Stadt 2: STADT ITALIEN 1: ITALIEN UND WESTL. MITTELMEERRAUM (1000-1125) (derzeit in Arbeit)

 

Verstädterung

Kirche in der Stadt

Italien (11.Jh.)

Beispiel Toskana: Ressourcen, Produktion, Handel und Finanzen

Gemeinde/Kommune (Reform / Pataria und Partizipation / Florenz)

Der Weg ins Mailänder Konsulat

Bologna

Genua

Pisa

Lucca

Rom

Amalfi und der Süden

Der Sonderfall Venedig

 

Spanien (Santiago / León / Burgos / Frontstädte / Barcelona)

 

 

Verstädterung: Eine Zeitenwende

 

Da es im Mittelalter ganz unterschiedliche Städte gab, erscheint eine allzu enge Definition des Begriffes wenig sinnvoll. Hier soll nur die Stadt vom Dorf abgegrenzt werden, und zwar primär dadurch, dass in der Stadt und von ihr aus nicht landwirtschaftliche Produktion dominiert, sondern Handwerk und Handel vorherrschen, die zunächst auf Herren und ihre Bedürfnisse ausgerichtet sind, weshalb Städte vielfach einen herrschaftlichen Kern haben (oder oft mehrere). Das kann eine Kathedrale oder ein Kloster sein bzw. mehrere, eine königliche Pfalz oder eine Burg weltlicher Herren. Der Siedlungskern kann aber auch unabhängig von herrschaftlichem Einfluss entstehen und dann erst diesem unterworfen werden.

In solche Städte fließt ein Teil des in der Landwirtschaft oder durch kriegerische Unternehmungen gewonnenen Reichtums ab und wird durch Handwerk, Handel und in der Regel bald auch Geldbewirtschaftung vermehrt. Deshalb haben Städte einerseits mindestens einen Marktplatz und werden andererseits gegen Überfälle von außen durch Wälle und Gräben bzw. Mauern geschützt.

In den besonderen Vorrechten, die an Herren und dann auch an einzelne Einwohnergruppen verliehen werden, spiegelt sich, dass Städte Machtzentren sind, und diese besondere Situation der Städte schafft neue Formen von Selbstbewusstsein, die man nördlich der Alpen mit dem sehr deutschen Wort bürgerlich bezeichnen kann, stadtbürgerlich eben. 

Schließlich ist als Voraussetzung für Stadtbildung noch eine gewisse Dichte der Bevölkerung bzw. Besiedlung eines Landstriches anzusehen, bis es zu einer Konzentration von Menschen in Städten kommen kann, oder aber von dort aus bei einer gewissen Städtedichte Menschen aufbrechen, um sich anderswo an der Städtebildung (wie zum Beispiel östlich der Elbe) zu beteiligen.

 

Man kann für die Zeit zwischen 950 und 1300 in Mitteleuropa von einer deutlich ansteigenden Bevölkerung sprechen, ohne dass es dafür genauere Zahlen gibt. Während die Bevölkerungsdichte vorher durch Hunger und Gewalt niedrig gehalten wurde, nimmt sie nun durch eine gewisse Steigerung der Produktivität in der Landwirtschaft, durch massive Ausweitung der landwirtschaftlichen Produktionsflächen und steigenden inneren Frieden in einzelnen Gegenden zu. Verdichtung der Bevölkerung wird zur ersten Voraussetzung für Verstädterung.

 

Diese wiederum meint zweierlei. Einmal verbinden sich Siedlungskerne um Kirchen, Klöster und Pfalzen mit Handwerker- und Händlersiedlungen zu einem geschlossenen und immer abgeschlosseneren Gebilde mit langsam verdichteter Bebauung, wobei vor allem der Nahhandel stadtbildend ist; zum anderen nimmt die Zahl der völlig neuen Städte rapide zu: „In einem Zeitraum von weniger als zweihundert Jahren hat sich in Mitteleuropa die Zahl der Städte mindestens verzehnfacht.“ (KellerBegrenzung, S.252).

"Um 1100 war Straßburg die einzige civitas im Elsass, zu jener 'Mutterstadt' kamen bis 1250 14 'Gründungsstädte' und von 1250 bis 1350 noch einmal 70 'Kleinstädte' hinzu." (Dirlmeier, S.68) Zwischen dem Domesday Book 1086 und der Zeit um 1300, also in etwa einem Jahrhundert, verdoppelt sich nach einer Schätzung in etwa die städtische Bevölkerung im vorläufig noch etwas zurückbleibenden England. Am Ende, Mitte des 14.Jahrhunderts, lebt in Norditalien und Flandern bereits etwa ein Drittel der Bevölkerung in Städten, im Westen Deutschlands wohl etwas mehr als ein Sechstel.

 

Dazu kommen später weitere Stadtlandschaften durch die „deutsche“ Ostsiedlung zwischen Elbe und Oder insbesondere und dann auch weiter im Osten. Diese läuft ähnlich ab wie die Binnensiedlung, wie sie zum Beispiel von Fürsten mit Privilegien für Zuwanderer aus Holland und Flandern nach Norddeutschland zur Kultivierung von Sumpf- und Marschlandschaften vonstatten geht. Dabei entstehen mehr oder weniger planmäßig Dörfer und Städte.

 

Der Weg in die geschlossene Besiedlung einer „Stadt“ führt über die Veränderung der Gebäude der Masse der Bevölkerung, die bis ins 12. Jahrhundert noch Holzbauten sind, deren Pfosten tief in die Erde gegraben sind, weswegen sie in regelmäßigen Abständen neu errichtet werden müssen. Wer es sich im zwölften Jahrhundert leisten kann, errichtet nun ein Steinfundament, auf dem Fachwerk aufsitzt, welches regional sehr verschieden aussehen kann, aber deutlich stabiler wird. Solche Gebäude sind dauerhafter situiert, auch wenn es nur wenige und insbesondere solche vom Ende des Mittelalters geschafft haben, bis in die Gegenwart zu überleben, wobei Brände, Kriege und Modernisierungen alle ihren Anteil haben.

 

Zur Verdichtung des Bauens in den Städten gehört, dass ganze Straßenfluchten bebaut werden, mit den Schmalseiten der Giebel zur Straße, Haus an Haus mit ein paar Handbreit Abstand auch als Feuerschutz..

Die Konzentration von mehr und mehr Menschen auf immer engerem Raum, der in dieser Zeit auch durch eine Stadtmauer eingeengt wird, schafft völlig neue Lebensformen. Sie erleichtert Spezialisierung, das heißt immer detailliertere Arbeitsteilung, wobei immer mehr Geld zwischen Mensch und Waren tritt. Sie schafft neue Formen von Kommunikation und Geselligkeit bis hin zu religiösen und wirtschaftlichen Zusammenschlüssen, aber sie verlangt auch nach komplexeren Formen von Ordnung, die sich aus den Machtverhältnissen ergeben. Deutsche Städte sind so klein noch, dass sich zunächst noch alle kennen, bis dann genauere Bekanntheit, Vertrautheit sich für viele auf das Viertel oder die Pfarrei zurückzieht.

 

Städte entstehen als Ergänzung eines Dombezirkes, von Klöstern und Stiften, Pfalz oder Burg  durch Siedlungen von Handwerkern und Händlern. Im Wachsen und Zusammenwachsen der Stadt lässt sich eine Zuordnung des Handwerkes einmal in die Nähe des herrschaftlichen Bereiches erkennen, was vor allem deren Luxusbedarf betrifft, und zum anderen die eines wohlhabenderen bzw. auch der allgemeineren Ernährung dienenden Bereiches rund um den Markt, der der bürgerlichen Entwicklung der Stadt verbunden ist. Zudem verteilt sich das Gewerbe durch Aufgliederung und Spezialisierung auf unterschiedliche Teile der Stadt. Für Würzburg beschreibt Schulz so, dass Schmiede sowohl am Markt, in Domnähe als Feinschmiede als auch im Rand- und Außenbereich als Grob- und Kesselschmiede angesiedelt sind, letztere wohl wegen ihrer erheblichen Lärmentfaltung. Transportgewerbe wiederum verlagert sich in die Nähe der Stadttore und eines eventuell vorhandenen Hafens. Natürlich gibt es zudem auch andere standortbezogene Handwerkerviertel, die wegen des üblen Geruchs am Rande liegen oder vom Wasser abhängig sind wie die Färber oder Gerber.

 

Im Unterschied zur Nordhälfte Italiens kann man in deutschen Landen oft von der gemeinsamen Ansiedlung einzelner Handwerke in einzelnen Straßen reden. Schustergassen, Büttnergassen, Fleischstraßen und Brotstraßen zeugen bis heute davon. Das muss aber nicht immer heißen, dass dort nur ein Gewerbe alleine angesiedelt war, manchmal verweist der Straßenname nur auf das jeweilige Zunfthaus.

Das Handwerk wohnt überwiegend in Mietwohnungen - und Häusern, Renditeobjekten jener Kapitaleigner, welche beginnen, die Städte politisch stärker für sich zu vereinnahmen. Vermieten und Verpachten (auch von Land außerhalb der Mauern) wird zu einem Kapitaleinsatz, der von Betriebsabläufen unabhängig macht und die Betätigung im Rat zum Beispiel erleichert. Aber natürlich können auf dem allgemeinen Markt erfolgreiche einzelne Handwerker ihr Geld ebenfalls in einem eigenen Haus oder dem Teil eines solchen anlegen bzw. ein solches selbst als Renditeobjekt erwerben.

 

Kathedrale, Kloster, Stift und Fürstensitz werden immer städtischer ausgerichtet, und städtisches Leben beginnt das Land zu dominieren, denn die Stadt braucht das Land zu seiner Ernährung. Die werdenden und die sich neu entfaltenden Städte selbst konzentrieren sich weg von Ackerbau und Viehzucht und konzentrieren sich vor allem auf Handel und Gewerbe. Selbst die relativ kleinen deutschen Städte benötigen dafür die Acker- und Weideflächen von mehreren zehn Dörfern. Im Norden und der Mitte Italiens beginnen Städte auch deshalb ihr Umland, den Contado, für ihre Zwecke zu beherrschen und auszunutzen.

Ab einigen tausend Einwohnern wird das Umland nicht mehr ausreichen, insbesondere wenn, wie in deutschen Landen, Ernten der Grundherrschaften von Zwischenhändlern aufgekauft und dorthin verkauft werden, wo der Markt gerade am meisten hergibt. Größere Städte werden so an ein Netz von Fernhandel mit Lebensmittel angeschlossen, während die Fleischversorgung dann oft durch Viehtrieb über große Strecken geleistet wird.

Große Grundherrschaften, und das sind zunächst noch nicht zuletzt Klöster, richten für den Zugang zum städtischen Markt dort Niederlassungen ein, Sint Truiden in Lüttich und Köln, und in Orten wie Regensburg lässt sich nachvollziehen, wie solche Höfe als klösterliche Dependancen das Stadtbild mitzuprägen beginnen. Dabei tun sich im 12. Jahrhundert die Zisterzienser hervor, die ihren Leuten in den Städten auch Bürgerrechte besorgten, um ihnen so Zugang zu städtischen Privilegien zu verschaffen.

 

Bürgerliche Denk- und Sichtweisen nehmen langsam zu. Mit dem Übergang von der Kloster- zur Kathedralschule und dann der Verselbständigung solcher (städtischer) Schulen um einzelne Gelehrte beginnen Ansätze von Wissenschaftlichkeit, die immer noch von Mönchen und Klerus getragen werden, die immer individueller Wege zu Wirklichkeit und/oder Wahrheit suchen. Noch kaum deutlich ausgesprochen, wird für sie städtisches Leben erster Erfahrungshorizont.

 

Verstädterung heißt Mobilität, und zwar nicht nur als steter Strom vom Land in die Stadt, sondern zunehmend auch von Stadt zu Stadt. Dazu gehören die Händler, die Pilger, aber auch die wissbegierigen und unternehmungslustigen jungen Männer vorwiegend aus adeligen Kreisen, für die Mobilität Karriere bedeutet, als Lernende wie als eine materielle Lebensperspektive Suchende.

 

Als Musterbeispiel mag Benno von Osnabrück dienen, in Schwaben geboren, der seinen ersten Unterricht in Straßburg erhält. Dann wird er Schüler von Hermann dem Lahmen auf der Reichenau, darauf zieht er als Vagant durch einige Städte. Um 1040 reist er mit dem Bischof von Straßburg auf Pilgerfahrt nach Jerusalem. Danach ist er in Speyer, weil sich dort unter den Saliern Gelehrte sammeln. Er wird berühmt und reich, geht dann mit dem König nach Goslar, wird schließlich Domscholaster in Hildesheim, zieht mit dem bischöflichen Militär-Kontigent unter dem König nach Ungarn, wird Verwalter und Baumeister in Goslar, führt am Ende die Geschäfte für Erzbischof Anno in Köln. Dann geht es zurück nach Hildesheim. 1068 wird er als Bischof nach Osnabrück berufen.

Verstädterung bedeutet nicht nur Verwurzelung in der Stadt, sondern auch zunehmend Entwurzelung durch Karrierewege.

 

Verstädterung heißt auch zunehmende Dominanz der Stadt über das Land. Diente das Land zuvor den Bedürfnissen einer adeligen Herrenschicht dort, so nun immer mehr dem Gesamtinteresse einer städtischen Bevölkerung, und zwar nicht nur, was Konsumgüter wie Nahrungsmittel angeht, sondern auch Rohstoffe und Halbfabrikate. Die Veränderungen auf dem Lande machen Verstädterung möglich, zugleich aber verändert diese das Land. Kulturlandschaften werden immer stärker auf die wachsende Nachfrage der Städte bezogen und Naturlandschaften, wo noch vorhanden, müssen weichen und verschwinden im hohen Mittelalter außerhalb Osteuropas und Skaninaviens fast völlig. Verstädterung heißt nun, dass die Welt im weiten Umfeld zu einer so weit wie möglich menschengemachten wird. Was damals oft als Triumph meinschlichen Leistungsvermögens gesehen wird, stellt sich seit dem 18. Jahrhundert für die, die es bemerken wollen, zunehmend als Ruin des Lebensraumes Erde dar. Für die Städter ist das Land nur noch als zu nutzender Raum präsent und der Naturbegriff verliert seine Substanz.

 

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Mit der Einwanderung vom Lande schwappt nicht nur ländliche Armut in die Städte, sondern sie breitet sich in ihnen weiter aus. Wohlstand und Armut sind bekanntlich relative Größen, die sich gegenseitig bedingen.

 

Städtische Armut basiert nicht zuletzt auf Einwanderung. Die Masse neuer Einwohner kommt überwiegend mittellos vom Lande, auf der Flucht vor Herren oder nach Ablösung von Verpflichtungen. Viele steigen dort dann zu Dienstboten oder festangestellten Arbeitern auf und bleiben dabei relativ arm. Außerdem gibt es periodisch wiederkehrende Hungersnöte auf dem Lande, vor allem durch das Wetter und Ungeziefer ausgelöst. Solche Leute flüchten dann in die Obhut der Stadt, wo es Nahrungsreserven und karitative Einrichtungen gibt. Nicht zuletzt gibt es dort auch eine Geistlichkeit, die Hoffnung spendete, indem sie Fasten und Bittprozessionen anordnete, um Dürren und ähnliches zu besiegen, und die die Macht ihrer speziellen Heiligen und ihrer Reliquien einsetzen kann.

 

Zur städtischen Armut wie zu psychosozialer Verelendung gehört seit der Antike die Prostitution, die sich auch auf dem Weg ins Mittelalter hält. Von christlicher Seite verdammt, wird sie indirekt und unterschwellig durch das Christentum aber auch gefördert: In ihr werden Triebabfuhr und Lust von der Fortpflanzung so getrennt wie das idealiter auch umgekehrt in der Ehe geschehen sollte. Der neben Hunger und Durst stärkste menschliche Antrieb dient so der allgemeinen Kompartmentalisierung als Musterbeispiel: Hier die Ehrbarkeit, dort die Verworfenheit, beide hübsch getrennt nebeneinander existierend.

In der Sexualität taucht dann auch eine Form veritabler Doppelmoral auf: Eine für die Öffentlichkeit, und eine für die Heimlichkeiten.

 

Die Ausgrenzung einer städtischen Unterschicht, der die Ehrbarkeit abgesprochen wird, macht es möglich, dass diese sichtbar ist. Wenn der Bamberger Meinhard „Köln als gefährliches Pflaster für einen jungen Kleriker“ betrachtet (multiformis Colonia seu mavis Babilonia, Groten, S. 61), dann meint er sicher vor allem die sexuellen Verlockungen.

Für eben dieses "heilige Köln" zeigt die Vita des Erzbischofs Anno II. auf, wie üblich Prostitution ist: Er versucht, wie legendär beschrieben wird, die Huren aus ihrem Treiben herauszuholen, zum Beispiel, indem er ihnen einen Ehemann besorgt. Einen seiner Priester ließ er nach deren Kunden fahnden, und diese wurden dann öffentlich ausgepeitscht und ihres Haupthaars beraubt.

 

Für Italien gilt ähnliches. In der Vita S.Anselmi des Bischofs von Lucca wird vom geistlichen Autor wie über 200 Jahre später von Dante der Sprachwirrwarr der Fremden beklagt, die in die Stadt aufgrund des Handels einwandern, und die „soziale“ Unordnung, die der schnelle Anstieg der Bevölkerung mit sich bringt. Der zunehmende Reichtum fördert die Verdorbenheit der Menschen. In der Vita Mathildae beschreibt ein Mönch 1114 Pisa als schmutziges Monstrum, zu unrein als Begräbnisplatz für die tuszische Gräfin Beatrix (Hythe, S.55)

Papst Honorius III. vergleicht 1217 "in seiner Kritik an den Bürgern von Marseille ihre Stadt mit Ninive und prophezeite, Marseille werde wie Sodom und Gomorrha enden." (Dirlmeier, S.69)

 

Zur großen Stadt mit tausenden von Einwohnern gehörten natürlich auch Diebstahl und Raub, Mord und Totschlag, denn in den wachsenden Städten löst sich die soziale Kontrolle der Grundherrschaften auf. Dazu kommt allerlei wenig christlicher Zeitvertreib wie das Würfelspiel um Geld, welches einige Städte erfolglos verbieten.

 

 

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Mit Städten, wie sie das Mittelalter in Teilen Europas hervorbringt, wird der Kapitalismus entstehen - zunächst noch in gebändigter Form. Von ihnen aus wird er seinen Eroberungszug über die Welt antreten. Dabei werden sie ihren Charakter ändern und den der Welt, die dann aus ihnen heraus entsteht. Inzwischen lebt die Mehrzahl der Menschheit in Städten, viele von ihnen in riesigen, unübersichtlich gewordenen Wüsteneien aus Beton und Asphalt, kontrolliert von mafiosen, sich selbst legalisierenden Politgangs und darunter meist von damit kooperierender organisierter Kriminalität.

 

Zivilisierung heißt von Anfang an immer auch Verstädterung, Zivilisationen entstehen mit ihren Städten und sind wie am Beispiel Roms gar aus einer Stadt hervorgegangen. Städte wiederum definieren sich im Gegensatz zum Land zu allererst durch die größere Konzentration von Menschen an einem Ort und auf engerem Raum. Zwischen Stadt und Land entsteht dabei eine Arbeitsteilung: Das Land liefert, grob gesagt, der Stadt Nahrungsmittel und Rohstoffe, und die Stadt wiederum Fertigprodukte gewerblicher Art. Die Stadt verbraucht aber auch in nueartig großem Umfang Naturraum, Erde, Wasser und Luft, wobei die beiden letzteren mehr oder weniger verschmutzt an das Umland zurückgegeben werden, und sie erzeugt Abfall, Müll in einem viel größeren und das Umland viel stärker bedrohenden Maße als je zuvor. 

 

Das, was u.a. Schott als "Stoffwechsel der Stadt" bezeichnet (S.19), ist ein Verbrauch von Naturraum, der weit über die Stadtgrenzen hinausgeht. Als es im Hochmittelalter des lateinischen Abendlandes viele Städte mit Tausenden von Einwohnern gibt, besonders in Flandern und Norditalien sogar einige mit zehntausend oder mehr Bewohnern, decken Städte ihren Bedarf an Nahrungsmitteln und Rohstoffen aus Gegenden von hunderten oder tausenden Kilometern Entfernung. Dabei verbrauchen sie auch weit entfernt erhebliche Flächen, die der Natur entzogen und kultiviert oder gar an einigen Stellen zerstört werden.

Für diesen Flächenverbrauch entwickelten Rees/Wackernagel den Begriff vom ecological footprint, dem ökologischen Fußabdruck, den jeder Stadtbewohner im statistischen Mittel hinterlässt,und um das zu veranschaulichen, erwähnten sie für 2002, dass London für seine Versorgung das etwa 300fache seiner Stadtfläche verbrauche, das Doppelte der Fläche Großbritanniens (Schott, s.o.).

Städte verbrauchen aber nicht nur Naturräume, die so verschwinden, sie verbrauchen Luft und Wasser, indem sie sie verschmutzt an ihre Umwelt abgeben. Jedes Haus hat seine Kloake, insgesamt geben in großen Städten tausende von Menschen täglich Urin und Fäkalien auf engem Raum ab. Der tägliche Wasserbedarf steigt, wird manchmal schon durch öffentliche Brunnen gedeckt. Auf dem Weg ins hohe Mittelalter werden dann erste Stadtbachsysteme gebaut. 

