Schwellenzeit 2: Kirche, Kloster, Grundherrschaft

 

 

Kloster und Reform

Bischofskirche

Grundherrschaft

Bäuerliche Produzenten

Das Dorf, Kirche, Arbeiten und Leben

Ehe, Familie, Verwandtschaft (Liebe /Körperlichkeit)

Modernisierung

Handwerk

Bergbau

Das Land in England

Das Land in Galizien und Asturien-León

 

 

Auf der Schwelle in die Zeit der Entstehung von Kapitalismus wurden bislang Herrschaft und entstehender weltlicher Adel als Rahmenbedingungen beschrieben, also der Stand der Krieger (bellatores). Dazu gehören aber genauso auch Kirche und Klöster, der Stand der Betenden also, der oratores. Bischöfen und Äbten gemeinsam ist, dass sie ebenfalls Grundherren sind, die wie weltliche Herren andere die produktive Arbeit und den Handel machen lassen, um deren Ergebnisse zu konsumieren. Sie entstammen meist der Kriegerschicht und teilen weithin deren Interessen und Vorstellungen.

 

Das Christentum beruht weiter auf einer Mixtur aus altjüdischen und ausgewählten evangelischen Texten, angereichert durch solche der Kirchenväter und spätere Ergänzungen. Der kriegerische jüdische Gott ist längst der christliche, von dem die Juden abgefallen sind, da sie sich nicht durch Jesus als Christus haben erleuchten lassen. Immerhin werden sie weiter geduldet, während die "Heiden" Feinde sind.

Dieses Christentum schwankt weiter zwischen der Botschaft Jesu und einer ganz anderen Lebensrealität. Mönche und Nonnen sind immerhin auf einem gewissen Weg der Heiligkeit unterwegs, während Bischöfe und Priester weitgehend in "die Welt" integriert sind. Den Kriegern wird nur ein kirchlich-rituell ausgestaltetes Bekenntnis abverlangt, dem Nächstenliebe und Armutsideal zum Beispiel völlig fremd bleiben. Die produktive Masse der Menschen, illiterat wie die Krieger, verharrt in minimalen, von vorchristlichen Vorstellungen durchsetzten Glaubenssätzen, die alle darauf hinauslaufen, ihren Grundherren und der Kirche Gehorsam zu leisten. Daneben werden sie an den Kirchenwänden durch gemalte Darstellungen von sagenhaften und legendären "Geschichten" beeinflusst.

 

Neben dem Kirchenbesuch zu den vorgeschriebenen Veranstaltungen wird die Beichte vor dem Priester, die weithin die vor der Gemeinde ablöst, immer wichtiger. Dort wird ein Katalog von dem abgearbeitet, was abwechselnd Sünde und Verbrechen (crimen) heißt, und der von oben so verordnet wird wie in den viel später entstehenden Staaten Gesetze. Mit der Aufzählung der Sünden wird das Ableisten der vorgeschriebenen Buße verbunden. Dieses Leistungsprinzip kann zunehmend für den, der hat, durch Geldleistungen ergänzt oder ersetzt werden. Der Blick ist dabei mehr oder weniger furchtsam auf das Leben nach dem Tode gerichtet, auf Himmel bzw. Paradies oder Höllenqualen. Vermutlich wird nicht nur für Heilige erhofft, dass man möglichst schnell und in möglichst angenehmem Körper in die ewige Seligkeit gelangt. Da der Mensch allemal sündigt, muss er entsprechend viel dafür als Kompensation tun. Auf den Märkten und beim Handel gilt es offiziell, einen "gerechten Preis" einzuhalten, da auch Wucher als Sünde gilt. Lukrativ wird Handel aber nur, wenn er regelmäßig darüber hinausgeht, was selten sanktioniert wird.

 

So wie biblische Geschichten naheliegender sind als abstraktere Theologie, so sind auch die Heiligen im Himmel leichter zu vermenschlichen und eher Ansprechpartner als ein ferner Richter-Gott. Ihnen kommt man am nächsten über ihre Überbleibsel, die Reliquien, also Knochenreste und anderes, was in Berührung mit ihnen gekommen war und nun in Kirchen im oder beim Altar aufbewahrt wird. Dorthin, wo so etwas besonders wirksam wird, werden Wallfahrten unternommen, so dass man am Ziel um Heilung von Krankheiten, Wohlstand oder was sonst gerade anliegt, bitten kann.

 

 

Kloster und Reform

 

Während unter den Karolingern Christianisierung als Machtbasis vorangetrieben wurde, als Vereinheitlichung im Sinne der Zentralmacht, tauchen im 10. Jahrhundert neue Reformbestrebungen auf, die dem Kloster stärkere Autonomie geben wollen. Es geht dabei um Machtfragen, die mit stärkerer Heiligung der Einrichtungen verbunden werden.

 

In die Wirklichkeit von Klöstern, abgeschlossen, wie es schon ihr Name sagt, lässt sich nur schwer und nur an wenigen Stellen hineinschauen. Seltene Einblicke gibt es dort, wo Konflikte auftauchen, die nach außen getragen werden. Ein Grundzug mittelalterlichen Klosterlebens ist die Tendenz zur Abweichung von der vorgegebenen Klosterdisziplin, also "Verweltlichung", die zu immer neuen Reformbewegungen führt: Benedikt von Aniane, Cluny, später die Zisterzienser, die Bettelorden.

 

Sexuelle Enthaltsamkeit geht zurück. Zudem stehen viele Klöster unter der Kontrolle von Hochadeligen, die wie die Welfen und die Robertiner einen Teil ihrer Macht auf sie und ihren Besitz begründen. Fulko I., Graf von Anjou, ist 929/30 (Laien)Abt im Kloster St. Aubin und im Stift von Angers. Bis 1027 setzt er dann Äbte ein, ohne die Mönche zu befragen. Graf Balduin III. von Flandern baut dem Kloster St.Bertin einen Wehrumgang und ist vor seinem Tod 962 eine Weile dort Laienabt, vererbt das Amt an seinen Sohn und der an seinen Bruder. (Fichtenau, S.311)

Über sein Kloster St.Maximin in Micy schreibt Mönch Metald:

"Sein Abt war durch einen Güterprobst des Bischofs von Orléans verdrängt worden und die Brüder mussten zusehen, wie Räumlichkeiten als Pferdestall okkupiert wurden. Es gab eine Falknerei, einen Hundezwinger, einen Fechtplatz für die Jungmannschaft; die Webstühle klapperten, und die Frau des Propstes ging mit ihren Dienerinnen umher." (Fichtenau, S.312)

Selbst im für Westfranzien so wichtigen Martinskloster in Tours wird die Benediktregel nicht mehr so recht eingehalten. "Nahm gar wie im alten St.Benoît de Fleury-sur-Loire ein Adeliger die Abtschaft wahr, der mit Frau und Kindern und Jagdgesellschaft im Kloster wohnte" (Wollasch, S.20), so war ein Reformbedarf unübersehbar. Offenbar wurde auch der strenge Einschluss im Kloster nicht mehr befolgt, und da viele Mönche kaum noch lesen konnten, war ihre religiöse Bildung bescheiden.

