen) ableistet.
Wenige Tage später erfährt er, daß die Königin inzwischen von dem königlichen Umgang mit seiner Maitresse weiß. Das ist gewiß ein prickelnder Umstand, und dann teilt ihm der königliche Leibarzt noch mit, daß des Höflings Sir Charles Berkeley Größe (er ist gerade Keeper of the Privy Purse geworden) nur darin besteht, daß er Zuhälter für den König und my Lady Castlemaine ist, die, wie er sagt, eine der besten Frauen der Welt ist. Und daß dennoch der König sehr gut (kind) zur Königin ist. Seltsam wie der König von dieser schönen Castlemaine verzaubert ist. Am Ende landet er bei Frau Batten, die ihm davon erzählt, daß ihr Mann beinahe ertrunken wäre: Aber Gott, was für ein heuchlerisches Gesicht sie dabei machte, als sie mir das erzählte. ...Aber er kann seinen Kopf hochhalten, denn er kümmert sich jetzt um seinen Beruf (minding of my business), womit mich Gott segnet und segnen wird (15.12.62). Es versteht sich von selbst, das Pepys seinen Vergnügungen nie lange abhold bleibt.
Drei Jahre später notiert er zum 2.April 1665 die schriftliche Erneuerung seiner Eide (vows). Am Tag drauf ist er mit Herrn Creed, seiner Frau und Mercer im Theater und er ist wieder mal mit der Aufführung unzufrieden. Danach gehts nach Hause, nochmal ins Büro und dann nach Hause and to bed. Dann fällt ihm als Nachsatz noch ein: Das ganze Vergnügen des Stückes war, der König und my Lady Castlemaine waren da – und pretty witty Nell...und die jüngere Marshall saß bei uns. Nell hat gerade beim Theatre Royal angefangen und Rebecca Marshall ist dort bereits ungeheuer populär. Pepys Nummer Eins bleibt Castlemaine, ohne die alles nichts ist (without whom all is nothing) notiert er, nachdem er ihr am 15.11.66 bei einem königlichen Ball zuschaut), aber Nell Gwynn fasziniert ihn fast ebenso; sie ist immerhin auch zugänglicher (als Schauspielerin, später als königliche Titularmaitresse natürlich nicht mehr). Am 23.Januar 1667 erspäht er erst Mrs. Pierce (samt Ehemann), und die ganze Partie wird dann von der Schauspielerin Knipp zu Nell geführt, eine sehr hübsche Frau, die die große Rolle, Coelia, heute sehr schön spielte...Ich küßte sie und dasselbe machte meine Frau, and a mighty pretty soul she is (natürlich Nell und nicht seine Frau). Pepys ist glücklich und zwar especially kissing of Nell.
Ein richtig aufregender Tag wird für ihn der 1.Mai desselben Jahres mit herrlichem Frühlingswetter. Während seine Frau mit einem Diener in einer Mietkutsche in den Park fährt, erledigt er erst Geschäftliches und macht sich dann nach Westminster auf. Unterwegs trifft er viele Milchmädchen mit Girlanden um ihre Milcheimer, die mit einem Fiedler tanzend durch die Straßen in Richtung auf den Maibaum ziehen, um Trinkgeld zu kassieren. Das nicht genug, erblickt er auch pretty Nelly, die in her smock-sleeves and bodice (also in ziemlichem Undress) vor ihrer Wohnung in Drury Lane steht, um sich das Spektakel anzuschauen, - she seemed a mighty pretty creature. Wenig später erblickt er Doll Lane vener para me; but it was in a lugar mighty ouvert, so as we no poda hacer algo; so parted and then met again at the Swan, where for la misma reason we no pode hazer, but put off to recontrar anon, which I only used as a put-off. (Er sieht Doll Lane zu mir kommen; aber da der Ort gut einzusehen war, konnten wir nichts (sexuelles) machen; so trennten wir uns und trafen uns wieder im Swan, wo wir aus demselben Grund nichts machen konnten, sondern das aufschoben auf ein baldiges Wiedersehen...).
Dann muß er sich eine Weile mit der Kriegsmarine beschäftigen, um schließlich, wo auch sonst, im Theater zu landen. Das Stück gefällt ihm aber nicht, weil seine Lieblingsschauspieler (insbesondere Nell und Knipp) nicht mit von der Partie sind. Darauf macht er sich mit Sir William Penn in dessen Kutsche auf zum Park, wo die literarische und auch sonst exzentrische Lady Newcastle, Frau des Dukes, in einer Kutsche unterwegs ist, umgeben und verfolgt von lauter Schaulustigen in ihren Kutschen. Bei so viel Auftrieb gelingt es ihm nur, einen Blick auf ihre cap zu erhaschen, die außergewöhnlich unfashionable ist.
Lady Newcastle legt Wert auf ihre Bildung, ihre veröffentlichten Texte und ihre Selbständigkeit. Sie ist der Antityp zu all der modischen Weiblichkeit, die ein Pepys bewunderte. Allergrößtes Aufsehen wird sie bei einem Auftritt in der naturphilosophischen Royal Society erregen, gilt doch ein derartig öffentliches “intellektuelles” Interesse von Damen damals als höchst ungewöhnlich, für viele auch als ganz und gar unweiblich.
Die Unsicherheit gegenüber dem, was man als “geschlechtliche Identität” bezeichnen kann, war seit dem 16. Jahrhundert in ganz Europa, insbesondere aber in England, immer größer geworden. Gleich darauf erblickt Pepys aber etwas noch viel aufregenderes, nämlich Peg Penn ganz allein mit der schönen Schwester ihres Ehemanns, beide mit Schönheitspflastern und sehr fein, und in der prächtigsten Kutsche im ganzen Park. Die Kutsche ist nämlich prachtvoller als die von my Lady Castlemaine, vom König oder vom Maitressensohn my Lord St.Albans. Als unsere beiden Herren merken, daß sie Lady Newcastle nicht besser ausspähen können, fahren sie zu St.Johns in Clerkenwell, trinken dort einen Schluck und hoffen, sie dabei auf ihrem Rückweg abzupassen. Als sie ausgetrunken haben, ist die aber schon vorbeigefahren: so we lost our labours. Als sie zurück sind, finden sie die zwei jungen Damen nach Hause zurückgekehrt and their patches off. Vermutlich erlaubt Sir. W.Penn sie nicht in his sight: So aufregend kann das Leben sein.
Was bei der Society mit Geld elegant in Pracht und Gefälligkeit verwandelt wird, wirkt bei den kleinen Leuten eher schäbig. Am 6.April 1664, zwei Tage, nachdem er seine Frau aus Eifersucht heftig an der Nase gezogen hat, und wenige Stunden vorher herausgefunden hatte, daß Betty Lanes Körper gerade nicht zu Liebesspielen geneigt war, kommt John Noble, der alte Diener seines Vaters, zu ihm und erzählt ihm unter vier Augen, wie er meinem Bruder Tom geholfen habe in der Sache, daß dieser seine Dienstbotin Margaret, ein häßliches Weibsstück (jade) geschwängert hat. Die gebärt ein überlebendes Kind, welches einen fiktiven Namen bekommt. Es wird zu jemandem weggegeben, aber die Angst bleibt, daß die Kindsmutter es eines Tages haben will, und so muß es sicherer untergebracht werden (damit es nicht plötzlich verschwunden, d.h.tot ist). Ein gewisser poor pensioner Cave übernimmt das Kind gegen Geld, aber die Pfarrei St.Bride verklagt ihn, weil er einen Pauper in die Gemeinde hereingebracht hat, für den sie gegebenfalls aufkommen muß. Cave wendet sich deshalb an Noble und der an Pepys, der ihm klar macht, daß ihm der Tod seines Bruders schon teuer genug zu stehen komme. Alles in allem denke ich mag das ganze zu einer gewissen Schande führen, aber daß es schwer wird, soweit ich sehen kann, zu beweisen, daß das Kind das seinige ist....wiewohl ich verärgert bin, wenn ich daran denke, was für ein Halunke mein Bruder in jeder Hinsicht war.
Ängste und Aggressionen
Jemanden an der Nase ziehen und die dabei möglichst noch ein wenig schmerzhaft zu verdrehen, ist zu dieser Zeit eine gängige englische Art der Bestrafung und Demütigung. Körperliche Gewalt in Maßen ist dem Ehemann damals gegenüber seiner Angetrauten erlaubt, so ein hinreichender Grund vorliegt. Pepys straft aber nicht kaltblütig und vernünftig und er ist auf der anderen Seite kein pervers-lustvoller Sadist. Was mit ihm durchgeht ist eine Melange aus Angst und Aggression, die auf Schwäche hinweist. Außer Haus ist er “im feindlichen Leben”, mißtrauisch beäugt von Neidern und unter Erfolgszwang bei seinen Vorgesetzten. Er entwickelt einen rigorosen Sinn für Ordnung und Effizienz, wie auch sein Biograph Coote formuliert, setzt ihn aber nur um durch einen Drang zu kontrollieren, zu systematisieren, zu methodisieren (p.90).
Dieser frühe Bürokrat und Verwaltungsmensch neuen Typs kann dann sein berufliches Erfolgsrezept nicht von seinem häuslichen Milieu fernhalten. Zum 13. Oktober 1660 notiert er, wie er per Boot nach Hause kommt, wo ich ärgerlich mit meiner Frau war, weil ihre Sachen herumlagen, und in meiner Leidenschaftlichkeit trat ich gegen den kleinen schönen Korb, den ich ihr in Holland gekauft hatte und zerbrach ihn, was mich tief beunruhigte, nachdem ich es getan hatte.
Unsere Natur gibt uns die Angst, um uns zu schützen. Im Kern ist alle Angst Todesangst, d.h. von ihr abgeleitet. Die dem am nächsten kommende Situation in der frühen Kindheit ist das Gefühl abgrundtiefer Hilflosigkeit, Verlorenheit, Verlassenheit, für Sigmund Freud elementare Ressource späterer Angstgefühle. Das Gefühl von Sicherheit, Geborgenheit, Aufgehobensein nimmt uns die Angst. Je weniger wir es in der Kindheit erleben dürfen, desto unsicherer werden wir in unserem Leben bleiben.
Je weniger wir uns sicher fühlen, desto mehr müssen wir die Situation unter Kontrolle bekommen und halten. Der autoritäre Charakter entsteht aus Angst, und er wird alles tun, um keinen Kontrollverlust zu erleiden. Pepys der Ehemann und Pepys der Chef sieht sich ständig gezwungen, selbst und alleine zu entscheiden. Er kann das Heft kaum aus der Hand geben. Pepys der Liebhaber hat es noch schwerer. Immer wieder entflammt ihn ein Mädel oder eine Dame, und alle Konsequenzen sind für ihn unmoralisch und Sünde. Um beim Sex auf seine Kosten zu kommen, müssen Menschen einen eindrucksvollen Kontrollverlust hinnehmen. Wir verlieren ein gutes Stück weit dabei unser zivilisiertes Gesicht und begeben uns in die Situation eines schnaufenden, stöhnenden oder gar schreienden Tieres. Kultur fördert nun ein Schamgefühl, das wiederum ohne latente Angst nicht auskommt. Der Mensch verliert sich – natürlich nicht, wie poetisch gesonnene Gemüter formulieren – an seinen Partner, denn das wäre nicht Sex, sondern Liebeswahn oder zumindest Verliebtheit, - er verliert “sich” einfach für einen Moment, um ganz Körper zu werden.
Angst ist dabei einmal Angst, sich an den anderen zu verlieren, von ihm überwältigt, übermannt zu werden, und sich dann nicht mehr heil zurückzugewinnen, oder im dunklen Schlund des weiblichen Kontinents verloren zu gehen, am Ende nicht einmal mehr als ganzer Mann zurückzukehren. So wie das Joseph Conrad am dunklen weiblichen Kontinent Afrika ganz puritanisch exploriert, wird später behandelt werden.
Angst, das ist Versagensangst: werde ich angenommen, wo ich mich ganz verliere, kann ich dem Partner genügen, wie wird er mich nachher mögen, respektieren, nachdem er mich als keuchendes, stöhnendes Tier kennengelernt hat. Wer kann, verdrängt...
Frauen haben es in gewissem Sinne damals leichter: Sie sind offiziell Jungfrauen bis zur Ehe, und danach liegt es am Mann, im Bett Wunder zu vollbringen. Das Keuschheitsgebot der Frauen macht es ihnen leicht, jede erotische Begegnung auf den Mann/Verführer als aktiven Part zu beziehen, ihn zur Verantwortung zu ziehen und selbst im Zweifelsfall die Opferrolle einzunehmen. Der abendländische Feminismus wird in Zukunft daraus seine Nährstoffe beziehen.
Andererseits: Renaissance, Barock, Rokoko sind inoffiziell Kulturen großer weiblicher Freizügigkeit. Die Residenz in Rastatt ist übersät mit Amoretten, barbusigen Frauengestalten, in der Suite der Fürstin mit mehr oder weniger entblößten, einander liebevoll zugewandten Frauenstatuen, unter den Gemälden befindet sich eine Variante der Einschiffung nach Cythera, das Gemälde ist im wesentlichen bevölkert von zahllosen völlig entblößten wohlgerundeten und erotisch anziehenden Frauen, die hauptsächlich in Zweiergruppen einander zugewandt sind.
Für Pepys demonstriert nichts so sehr diese fürstliche Leitkultur wie die schöne königliche Maitresse Lady Castlemaine, die er gar nicht genug anstarren kann, wenn er sie zu sehen bekommt, und der er nur gelegentlich das Lippenbekenntnis entgegensetzt, der König solle sich doch mehr um seine Königin als um seine Maitresse kümmern.
In Rochesters ejakulatio-praecox-Gedicht bekennt der Poet seine Ohnmacht angesichts der starken Frau und ernstlicher Liebe. In sie einzudringen macht Angst, also macht sein Penis vorher schlapp. Die starken höfischen Maitressen und Hofdamen werden bezwungen, indem sie mehr oder minder bezahlt und anderen herabwürdigenden Konventionen unterworfen werden. Sind sie dann in den Augen des Galans hinreichend erniedrigt, d.h. geschwächt, kann er seine volle Potenz, die ja nichts anderes als eine besonders unmittelbare Form physischer Aggression ist, ausleben.