Schließlich verschmutzen und vergiften Städte Naturräume in ihrer Umgebung unmittelbar und mittelbar durch die Waren, die allesamt irgendwann als Müll Naturräume kontaminieren, die sehr weit entfernt sein können. Am Ende des Mittelalters wird es kaum noch intakte Naturräume in Mitteleuropa, England und Italien geben.

 

 

Auch in diesem Kapitel, sei noch kurz angemerkt, sollen Natur und Kultur als Begriffe im antik-römischen Sinne benutzt werden, und nicht mit jenen religiösen und politischen Verzerrungen, die sie später für Ideologieproduktion herrichteten. Umwelt ist dabei kein propagandistischer Nebelbegriff, sondern wird als räumlicher Begriff gehandhabt, die Biologie benennt wie die Ökologie die jeweilige Fachwissenschaft und keine pseudomoralischen Nebelwörter, mit denen Kapital und Politik sie ihren Interessen dienstbar machen.

 

Städte, sei noch zudem kurz erwähnt, entstehen bekanntlich vor jedem Kapitalismus, mit Markt, Handel und Gewerbe ausgestattet, aber zunächst eben noch ohne Dominanz von ökonomischen Verwertungsvorgängen, in denen der Vermehrungsdrang von Kapital und damit toter Dinge zuungunsten von allem Lebendigen zum Selbstläufer wird.

 

 

Kirche in der Stadt

 

Das Leben Jesu findet seine theologische Vollendung in einer antiken Stadt: Jerusalem. Die Wiederkehr des Herrn würde wiederum eine Art Stadt hervorbringen, das himmlische Jerusalem. Ein wenig soll eine Bischofsstadt eine Ahnung davon bieten. Neben Kathedrale und Klöstern dominieren Kirchen das Stadtbild. Auf diese Weise wird das heilige Köln (sancta Colonia) „als ein von der Umwelt abgehobener Sakralraum verstanden, der durch die in den Kirchen der Stadt angesammelten 'Heilmittel' aufgebaut wurde. Vor allem den Reliquien der Heiligen schrieb man eine solche Heilskraft zu.“ (Groten, S.56)

 

Das biblische Gegenbild war die „große Hure Babylon“. Gemeint war damit vor allem Lustbarkeit, Sinnenfreude, vor allem Ehe und Familie überschreitende sexuelle Lust. Während die "Bürger" einen Tugendkanon der Ehrbarkeit entwickeln, entsteht bei der sich ausbreitenden Armut eine kirchlicherseits als bedrohlich angesehene Randständigkeit.

 

 

Kirchtürme überragen die Städte, oft auch die Kirchengebäude. Sie überragen Bürgerhäuser und Pfalzen. Bischöfe sind entweder offiziell Herren der Stadt oder doch wenigstens größte Landbesitzer und mächtigste Institution. Erzbischöfe versuchen, zum großen Teil riesige Gebiete zu kontrollieren. Die Kirche ist eine ganz wesentliche Macht, geistlich wie weltlich.

Einordnung in die Kirche ist Pflicht für alle außer den Juden, die deshalb zahlen müssen. Taufe und "christliche" Beerdigung sind Pflicht, bald wird man auch in der Kirche heiraten müssen. Seinen Obulus muss man entrichten. Nur der nicht "Ehrbare" kommt da gezwungenermaßen ein wenig heraus.

Die vor Ort verkündete Glaubenslehre ist verpflichtend, wer sich anders äußert, wird von nun an verfolgt und - wenn er nicht widerruft - bald auch auf das brutalste gefoltert und verbrannt werden. Die regelmäßige Indoktrination beim Kirchgang ist ebenfalls Pflicht, obwohl nicht ganz so kontrollierbar. Da hilft dann sogenannte soziale Kontrolle. Tatsächlich kommen aber in der Regel nur wenige Inhalte kirchlicher Lehre überhaupt beim Volk an - die Messe ist lateinisch und weithin unverständlich, so wie auch die magischen Inhalte und Zeremonien sich jedem Verständnis entziehen. Christentum ist vor allem identisch mit Bravheit, Unterordnung und dem, was jeweils als Ehrbarkeit aufgefasst wird.

 

Glaubenseifer wird nur sporadisch als modische Eruption auftreten und sich zum Beispiel im Steinigen von Häretikern entfalten, deren Wesen ja ist, die einzigen wirklich Glaubenseifrigen zu sein, was die evangelische Botschaft betrifft. Ansonsten tauchen nun und in den kommenden Jahrhunderten immer mehr Bestimmungen gegen das Fernbleiben vom Kirchgang auf, gegen das Schwatzen oder Einschlafen während der Messe. 

 

Kirchen werden zunehmend von der Institution Kirche und den wohlhabenden Einwohnern der Stadt finanziert. Vermutlich gilt meist die Regel, dass die Außengestaltung der Kirche mit der sie ausstrahlenden Botschaft vom Klerus bestimmt wird, während innen diejenigen Einfluss gewinnen, die mit Stiftungen und eigenen Altären und später dann Kapellen beitragen.

 

Vermutlich sind es vor allem die mit wirtschaftlichen und Machtinteressen verbundenen Gelegenheiten, in denen praktisches Christentum vertreten wird, in den Bruderschaften, bei Festivitäten und Prozessionen.

Fast der ganze Festkalender der Städte ist kirchlich bestimmt, und der Feste gibt es viele. In den öffentlichen Veranstaltungen von Prozessionen an kirchlichen Festtagen wird Rom wahrscheinlich von keiner anderen Stadt übertroffen. Es sind 33 solche öffentliche Veranstaltungen überliefert, die vor allem die Weihnachtszeit und die Fastenzeit bis Ostern betreffen, aber auch die "Reinigung Mariens" am 2. Februar, ihre "Himmelfahrt" am 15. August, ihre Geburt am 8. September und manch anderen Termin.

Sie alle involvieren den Papst, sie dauern in einigen Fällen den ganzen Tag, der Papst marschiert teils barfuß, teils ist er zu Pferd, und da Päpste oft sehr alt sind, verlangt das viel von ihnen. Sie beginnen am Lateranpalast, führen zu einer Kirche, oft nach St. Peter oder Sta. Maria Maggiore und wieder zurück.

 

Für den Termin der Reinigung Mariens zum Beispiel schicken die achtzehn Diakonie-Kirchen Marienbilder nach St. Hadrian, die dann während der Prozession vor dem Papst getragen werden. Dieser lässt sich neben St.Hadrian nieder, gibt geweihte Kerzen aus, singt die Messe in der Kirche, und dann bewegt sich der Zug aus Geistlichen und weltlichen Großen (populus) über das Trajansforum, Sta Maria Nova, San Pietro in Vincoli und San Prassede nach Sta Maria Maggiore.

Eine besonders ausführliche Prozession findet am Ostermontag statt. und hier spannen die Anwohner Zeremonialbögen über die Straßen, an denen goldene und silberne Töpfe funkeln, Juwelen, wertvolle Kleidungsstücke und Weihrauchbehälter, die von den Kirchen gestellt werden.

 

Dann gibt es Übergangsformen vom klerikalen zum volkstümlichen Fest. Am Sonntag nach Karneval, also zum Anbruch der großen Fastenzeit, marschieren die equites der Stadt (die berittenen Miliz) unter dem Stadtpräfekten zum Lateran, um den Papst abzuholen, und reiten mit ihm dann zum Monte Testaccio, wo die pedites sie erwarten. "Dort führen sie Spiele auf, ludus, wobei sie ausdrücklich interne Konflikte hintanstellen, töten einen Bären, einen Bullen und einen Hahn, die den Teufel, den Stolz und die Unkeuschheit verkörpern." (Wickham(2), S.331) Im nächsten Jahrhundert wird daraus ein regelrechter Stierkampf werden, dazu werden Turniere und Pferderennen kommen.

 

Bei vielen solchen Ereignissen gibt die Kirche viel Geld aus und wirft einiges davon unter das Volk. Diese iacta, in die Menge geworfene Münzen, werden anlässlich der Papstwahl begleitet mit Sätzen wie: Ich erfreue mich nicht an Silber und Gold; was ich habe, gebe ich dir oder ähnlichem. ((Wickham(2), S.347)

Geld ist desungeachtet wichtig: Wenn 1149 die Senatoren und das "Volk" dem Papst die Treue schwören, dann wird das mit einem Geschenk von 500 Pfund belohnt.

Den Gipfel erreichen wohl die Ostermontags-Feierlichkeiten, die vielleicht an die 100 Pfund kosten, die St.Peter beisteuert.

 

 

Italien

 

Die weitere Entwicklung soll hier zunächst vor allem in Nord- und Mittelitalien verfolgt werden, wo sich nach dem Untergang des karolingischen Versuchs von Reichsbildung sowohl die kaiserliche als auch die königliche Macht trotz aller Interventionsversuche von west- und ostfränkischer Seite weniger solide etablieren kann, und die Städte somit in ihrer weiteren Entwicklung weniger in das komplexe Netzwerk neuer zentraler (nationenbildender) Staatlichkeit geraten.  Die Welt wird hier früher städtegebundener, auch wenn Herrscher und Reiche versuchen, darauf Einfluss zu nehmen.

 

Veränderungen haben, im Verbund mit ihren wirtschaftlichen Wurzeln, sehr viel mit den kirchlichen Reformen und den an die Kirche gerichteten Reformforderungen zu tun. (siehe: ...)  Kritik an einer zu weltlich orientierten Kirche und eine stärkere Absonderung des geistlichen Raumes vom Weltlichen in der Theorie fördern im städtischen Raum den Aufstieg laikaler Machthaber. Die Öffentlichkeit der Diskussionen über eine akzeptable Kirche bewegt Gemüter und das setzt wiederum anderes in Bewegung, denn die Kirche ist auch noch wirtschaftliche Großmacht und zunächst mehr oder weniger weltliche Macht in den Städten.

Das alles explodiert mit den Kriegen, die Kaiser Heinrich IV. in deutschen Landen binden, dem in Gewalt ausartenden Konflikt zwischen Papst und Kaiser und der in die Lücken stoßenden Neuorientierung städtischer Machtverhältnisse. 

 

Mit dem Schwinden der großen alten Einheiten verändert sich Norditalien. In den Markgrafschaften wie Canossa/Toskana, wo das etwas länger dauert, bleibt die Bindung der Vasallenschichten an die dortigen Höfe noch bis Anfang des 12. Jahrhunderts bestehen, worauf sie sich dann auch für die Kurie eines Bischofs entscheiden müssen. Beim Ausbleiben markgräflichen Einflusses  verselbständigen sich die Städte, zunächst noch unter ihren geistlichen Herren, und bilden die herausragenden Zentren der Einheiten, in die das Land geteilt ist.

 

Städte sind seit der Langobardenzeit das gegliederte Kollektiv ihrer Einwohner, die sich zum Beispiel zum hohen Gerichtstag des placitum an zentraler Stelle, zum Beispiel wie in Mailand am Platz vor der Kathedrale versammeln. Maßgeblich konzentriert sich aber Macht auf wenige, über viel Land verfügende Herren, die im Zuge einer sich verändernden Kirche immer weniger Möglichkeiten bekommen, sich Amtsgewalt im kirchlichen Bereich zu sichern und nach neuen Möglichkeiten in der Stadt suchen. Zusammen ist ihre Verfügung über Land und damit die Summe ihrer Reichtümer wesentlich größer als die des Bischofs.

Zwischen dem kirchlichen Machthaber und den großgrundbesitzenden Herren sind zwei Gruppen angesiedelt, die ebenfalls nach Grundbesitz streben und zunehmend an Bedeutung gewinnen: Die bedeutenderen Händler und jene lesende und schreibende Gruppe der Juristen, Richter, Notare. Im Unterschied zu den Kriegern sind sie eher "Zivilisten" und ihnen fällt auch immer deutlicher die Bezeichnung cives im Unterschied zu den milites zu. Neben den juristischen übernehmen sie auch Verwaltungsaufgaben. Aber auch die cives besitzen wohl Waffen und sind in ihrem Gebrauch geübt, wie ansatzweise schon im 10. Jahrhundert deutlich wurde. (Wickham, S.190)

 

Ein Graf wird für  Mailand zum letzten Mal 1045 erwähnt. Mit dem Verfall der gräflichen Gewalt teilen sich im 11. Jahrhundert der Bischof und sein Domkapitel einerseits und seine direkten Vasallen, milites, als seine Beauftragten andererseits die Stadtherrschaft in militärischer, richterlicher und in Hinsicht auf die Verwaltung. Darunter stehen die Valvassoren als Lehnsnehmer ohne Burgen, deren Familien früher Händler, Metall-Handwerker oder Münzer und Geldverleiher waren, die durch die Lehen statusmäßig aufsteigen.

 

Nach dem Valvassorenaufstand werden zunehmend mehr Valvassoren des geringeren ordo nun iudices, oder als Notare, Münzer usw. in diese Anteilnahme am Stadtregiment einbezogen. Das hohe Kapitel und die hohen milites, die vavassores maiores, entstammen dabei derselben Schicht wie die Bischöfe, jener, die am Ende des Jahrhunderts allgemein als Kapitane bezeichnet wird. Auf dem Lande wiederum entwickeln solche Kapitane Ortsherrschaften, und zwar mit Hilfe ihrer Vasallen wiederum, die zunächst noch vavassores minores sind, bald aber einfach nur noch Valvassoren heißen.

 

Auf dem Lande stehen sich also lokale Herrschaften ausbauende hohe Adelige mit ihrem ritterlichen Anhang und rustici gegenüber, jene Bauern, die bald nicht mehr in die untere Valvassorenschicht aufsteigen können. In den Städten lösen in diesem Jahrhundert die nunmehr Valvassoren die Kapitanenfamilien in den hohen Ämtern ab, ständisch abgetrennt von einer städtischen Schicht aus Handel, Finanzen und Handwerk, die offenbar in Italien deutlich weiter entwickelt sind als nördlich der Alpen. (siehe Großkapitel 'Adel')

 

Während die ständische Abgrenzung der Bauernschaft auf dem Lande mit dem Begriff des rusticus eindeutig ist, interferieren die Begriffe cives und populus in der Stadt im 11. Jahrhundert und unterliegen einem permanenten Bedeutungswandel. Ursprünglich ist cives der mit römischem Bürgerrecht begabte Städter und populus der dem senatus gegenübergestellte Teil der Römer. Mit der Überfremdung durch Osthrogoten, Langobarden und Franken und von diesen unterworfenen Völkerschaften schwindet die Klarheit der Begrifflichkeit.

Zunächst einmal hat civis wenig mit dem Bürger-Begriff des deutschen Mittelalters zu tun und populus sollte schon gar nicht mit dem germanisch-stämmigen Wort Volk übersetzt werden. Zu dem, was die besonderen italienischen Entwicklungen ausmacht, gehört dabei die Tatsache, dass „im Gegensatz zu Deutschland die Mehrheit der Bevölkerung freien Standes war.“ (KellerBegrenzung, S.334) Zudem ist Stadtherrschaft dort unter einem Bischof gemeinsame Adelsherrschaft mit einem stadtsässigen Adel aus altem (Kapitanen) und neuerem Adel (Valvassoren) und einer Verknüpfung von Ämtern und frühem Unternehmertum (Handel, Finanzen, Mühlen etc) bei den Valvassoren. Die ständische Trennung zu den Nichtadeligen wird so ergänzt durch das Ineinandergehen von Erwerb bei den wohlhabend "bürgerlichen" und den "adeligen" Kreisen. 

 

Diese ständische Ordnung in Stadt und Land entwickelt sich in einer Zeit der Steigerung landwirtschaftlicher Produktion und Produktivität und einem entsprechenden Bevölkerungswachstum. Zusammen mit einem Wachstum von Handel, städtischer Produktion (Textilien und Waffen vor allem) und Geldwirtschaft findet eine Modernisierungswelle im landwirtschaftlichen Raum statt, die dort stärker Warenwirtschaft bis hin zur Kapitalisierung von Grund und Boden einführt: In dem Maße, in dem Nahrungsmittelproduktion und agrarische Produktion von Rohstoffen zum Beispiel für die Textilproduktion profitabler werden, öffnet sich das Land für den Markt.

 

Formen von Leibeigenschaft schwinden langsam oder werden später beim Aufstieg der Popolanen in der Stadt gesetzlich verboten, wodurch die ländliche Arbeitskraft auch für den städtischen Markt verfügbar wird. Billigste Arbeitskraft werden die vor allem weiblichen häuslichen Dienstboten: Auch die Frauen des wohlhabenderen Bürgertums sollen wie ihre Männer insoweit zu adeliger Lebensweise aufsteigen, als sie von körperlicher Arbeit Abstand nehmen können.

Martines schreibt: „The expense of leisure in the Italian city-state was in large measure the labor of the country.“ Der Verachtung der neuen städtischen Oberschicht für körperliche Arbeit entsprach die für die Menschen, die das Land bearbeiteten. Sie galten als dumm und bösartig, unfähig zum vivere civilmente, kein Teil der neuen städtischen civiltà.

 

Die frühe Entfaltung von Handel, Finanzen und städtischer Produktion wird spätestens im nächsten Jahrhundert immer mehr dazu führen, dass vornehmerer älterer Adel an Reichtum und darauf fußender Macht übertroffen wird von Leuten aus geringeren Schichten bzw. ordines.

Im 11./12. Jahrhundert wird es üblicher, dass nichtadelige Städter Lehen kaufen, ohne dadurch in den Adel aufzusteigen - aber sie können an Wohlstand und Lebensstil dann zunehmend mit ihnen gleichziehen.

 

Der cives-Begriff wie der des populus kann bis ins späte 11. Jahrhundert die gesamte freie Einwohnerschaft der Stadt meinen, wie er sich in der Volksversammlung darstellt. Nach 1100 wird daraus jene Gruppe, die sich von den miles unterscheidet. Aber civis ist daneben immer auch der Stadtbürger aller Stände. In den Machtkämpfen zwischen niederer und höherer Vasallenschaft, durch Konrads II. Konstitutionen beruhigt, zwischen Bischöfen und Adel und dann später in Mailand zwischen "Volk" und Adel (1042-44) taucht dann auch ein Populus-Begriff auf, der "Volk" vom Adel scheidet, so wie die Bauern von ihm auf dem Lande.

 

1067 trennt eine Mailänder Urkunde die negotiatores, also Kaufleute, von den "übrigen" als ärmeren unter ihnen (KellerOberitalien, S.25). In Pavia werden 1084 cives maiores et minores vom Adel unterschieden. Aber 1130 heißt es in Mailand, dass an einem Gerichtstag capitanii, valvassores et alii cives teilnehmen (s.o.S.30).

 

Plebs ist einmal die allen fest zugeteilte Taufkirche (pieve), und bis ins 11. Jahrhundert bezeichnet es alles Volk unterhalb des Adels. Danach wird das Wort zunehmend durch populus ersetzt, was allerdings vor allem vor 1000 ähnlich wie Volk im Altdeutschen die versammelte kriegerische Oberschicht meint und dann auch später sowohl die Einwohnerschaft wie in der Folge immer mehr das unteradelige Volk bedeuten kann. 1158 heißt es, Barbarossa unterscheide für Mailand zwischen Kapitanen, Valvassoren und populares (s.o., S.30), ein dann gängigerer Begriff für alle nichtadeligen Städter.

 

Gegen Ende dieser Entwicklung beschreibt Otto von Freising in den 'Gesta' aus süddeutscher Sicht, dass wegen militärischer Notwendigkeiten zur Niederhaltung eines Contado die hohen Herren sich nicht scheuen, junge Männer von niedrigem Stand und sogar Handwerker, die irgendein verachtenswertes mechanisches Gewerbe betreiben (mechanica ars), die doch andere Völker wie die Pest von den ehrenvolleren und freieren Aufgaben fernhalten, zur Ritterwürde (militie cingulum) und zum Aufstieg in den Ämtern zuzulassen. (II,14)

 

Ritter (miles) gibt es also nach etwa 1100 als civis et eques auch nichtadeliger Art, und Macht wie Amt lassen Standesgrenzen zwar bestehen, aber eher als Form der Vornehmheit denn als reale potestas, und die heftige Verachtung des hochadeligen geistlichen Herrn für Handel, Finanzen und Handwerk scheint sich in Norditalien nicht so ausgebildet zu haben.

 

Die innerstädtische Harmonie, von der Otto von Freising sagt, sie habe die italienischen Städte so herausragend mächtig werden lassen, hindert aber nicht, dass ständische Gruppen zu gegeneinander kämpfenden politischen Parteien werden. In Mailand organisiert sich der Adel als eine Gruppe, die einfachen Ritter und Kaufleute in einer zweiten, der Motta, und die Handwerker in der Credenza, die beiden letzteren Teile des populus bzw. der Popularen.

Als politischer Kampfbegriff bewusst unscharf gehalten, grenzt er die Kaufmannschaft nichtadeliger Provenienz und bald auch die Spitzen des produktiven Gewerbes gegen den Adel ab, ohne aber in der Regel die Masse der darunter gehaltenen Stadtbevölkerung einzuschließen.

