C Materialien

 

 

 

 

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Bruch mit dem Mittelalter

 

Fabriksystem, Untergang des Handwerks und Industrialisierung der Landwirtschaft

"Aufklärung"

Verwissenschaftlichung

Politische Theoriebildung als alleinige Rechtfertigung von Machtausübung

 

Geschichtsschreibung: Die Geschichte der Wenigen und die vielen Anderen

 

An das Unheil der Geschichte schließt sich das Unheil der Geschichtsschreibung fast lückenlos an.

 

Geschichte handelt von Geschehen, welches naturgemäß immer zugleich Vergangenheit ist. Soweit es nicht wie fast alles vergessen wird, also soweit es erinnert wird oder neu entdeckt werden kann, verwandelt sich das Geschehen in Geschichten, die manchmal in Verbindung gebracht werden können, mit denen man sich auseinandersetzen kann, und die immer neue Horizonte in Zeit und Raum erschließen.

 

Geschichte ist keine Wissenschaft wie die mathematisierten und technik-orientierten Naturwissenschaften, aber sie kann sich der Kriterien wissenschaftlicher Verfahrensweisen bis zu einem bestimmten Punkt bedienen. Am Ende ist sie so subjektiv, wie Subjektivität den Menschen nur interessant machen kann, sie ist so subjektiv wie das Interesse, welches dahintersteckt, mag es auch nach Verallgemeinerung streben.

 

Schließlich ist Geschichte immer Erzählung, Bericht, Untersuchung, und darum selbst im besten Fall höchstens ähnlich dem, was einmal war. Das hat dann auch etwas mit den Zufälligkeiten von Erinnerung zu tun, von Fundstücken und Überlieferungen, und natürlich mit den Interessen des Erzählers.

 

Kenntnisse von irgendeiner Vergangenheit haben wir umso weniger, je mehr uns Texte fehlen: Geschichte ist immer ein Text, und er handelt vorwiegend von dem, was sich in Text fassen lässt. Schon dadurch geht fast die ganze Vergangenheit völlig verloren. Knochen, Gebäude. Werkzeuge, Artefakte und ähnliches erlauben nur blasseste Spekulation über das, was von vergangenen Menschenaltern handelt, wenn wir nicht wenigstens in Texten Menschen "lauschen" können, die dazu gehörten.

 

Nun ist aber über die Überlieferung Geschichte bereits ganz ungeheuer einseitig: Von den meisten Menschen "wissen" wir gar nichts, von den meisten übrigen fast nichts, und mehr nur von ganz, ganz wenigen. Dies sind die Wenigen, von denen wir Schriftliches überliefert haben, und je weiter wir in die Vergangenheit zurückgehen, desto weniger wird das, - und wenn wir uns in Richtung "Gegenwart" bewegen, handelt es sich andererseits um eine längst unüberschaubare Masse an "Quellen", die unter den Bedingungen des Buchdrucks und dann später der Massenproduktion immer weniger über Menschen und immer mehr über den Warencharakter der Produkte verraten, während sich die Menschen zunehmend dahinter verbergen.

 

Das Problem der Einseitigkeit wird aber erst dadurch so recht schwerwiegend, dass Vorgänge des Wandels, des Betreibens von Veränderung, die gerade auf diesen Seiten hier auch betrachtet werden sollen, vornehmlich von ganz wenigen nur betrieben wurden, die dadurch in unserer Wahrnehmung eine besondere Prominenz erhalten. Die Geschichte ist soweit die der wenigen Erfinder und nicht so sehr die der Mitmacher und Nachahmer, sie ist eine der besonderen Talente und Antriebe, wie sie nur wenigen zuteil wurden - im Guten wie im Bösen. Und schließlich ist sie eine der Prominenz der großen Machthaber, die seit Jahrtausenden mit dem Hang von zu "Volks"massen umgeprägten Menschen rechnen dürfen, ihr Leben nicht selbst und zugleich gemeinsam verantworten zu müssen.

 

In dem, was wir hier als Geschichte betrachten, ist dann noch etwas wichtig: In der Regel wissen die Beteiligten nicht, was sie anrichten, welche Folgen es hat und ignorieren die fatale Differenz zwischen Absicht und tatsächlicher Wirkung. Wenn Geschichte im Rückblick dem naiven Betrachter plausibel, konsequent, logisch linear erscheinen mag, so war und ist genau das im Vorausblick immer illusionär. Die Logik des Rückblicks ist eine Konstruktion des Betrachters. Auch insoweit ist Geschichte reine Ansichtsache, und die Blickrichtung verändert den Gegenstand in ganz erstaunlichem Maße.