Sobald Frauen in unserer nachmittelalterlichen Kultur sexuelle Bedürfnisse artikulieren und nicht nur vorspielen, und deutlich nach eigener weiblicher Lust verlangen, verspüren abendländische Männer Angst. Der große Liebhaber Casanova (in seinen Texten) ist ein Verführer, d.h. er spielt gekonnt Macht aus und gewinnt daraus Stärke. Die sich zunächst verweigernde Frau tut so, als ob sie ganz gut ohne die Lust auskommen könne, die ihr der Verführer offeriert. Ihre Stärke besteht in der Option, immer neue Bedingungen für ihre Unterwerfung zu fordern. Ihre Schwäche ist das Offerieren der Fiktion, daß sie weder auf Lust durch Küssen, Streicheln, oder klitorale/vaginale Zumutungen aus ist, das heißt, sie verliert die Option, selbst Forderungen an den Mann zu stellen, wie sie ihre Gunst gewährt. Dadurch wiederum macht sie ihn stark.
Goethe/Faust wird sich ein Gretchen ausspähen, das bereits von vorneherein für die Opferrolle kulturell präpariert ist. Da ihr keine erotischen Wünsche erlaubt sind, kann Faust, diese ins Lächerliche versponnene Männerphantasie Goethes, sie ziemlich problemlos vögeln: Sie ist so attraktiv schwach, daß der Goethe-Faust-Schwanz sich ins Unendliche ausdehnen kann; und er kann sich ebenso problemlos wieder zurückziehen, wenn er sie mit seinem Sperma beglückt hat, vollzieht sich doch danach das ihr von vorneherein vorbestimmte Schicksal. Indem Goethe kurioserweise behauptet, das ganze sei eine Tragödie, dabei ist es nur eine ins Pathetische gesteigerte Schmieren-Posse, macht er aus dem Dienstmädchenfick ein Hochamt für verschwiemelte Bildungsbürger. Im zweiten Teil werden Fausts Weiber erwachsener, aber nur auf dem Papier, denn jetzt werden frei flottierende Altmännerphantasien zettelkastenbildungsmäßig ins Spruchweisheitenhafte aufgepeppt. Goethe interessiert sich eben nie für eine wirkliche, komplette Frau.
Samuel Pepys braucht hundert Jahre vorher ziemlich lange, um ein gewisses Maß an Gelassenheit zu erreichen. Am Ende seines ersten Tagebuchjahres 1660 notiert er zum ersten Dezember: Als ich diesen Morgen sah, daß einige Dinge nicht so von meinem Mädchen aufgeräumt waren wie sie sollten, nahm ich einen Besen und prügelte sie damit bis sie ganz furchtbar schrie, was mich sehr beunruhigte; aber bevor ich ausging, hatte ich sie wieder beschwichtigt. I left her appeased: Pepys verlangt von seinem Dienstmädchen Jane Birch dieselbe Ordentlichkeit, deren er sich im Amt selbst befleißigt (wenn man von seinen mehr oder minder korrupten Heimlichkeiten absieht). Werden seine Erwartungen nicht erfüllt, kann er die emotive Energie nicht aufschieben, was eine andere, friedfertigere Problemlösung ermöglichen würde. Außer Haus ist er zu solchem Aufschub stetig verdonnert, um sozial und beruflich insbesondere erfolgreich zu sein. Da das, was nicht ausgelebt wird, in irgendwelche Seelenecken verschoben entweder auf Aktion wartet oder transformiert werden muß, lauert im privaten Raum Unheil.
Jeder häusliche aggressive Akt fällt in seinen Tagebuchnotizen auf ihn selbst zurück; er weiß, daß er nicht angemessen, sondern über-reagiert, daß ein Teil der Aggression von anderswo her kommt. Nach dem Unheil legt er Wert auf friedensstiftende Maßnahmen, mögen sie letztlich auch demütigend für ihn ausfallen. Am letzten Februartag 1662 hat er mit einem Dienstjungen die Faxen dicke. Am Vortag war es zu einem Streit mit seinem Kompositionslehrer gekommen, der dazu führt, daß der den Dienst quittiert. In Ordnung, notiert Pepys, weil ich denke, daß ich all die Regeln habe, die er mir geben kann...Und so ließ ich mich nieder, um all die Regeln in guter Ordnung in einem Buch aufzuschreiben, was meine Arbeit den ganzen Morgen lang bis zum Dinner war. Dann arbeitet er im Büro bis spät in die Nacht and so to bed.
Die Eintragung zum nächsten Tag beginnt mit: Da der Junge es versäumte, uns zu wecken, wie ich ihm befohlen hatte, war ich verärgert und beschloß, ihn dafür und für viele andere Fehler heute auszupeitschen. Der Ärger mit dem Musiklehrer wird in zivilisierte Ordnung überführt, aber er trägt bei zu all dem Ärger, der sich aufgestaut hat, zu dem auch die Unzufriedenheit mit dem Dienstjungen gehört. Er arbeitet den ganzen Tag über, mit einer längeren Dinnerpause zu Hause. Als er abends zurückkommt, um mein Wort zu halten, forderte ich Will auf, mir eine Rute zu bringen und ich rief den Jungen herauf...und dort zählte ich alle seine Fehler (faults) auf und prügelte ihn kräftig durch; aber die Ruten waren so klein, daß ich fürchte, sie taten ihm nicht sehr weh, sondern mehr meinem Arm, den ich schon nach einer Viertelstunde kaum noch bewegen kann. After supper, to bed.
Am 20.1.66 schickte er seinen Jungen nach Hause wegen einiger Papiere, wobei ich ärgerlich wurde, als er länger ausblieb als ich wollte, und ich boxte meinen Jungen als er kam so sehr, daß ich meinen Daumen so sehr verletzte, daß ich mich den ganzen Tag danach nicht rühren konnte und große Schmerzen hatte.
Die Wunde, aus der sich jene Aggression nährt, die wir hier betrachten, wird den Menschen von ihren zivilisatorisch-kulturellen Anstrengungen geschlagen. Das aggressive Potential für Kampf, Jagd und Sex wird zum einen umgeleitet und zum anderen kulturell verstärkt. Die daraus wiederum resultierenden kulturellen Anstrengungen versuchen (nicht erst seit Rabelais) den Widersinn humoristisch zu transformieren. Der wohlerzogene Betrachterkopf lacht über seine Körperlichkeit und Lebendigkeit, die er dabei noch einmal verstümmelt.
Die Jahre puritanischer Machtfülle halten das alles unter dem Deckel der Heimlichkeit, aber das Herannahen der Restauration läßt sich auch an der Rückkehr des Humors derbster Prägung vorausahnen. Am 7.2. 1660 bekommt Pepys morgens mit, wie Moncks (presbyterianische) Soldaten einige Baptisten mißhandeln und ärgert sich darüber. Der General wird das demnächst unterbinden, er wird der Garant für Sicherheit und Ordnung in England und deswegen bald Lord Albemarle werden.
Dann ist Pepys mit Chiffrieren und Dechriffrieren des Briefwechsels mit Montague beschäftigt, den er über die Lage in London informiert. Mr. Moore, Mitglied des Montagueschen Haushalts erzählt ihm davon, daß in der Exchange ein Bild von einem Riesen-Hinterteil aufgehängt ist, daß einen Scheißhaufen (turd) in den Mund von Lawson scheißt, und darüber steht geschrieben “Der Dank des Hauses”. Die Jungs rufen inzwischen “Küß mein Parlament” anstelle von “Küß meinen Arsch”, so sehr und so allgemein ist der Rumpf bei allen verächtlich geworden, bei den Guten wie den Bösen. Lawson ist puritanischer Kommandant eines Flottenteils, und der Humorismus ist wenig philosophisch und offen obszön.
Obszönität ist das Verweisen auf jenen Teil der Körperlichkeit, den zivilisatorische Anstrengung weggedrückt hat; ist diese nicht offen aggressiv, so muß es die Aggression humoristisch travestieren. Humanismus und Reformation, bürgerliche Angestrengtheit und die ganz schlichte Angst, die die wenig historisch faßbare Masse der Menschen immer wieder zu bannen hat, drücken immer stärker Sexualität und Verdauung aus der öffentlichen Wahrnehmung weg; der Widersinn moderner "Bürgerlichkeit" mit seiner Zweckrationalität und Leibfeindlichkeit ist nur durchzusetzen, wenn der Mensch zu einem säkularen Geistwesen wird, zum Träger einer jenseits seiner körperlichen Existenz verankerten Sinnhaftigkeit seines Daseins. Da gelingt am Ende (wenn auch nur vorübergehend) bei Integration der eigenen Person in eine Gesellschaft, einen Staat, in ein System, an das Selbstverantwortung abgegeben werden kann.
Im Zuge eines mit menschlichem Bildungsübermut durchgesetzten säkularen Weltbildes wird die vom christlichen Klerus geforderte Spiritualität jetzt als bürgerlich-weltliche umgesetzt. Sexus und Metabolismus werden für immer weitere Kreise in die Sphäre säkularer Sündhaftigkeit, in das Reich des Pfui übersetzt. Die menschlichen Ausscheidungen und ihre Organe wie auch der ganze genitale Apparat werden das schimpfliche Reich des säkularen Satans, die Genitalien werden immer mehr zu Schimpfworten für den ganzen aggressiv angegangenen Menschen, und “Scheiße” wird in den europäischen Sprachen zum Aggressionswort Nummer eins. Sternes “Humor” der bittersten Art wird sich im 18. Jahrhundert damit beschäftigen. Im Extremfall fallen die metabole und die sexuelle Sphäre in eins; de Sade wird sich in seinen Bastille-Phantasien damit auf das entsetzlichste auseinandersetzen.
Pepys notiert die Vorstellung eines Riesenarsches, der in den Mund einer bekannten Persönlichkeit scheißt, ohne Kommentar. Im obszönen Bild wird hier Aggression und Humor vereint, die anderen lachen, - Pepys notiert. Die Verdauungsorgane, die bowels, werden zu dieser Zeit als oberste Strafe den verurteilten Schwerverbrechern, nachdem sie kurz gehenkt wurden, aus dem Unterleib gerissen und dem faszinierten Publikum vorgezeigt; der Delinquent wird damit bestraft, daß alle sehen, daß der Schein, er sei ein (zivilisierter) Mensch, trügt; er ist ein Tier und sonst nichts. In der französischen Revolution werden Mitglieder des Mobs aristokratische Damen öffentlich vergewaltigen, bevor sie sie aufs fürchterlichste massakrieren. Seht da: Auch diese Aristokratinnen sind Tiere (sexuell nämlich), schieres Fleisch, keine Menschen (die man so ja nicht behandeln dürfte).
Ganz deutlich formuliert das an einem viel vorsichtigeren Beispiel Pepys, der hier wie öfter mal feststellt, daß Monarchen und ihre Familien auch nur Menschen sind. Zum 25.5.1660 notiert er, daß er bei der Rückkehr des Königs unter anderem mit einem Dienstboten in einem der Landungsboote sitzt. Dieser führt einen der Lieblingshunde des Königs in Dover an Land, welcher in das Boot schiß, was uns lachen ließ und mir den Gedanken eingab, daß ein König und alles was zu ihm gehört nicht anders als andere ist...Die Verdauungsrückstände des königlichen Hundes erinnern Pepys daran, daß auch sein royales Herrchen scheißen muß und darum ein Mensch ist. Die Überführung des Königs nach Dover führt dazu, daß er öfter mal durchnäßt wird und der Mai auf dem Channel ist kühl. Er erkältet sich. Am 28.Mai hat er einen seltsamen Traum, sich zuzupissen, was ich wirklich machte, und am Morgen ist er piss-nass und hat Probleme beim Wasserlassen, was mich sehr melancholisch machte. In der Schwermut verliert der Kopf seine Körperwahrnehmung, zieht sich auf sich selbst zurück und empfindet sich als beruhigend unlebendig.
Am 22. des folgenden Monats trifft er auf Mrs.Turner, die vor ihrer Tür steht. Unter anderem erzählte sie mir als eine Tatsache, wie die alte Lady Middlesex sich neulich in der Gegenwart des Königs vollschiß (beshit herself) und die Leute bekamen es mit. Das Hofzeremoniell ist gnadenlos, und man kann sich nicht einfach absentieren, wenn es einen überkommt. Das “tatsächlich”, for certain bei Pepys unterstreicht, daß es sich bei dieser Mitteilung um eine Sensation im neuen Wortsinn handelt, um das, was in Zukunft zum Metier der Journalisten wird (die darüber informieren). Auch eine alte Aristokratin ist also ein Mensch, weil sie sich vollscheißt, - oder sind wir am Ende alle nur Tiere? Die Frage wird nicht erörtert, das immer "bürgerlicher" werdende Individuum kommt gar nicht darum herum, sich über sich selbst zu belügen und Aspekte der eigenen Leiblichkeit in Nischen zu verdrängen, oder in den Keller. Dort hinab steigt Pepys am 18.10. desselben Jahres und sein Fuß trat auf einen großen Scheißhaufen, wodurch ich herausfinde, daß Mr. Turner's house of office voll ist und in meinen Keller kommt, was mich sehr beunruhigt; aber ich werde Abhilfe schaffen.
Der Prozeß der Verfeinerung der Sitten und Gebräuche beginnt zunächst in der höfischen Kultur, und breitet sich dann in Imitation beim Bürgertum aus. Dort wird er von Reform- und Reformationsbewegungen befördert. Das Lachen über Körperlichkeit, die nicht mehr dem Selbstbild entspricht, wird zunehmend abgelöst durch das Wegdrücken dieser Körperlichkeit aus der Öffentlichkeit. Zu vermuten ist im übrigen, daß dem Prozeß der Verfeinerung einer der Grobianisierung in den komplementären Kreisen entspricht.
An obigen Tagebuchnotizen wird deutlich, in welchem Maße körperliche (Ent)Äußerungen zumindest in der Heimlichkeit des Tagebuchs noch in Pepys' Selbstbild integriert sind. Andererseits übernehmen Leute wie Pepys immer mehr Spiele und “Sport”, die die Körper der anderen auf Abstand halten und bei denen immer seltener der Schweiß ausbricht. Er spielt Federball (shuttle-cock), Darts, Brettspiele wie Dame (draughts), er bowlt (bowles), er spielt an Deck des Schiffes, das den König holen soll, nine-pins,... which is very pretty sport (16.5.60). Im St.James Park sieht er den Duke of York, der das neue Spiel Pell-Mell spielt, einen Vorläufer von Croquet, 1665 spielt er oft Billiard um Geld.