 

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Während der Marktwert von nutzbarem Grund und Boden auf dem Lande langsam um ein Mehrfaches steigt, wächst er in den durch Mauern eng umgrenzten Städten um das zehn, zwanzig- oder dreißigfache, auch wenn in einer Stadt wie Brescia im 11. Jahrhundert noch hauptsächlich Holzbauten stehen. Zur Bodenspekulation kommt hier noch die Investition in auf ihnen stehende Immobilien, die zunehmende Renten abwerfen. Schon auf dem Weg ins sogenannte hohe Mittelalter gibt es in den nunmehr großen Städten einzelne adelige, kirchliche und bürgerliche Immobilienbesitzer von zwanzig, dreißig Häusern in den besten Lagen. Kluge Unternehmerfamilien streuten Hochrisikokapital (vor allem dem „politischen“ Risiko unterworfen) in der Geldbewirtschaftung und im Fernhandel mit dem „nur“ an Konjunkturschwankungen des Marktes gebundenen produktiven Gewerbe und den relativ risikofreien Anlagen in Immobilien in Stadt und Land. Da nicht nur Teile des Adels an der Kapitalisierung der Wirtschaft teilhaben wollen, sondern das große Kapital nach aristokratischer Lebensführung strebte, nutzen letztere später Landgüter dann als quasi aristokratische Zweitwohnungen, aus denen im späteren Mittelalter dann die „Sommerfrische“ für die Familie im sommerheißen Italien wird.

 

Umgekehrt verschaffen sich Adelsfamilien städtische Dependancen oder verlagern ihren Lebensmittelpunkt ganz in die Städte. In dem Maße, in dem der Kapitalismus sich in den Städten als neue Form des Wirtschaftens Bahn bricht und den lokal gebundenen Markt territorialisieren will, wird die Tendenz aufkommen, den Adel auch in die Städte zu zwingen, indem ihm verordnet wird, dort ein Haus zu besitzen und sich wenigstens einen Teil des Jahres dort aufzuhalten.

 

Finanzkapital entwickelt sich nicht zuletzt aus einem Kreditwesen, welches einmal auf die Verschuldung bäuerlicher und adeliger Familien auf dem Lande zurückgeht, zum anderen aber Mittel für Investitionen auch für Städter bereitstellt. Sicherheit geben dabei vor allem Grund und Boden, die bei Nichterfüllung an sie fallen.

Geld fließt allenthalben, beim Einkauf ins Kloster als Witwensitz, als Mietzahlung für die Wohnung, bei Lehen, die aus einer Geldrente bestehen, beim Verkauf ganzer Lehenskomplexe für über tausend Pfund usw.

Mit Handel und Finanzen lassen sich längst Vermögen erwirtschaften. Cives wie die Mailänder Ermenulfi, zugleich eques, leihen einem Erzpriester auf dem Lande schon einmal 70 Pfund und eine Tochter kann dann auch in eine vornehme Kapitanenfamilie einheiraten. (KellerOberitalien, S.122)

 

Ein Trend, der bereits früher begonnen hat, ist die handwerkliche Arbeitsteilung durch Spezialisierung, die durch einen wachsenden Markt ermöglicht wird. Weitere Aufteilungen sind die in Produktion und Handel und die Abtrennung eines Bankgewerbes vom übrigen Handel.

Das Handwerk als produktive Basis städtischen Lebens ist zunächst schlechter dokumentiert, da es zunächst nicht Reichtümer hervorbringt wie der bearbeitete Boden von Grundherren oder Handel und Finanzbewirtschaftung. Aber wenn Mailand bis 1200 auf weit über 100 000 Einwohner ansteigt und zur bevölkerungsreichsten Stadt Italiens wird, beruht das zunächst einmal auf seinem metallverarbeitenden Gewerbe und insbesondere der Waffenproduktion und zudem seinen textilen Gewerben. 

 

Beispiel Toskana: Ressourcen, Produktion, Handel und Finanzen

 

Zwischen Genua, Mailand und Venedig entfaltet sich städtisches Leben getrieben von zwei Handelshäfen und der Textil- und Metallproduktion im Binnenland der fruchtbaren Poebene. Das Hügel- und Bergland der Toskana entwickelt sich aufgrund seiner Lage und geographischen Besonderheiten etwas anders.

 

Der antik-römische Handelshafen Pisa erholt sich langsam im 8./9. Jahrhundert wieder. Im 10./11. Jahrhundert wächst er mit seinem Handel und kann bald seine Bevölkerung nicht mehr ohne Importe ernähren. 1004, kurz nach einem Sieg über Lucca, gelingt es Sarazenen, teilweise in die Stadt einzudringen, im Jahr darauf schlägt eine pisanische Flotte sie bei Reggio. 1011 dringen nunmehr spanische Muslime in die Stadt ein und besetzen zudem Sardinien.

Es greift bald mit Handel und Gewalt aus nach Korsika. Sardinien wird 1015/16 in zwei Kriegszügen vom Herrscher von Denia befreit. Damit beginnen die oft kriegerischen Konflikte um die Inseln, wobei die Papstkirche besonders dann unter Gregor VII. hoheitliche Ansprüche stellt.

Mit Sizilien und Nordafrika wird wieder Handel betrieben, und Pisa besorgt von dort das Getreide für die eigene Bevölkerung und den Warentausch. Zugleich wird von dort und insbesondere von Elba Eisen bezogen, welches ebenfalls nicht zuletzt auch in verarbeiteter Form als Handelsware dient. 1034 macht eine pisanische Flotte einen ersten Eroberungszug nach Nordafrika

Handel und Gewalteinsatz führen zur Konkurrenz mit Genua, obwohl beide auch (manchmal gemeinsam) daran interessiert sind, die islamische Prädominanz insbesondere auf dem Wasser zurückzudrängen. Handelsinteressen führen so zu

immer wieder aufflackernden Kriegen zwischen den beiden Seestädten. Die Ausrüstungen für den Krieg treiben wiederum Produktion und Handel voran. In den 1060er Jahren ist Pisa dann so stark, dass es sogar Palermo angreifen kann. 1072 haben Normannen Palermo erobert. 1087 sind Pisaner mit den Genuesen Hauptbeteiligte eines von Papst Victor III. initiierten Kriegszuges nach Mahdia. Ende des 11. Jahrhunderts haben Pisaner Niederlassungen in Konstantinopel und Kairo, bald danach auch in Alexandria. Dass sowohl Genua wie Pisa sich am ersten Kreuzzug beteiligen, tut dem keinen Abbruch: Handel und Religion sind längst getrennte Angelegenheiten, die sich nicht mehr gegenseitig beeinflussen. INzwischen ist auch die Gemeindebildung beider Städte weit fortgeschritten.

 

Waffen liefern nicht nur Mailand und Brescia (in gehobener Qualität), sondern auch die tuszischen Produzenten bei Pescia und von Pistoia, die erst deutlich später von denen in Florenz überrundet werden. Das Eisenerz nicht nur von Elba gelangt über den Arno und das Elsatal in die bewaldeten Hügel, wo es mit Wasserkraft und Holzfeuer prozessiert wird. Kapitaleigner stellen Subunternehmer ein, die das Erz der Verarbeitung in Unternehmungen (Mühlen, Hütten und Schmelzöfen) zuführen, und davon einen Großteil an das größere Kapital zurückgeben und den Rest selbst vermarkten.

Erze gibt es nicht nur auf diesen Inseln, sondern auch im toskanischen Binnenland, insbesondere in den danach benannten colline metallifere südlich von Volterra. Zusätzlich gibt es dort Quecksilber und Schwefel.

 

Wanderherden zwischen Appeninenhängen und den südwestlichen Maremmen liefern Wolle wenn auch eher einfacher Qualität, was die Ausgangsbasis für Tuchproduktion in den meisten größeren Städten liefert. Safran von San Gimignano und Arezzo, Färberwaid von Borgo San Sepolcro und Arezzo und von letzterer Stadt zudem Krapp geben den Tuchen Farben, und die können mit Alaun von Piombino fixiert werden. Damit kann den besseren Tuchen aus Flandern kaum Konkurrenz gemacht werden, aber auch sie sind ein Handelsgut.

 

In enger Nachbarschaft zu Pisa und in Konkurrenz bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzungen steht Lucca mit seinem kleinen Seehafen Motrone und zudem in enger Kooperation mit dem großen Handelshafen Genua. Bevor in der Stadt selbst Seide hergestellt wird, importiert sie Seidenstoffe aus Byzanz und exportiert einfache Tuche vor allem aus lokaler Produktion. Die Prägung eines eigenen Silberdenars schon im 10. Jahrhundert weist die Stadt als aufsteigenden Handels- und Finanzplatz aus.

 

Ähnlich wie Lucca liegt auch Siena mit seinem Hospiz Spedaledi Santa Maria della Scala an der Pilger- und Handelsstraße Via Francigena, die von weit im Norden bis nach Rom führt. Auf einem Hügel ohne guten Zugang zu Wasserkraft und einer ohnehin problematischen Wasserversorgung entwickelt sich keine nennenswerte textil- oder metallbasierte Produktion und der Ort bleibt bis ins 12. Jahrhundert wohl auf eher bescheidenen Handel angewiesen.

 

Die Mauer von 1070 umfasst zwar bereits eine beachtliche kleine Stadt Florenz, aber die Stadt scheint kaum bedeutender als Siena in dieser Zeit. Dabei hat sie mit dem Arno flussabwärts ab Signa einen Schiffsweg und damit zugleich auch beachtliche Wasserkräft, zunächst einmal für Getreidemühlen. Zudem versorgt das weite Tal die Stadt auch noch ausreichend mit Nahrung. Möglicherweise behindern die Adelsnester auf den Hügeln der Umgebung und die Konflikte des Stadtadels untereinander waren möglicherweise besonders gewalttätig und behinderten vielleicht auch das Verschmelzen der alten Magnatenfamilien mit denen der aufsteigenden neuen Kaufleute. Nur aus wenigen Quellen kann Handel bis in die Poebene bei einzelnen erschlossen werden.

 

Gemeinde/Kommune

 

Die Stadt begreift sich zunächst als Gemeinde sowohl in ihrer Unterordnung unter den Bischof und seine hochadeligen Vasallen wie auch in der Volksversammlung mit ihren Aufgaben der Bischofswahl, des Mauerbaus usw.. Die Geschichtsschreibung trennt gerne davon die Entwicklung zur "Kommune", obwohl das Wort zunächst einmal dasselbe bedeutet. Gemeint ist dabei oft die Lösung der Stadt aus ländlichen Zusammenhängen, was so in der Nordhälfte Italiens nicht geschieht, wiewohl die Mauern die Städte vom Land trennen, und zudem die Entwicklung zu einer alle Stände umfassenden gemeinschaftlichen Verwaltung als "Kommunalisierung".

Die Defragmentierung der Stadt soll aus an Geschlechtern hängenden Privilegien gemeinsam kontrollierte Institutionen macht. Die Verämterung soll das Privatinteresse Privilegierter in ein Gemeinschaftliches überführen, und dazu dient die Verrechtlichung, die sich des Wiederauflebens des antik-römischen Rechtes bedient: In Städten soll Staatlichkeit neuen Typs auf alten Fundamenten wachsen.

 

Das Eigenschaftswort communis geht dem Substantiv als "politische" Bezeichnung von Städten lange voraus. In unserem 11. Jahrhundert taucht es für italienische Städte noch kaum auf. Das im Wort, ob Adjektiv oder Substantiv,  gemeinte Gemeinsame bleibt vage, grenzt aber einen öffentlichen Raum, die res publica, von den res privata ab.

 

Gemeinschaftlichkeit üben nicht nur Händler in Zusammenschlüssen für ihre Interessen, sondern zunehmend auch produzierendes Gewerbe. Bei Pitz ist ein Auszug aus den Vereinbarungen der Schuhmacher von Ferrara von 1112 abgedruckt:

Und wir alle, die wir hier hier versammelt sind im Namen des Herrn, versprechen, jeden einzelnen von unseren Brüdern zu besuchen, wenn er krank ist … Und am Tage, da ein Mann oder eine Frau gestorben wäre, wollen wir sie zur Kirche geleiten und ehrenvoll bestatten, und jeder von uns Brüdern soll des Toten Seele bei der Messe einen Veroneser Pfennig opfern und … zwei Veroneser Pfennige für die Kirchenlichter beisteuern. Und wenn einer von den Brüdern wegen irgendeiner Unachtsamkeit das Lichtergeld nicht gäbe oder kranke Brüder nicht besuchte oder am Sterbetage die Gabe für die Seele eines Bruders nicht entrichtete, gebe er sechs Veroneser Pfennige zur Buße.

(…) Und wenn einer einen Schuster hat und einer von den Brüdern ihn abwerben will, soll er 20 Schilling bezahlen, und wegen Lehrjungen, die mit einem Meister verbunden sind, soll er 20 Schillinge von Verona zur Buße geben. Und wenn jemand sein Grundstück einem von den Brüdern bis zu einer bestimmten Zeit übergeben und er den Preis nicht bezahlen will, soll er in der Gewalt der anderen Brüder sein. Und wenn er es unter den Brüdern nicht bessern will, sollen sie mit ihm bis zu Gerichte gehen... Und wenn ein Bruder gestorben ist, und eine Tochter bleibt zurück und nimmt einen Schuhmacher zum Mann, so soll er dessen Werkbank haben, wenn er in unserem Verbande ist, Und wenn er nicht in unserem Verbande ist, soll es im Ermessen des Vorstehers liegen. (Pitz, S.328f)

 

Gemeinschaft übt auch der Adel auf ganz andere Weise. 1015 taucht in den Beneventer Annalen eine communia pacis des Adels auf, die sich um 1050 als die zwanzig nobiles et boni homines institutionalisiert, wobei letztere wohl großbürgerliche Kapitaleigner sind wie auch anderswo. Eine ähnliche städtische Elite wird auch für Gaeta, Amalfi, Bari oder Neapel dokumentiert (Stoob in: Frühgeschichte, S.8)

 

In Konsorterien (Geschlechterverbindungen und Verbindungen mehrerer Geschlechter miteinander) trägt er sein Konzept persönlicher Bindungen gegen das neue der Vereinigungen von Geschäft und Gewerbe in die Städte hinein. Zugleich ist der Adel aber traditionell als Kriegerkaste der gewalttätigen Konkurrenz untereinander verpflichtet, dem, was im deutschen Sprachraum als Fehde vertraut ist. Zu den Stadtwohnungen des Adels kommen so rechteckige Turmbauten, Wehrtürme, die wohl meist nicht dauerhaft bewohnt werden, vielmehr als Festungen der Geschlechter und ihrer Verbindungen dienen. Von ihnen aus tragen sie ihre Konflikte gewaltsam auf Straßen und Plätzen aus, nicht immer ohne nichtadeligen Anhang. Von ihnen aus kontrollieren sie aber auch die gemeinsame Aufrechterhaltung ihrer Privilegien.

Gemeinschaftlichkeit findet in den städtischen Klöstern statt und in der hohen Domkurie, in der Vertreter des Hochadels versammelt sind, auch wenn dort gegen alle früheren Bestimmungen kein gemeinschaftliches Leben stattfindet, sondern Verwaltung von Reichtümern und Macht.

 

Lokalpatriotismus mit der Stadt als patria war schon vorgegeben durch ein Gemeinschaftsgefühl gegen Bedrohungen von außen in den unsicheren Zeiten vor der Entstehung der Kommunen. Symbolisch dafür standen Heilige wie Ambrosius in Mailand, mit dem die Eigenständigkeit der Mailänder Kirche begründet wurde, Gimignano in Modena oder Zeno in Verona.

Erhalten sind drei lateinische Lobgedichte aus Spätantike und Frühmittelalter, in denen Geistliche die große Vergangenheit ihrer Städte feiern: der Versum de Mediolano civitate, der Versus de Verona und De situ urbis Mediolani. Dazu kommt nun von Mosè del Brolo ein Loblied auf Bergamo, von einem Laien geschrieben.

 

***Mailand und die Lombardei in der ersten Hälfte des Jahrhunderts***

 

Im quellenarmen Dunkel früher städtischer Entwicklungen taucht etwas deutlicher Mailand auf, wo im Rückblick der Chroniken Bischöfe immer mehr Macht gewinnen. In der Geschichte Mailands des Landulf Senior erscheint ein Erzbischof Ambrosius Bonizo, der unter den ersten Ottonen velut dux castra regiert haben soll (KellerOberitalien, S. 222). Von ihm übernimmt Sohn Landulf 979 das Amt und regiert es offensichtlich genauso autokratisch zusammen mit seinen Brüdern, was 980 zum Aufstand gegen ihn führt, wiewohl er bis 998 als Erzbischof bezeugt bleibt. Quellen beschreiben, dass er dann in großem Stil "Vorrechte und Einkünfte als bischöfliche Lehen" ausgeben muss (Zumhagen, S.22)

 

In derselben Zeit kommt es in der Handelsstadt Cremona offenbar immer wieder zu Konflikten zwischen dem Bischof und Gewerbe betreibenden cives, wobei letztere sich an den bischöflichen Zollrechten, insbesondere dem Hafenzoll, und seinen Handels- und Gewerberechten reiben. Um 1030 vertreiben sie ihren Bischof, zerstören Häuser der familia ecclesiae und die alte Stadtbefestigung. Offensichtlich gibt es eine eigenständige städtische Miliz und die Kraft, schnell eine neue Stadtmauer zu errichten, die die Händler- und Handwerkervorstädte einschließt. Der nächste Bischof hat es dann schwer, sich in der Stadt durchzusetzen.

 

Stoob fasst die wirtschaftliche Bedeutung der um Mailand zentrierten Lombardei so zusammen: " Sie beruhte (...) auf der Zusammenführung von über die Seestädte Genua und Venedig einströmenden Warengütern des Orients, vor allem der Seide, der levantinischen Farben und Spezereien, der pontisch - kleinasiatischen Weine und Wolle, mit den an der Alpenrampe und auf dem Apennin erzeugten, hohen und verfeinerten Textilqualitäten auf der Basis zielbewusster Schafzucht, ferner auf dem von Bergamasker Erzen gespeisten Mailänder Metallgewerbe, auch der Eisenverarbeitung, und nicht zuletzt dem Salz- Korn- und (später auch) Reishandel der Brescianer und der Cremonesen. (in: Frühgeschichte, S.8)

 

Der Anteil der weltlichen Führungsgruppe der Stadt an Handel (und Produktion) ist schwer nur noch zu erkennen. Deutlicher erkennbar ist ihre zentrale landwirtschaftliche Basis, aber auch das ist nicht ganz einfach, denn neben Allodialbesitz verfügen die Großen vor allem über Lehen von Kaisern und Bischöfen, die oft nicht in Dokumenten überliefert sind oder auch gar nicht schriftlich fixiert wurden, anders als Verpachtungen.

 

Letzter starker Bischof in Mailand ist Aribert, den laut Arnulf 1018 die maiores der Stadt einsetzen. Eine Zwischenetappe im Abstieg bischöflicher Macht ist für ihn der Valvassorenaufstand von 1035/37 samt dem Eingreifen Konrads. (siehe ...)

Schon im Valvassorenaufstand werden Mailänder cives beteiligt, vermutlich eben auch nichtadelige, die sich laut den St.Gallener Annalen für 1035 als Schwureinung konstituiert haben sollen.

 

Für Elke Goez führt unter anderem auch die Verschuldung der Bischöfe bei ihren Domkapiteln und Bürgern zum Niedergang ihrer Macht (Goez, S.123). Wichtiger ist aber wohl die zunehmende Partizipation des Adels an seiner Herrschaft und die des "Volkes" darunter, wie sie besonders in Konflikten, Kriegen und bürgerkriegsähnlichen Zuständen deutlich wird.

1038 muss der Bischof von Brescia der Stadtgemeinde zugestehen, im Stadtbereich keine Kastelle und Befestigungen mehr ohne ihre Zustimmung zu errichten. (Zumhagen, S.137 mit Quellenzitat).

 

In der Auseinandersetzung mit Konrad II. mobilisiert Erzbischof Aribert in größerem Maßstab die urbani. Um das Gemeinschaftsgefühl über die Standesgrenzen hinweg zu steigern, stiftet Aribert den Fahnenwagen, carroccio, wie er später u.a. auch in Florenz auftaucht. Es ist von Ochsen gezogener reich geschmückter Karren, mit dem das städtische Militär von nun an in die Schlacht zieht.

In der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts wird sich dann erweisen, dass Krieg und popularer Aufstieg einerseits zusammengehören und zum anderen aber auch überständisch gemeinschaftsbildend wirken.

 

Diejenige Gemeinschaftlichkeit, aus der heraus sich eine neue kommunale Bewegung entwickeln wird, findet aber vor allem in der althergebrachten Volksversammlung, concio, und der Veränderung von Funktion und Bedeutung statt - bis hin zur concio militum et civium 1118.

 

1042 verteidigt der populus (bzw. cives) unter Führung des adeligen Lanzo in Mailand einen der Seinen gegen einen Adeligen. Offenbar kommt es zu aufstandartigen Unruhen. Der Adel zieht darauf aus der Stadt aus und begibt sich auf seine Landgüter. Der kranke Bischof folgt bald nach. Beide Seiten bilden eine Schwureinung (mit iuramentum). Die milites-Gruppe aus "Rentiers, Kommerz und Richtern" (Wickham(1), S.23) wendet sich gegen zunehmende adelige Willkür im Zusammenhang mit der verstärkten Beteiligung des Adels an der Stadtherrschaft.

Unter dem Eindruck des herannahenden Heinrichs III., dem Lanzo möglicherweise mit der Bitte um Vermittlung entgegen geht, und nachdem derselbe Lanzo die Adeligen bittet, zurückzukehren, um Schaden von der Stadt abzuwenden, kommt es "erst zu gegenseitigem Verzeihen, zur Vereinbarung einer allgemeinen Amnestie  und schließlich zu einem von allen beschworenen Friedensbund." (Zumhagen, S.79 nach Landulf Senior und Arnulf). Schließlich vermittelt Heinrich III. einen auf Konrads Konstitutionen basierenden Frieden. Kurz darauf stirbt Aribert.