 

Abt Hildebrand von Farfa führt zur Zeit Ottos I. ebenso wie seine Mönche eine Art öffentliche Ehe. Als Hugo von Farfa von Cluny um die Jahrtausendwende mit der Reform des Klosters beauftragt wird, berichtet er davon, dass dort Mönche offen mit ihren Geliebten leben.

Wie auf weltlichen Herrenhöfen lebt auch beim Kloster eine größere Schar von Dienstpersonal, vor allem Handwerker, in der Regel in Massenquartieren, nach Männern und Frauen getrennt, letztere mit kleineren Kindern zusammen. Ehe und Familiengründung ist ihnen auch hier in der Regel untersagt. Auf einem Gut des Klosters Farfa gibt es 55 Mägde, die vermutlich Textilarbeiterinnen sind. (Fichtenau, S.172)

 

Wo Stifter insbesondere im deutschen Raum nicht direkt eingreifen, bestimmen sie doch die Vögte der Kloster, und ostfränkische Könige setzen sie aus ihnen genehmen vornehmen Familien ein.

 

 

Klöster ernähren sich über ihren Grundbesitz mit den Leuten, die darauf arbeiten. Dieser erweitert sich bis ins 10. Jahrhundert über erhebliche Schenkungen, die dazu führen, dass sie schließlich über einen Großteil des Landes verfügen. Schenkungen gehen immer auch einher mit der Aufnahme (Obligation) von Kindern ins Kloster oder der dem Tode naher Vornehmer.

 

Klösterliche Besitzungen sind nicht der Zersplitterung im Erbfall unterworfen, sondern werden durch ständig neue Spenden vergrößert. Während das Erbeuten neuer Besitzungen durch kriegerische Gewalt den weltlichen Adel hohen Risiken aussetzt, und Unfruchtbarkeit der wirtschaftlichen Unternehmung Adelsfamilie gar ein Ende setzt, müssen Klöster nur durch den Eindruck von Frömmigkeit und wirtschaftlicher Effizienz glänzen, um immer reicher zu werden. Anders als bei den produktiv Arbeitenden ist die Ernährung von Mönchen dabei in der Regel ausreichend gesichert, wobei vor allem die Quantität an Brot und Hülsenfrüchten betroffen ist, oft auch an Wein.

 

 

Das Besondere an den Klöstern ist, dass der einzelne Mönch kaum Eigentum haben darf, wobei es für das Kollektiv der Mönche aber eher wünschenswert ist, dass es möglichst wohlhabend wird. Damit kann es zum wichtigen Machtfaktor werden und zudem in seiner Prächtigkeit besonders eindrucksvoll die weltlichen wie religiösen Interessen der weltlichen Machthaber vertreten.

Ein höherer Adel, der es sich leisten kann, stiftet darum Klöster, in denen dann nicht mehr erbberechtigte Kinder aufgenommen werden und manchmal als Äbte eingesetzt werden. Diese Klöster können dann für das Seelen der Stifter beten.

 

Herzog Wilhelm von Aquitanien, Graf von Macon, besitzt mehrere Eigenklöster und firmiert in dem von St.Julien de Brioude in der Auvergne selbst als Abt. Reformansätze zu strengerer mönchischer Disziplin (griechisch: Askese) hatte es zuvor in Baume unter Abt Berno gegeben, wo auch der zweite Abt Odo (von Cluny) als Mönch lebte. Wie der Herzog selbst sagt, stiftet er dann das Kloster Cluny aus Sorge um sein Seelenheil und stattet es mit einer Grundherrschaft aus. Diese Sorge soll die Neugründung umso effektiver leisten können, als sie weder einem weltlichen noch einem geistlichen Herrn unterstellt wird, sondern direkt dem Papst. Die Mönche sollen ihren Abt selbst wählen dürfen. Damit soll jene strenge benediktinische Disziplin eingehalten werden können, die die Gebete dort erst richtig wirksam werden lassen.

 

Die Strahlkraft der Neugründung führt zu weiteren reichen Schenkungen. Immer mehr Klöster werden bakd von ihren Herren an Cluny zwecks Reform und Aufsicht übertragen, zum Beispiel auch von den Robertinern, oft wohl gegen Widerstand zumindest einer Mehrzahl der Mönche. Bis nach Italien gibt es schließlich cluniaszensische Klöster. Konfliktpotential ergibt sich mit den Bischöfen, die ihren Einfluss auf solche Klöster schwinden sehen.

 

Die Äbte von Cluny sind offensichtlich von der stabilitas loci des einfachen benediktinischen Mönches ausgenommen und oft wie Reisekönige im lateinischen Europa unterwegs, wobei sie auch Schutz für ihr Kloster suchen. Sie

verkehren bald regelmäßig in Rom auch mit jenen Päpsten, die wegen größtmöglicher Verworfenheit berüchtigt sind, mit Kaisern und mit Königen wie den römisch-fränkischen, den westfränkischen und englischen.

 

Schon unter Abt Odo (seit 927) werden die Mönche dazu verpflichtet, täglich 138 Psalmen zu rezitieren, ein Mehrfaches des bislang üblichen. Im 10. Jahrhundert geht ein großer Teil der dortigen Mönche aus der Schicht freier Bauern hervor, die im 11. dann von höher-adeligen Herren abgelöst werden.