Schon 1660 bemerkt er, wie sehr die nobleren Herrschaften dem Glücksspiel verfallen sind, wie auch sein Herr Sandwich. Er selbst versucht sich natürlich auch darin, aber seine Sparsamkeit bzw. sein Geiz halten ihn weithin davon ab. Die Sirs und Lords machen ihm im kleinen vor, was beim Hof in großem Stil stattfindet: das extreme Gegenteil von puritanischer Lebensführung.
Ein paar Jahre bevor sich Pepys an dessen Tochter heranmacht, spaziert er mit Penn über die Felder nach Deptford, man unterhält sich fröhlich, er findet ihn a merry fellow and pretty good-natured und er singt sehr unanständige Lieder (very bawdy songs).
Im Vergleich zum Sir ist der Mr.Prin a good honest, playne man, aber in seiner Unterhaltung nicht sehr frei oder angenehm. ( 9.10.60) Drei Wochen später amüsiert er sich erst wieder köstlich mit Sir Penn, und dann besuchen sie Sir Wm.Batten, der ihnen unter anderem King Harry's chair vorführt, in den man sich setzt, worauf zwei Eisenstangen um den Sitzenden zugehen, so daß er gefangen ist, which makes good sport.
Angst bekommt er aber, als er bei Batten auch einen alten Schulkameraden entdeckt, der sich erinnern könnte, daß er als Junge ein großer Roundhead war, aber er hat Glück.
Auch am 27.März des nächsten Jahres fühlt sich Frau Pepys unwohl und hütet ihr Zimmer. Pepys vergnügt sich abends mit Sir Penn und den Battens. Pepys singt und fiedelt, es ist eine Gruppe von Geigern anwesend, und am Ende tanzt er sogar zum ersten Mal. Am Ende ließen wir Mingo, Sir W.Battens Schwarzen, und Jack, Sir W. Pens tanzen. Und es war eigenartig, wie der erste mit großem offensichtlichen Talent tanzte.
Good sport ist ein großer Spaß, wird dieser exorbitanter, wird es ein frolic. Man ist bei Lord Sandwich, und ein Captain Ferrers begeht die Dollerei, aus einem Balkonfenster in den Garten zu springen, wobei er sich den Rücken verletzt, the greatest and most desperate frolic that ever I saw in my life (19.5.61). Zehn Tage später gibt es einigen Spaß bei der Taufe eines Batten-Nachkommens und am Schluß gibt es ein Wettrennen der Kutschen, wobei Pepys in Penns Kutsche zu den Siegern gehört, obwohl die andere Kutsche vier Pferde und sie nur zwei vorgespannt hatten. Was immer das sonst für die Begehbarkeit der Straße für andere bedeutete, Pepys Kleider waren am Ende ziemlich verdreckt und er muß über Nacht seine Hosen zum Trocknen am Feuer auslegen. Die Sirs und Lords gehen eben gelegentlich deutlich über das hinaus, was Pepys noch für einen guten Spaß (good sport) hält.
Am Abend des 5.Juni 1661 kegelt er erst mit Penn und trinkt dann mit ihm einen guten Schluck. Es ist warm und er geht mit seiner Flageolett-Flöte raus und spielt, und Penn kommt im Hemd ebenfalls raus und da unterhielten wir uns, sangen und tranken große Schlucke Claret, aßen botargo, Brot und Butter bis Mitternacht, während der Mond schien. And so to bed – very near fuddled (berauscht). Lebensfreude, Übermut und Alkoholmißbrauch treffen aufeinander. Er leidet die ganze Nacht hindurch an Kopfschmerzen und hat am nächsten Morgen einen Kater.
Spaß hat für Pepys durchaus immer wieder auch etwas mit Schadenfreude zu tun. Am 2.Juli 61 ist er, wie so oft im Theater, alles wartet auf das Eintreffen des Königs, als über ihnen ein Brett bricht und eine Menge Staub fiel den Damen in den Nacken und den Männern ins Haar, which made good sport. Das Lachen überbrückt die Differenz zwischen dem feinen Staat, in dem die Zuschauer öffentlich sind, und dem Schmutz, der sie an ihre reale, nicht ausstaffierte Körperlichkeit erinnert, die weggelacht werden muß.
Derbere Amüsements werden nicht ausgelassen, aber sie werden benutzt, um sich von denen abzugrenzen, die in ihren zivilisatorischen Bemühungen zurückbleiben.
Am 21. Dezember 1663 geht er zu einem neuen pit in der Shoe-Lane, um bei einem Hahnenkampf zuzuschauen. Fasziniert ist er von der Anwesenheit von Unterhausabgeordneten, ärmsten Lehrlingen, Bäckern, Brauern, Metzgern, Rollkutschern und was nicht alles; und alle diese Leute schwören, fluchen und bieten. Er hat bald genug davon, aber er wollte es doch einmal gesehen haben, wobei er jetzt sein Augenmerk den Tieren und ihrem elenden Los zuwendet. Später am Tag ist er froh, in die kultivierte Gesellschaft von Lord Sandwich entkommen zu sein, wo man wunderschöne italienische Lieder singt.
Glück
Das Glück, das wir heutzutage beschwören, ist wohl eine ziemlich moderne Vorstellung. Ausgehend von fatum und fortuna und den das Geschick spinnenden Nornen, ist Glück zunächst das Gute, das uns zufällt. Mit dem Abdanken aller höheren Mächte müssen wir es (als unser Schicksal) selbst in die Hand nehmen –, und so werden wir unseres Glückes Schmied. Da viele Menschen des 17./18.Jahrhunderts mit dieser laut Nietzsche übermenschlichen Aufgabe nicht fertig werden, werden die Umstände, die Verhältnisse, die Gesellschaft jetzt zu den höheren Mächten, deren Vor-oder Nachteil aus der Hoffnung erwächst, diese nach Belieben gestalten zu können. Schon die Utopien eines Plato, eines Morus, Bacon und Vico sind davon geprägt.
Das Glück der Antike war gegeben, wenn die Götter einem günstig gestimmt waren; diese positive Einstimmung wurde durch den religiösen Kultus und Ritus, insbesondere das Opfer gefördert. Das Glück des christlichen Mittelalters ergab sich aus dem richtigen Platz, den man für sich in der Welt gefunden hat (mit Gottes Hilfe), das Glück der Moderne ist keine Situation mehr (in die man gestellt wird), sondern ein Zustand, den es zu erreichen gilt. Postmodern wird daraus bei immer mehr Leuten ein bewußt hergestellter spezifischer psychosomatischer Zustand, der immer häufiger biochemisch definiert wird. Dabei schwingt unterschwellig noch die alte Glücksvorstellung mit: sie hat Glück gehabt mit ihrem ganz lieben, fürsorglichen, zärtlichen, zuverlässigen Mann, er kann von Glück reden, daß ihn die Polizei nicht erwischt hat, andere haben Glück, wenn sie beim Lotto gewinnen. Problematisch nur, daß es niemanden mehr gibt, bei dem man sich für sein Glück bedanken kann...
Es gibt immer noch eine weitverbreitete Hoffnung auf das Glück, das einem zufällt. Aber je unzufriedener die Menschen mit ihrer alltäglich erarbeiteten Wirklichkeit sind, um so weniger Glück man da noch entdeckt, desto angestrengter muß man sich das Glück selbst zufügen. Die beiden klassischen Wege in die Biochemie der Glückseligkeit sind beide bei Pepys Zentralthema aller seiner Tagebuchbetrachtungen: Drogen (bei Pepys Alkohol) und Sex (bei Pepys verfügbare Mädchen und Frauen) führen zu jenem flüchtigen Zustand des Glücks, dessen Unbeständigkeit zur ständigen Wiederholung, zum Suchtverhalten animiert. Bei Pepys geht das soweit, daß er zu oft mit besoffenem Kopf aufwacht und seine berufliche Karriere darunter leidet, und – verständlicherweise – zu dem einem oder anderen Ehekrach. Bist du glücklich?, fragt nicht mehr nach einer von (Lebens)Glück geprägten alltäglichen Situation, sondern nach einem momentanen Zustand, der Flucht aus dem Alltag gewährt.
Good Sport
Am 30.Mai 60 nach den Feiern zu Königs Geburtstag, bei denen es laut und heftig zugeht, erläßt der so gefeierte eine Proklamation gegen auschweifende und lästerliche (debauched and profane) Personen, die unter dem Vorwand der Hochachtung für den König andere schmähen und bedrohen, oder ihre Zeit in Tavernen und Suffhäusern (tippling houses) verbringen und auf sein Wohl trinken. Daß diese königliche Erklärung weiter keine Wirkung zeigt, versteht sich von selbst. Das Amüsement hat einen ganz zentralen Platz im Leben der Menschen, sei es im Theater, im Wirtshaus, beim Glücksspiel, beim Tanzen, bei der Musik.
Ein Humanum scheint das Vergnügen in der Schadenfreude zu sein, die Freude am Unglück der anderen. Im hier betrachteten Zeitraum zumindest steigert sich diese in dem Faszinosum legalisierter Grausamkeit, bei vielen am unbefangensten in der Goutierung von Tierquälerei, die aber in besseren Kreisen immer weniger Befürworter findet. Aus diesen Kreisen stammen aber nun die Herrschaften, die Tierversuche am lebendigen Tierkörper durchführen, im Namen einer im Entstehen begriffenen Naturwissenschaft, aber mit einem unverhohlenen Faziniertsein, wenn man zum Beispiel lebendige Tiere aufschneidet, in sie hineinschaut und sie dann mit allerlei Versuchen weiterquält. So notiert Pepys im Herbst 1666 von einem “Experiment” am Gresham College, bei dem zwei Hunde die Opfer sind: beide werden aufgeschlitzt und das Blut des einen in den anderen abgelassen. Ersterer verblutet, der zweite überlebt.
Ein ganz alltägliches Amüsement ist das Zuschauen bei öffentlichen Hinrichtungen und das Besichtigen der noch kompletten oder schon zerstückelten Leichen. Eine gute Zeit dafür ist der Winter 1660/61 in London, als die Königmörder hingerichtet werde. Pepys notiert am 13.10.60: Ich ging nach Charing-Cross, um zu sehen, wie Major-General Harrison gehängt, auseinandergezogen und gevierteilt wurde – was dort gemacht wurde - wobei der so fröhlich schaute wie nur irgendjemand in seiner Lage. Er wurde gerade zerschnitten und sein Kopf und sein Herz wurden der Menge gezeigt, was bei der Menge zu Freudenschreien führte. Zwei Tage später: Diesen Morgen wurde Mr.Carew in Charing-Cross gehängt und gevierteilt – aber als große Gunst werden seine Leichenteile (quarters) nicht aufgehängt werden. Am 18.10 eilt Pepys nach Newgate, um zuzuschauen, wie Colonel Hacker und Axtell hingerichtet werden, aber welch ein Pech, der Spaß ist um einen Tag verschoben worden. Zwei Tage später sieht er dann doch noch die Leichenteile unserer neuen Verräter auf Aldersgate aufgespießt, was einen traurigen Anblick bot. Das hält ihn aber am Tag danach nicht davon ab, mit einem Bekannten auf ein Türmchen zu steigen, wo man Cookes Kopf als den eines Verräters aufgespießt sieht, und Harrisons auf der anderen Seite von Westminster Hall. Von hier konnte ich sie deutlich sehen, und ich hatte außerdem einen sehr schönen Blick über London.
Oliver Cromwell, Ireton und Bradshaw werden, nachdem sie schon vor der Restauration gestorben und begraben worden waren, schließlich im Winter ausgegraben, die Leichenreste werden am Galgen aufgehängt und dann geköpft und darunter noch einmal begraben. Am 30. Januar 61 lassen es sich Mr. Pepys und Lady Batten nicht nehmen, rechtzeitig einen Ausflug nach Tyburn zu unternehmen, um die schon einigermaßen verwesten Leichen noch am Galgen baumeln zu sehen. Ihre Köpfe werden nicht mitbegraben, sondern vor Westminster-Hall auf Stangen gesteckt, wo sie mehrere Jahre zu bewundern sein werden. Pepys besichtigt sie bereits Anfang Februar 61.
Das Vergnügen mit den Königsmördern ist bald vorbei, aber es bleiben ja noch die gewöhnlichen Verbrecher. Am 11.April 61 beginnt für Pepys ein höchst vergnüglicher Tag. Nach ein wenig Arbeit vergnügt er sich mit Mrs.Rebecca (I did again please myself with...), und er bedauert (I was a little troubled...), sich dann von ihr verabschieden zu müssen – for which God forgive me. In fröhlicher Gesellschaft wird nun über Land geritten, wobei er sich mit der Dienstbotin der Allens amüsiert. Mit der Mrs.Ann reitet er dann unter dem Galgen auf Shooter Hill, 8 Meilen außerhalb von London durch. Dies ist ein ganz besonderes Vergnügen, weil an diesem Galgen der verwesende Leichnam eines Räuber hängt; und das war ein ekelhafter (filthy) Anblick, zu sehen, wie sein Fleisch um die Knochen herum eingeschrumpft ist. Dies hält ihn natürlich nicht ab davon, den Tag fröhlich zu beenden.
In den Notizen zum 21. Januar 1664 erfahren wir, in welchem Umfang Hinrichtungen damals allgemeine Volksbelustigungen sind. Schon am frühen Morgen schickt Pepys seine Frau zu seiner Tante, um einen Platz zu bekommen, um zusehen zu können, wie Turner gehängt wird. Mittags kommt er selbst zur Börse, sieht die Leute zur Hinrichtung strömen und erfährt, daß diese immer noch nicht stattgefunden hat. Ich bezahlte einen Schilling, um unter Schmerzen auf einem Wagenrad stehen zu können, und wartete so eine Stunde, bis er exekutiert war. Der Delinquent, ein Dieb, hält lange Reden zu seiner Verteidigung, um seine Hinrichtung hinauszuschieben. Man glaubte, daß wenigstens 12-14 000 Menschen auf der Straße waren. Pepys eilt darauf nach Hause, um sein Dinner zu sich zu nehmen.