 

Es folgen in den nächsten Jahren weitere Konflikte und Friedensschlüsse. 1045 reist eine Mailänder Abordnung aus Adel und Volk zu Heinrich III., um die Bestellung eines neuen Bischofs zu erbitten. Der setzt unter Mitwirkung der collectio der cives (Landulf Senior) seinen Hofkapellanen Wido von Velate ein, den das Domkapitel nur widerwillig akzeptiert, dessen große Kapitanenfamilien der Kaiser damit übergangen hat. Spätestens nun beginnen die Machtkonflikte in der Stadt sich mit kirchlich-religiösen Fragen zu verbinden, denn bald wird Wido/Guido als simonistisch denunziert werden, da er vom Kaiser gegen erklärten Willen in der Stadt in sein Amt gehievt wurde.

 

***Reform***

 

Die entscheidenden ersten Schritte hin zu einer Kommune haben als Rahmenbedingung die Kirchenreform und den Konflikt zwischen Kaisern und Päpsten. In der Nordhälfte Italiens geht es dabei zunächst vor allem um den Simonie-Vorwurf, also die übliche Praxis, handfeste Gegenleistungen bis zu Geldzahlungen für den Eintritt in ein kirchliches Amt zu leisten. Von dort ist es nur ein kleiner Schritt bis zur Kritik an der "aristokratischen" Lebensführung vor allem des höheren Klerus, seinem Luxus und seiner Verweltlichung.

Während die Kritik soweit eine ständische und fast schon "machtpolitisch" nutzbare Komponente hat, trifft der zweite Vorwurf der Unkeuschheit nicht zuletzt auch die niedere Geistlichkeit, die in direkterer Nachbarschaft zu den einfachen Laien lebt und dort oft offen als Ehe und sogar Familie oder wenigstens als Konkubinat stattfindet. Dies war über lange Zeiten zumindest geduldet worden, sei es, weil Sexualität im allgemeinen Bewusstsein noch nicht so durchdringend christianisiert/diabolisiert war, sei es, weil die Geistlichen der Pfarreien ganz praktisch der Familie als wirtschaftlichem Rückhalt in ihrer relativen Armut bedurften.

Dass unterhalb der Kirchenorganisation nun zumindest einzelne Laien besorgt sind darüber, ob die Magie der Sakramente bei verheirateten bzw. sexuell aktiven Priestern Schaden leiden könnte, könnte als fortschreitende Christianisierung gedeutet werden, aber auch als Verstärkung des "heidnisch"-magischen Elementes im Christentum der Leute. Auf jeden Fall wird anders als bei den (wenigen) evangelisch-jesuanisch orientierten und auf größeren Abstand zur Kirche gehenden Leuten nun Religion zu einem mobilisierenden Faktor.

 In dem Ruf nach Reformen verbinden sich geistliche Kirchenkritik mit solcher aus den unteradeligen Schichten, die bislang kaum überliefert ist. In den Konflikten wird dann in bisher wohl nicht dagewesener Weise der plebs bzw populus mobilisiert und auf die Straße gebracht. Er erhält dabei eine Wichtigkeit, die sein Selbstbewusstsein steigert.

 

Die bisherigen Gewohnheiten, consuetudines, die sich ganz praktisch gegen kirchenchristliche Normen durchgesetzt hatten, geraten in Verruf genau mit den letztlich wirtschaftlichen Veränderungen auf dem Lande und in den Städten, die in ständische Schichtungen und das steigende Selbstbewusstsein eines frühen unteradligen Unternehmertums münden. Einzelne Fromme erst in Burgund und Lothringen, dann auch in der Nordhälfte Italiens reformieren Klöster auf dem Lande und gründen neue Gemeinschaften, die auf Armut und gemeinschaftlichem Leben basieren. Fromme Eremiten in Höhlen und Wäldern gewinnen an Prominenz und schließen sich mit anderen zusammen. Sogar mitten in größeren Städten hausen Einsiedler von zunehmender Popularität.

Während dieser neue religiöse Aufbruch mit seiner Unruhe, die er in die Städte bringt, dadurch in die Spitzen der Kirche integriert werden kann, dass diese nach und nach solche Positionen übernimmt, was zunächst auch von Herrschern wie Heinrich III. unterstützt wird, beginnt zugleich nach der ersten Jahrtausendwende eine zweite Entwicklung, die sich von der Kirche zunehmend löst und als häretisch verfolgt wird. Die ersten Abweichler werden nun verbrannt. Dann wird auf dem Weg zu Papst Gregor VII. dieser Häresiebegriff immer stärker ausgeweitet: Wer sich der Reformbewegung widersetzt und dann auch nicht unterordnet, wird zum Häretiker.

Deutlich wird auf dem Weg von den vielfältigen Gebräuchen, Traditionen, consuetudines zu einer dogmatisch sich verengenden Welt der "Wahrheit", veritas, wie Gregor VII. das formuliert, eine neue Unduldsamkeit, die die Freiheit (libertas) der Kirche als Unfreiheit in der Hierarchie begreift und als Unfreiheit der Laien gegenüber ihr. Dabei kommt es geradezu zu einer anschwellenden Regulierungswut, die zudem nicht nur ein reguliertes Lehnswesen und dann neuartige Gesetzgebung, sondern immer detaillierter auch die Städte betreffen wird. Dort beginnt diese Entwicklung auch als Veränderung der Einwohnerversammlung, die nicht mehr nur Entscheidungen "von oben" abnickt, sondern vermittels von Wortführern beginnt, selbst welche zu treffen.

 

Was sich soweit als Zunahme von Konflikten darstellt, trifft aber auf den neuartigen christlich unterfütterten Friedensgedanken, wie er den nördlichen Mittelmeerraum von Katalonien bis in die Poebene erfüllt und der den Wunsch nach einer Friedensordnung in der Stadt christianisieren hilft. An vielen norditalienischen Städten im Aufbruch wird dann deutlich, wie immer wieder Konflikte bewusst zugespitzt und gewalttätig werden, um dann in neue Friedenssehnsucht zu münden.

 

***Pataria und Partizipation***

 

Seit der Mitte des 11. Jahrhunderts wird Mailand in die Konflikte um Kirchenreform und die zwischen Kaiser und Papst besonders augenfällig hineingezogen. Gegenüber bischöflicher Stadtherrschaft und der Macht des Kriegeradels aus Capitanen und unter ihnen stehenden Valvassoren, die der erste salische Herrscher fast rechtlich gleichgestellt hatte, wird ein durch Handel und Gewerbe reicher werdendes neues Bürgertum erkennbar, welches zunehmend Mitsprache in der Stadt erlangt. In Konfliktsituationen treten dabei auch kleine Händler, Handwerker, Lohnarbeiter und immer einmal wieder auch Frauen auf.

 

In Mailand ist die Priesterschaft gespalten in ihre vornehmlich dem Domkapitel angehörende Oberschicht auf Kapitanen-Niveau und jene vielen decumani, die als officiales die tatsächlichen priesterlichen Betätigungen wie den Gottesdienst in den Hauptkirchen ausführen und darüber hinaus die Güterverwaltung betreiben.  Sie entstammen in der Regel Valvassoren-Familien und seltener denen wohlhabender negotiatiores, also reicher Kaufleute.

Die Trennung in die beiden ordines dokumentiert zum Beispiel eine Mailänder Urkunde von 1053: ... congregaverunt se domni ordinariii eiusdem sancte Mediolanensis ecclesie, presbiteri, diacones, subdiacones, notarii, lectores cum primiceriis eorum, magistri scolarum seu custodes eiusdem ecclesie, et presbiteri de ordine decomanorum sancte Mediolanesis ecclesie.. (in: Zumhagen, S.70)

Auch die Dekumanen leben nicht gemeinschaftlich, sondern in gelegentlich bereits zweistöckigen besser gebauten Häusern, und betreiben laut den Vorwürfen der Pataria einen adeligen Lebensstil mit Jagdhunden und Falknerei, operieren als Güterverwalter, in Darlehensgeschäften (als "Wucherer") oder als Gastwirte.

 

Die überlieferte Kritik am Klerus beginnt mit einem Diakon Ariald, und sie schließt auch nicht die Klöster ein, die auffallend still bleiben. Um 1055 predigt e in Varese gegen die Unkeuschheit Mailänder Priester, dann in Mailand bald auch gegen die Simonie.  Ihm schließt sich als Mitglied des Domklerus der aus einer Kapitanenfamilie stammende Landulf an. Unterstützung erhalten sie aus allen Schichten, so auch zumindest von einem Münzer. Diese Leute sind nicht nur in Mailand "durch ihre Transaktionen mit Grundbesitz geschäftlich eng mit dem hohen (...) Klerus verbunden, sie wickelten Investitionen und Geschäfte der hohen kirchlichen Institutionen Mailands ab." (Zumhagen, S.47)  Zudem sind sie selbst große Grundbesitzer.

Mehr noch werden sie von einigen niederen Priestern unterstützt, was die Hierarchie des Klerus aus ordines des hohen Domklerus und Dekumanen zu untergraben droht, und vor allem dann aus dem unteradligen "Volk" (pauperes bei Bonizo) und seinen wirtschaftlich erfolgreichen Reihen (Zumhagen). Sie bleiben allerdings genauso wie die explizit bischöfliche Partei eine deutliche Minderheit in der Stadt.

 

Um Massen zu mobilisieren, muss auf Straßen und Plätzen Öffentlichkeit hergestellt werden. Am 10. Mai 1057 nutzen die Patarener die religiös aufgeheizte Stimmung der Bevölkerung bei der Translation des heiligen Nazarius dazu, den Klerus in einer Volksversammlung zur Unterschreibung eines Dekretes 'de castitate servanda' zu zwingen. "Die Kleriker wurden damit verpflichtet, sich von ihren Frauen zu trennen und keusch zu leben oder aber ihre Priesterwürde, ihre Kirchengüter und auch ihren Eigenbesitz zu verlieren." (Zumhagen, S.94) Das ist deutlich härter, als es das kanonische Recht vorschreibt, und war zudem noch durch spontane Angriffe der Straße verstärkt.

 

Vorausgegangen war folgendes: Laut Landulf Senior schlägt ein Angehöriger des Mailänder Domklerus Ariald wegen dessen beleidigenden Äußerungen über die ambrosianische Geistlichkeit. Darauf laufen Landulf und mehrere andere Patarener unter lautem Geschrei zum Theater, dem Ort der Volksversammlung. Man läutet die Glocken und schickt von dort dann die Boten, um alle zu versammeln.

Itaque missis percivitas vicos et pateas cartulis hominibus, perstrepentibus tintinnabulis multis et magnis, ac garrulantibus feminis, quatenus omnes tam iuvenes quam senes, tam sapientes quam insipientes, tam probi quam improvidi unanimiter convenientes, quae aedificationis ac animae salutis forent, auribus audirent attentis, satagebant. Itaque civibus convocatis universis. (in: Zumhagen, S.82) Als alle da sind, hält Ariald eine Rede. (Landulf Senior III, Keller in: Investiturstreit, S.338)

 

Durch das laute Schreien des Opfers wird nicht nur vor den Augen aller Anklage erhoben, sondern die städtische Gemeinschaft wird um Schutz und Bestrafung angerufen und das dafür notwendige sofortige Zusammenfinden der städtischen Gemeinschaft betrieben. Landulf betont dabei die teilweise fragwürdige Kompetenz der versammelten Bevölkerung zur Urteilsbildung.

Offensichtlich ist inzwischen so aus einer Versammlung, in der Beschlüsse von oben abgenickt werden, eine geworden, in der vielerseits Anliegen vorgetragen und Streitfragen geklärt werden können - und zwar mit dem vorrangigen Ziel der Friedenssicherung.

 

Bischof Wido bittet den Papst um Hilfe, und Stephan IX. lädt zur Synode von Fontaneto bei Novara ein. Wido sorgt dort dafür, dass Ariald und Landulf exkommuniziert werden. Als er im Spätherbst 1057 zurückkehrt, wird er "vom Volk" gezwungen, mit beiden öffentlich darüber zu diskutieren. Am Ende wird er vor die Alternative gestellt, die Exkommunikation zurückzunehmen oder aber die Stadt zu verlassen. 

Die papstkirchlich römischen Reformer, nach Bundesgenossen auch militärischer Art suchend, veranlassen durch die Legaten Damiani und Anselm von Lucca darauf ein iuramentum commune, welches den Bischof und Domklerus mit den Laien in eine Schwur-Einung gegen Simonie und Priesterehe zwingt. Während Damiani und der spätere Reformpapst zum Dämpfen der teils brutalen Gewalttätigkeiten in der Stadt zu vermitteln versuchen, scheint Hildebrand sich einseitig auf die Seite der Pataria-Laien zu stellen und diese womöglich gegen die sündige Priesterschaft sogar aufgewiegelt zu haben Das Mailänder placitum Dei wird bald als Pataria bekannt, wobei der Ursprung des Namens nicht klar ist.

 

Während so eine im Kern kleine Gruppe versucht, die Bevölkerung gegen Priester-Konkubinat und Simonie in Bewegung zu setzen, findet parallel 1057-61 ein Krieg gegen Pavia statt, in dem die städtischen Milizen unter Beteiligung des Populus Einheit demonstrieren, und der mit dem Sieg in der Schlacht von Campo Morto endet.

 

Städtische Autonomie, von Bischof, Domklerus und Stadt stark über den eigenen "ambrosianischen" Ritus lokal-kirchlich definiert und durch Nicht-Teilnahme an päpstlichen Synoden demonstriert, trifft derweil auf ein Autonomie-Begehren, welches auf neuen Formen von Öffentlichkeit beruht, die in der Volksversammlung konzentriert sind.

 

Nach und nach kommt es zu mehr öffentlichen Akten der Aggression. Ausgangspunkt ist wohl oft das patarenische Auftreten gegen "unwürdige" Priester. Berichtet wird von Andreas von Strumi, wie Ariald mit seinen Anhängern in den Gottesdienst eines solchen eindringt, vom Priester verlangt, den Altar zu verlassen, und ihm das Messgewand zerreißt, als dieser sich weigert. Vor der Kirche erhebt der so Misshandelte laute Klage und Volk dringt in die Kirche ein und bedroht Ariald, der die Leute nur mühsam beruhigen kann. (Vita Sancti Arialdi, in Zumhagen, S.65 nacherzählt.) Im Theater, dem Ort der Volksversammlung, wird einem unwürdigen Priester "ein Schandmal auf die Stirn gebrannt." (Zumhagen S.71)

 

Eine päpstliche Legation unter Petrus Damiani und Anselm da Baggio/von Lucca aus einer Mailänder Capitanenfamilie soll 1059 die Wogen glätten. "Bei der öffentlichen Schlussverhandlung ließ Petrus Damiani nicht den Erzbischof, sondern seinen Mitlegaten Anselm da Baggio zu seiner Rechten sitzen. Der Erzbischof war dazu bereit; wie Petrus an Hildebrand schreibt, hätte Wido auch zu seinen Füßen auf einem Schemel Platz genommen.Doch die Mailänder sahen darin eine Minderung der honor sancti Ambrosii: mit Kirchenglocken und Tuben rief man die Einwohnerschaft zusammen. Die Menge strömte so drohend zum Bischofspalast, dass Petrus schon glaubte, seine letzte Stunde hätte geschlagen." (H.Keller in: Investiturstreit, S.342)

Die lauthalse und tumultuarische Empörung der Mailänder "Lokalpatrioten"  wendet sich gegen die Pataria. Landulf wird verletzt. Im Ergebnis wird die reformunwillige Mailänder Geistlichkeit nur milde bestraft. Für die Mailänder Orthodoxie ist das aber schon zuviel.

Die Mailänder halten aber ungeachtet dieser ganzen Entwicklung an der königlichen Investitur der Bischöfe fest, auch wenn sie zunehmend Wert darauf legen, ihn selbst auszuwählen.

 

Im selben Jahr wird Bischof Adelmann von Brescia von empörten Klerikern verprügelt, als er die Beschlüsse der Lateransynode gegen Simonie und Klerikerkonkubinat verkündet. In dieser Zeit zeichnet sich laut Bonizo von Sutri eine stärker auftretende Pataria in Brescia ab. Andererseits beginnt nach ihm die Reihe reformfeindlicher Bischöfe in der Stadt.

In derselben Zeit taucht auch in Cremona eine Pataria auf.

 

1061 wird Anselm da Baggio mit Erzdiakon Hildebrands Unterstützung Papst gegen den Widerstand eines Teils der Römer, die Cadalus bevorzugen.

 

Zurück nach Mailand: 1062 stirbt Landulf an den Folgen seiner Misshandlungen und wohl spätestens 1064 übernimmt sein Bruder, der Capitan Erlembald, mit seinem Gefolge von Vasallen und Lehnsleuten und seinem Verwandtschaftsverband die Führung der Pataria, die nun zunehmend auch eine militärische Unternehmung und zugleich "politischer" wird. Kritik an der Vergabe kirchlicher Lehen an Laien wird lauter und Ariald und Erlembald durchbrechen das Vergabemonopol des Erzbischofs auf wichtige Abtsstellen, die oft teuer zu erkaufen waren und mit ihren großen Besitzungen Machtpositionen darstellen. Die patarenische Verfügung über Ämter und Würden schließt aber deren hochadelige Gegner davon aus.

 

Im selben Jahr 1064 schickt ihm, einem Laien, Papst Alexander II. das sogenannte vexillum sancti Petri. Ihm gelingt es 1066 in Rom, die Exkommunikation des von Heinrich III. 1045 eingesetzten Mailänder Erzbischofs Wido zu erreichen. Wido rechtfertigt sich im Pfingstgottesdienst darauf gegenüber den Führern der Pataria, die ebenfalls anwesend sind und das Streitgespräch suchen. Die Bevölkerung empfindet das päpstliche Verhalten als Beleidigung ihrer Stadt. Als der Erzbischof sie auffordert, mit ihm den Dom zu verlassen, gehen fast alle mit. Die Stimmung schlägt gegen die Pataria um, man dringt erneut in die Kirche ein, Laien gehen auf Erlembald los, Kleriker schlagen Ariald, den man dann für tot hält.

"Das Gerücht von Arialds Tod verbreitete sich rasch. Der militante Anhang der Patarener griff zu den Waffen, brach in den Bischofspalast ein, um von dort her in den Dom zu gelangen. Der Erzbischof, den man hierbei außerhalb der Kirche ohne jeden Schutz antraf, wurde misshandelt, dann wurden in der Kirche Erlembald und Ariald den Händen ihrer Gegner entrissen und im Triumph zur ecclesia Rozonis, dem Zentrum der Patarener westlich des Doms, geführt. In der folgenden Nacht organisierte sich die Gegenpartei. Empört über die unerhörte Tat schwor man sich gegenseitig, lieber zu sterben, als diese Vorgänge ungerächt hinzunehmen. Arnulf schildert den Vorgang so, als hätten sich die Mailänder wiederum in einem iuramentum commune zum Kampf gegen die Urheber der Vorfälle zusammengeschlossen." (H.Keller in: Investiturstreit, S.341)

 

In den nächsten Wochen finden getrennte Volksversammlungen statt, und der Anhang der Pataria schmilzt dahin. Darauf sieht sich Wido stark genug, über die Stadt solange das Interdikt zu verhängen, bis die Anführer der Pataria sie verlassen haben.Der Herr von Sta Maria fuori Porta nuova nimmt den Patarenern nun die Kirche weg. Ariald flieht heimlich und Wido verfolgt ihn persönlich. Eine Nichte Widos bekommt Ariald zu fassen, steckt ihn in eins ihrer Kastelle und lässt ihn dort umbringen.

 

Darauf kann Erlembald wieder viele hinter sich vereinen, und sie verhindern die Rückkehr des Erzbischofs und seines Gefolges. Als Arialds Leiche gefunden wird, wird sie zuerst nach San Ambrogio und dann nach San Celso gebracht, wo er als Märtyrer triumphal empfangen und verehrt wird, was der Pataria neuen Aufschwung gibt. Alexander II. bestätigt Arialds Martyrium. Mangels eines religiösen Führers und hinreichend vieler patarenischer Geistlicher knüpft die Pataria nun im Sommer Beziehungen zu den Florentiner Vallombrosanern. Im Jahr darauf schickt Erlembald patarenische Kleriker zur Weihe zu Johannes Gualbertus.

 

Für dies Jahr 1067 besitzen wir ein erstes Mailänder Dokument, in dem Popolo, Valvassoren und Capitane als Stände säuberlich getrennt auftauchen. In diesem Sommer wendet sich eine päpstliche Legation aber deutlich gegen die Tendenz von Laien, über Kleriker zu richten, was auf Zufriedenheit beim bischöflichen Establishment trifft.

 

Anfang 1071 übergibt Wido im Einverständnis mit Heinrich IV. das Amt des Erzbischofs an seinen Subdiakon Gottfried, der von den Patarenern und einem Großteil der Mailänder Bevölkerung abgelehnt wird. Er wird aus der Stadt und der Diözese ausgesperrt und dort von einem städtischen Aufgebot bekämpft.

Nach Widos Tod beschließen die Mailänder in einem iuramentum commune, gemeinsam einen Bischof aus dem Domkapitel zu wählen. Sie wenden sich gegen Erlembalds Versuch, einen papsttreuen Bischof durchzusetzen und bestehen darauf, ihren vom König investieren zu lassen.

Nun versucht Erlembald gegen diesen Beschluss mit Hilfe von Patarern aus Cremona und Piacenza seinen Kandidaten Atto durchzusetzen. Das wird von der Bevölkerung nicht hingenommen, die sich keinen Erzbischof mehr aufdrängen lassen möchte. Der Bischofspalast wird gestürmt, Atto wird von ihnen misshandelt, zum Dom gezerrt, wo er seine Abdankung beschwören muss. Dass der Papst ihn anerkennt und Erlembald weiter für ihn eintritt, hilft ihm nicht. Er kommt nicht einmal mehr in die Stadt hinein.