 

In der zweiten Hälfte des zehnten Jahrhunderts kommt es zur Niederschrift der Gebräuche, consuetudines, von Cluny. "In diesem Text wird den Gang des Kirchenjahres hindurch der Ablauf des Tages für den Mönch in Cluny völlig auf die Liturgie hingeordnet, auf die mönchischen Tageszeiten, zu denen das Chorgebet stattfand, und auf die Messfeier. So sehr wurde die Gemeinschaft in ihren gemeinsamen Gottesdienst gestellt, dass der Text der ältesten aus Cluny erhaltenen Gewohnheiten klösterlichen Lebens nahezu nur Aussagen zur Liturgie zu entnehmen sind." (Wollasch, S.96)

 

Bei Radulf Glaber liest sich das etwas später in seiner Historia so:

In diesem Kloster, das kann ich selbst bezeugen, gibt es einen Brauch,, der sich nur durch die gewaltige Anzahl der Mönche verwirklichen lässt; und diesem Brauch gemäß werden tatsächlich von der ersten Stunde des Tages bis zur Ruhezeit ohne Unterlass Messen gefeiert. Dies geschah mit so viel Würde, so viel Frömmigkeit und so viel Verehrung, dass man eher meinen könnte, Engel walten zu sehen als Menschen

 

Das Umfeld der frühen Messen dient dem Totengedenken: "Der morgendlichen Messe gingen Gesänge und Gebete voraus: für Könige und Prinzen, für Bischöfe und Äbte des Ordens, für Freunde und Gönner der Abtei sowie für aktuelle Anlässe. Zur zweiten Messe sprachen die Mönche Gebete für die verstorbenen Päpste, für Freunde und Gönner wie die Könige von Spanien, für die Brüder, für die Freunde und Verwandten der Mönche, für alle, die in Cluny begraben lagen, und für die Toten im Allgemeinen." (Gleba, S.117)

 

Voraussetzung für die vielen Messen ist wie anderswo auch die Zunahme jener Mönche, die zugleich Priester sind. Dabei wird die überall demonstrierte Hierarchie immer wichtiger: Bei der Prozession im Kirchenchor gehen Priestermönche voran, es folgen Diakone, Subdiakone, Inhaber niederer Weihen und dann die Laienmönche. Alle Gruppen sind wiederum nach Professalter gegliedert. (Fichtenau, S.37)

 

 

934 finden sich Fromme im verfallenen Kloster Gorze zusammen und begründen eine Gemeinschaft von ebenfalls benediktinischer Strenge, die über Lothringen in den ostfränkischen Raum ausstrahlt. Die davon beeinflussten Klöster bleiben aber Eigenklöster von Bischöfen und Hochadel, die weiter Einfluss u.a. auf die Abtswahl haben.

Im deutschen Raum sind ansonsten die mächtigen „Reichsklöster“ unter den Ottonen ähnliche Stützen königlicher Herrschaft wie die Bischöfe. „...schon in ottonischer Zeit führten beispielsweise die Äbte von Lorsch (Bergstraße) und Weißenburg (Elsass) dem Kaiser je fünfzig Gepanzerte für den Italienkrieg zu, mehr als die Bischöfe von Worms, Konstanz oder Freising.“ (WGoez, S.55)

Am Ende des 10. Jahrhunderts gibt es etwa 90 Reichsklöster im ostfränkischen Reich, die zur Nutzung von Bistümern durch die Könige hinzukommen. Ähnlich wie Bischöfe versuchen Könige dort ihre Leute als Äbte einzusetzen, die oft wie weltliche Herren wirken.

 

Fromme Erneuerung der Klosterdisziplin schließt nicht aus, dass Klosterkirchen eine gewisse protzige Gigantomanie entwickeln.

Unter dem Abt Maiolus von Cluny wird in etwa den Jahren 950 bis 980 eine zweite Abteikirche errichtet. Es war eine dreischiffige Basilika mit Vierungsturm. Dem Langhaus ist im Westen ein Atrium vorgelagert. Als Neuerung wird zwischen ausladendem Querhaus und Apsis ein dreischiffiger Chor mit basilikalem Querschnitt eingefügt, dessen Seitenschiffe in Kapellen mit äußerlich rechteckigem, innen aber rundem Abschuss auslaufen. Flankiert wird dieser Chor von zwei weiteren Räumen. Das gewaltige Cluny II wird zum Vorbild der cluniazensischen Reformbaukunst

 

Nachdem Wilhelm von Volpiano von Cluny zur cluniaszensischen Erneuerung von St.Bénigne in Dijon geschickt wird, lässt er zwischen 1001 und 1018 die ursprüngliche Klosterbasilika mit ihrem hölzernen Dachstuhl abreißen und durch eine neue Klosterkirche mit einem Gewölbe unter Einbeziehung einer neuen großen, östlich gelagerten Rotunde im frühromanisch-lombardischen Baustil ersetzen. Sie ist 100m lang und 26m breit. Dazu gehören acht Türme, drei Kapellen, 120 Glasfenster und 371 Säulen (Fichtenau, S.103)

 

Angeschlossene Klosterschulen bleiben bis tief ins 10. Jahrhundert der wichtigste Ort, an dem Lesen und Schreiben (der lateinischen Sprache) vor allem für angehende Priester unterrichtet wird, und zwar mit Drill und Auswendig-Lernen. Normalerweise wird nur das trivium, im besten Fall werden dabei auch die sieben freien Künste (artes liberales) unterrichtet.

Bücher der Klosterbibliothek sind teuer, meist durch Abschrift hergestellt, und ihre Anzahl bleibt überschaubar, wobei sich immer wieder einige "heidnische" Klassiker einschmuggeln.

 

 

Bischofskirche

 

Das unter den Sachsenkaisern wieder hergestellte Bündnis von Papsttum und Reich, noch unter Aufsicht weltlicher Herrscher, stärkt auf die Dauer die Päpste, die als Stadtherren von Rom, seines Umlandes und eines erst noch zu verwirklichenden größeren Kirchenstaates bestrebt sind, sich über die Machtkämpfe einer sich immer aristokratischer gebenden römischen Oberschicht

zu erheben. Darüber hinaus rivalisieren sie mit den Bischofskirchen der Reiche, die ihre Selbständigkeit zu halten suchen.

 

In der Zeit der Klosterreformen beginnen Könige aus der sächsischen Familie der Liudolfinger (Ottonen) im ostfränkischen Reich damit, ihre Herrschaft noch stärker auf die Bischöfe zu stützen. Dafür intensivieren sie die sehr weltliche Ausstattung der Bistümer durch die Könige, um sie als Verbündete der Herrscher zu gewinnen und wirtschaftlich und militärisch so potent zu machen, dass sie diese mit ihrem stattlichen Hof bewirten und ihnen auf Heer- und Kriegszügen (was sich kaum klar unterscheiden lässt) folgen zu können, sowie an den königlichen Hoftagen teilnehmen. Im Laufe des 10. Jahrhunderts werden sie so zur wichtigsten Stütze königlicher Macht.