Man hetzt damals nicht nur Tiere aufeinander, zum Beispiel berichtet Pepys von dem vergnüglichen Schaupiel, wie in einem pit Stiere Hunde zerfleischen. Recht beliebt sind auch bewaffnete Kämpfe Mann gegen Mann. Zum 27.Mai 67 berichtet er: Außer Haus, und ich hielt bei Bear-garden stairs, um dort einen Preiskampf zu sehen...und auf einem Stuhl stehend sah ich sie kämpfen, was sie ganz erbittert taten, ein Metzger und ein Fährmann. Der erstere hatte erst alle Vorteile, bis dann der letztere ein Schwert fallen ließ, worauf ihm der Metzger, ob er das nun wahrgenommen hatte oder nicht, ihm einen Schnitt übers Handgelenk zufügte, so daß er nicht mehr weiter kämpfen konnte. Watermen und butchers prügeln sich darauf auf der Bühne.
Luxus: Wie man zu Geld kommt und was man damit macht
Als William Godwin hundert Jahre später während der Grausamkeiten der französischen Revolution der Menschheit den vernünftigen Weg nach vorne und zugleich zurück ins Paradies weist, hat sich Britannien bereits seit Jahrhunderten auf einen ähnlichen Weg gemacht, auf jenen, der zum derzeit einzig erfolgreichen weltweit geworden ist; es handelt sich um den langen und mühseligen Weg aus der Selbstversorgung und Subsistenz in die Rackerei zwecks Erwerbs von Konsumgütern, und um das trotzige Bemühen, diesen Entschädigung abzugewinnen. Zwischen die Arbeit und die Konsumtion tritt dabei das Geld und der alles in Waren verwandelnde Markt; als Hindernis auf dem Weg zum Reichtum, der Luxus gewährleistet, tritt die zunächst nur ganz wenigen mögliche Anhäufung wirtschaftlicher Werte, die in bürgerlicher Betrachtungsweise als Kapital dienen können, also als jene vom lateinischen caput (Kopf,Haupt) abgeleitete Hauptsache, aus der heraus investiert, angelegt wird, um Rendite zu erwirtschaften, die einmal das Kapital vermehren, zum anderen aber in Überflüssiges, Luxus angelegt werden können. Dieser Prozeß beginnt in der städtischen Gesellschaft des Mittelalters, die nur einen ganz geringen Teil der Bevölkerung umfaßt, angefeuert durch den Bedarf des Adels und der fürstlichen Höfe, der nicht nur Luxus, sondern in hohem Umfang auch militärischen Bedarf umfaßt; nach dem Mittelalter wird die Rüstungsmaschinerie, und das ist in England vor allem die Navy, zum größten Auftraggeber in Britannien.
Das Aufhäufen von und Wirtschaften mit Kapital verlangt Sparsamkeit, planerische Fähigkeiten und spekulativen Mut. Es belohnt die Profiteure mit mehr Kapital oder Luxus, - die allerdings, die dafür ihren Buckel hinhalten, mit Armut, einem Phänomen, das erst jetzt erfunden und empfunden wird, einer modernen sozialen Errungenschaft, die nichts damit zu tun hat, wieviel einer hat, sondern ausschließlich damit, was er noch nicht oder nicht mehr hat.
Sehr schön stellen Leute wie Thomas Morus oder Jean-Jacques Rousseau fest, daß der Wilde, der bei ihnen allerdings unangenehm nobel ist, die Armut dewegen nicht kennt, weil er den Reichtum nicht kennt. Beide führen das in Ermangelung historischer Kenntnisse auf die Erfindung des Eigentums zurück. Zeitgenossen führen den “Wilden” mehrerer Kontinente vor, was Armut und Reichtum sind und lassen sie dabei ungeniert und tatsächlich verarmen.
Wir Menschen haben natürliche Bedürfnisse wie Essen, Trinken, Schlafen, Sex, für die wir auf natürliche Resourcen zurückgreifen können und müssen. Die immer weiter um sich greifende Warenwelt tendiert dazu, solche Ressourcen zu privatisieren, so daß der Zugriff darauf dann den Erwerb von Geld voraussetzt, - oder sie qualitativ zu verschlechtern, so daß der Ersatz durch Warenkonsum (z.B. gesundheitlich) sinnvoll wird. Wasser für den häuslichen Bedarf wird so nach und nach zu einer Ware, saubere Luft zeitweilig zur Rarität und lärmfreie Zonen werden immer rarer und unerschwinglicher. Arbeiten für Geld wiederum schafft Abhängigkeiten, die abhängig von neuen Waren machen, die das Leben als auf eine immer geringere freie Zeit reduziertes mit Glückerwartungen versehen.
Am Ende zeigt uns die heutige immer mühsamer um Kapitalrendite ringende Warenwelt besser als je zuvor, daß es sich um eine artifizielle zweite Welt handelt, die die erste längst überwuchert und unkenntlich gemacht hat. Der Begriff der Kunst, der bis in die frühe Neuzeit mit der des Könnens um Bedeutung ringt, bekommt mit Reformation und Humanismus nun eine zweite Bedeutung: Das Künstliche, Artifizielle wird das Unechte, nämlich Menschenwerk, es tritt in Opposition zu einem neuen Begriff von Natur, der Echtheit, Urprünglichkeit (neulateinisch: Originalität) meint.
Die bürgerliche Welt spaltet sich nun in eine wirkliche und eine bloß vorgestellte, wobei letztere sich in Textform entfaltet, so wie sich von der natürlichen eine zweite Welt abspaltet: die des bloßen Menschenwerks. Jane Austens Dashwood-Schwestern werden in 'Sense and Sensibility' umgeben sein von unechten, unnatürlichen Menschen, die artful sind, art, Kunst (nach dem lateinischen ars, artis) betreiben, welche nun Täuschung und Betrug meint .
Samuel Pepys täuscht und betrügt seine durchaus attraktive Ehefrau in einem fort und lernt, sich dann wieder bei ihr einzukaufen, indem er ihr Geschenke besorgt oder ihr gleich Geld gibt. Er erkauft sich in seinem sozialen Umfeld Gefälligkeiten mit Geschenken. Er stopft sein Haus voll mit kunstvollen Statusymbolen, die er an den Wänden ausstellt und seinen Besuchern vorführt. Der Mann aus kleinen Verhältnissen steigt so auf in die Welt der Reichen und Schönen. Dabei ist er kein Kapitalist, kein Unternehmer, er stellt vielmehr die Frühform eines Verwaltungsbeamten dar, eines Profiteurs von Profiteuren.
Es gibt damals in England keine moderne Beamtenschaft, keine festgelegten Laufbahnen, keine Eintrittsvoraussetzungen für Ämter und keine Altersversorgung für Amtsinhaber. (Claire Tomalin, Samuel Pepys. The Unequalled Self, London,2003 (Penguin),p.133)
Der Staat, das ist vor allem der König, der “seine” Beamten der königlichen Verwaltungen auf Vorschläge bei Hofe hin ernennt. Im Unterschied zum modernen demokratischen Staat hat der König wenig Geld und bezahlt dementsprechend seine Beamten schlecht oder gar nicht. Die Hauptsache der Einnahmen eines Beamten sind darum seine Nebeneinnahmen. Samuel Pepys “arbeitet” beim königlichen Siegelamt, seine Arbeit ist das Besiegeln von Urkunden, wofür ihm die, die die Siegel brauchen , Geld nach einem festen Satz zahlen. Dann steigt er dank der Beziehungen seines Verwandten Montague in die Verwaltung der Navy ein, eine Goldgrube für ihn wie für die Zulieferer, die er betreut und die ihn großzügig betreuen.
Der größte englische Arbeitgeber, die größte Firma Englands braucht Holz, Hanf, Teer, Tuche, Harz, Nägel und vieles mehr in großen Mengen. Alles an einem Kriegsschiff ist damals leicht verderblichund muß ständig nachbeschafft werden. Der Navy Board, in den Pepys aufsteigt, besorgt es, und die Firmeninhaber werden dafür sorgen, daß Pepys in wenigen Jahren zu einem gemachten Mann wird. Das ist damals weder legal noch illegal, es ist einfach üblich. Genauso läuft Karriere über Protektion, und macht so selbst wieder Patronage möglich, für die es Geschenke und Gebühren gibt, etwas, was wir heute Bestechung nennen, weil es inzwischen verdeckter geworden ist: Heutzutage plündert der Staat in viel größerem Maßstab seine Bürger aus, so daß er seinen inzwischen gewaltigen Verwaltungs- und das heißt nicht zuletzt Repressionsapparat besser bezahlen und dadurch für obrigkeitliche Dienste willfähriger machen kann.
Als Clerk in the Exchequer mit einem Gehalt von 50 Pfund im Jahr zieht Pepys mit seiner Frau in ein poor little house in Axe Street. Sie haben ihr erstes Dienstmädchen, Jane Birch. Nach dem Umzug von Axe Yard nach Seething Lane verdoppelt sich in wenigen Monaten die Zahl der Dienstboten von 2 auf 4. Sein erster Tagebuch-Eintrag in der Axe-Street lautet: My own private condition very handsome, and esteemed rich, but indeed very poor. Er besitzt nur Haus, Einrichtung und sein office, gehört aber damit schon in das obere Viertel der Londoner Gesellschaft. Am Ende seiner Tagebuchschreiberei, zehn Jahre später, besitzt er 10 000 Pfund und ist damit sehr wohlhabend.
Das erste Tagebuchjahr ist in dieser Beziehung die vollständige Exposition: Am 22.Januar trägt er ein, daß er jetzt schmückende und Wohlstand bezeugende Schnallen (buckles) für seine Schuhe hat, während er in dieser Zeit die ebenfalls modischen Holzschuhe seiner Frau als Luxus beklagt. Vier Tage später zählt er auf, was für ein very fine dinner er für neun Gäste, fast alles Verwandte, anbietet: Ein Teller Markknochen; eine Hammelkeule; eine Kalbslende; ein Geflügelteller, drei Hühnchen und ein Dutzend Lerchen, alle auf einem Teller; eine große Obttorte, eine Ochsenzunge (neat's tongue), ein Teller Sardellen, ein Garnelen-Teller und Käse, alles unter der Aufsicht seiner Frau vorbereitet. Wer es sich damals in England leisten kann, ißt fast nur Fleisch und ahnt nicht, daß davon seine Verdauungsprobleme kommen. Wie noch heute im Mittelmeerraum gehörten zudem Singvögel zu den Leckerbissen.
Pepys wird Sekretär der beiden Generäle der Flotte, Montagu und Monk, später notiert er: Seltsam, wie diese Leute mir inzwischen alles mögliche versprechen; einer ein Rapier (zum Fechten), der andere ein Gefäß voll Wein oder ein Gewand , und er offerierte mir sein silbernes Hutband, damit ich ihm einen Gefallen täte. Ich bitte Gott, Stolz von mir fernzuhalten, zu verhindern, daß ich zu eingebildet werde. Am 25.3. schreibt er stolz, daß er von Mr. Blackburne in einem Brief als „Esquire“ bezeichnet wird, was eine Stufe über dem gewöhnlichen Gentleman steht. Einen Monat später am 25.April heißt es: Nach dem Dinner nach Hause, nicht wenig zufrieden damit zu sehen, wie ich behandelt werde und mit welchem Respekt ich zum Kollegen der besten Kommandanten der Flotte gemacht werde. Im Mai schließlich segelt er mit Montagu nach Holland, um den König abzuholen.
Im Juni erfährt er von Montague, my Lord Sandwich, daß er Clerk of the Acts wird. Damit wird er wirklicher Esquire. Zum 21. desselben Monats notiert er: In der Dog Tavern gab mir Kapitän Curle von der Maria fünf Goldstücke und eine Silberkanne für meine Frau für die Kommission für sein Schiff, die ich ihm gab... Zum 1.7.60 heißt es dann: Diesen Morgen brachten sie mir my fine Camlott cloak mit Goldknöpfen – und einen Seidenanzug, was alles mich viel Geld kostet, und ich bete zu Gott, daß er mir ermöglicht, das alles zu bezahlen. Aus dem puritanischen ist ein anglikanischer Gott geworden, dessen wesentliche zukünftige Rolle darin bestehen wird, Pepys' Wohlstand zu garantieren. Voller Gottvertrauen kauft sich der große Administrator der Kriegmarine seinen ersten Druck nach Rubens. Jetzt richtet er das eigene Haus in Seething Lane richtig feudal ein. Am 27.Juli rechnet er sich aus, daß er ungefähr hundert Pfund wert ist nach all meinen Ausgaben. (Noch bei Jane Austen ist ein Heiratskandidat soundso viel “wert”).
Montagu hatte ihm gesagt, daß das öffentliche Amt ein schöner Weg zu privatem Reichtum sei, und er hat Recht behalten. Im September trinkt Pepys seine erste Tasse Tee (a China drink, wie er anmerkt). Im Oktober ist er bei seinem Vater wegen dem vergoldeten Leder für mein Eßzimmer. Anfang 61 besitzt er an Geldvermögen 300 Pfund und hat keine Schulden. Mit Frau und Freunden geht es am 2. Januar zum Cousin Thomas Pepys: Sein Dinner ist ein armseliges Essen für einen Mann von seinem Rang, denn es gibt nicht anderes als gewöhnliches Fleisch. Das Innenleben dieses Karriere-Protestanten (er)starrt zunehmend vor Kälte und Herzlosigkeit. Statt Liebe herrscht eine erbärmliche Geilheit, welche Schlüpfigkeit für Erotik hält, seinem Patron ist er weithin unterwürfig ergeben, mit seinen Kollegen konkurriert er und weigert sich gelegentlich, ihre Qualitäten, wo vorhanden, anzuerkennen.
Zum 24.Juli 1661 notiert er: Den ganzen Nachmittag im Büro, wo es mir viel Vergnügen macht, mit Leuten von Stand zu reden und ihnen zu berichten, daß ich 200 Pfund pro Jahr an Land geerbt habe, neben Geldbeträgen, weil ich geschätzt werden möchte (because I would put an esteem upon myself). Aber wie viel Geld er auch immer ausgibt, er wird immer neiderfüllt sein, gibt es doch Leute, die sich größeren Luxus leisten können. Am 30 Mai 62 sieht er bei den Montagues einen kleinen Türken und einen Negerjungen, die Pagen für die beiden Töchter werden sollen. Die Kollegen Penn und Batten haben beide einen schwarzen Hausdiener aus dem afrikanischen Sklavenhandel
(Vgl.auch Tomalin,Pepys,p.125).