 

 Zwischen Herodot und dem einsam herausragenden Thukydides entwickelt sich eine zunehmend weniger dem Hörensagen gehorchende und kritischere, analytischere griechische Geschichtsschreibung. Erst relativ spät beginnen Römer die eigene Geschichte aufzuschreiben, nämlich seit den punischen Kriegen, und entsprechend werden römisches Machtstreben und die Interessen der Reichen und Mächtigen ungeniert propagiert. Mit den Bürgerkriegen kommt dann mehr oder weniger ideologisch verbrämte Parteinahme für einzelne Machtfraktionen hinzu. Das Entsetzliche an dieser Geschichtsschreibung ist aber vor allem, dass sie im wesentlichen von Kriegen und Machtkämpfen handelt, von Gewalttätern vor allem, von denen ein Teil auch noch gefeiert wird. Die allermeisten Menschen tauchen nur summarisch als das massenhafte Menschen-Material dieser Halunken auf und wir erfahren nicht einmal exemplarisch etwas von ihrem Leben. 

 

Das wird seit Livius 'Ab urbe condita', welches schon ins Prinzipat mündet, über Tacitus bis zu den letzten weströmischen antiken Autoren nicht besser. Tiberius lässt ein prorepublikanisches Geschichtswerk verbrennen und bekommt dafür von Velleius Paterculus eines, welches ihn lobt. Auf Lucans sogenannte 'Pharsalia', welche Cato feiern, folgt der präventive Suizid des Autors.

 

Tacitus beklagt das Ende eines idealisiert-aristokratischen Römertums:

Das Werk, das ich beginne, enthält eine Fülle von Unglück, berichtet von blutigen Kämpfen, von Zwietracht und Aufständen, ja sogar von einem grausamen Frieden. Vier Fürsten fielen dem Dolch zum Opfer, drei Bürgerkriege wurden geführt, noch mehr Kriege mit auswärtigen Feinden, beide Arten meistens zur gleichen Zeit. (...) Sklaven wurden bestochen gegen ihre Herren, Freigelassene gegen ihre Patrone und, wenn ein persönlicher Feind fehlte, der wurde ein Opfer seiner Freunde. (Historien I)

 

Die Identifikation mit dem eigenen Imperium und den oder ausgewählten Reichen und Mächtigen bleibt durchgehender Standard. Autoren wie Sueton oder Sallust werden dann nicht nur stilistische Vorbilder für mittelalterliche Geschichtsschreibung, in der die eigenen Herrscher und Machthaber meist mit Lobhudelei versehen und ihre Gegner diffamiert werden. Ganz offen sagt das zum Beispiel einer der Gebildeteren, Otto von Freising in seinen 'Gesta Frederici', also dem Tatenbericht Kaiser Friedrichs I.: Die Absicht (intentio) aller, die vor uns Geschichte (res gestas) geschrieben haben, war es, so meine ich, die glänzenden Taten tapferer Männer (virorum fortium clara facta) zu preisen (... OttoGesta, S.114). Und er wird genau das für seinen Kaiser und Verwandten tun. Da es sich seit dem Ende des weströmischen Imperiums für rund tausend Jahre um geistliche Autoren handelt, Bischöfe, Mönche, Äbte, kommt zur weltlichen nun die kirchlich-religiöse Propaganda hinzu.

 

Die moderne Geschichtsschreibung mit wissenschaftlichen Kriterien ist im Umfeld eines späten Kapitalismus entstanden und von diesem notwendig geprägt worden. Die Unterordnung der Menschen unter das Kapital als magische sowie handfeste Abgabe von Lebendigkeit an dasselbe, die zugleich ja Ein- und Unterordnung in eine Hierarchie von Agenten und Agenturen seines Verwertungsprogramms ist, die Ausweitung der Gratifikationen und Kompensationsmöglichkeiten - Lebendigkeit aus zweiter Hand - die sich immer rapidere Ausweitung der Zerstörung alles Lebendigen auf der Erde zugunsten einer Welt toter Waren, --- all das wurde ignoriert durch eine Begrifflichkeit, die ich als neuzeitlich idealistisch bezeichne und in der eine hochgradige Verklärung des kapitalistischen "Fortschritts" als Heilsreligion veranstaltet wird. Der Umgang mit Wörtern wie "Freiheit", "Gleichheit", "Demokratie", "Wohlstand" u.v.a. vergoldet den oft vergleichsweise behäbigen Alltag von Verbeamteten der "Wissenschaft". Das Schulterklopfen der staatlichen und privaten Geldgeber war und ist ihnen so gewiss wie die fehlende Beunruhigung angesichts dessen, was Menschen so anrichteten und weiter anrichten.