 

In einem Aufgebot von Kaiser Otto II. stellen Bischöfe drei Viertel des Reichsheeres, so mancher zeichnet sich durch Wehrhaftigkeit und kriegerisches Verhalten aus. Wichtig für die Herrscher ist auch ihre Verpflichtung zur Beherbergung und Verpflegung des umher reisenden Königs. Dementsprechend werden diese hohen kirchlichen Herren mit immer neuen Privilegien versehen, die ihnen entsprechend Aspekte von Beherrschung ihrer civitas verleihen.

 

Bischöfe werden welt-orientierter, ähnlich wie auch die Domherren. Am Ende nähern wir uns der Trennung in die Kirche mit ihren geistlichen Aufgaben, die die Bischöfe in ihrer zum Teil häufigen Abwesenheit ohnehin delegieren, und der Kirche als weltlicher Macht, die sich im 11. Jahrhundert als Hochstift herauskristallisieren wird. „Das neue Bischofsideal ist durch eine Hinwendung zum tätigen Leben, zur vita activa als Vorstufe eines Amtsgedankens, einer Verantwortung des Bischofs für seine Diözese gekennzeichnet.“ (Schubert in Bernward, S.101)

 

Bischöfe werden eigentlich von Klerus und Gemeinde gewählt, was im 10. Jahrhundert heißt, dass der höhere Domklerus sich (oft) für einen aus ihren Reihen entscheidet. Aber weltliches wie geistliches Machtinteresse sorgen dafür, dass Könige oder andere Fürsten beginnen, solche Leute auch in ihrer Hofkapelle heranzuziehen und dann dem Bistum auch schon mal gegen dessen erklärten Willen aufzuoktroyieren. Hochadel und Könige lassen Wahl nur noch dort zu, wo ihnen Bistümer eher uninteressant sind.

Ausnahmen werden durch Privilegien markiert, wie das des Domklerus von Magdeburg, dem Otto II. 979 das ius speciale der freien Wahl verleiht.

 

Nun gibt es ohnehin das Bewusstsein einer Einheit von weltlicher und geistlicher Macht, wie sie seit Konstantin und dann auch der ersten Reichssynode Chlodwigs demonstriert wurde. Diese Einheit gewinnt neue Qualität nicht zuletzt über die seit den Karolingern verstärkte Sakralität des Königtums, die auch danach beibehalten wird.

Mit der Entstehung neuer Reiche geht daraus dann jene Tendenz hervor, die Reichskirchen schafft, wie die west- und ostfränkischen, wobei für das Ostreich zwischen 916 und 1056 rund 100 vom König initiierte Synoden bekannt sind. (GoetzEuropa, S.219) Landeskirchen entstehen dann auch durch Errichtung von Erzbistümern im entstehenden Polen, in Ungarn oder noch später in Dänemark, welche sich dabei aus der ostfränkischen Kirche lösen.

 

Das, worauf Kloster- und Kirchenreformen schon immer abzielten, den autonomen Raum eines konsequent (kirchlich definiert) christlichen Lebens, wird dabei grundlegend gefährdet. Neben das nicht regulär umgesetzte Zölibat in der Priesterschaft tritt dabei ein zweites Problem, der Vorwurf durchgängiger Korruption, auch wenn sie damals nicht so genannt wird.

Wer ein geistliches Amt will, zeigt sich beim jeweiligen weltlichen Herrn dafür erkenntlich. Je einträglicher dieses Amt ist, desto größer der Obulus, der dafür entrichtet wird. In der Reformbewegung nach der Jahrtausendwende wird das unter den Vorwurf der Simonie fallen. Zusammen mit dem erneut verweltlichenden Lebensstil von Bischöfen und Klerus baut sich so ins 11. Jahrhundert eine Art kirchlicher Reformstau auf, der Schritt für Schritt in Konflikte zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt münden wird.

 

Höherer Adel, wie er sich unter den Bedingungen neuer Bildung von Reichen und Fürstentümern im 10./11.Jahrhundert entwickelt, wird in der Familie vererbt wie Besitz und Rechte. Hohe geistliche Ämter sind für Mitglieder dieser Familien eine Alternative: Sie implizieren hohen Adel und entsprechende Macht als Ziel einer Karriere. Darum versuchen Familien, sich möglichst für längere Zeit des Bischofsamtes zu bemächtigen. In Limoges wird der Bischofsstuhl ab 969 sukzessive von drei Familien der Vizegrafen besetzt. Von der Mitte des 10. bis in die zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts hält eine hochadelige Familie das Amt in seiner Hand, von Onkel zu Neffe, von Bruder zu Bruder usw. Bischof und Hochadel operieren in einer Familie auf gleicher Höhe und Hand in Hand.

 

Ein aus der örtlichen Grafenfamilie entstammender Manasse wird 914 Bischof von Arles. 926 folgt er dem Grafen Hugo nach Italien und erringt die Bischofsitzen von Verona, Trient und Mantua dazu. Bei einem weiteren Italienzug erringt er um 950 auch noch das Erzbistum Mailand.

 

Heribert von Vermandois, Graf von Soissons und Laienabt eines Klosters in Soissons, erreicht mit Blick auf das Kirchengut vom schwachen Erzbischof Seulf mit Unterstützung König Roberts I. die Designation zum neuen Reimser Erzbischof, was nach dem Tod Seulfs dann dergestalt stattfindet, dass der noch nicht einmal fünfjährige Hugo (von Vermandois) das Amt antritt. Die geistlichen Angelegenheiten soll der Bischof von Soissons besorgen, die weltlichen Graf Heribert. (schreibt Flodoard).

In Mailand werden große Vasallen aus kirchlichem Besitz belehnt, den zuvor der Klerus innehatte.

 

Thietmar von Merseburg findet es verständlich, dass Könige und Kaiser Bistümer besetzen, da sie ja Stellvertreter Christi auf Erden sind. Trotzdem habe ich vernommen, dass manche unter der Herrschaft von Herzögen und, noch schlimmer, von Grafen schwere Beeinträchtigungen erleiden; nichts dürfen sie tun als was solchen Weltkindern zum Nutzen ist. (I,26)

 

Ausnahmen von hochedler Herkunft gibt es unter Bischöfen wenige. Die Mutter des von Otto II. eingesetzten Willigis, zuvor Kanzler, als Erzbischof von Mainz war eine paupercula gewesen, eine relativ arme Freie, und wegen seiner geringen Herkunft wenden sich viele gegen die Ernennung. Erst Robert ("der Fromme") wird in Westfranzien häufiger Leute niederer Abkunft einsetzen.