Es gibt keine Modetorheit, für die er nicht zu haben ist. Pepys gibt einen gigantischen Anteil seiner Ausgaben für modische Kleidung für sich dran und ist immer wieder in Sorge, ob er auch richtig vorausgesehen hat, was gerade modisch sein wird. Seine Frau hält er vergleichsweise kurz und knausert dann nach einer Ausgabe für sie im Tagebuch darüber, was das wieder für eine Verschwendung war. Als Lady Sandwich ihm vorhält, daß er seine Frau etwas besser ausstatten solle (peinlich,peinlich), ringt er sich erst dann wirklich dazu durch, als ihn sein treu-teures Eheweib zu Hause mit einem Dienstmädchen erwischt. Üblich ist, daß Ehefrauen “von Stand” eine annual clothing allowance erhalten und nicht ständig bei ihren Männern um Klamottengeld betteln müssen.
Die Perückenmode übrigens kommt auf, als Ludwig XIV. sein Haar verliert und sich Ersatz beschaffen muß. Sie hilft im übrigen, die Haarlosigkeit bei einer Syphiliskur zu verstecken. Bald rasieren sich alle Höflinge Glatzen und tragen Perücken (frz.perruque, davon englisch periwig, kurz wig). Charles II. bringt die Mode aus Frankreich mit. Wer genug Geld hat und die Läuse und Flöhe erträgt, trägt nun Perücke, wer sein eigenes Haar behält, drapiert es so, wie gerade die jüngste Perückenmode ist, um möglichst genau so auszusehen. Anfang des 18. Jahrhunderts wird John Gay eine andere Unerfreulichkeit des Perückenunfugs beschreiben: Nor is the wig with safety worn; / High on the shoulder, in a basket born / Lurkes the small boy, whose hand to rapine bred, / Plucks off the curling humours of thy head. (Trivia, or the Art of Walking the Streets of London, 1716).
Im August 62 ist Pepys durch Sandwichs Protektion in der Tanger-Kommission...Durch Gottes Segen macht meine Karriere große Fortschritte. Am 28.11.66 gibt er zu Hause ein großes Essen für seine Kollegen: Man ißt mit great pleasure, aber sein Vergnügen besteht laut Tagebuch nicht in sinnlichem Genuß, vielmehr denkt er dabei an all den Luxus, den er sich noch wird leisten können – Essen mit Silbergeschirr, und alles mighty rich and handsome about me. 1667 wird er das alles mit dem Erwerb einer eigenen Kutsche plus Lakaien in Livree krönen (31.5.67 und ff.)
Alkohol
Diesem Alltag aus viel braver Arbeit, viel beiläufigen sexuellen Eskapaden, Voyeurismus und wohlbemessenem Luxusprotz entflieht Pepys vorzugsweise in die Musik, wie wir noch sehen werden. Aber offensichtlich erträgt er sich und sein Leben über lange Strecken doch nur mit einer gehörigen Dosis Alkohol. Das Londoner Wasser, das noch nicht aus dem Wasserhahn kommt, schmeckt nicht nur schlecht, sondern ist auch der Gesundheit nicht sehr zuträglich. Reisende aus Deutschland und Frankreich stellen deshalb erstaunt fest, daß dieses elementare Grundnahrungsmittel kaum getrunken wird. Zu Pepys Lebzeiten wird es immer üblicher, es mit Kaffee, Tee und Schokolade zu veredeln.
Der zentrale Wasserersatz aber ist das Ale, ein leichtes, nicht sehr alkoholreiches Bier. So notiert Pepys zum 16.1.60, daß er den Tag mit einem Besuch im Alehouse beginnt, wo er seinen morning draught mit Mr Andrews und zwei oder drei seiner Freunde trinkt. Am 2.2.60 notiert der zum Morgen: Ich trank bei Harpers mit Doling; und dann zu meinem Büro...Gleich für den nächsten Tag heißt es:Trank meinen Morgentrunk bei Harpers.
Der Trinkwasserersatz Bier macht für den Londoner, der es sich leisten kann, alkoholiche Getränke zu einer lieben Gewohnheit und endet offenbar recht häufig in Formen des Alkoholismus. Fünf Tage später notiert Pepys: Um 9 Uhr (abends) ging ich heimwärts, und in der Fleetstreet wurde ich heftig von einem Mann angerempelt, der fest entschlossen, auf der Häuserseite zu gehen, wogegen ich nichts machen konnte. Das gilt als Vorrecht des Höherstehenden, der so besser den Kutschen, Sänften und Lastkarren ausweichen kann. Ich ging zu Bett und mein Kopf fühlte sich nicht gut an, weil ich heute zu viel getrunken habe. Und ich hatte eine Beule (boyle) unter meinem Kinn, die mir viel Kummer machte.
Am 26.des selben Monats, einem Sonntag, erfahren wir, daß es der Wein ist, der Pepys Kopfschmerzen macht: Sanch und Ich zum Rose tavern,wo wir saßen und tranken bis die Predigt vorbei war; und dann kam Mr. Pechell zu uns und wir drei saßen da und tranken auf die Gesundheit des Königs und seiner ganzen Familie bis es dunkel wurde. Dann trennten wir uns; Sach und ich gingen zu meiner Unterkunft, wo wir meinen Vater und Mr.Pierce an der Tür fanden, und ich nehme sie beide und Mr. Blayton zum Rose tavern und gab ihnen dort ein Viertel Wein oder zwei, und sagte ihnen nicht, daß wir da schon vorher waren. Danach brachen wir auf; und mein Vater, Mr. Zanch und Ich zu meinem Cosen Angiers zum Essen, wo ich veranlaßte, daß zwei Flaschen Wein von der Rose tavern gebracht wurden; but was drank up...
Im März macht Pepys Bekanntschaft mit a great deal of strong water, more then ever I did in (my) life at one time before. (3.3.) Diese Spirits machen zuerst high spirits, aber sechs Tage später gelobte ich am nächsten Morgen, keinen harten Alkohol während dieser Woche zu trinken, denn ich merke, daß der mich im Bett schwitzen läßt, und: puts me quite out of order. (9.3.) Die geselligen Ale-Saufereien gehen aber weiter und so heißt es dann immer wieder: very ill all night (9.8.60) oder: To Westminster to my Lord's; and there in the house of office vomited up all my breakfast , my stomach being ill all this day by reason of the last night's debauch, dank viel Wein und vieler Walnüsse. Oder: Lords day. My head not very well and my body out of order by last night's drinking - which is my great folly (2.12.60). We stayed here very late: at last, Sir W.Pen and I home together, he so overgone with wine, that he could hardly go; I was forced to lead him through the street and he was in a very merry and kind moode (22.12.60). Fünf Tage später: so I was forced to call the mayde (who pleased my wife and I in her running up and down so innocently in her smock) and vomited in the bason...
Am 18.1.61 geht er mit einem Arzt, Dr.Hollier zum Greyhound, - der rät ihm, wegen leiblicher Probleme und wegen des Verfalls des Gedächtnisses den häufigen Alkoholgenuß zu meiden: which I am resolved if I can, to leave off. In Zukunft wird er einen im Laufe der Tagebuchjahre gelegentlich und vorübergehend erfolgreichen Kampf gegen den Demon Alcohol zu führen. Beim harten Alkohol schafft er das besser, aber schon beim Wein ist das schwierig, und der bereitet ihm die meisten Kopfschmerzen, ist er doch ein Teil vornehmerer Londoner Geselligkeit. Und so notiert er unter dem
26.7.61: Da ich Anfang dieser Woche mir selbst feierlich gelobt habe, diese Woche keinen Wein zu trinken (denn ich merke, daß es mich unfähig macht, meinen Geschäften nachzugehen), und da ich den Eid heute schon wieder gegen meinen Willen gebrochen habe: I am much troubled for it – but I hope God will forgive me.
Ein gutes Leben unter den Bedingungen von Pflichterfüllung im Amt mitsamt legitimer Korruption, unter der Bedingung, außer Haus immer einen guten Eindruck zu machen, unter dem Druck, Geld anzuhäufen für Luxuskonsum, der nur bedingt für das übrige Dasein entschädigt, und das alles mit den nicht ganz ohne Gewissensbisse machbaren sexuellen Eskapaden und dem häuslichen Alltag, der immer zu wünschen übrig läßt, das alles geht offenbar nicht ohne die allgegenwärtige Droge, die laut Tagebuch so oft nicht genossen wird.
Was Pepys fehlt, und was anderen bürgerlichen Zeitgenossen besser das Rückgrat stärkt, ist...
...die Religion.
Sie hilft ihm nicht mehr, mit seinem Leben zu Rande zu kommen, und so läßt er sie Schritt für Schritt fallen und wird ein Protestant im modernen Sinne. Seine heiligen Eide, dies und jenes nicht mehr zu tun, wenigstens eine Zeitlang, funktionieren nur noch gelegentlich. Und so notiert er zum 29.September 1661, daß er zum ersten Mal vorm Zubettgehen an einem Sonntag nicht mehr gebetet hat, weil er zu betrunken war. Schon am 17. August ist er sehr besorgt, daß Ich mich nicht dazu bringen kann, mich um meine Geschäfte zu kümmern, sondern zu verliebt ins Theaterbesuchen bin. Zum 31. 12. desselben Jahres heißt es dann: Ich habe erneut einen feierlichen Eid geschworen, mich vom Theater und vom Wein fernzuhalten, welchen ich fest entschlossen bin einzuhalten...Januar 62 schreibt er aber bereits von seiner ersten großen Weinbestellung aus Portugal. Am 27.8.62 schreibt er in sein Tagebuch, daß er den ganzen hogshead of sherry an Sir W. Batten verkauft hat. Am 29.9.62 läuft mal wieder so ein Eid aus, und sofort sind Theater und Wein wieder angesagt.
Zwischen all den Debakeln gibt es aber Erfolgsmeldungen, die auch dazu gehören. Am 26.1.62 heißt es: Gott sei Dank, seit ich aufgehört habe, Wein zu trinken, geht es mir viel besser, ich kümmere mich besser um meine Geschäfte und gebe weniger Geld aus, und verliere weniger Zeit in eitler Gesellschaft (in idle company). Juni 62 stelt er fest, daß es ihm besser geht, seitdem er Wein und Plays reduziert hat, und vor allem, daß sich der Inhalt seiner purse auf 650Pfund vergrößert hat.
Zum religiösen Alltag gehören die Beachtung des Sonntags, aber wie schon oben erwähnt, muß er bald feststellen, daß auch ein Herr Creed sonntags den Alkohol nicht mehr läßt. Länger dauert sein Kampf um das auch nur minimale Einhalten des Fastens (Lent). Im März 1660 beginnt Pepys das Fasten noch mit einem Fischessen. Im Februar 61 ist es talk of the towne, wer Königin wird – und ob das Fasten mit der Strenge der königlichen Proklamation eingehalten wird: was man nicht für möglich hält wegen der Armen, die sich keinen Fisch leisten können. Er selbst nimmt sich vor, diesmal die Fastenzeit möglichst lange durchzuhalten, und scheitert ganz schnell. So notiert der dann zum 26.3.61: Very merry at dinner – unter anderem, weil Mrs. Turner und ihre Gesellschaft diesen Lent kein Fleisch essen, und ich hatte eine Menge gutes Fleisch, was das Wasser in ihrem Mund zusammenlaufen ließ. Die bissige Boshaftigkeit des Karrierebeamten ist unübersehbar und widerwärtig.
Zunächst geht Pepys Sonn-und Feiertags immer in die Kirche und setzt sich dabei kritisch mit den Predigten auseinander. Dabei macht öfter Touren, die man als church-crawling bezeichnen könnte, geht von Kirche zu Kirche, um zu schauen, ob es irgendwo einen guten sermon zu hören oder schöne Frauen zu sehen gibt. Danach geht er in die Kneipe oder ins Theater. Am meisten stören ihn presbyterianische Predigten, weil sie zu lang sind. Sein nur äußerlicher Anglikanismus sucht in den Predigten eine zweckrationale Komponente. Dabei geht er den Weg der meisten Anglikaner in die Verweltlichung, der am 29.6.62 einen ersten Höhepunkt erreicht, als er als wichtigstes Kircherlebnis die Kleidung einer Frau notiert: green petticoate of flowred sattin, with fine white and black gimp laceof her own putting on, which is very pretty. Das regelmäßige Beten zu Hause wird seltener; 1664 geht er nicht mehr regelmäßig zur Kirche, bleibt wochenlang weg.
Gott wird die übliche moderne Floskel. Wenn er Karriere macht, notiert er: I pray God to keep me from being proud, or too much lifted up hereby (22.3.60) oder: which was a great providence. Wenn er mal wieder sein Geld gezählt hat, kommt die Floskel: for which I bless Almighty God...(3.6.60), wenn er Luxuswaren bestellt, heißt es: and I pray God to make me able to pay for it. Was bleibt, ist nackter Konformismus, tändeln mit Astrologie und experimentieren mit einem Hasenfuß (hare's foot) gegen Schmerzen. Seiner taugt nichts, aber als er den seines Freundes trägt, geht es ihm gleich besser. Am Ende weiß er nicht, ob es die Tabletten oder der Hasenfuß ist, was ihm hilft (Januar bis März 63).
Schon Mai 1660 vermerkt er, daß ...my Lord... is I perceive wholly Scepticall, as well as I, und im Juli ist der sceptic in all things of religion, but ...a perfect stoic. (14.7.). Als er Dissenter sieht, die bei einer geheimen Versammlung erwischt wurden und nun abgeführt werden, notiert er (7.8.64): They go like lambs, without any resistance. I would to God they would either conform, or be more wise, and not be catched!
Im Mai 61 besucht er heimlich und illegal die katholische Messe des spanischen Botschafters. Er lobt die great charity used in Catholique countries (18.9.62); drei Tage danach beobachtet er die (katholische) Queen beim Gottesdienst: The Queen was devout: but what pleased me best was to see my dear Lady Castlemaine, who, though a Protestant, did wait upon the Queen. Es gefällt ihm, daß die Königin (katholisch) fromm ist, und daß das seine Lady Castlemaine nicht hindert, ihr dabei zu Diensten zu sein.