Gottfried wiederum wird von Heinrich IV. investiert und 1073 in Novara von lombardischen Bischöfen geweiht. Wohl im Gegenzug exkommuniziert Papst Alexander II. fünf königliche Räte.

Gestützt auf seine Verwandtschaft und Gefolgschaft in Stadt und Land, übernimmt Erlembald mit militärischen Mitteln die Führung in Mailand, während sich Gottfried zunehmend auf Besitzungen am Lago Varese (Castiglione) zurückzieht, wo er von einem städtischen Aufgebot angegriffen wird, in dem Patarer und ihre Gegner offenbar einträchtig kämpfen.

 

Als 1075 die Stadt brennt, greift eine wohl im Kern adelige Mailänder Schwurgemeinschaft Erlembald an und vermutlich ist es der Capitan Arnaldo da Rhò, der ihn tötet, zusammen mit vielen seiner Anhänger im Straßenkampf. Viele Mailänder Patarener fliehen nach Cremona, wo die Bewegung stark bleibt. In Mailand haben die Capitanen nun die Oberhand und stellen die Erzbischöfe.

 

***Florenz und die Vallombrosaner***

 

Die Rahmenbedingungen für die Reformbewegung in Florenz unterscheiden sich etwas von denen von Mailand. Mit dem Gewinn der Markgrafschaft Toskana versucht sich das Haus Canossa, welches dort kaum Eigenbesitz hat, stärker zu verankern. Dagegen stellt sich der Selbstständigkeitsdrang der großen gräflichen Adelshäuser wie der Guidi und der Cadolinger, die im 11. Jahrhundert kaum noch in der markgräflichen Curia auftauchen, die sich auf die Städte und ihre Bischöfe und den niederen Adel stützen muss.

 

Wie ein halbes Jahrhundert später im Südwesten Deutschlands beginnt der Adel über reformierte Klöster Macht zu gewinnen. Dabei versucht er den Einfluss auf sie dadurch zu gewinnen, dass sie durch päpstliche oder kaiserliche Schutzbestimmungen markgräflichen, bischöflichen bzw.städtischen Zugriffen entzogen werden. Zu diesem Zweck schließt er sich Vorstellungen von Klosterreform an.

Ein ganz frühes Beispiel ist die Gründung der heute noch erhaltenen Badia a Isola südlich von Poggibonsi durch die Grafentochter Ava 1001. In der Gründungsurkunde heißt es: ...wir setzen vor allem fest und bestimmen, dass kein Abt dort anders denn kanonisch und gemäß der Regel eingesetzt werde. Wenn aber zufällig einer mit Hilfe von Geld oder durch simonistische Ketzerei zum Abt gemacht wird, so soll er ohne Zaudern hinausgeworfen werden, und ein anderer, der würdig ist, soll seine Stelle einnehmen. (bei W.Goez in: Investiturstreit, S.222)

 

Lauro Martines erwähnt als besonders extremes Beispiel für die Einheit weltlich-aristokratischer und geistlicher Herrschaft und Lebensführung den 1025 gestorbenen Florentiner Bischof Hildebrand, der gemeinsam mit seiner Geliebten, der domina eüpiscopa Alberga, wie ein weltlicher Hocharistokrat Hof hält und sie auch in seine Ratssitzungen mitnimmt (S.14). Mit ihm stößt im 2. Jahrzehnt des 11. Jahrhunderts Abt Guarinos vom zu den Cadolingern gehörenden Kloster Settimo wegen des fehlenden Zölibats zusammen.

 

Als Johannes Gualbertus um 1035 San Miniato verlässt und auf dem Florentiner Wochenmarkt von einem Verkaufsstand herab gegen den simonistischen Abt und den Bischof predigt, wird er noch von einer empörten Menge verjagt. (siehe Großkapiel 'Kirche und Welt'). 1036 gründet er am Pratomagno das nicht mehr dem Bischof unterstehende Kloster Vallombrosa mit betont antisimonistischer Einstellung. Rund um Florenz lässt der Adel darauf seine Klöster von den Vallombrosanern reformieren.

 

Mitte des Jahrhunderts macht der Bischof, der auch Papst ist (Nikolaus II.), ein neues Baptisterium zu seinem zentralen Bauprojekt, während die Kathedrale Santa Reparata bestehen bleibt. Aber nicht sie, sondern der Täufer Johannes des Baptisteriums wird zum Stadtpatron. Vielleicht wegen der Nähe zum Bischofspalast auch dessen Palastkapelle, wird diese Taufkapelle überreich mit Bronzetüren und Mosaiken geschmückt. Erst im 13. Jahrhundert werden dann neue große Bauprojekte hinzu kommen.

 

Seit 1062 macht sich in Florenz der Verdacht breit, Bischof Petrus Mezzabarba sei durch Simonie ins Amt gekommen. Die Vallombrosaner rufen dazu auf, an der Messe an Altären, die Simonisten geweiht hatten, nicht mehr teilzunehmen; zunächst noch mit wenig Erfolg. Als sich dieser dann in den nächsten Jahren einstellt, verbietet Papst Alexander II. ihnen, dazu ihre Klöster zu verlassen und zum Volk öffentlich zu predigen. Aber sie machen weiter.

 

1067 versucht Petrus Damiani erfolglos, zwischen Mönchen und Bischof zu vermitteln. Kurz darauf lässt Gottfried von Canossa das vallombrosanische Kloster San Salvi überfallen. Als man Johannes dort nicht festnehmen kann, kommt es dort zu Misshandlungen der Mönche und zu Plünderungen. Die Mönche zeigen sich in diesem Zustand öffentlich, was bei den Menschen Empörung auslöst. Sie ziehen dann in das Cadolingerkloster San Salvatore auf dem Settimo um. Als sie aber zur römischen Synode im Frühjahr aufbrechen, treffen sie auf die unverhohlene Feindseligkeit der dortigen Bischöfe und auch von Damiani. Es ist dann Hildebrand, der sich für sie einsetzt, so dass sie wieder heimkehren können

Doch die Florentiner Geistlichkeit wendet sich nun auch gegen ihren Bischof. Als der Markgraf sie auffordert, sich unterzuordnen, lehnen sie das ab. Darauf treibt sie sein Militär bei der Feier der Osternacht in San Piero auseinander. Damit gewinnt die Forderung der Vallombrosaner nach einer Feuerprobe ihrer Position weiter an Zustimmung.

Im Februar 1068 findet sie vor einer großen Menschenmenge statt, und ein Vallombrosanermönch namens Petrus (seitdem Igneus) durchschreitet unversehrt die Kohlen. Bischof Petrus Mezzabarba, der vom Markgrafen von Canossa gedeckt war, wird nun vom Reformpapst Alexander II. fallen gelassen und flieht in das Kloster Pomposa im Podelta. Petrus Igneus macht eine steile Karriere in der Papstkirche.

 

Die Städte nutzen so zunehmend die Reformbewegung, um sich von den alten "feudalen" Mächten zu lösen. Als sich die Nachricht vom Tode Mathildes von Canossa 1114 verbreitet, versucht sich umgehend Mantua mit der Zerstörung der markgräflichen Burg zu befreien, was dann aber unter dem Druck Heinrichs V. erst einmal wieder zurückgenommen wird. (GoezMathilde, S. 74/193)

 

Der Weg ins Mailänder Konsulat (1075-1125)

 

Es sind Zufälle der Überlieferung, über die wir von Ausschüssen aus der "Bürgerschaft" erfahren, wie einem 30-Männer-Gremium zwischen 1066 und 1075, dass Vorwürfe gegen Kleriker untersuchen soll, oder von einem 12-Männer-Ausschuss in Cremona um dieselbe Zeit. 1081 nennt Heinrich IV. einen solchen für Pisa, der in der Volksversammlung gewählt werden soll. (Alles nach Keller in: Frühgeschichte, S.97). Um 1085 deutet sich dort eine Ratsverfassung an.

 

Mit dem Tod Erlembalds verringert sich der Einfluss der Mailänder Pataria deutlich, und mit der Wahl Tedalds durch Klerus und Volk nach Beratung in der Volksversammlung kehrt der innere Frieden zurück. Indem ihn Heinrich IV. investiert, eskaliert sein Konflikt mit Gregor VII. Gegen dessen Willen wird er in Piacenza geweiht und bald vom Papst wie die anderen lombardischen Bischöfe gebannt.

Nach Canossa kippt dann die Stimmung gegen ihn. Tedald flüchtet an den königlichen Hof, wo er erheblichen Einfluss gewinnt. Bis zu seinem Tod 1085 kommen die Mailänder dann ohne Bischof aus. Inzwischen scheint die Pataria auch in Piemont verankert zu sein: Bischof Benzo von Alba wird vertrieben.

1081 kommt Heinrich IV. nach Mailand und laut der viel später zusammengestellten Pegauer Annalen wird er dort von consules und primores empfangen, die laut Zumhagen von der Volksversammlung gewählte Repräsentanten der Stadt sind und den abwesenden Bischof vertreten, wobei "Konsuln" auch ein aus späteren Verhältnissen rückdatierter Begriff sein könnte (S.106ff). In Cremona setzt er Bischof Arnulf wieder ein und lässt die Pataria unterdrücken, die aber einige Zeit nach seiner Abreise wieder auflebt.

 

Ein Jahr nach Tedalds Tod wird dann 1086 in Mailand der eher kaiserlich gesinnte, aus der patariafeindlichen Kapitanenfamilie der da Rhò stammende Anselm III. gewählt (bis 1093). Urban II. setzt ihn ab, worauf er sich ins Kloster zurückzieht, um dann zwei Jahre später vom Papst wieder eingesetzt zu werden.

Mächtiger Hochadel (Visconti, da Rhò, da Baggio u.a.) und einige iudices und missi beherrschen das städtische Geschehen meist. (Wickham(1))

 

1090 kommt es zu schweren Konflikten zwischen populus et milites in Piacenza. Zunächst wird von der reformfeindlichen Seite der Partaria-nahe Bischof Bonizo (von Sutri) verstümmelt und vertrieben, dann ziehen die milites wie einst in Mailand vor der popularen Gewalt aus der Stadt aus, können aber dann bei einem Ausfall des populus die nun verteidigungslose Stadt wieder einnehmen. Alles endet in einer neuen Friedenseinung. (Zumhagen, S.165ff).

 

1093 bildet Mailand mit Cremona, Piacenza und Lodi einen Städtebund gegen den Kaiser.

Heinrichs Sohn Konrad wird nun in San Ambrogio auch die italienische Krone aufgesetzt. Mit Arnulf III. wird im selben Jahr der nächste Erzbischof eingesetzt. Erlembald wird derweil für die längst offen militante Papstkirche zum Idealbild des christlichen Kriegers.

 

Um die immer noch aktive Pataria ins Machtgefüge zu integrieren, wird vom Erzbischof zusammen mit Urban II. die Translation der Gebeine von Erlembald in die Basilika von San Dionigi durchgeführt (und 1099 die Überführung der Überreste von Ariald in dieselbe Kirche). 1096 predigt Urban II. vor einem Mailänder Massenpublikum dann auch darüber, quod minimus clericulus de ecclesia Dei est maior quolibet rege mortali, der niedrigste Geistliche, üblicherweise kein Adeliger, sei also größer als jeder sterbliche König. Derweil hat sich die Pataria in zwei Flügel gespalten, die sich vor allem auch schichtspezifisch unterscheiden. Die Gruppe der Illiteraten und Besitzlosen, wie sie ihre Gegner nennen, schließt sich enger an diesen radikal tönenden Papst Urban an und gewinnt so das Misstrauen der anderen, die ihnen Verlust der Eigenständigkeit Mailands vorwerfen.

 

Am Ende wird so die Bewegung von Kirche, Adel und bürgerlicher Oberschicht, denen Reformradikalismus und Partizipation städtischer Massen zu weit gehen, auch durch Integration abgewürgt. Was davon bleibt ist auch hier die Entwicklung einer neuartigen Vorstellung von Gemeinde, die das Stadtregiment als ein Gemeinschaftsprojekt (von Adel und schwerreichen Geschäftsleuten vor allem) betrachten möchte.

 

1093 bzw. 1097 erscheint in den kleinen lombardischen Orten Biandrate und Chiavenna consules. 1097 taucht dann eine Urkunde auf, die in civitate Mediolani in consulatu civium ausgestellt ist (Zumhagen, S.117), wobei allerdings nicht recht klar wird, was damit gemeint ist. Zeugen sind vor allem capitanei und drei iudices, aber jetzt auch eine nichtadelige cives-Familie. (Wickham(1), S.26) Konsul bezeichnet ursprünglich wohl mächtige und einflussreiche Honoratioren, und es fehlen Dokumente, um genauer zu sagen, wann daraus ein klar definiertes Amt wird.

 

 Ebenfalls 1097 sind nobilis multitudo und populus an der Bischofswahl beteiligt (Landulf Junior). 1098 und 1100 verfügt der Erzbischof Anselm da Bovisio die Einrichtung zweier Märkte mit Zollfreiheiten, wobei ausdrücklich vermerkt wird, dass dies im Zusammenwirken mit der ganzen Gemeinde geschieht (communi consilio tocius civitatis). Das Consilium wird 1100 in einem conventus gegeben, einer Versammlung, die bald auch concio oder arengo heißen wird und die alten (königlichen) placita ablöst.

 

Die Integration des Laien und hochadeligen Kriegers Erlembald in den Raum der Heiligkeit steht im Zusammenhang mit Urbans Kreuzzugsaufruf, und mündet der 1100 in einen von Mailand angeführten lombardischen Kreuzzug, der scheitert und in welchem Erzbischof Anselm IV. den Tod findet.

 

1102 wird der Vallombrosaner Grossolan offenbar durch geschickte Manipulation der Volksversammlung von nobiles, viri vor dem populus zum Erzbischof gewählt (Landulf Junior). Auf eine königliche Investitur wird nun auch förmlich verzichtet. Als er allerdings dann die vom Vorgänger Anselm von Rhò vollzogenen Priesterweihen annullieren möchte, weil der königlich investiert worden war, stellt sich die Bevölkerung gegen ihn. Der alte Patarenerführer Liprand wirft ihm Simonie vor und überzeugt das versammelte Volk, den concio populi, von der Notwendigkeit einer Feuerprobe. Liprand besteht sie 1103 nach Ansicht der Anwesenden zunächst, worauf der Erzbischof flieht. Als sich dann die Wunden Liprands doch entzünden, wird auch er vertrieben. In den folgenden erfolgreichen Kriegen gegen Lodi (1107-11) und Cremona (1110) kommt die Stadt ganz gut ohne erzbischöflichen Herrn aus,auch wenn Grossolan es offiziell in Abwesenheit bleibt. Zuletzt ist er in Jerusalem, als 1111 eine Flut die Stadt bedroht und man ihm die Schuld gibt. Eine Gruppe von achtzehn im wesentlichen adeligen  Geistlichen und Laien entscheidet, dass Grossolan zu Recht kein Erzbischof sei, da er sein Bistum Savona nie aufgegeben habe.

 

Bologna (in Arbeit)

 

Nach der Exkommunikation Heinrichs IV. durch den siebten Gregor schwenkt Bologna bald mit einem der Kirchenreform zugeneigten Bischof auf die päpstliche Seite über. Um die Stadt zurückzugewinnen, garantiert der Kaiser den concives ihre „alten“ Rechtsgewohnheiten, ihr Eigentum und freien Handel für Bologneser Kaufleute im Reich. Daran angehängt ist ein Dokument, welches dem popolo die Zerstörung des königlichen Palastes verzeiht. Popolo meint dabei natürlich eine Schwurgemeinschaft der cives-Elite der Stadt.

 

ff.

 

Genua

 

1015/16 kämpft Genua mit Pisa zusammen um die Befreiung Sardiniens von islamischer Herrschaft, was heißt, dass es eine ansehnliche Flotte besitzen muss. In der Stadt leben inzwischen Menschen nach römischem, langobardischem oder fränkischem Recht. Langobardische Frauen können selbständig wirtschaften.

Kulturland wird gewonnen durch Vergabe von Land, welches nach Kultivierung zur Hälfte vom Pächter in Besitz genommen werden darf. Größere Kapital-Partnerschaften werden zum Bau und Betreiben von Mühlen gebildet. Adel betreibt Seefahrt mit den Erträgen, die seine Pächter erarbeiten.

 

1021 wird Papst Calixt II. von Genua erfolgreich bestochen, damit die Aufsicht über Korsika Pisa entzogen wird. (Mitterauer, S.55) Die Konflikte beider Städte nehmen darauf zu. 1133 wird nach Pisa auch Genua zum Erzbistum erhoben, Pisa verliert drei der sechs korsischen Bistümer, die nun an Genua gehen.

 

Der genuesische Handel weitet sich nach Tortosa, Almería, Cordoba, Granada und Sevilla aus, und nach dem ebenso muselmanischen Ceuta und Bougie. Gold, Leder, Seide und Olivenöl werden von dort eingeladen. In Sevilla sind die Genuesen schon früh die größte italienische Händlergruppe.

 

In Genua ist die Vizegrafschaft in den Händen einer Familie, die auch das Bischofsamt an sich reißt. 1056 beseitigt man de facto die Einrichtung des Markgrafen in der Person von Alberto, indem man ihn zwingt, vor drei boni homines einen Eid auf städtisches Gewohnheitsrecht zu schwören. Im Rechtsstreit mit Fremden werden Genuesen von Zweikampf und Gottesurteil befreit und sie müssen vor keinem auswärtigen Gerichtshof antreten. Innerhalb von dreißig Jahren unangefochtenes Eigentum an Land wird rechtsgültig.

 

Der Bischof herrscht zunächst mit Verwandten und auf Unternehmen zur See konzentrierten Kreisen, frühem Großkapital. Aber er verliert während des 11. Jahrhunderts immer mehr an politischer Macht.

In etwa parallel zur Pataria steigt dann eine Reformbewegung auf als Nukleus einer kommunalen Bewegung.

 

Aber Genua ist von einem Hinterland durch Gebirge abgeschlossen und baut eine Flotte nur auf der Basis von regionalem Handel mit Salz und Getreide auf. Immerhin tauchen Genuesen schon um 1065 in Syrien und Ägypten auf, deutlich vor den Pisanern.

Genuesische Händler haben zunächst außer Holz und Salz keine Waren anzubieten, möglicherweise ziehen sie auch nur mit Silber nach Nordafrika, um dort Waren einzukaufen (Epstein, S.24). Geld aus der Münze von Pavia dürften sie genug mitbringen. Von Sizilien, Korsika und Sardinien werden Getreide und Salz eingeführt.

 

Irgendwann in den 60er Jahren beginnen die Kriege mit Pisa, vermutlich um Sardinien. Das hindert beide Städte 1087 nicht daran, gemeinsam Mahdia im heutigen Tunesien zu überfallen. Die Italiener tragen dabei Pilgerabzeichen.

 

Genua ist inzwischen in sieben Nachbarschaften geteilt, compagne, von denen sechs Zugang zum Hafen haben und von jeweils einem Konsul geführt werden. (Epstein, S.33). Laut dem Chronisten Caffaro  vereinigen sich solche Unternehmergilden gelegentlich des Kreuzuges 1099 zu einer einzigen compagna communis, die sich als Kommune versteht und deren Häuser aus Adel und bürgerlichem Reichtum nun gemeinsam mit dem Bischof die Stadt regieren.

 

Diese Kommune ist eine Schwurgemeinschaft für mehrere Jahre, die auf Einhaltung des inneren Friedens (der öffentlichen Ordnung) und gegenseitige Unterstützung wie auch auf gemeinsame Kriegszüge ausgelegt ist. Wer (See)Handel treiben will, ist zum Eintritt verpflichtet. Gelegentlich wird eine Versammlung des populus als parlamentum in die Kathedrale einberufen. Konsuln beraten im Bischofspalast. Die Domopera ist ein Machtzentrum der Stadt wie in Pisa, dehnt aber ihren Einfluss bis in den Orient aus.

Im Unterschied zu Pisa erhält die Genueser Kathedrale keine vergleichbare Bedeutung. Mit ihr ist auch kein vergleichbarer öffentlicher Platz verbunden, wie es ihn auch vor San Marco gibt. Da die Stadt in Geschlechterverbände (alberghi) mit ihren Nachbarschaften aufgeteilt ist, haben diese ihre eigene Piazza mit Kirche und Palästen.

 

Spätestens mit dem ersten Kreuzzug beginnt dann der Aufstieg der Stadt zur Großmacht. Schon 1097 unterstützen zwölf ligurische Galeeren mit vielleicht 1200 Mann den Angriff auf Antiochia mit Bohemund von Tarent. Der gibt ihnen nach der Eroberung der Stadt einen fondaco mit Kirche und dreißig Häusern.  Sie transportieren überhaupt als erste Kreuzritter nach Palästina und sind an der blutigen Eroberung Jerusalems beteiligt .In seinen Annalen schreibt der genuesische Chronist Caffaro gut vier Jahrzehnte später für 1199: Zur Zeit der Expedition nach Caesarea wurde kurz zuvor in der Stadt der Genuesen eine compagna für drei Jahre und mit sechs Konsuln begonnen. (in: Wickham(1), S.162) Caffaro selbst tauch mehrmals als Konsul auf.

Offenbar ist das Konsulat nun ein jährlich personell wechselndes Amt.