 

Ein gutes Beispiel für hochadeliges Selbstbewusstsein jener Schicht, die die hohen Kirchenämter einnimmt, liefert Gerhards Lebensbeschreibung des 890 geborenen Bischofs Udalrich (Ulrich) von Augsburg, der eine herausragende Rolle in der Schlacht auf dem Lechfeld spielen und heiliggesprochen werden wird. Die gräflichen Eltern bringen ihn zur Erziehung ins hochadelige Kloster Sankt Gallen, und dort erhält er dann einen Karriereposten beim Augsburger Bischof. Danach macht er eine Pilgerreise nach Rom. Als er zurückkommt, ist ein neuer Bischof im Amt:

Dieser war nicht von so hohem Adel, dass Ulrich in seinen Dienst hätte treten mögen. Und weil inzwischen sein Vater gestorben war, ging er ins Elternhaus zurück und übernahm die Versorgung der Mutter (…) und verwaltete alles, so gut es in seinen Kräften stand. (in: WGoez, S.28)

Erst vierzehn Jahre später wird er als naher Verwandter des Herzogs Burchard von König Heinrich I. zum Bischof ernannt und lebt dann zwischen dem, was er unter persönlicher Frömmigkeit versteht, und sehr weltlichem Königsdienst, der manchmal auch direkten Dienst mit der Waffe bedeuten kann.

Er macht seinen Neffen Adalbero zum Kommandanten der bischöflichen Vasallen, lässt seine Familiaren einen Treueid auf ihn leisten und macht ihn zu einer Art Stellvertreter im Bischofsamt, wogegen sich eine Synode seiner Amtsbrüder wehrt, die aber akzeptiert, dass der Neffe sein Nachfolger werden soll.

 

Der hohe Klerus entstammt adeligen Familien, ebenso wie Mönche, Nonnen und Bischöfe. Welche Lebensweise das trotz aller Reformversuche des 9. Jahrhunderts normalerweise nach sich zieht, lässt sich implizit am Sonderfall der idealisierten Lebensweise der Hildesheimer Domherren unter Bischof Bernward in der Zusammenfassung von R. Schieffer ablesen:

"So ernst sei damals dort der Dienst für Gott genommen worden, dass man sich bei der kanonikalen Lebensform einer 'mönchischen Zucht' (districtione monastica) erfreuen mochte. Unerbittlich sei bereits jede Verspätung beim Chorgebet, am gemeinsamen Esstisch oder im Schlafsaal geahndet worden, und innerhalb der Klausur habe man eher noch mehr auf Strenge gehalten als in der Schule, was das tägliche Schreibpensum sowie die auswendige Beherrschung der liturgischen Texte und Gesänge anging. Auffällige Kleidung habe man so wenig erstrebt wie reichliches Essen, die schlichte Denkungsart dem höfischen Witz vorgezogen und um des geistlichen Auftrags willen jeden Ehrgeiz in der äußeren Welt aufgegeben." (in: Bernward, S.270)

 

Solche Disziplin eröffnet höhere Karrieren, und so werden die sächsischen Könige und Kaiser aus den Reihen der Hildesheimer Kanoniker immer wieder Leute in ihre Hofkapelle ziehen und sie (dann) zu Bischöfen im Reich machen.

Üblicher ist aber wohl, was Bischof Rather von Verona von seinem Domkapitel berichtet, und zwar von Würfelspiel, Alkohol, Falken- und Hundejagd (Falkenau, S.282)

 

Während die von Cluny, Gorze und vielen anderen Orten ausgehenden Reformversuche das klassische benediktinische Mönchtum zu bewahren und zu retten versuchen, wird es doch in dieser Zeit in seiner Bedeutung langsam durch Bischofskirche und Papsttum zurückgedrängt, mit denen sich die Könige des römisch-deutschen Reiches immer deutlicher verbünden.

 

 

Im 10. Jahrhundert werden die weltlichen Herren zunehmend illiterater und auf die Hilfe weniger Lesekundiger angewiesen. Solche finden sich zunächst am ehesten noch unter an Klöstern ausgebildeten Bischöfen und in Klöstern, wobei man über den Anteil der dort ernstlich Schriftkundigen über Scholaster, Lehrer an Klosterschulen, hinaus kaum etwas weiß. Das alles drückt nichts anderes als einen Rückgang der Zivilisation aus, also des von mehr als mündlich vermittelten, verfeinerten Machtstrukturen und deren Propagierung. Zeichenhafte Rituale nehmen an Bedeutung zu.

Mit steigender Bedeutung der Bischöfe wird dann aber die Belesenheit und Gelehrsamkeit ein Stück weit aus dem Monopol der Klöster entlassen und findet zunehmend eine neue Bleibe in den Domschulen, in denen die eingeübte Demut des klösterlichen Skribenten einem neuen, etwas intellektuelleren Selbstbewusstsein weicht, welches sich stärker antiken (auch heidnischen) Autoren öffnet.

Reste an Bildung werden von Geistlichen in teils weit auseinander liegenden Orten gepflegt, in Reims, wo einzelne Autoren wie Flodoard und Richer Texte schreiben, in St. Gallen, und in Corvey mit dem Sallustkenner Widukind, dazu kommen dann noch Quedlinburg, Magdeburg und das Gandersheim der von Vergil und Terenz beeinflussten Hrosvitha. Bedeutend sind die gereimte Prosa des Bischofs Rather von Verona und der das Griechische beherrschende Bischof Liutprand von Cremona.

 

 

Status ist zugleich reale ökonomische und militärische Macht, die an der Person und direkt um sie herum sichtbar gemacht werden muss. Eine aristokratische Kirche braucht große Besitzungen, um nicht nur mit allem Lebensnotwendigen versorgt zu werden und den Dienst am König, das servitium regis zu leisten, sondern um zudem mit der Pracht ausgestattet zu sein, die den gehobenen Status widerspiegelt.

Adelskloster und Kirche besitzen nur als gemeinsam deklarierten Besitz, aber der macht auf dem Weg ins Mittelalter bereits einen Großteil des Landes aus. Dabei gehört kirchlicher Besitz (nominell) den jeweiligen Heiligen, man beschenkt nicht so sehr den Bischof oder Abt, sondern den Heiligen Johannes oder Martin, aber die Wirklichkeit sieht anders aus: Die Größe der Kathedrale und ihre Ausstattung künden tatsächlich von Macht und Status des Bischofs und sind sein höchst persönliches Anliegen. Gold, Silber und Edelsteine, Elfenbein und Marmor dienen offiziell dem Lobe Gottes, aber dies ist kaum von dem des Abtes oder Bischofs zu trennen...