Wir sehen, sein weiter gehender Flirt mit dem Katholizismus lindert nicht eine sexuelle Begehrlichkeit: In the afternoon to the French church, where much pleased with the three sisters of the parson – very handsome, especially in their noses, and sing prettily....23.1.67 besichtigt Pepys Kapelle und klösterliche Einrichtungen der portugiesischen Franziskaner der Königin. Er lobt die Bibliothek und die Küche: Their windows looking all into a fine garden and the park. And mighty pretty rooms all.I wished myself one of the Capuchins – having seen what we could here, and all with mighty pleasure. So away with the Almoner in his coach, talking merrily about the differences in our religions, ...
Am 26.5.67 (Lord's day.) notiert Pepys schließlich: I alone...to the parish church, and there did entertain myself with my perspective glass up and down the church, by which I had the great pleasure of seeing and gazing at a great many very fine women; and what with that, and sleeping, I passed away the time till sermon was done. Seine religiöse und sexuelle Karriere hat ihren erbärmlichen Schlußpunkt gefunden, der in einem anderen Kontext vielleicht als lächerlich bezeichnet werden könnte. Die gelegentlich ihren Gegenstand weniger kritisch betrachtende Claire Tomalin beurteilt ihn so: "Die Schamlosigkeit seiner Selbstbeobachtung verdient es, wissenschaftlich genannt zu werden. (p.xxxv)
. 20.11.64: (Lord's day). Up, and with my wife to Church, where Pegg Pen very fine in her new coloured silk suit laced with silver lace.
Musik ist Glück
Zen wie jede andere Richtung des Buddhismus begreift Glück als Abwesenheit von Leiden. Der Weg des Zen heißt Konzentration als Gegengewicht zu Spekulation; Konzentration in jener Form der Meditation, die nicht westlich erleuchtet, sondern in die Ruhe führt, und zudem Konzentration auf jede gerade angegangene Tätigkeit. Zen ist Sich-Ergeben in sich selbst unter Meidung der üblichen rasanten Textproduktion; - keine Flucht, sondern ein bewußter Weg in die Alltagstauglichkeit.
Die westliche Moderne geht den genau entgegengesetzten Weg: das Amüsement, das Divertimento, die Libertinage sollen via Konsum jene Hochgestimmtheit erzeugen, die als Zustand des Glücks empfunden wird. Dem grauen Alltag wird das Glück als Ausgleich entgegensetzt, und so entsteht im 17./18.Jahrhundert jener Konsumismus, der schiere Kompensation ist und ohne den als – nach kurzer Einübungsphase – psychosomatischen Zustand die moderne Industrie- und die postmoderne Dienstleistungsgesellschaft nicht möglich gewesen wäre.
Pepys will einerseits sparen, um alle paar Monate wie ein überdimensionaler Donald Duck feststellen zu können, wieviel er jetzt wert ist, aber es ist ihm andererseits wichtig, alle die Konsumartikel ausstellen zu können (vom Silbergeschirr bis zur Luxusbekleidung), an denen sein Wert für andere sichtbar wird. Wir befinden uns aber in einer Übergangszeit: Samuel Pepys konsumiert nicht nur (neben der Arbeit), sondern er macht noch selbst Musik. Sein Tagebuch erwirkt den Eindruck, als ob das Musizieren für ihn noch letztes Residuum eines alltäglichen produktiven Glücks ist. Deshalb wohl lernt er in mittlerem Alter noch die Kompositionskunst, um in der Einheit von Konzeption und Ausführung ganz Musiker zu sein.
Im ersten Tagebuchjahr notiert er immer wieder, wie er nach dem Aufstehen die Laute spielt und erst danach ins Büro geht. (31.1./4.2./16.2. etc). Im Gasthaus hat er sein flagelette dabei und spielt darauf, wann ihm danach zu Mute ist (9.2.). Manchmal beginnt er den Tag auch at my Viall and voice, und er lernt Stücke und Lieder auswendig.
Auf dem Schiff nach Holland spielt er Geigenduette mit Will Howe. Man spielt vor My Lord in der Schiffskabine a set of Lock's, two trebles and a bass und singt mehrstimmige Lieder. Zum Essen an Bord spielt schon mal der Harfenist des Captain Sparling. Pepys ist auf der Rückreise für den Transport der königlichen Gitarre nach England zuständig, die langsam in Mode kommt, nicht zuletzt weil sie leichter als Theorbe bzw.Laute zu spielen ist.
Kunstvolle Musik ist überall und zu jeder Tageszeit möglich, und Pepys spielt bei geöffnetem Fenster, in einem Garten, im Wirtshaus, und ist stolz, wenn die Leute zusammenlaufen um zuzuhören. 1661 ist es manchmal zu warm im Haus und er musiziert mit Sir William Penn im Garten, unterstützt von nicht wenig Alkoholkonsum. In dieser Zeit nimmt er einen Gesangslehrer, der ihn meist morgens vor der Arbeit unterrichtet.(1.7.61) Februar 62 fängt er an zu komponieren. Besucher kommen kurz vorbei, nur um mit ihm zu musizieren.
Es gibt damals noch keine rigorose Trennung in volkstümliche und kunstvollere Musik wie seit der Romantik (die dann pseudopopularisiert), beide befruchten sich noch gegenseitig. Das Kunstvollere an der Musik beruht auf dem Handwerklichen wie auf dem Talent, und es beruht ganz selbstverständlich auf der sozialen Stellung. Es drückt sich in kunstvollerer Vielstimmigkeit und der nicht zuletzt daraus erwachsenden experimentelleren Harmonik aus. In der Kirche konsumiert Pepys Predigten und den Anblick schöner Frauen mit kritischem Konsumenten-Verstand, und im Theater acting und Schauspielerinnen, in der Musik ist er selbst Produzent.
Solche Musik ist ein Punkt geglückten Lebens, wie zwei letzte Tagebucheintragungen belegen können. Zum 27.10.64 heißt es: At noon...were treated at the Dolphin, by Mr.Foly,the ironmonger, where a good plain dinner, but I expected musique, the missing of which spoiled my dinner, only very good merry discourse at dinner. Und zum 5.5.66 It being a very fine moonshine, my wife and Mercer come into the garden, and, my business being done, we sang till about twelve at night, with mighty pleasure to ourselves and neighbours, by their casements opening.
Exkurs: Jäger und Sammler à la francaise
Als Jäger und Sammler werden seit dem 19. Jahrhundert frühe Kulturen bezeichnet, die nicht seßhaft sind und keinen Ackerbau betreiben. Die Jagd wird dann im Verlauf der Feudalisierung immer mehr zu einem Privileg, im sogenannten Absolutismus, der erweiterten Staatlichkeit also, ist sie für die meisten Leute nur noch illegal als Wilddieberei möglich. Das Standesprivileg der Jagd wird dann in den Demokratien von erheblichen Geldleistungen und Zertifikaten abhängig.
Ähnlich ist es mit dem Sammeln, sei es von Brennholz, von Pilzen oder Beeren, von Steinen für den Hausbau usw.. In einem langen Prozeß wird die gesamte Landschaft, auf der wir leben, zum Privatbesitz, sei es der von feudalen Grundherren, von Unternehmern oder des Staates. Winzige Parzellen können auch Leute mit kleineren Vermögen erwerben. Am Ende ist aber alles Land vergeben, und zwar so, daß kaum noch jemand davon leben kann.
Die Jagd als aristokratisches und insbesondere fürstliches Privileg verliert inzwischen jeden Sinn der Nahrungsbeschaffung und der Regulierung des Wildbestandes: Sie wird zum Hobby, zum Sport. Besonders berühmt für ihre Jagdleidenschaft werden die Bourbonen: Für Ludwig XIV. ist sie ein geselliges Freizeitvergnügen und sein Moment relativ unbefangener Lebendigkeit, für den Sechzehnten Louis Flucht vor dem Hof, der Ehefrau und der Verantwortung, für den vierten Ferdinand von Neapel organisiertes Massenabschlachten von Tieren, mehr oder weniger eine Art fröhliches Blutbad. Sie verbindet sich immer mehr mit der Sammelei im Zählen der Kadaver und dem musealen Ausstellen der Trophäen.
Ein damit durchaus verbundener Sport, oft später als Hobby bezeichnet, wird das Sammeln diverser Gegenstände. Bei Pepys ist das in Nachahmung der Aristokratie das von Gemälden und Stichen und kunsthandwerklichen Gegenständen. Dabei bildet er einen modischen „Geschmack“ aus, der der Selbstbestätigung und nicht zuletzt dem Vorzeigen gilt.
Es entsteht nach dem primären Sektor (bäuerliche Nahrungsproduktion), dem sekundären (handwerkliche und manufakturielle Herstellung von Gegenständen, dem tertiären (Dienstleistungen und staatlicher Apparat) ein vierter Sektor, der heute als Freizeit benannt wird und der sich mit Formen des Konsumismus beschäftigt, in denen der moderne und insbesondere postmoderne Mensch nach Sinnstiftung für seine Existenz sucht. Das Sammeln, Anhäufen von Gegenständen wird dabei zunächst in den desorientierteren Kreisen der Oberschicht und dann im Bürgertum zu einer wichtigen Beschäftigung. Auf das ältere Schaffen, das ein Tun und Machen ist, folgt ein Beschaffen von etwas, was eine Beschaffenheit hat, aber erst im Zeitalter des Niedergangs von Adel und Bürgertum entdeckt die deutsche Sprache die Beschäftigung. Der Sport und das Hobby bedeutet dann, sich Beschäftigung zu beschaffen.
In einer ersten Etappe beginnt bei den sogenannten Humanisten das Sammeln von Handschriften, später das von Büchern, wobei sie diese allerdings auch benutzen, indem sie sie studieren. Zahllose private Bibliotheken werden bis ins zwanzigste Jahrhundert jedoch vorwiegend zu dem Zweck angelegt, Belesenheit oder gar „Bildung“ vorzutäuschen. Ein typisches Symptom solcher Buchsammlungen sind dekorativ wirkende Gesamtausgaben irgendwelcher „Klassiker“, die eine Fassade der Belesenheit hergeben.
Gleichzeitig beginnt das Sammeln von Kunstwerken. Wer reichlich Geld hat und etwas auf sich hält, hat im 17. und 18. Jahrhundert eine vorzeigbare Gemäldesammlung. Mit dem Beginn der Ausgrabungen in Pompeji auf Veranlassung des neapolitanischen dritten Karls beginnt schließlich das Sammeln antiker Kunst, auch virtù genannt (womit das Sammeln zu einer neuen Form des Virtuosentum wird) und mit dem erwachenden Interesse an Geographie und Geologie das Sammeln von Mineralien. Goethe wird ein solcher Sammler.
Das Sammeln - vom Erjagen und Erbeuten von Sammlerstücken bis zur Anordnung der Sammlung - dient manchmal einem Erkenntnisinteresse, wie das bei William Hamiltons riesiger neapolitanischer Sammlung griechischer Vasen um 1780 ein Stück weit der Fall ist, allerdings ist selten der Sammler der Fachmann und auch ein nach den bescheidenen heutigen Maßstäben hochgebildeter Mann wie der Botschafter Englands in Neapel bedarf des Experten, in seinem Fall ist das vor allem Winckelmann. Der Fachmann wiederum hat selten die Mittel für eine Sammlung. Sammelleidenschaft und Erkenntnisinteresse treffen dann in der Einrichtung des Museums aufeinander, wie damals beispielhaft beim British Museum und dem Louvre, wobei Hamiltons Sammlung teilweise in ersterem landet, während letzterer seine frühen Bestände nicht zuletzt durch die Raubzüge Napoleons bekommt. Im 19. Jahrhundert wird Kunst als etwas inzwischen Antiquiertes auf diese Weise eingesperrt und ihres vorherigen Kontextes beraubt. Sie wird zunehmend eine ins Edle und Erhabene gehievte Kuriosität, zum Begaffen freigegeben, wenn man davon absieht, daß sie in immer sinn-entleerterer Form nominell weiterlebt.
Das Sammeln ist sehr lange aber vor allem eine sogenannte Freizeitbeschäftigung, dient also wohlhabenderen Herrschaften zum Totschlagen der Zeit, bzw. dem Vertreiben der Langeweile, - ist aus innerer Leere genährt. Als Musterbeispiel mag hier eine Zeitgenossin von Samuel Pepys dienen, Elisabeth Charlotte von der Pfalz. Nach der Verheiratung mit dem Herzog von Orléans, dem Bruder Ludwigs XIV., gibt es für sie nur solange ein „Eheleben“, bis der homosexuelle Monsieur ihr mit Mühe mehrere Kinder gezeugt hat. Danach bleibt ihr noch eine Weile die Jagd zu Pferde an der Seite des Königs, jenes Königs, der die zweite Totalzerstörung ihrer pfälzischen Heimat anordnen wird.
Als die kalvinistisch erzogene Witwe des Autors Scarron erst Geliebte und dann als Marquise de Maintenon zweite Frau des Königs wird, fällt auch dieses Vergnügen immer mehr weg: ...der König bildet sich ein, er sei gottesfürchtig, wenn er macht, daß man nur brav Langeweile hat, schreibt Lieselotte am 1.10.1687
Sobald es im Hause Orléans getrennte Schlafzimmer gibt, hält sich Madame in Gemächern sechs bis acht Hunde, Cockerspaniels, von denen einige immer Zugang zu ihrem Bett haben. Aus dem Hüte- und Jagdhund wird so ein intimes Spielzeug für gelangweilte und der Menschenliebe wenig zugetanen Menschen. (In der Zahl ist der Aspekt des Sammeln enthalten!)
Im Barock wird das Sammeln von Münzen ein weitverbreitetes fürstliches Hobby. Münzen sind oft schon auf Grund ihres Metallwertes Wertgegenstände, sie wurden schon immer von den Herrschern aufgelegt und sie bilden sehr häufig auch Herrscher ab. Der pfälzische Kurfürst Karl Ludwig besitzt in seiner Sammlung 12 000 Münzen, sie werden später in der Sammlung des Großen Kurfürsten aufgehen. Spanheim, selbst unter anderem großer Numismatiker und Bekannter der Lieselotte aus Pfälzer Zeiten, berichtet über Ludwig XIV:
Er kümmerte sich insbesondere um die prachtvolle Münzsammlung.... er mehrte ihre Zahl und ihren Wert, indem er die größten Raritäten dieser Art in Frankreich aufkaufte und sogar in Italien und in der Levante Nachforschungen anstellen ließ, und eigens Personen entsandte, die den Auftrag hatten, alles zu sammeln, was diesem unvergleichlichen Kabinett zur Zierde gereichen konnte.