 

Diese Geschichte ist eben auch eine der Wenigen, die sie als "Wissenschaft" betreiben, fern jeder Öffentlichkeit der weit mehr als 99% der Bevölkerung, die sie auch ganz praktisch fast überhaupt nicht bemerken, weil sie sich dafür nicht die Zeit nehmen und wohl auch schnell intellektuell überfordert sind. Dabei kommt es reichlich unreflektiert zu einer ganz besonderen Bindung zwischen den Historikern und denen, die sie kommentierend begleiten und gerne derart ein wenig adoptieren.

 

Das Problem der Geschichte von Wenigen für Wenige hat allerdings auch eine ganz andere Seite; - unter den Bedingungen von Zivilisationen spätestens seit der griechischen und römischen Antike werden die meisten Menschen nicht nur von der Geschichtsschreibung als entindividualisierte Massen betrachtet, als Material für diejenigen, die "Geschichte machen", als manipulierbare Klientel der Mächtigen, sondern sie sind auch nur allzu oft tatsächlich dazu gemacht worden. Zivilisationen verlangen brave und möglichst gedankenlose Untertanen, und zwar sehr viele, nicht zuletzt solche, die als städtische "Volks"massen, besser, als urbane "Bevölkerung" Untertänigkeit, Schutz und Versorgung verlangen - und sonst gar nichts.

 

Leute, die in Armeen und Manufakturen hineindomestiziert werden, in, Grundherrschaften, Plantagen und Bergwerke, in staatliche Schulen, Büros und Fabriken, und die dafür als Preis Drogen und Amüsierprogramme geliefert bekommen, Leute, die sich einer steten Propaganda-Berieselung von oben ausliefern und ausgeliefert werden, sind nicht nur individuell kaum noch beschreibbar, ihre Individualität ist auch kaum noch im nachherein verifizierbar. Und so sind sie in den Geschichtsbüchern üblicherweise der anonyme Stoff, aus dem die Namhaften und Benennbaren "Geschichte machen", sie sind Kanonenfutter, Arbeitskraft, Jubel- und Stimmvieh.

 

Das Erschreckende dieser Liebe zur Untertänigkeit, ein Komglomerat aus Faulheit, Bequemlichkeit, Dummheit, Angst und Feigheit, hat sich am deutlichsten in den letzten Jahrhunderten in jenen sogenannten "Revolutionen" entfaltet, in denen eine machtgierige Clique eine andere "im Namen des Volkes" der einer "Klasse" abzulösen versuchte, und die, soweit erfolgreich, oft von den Protagonisten der modernen Geschichtsschreibung im Namen eines fast schon theologisch schöngeredeten Fortschritts hochgejubelt werden, bis hin zu den Lobreden auf derzeitige "Demokratien".

 

Es lässt sich aber ganz allgemein beobachten, dass sich mit der Zivilisierung, also der Zerstörung von Kulturen und der Schaffung untertäniger Massen eine allgemeine Neigung dieses längst geduckten "Volkes" zur Identifikation mit der Macht zeigt, eine Neigung zur Abgabe von Verantwortung an die Mächtigen auch auf Basis eines zunehmenden Unverständnisses der komplexer werdenden (eigentlich eigenen) Lebenszusammenhänge. Diese lässt sich wohl anthropologisch-biologisch mit der eingeborenen Neigung zur Faulheit und damit auch Verblödung von Säugetieren erklären, die in Gefangenschaft gehalten und dabei durchgefüttert werden. In den menschlichen Zivilisationen kommt dann als Kompensation noch die Vorhaltung von Amüsement dazu, höchste Gratifikation für Menschen, die von den Mächtigen als Nutztiere besonderer Art gehalten werden.

 

Gegen eine solche jahrtausendealte Historie, die man auch als interessegeleitete Geschichtsfälschung innerhalb eines kleinen Zirkels Interessierter bezeichnen kann, anzuschreiben, ist enorm schwierig. Zweimal gab es bislang Anstöße, es anders zu machen, einmal unter dem Einfluss von Karl Marx, was immerhin das Interesse vor allem von Frankreich ausgehend ein wenig in neue Richtungen lenkte, und dann in der BRD, als der Schock des Dritten Reiches und der Zerstörung Deutschlands im verlorenen Krieg seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts ein wenig zu wirken begann. Aber das hat die weitere Ideologisierung der Geschichte jeweils nach den neuesten Moden nicht aufhalten können und die zunehmende Zerstörung der deutschen Sprache und die nicht mehr nur mit Mitteln der Diffamierung betriebende Dogmatisierung einer politischen Korrektheit, die inzwischen deutlich an die Methoden der Bolschewiken und Nationalsozialisten gemahnt und in manchem bereits über sie hinausgeht, tut ihr übriges.

 

Aber einen Versuch hier soll es eben doch wert sein!