 

Ekkehard (IV) von Sankt Gallen berichtet von einer Italienfahrt des mächtigen Mainzer Erzbischofs Hatto im Auftrag des Königs. Man sagte aber, aus Misstrauen gegen seine Mainzer habe er alles, was er an Schätzen besaß, mit sich geführt, um es bis zu seiner Wiederkehr seinem Kumpan anzuvertrauen, und der war Salomo, Bischof von Konstanz und Abt von Sankt Gallen (Ekkehard, S.56). Vor allem Gefäße aus Gold und Edelsteine werden erwähnt. Das alles wird aus der Mitte des 11. Jahrhunderts erzählt, von der aus der Reichtum des Bischofs als sein persönlicher auftaucht. So heißt es denn auch wenig später geradezu beiläufig: Jener reiche Mann kehrte aus Italien sehr reich zurück... (cap.23).

 

Entsprechend betreiben die Bischöfe wie weltliche große Herren eine möglichst prächtige Hofhaltung. Selbst der Bischof von Carcassonne hat einen Kämmerer, einen Ökonomen, einen Seneschall und einen Kellermeister. (Fichtenau, S.269) Neben diesem Personal und einem möglichst großen Gefolge von Vasallen dient dabei zunehmend gegen Ende des Jahrhunderts eine Bautätigkeit, die nicht nur Burgen und Stadtmauern betrifft, sondern auch immer größere Kathedralen. Schließlich werden Bischöfe auch als große Jagdfreunde bekannt.

 

 

Unter den sächsischen Königen und Kaisern wird die Kirche (und so manches Kloster) durch Privilegierung und Ausstattung in erheblichem Umfang in den weltlichen Machtapparat integriert. Umgekehrt sind Macht und Reichtum elementare Ziele von Bischöfen und Klöstern, beide in den Händen einer adeligen Herrenschicht. Entsprechend können jederzeit Konflikte zwischen Bischöfen aufbrechen, wie ganz massiv 968 anlässlich der Einrichtung des Erzbistums Magdeburg unter den Ottonen oder 1007 bei der Gründung des Bistums Bamberg. "Weder Kirchenprovinz- noch Standesbewusstsein konnten letztlich zu einem einträchtigen Handeln des hohen Klerus führen, dessen Interessen sich einerseits auf das Verhältnis zum König und andererseits auf das Wohl der eigenen Diözese erstreckten." (GoetzEuropa, S.219) Die Erzbischöfe von Trier, Mainz und Köln streiten immer wieder um ihre Vorrangstellung in deutschen Landen.

 

Konflikte gibt es aber auch zwischen ihnen über die klerikale Hoheit über Klöster, wie der Gandersheimer Streit aus der Zeit der Minderjährigkeit Ottos III. zeigt. Dort geht es um die Machtentfaltung der Hildesheimer Bischöfe und der Mainzer Erzbischöfe.

Diese Verquickung weltlicher und geistlicher Aufgaben und Interessen macht Bischöfe oft abwesend von ihrer Diözese, und dabei gelangen immer mehr Aufgaben in die Hände der Domgeistlichkeit. Mit der Aufteilung von Bistümern in Archidiakonate gewinnen Archidiakone über die Mithilfe bei der Vermögensverwaltung und der Beaufsichtigung des Klerus bald eigene Spielräume für die Verwaltung ihres jeweiligen Bereichs samt einer eigenen Gerichtsbarkeit. (GoetzEuropa, S.223)

 

Kirchliches Recht beruhte vor allem auf Konzilsbeschlüssen und päpstlichen Festlegungen, auf denen immer neue Bestimmungen aufbauen, was eine damals einzigartige Normierung von Machtausübung bedeutet, die immer wieder einmal auch in den weltlichen Bereich ausgreift. Sammlungen solcher Beschlüsse, Vorstellungen und Ansichten wie die des Abtes Regino von Prüm Anfang des 10. Jahrhunderts sind noch kein Gesetzbuch, aber ein erster Weg dahin, wie er für weltliche Machtausübung in diesem Jahrhundert völlig fehlt und wohl auch gar nicht vorstellbar ist. Ein solches Handbuch für (kirchliche) Amtsausübung und Verwaltung in modernerer Form stellt dann über hundert Jahre später Bischof Burchard von Worms zusammen, das 'Decretum'. Es wird sich in wenigen Jahrzehnten über die Reichsgrenzen hinaus nach Reichsitalien und Frankreich als vorbildhaft verbreiten.

 

Nach Kirchenrecht haben Priester keusch zu leben, aber es ist klar, dass das die meisten nicht schaffen. Gelegentlich setzen Bischöfe und Priester (Ehe)Frauen als Erben in ihre Testamente, wie von Katalonien z.B. bezeugt. Atto von Vercelli stellt in einem Rundschreiben fest, dass Priester öffentlich sichtbar mit Ehefrauen wohnen und essen, die ihrem Haushalt vorstehen, und die als Erbinnen eingesetzt werden. Manche Bistümer wie das von Pistoia werden durch mehrere Generationen vom Vater auf den Sohn vererbt.

Dem Domstift von Arezzo stand ein Viertel der Güter und Einkünfte für den Unterhalt seiner Mitglieder zu. Reich geworden, nahmen sie Frauen und zeugten mit ihnen Söhne und teilten die Kirche unter sich auf. "Sie mieteten einen Mönch, der den Kirchendienst besorgen sollte und sandten zu den Terminen, an denen die Gläubigen ihre Opfergaben darzubringen hatten, Diener in die Kirche, um die Gaben abzuholen." (Fichtenau, S.162)

 

Wie dieser hohe wie niedere Klerus auf die produktive Masse der Menschen wirkt, die ihn ernährt und ausstattet, bleibt unklar. Von weitergehender Christianisierung der Produzenten durch ihre Ideologen ist wenig die Rede. Vielleicht begnügen sich die meisten den Herren Unterworfenen mit den Ritualen und Zeremonien des Kirchgangs und haben ansonsten genug mit sich selbst zu tun.

 

 

Grundherrschaft

 

Die übrig gebliebenen freien Bauern geraten immer mehr in Bedrängnis. Für das Heer verlieren sie weiter an Bedeutung. Wenn dann im 10./11. Jahrhundert nur noch Vasallen in den Krieg ziehen, werden sie militärisch überflüssiger.