Van der Cruysse berichtet von etwa dreißig Werken zur Münzkunde in Lieselottes Bibliothek. Dieses intensive „Interesse“ beginnt nach dem Fall aus der Gunst des Königs und insbesondere nach dem Tod ihres dukalen Ehemanns.
In Saint-Cloud hat Madame 1701 einen Münzschrank mit 27 Fächern voller Münzen aufgestellt, wiewohl sie sich dort jedes Jahr nur wenige Monate aufhält. Andere ihrer Sammlungen sind an anderen Orten. In ihren Korrespondenzen zum Beispiel mit Sophie von Hannover oder Leibniz wird das Erwerben von Münzen immer wichtiger. Sophie schenkt ihr eine ganze Sammlung, Leibniz soll sich nach Münzen umschauen.
Am 10.1.1709 schreibt sie an Sophie: ...habe jetzt 410 goldene Medaillen beisammen, da habe ich meinen Spaß, die Neugierigen und Gelehrten darüber disputieren zu hören, und ich lasse mir alle die Historien von den Revers erzählen, daß unterhält mich richtig. Von einem gewissen Monsieur de Montauban erhält sie einen kompletten Münzschrank mit fünfzehn Schubladen voller antiker Silbermünzen. (p.xxxv)
Das Horten des Schatzes einer Sammlung ist für sich sicherlich eine einsame Angelegenheit. Es sind die Korrespondenzen, das Acquirieren und das Vorzeigen, die eine Sammlung wertvoll machen. Dabei erwirbt und hält man Kontakte, die aus diesem Vorwand entstehen, bekommt Besuche und wird unter Umständen berühmt.
Der bedeutendste Jäger und Sammler neuen Typs ist Ludwig XIV. höchstpersönlich (1643–1715). Abgesehen davon, daß das höfische Leben eines Fürsten des 17./18. Jahrhunderts Luxus, erotische Libertinage und Machtfülle bedeuten kann, ist es ein in vieler Hinsicht entbehrungsreiches Dasein: Das höfische Leben ist ein Kunstprodukt, es ist Schauspiel, Ballett und Oper zugleich, der Fürst ist bis ins Bett hinein nicht privat. Der Preis, in früher Jugend angelegt, ist das völlige Aufgehen in der Rolle als Repräsentant des Staates, die Intensität der Repräsentanz läßt dabei die Fiktion wirklich werden. Wer aber ganz im Schauspiel aufgeht, verliert jene Substanz, aus der originäre Lebendigkeit sich nährt.
Als dieser Ludwig im Sterben sagt, Meine Herren, ich gehe, aber der Staat wird immer bleiben, meint er diese Idee der Repräsentanz, die er mit weiteren Vorstellungen angereichert hat: denen des Ruhmes (im Krieg), der Nation (das völkische Ideal der Untertänigkeit), der alleinseligmachenden Religion (aus Hugenotten werden Galeerensklaven).
Das Unheil seiner Sammel- und Zerstörungswut, die mit seiner Abkapselung in Versailles enden wird und damit mit der Haßliebe der Stadt Paris gegen die Krone, beginnt mit dem Unheil seiner Familie. Mit der Ermordung von Henri IV. wird dessen ältester Sohn von Maria de Medici, Louis XIII., Thronfolger. Maria arrangiert dessen Ehe mit Anne von Österreich, der Tochter des spanischen Königs. Der durch und durch homosexuelle König läßt sich von Liebhabern beherrschen und verbannt seine dominante und machtbewußte Mutter nach Blois. Die organisiert 1619–20 zwei erfolglose Rebellionen gegen ihren Sohn. Ihr Berater Richelieu schafft dann eine oberflächliche Versöhnung, unter deren Oberfläche der Haß zwischen Sohn und Mutter weiterkocht. 1621/22 kommt es zu einem Hugenottenaufstand, der in einem Waffenstillstand endet. 1624 hat Ludwig XIII. sein Mißtrauen überwunden und macht Richelieu zu seinem wichtigsten Berater. Die labile Psyche des Königs gibt diesem bald fast uneingeschränkte Macht. 1628 fällt das hugenottische La Rochelle, eine französische Armee fällt in Italien ein.
Im November 1630 versucht die streng katholische Partei um Maria de Medici und Gaston, Duc d'Orléans, Bruder des Königs, den Sturz Richelieus durchzusetzen, der, ein Kardinal, im Dreißigjährigen Krieg die protestantische Seite unterstützt. Nachdem Maria de Médici aus Paris verbannt ist, beginnt Orléans zu ihrer Unterstützung Truppen auszuheben. Er muß nach Lothringen fliehen, wo er die Schwester des Herzogs heimlich heiratet. Der dreizehnte Ludwig schickt ihm Truppen hinterher und er muß nun in die Spanischen Niederlande fliehen. Er kommt mit Truppen zurück, um den Aufstand des Duc de Montmorency zu unterstützen. Der wird hingerichtet, Orléans erhält ein königliches Pardon und flieht dann doch wieder in die Niederlande. Richelieu versucht darauf mit starker Hand, die Ansprüche des Hochadels insgesamt zu unterdrücken.
Anne von Österreich, als Frau nicht von sexuellem Interesse für den König, gebärt ihm 1638 immerhin den Dauphin, unseren so genannten Sonnenkönig, was Orléans erbittert, da er nun kein unmittelbarer Thronfolger mehr ist. 1640 gebärt Anne dann Philippe, einen zukünftigen Duc d'Orléans. Inzwischen befindet sich Frankreich im von Richelieu gewollten Krieg mit Spanien, den die Königin, Schwester des spanischen Königs, zu konterkarieren sucht. Einer der jüngsten Favoriten des schwulen Königs (der Marquis de Cinq-Mars) konspiriert nun mit Spanien gegen Richelieu, unterstützt von Orléans. Als Folge regiert Richelieu im Namen des Königs und gegen dessen engste Verwandte uneingeschränkt bis zu seinem Tod 1642. Wenige Monate nach ihm stirbt der dreizehnte Ludwig. In seinem Testament verhindert er kurz vor seinem Tod, daß seine Frau Anne alleinige Regentin für ihren Sohn, den jungen Ludwig XIV. wird. Anne sorgt schnell dafür, daß das Parlement (der Gerichtshof) von Paris das Testament ihres Mannes annulliert. Darauf fordert der Hochadel von ihr die Privilegien zurück, die Richelieu ihm genommen hatte. Ein schlechtes Zuhause für ein Kind...
Orléans unterstützt dabei Anne d'Autriche, die aber bald auf Mazarin setzt, um ihrem Sohn die Machtfülle zu erhalten, die Richelieu geschaffen hatte. Mazarin und die Regentin kommen sich (auch privat) immer näher und wenden sich gemeinsam gegen die Fronde, die 1648 ausbricht (als Louis XIV. neun Jahre alt ist). Ähnlichkeiten mit der Revolte von 1787-89 sind dabei unverkennbar.
Ab etwa 1643 nimmt die Fremdenfeindlichkeit zu, die sich hundertvierzig Jahre später zuerst gegen die Österreicherin Marie-Antoinette richten wird und sich jetzt an der spanisch-habsburgischen Herkunft der königlichen Regentin und der italienischen Herkunft Mazarins festmacht. Zunächst tritt Orléans für Mazarin ein, aber ab 1651 wird er so feindselig wie später die Orléans gegen Ludwig XVI..
Die erste Phase des Bürgerkriegs wird wie in den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts die Fronde des Parlement. Im Sommer 48 werden 27 Reformen formuliert: Die Abschaffung der Intendanten als direkter Instanzen königlicher Herrschaft in den Provinzen, Steuersenkungen, Zustimmungsrecht des Parlements zu allen neuen Steuern und Abschaffung der willkürlichen Einweisung in Gefängnisse. Mazarin, an der spanischen Front eingespannt, muß zunächst zustimmen, dann wendet er sich gegen die Rebellion.
1649 kommt es zur Blockade von Paris, wo sich außer dem Parlement auch ein Teil des Hochadels verschanzt hat. Die Krone muß zunächst wieder nachgeben. 1650 wendet sich Condé, Cousin des Königs, von diesem ab, da ihm seine Unterstützung gegen das Parlement keinen Machtzuwachs gebracht hat.
Als er verhaftet ist, erheben sich seine Freunde in den Provinzen. Als diese sich mit dem Parlement und dem Haus Orléans verbünden, erreichen sie 1651 die Freilassung Condés und die Entlassung Mazarins durch Anne, deren Regentschaft um diese Zeit mit der Volljährigkeit des Königs endet. Die verbündet sich darauf mit dem Parlement gegen die Prinzen und setzt eine Anklage gegen Condé durch. Der wehrt sich mit spanischer Unterstützung, nimmt im Frühjahr 1652 Paris ein, unterliegt königlichen Truppen im Juli, verliert die Unterstützung des Pariser Bürgertums und gewinnt nicht die des Parlements. Im Oktober 1652 dann nehmen königliche Truppen Paris ein, Condé flieht in die spanischen Niederlande und der königliche Bruder Gaston d'Orléans wird verbannt.
1653 hat Mazarin triumphal gesiegt. Dem Parlement wird jeder politische Einfluß untersagt. Einige Jahre später versöhnt sich der König mit seinem Bruder (Monsieur), das Haus Orléans bleibt bis zum Anbruch der Régence 1715 politisch einflußlos. Mit ihrer Unfähigkeit, sich machtpolitisch verantwortlich ins Staatswesen einzugliedern, provozieren beide, noblesse de robe (Amtsadel) und noblesse d'épée (Schwertadel) sowie Teile des Pariser Bürgertums ihre vollständige Entmachtung: In Versailles wird Ludwig XIV. den Hochadel zum Mitspieler des höfischen Zeremoniells degradieren, das feindselige Paris außen vor halten und mit Verachtung strafen (eine Monarchie ohne Hauptstadt!) und die Parlements klein halten.
Soviel zur trostlosen und schrecklichen Kindheit von Louis XIV. Er wächst praktisch ohne Eltern auf, in einer Familie, die ständig an gegenseitiger Feindseligkeit krankt. Das einzige, was Anne ihm mitgibt, ist eine unterschwellige, aber stets bedrohliche Angst vor der allmächtigen Strafe Gottes. Die Encyclopaedia Britannica von 2005 faßt kurz zusammen: Louis erlitt Armut, Unglück, Furcht, Demütigung, Kälte und Hunger. Was ihm die Familie sonst noch mitgibt, ist Mißtrauen, fehlende aus ihm selbst kommende Lebensfreude, die dafür Pomp und gloire hervorrufen müssen, ähnlich wie beim großen Friedrich. Seine wichtigste Schule wird schließlich das Schlachtfeld des spanischen Krieges. In seinen Memoiren schreibt er später: In meinem tiefsten Inneren ziehe ich den Ruhm allem anderen vor, sogar dem Leben selbst. Die Liebe zum Ruhm hat dieselben Feinheiten wie die zärtlichsten Leidenschaften. Indem wir (plurale maiestatis) eine rein göttliche Aufgabe hier auf Erden ausüben, müssen wir zu innerem Aufruhr völlig unfähig sein, der diese Aufgabe beschmutzen könnte. Statt Emotionalität rationale Gefühlskälte einer tief verletzten Seele!
1659 schließt Frankreich Frieden mit Spanien und darauf heiratet der König 1660 Annes Nichte Marie-Thérèse, die Tochter von Philip IV., wobei er auf seine große Liebe, Marie Mancini, Mazarins Nichte verzichtet. 1661 stirbt Mazarin und nun formuliert Ludwig das Programm, wie es später in seinem Memoirentext erscheint. Er ist unmittelbar Gottes Stellvertreter auf Erden, braucht keine Ratgeber mehr und wer sich gegen ihn wendet, ist ungehorsam gegen Gott (d.h. ein Sünder). Das läßt sich als wahnhaft diagnostizieren, im Sinne seines Programms schafft der vierzehnte Ludwig aber ein langes, erfolgreiches Leben, auch wenn er damit einen Grundstein für den Ruin Frankreichs und des Abendlandes legt, - soweit irgend das ein Einzelner kann.
Indem er den Hochadel zum kostspieligen Glücksspiel verführt, seine sexuellen Auschweifungen begünstigt und seine Stellung bei Hofe von seiner bücklingshaften Ergebenheit ihm gegenüber und immer ridikulöseren Etiketten abhängig macht, demütigt und zerstört er einen ganzen Stand, der in anderen Teilen des Abendlandes bis weit ins neunzehnte Jahrhundert selbst bei relativer Machtlosigkeit Träger von Zivilisation und dann auch noch Pseudo-Kultur sein wird.
Indem derart das Staatswesen nur an der Person des Königs hängt, wird der Niedergang im 18. Jahrhundert vorprogrammiert, - er wird bei dem korsischen Halunken Napoleon seinen nächsten Tiefpunkt erreichen. Im Unterschied zu seinen beiden Nachfolgern widmet er sich diesem Programm, seiner Aufgabe, mit ganzer Kraft, er überwacht die Administration, definiert das höfische Zeremoniell bis ins kleinste, dirigiert die Märsche seiner Truppen und kontrolliert die Rechtgläubigkeit seiner Untertanen im Detail, was zeitweilig selbst einem Fénelon schaden wird.
Er ist in alledem das präzise Gegenteil Charles II. Stuart, mit dem er (zunächst heimlich) verbündet ist. Neben dem Prunk, der in abstoßender Form in der Errichtung und Einrichtung von Versailles kulminiert, und dem fürstlich protegierten Dekor von Musik und schönen Künsten ist der Krieg sein Lebenselixir, das Sammeln neufranzösischer Erde. 1667 fällt er in die Spanischen Niederlande ein, von denen er behauptet, sie seien Erbteil seiner spanischen Frau. 1668 kommt es zum Rückzug unter englischem und holländischem Druck. Seitdem haßt er das bürgerlich-kalvinistische Holland. 1672 fällt er dort im Bündnis mit seinem Cousin Charles II. ein. Mit dem ersten Vertrag von Nimwegen siegt er auf ganzer Linie gegen eine Koalition, der auch Spanien und der Kaiser angehören. Er hält nun Teile Flanderns, Lothringen und die Franche-Comté annektiert.