 

1100 schickt Genua eine weitere Flotte mit 26 Galeeren und vier weiteren Schiffe, die weiter an der Seite der Normannen kämpfen und dafür ein Drittel des Hafens von Laodicea erhalten. Im Herbst 1101 kehrt die Flotte mit reicher Beute heim.

1102 wird die Genueser compagna erneuert, und zwar mit vier Konsuln, die für vier Jahre amtieren sollen. Vermutlich weil sie dann auch an Angriffen gegen fatimidische Städte beteiligt sind, werden um 1203 alle Genuesen in Kairo verhaftet. Dafür werden die Genuesen 1204 durch König Balduin mit einem Drittel von Caesarea und einem weiteren von Akkon belohnt.

 

Pisa

 

Unter Markgräfin Berthas Sohn Hugo und seinen Nachfolgern ist die Markgrafschaft treuer Anhänger der sächsischen Kaiser. 1027 geht sie auf die später nach Canossa benannte Dynastie über.

Die Verselbständigung der Städte schreitet aber inzwischen voran. 1004 führen Pisa und Lucca aus eigenem Antrieb Krieg gegeneinander, allerdings im Zusammenhang mit dem Krieg zwischen König Heinrich II. und Gegenkönig Arduin. Danach beginnen Aktionen gegen den Einfluss islamischer Herrscher. 1005 führt Pisa eine Flotte siegreich an der kalabrischen Küste entlang, 1015 zusammen mit Genua gegen Sardinien, welches der Emir von Denia gerade überfällt, nachdem er die Balearen erobert hat. 1016 findet ein zweiter Eroberungsversuch Sardiniens durch den Emir statt, den Pisa und Genua gemeinsam zurückschlagen, worauf sie über die Insel in Streit geraten. 1021 nimmt Papst Calixt II. Pisa die Aufsicht über Korsika, worauf es bis 1033 erbitterte Kämpfe beider Städte gibt. Danach teilen sie sich die korsischen Bistümer, und Pisa erhält als Ausgleich das Bistum Populonia/Massa Marittima mit seinem erzreichen Hinterland zugeschlagen. Populonia und später Piombino sind bzw. werden die Häfen, über die das Erz von Elba auf das Festland gelangt. Der Papst erlaubt Pisa, Wachtürme entlang der von ihm beanspruchten Küste zu bauen.

 

1034 geht es gegen das nordafrikanische Piratennest Bone: Pisani facerunt stolum in Africam ad civitatem Bonum, gratia Dei viderunt illam (Annales Pisani).

 

Die Stadt ist neben Lucca zentraler Ort der Markgrafschaft Toskana, bis 1069 in der Hand von Gottfried, dann in der seiner Witwe Beatrix, der dann wiederum ihre Tochter Mathilde folgt. Auf sie ist zunächst die städtische Elite orientiert, die sich mit Markgrafen oder ihren Vertretern regelmäßig bei den Gerichten der placita trifft. Konflikte wie in Mailand werden nicht berichtet,

 

1063/64 geht es besonders erfolgreich und mit reicher Beute gegen eine Flotte vor Palermo. Mit Teilen der Beute wird der Neubau der Kathedrale geschmückt, wie eine Inschrift an der Fassade bezeugt:

Es heißt, dass die Pisaner Bürger - reich an ruhmvoller Tugend - die Grundsteine dieser Kirche legten, als 1063 vergangen waren (...). In diesem Jahre wurde eine Expedition an die sizilischen Küsten durchgeführt. Damals segelten alle Großen, Mittleren und Kleinen, nachdem sie unter Waffen und mit einer großen Flotte abgereist waren, nach Palermo (...) Kämpfend drangen sie, nachdem sie die Sperrkette durchtrennt hatten, in den Hafen ein, kaperten sechs mit Schätzen gefüllte Schiffe, wovon sie eines verkauften und die restlichen verbrannten. Mit den Mitteln jener Beute, so weiß man, wurden diese Mauern errichtet. (...in: Staufer und Italien, S.218)

 

Die Domopera von Pisa wird von Markgräfin Mathilde zudem reich beschenkt, was besonders bemerkenswert ist, als diese schnell unter der Aufsicht vornehmer Laien steht. Bald besitzt sie durch weitere Schenkungen reichen Landbesitz, die Basis für die spätere Entwicklung eines Contado. Zudem wird sie im nächsten Jahrhundert durch ihre Reichtümer Bankfunktionen übernehmen.

 

Die Zeit der großen kirchlichen Protzbauten beginnt, und sie drücken allesamt weltliche Macht aus. Monumentalster Kirchenbau des lateinischen Christentums der Zeit wird der Kaiserdom zu Speyer. Es folgt die Kathedrale von Pisa. Zur gleichen Zeit beginnt der Neubau von San Marco in Venedig, keine Kathedrale, sondern "nur" die Palastkapelle des Dogen.

 

Neben dem Interesse an den Inseln, Elba, Korsika und Sardinien, entwickelt Pisa nach und nach auch Macht über einen Küstenstreifen nördlich wie südlich. Damit soll vor allem verhindert werden, dass dort Häfen dem von Pisa Konkurrenz bieten. Zwischen 1066 und 1073 kommt es erneut zu kriegerischen Auseinandersetzungen um Sardinien mit Genua. Nach und nach versucht Pisa Sardinien über eigene Besitzungen dort zu kolonisieren. 1077 unterstellt Papst Gregor VII. die Insel dem Bischof von Pisa.

 

Die Iudikate (Herrschen) Sardiniens sind Erbe der Antike mit einer in Knechtschaft und Armut lebenden Landbevölkerung. Die Iudici betreiben soweit wie möglich Schaukelpolitik zwischen Pisa und Genua, müssen den Pisanern aber nach 1080 immer mehr Privilegien und Abgabenleistungen einräumen. Langsam gewinnt dann die Pisaner Domopera immer mehr Landgüter.

 

1076 folgt Mathilde nach dem Tod der Mutter Beatrix. Siue kommt nicht mehr nach Pisa, auch wenn sie der Kathedrale reiche Schenkungen vermacht. Nach ihrer Niederlage 1080 und ihrer Absetzung durch Heinrich IV. 1081 verfällt die Markgrafschaft zunehmend und die Selbständigkeit der Städte nimmt zu. Dazu gehört auch, dass der Kaiser keinen neuen Markgrafen mehr ernennt.

 

Kaiser Heinrich IV. verleiht sowohl Pisa wie auch Lucca umfangreiche Freiheitsrechte, die vor allem Pisas Seehandel, die consuetudines de mari, und die Küste zwischen Luni und Gaeta betreffen. Häuser dürfen nur mit dem communis consensus der cives eingerissen werden. Die Bestimmung, dass ein Gremium von zwölf Gewählten der Stadt einen tuscischen Markgrafen ablehnen kann, wird inzwischen als spätere Einfügung angesehen (Wickham(1), S.77).

 

Die Stadt hat sich aus der Markgrafschaft herausgelöst. Um 1080/85 schließt sie selbständig einen Vertrag mit einem Iudex (Regionalherrscher) auf Sardinien, an dem der Pisaner Bischof, der Vizegraf Hugo (Ocu)und omnes consolos de Pisa beteiligt sind, wie es im sardischen Text heißt. (Mitterauer, S.31). Die "Konsuln" haben sich aber noch nicht zur Gänze von der bischöflichen Stadtherrschaft befreit und sind wohl immer noch identisch mit einer "adeligen" Führungsgruppe in der Entourage des geistlichen Herrn.

 

Aber nach dem Sieg über Mahdia baut sich die Stadt zusätzlich zur Bischofskirche mit San Sisto eine zentrale Kirche der Bürgergemeinde, in der die wichtigsten Ratsversammlungen abgehalten werden, bis diese Funktion achtzig Jahre später von dem nahegelegenen domus communis, dem Kommunalpalast abgelöst wird.

 

1085 stirbt Bischof Gerhard und es dauert vier Jahre, bis ein neuer eingesetzt wird. In etwa derselben Zeit stirbt auch Vizegraf Hugo und sein Sohn ist noch ein Kind. Wohl in dieser Zeit gelingt es weltlichen Großen, stärkeren Einfluss auf die Geschicke der Stadt zu nehmen. 

 

Die Stadt führt immer selbstbewusster Krieg, wie 1087 zusammen mit Genua, Gaeta, Amalfi und Salerno gegen Mahdia. Der Papst verleiht ihnen die Petrusflagge, gewährt Ablass und die Krieger tragen Pilgerkleidung über der Rüstung. Zum ersten Mal werden viele Pferde mitgeführt, von tausend ist die Rede, die Panzerreiter für den Landkrieg tragen sollen - wie dann auch beim ersten Kreuzzug. Nach einem Gemetzel auch unter der Zivilbevölkerung gewährt der Ziridenherrscher für sein Reich Handels- und Zollfreiheit.

 

Neben dem Handel und mit diesem verbunden taucht im 11. Jahrhundert als wesentlicher Produktionszweig der Schiffsbau auf, für den es schon früh ein Arsenal gibt. Damit verbunden ist der für Pisa ebenfalls wichtige Bau

von Belagerungsmaschinen.

 

Um 1090 ist in den Pisaner Statuten ein von Bischof Dai(m)bert erlassenes 'Lodo delle Torri' aufgeführt: Ich Daibert (…) Bischof von Pisa, entscheide und bestimme mit Nachdruck, zusammen mit meinen Gefährten, mutigen und weisen Männern (mihi sociis viris strenuis et sapientibus), das alte Übel der Stadt Pisa, den Hochmut bedenkend, aufgrund dessen tagtäglich unzählige Morde geschehen (…), besonders aber aus Anlass der Häuserzerstörung und vielfältiger anderer Übel, (…), dass niemand von heute an sich anmaßt, einen Wohnort zu erbauen oder in irgendeiner Weise instandzusetzen, der an Höhe die Türme von Stefano, Sohn von Balduin, oder Lamberto (…) überragt. (in: Staufer und Italien, S.214)

 

Die Bürgerschaft der Stadt hatte offensichtlich ihren Bischof, der kein Stadtherr ist, beauftragt, mit der Türmeordnung den Unfrieden unter den adeligen Geschlechtern in der Stadt zu begrenzen. Durch sociis viris strenuis et sapientibus, also tüchtige und weise ihm Verbundene, wurde er beraten. Nur zwei hochedle Familien dürfen höher bauen. Eine Schwurgemeinschaft der Bürger soll über die Friedenswahrung wachen und sich bei Verstößen an das commune colloquium civitatis wenden. (siehe Wickham(1), S.79f)

Wir wissen über all das wenig, aber es sind wohl knapp fünfzehn Familien, die die Entscheidungen in der Stadt in der Hand haben, und in vie3lleicht geringerem Maße die übrige berittene militia.

 

1092 macht Papst Urban II. Bischof Daimbert zum Erzbischof, unterstellt ihm die korsischen Bischöfe und ernennt ihn zum päpstlichen Legaten für Sardinien.  1095 reist Daimbert mit dem Papst zum Konzil von Clermont. Ökonomische Interessen spielen sicher eine wesentliche Rolle bei der massenhaften Teilnahme am ersten Kreuzzug mit Schiffen 1098 als Begleitung für ihren Erzbischof. Dazu fühlt man sich bewegt, der vorauseilenden Konkurrenz Genuas dort zu begegnen.

Auf ihrem Weg verwüstet die Flotte griechische (christliche) Inseln und kämpft erfolgreich gegen eine venezianische Flotte.

Am Ende wird Daimbert 1099 erster lateinischer Patriarch von Jerusalem, behält aber zugleich sein Amt in Pisa. Er ernennt schnell Bischöfe für Syrien, deren Diözesen so dem orthodox-byzantinischen Einfluss entrissen werden. Daimbert ist typischer lateinischer Bischof der Zeit, der mehr Machtpolitiker als Geistlicher ist.

 

Lucca (in Arbeit)

 

Lucca ist zunächst in seiner Entwicklung Pisa als Residenzstadt voraus. Sein Bischof wird zugleich Papst Alexander II. In diese Zeit fällt auch sein Kathedralneubau.

Lucca bleibt einziger Münzstandort in Tuscien. Neben dem dafür notwendigen Silber aus den Colline Metallifere in der Nähe, welcher die Stadt im nächsten Jahrhundert zu einem frühen "Banken"- Standort aufsteigen lassen wird, gibt es in der weiteren Umgebung auch Eisenerz, welches eine bedeutende Waffenproduktion insbesondere von Schwertern ermöglicht.

In der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts beginnt in der Stadt - wohl aus Salerno übernommen - die Produktion von Seidentextilien, die im nächsten Jahrhundert eine wesentliche Grundlage des Wohlstandes der Stadt ausmachen wird.

 

Bei allen Anfängen kapitalistischen Wirtschaftens bleibt auch hier Landwirtschaft die ökonomische Basis der Stadt. Da ist das Getreide in der Ebene und sind Wein und Oliven auf den Hügeln. Aber auch dieser Bereich wird in den Sog des Neuen hineingezogen. Die Herren des Landes übernehmen Teile der Ernte und lassen sie selbst in der Stadt verkaufen. Mit ihrem Marktinteresse beginnen die Preise für Grund und Boden zu steigen, zunächst im direkten Umland. Mit der Kommerzialisierung des Landes beginnt seine Betrachtung aus steigendem Profitinteresse. Wie auch anderswo im lateinischen Abendland beginnt man die Produktion durch Ausweitung auf Naturland zu erweitern, oder durch Ameliorationen zu steigern. Steigende Marktorientierung führt dann zur Spezialisierung auf bestimmte Produkte.

 

Zwei zentrale Stadtzentren werden von ihren Kirchen definiert. Als Bischofskirche dient zunächst Santa Reparata, welches zum Glück erhalten blieb, als der Bischof zunächst nach San Martino gegenüber umzog, und dann in den etwa gleichzeitig mit dem in Pisa neuerrichten Dombau.

Das zweite Zentrum am alten Römerforum wird von San Michele in Foro beherrscht, welches auch für die Tagungen des Gemeinderates fungiert, so wie San Sisto in Pisa und San Giorgio in Genua.

 

Der Sonderfall Rom (in Arbeit)

 

Rom ist vom ummauerten Stadtgebiet her eine enorm große Stadt, wobei nur Teile davon im 11. Jahrhundert überhaupt besiedelt sind. Mit geschätzten 30 000 Einwohnern ist es zugleich die größte Stadt des lateinischen Abendlandes, bevor es Mailand Ende des Jahrhunderts überholt. Noch ein weiterer Superlativ: Mit dem heutigen Latium hat es auch das bei weitem größte Territorium als Einflussbereich, fünfmal so groß wie das des damaligen Mailand.

Eine weitere Besonderheit ist, dass fast alles Land innerhalb und außerhalb der Stadtmauern in Kirchenbesitz ist. Dabei ist der Papst nur ein großer unter vielen Eigentümern. Natürlich bewirtschaftet der Klerus das Land nicht selbst, vielmehr wird es an diejenigen verpachtet, die die hohe Einstandssumme und dann die relativ niedrigen Pachten bezahlen können. Dabei suchen sich die Kirchen ihre Pächter auch danach aus, wie sie dann in die eigene Klientel passen.

 

Die Stadt mit ihren einzelnen Siedlungen in den Mauern hat kein klares Zentrum. Bei vielen Häusern, manche in antike Ruinen hineingebaut, gibt es Gärten zur Selbstversorgung, auch Wingerte. Aber die Leute sind dennoch für die Ernährung auch auf den Markt angewiesen.

Die antiken Monumente haben die Päpste geerbt. Teile des Kolosseums sind so in eine große Anzahl Wohnungen aufgeteilt. Eingeteilt ist die Stadt auch in Einflussbereiche mächtiger Familien, beim Kolosseum sind das die Frangipane. die Umgebung des Kapitols wird von den Corsi kontrolliert.

 

Eine Sonderrolle spielt die Leo-Vorstadt, die nicht völlig in die übrige Stadt integriert ist. Zwischen Petersplatz und Tiberbrücke erstreckt sich der Porticus, bei dem die Pilger ankommen, wo sie wohnen, einkaufen sich ernähren und begraben werden. Die für diese Zeit für Rom überlieferten Geschäfte (ergasteria) befinden sich fast alle hier. (Wickham(2), S.135). Nicht nur sind die Eintrittsgebühren für Pachtverträge hier enorm hoch, sondern auch, eher unüblich, die Pachtgelder selbst.

Sterben Pilger hier, erbt die Kirche, bei der sie begraben werden, ihren Besitz. Erst 1235 beginnt die (übrige) Stadt, ausgiebiger von den Pilgern zu profitieren, die nun auch überall wohnen dürfen.

 

Die Stadt ist so gegliedert in einen päpstlichen, einen weiteren kirchlichen und einen weltlichen Anteil. In unserer Zeit gibt es über dreißig Pfarreien mit ihren Kirchen (Titularkirchen, Basiliken, Diakonien) und den Kapellen, um die sich die unteradelige Elite gruppiert wie auch um die mächtigsten Klöster, die ebenfalls Pfarrrechte haben können. Aber die darüberstehenden Machtkonflikte werden auf der übergeordneten Ebene der regiones ausgefochten.

Rom ist noch mehr von Klerus geprägt als andere Städte der Zeit. Als nach 1040 die Reformbewegung zunimmt, lehnt ein großer Teil des Klerus sie ab, auch da die Hierarchisierung ihnen Einfluss nimmt und dann die Verbindung von Kardinalen zu Titularkirchen und Diakonien sie direkter der Papstadministration unterstellt. Druckmittel der Päpste ist fast nur die Forderung nach internen Reformen, und die können sie offenbar nur bei Sta Maria Nova durchsetzen, wo dann Regularkanoniker zu Hause sein werden. Immerhin verschwinden die zuvor offiziellen Priesterehen, welche Geistlichkeit und weltliche Gemeinde miteinander verbanden. Immerhin bleibt der Klerus der römischen Kirchen im Unterschied zu der aufkommenden päpstlichen Kurie römisch.

Diese Priesterschaft wird dann auch bereitwillig Päpste und Gegenpäpste unterstützen, die diese massive Hierarchisierung nicht mittragen. Mit ihren Kirchen spielen sie eine gewichtige Rolle, bedeuten doch die Verpachtungen ihres Landes an Adel die Herstellung einer auch militärischen Klientel.

 

Rom ist für damalige Verhältnisse auch eine relativ reiche Stadt. Der Reichtum kommt vor allem vom Besitz bzw. der Nutzung von Land, wo insbesondere Getreide und Wein angebaut wird, beides Waren für den städtischen Markt, insbesondere für den unterhalb des Kapitols. In der Stadt werden, teilweise schon arbeitsteilig, Textilien (Wollweber, Bleicher, Färber) und Lederwaren (Schuster) hergestellt, Bronze- und Holzprodukte, Keramiken, etwas Glas und Seife. Es gibt lokale Schwerpunkte: Trastevere zum Beispiel ist auf Leder und Keramik spezialisiert, Pigna auf Eisenwaren. Keramik beginnt schon im 10. Jahrhundert, einen überregionalen Ruf zu gewinnen und wird im 11. teilweise als Massenware produziert und in fast ganz Italien verkauft.

Teile der Produzenten sind in scolae (Berufszusammenschlüssen) mit ihren Prioren (Vorstehern) organisiert. Insbesondere Goldschmiede können es zu einem gewissen Wohlstand bringen: Ein magnificus aurifex kann mehrere Gebäude unter dem Aventin1025 verpachten (Wickham(2), S.145) Solche Ausnahme-Handwerker können dann nach und nach durch das Pachten von Agrarland in Kreise der Oberschicht aufsteigen, so wie das den Pierleoni, zunächst Kaufleute,  schneller gelingt, auch wenn sie dem Kommerz immer verbunden bleiben.

 

Kapitalinvestitionen gehen in Landpachten für vermarktbare Produkte, in Pachten von Salinenanteilen, solche von zu vermietenden urbanen Immobilien und in das Pachten von vor allem schwimmenden Mühlen auf dem Tiber. Diese gehören immer noch überwiegend römischen Kirchen.

Kauf, Pacht und Bau solcher Mühlen ist teuer. Sie müssen mit aufwendigen Konstruktionen aus Holz oder besser aus Stein fixiert werden. Die Rechte dazu müssen von Kirchen erworben werden, denen auch die Ufer gehören.

 

Der engere Einflussbereich der Stadt reicht von Sutri bis Palestrina und umfasst weiter den dünnbesiedelten Agro Romano und den nun von Burgen und befestigten Siedlungen durchzogenen Gürtel drumherum. Von ihren Burgen üben herrschaftliche Große im wesentlichen Gerichtsrechte aus und nehmen von den bäuerlichen Produzenten neben der Pacht nur geringere Abgaben ein, keine solche auf Heirat und Tod wie nördlich der Alpen üblich. Die Bauern sind auch nicht an ihr Land gebunden.

Mit den Reformpäpsten des 11. Jahrhunderts beginnen Versuche, die Kastelle in päpstliche Abhängigkeit zu bringen, eine Entwicklung, die aber erst Ende des 12. Jahrhunderts einen ersten Abschluss unter Innozenz III. finden wird.