Immer mehr Land gerät unter größere Grundherren, sowohl "auf dem Lande" wie innerhalb der sich langsam stärker entwickelnden Städte. Es gibt insofern keine Unterschiede, Bauern wie Handwerker und Händler stehen unter grundherrlicher Gewalt, umgekehrt betreibt städtische Bevölkerung auch oft, manchmal nebenbei, Landbewirtschaftung.

 

Man muss inzwischen etwas unterscheiden zwischen der sich entwickelnden Grundherrschaft der alten Latifundien von Kloster, Kirche und Grafen, Herzögen und Königen einerseits, wobei es im Mâconnais zum Beispiel nur vier, fünf solche "alte Adelige" neben dem Großgrundbesitz der Klöster und des Bischofs gibt, und der neuen, die aus großbäuerlichen Gütern entsteht, die mit der Ausbreitung und Ausweitung von Märkten und der Geldwirtschaft, dem Zukauf von Land und dem Abhängig-Werden verarmender Bauern zu Kleinadeligen aufsteigen. Solchen Großbauern, manchmal in den Urkunden schon nobiles genannt (Bois, S.74) gelingt es dann auch, consuetudines, Gewohnheitsrechte für ihre herausragende Stellung zu beanspruchen. In diesen Zusammenhang gehört dann der Zugriff auf die lokale Pfarrkirche und ihren Zehnten, manchmal im Zusammenspiel mit dem zuständigen Bischof. Später geborene Söhne werden immer häufiger auf die geistliche Laufbahn geschickt, die schon lange eng mit weltlichen Karrieren verbunden ist.

 

Solche frühen Großbauern als werdende Grundherren machen höchstens 5-10% der Familien einer ländlichen Region aus, und ein stattlicher Teil von ihnen wird durch Erbteilung und Verschuldung selbst in Abhängigkeit geraten. Nur ein kleiner Teil wird zum neuen Adel aufsteigen, der sich im Mâconnais kurz vor dem Millennium mit den Begriffen nobilis und miles zu schmücken beginnt, Vorläufer des späteren Ritter-Titels (Bois, S.76). Dafür bedarf es dann schon der Verfügung über acht bis zehn Höfe mit Sklaven und seltener Kolonen und höchstens an die 40 ha Fläche. Dazu gehören große Teile des Waldes und bei Cluny z.B. des Weidelandes und der Herden von Schweinen, Rindern und Pferden.

Dazu kommen seit dem zehnten Jahrhundert, wohl in Nachahmung der Zensualität, Abgaben zum Beispiel im Todesfall, man muss sein „Beststück“ an Vieh und Gewand abgeben, oder es werden im Falle des Todes eines solchen Mannes zwei Drittel seines Besitzes vom Herrn eingezogen.

Abgaben gibt es auch für die manchmal mögliche Erlaubnis einer Heirat mit jemandem außerhalb der familia der Grundherrschaft. Diese Leistungen sind aber zunächst wohl gering im Vergleich mit den verheerenden Auswirkungen des Kriegsdienstes freier Bauern: lange Abwesenheit von Haus und Hof, Verletzungen und Verstümmelungen, Tod.

 

Solche Großbauern suchen die Nähe zu Graf und Bischof, um Aufstiegschancen abzusichern. Diese Leute arbeiten nicht selbst produktiv, vergnügen sich mit der Jagd und dem Kriegertum. Man heiratet nun möglichst nur noch untereinander, gibt den Kindern familienspezifische Namen, und wird im nächsten Jahrhundert dann agnatische Linien ausbilden, in denen zunehmend der älteste Sohn den Hauptteil des Erbes übernimmt. (Georges Duby) Nach und nach bildet sich so ein Geschlechterbewusstsein heraus, charakteristisch für den neuen Adel.

 

 

Bischöfe und Äbte als Grundherren sind besser dokumentiert als weltliche Grundherrschaften, die wohl ähnlich sind. Bedeutende Klöster gehören in unserer Schwellenzeit zu den größten Grundherren und sind spätestens seit der Karolingerzeit ausgesprochen wohlhabend. Das Kloster St. Gallen verfügt um 900 über fast 2000 Zinsbauern. St.Emmeran in Regensburg besitzt um 1030 dreiunddreißig Herrenhöfe, die jeweils ein Mönch für einige Zeit verwaltet. (Goetz, S.83, siehe Großkapitel 'Land'.) Angeschlossen sind oft diverse Handwerksbetriebe.

Dabei hängt die Größe der Klöster weiterhin an der Zahl der Mönche, die es mit seinen Besitzungen ernähren und versorgen kann. Um 900 hat St.Gallen 101 Mönche und St.Germain bei Paris 213, St.Denis 132 Mönche, 928 besitzt Fulda 142 Mönche, die dann im Verlauf des Jahrhunderts erheblich weniger werden. (Goetz, S.94f)

Dabei kommen nicht immer vom ganzen Besitz Einnahmen herein: Große Teile, ja oft der größte Teil des Besitzes (oft ganze Villifikationen), werden auch an Vasallen zu Lehen ausgegeben.

 

Die Villifikation, also die Aufteilung in Salhof und die Mansen abhängiger Kolonen und Sklaven, entwickelt sich offenbar an einigen Stellen erst, während sie an anderen Stellen bereits wieder durch Aufteilung des Sallandes in Mansen und Ausgabe an Hufenbauern abgebaut wird. Dazu verändert sie sich durch (Erb)Teilung der Hufen, wobei etwas mehr Produktivität Subsistenz auf weniger Land ermöglicht (Kuchenbuch, S.50). Teilweise bestehen solche Villifikationen wie in Bayern bis mindestens ins 12. Jahrhundert weiter. Prüm ist noch 1222 so organisiert (Hägermann)

 

Neben den Villifikationen entwickelt sich jene Gutsverfassung, bei der sich der Herrenhof auf das Eintreiben von Abgaben mehr oder weniger Unfreier vorwiegend wohl in Form von Naturalien, aber vielleicht zum kleinen Teil auch schon in barer Münze beschränkt. Solche Hof-Ordnungen entstehen bis in die Frühzeit des sogenannten hohen Mittelalters. Wenn es dann kaum unmittelbares Herrenland gibt, fallen auch die Frondienste weg, stattdessen werden im Süden Westfranziens und in Italien rund 10% der Ernte als taxa abgegeben. Der Eigentümer wird so zum Grundrentner von der Sorte, die dazu neigt, diese Einnahmen auf den Markt zu werfen und zu Geld zu machen. Der Anteil der Geldwirtschaft nimmt auch dabei langsam zu.