Ludwig verläßt zunächst seine erste Titularmaitresse Louise de la Vallière und wendet sich Madame de Montespan zu. Die Gouvernante von deren königlichen Bastarden, die kalvinistisch geprägte Witwe des Dichters Scarron, wird ihre Nachfolgerin. Nach dem ihr von Ludwig geschenkten Schloß Maintenon tituliert, reichert sie das katholische Sendungsbewußtsein des Monarchen mit bigotter Frömmelei an. Nach dem Tod der Königin und ihrer heimlichen Heirat mit Ludwig flüstern ihr ihre Beichtväter ein, wie sie den alternden König zu beeinflussen hat.
1685 widerruft Louis so das 1598 in Nantes von Henri IV. verkündete Edikt, daß den Hugenotten Religionsfreiheit zugestand. Wer nicht alsbald zum einzig wahren Glauben übertritt, wird zum Militär zwangsrekrutiert, zum Galeerensklaven gemacht oder auch ganz ohne Staat von den rechtgläubigen Nachbarn malträtiert. Mitten im Zeitalter des barocken Rationalismus und der Frühblüte der Naturwissenschaften wird so Religion und Grausamkeit wieder miteinander verbunden, wie schon einmal, als Humanismus, Hexenwahn und Inquisition Hand in Hand gingen. Fast eine halbe Million Untertanen fliehen aus Frankreich, sehr viele davon erfolgreiche Handwerker und Kleinunternehmer. Wie in anderen Ländern gehen auch hier Kalvinismus und Frühkapitalismus Hand in Hand, so wie später Protestantismus und Sozialismus.
Krieg ist für den vierzehnten Ludwig ohnehin Lebenselixir, aber die protestantischen und insbesondere die kalvinistischen Gegner, Holland, dann die Pfalz und schließlich das von William III. (von Oranien) beherrschte England, geben seiner Sammelwut von Ländereien durch von ihm losgetretene Kriege zusätzlichen Auftrieb. Den Vorwand für den nächsten Schlag muß ihm die daran unschuldige und selbst von Sammelleidenschaft getragene Elisabeth Charlotte von Orléans liefern, Schwester des Kurfürsten Karl von der Pfalz, der 1685 stirbt, und der vorher in seinem Testament festgelegt hatte, daß sein Nachfolger die kalvinistische Religion in seinem Fürstentum nicht ändern dürfe. Dies deswegen, weil sein Cousin von Pfalz-Neuburg katholisch ist, und er selbst keinen Nachfolger gezeugt hat.
Nun kommt Ludwig auf die Idee, im Namen der Orléans die reichsunabhängigen Allodialgüter von Madame für die Orléans zu fordern (Simmern, Bacharach, Germersheim usw.), damit seinen Bruder zum Reichsfürsten zu machen und so einen Fuß im Reich drinnen zu haben, dem die französische Krone schon so viele Ländereien entzogen hat. Mit der barbarischen Unterdrückung der Hugenotten und seiner Habgier auf fremde Länder hatte Ludwig sich inzwischen die protestantischen deutschen Fürsten zu Feinden gemacht, die dennoch einen Kompromiß finden: Neuburg wird Kurfürst und Lieselotte erhält alle beweglichen Güter ihres Allodialerbes. 300 000 Gulden und zahlreiche Kunstschätze gehen so nach Frankreich, werden im wesentlichen von Monsieur angeeignet und in seine Liebhaber und Sexgespielen, sein Glückspiel und ähnliches angelegt. Seine Frau und pfälzische Erbin erhält praktisch nichts.
Am 24.9. 1688 beginnt der pfälzische Erbfolgekrieg mit einer Erklärung des allerchristlichsten Potentaten, er müsse in der Pfalz einmarschieren, um die Rechte der Herzogin von Orléans auf ihr Erbe gegen die Neuburgs zu verteidigen und Frankreichs Grenzen im Osten zu schützen. Als ein halbes Jahrhundert später Friedrich II. von Preußen sich des habsburgischen Schlesiens bemächtigt, braucht er sich auf keine flagrantere Lüge zu berufen als der große Ludwig. Mit diesem pfälzischen Krieg endet das Bemühen abendländischer Mächte, sich für ihre territorialen Raubzüge noch legitimatorische Alibis zu besorgen und die Kriege selbst möglichst in erträglichen Grenzen zu halten. Es beginnt die Zeit der Napoleons, Wilhelms, Hitlers und Bushs. So verschieden sie auch sind, sie haben mit den Revolutionshelden aller Zeiten gemeinsam, daß Lügen nur noch das hohle Pathos der Rechthaberei brauchen, um Gewalt zu rechtfertigen.
Innerhalb kürzester Zeit wird die militärisch wehrlose Pfalz von französischen Truppen eingenommen. Sie muß nicht nur diesen Überfall bezahlen, sondern auch das übliche Besatzungsregiment ertragen. Heidelberg z.B. darf 80 000 livres für seine Befreiung vom pfälzischen „Joch“ bezahlen. Als darauf Kaiser und deutsche Fürsten beschließen, ihm mit einer Armee entgegenzutreten, entscheidet sich der „Sonnenkönig“ für den vorläufigen Rückzug, da er die Pfalz, nachdem er sie ausgeplündert hat, erst einmal nicht mehr halten kann.
Die Sammelwut, oft aus Kaufen, Diebereien und schwererem Raub bestehend, wird nun mit ganz offener Vernichtungswut gepaart, wie sie in dieser flächendeckend barbarischen Form erst wieder von Napoleon auf seinem Rußlandfeldzug eingesetzt werden wird. Die französische Krone beschließt, vor dem Abzug die Pfalz in eine Wüstenei zu verwandeln, alles mit Stumpf und Stiel niederzubrennen, um so das Überleben einer deutschen (Reichs)Armee auf dem Weg nach Frankreich unmöglich zu machen. Dangeau schreibt auf: Der König hat Order gegeben, Mannheim zu schleifen, und zwar nicht nur die Befestigungsanlagen, sondern auch alle Häuser der Stadt wie auch die Zitadelle, um zu verhindern, daß die Deutschen sich dieses Postens bedienen (26.11.*66)
Im Januar 1689 werden das Heidelberger Schloß, die Neckarbrücke und die Kirchtürme gesprengt, außerdem werden bei Nacht und Nebel etwa 20 Dörfer niedergebrannt, Einwohner, die in den Flammen ihrer Häuser aufwachen und zu fliehen versuchen, werden mißhandelt. Die Überlebenden fliehen mitten im kältesten Januar nackt oder im Schlafgewand in die Wälder. Dann werden nach den Sprengungen große Teile der Heidelberger Wohnhäuser verbrannt, Rathaus und Heiliggeistkirche zerstört, wobei Mélac, der französische Anführer dieses Holocausts, grinsend vom Marktplatz aus zusieht. In drei Wochen im März machen sich dann, Stadtteil für Stadtteil, fünfhundert französische Soldaten daran, ganz Mannheim dem Erdboden gleichzumachen. Der nächst dem König verantwortliche Minister Louvois, der womöglich einem Hitler Respekt eingeflößt hätte, erklärt nach vollbrachter Arbeit: Das geeignete Mittel, um zu verhindern, daß sich die Bewohner von Mannheim hier wieder niederlassen, ist es, sie zuerst aufzufordern, dies keinesfalls zu tun, und dann alle diejenigen zu töten, die versuchen, dort zu hausen. *67
Auch in katholischen Städten wie Worms oder Speyer ist die französische Zerstörungswut enorm. Kaum ein Ort wird von der Absicht, die Pfalz in eine Wüstenei zu verwandeln, ausgenommen, nicht Kaiserslautern, Bingen, Oppenheim, Bruchsal usw. usf.. Lieselotte, in deren Namen das alles offiziell passiert, erhält dann Nachricht, wie die Einwohner der nicht mehr existierenden Stadt Mannheim nachts zurückkehren, in der eingeebneten Stadt ihre Häuser nicht mehr wiederfinden und dann in irgendwelchen Kellern versuchen, Unterschlupf zu finden. Van der Cruysse zitiert eine Zeitung, die etwas später berichtet: Was die Einwohner angeht, so trifft man nur einige wenige Männer und Frauen mit ihren Kindern, die aus einer Höhle hervorkommen und Wilden gleichen. Es geht sehr zu Herzen, die traurigen Überreste einer einst so schönen Stadt zu sehen. (S.367)
Die Grundlagen für all das damals sind nicht zuletzt schlimme Familienverhältnisse mit ihren psychischen Zerstörungen (vor allem bei den Potentaten), religiöse Orthodoxie sowie Sendungsbewußtsein ohne theologisches Interesse und zudem der Vernunftglaube des barocken Rationalismus, wie er nirgendwo schlimmer als in Frankreich entwickelt wird.
Am 10. Dezember 1689 formuliert Lieselotte mit der ihr eigenen Herzhaftigkeit an Kurfürstin Sophie nach Hannover über die Hauptverdächtige für alles Unheil, das derzeit von Versailles ausgeht, Madame de Maintenon: Ich glaube nicht, daß ein böserer Teufel in der Welt kann gefunden werden, als sie mit all ihrer Devotion und Heuchelei und finde, daß sie das alte deutsche Sprichwort wohl wahr macht, nämlich, 'wo der Teufel nicht hinkommen kann,da schickt er ein altes Weib hin.' Alles Unheil kommt von dieser Zott. Lieselotte beschimpft sie immer wieder damit, sie habe zottelige Schamhaare.
Der pfälzischen Herzogin von Orléans ist natürlich wie anderen nicht entgangen, daß die Beichtväter der neuen Königin aus kleinen Verhältnissen diese noch in hohem Alter dazu anspornen, den König mit Geschlechtsverkehr zu beglücken, um ihn so weiter beeinflussen zu können. Der Teufel kann also durchaus auch mal eine Teufelin sein.
Inzwischen flieht James II. Stuart nach Frankreich und etabliert sich im Schloß St.Germain, während Wilhelm von Oranien nicht nur englischer König wird, sondern in der Schlacht am Boyne den irischen Widerstand vernichtet. Es steht zu vermuten, daß der Erfolg der holländisch-englischen Ketzer Ludwig zusätzlich beflügelt, die kalvinistische Pfalz so barbarisch niederzubrennen. In den folgenden Jahren konzentriert sich der französische Krieg dann auf Flandern.
Schlachten können inzwischen schon einmal 20 000 Tote zurücklassen, nicht gezählt die Verletzten und die Opfer in der Zivilbevölkerung. Dann wird 1693 Heidelberg noch einmal eingenommen und es wird zerstört, was noch oder schon wieder steht. Im Mai gibt es zur Feier der zweiten Verwüstung Heidelbergs ein königliches Tedeum in Notre Dame.
In Frankreich summieren sich die Opfer an gefallenen Soldaten, es kommt zu Hungersnöten. In Charpentiers Oper 'Médée' singt der Chor zu schöner Musik: Ludwig triumphiert, alles weicht seiner Macht. In Paris wird eine Hexe verhaftet, noch fast hundert Jahre später wird eine auf Sizilien verbrannt werden. Nach neun Jahren von Ludwig vom Zaun gebrochenem Krieg kommt es zum Frieden von Rijswijk: Ludwig muß William of Orange als englischen König anerkennen, wieder auf Lothringen verzichten, fühlt sich aber als Sieger. Das Elsaß bleibt französisch (1681 überfiel Ludwig als Schlußpunkt die freie Reichsstadt Straßburg, die militärisch wehrlos war.)
Es bleibt nicht lange beim Frieden. Der junge spanische König ist debil und syphilitisch und so schließen Ludwig, der Kaiser und Wilhelm Verträge über die Zukunft Spaniens. Nach dem frühen Tod des Spaniers taucht im Testament die Übergabe des Thrones an den Duc d'Anjou auf, Ludwigs Enkel. Der Sonnenkönig nimmt für ihn an und bricht damit die bisherigen Verträge. Als er dann auch noch das Monopol auf den spanisch-amerikanischen Handel übernimmt und 1701 die Festungen in den südlichen Niederlanden überrennt, die Holland im Frieden von Rijswijk zugesprochen bekommen hatte, kommt es zum Spanischen Erbfolgekrieg, der bis 1714 dauert und ein große Teile Europas überziehender Krieg wird. Diesmal kommt es zu keiner flächendeckenden Zerstörung deutscher Lande mehr, dafür steigen die französischen Kontributionsforderungen an deutsche Staaten ins Unermeßliche. Im Hungerjahr 1708 kommt es schließlich in Frankreich zu einem weiteren Vorspiel auf die Große Revolution: Die Pariser Marktfrauen machen einen Zug nach Versailles und fordern Brot. Im Frühjahr kommt es zu Tumulten und Aufruhr auch in der Provinz. Die ersten Staatsbediensteten werden umgebracht, worauf der König Hunderte verhaften läßt. Staatliche Arbeitsbeschaffungsprogamme werden entwickelt, aber die zu sehr auf die ländlichen Abgaben fixierten Finanzen geben kaum noch etwas her. Doch der König kann auch nach verheerenden Niederlagen nicht mehr zurück.
Der Bourbone darf im Frieden von Utrecht auf dem spanischen Thron bleiben und das Elsaß inklusive Straßburg bleibt französischer Besitz. Die unzähligen Toten, Verletzten, Beraubten und Vergewaltigten fehlen auch für diesen Krieg in den üblichen Geschichtsbüchern.
Der erste mir bekannte moderne Jäger und Sammler in der Literatur ist übrigens Robinson Crusoe. Er ist dies natürlich ohnehin als Kaufmann, aber um so mehr, als er auf seiner Insel strandet. Sein inneres Chaos, in dem sich Defoes Unruhe über den Unruhigen spiegelt, findet sein erstes Ziel im Horten all dessen, was er vom Schiff „retten“ kann und findet seinen Höhepunkt darin, auch das Gold/Geld, das einen Tauschwert, aber keinen Gebrauchswert hat, an sich zu raffen. ...it was a great pleasure to me to see all my goods in such order.