 

Rom liegt in der frühkapitalistisch-kommunalen Entwicklung deutlich hinter weiter nördlichen Städten zurück. Mit den Päpsten aus der Tuskulaner-Familie, zwei Brüdern und ihrem Neffen, hält der geistliche Stadtherr zwischen 1013 und 1044 die Stadt fest im Griff (Benedikt VIII., Johannes XIX., Benedikt IX.). Nach und nach verschwindet der traditionelle Adel wohl auch wegen der starken Stellung einer Familie aus der päpstlichen Entourage, lässt sich auf Kastellen im Latium nieder und wird dann von neuen Adelsfamilien in der Stadt abgelöst, deren Einfluss allerdings erst nach der Tuskulanerzeit zunehmen kann. Die einzige Familie darunter, die schon Ende des 10. Jahrhunderts nachweisbar ist, sind die Frangipane. Manche von ihnen sind aus einer Handwerker-Elite aufgestiegen: Goldschmieden, Webern, Schustern und anderen. Die nach den Frangipane aufsteigenden Pierleoni betreiben Geldgeschäfte, sind negotiatores, verfügen über eine Mühle. Diese neuen Leute haben vergleichsweise weniger Verfügung über Land, alles in allem stärkere kommerzielle Interessen (Wickham(2), S.29/213) und sind deshalb stärker auf die Machtverhältnisse in der Stadt fixiert. Die alten Familien sind um 1050 weitgehend aus der Stadt selbst verschwunden.

 

Auffällig ist, dass die neuen Familien zeitgleich mit der Kirchenreform Macht gewinnen. Sie sind aber fast immer gespalten in kaiserliche und päpstliche Fraktionen.

 

Diese neuen mächtigen Familien beginnen sich Mitte des Jahrhunderts mit Zunamen zu versehen und am Ende des Jahrhunderts nobiles et proceres zu nennen. (Wickham(2), S.183) Nunmehr abgehoben von einer nicht mehr noblen wohlhabenden, darunter angesiedelten weiteren Oberschicht bilden sie mit dieser jenen Teil der militia, der als equites deren Elite darstellt. Politisch sind es diese nobiles, die Einfluss auf Niveau der Gesamtstadt gewinnen, während sich die "bürgerlichere" Elite auf die Kirchspiele ihrer Stadtbezirke konzentriert.

 Nur langsam beginnt aber so etwas wie ein sich Abschließen einer Adelselite. Anders als sonstwo wird dabei auf das noble Alter der Familien wenig Wert gelegt. Nobilis ist man vor allem, wenn ähnlich Reiche und Mächtige einem diesen Titel zuerkennen. Wenn dann die Turmbauten in der Stadt zunehmen, wird so aristokratischer Anspruch geltend gemacht.

 

Unterhalb der Noblen existiert eine Schicht, die Wickham als "mittlere Elite" bezeichnet. Aus ihr hatte sich die neue Nobilität einst rekrutiert. Mit den sich aristokratisch Fühlenden bleibt sie als berittenes Militär verbunden. Diese Leute stützen sich nicht so sehr auf weiter entfernte große Ländereien, sie besitzen vielleicht nur einige kleine Stücke Grund und Boden im direkten Umfeld der Stadt, können sich aber ein Pferd, Waffen und Rüstung leisten.

 

Für die Masse der Bevölkerung, in den Quellen wenig vorkommend, gibt es Begriffe wie plebs oder populus, pedites (Fußvolk) usw. Plebs ist auf jeden Fall abwertend, aber nicht ganz klar "nach oben" abgegrenzt, Populus kann das ganze Volk von Rom meinen, wenn es nicht unmittelbar den Noblen gegenübergestellt ist. Populus können aber auch die "politisch" in Erscheinung tretenden sein, die Klientel der ganz Mächtigen, nicht selten mit Geld gekauft.

Eine militia bzw. scola militum taucht in Rom vor allem als Formation für Festlichkeiten auf, milites wiederum wird oft mit bewaffneten Reitern gleichgesetzt, und aus ihren Reihen stammen dann nobiles des 12. Jahrhunderts. In manchen Städten erreicht diese Gruppe an die 10% der erwachsenen männlichen Bevölkerung. In Rom sind aber neben diesen equites auch die pedites wichtig, da viel Kampfgeschehen in der Stadt und in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft stattfindet: Rom braucht sich nicht erst einen contado zu erobern.

 

Zusammengehalten wird die in regiones und Großregionen geteilte Stadt abgesehen von religiösen Festlichkeiten durch placita-artige Gerichtsverhandlungen des Hochadels unter Begleitung weniger mächtiger Leute.

 

Etwa in der Zeit der Mailänder Unruhen gegen den Bischof kommt es 1044 zu einem bewaffneten Aufstand gegen Papst Benedikt IX. Offenbar hatte die langsam abtretende kleine alte Oberschicht diesen Papst unterstützt, während die Neuen Benedikt vertreiben. Zeitweise tritt ein Gegenpapst, Silvester III., auf, von der mächtigen Familie der Ottaviani aufgestellt.. Dann tritt Benedikt zugunsten Gregors VI. zurück, um wenig später erneut den Papsttitel zu beanspruchen, von den Grafen von Galeria unterstützt.

Nächster Unruhefaktor wird die Synode von Sutri (1046), mit den von da an vom Kaiser Heinrich III. der Stadt und der Kirche aufgezwungenen Päpsten. Zunächst unterstützen die Großen der Stadt sie wohl. Wie schon in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts wird deutlich, dass aus imperialen Interessen von außen aufgezwungene Päpste nicht einfach mit den Machtkämpfen in der Stadt koordiniert werden (können).

 

Das macht der römische Adel, jene nobiles, wie sie bald genannt werden, solange mit, bis ein Riss in der Kirche mit der Wahl vom Kaiser unabhängiger Päpste 1059 beginnt. Dieser spaltet auch den Adel. Nachdem 1058/59 Benedikt X. scheitert, wird kein Römer mehr bis 1130 Papst werden können.

 

Zunächst unterstützen die mächtigen Familien der Frangipane, Tignosi und des Stammvaters der Pierleoni (Leone di Benedetto Cristiano) die Reformpäpste, aber die Stadt ist auch voller mächtiger Gegner der Kirchenreform.

von etwa 1059 bis 1073, wenn er zum Papst Gregor VII. erhoben wird, regiert Hildebrand de facto die Stadt, wie es heißt unterstützt vom populus, also der Mehrheit der Reichen und Mächtigen. In dieser Zeit behalten die Päpste Nikolaus II. und Alexander II. ihre vorherigen Bischofssitze, was ihre Präsenz in Rom schwächt. Hildebrand stützt sich dabei wie zuvor auf die juristische Gewalt des Stadtpräfekten und die nun langsam auslaufenden placita. Die großen Gerichtsfälle werden nun zunehmend von den meist nicht mehr aus Rom stammenden Kardinälen übernommen, einem neuen Machtfaktor, an dem die neuen Adelsfamilien immer weniger beteiligt sind. Das schafft Unruhe bei den mächtigen Familien, die weniger auf kirchliche Karrieren bedacht sein können, aber auch immer weniger attraktive weltliche Ämter vorfinden.

 

Als Cadalus als Honorius II. 1062 vom Kaiser unterstützt wird, zeigt sich eine massive Spaltung der städtischen Mächtigen in das "radikalere" päpstliche Reformlager (Luccheser Papst Alexander II.) und das kaiserliche, die bisherigen Reformen unterstützend. In den Machtkonflikten scheint inzwischen ziemlich viel Geld zu fließen.

 

Die neue kommerziell-aristokratische Oberschicht kontrolliert offenbar inzwischen ganze Stadtteile: Frangipane zum Beispiel das Gebiet beim Kolosseum, den Kapitolsbereich die Corsi, Trastevere die Tignosi, die Papareschi und andere.

Gegner Gregor ist vor allem die di Stefano-Familie. Bei der Weihnachtsmesse 1075 entführt Cencio di Stefano den Papst, den ein populus am nächsten Tag wieder befreit. Cencios Bruder tötet 1077 den Stadtpräfekten Gregors und wird darauf wiederum von einem populus umgebracht.

 

Ein neuer Abschnitt in der Stadtgeschichte beginnt mit Heinrichs Bruch mit Gregor 1076 und seinen Angriffen auf die Stadt zwischen 1181 und 1184. Dabei erkauft er sich Unterstützung durch Geschenke und kann so schließlich ab 1181 Erzbischof Wibert von Ravenna als seinen Papst Clemens III. durchsetzen, der ihn 1184 zum Kaiser krönt, vom "populus" unterstützt. Der war zuvor kaiserlicher Kanzler für Italien und dann Erzbischof von Ravenna.

Heinrich lässt die Häuser der Corsi niederbrennen. Der im Castel Sant'Angelo einsitzende Gregor wird von den Normannen befreit und aus der Stadt herausgebracht, die sie dabei teilweise abfackeln. Deshalb wohl auch treten bis auf die mächtigen Frangipane und Corsi fast alle "Adeligen" auf die Seite des kaiserlichen Papstes über. Ein Cencio Frangipane begleitet Gregor nach Salerno.

 

Es herrscht Bürgerkrieg, und die Gegenpäpste der Reformpartei (Victor III. und Urban II.) versuchen immer wieder mit militärischer Macht in die Stadt einzudringen. Erst um 1094 lässt Clemens Einfluss nach, ein Mächtiger lässt sich gegen viel Geld dazu bringen, Urban II. in den Lateran einziehen zu lassen, und 1099 kann dann sein Gegner Paschalis II. in der Stadt einziehen.

 

Amalfi und der Süden

 

Spätestens im 10. Jahrhundert tauchen Händler aus Amalfi in Norditalien auf, wo Pavia als Handels-Drehkreuz dient. In den in der Version des 14. Jahrhunderts, aber auf das 11. zurückgehenden 'Honorantiae Civitatis Papiae' auftretenden Bestimmungen heißt es:

Wenn Adelige der Venezianer nach Pavia kommen, so soll jeder von ihnen dem Schatzmeister jedes Jahr ein Pfund Pfeffer, ein Pfund Zimt, ein Pfund Galgant (eine Gewürz- und Heilpflanze), und ein Pfund Ingwer geben. Und der Frau des Schatzmeisters sollen sie einen Elfenbeinkamm und einen Spiegel und eine Garnitur Accessoirs geben, oder zwanzig gute Pavesische solidi. (...)

Genau so waren die Männer aus Salerno, Gaeta und Amalfi gewohnt, mit reichlicher Ware nach Pavia zu kommen. Und sie pflegten dem Schatzamt im Königspalast das Vierzigstel eines solidus zu geben. Und der Frau des Schatzmeisters gaben sie von Fall zu Fall Gewürze und Accessoirs genauso wie es die Venezianer taten. (Lateinisch im Internet, so in: Morrissey, S.131)

 

Eine bedeutende Rolle nimmt Amalfi im 11. Jahrhundert auch beim Transport und Handel mit apulischem Getreide von dessen masserie, den dortigen Latifundien, ein. Teile des nicht zuletzt für Neapel bestimmten Getreides wird in amalfitanischen Mühlen gemahlen und dann in Neapel als Mehl verkauft. Der Transport geht über große Weizenschiffe mit kleiner Besatzung, die aus Sicherheitsgründen ständig in Küstennähe bleiben.

Ein wichtiges Handelsgut sind Sklaven vom Balkan, die vor allem in Bari umgeschlagen werden. Sie gehen als Haussklaven an vornehme Familien im italienischen Raum, auch gelegentlich an Äbte und Äbtissinnen (Morrissey, S.139). Das ändert sich erst, als 1056 der normannische König Wilhelm I. die Stadt zerstört und der kampanische Handel nach Barletta ausweichen muss.

 

Nach der Mitte des 11. Jahrhunderts errichtet Amalfi ein für damalige Zeiten großes Arsenal für den Schiffsbau. Es handelt sich um eine Doppelhalle von 90 Metern Länge und zweimal 7 Metern Breite mit Kreuzgewölben. In dieser Zeit entsteht mit der ersten Version einer 'Tabula de Amalpha' auch ein Verordnungswerk, welches die Organisation von Kapitalgesellschaften für den Seehandel regelt, die Aufgaben der curia marittima mit ihren zwei Konsuln und Schreibern und die Situation der einfachen Seeleute.

 

Amalfi hat inzwischen Handelsniederlassungen von Gaeta bis Sizilien, in Nordafrika  und Handel mit dem islamischen Südspanien. Im Fondaco in Konstantinopel besitzen sie "Lebensmittelläden, Backhaus, Lagerhallen und sogar eine eigene Bronzegießerei." (Morissey, S.121)

Im Orient gibt es schon vor dem ersten Kreuzzug Niederlassungen in Tripoli und Antiochia. Um 1070 erlaubt der Kalif den Amalfitanern den Bau eines Hospizes "mit Kirche, Gästehaus und Spital, das sich in der ärztlichen Behandlung an der arabischen Medizin orientiert" (Mitterauer, S.109), die auch in Salerno bekannt ist.

 

In den Konflikten zwischen Normannen und Langobarden beschließt das Dukat Amalfi, sich 1073 unter normannischen "Schutz" zu begeben, und normannische Herrscher etablieren sich nun als Duces der Stadt. Das wird wichtig, als Robert Guiskard 1081 den bedeutenden byzantinischen Handelshafen Dyrachion (italienisch: Durazzo) zu Lande und zu Wasser belagert. Dort gibt es auch wegen des Salzes, welches in der Nähe produziert wird, eine amalfitanische Kolonie. Ein Amalfitaner soll die Übergabe der Stadt empfohlen haben (Anna Komnena). Darauf muss der Normanne allerdings kurz zurück in sein Reich, siegt 1084 über eine venezianische Flotte, stirbt aber im nächsten Jahr an einer Seuche.

 

In der Folge wird Byzanz 1082 Venedig zuungunsten Amalfis massiv privilegieren, dessen Rechte auf die aller anderen Fremden im Reich zurückgestutzt sind.Aber auch unter venezianischer Aufsicht bleibt eine amalfitanische Kolonie in Durazzo bestehen.

In dieser Zeit wird Ravello Bistum und zugleich als Gegengewicht zu Amalfi-Stadt von den Normannen aufgewertet. Immerhin gebietet der amalfitanische Erzbischof nun über Bischöfe dort wie in Capri, Stabia, Lettere, Scala und Minori.

 

Im Gefolge des ersten Kreuzzuges werden die Handelsbeziehungen noch ausgeweitet. Leute wie Mauro (de Comite Maurone) und sein Sohn Pantaleone (de Comite Maurone), durch Handel reich geworden, kontrollieren nicht nur die Macht in der Stadt, sondern auch in ihren Niederlassungen. Venedig und Amalfi lassen sich als frühe kapitalistische Zentren bezeichnen.

 

Um 1100 beschreibt ein Wilhelm von Apulien in seinen 'Gesta Roberti Wiscardi' Amalfi so: Diese Stadt ist offenbar sehr mächtig und bevölkerungsreich. Keine andere ist an Silber, an Stoffen, an Gold aus zahlreichen Gegenden reicher als sie. In dieser Stadt wohnen sehr viele Seeleute, Experten beim Deuten der Meereswege und des Himmels. Sie bringen dorthin verschiedene Güter aus der königlcihen Stadt Alexandria und aus Antiochia. Diese Leute befahren viele Meere. Hier kennt man Araber, Libyer, Sizilianer und Afrikaner. Diese Leute sind fast in der ganzen Welt bekannt als jene, die anderen Orts das hinbringen, was wert ist gekauft zu werden, und sie bringen all das zurück, was sie gekauft haben. (so in: Morrisey, S.41. Ganzer Text im Original im Internet)

 

Salerno ist der wichtigste Hafen für amalfitanische Kaufleute, die dort ein ganzes Viertel samt Kirche einnehmen. Es ist im 11. Jahrhundert wie schon den Jahrhunderten zuvor eine wohlhabende Residenzstadt mit einer großen jüdischen Gemeinde. Juden sind es dann auch, die stark an der Produktion von Seidentextilien seit der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts beteiligt sind. Diese finden ihren Absatz im höfischen und kirchlichen Umfeld.

 

1060 lässt Pantaleone aus dem Hause Mauro, Vorsteher der amalfitanischen Gemeinde in Konstantinopel, dort die Bronzetüren für das Hauptportal der neuen Kathedrale von Amalfi herstellen und vereiwgt sich darauf mit einer Inschrift. Die neue Zeit deutet sich auch dadurch an, dass der Kunsthandwerker, Simeon aus Syrien, bekannt ist. Als Abt Desiderius diese Türen sieht, wünscht er sich ähnliche für sein Kloster Montecassino. Darauf schenkt sie ihm Mauro, der Vater Pantaleones. Dieser Pantaleone stiftet ebenfalls solche extrem kostbare Türen für das römische San Paolo fuori le mura des Erzdiakons Hildebrand, des zukünftigen Papstes Gregor VII., und für Monte Sant'Angelo im Gargano (Apulien).

Es folgt als Stifter Pantaleone de Viarecta für die Türen von San Salvatore in Atrani. Für den Reichtum amalfitanischen Kapitals steht auch der aus Atrani stammende Landulf Butrumile, der es unter anderem zum byzantinischen Admiral bringt, es sich aber zugleich leisten kann, der Kathedrale Robert Guiskards in Salerno die Bronzetüren zu stiften. 1099 werden sie in Konstantinopel gegossen.

 

Neapel

 

Das alte griechische und dann römische Neapolis leidet wie andere Städte unter dem Verfall des Imperium Romanum, war es mit seiner Umgebung doch eine Art Tourismusregion der Römer gewesen. 788 wird die Stadt von Sarazenen massiv zerstört, und als es von Kalabresen und Apuliern dann wieder nach erbitterten Kämpfen befreit wird, ist es stark entvölkert, was zu erheblichem Neu-Zuzug auch von der Costiera Amalfitana führt.

870 haben die Napolitaner ihren Bischof eingesperrt, weil er die sarazenenfreundliche Haltung vom Dux Sergius II. ablehnte. Kaiser Ludwig bittet den Präfekten der Republik Amalfi, ihn zu befreien, was diesem auch mit einer Flottenexpedition gelingt, wofür Amalfi mit Capri belohnt wird. Ansonsten sind die Beziehungen beider Städte vom Handel geprägt. Neapel verkauft die Agrarprodukte seines Hinterlandes, seine großen Eigentümer legen ihr Geld in Landgütern an, die aber ergänzt werden müssen durch Getreidelieferungen amalfitanischer Schiffe aus Apulien. Amalfis wohl großes Viertel liegt am Hafen. "Die Quellen erwähnen Amalfitaner als apothecarii (Geschäftsbesitzer), campsores, (Geldwechsler und Bankiers) und negatiatores (Kaufleute und Vermittler)." (Morrissey, S.144)

 

Neapel ist seit dem 10. Jahrhundert eine Stadt der Leinenproduktion. Zwar exportiert das ägyptische Fatimidenreich selbst Leinen, aber es schätzt das von Neapolis so sehr, dass es dieses bis ins 11. Jahrhundert importiert. Ibn Hauqal schreibt schon 977: Das Glück der Neapolitaner kommt hauptsächlich von Leinen und Leinentuch, weil sie dort Textilien herstellen, die man in keinem Teil der Welt finden kann und die man unmöglich imitieren kann. (in: Morrissey, S.143)

 

Der Sonderfall Venedig

 

Nicht überall entsteht ein Konsulat. Eine Sonderrolle spielt zum Beispiel neben Venedig das ebenfalls Byzanz untergebene Amalfi, welches sich aber aufgrund seiner geographischen Lage früher davon löst.

 

Venedig ist längst ganz vom Handel und im wesentlichen vom Fernhandel abhängig. Als Eigenproduktion zum Verkauf außerhalb der Stadt gibt es zunächst nur Fisch und Salz.

Handel ist zunächst einmal nötig, um die Versorgung der Stadt zu decken: mit Lebensmitteln aller Art, mit Holz für die Bauten und die Schiffe und Holzkohle für die Heizung. Zugeführt werden muss auch der Nachschub an Lohnarbeit, insbesondere auch für die Schiffsbesatzungen.

 

Die besondere Geschichte Venedigs beruht auf ihrer Situation zwischen Ost und West und sein Aufstieg ist zudem zeitweilig begründet in seiner Situation während des Ausgreifens der süditalienischen Normannen nach Norden und nach Byzanz.

1071 erobern die Truppen Robert Guiskards Bari nach dreijähriger Belagerung (siehe...) und kurz darauf Palermo. Die als Seefahrer erfahrenen Normannen ziehen 1081 sogar auf den Balkan, worauf der Ostkaiser Venedig um Unterstützung bittet. Vor Dyrrhachion (Durazzo) wird die venezianische Flotte besiegt, kurz darauf auch das byzantinische Heer, und die Normannen schaffen es bis nach Thessaloniki, worauf sie allerdings umkehren müssen, als es heißt, Kaiser Heinrich IV. würde nach Süditalien marschieren. Zudem gibt es Aufstände in Sizilien.

1082 gewährt Kaiser Alexios Komnenos Venedig für seine Unterstützung gegen die Normannen erneut mit einer goldenen bulla verzierte generelle Zollfreiheit im ganzen oströmischen Machtbereich, die es auch gegenüber dem heimischen Handel privilegiert. Nur vom Schwarzen Meer bleiben sie weiter ausgeschlossen, von wo Konstantinopel sein Getreide bezieht.

Venezianische Kaufleute lassen sich nun in Konstantinopel in einem eigenen Viertel nieder. Neben mehreren Kais gibt es dort auch eine eigene Kirche, eine Bäckerei und eigene Läden und Lagerhäuser.

1084 macht Robert ("Guiskard") einen erneuten Vorstoß nach dem Balkan, besiegt nach zwei Niederlagen auch die Venezianische Flotte,, stirbt dann aber 1085 an einer Krankheit. Damit ist die normannische Bedrohung auf byzantinisches Gebiet erst einmal zu Ende.

 

Inzwischen wird ein Imperium an Handelsstützpunkten im östlichen Mittelmeer aufgebaut, während die Stadt darauf verzichtet, sich territorial zu einer Festlandsmacht auszubauen.  Danach kontrolliert sie fast alleine den Handel im östlichen Mittelmeer. Im Verlauf des 11. Jahrhunderts werden also nicht nur muslimische Piraten, sondern auch die italienischen Konkurrenten tendentiell aus dem östlichen Mittelmeer abgedrängt.

 

Venedig versorgt die dicht besiedelte Poebene mit ihren schnell wachsenden Städten besonders mit Getreide, welches dort nicht mehr in ausreichender Menge angebaut werden kann. Die Monopolstellung im Handel der Großregion hatte bereits Heinrich IV. für die Stadt garantiert: Venezianische Händler dürfen überall reisen und handeln in seinem Reich (et licentia habeant ...ambulandi), aber aus Venedigs Nachbarstädten darf man nur bis Venedig ziehen (usque ad vos et non amplius). Dieses weitreichende Stapelrecht für deutsche und italienische Handelswaren macht die Stadt zur Drehscheibe des Handels von Ost nach West und Nord nach Süd, und bei Salimbene von Parma heißt das: „Wenn ein Kaufmann dorthin seine Waren zum Verkauf bringt, kann er sie nicht wieder mit sich nehmen, sondern er muss sie ihnen verkaufen, ob er will oder nicht (velit nolit). Und wenn ein Schiff durch Unwetter des Meeres zu ihnen abgetrieben wird, kann es nicht wieder auslaufen, bevor es ihnen nicht seine Waren verkauft hat.“ (In Hartmann (Hrsg), S.319f)

 

Gehandelt wird mit allem, was Geld bringt, auch mit Waffen und Sklaven an die Feinde der Christenheit. Märkte werden mit Verträgen und Gewalt geöffnet. Dabei entwickeln sich zwei Arten von Unternehmertum als Bürgertum: Die untere Schicht der Kaufleute in der Stadt und die Oberschicht der Fernhändler. Beide vermischen sich mit einer alten noblen Grundbesitzerschicht.

 

Der einst von Byzanz eingesetzte Dux ist längst zum auf Lebenszeit gewählten Dogen des Popolo geworden, der dann nach und nach nur noch den Räten einer kleinen Elite verantwortlich ist. Damit er nicht zum Despoten wird oder sein Amt einer Familiendynastie anheim fällt, wird von dieser Elite zur Not auch Gewalt eingesetzt. Auf jeden Fall versucht man zu verhindern, dass der Sohn dem Vater im Amt folgt.

 

Zwischen West- und Ostreich angesiedelt, scheint Venedig weniger von den Konflikten der Kirchenreform und des folgenden Krieges zwischen Papsttum und Kaisertum betroffen zu sein.

 

Stadt, Handel und Schiffahrt bilden eine Einheit. Der Staat Venedig selbst ist Eigentümer der Galeeren der Handels- und Kriegsflotte, reguliert den Schiffsbau, Ausstattung und Fracht, plant die Seereisen. Bürger von Venedig müssen Militärdienst als Ruderer leisten. Auch der Handel ist hochgradig reguliert, um Konflikte innerhalb der Oberschicht zu vermeiden.

 

Was die inzwischen fertiggestellte Kathedrale für Pisa ist, wird die Palastkapelle San Marco für Venedig, dessen zuständige Kathedrale weit entfernt sich in Grado befindet. Aus dieser besonderen Funktion heraus erhält San Marco auch kein Baptisterium beigefügt.

Der Markuskult ist Staatskult. 1071 berichtet Domenico Tino von der Wahl des Dogen auf dem Lido, der folgenden Bootsfahrt nach San Marco, und wie der zukünftige Doge dann von der hohen Geistlichkeit in die Kirche geführt wird. Dort wird ihm dann ein auf dem Markusaltar liegender Stab übergeben, der wenig später als Fahne ausgestaltet werden wird. Der "Heilige" beauftragt den Dogen mit der Vertretung der Kapitalinteressen durch den Stadtstaat. (Rösch, S.18f)

Umso schlimmer, als man 1094 die angeblichen Reste dieses Staatsheiligen in die halbwegs fertiggestellte neue Markuskirche überführen will, und sie nicht mehr findet. Nach der Legende fastet "das Volk" darauf drei Tage, man versammelt sich dann in der Kirche und der Heilige offenbart in einer Säule den Reliquienschrein. Dass das für nüchternere Gemüter nur bewusst inszenierter Betrug sein kann, hindert nicht daran, das Ganze durch die Jahrhunderte als historische Wahrheit in Mosaiken und Gemälden darzustellen.

 

Spanien

 

1080 verzichtet die Monarchie von Kastilien/León, inzwischen vereinigt, auf einer Synode in Burgos auf ihre visigotisch-mozarabischen Traditionen und gliedert sich zur Gänze in die Reformkirche Gregors VII. ein. In den Jahrzehnten danach werden ihre wichtigsten Klöster an Mönche aus Cluny übergeben.

 

Zwischen Atlantik und Mittelmeer schließlich existiert eine langsam nach Süden voranschreitende Zone neuer Stadtbildung im von der Reconquista zurückgewonnenen und oft recht entvölkerten Frontraum, den Extremaduras des 11. Jahrhunderts, allerdings auch mit einigen in Resten überlebenden alten Städten versehen wie Salamanca, Avila und Segovia, die nun zu Festungsstädten hinter der Front werden, vor allem von Kriegern und Klerikern bewohnt, oder dem 1o85 zurückeroberten Toledo, der alten visigotischen Hauptstadt. Sie alle unterstehen direkt dem König.

 

Der Fluss von Geld und Waren in den christlichen Teil Spaniens geschieht einmal durch den Handel, der mit der nördlichen Pilgerroute einhergeht, denn der Camino de Santiago ist bald auch ein wichtiger Handelsweg - Pilgern ist schließlich nichts anderes als eine religiös verbrämte Frühform des Tourismus und damit eben auch ein Geschäftszweig. Zum zweiten durch den Mittelmeerhandel Barcelonas, der im 11. Jahrhundert erheblich an Volumen zunimmt.

Wichtiger wird aber der Waren- und Geldverkehr mit den unter militärischem Druck zurückweichenden islamischen Kleinfürstentümern. In den 'Epistola Hermanni abbatis S.Martini Tornacensis', also aus Tournai, wird für 1143 deutlich, dass unter den "Pilgern" auch fränkische Händler sind, mit einem königlichen Schutzbrief ausgestattet, der ihnen Handel mit den islamischen Teilen Spaniens gestattet. (L.A. García Moreno in: Frühgeschichte, S.137)

Solcher Handel ist ebenso üblich wie "christliches" Söldnertum für islamische Fürsten gegen sehr viel Gold, am Anfang des 11. Jahrhunderts vom Grafen Ramón Borrell von Barcelona betrieben oder am Ende von Rodrigo Díaz de Vivar ('El Cid'). Man muss dabei immer im Auge behalten, dass Ritterlichkeit im Kern Geldgier und Söldnermentalität ist.

Weiterer Goldtransfer aus dem islamischen in den christlichen Teil findet dann durch Raubzüge christlicher Krieger in islamisches Gebiet und vor allem durch beträchtliche Tributzahlungen islamischer Kleinfürsten statt. Mit diesen Reichtümern können hoher Klerus und hoher weltlicher Adel, in deren Hände er vor allem gelangt, Luxusgüter aus dem islamischen Spanien und dem Orient bezahlen, mit denen sie sich gerne schmücken. Es gibt so wenig wie in den Fürstentümern der Kreuzfahrer so etwas wie einen "cultural clash", sondern eher viel Übereinstimmuing zwischen den Kriegerkasten beider Religionen und vor allem viel Faszination für den größeren Luxus, den islamische Krieger aus ihrer Bevölkerung herauspressen können. Bis tief ins 16. Jahrhundert wird islamischer Luxus als "Kunst" ein Faszinosum für spanische Granden bleiben, nun allerdings weithin sinnentleert, schierer Dekor, wie überhaupt mehr oder weniger alle "Kunst" im entfalteten Kapitalismus.  

 

Konsequenz des Goldtransfers insbesondere seit der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts  wird die Verbreitung des islamischen Golddinars als Währung zunächst in den neuen Extremaduras und im 12. Jahrhundert dann auch im kastilisch-leonesischen Hinterland, ins Castellano übertragen als maravedi. Auch die Silberdenare, die in Altkatalonien (dem Norden) nun gemünzt werden, sollen nicht zuletzt dem Eintauschen von Waren aus muslimischen Räumen dienen. Kapitalbildung in lateinischen Raum bedient sich so auch noch durch das ganze hohe (und eben auch noch das späte) Mittelalter muselmanischer Reichtümer, in beiden Räumen der produzierenden Bevölkerung abgepresst.

 

***Pilgerstadt: Santiago de Compostela***

 

Als 997 Almansor über die Stadt herfällt und sie ziemlich vollständig zerstört, soll das Grab auf ausdrücklichen Befehl verschont geblieben sein. In der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts wird eine neue Mauer von etwa 2 km Länge gebaut. Inzwischen verliert die alte Bischofskirche von Iria immer mehr an Bedeutung. Diese Kirche des Königreiches mit ihren rund 70 Pfarreien wird von Compostela aus organisiert und verwaltet.

1019 bestimmt der König, dass seine Sayonen nur über den Adel Recht sprechen und dass ansonsten die zwei des Bischofs zuständig sind. Der eine ist nach späteren Dokumenten ein Laie, der andere ein Geistlicher, und im Verlauf des Jahrhunderts bekommen sie ihr Amt auf Lebenszeit. 1029 erlässt Alfonso V. zudem einen fuero für Compostela.

 

Erst im 11. Jahrhundert ist eine ausführliche Legende dokumentiert, die davon berichtet, wie der Körper des Jakobus, womöglich in Jerusalem getötet, von seinen Gefährten auf ein Boot gebracht wird und auf wundersame Weise an die galizische Küste gelangt und auf mindestens so wundersame in sein Grab.

 

1061/63 wird das kanonische Gemeinschaftsleben bei der Kathedrale eingeführt. Vier Erzdiakonate beaufsichtigen die noch eine Weile nach visigotischem Muster organisierten Gemeinden. Dabei liegt das Schwergewicht auf der Reform des Klerus, während die Laien sich mit der Kenntnis des auswendig gelernten Glaubensbekenntnisses und des Vaterunsers begnügen können.

 

Da das Bistum Braga erst 1071 wieder hergestellt wird, hatte Compostela genügend Zeit, sich bei dem Weg der Reconquista ins südliche Galizien hinein reichlich von dessen mobilem und immobilem Eigentum anzueignen. Immerhin war es der heilige Apostel, mit dessen Hilfe die Eroberungen vonstatten gingen. Mit der Eroberung von Toledo ändert sich der Status von Compostela etwas, inzwischen wird auch der römische statt des visigotischen Ritus eingeführt, und die Annäherung an Rom dient der erneuten Aufwertung. Um 1100 leben bei der Kathedrale 72 Kanoniker, die alle versorgt werden müssen.

 

Der peregrinus ist ursprünglich der Fremde und wird erst in der Zeit der frühen Jakobspilgerei zum Pilger. Die legendären Texte des 9. Jahrhunderts um die Reise des heiligen Leichnams und seine Auffindung zielen wohl schon auf die Etablierung eines Pilgerstromes ab, der als Wiederaufnahme eines spätantiken verkauft wird. Diese Texte verbreiten sich offenbar schnell in schriftlichen und mündlichen Varianten bis über die Pyrenäen. Dabei entstehen auch zum Teil etwas plausiblere Versionen.

Um 900 wird von Bischof Sisnand I. ein erstes primitives Hospiz in Santiago de Compostela gebaut. Außerdem wird die Heilwirkung des Grabes (seine virtutes) verbreitet, wesentlicher Grund, dorthin zu pilgern. Nach und nach werden die Land-Wege wie auch die von den Häfen von Padrón und dem späteren A Coruna unter die Aufsicht des Bistums gebracht. 1028 wird sogar die villa von Ledigos, rund 400 km vom Grab des Heiligen entfernt, von der Kirche des Santiago erworben.

 

950/51 ist eine Reise des Bischofs Gottschalk (Godescalc) von Le Puy dokumentiert, weiteste Anreise bislang. In den nächsten Jahrzehnten werden peregrini erwähnt. Bald werden die übrigen Reisenden von den Pilgern als hospites unterschieden. Überhaupt wird seitdem ganz langsam der peregrinus spezifischer zum religiösen Pilger.

 

Im 11. Jahrhundert wird die entstehende Stadt reich durch den Pilgerstrom und entwickelt ein sehr wohlhabendes Bürgertum neben der hohen Geistlichkeit, was zu erheblichen Konflikten zwischen beiden führt. 1075 wird der neue Kathedralbau begonnen und um 1100 gibt es eine Münze.

 

Auf dem Weg nach Santiago werden an "prä-urbane Nuklei" (García Moreno) mit Hilfe königlicher Freiheiten und Privilegien burgi angeheftet, die wohl deshalb so heißen, weil an ihrer Entstehung viele franci beteiligt sind. Das können Königsburgen wie Jaca, Pamplona und Nájera sein, königliche Machtzentren wie Estella oder Köster wie Sahagún.

Die Pilger werden auf ihrem Weg privilegiert. Es entstehen Pilgerführer wie das 'Liber Sancti Jacobi' und Pilgerherbergen wie die des Königs in Burgos um 1187. Hochadel versucht mit solchen und anderen Mitteln die Pilger durch ihr Gebiet zu lenken, um am Geldstrom teilzuhaben, - was zu Verzweigungen vom Hauptweg führt. 

 

Der Camino de Santiago ist nicht nur Pilgerweg, sondern zudem Handelsstraße. Eine zweite entsteht vom Zielort über Almería nach Nordafrika. Von Almería gehen kostbare Tuche, Marmor, Leder aus Cordoba, Quecksilber und Safran nach Norden. Und diese Stadt wiederum unterhält Seehandel nach Alexandria bei einem Seeweg von gut zwei Monaten.

 

***León***

 

Die alte Römerstadt, die in der visigotischen Zeit nur geringe Bedeutung hatte, und vom Bischofssitz Astorga an Bedeutung übertroffen wurde, wird erst 856 vom Islam zurückerobert und mit einem Bischof versehen. Anfang des 10. Jahrhunderts wird es Sitz des Königs von Asturien und León. Anders als in Kastilien und Navarra findet in Galizien und Asturien und teilweise selbst in León Monetarisierung erst in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts statt, nicht zuletzt befeuert dann von den Pilgerströmen und dem Gold aus dem Süden. 1020 erlässt der leonesische König einen ersten speziellen fuero für die Stadt León und institutionalisiert dort königliche Richter.

 

León bleibt aber durch das 11. Jahrhundert eine Stadt, die von Adel und Kirche dominiert wird, was heißt, dass Handel und Handwerk in die grundherrlichen Strukturen eingeordnet bleiben, ganz im Gegensatz zu Barcelona. Am Ende des 11. Jahrhunderts gibt es rund 25 Kirchen und Klöster mit ihren Bauernhöfen und Gärten innerhalb der Mauern. Ein Markt dient wohl zum Verkauf der Produkte der königlichen Güter. Einige "Franken" siedeln sich an, ein vicus francorum entsteht und zwei "Läden" werden erwähnt. Aber das Handwerk bleibt in die grundherrliche Hofwirtschaft eingegliedert, und nur wenige beginnen Ende des Jahrhunderts in ersten Schritten daraus befreit zu werden.

Neben Kröne, Kirche, Kloster und Hochadel tauchen boni homines auf, filii bene natorum mit richterlichen Kompetenzen, eine Stufe niederen Adels wie die kastilischen infanzones.

 

****Burgos****

 

Burgos ist ähnlich wie León eine königliche Hauptstadt, aber wie García Moreno schreibt, eher eine königliche "Pfalz" als eine Stadt, geprägt von der ursprünglich gräflichen Burg und von kirchlichen Einrichtungen (in: Frühgeschichte, S.143). Stadt wird es erst im 13. Jahrhundert.

 

****Frontstädte****

 

In die Neusiedlungen im wüsten (Neu)Land werden die Siedler mit besonderen königlichen Privilegien gelockt, die Gemeindebildung erleichtern. Das schlägt sich dann in den fueros, königlichen Rechtsbriefen nieder, wie sie früh für Logrono, Sepulveda und Miranda del Ebro überliefert sind. Pitz schreibt zwar: „Daher war möglich, dass den spanischen Land- und Stadtgemeinden schon in die Wiege gelegt wurde, was die kommunale Bewegung anderswo erst erkämpfen musste: die genossenschaftliche Rechtspersönlichkeit und Rechtsfähigkeit.“ (S.380). Aber sie bleiben unter einem königlichen dominus villae, normalerweise einem Adeligen, der im 12. Jahrhundert durch den concejo ersetzt werden wird, und einem ebenfalls dem König verpflichteten Richter, dem eigentlichen Stadtherrn. Er leitet militärische Operationen und verteilt die Beute.

 

Diese Frontstädte, die später ihren Charakter verändern, wenn sich die Front weit entfernt hat, bekommen als comunidad de villa y tierra ein größeres Umland zugeordnet, aus dem sie sich ernähren und in das Kapitaleigner dann investieren können. Diese Landeigner, zugleich die Krieger, gewinnen bald das Übergewicht über menestrales und Kaufleute und entwickeln sich in den nächsten Jahrhunderten zum niederen kastilischen Stadtadel. Ihm gelten von Anfang an die Privilegien, während den Bewohnern des Umlandes hauptsächlich Verpflichtungen auferlegt werden. Fiskalisch am besten gestellt wird, wer mit eigenem Pferd und Waffen in den Kampf ziehen kann.

 

Typisch für viele solche Proto-Städte, sofern sie einen alten Kern und einen Bsichofssitz haben, wird ein ethnisch-religiöses Miteinander in getrennten Stadtviertel für Muslime (mudejars), Christen unter bislang "arabischer" Herrschaft (mozárabes), neu zugezogenen Einwanderern (z.B. franci) und Juden. Solches gilt zum Beispiel für Avila, Salamanca, Toledo.

Wirtschaftliche Basis wird mehr die (transhumante) Viehzucht als der Getreideanbau, und die Mauern der Kerne neuer Städte werden so weit gezogen, dass bei Gefahr nicht nur die Bauern der Gegend, sondern auch das ganze Vieh darin Platz und Weideland findet.

Märte haben hier nur lokale Bedeutung, während der Fernhandel mit luxuriöseren Gütern in den Händen von "Franken" ist (Westfranken, Ostfranken, Italienern)

 

Die alte visigotische Hauptstadt Toledo hatte unter der nordafrikanisch-arabischen Besatzung erheblich zu leiden. Aufstände der Mozaraber im 9. und 10. Jahrhundert wurde mit Strafmaßnahmen begegnet, von denen einer die königliche visigotische Vorstadt zum Beispiel komplett einebnete und in einen islamischen Friedhof verwandelte. Als suburbium blieb am Ende nur Antequeruela übrig und über allem thronte als Zwingburg die Alcazaba. Als die Stadt 1085 übergeben wurde, kamen zu überlebenden Christen und Juden, unter ihnen Handwerker, Händler und Finanziers, nun Kastilier als Militärs und zunehmend auch "Franken".

 

****Barcelona****

 

985 erlebt die Stadt zum letzten Mal erhebliche islamische Zerstörungswut unter Al-Mansur, danach kommt es zum Aufstieg einer Schicht reicher misistrales und Kaufleute etwa gleichzeitig mit Städten in der Poebene. Als Graf Berenger Ramón I. der Stadt und ihren Bürgern 1025 ihre Freiheiten bestätigt, existiert bereits ein Bündnis zwischen beiden Seiten, dass sich dann gegen den Vizegrafen (von Castell Vell) wendet, der aus der Stadt mehr herauspressen möchte. Um 1060 erreicht sein Erbe Raón Berenguer I. im Bündnis mit der städtischen Oberschicht das Niederkämpfen feudaler Kastellane in der Stadt und in ihrem direkten Umfeld, die sich dann in den anderen Orten durchsetzen, wo die payeses als weiter verknechtete Landbevölkerung existieren.

Um den Preis ihrer Hinnahme auf dem Lande kann der Graf den Status eines katalanischen Fürsten erreichen, den er in Zusammenhang mit der bürgerlichen Oberschicht auszubauen sucht. Es entstehen Märkte wie der bischöfliche von Vic oder Stadtkerne wie der von Cardona und Bau und Ausbau von Wegen für den Handel über Land mit Occitanien und dem muslimischen Süden.

 

Die handwerkliche Produktion nimmt erheblich zu (Waffen, Lederwaren, Tücher und vieles andere), aber insbesondere der Goldzufluss aus dem muslimischen Raum fördert den Handel. Anfang des 11. Jahrhunderts entsteht ein neuer Hafen mit seinem Stadtviertel. Ramón Berenguer I. lässt eine erste Schiffswerft errichten, 1113 scheitert dann ein erster Versuch, Mallorca zu erobern. 1127 schließen Ramón Berenguer III. und der Genueser Konsul Caffaro ein Handesabkommen. Nach 1070 beginnt ein Bauboom mit dem Neubau vieler Stadthäuser und einem zweiten Marktplatz.

Rund um Barcelona entstehen neue Stadtkerne wie Sarrià und Pedralbes, angelehnt an kirchliche Institutionen. Die städtische Oberschicht beginnt, Land um die Stadt aufzukaufen.

 

Die 1068 vom Grafen verkündeten usatges erklären neben einem Gottesfrieden (vermutlich) Bewegungsfreiheit der Bürger, Rechtssicherheit, eine eigene Finanzverwaltung und eigene Steuern.