Das Kloster Werden an der Ruhr besitzt in seinem friesischen und westfälischen Bereich vorwiegend Streubesitz, so dass sich ein Eigenbetrieb nicht lohnt; entsprechend gibt es dort keine Fronhöfe, sondern Hebeämter zum Einziehen der Abgaben.

 

In Burgund wiederum sollen Höfe bis ins 10. Jahrhundert noch vorwiegend "von zentral wohnenden" Sklaven bewirtschaftet worden sein. (Gilomen, S. 35) Auf solchen auch anderswo existierenden Gutsherrschaften "ist alles in herrschaftlicher Hand und Arbeitsregie" (Kuchenbuch, S.33).

 

In den größeren Rahmen der Grundherrschaft gehören auch freie Bauern, die aber zur Pfarrei der grundherrlichen Eigenkirche gehören und dem Pfarrer für seine "Leistungen" den Zehnten schuldig sind.

Rechtlich bleiben freie Bauern, die sich in eine Grundherrschaft begeben und dort auch ihr Land einbringen, in gewissem Sinne Freie, im Unterschied zu den mancipia des Herrenhofes. "... sie bleiben dem jeweiligen Grafen und natürlich dem König untergeordnet. Sie sind rechtlich frei, vom Grundherrn jedoch abhängig, denn er hat die niedere Gerichtsbarkeit und die Polizeigewalt über alle Angehörigen seiner Grundherrschaft." (Leiverkus in LHL, S.176)

 

Grundherren können auch Bergwerks- oder Salinenbesitzer sein. Im baskischen Álava zum Beispiel kontrollieren die Mönche von San Millian de Cogolla und San Pedro de Cardena die Salinen. Das Kloster Cluny erhält Salzpfannen in Salins im Jura geschenkt, und der Betrieb wird von einem monachus salnerius beaufsichtigt.

Aber der Kern grundherrschaftlichen Reichtums ist meist die Bearbeitung des Bodens, die Viehzucht und die Nutzung des Waldes. Indem sie dann auf ihrem Grund Mühlen bauen lassen, später Backstuben und Braustuben, wird jeder, der sie benutzen will, abgabenpflichtig.

 

Die Müller, Aufseher von Salinen, Schmiede, Hirten und Förster fallen aus dem bäuerlich-grundherrlichen Zusammenhang insofern heraus, als sie je ein spezifisches ministerium betreiben, so wie der Meier oder Villicus. Auf sie entfallen darum kaum Abgaben oder Dienste, aber sie verfügen oft dennoch über eigene Hufen.

Beispielhaft dafür ist die de molinis (...) ratio der Statuten des Klosters Corbie:

Erstens, dass einem jeden Müller ein mansus und sechs Tagwerk an Land (ex bonuaria de terra) gegeben werden; weil wir wollen, dass er etwas hat, aufgrund dessen er das, was ihm zu tun befohlen wird, tun kann, und er jenes Mahlen gut und richtig macht: dass heißt, dass er Ochsen und anderes Vieh hat, mit denen er erarbeiten kann, wovon er und seine ganze Familie leben können; er soll Schweine, Gänse und Hühner füttern, die Mühle in Ordnung halten und alles Bauholz heranbringen, das zum Ausbessern jener Mühle dient, die Schleuse ausbessern, Mühlsteine heranbringen und alles, was eben dort nötig zu haben oder zu tun ist, soll er er haben und tun können. Und gleichermaßen wollen wir nicht, dass er irgend einen anderen Frondienst tut: weder mit dem Karren noch dem Pferd, er soll keinen Handdienst leisten, nicht pflügen, nicht säen, kein Getreide oder Heu einbringen, kein Getreide malzen, keinen Hopfen und kein Feuerholz zinsen oder sonst irgendetwas für die Herrschaft verrichten, sondern er diene ausschließlich sich und seiner Mühle. (...) Das, weil nämlich 2000 Scheffel Mehl von den Mühlen zu unserer Verfügung zum Kloster kommen müssen (... in: Kuchenbuch, S.115f)

 

Es entwickeln sich auch darüber hinaus im 10./11. Jahrhundert grundherrliche Bannbezirke. "Die Bannrechte ermöglichten den Grundherren eine Ertragssteigerung ihrer Monopolbetriebe, zu denen besonders die Mühlen, Schenken, Weinpressen und Backöfen zählten. Ausschlaggebend aber war der Gerichtsbann, der bei der Bannbezirksbildung die größte Bedeutung hatte und die umliegenden Bauern vor das Gericht des Grundherrn zwang. Der Gerichtsbann kam vor allem in denjenigen Grundherrschaften voll zur Wirkung, die über eine Immunität verfügten, d.h. über einen Bezirk, in dem der König und seine Vertreter keine Gewalt ausübten und stattdessen die Grundherren herrschaftliche Funktionen wahrnahmen." (Rösener, S.27)

 

Mit den Bannrechten verwachsen die abhängigen Produzenten eines Herrn noch stärker zu einer Schicht. In der Île de France, wo einzelnen Grundherren bereits früh ganze Dörfer gehören, können darum schon in der früheren Karolingerzeit Freie und Unfreie ganz selbstverständlich miteinander heiraten, womit alleine schon die Unterschiede vermischen. (Wickham(3), S.538) Alte Freiheit und alte Unfreiheit kommen in neuartiger Unfreiheit zusammen.

Nun geraten auch freie Bauern unter die Banngewalt der Herren, das, was für Teile Westfranziens dann von französischen Historikern die seigneurie banale genannt wird. In Westfranzien wird das verstärkt durch den Burgenbau schon im 10. Jahrhundert, und teilweise hat encastellamento in Nord- und Mittelitalien dieselbe Funktion. Nur wenigen größeren Bauern gelingt es, daraus zu entkommen.

 

Grundherrschaft und von ihr abhängige Bauernschaft tragen so zur Entwicklung eines Adelsstandes bei, wie er im 11./12. Jahrhundert dann deutlich wird, und dem das weitgehende Verschwinden freier Bauern korrespondiert.

 

 

Produzenten: Sklaven, mehr oder weniger unfreie und freie Bauern

 

Die weitgehende Einebnung der produktiven ländlichen Bevölkerung auf ein gemeinsames Niveau der Untertänigkeit wird die Voraussetzung für erste Ansätze von Staatlichkeit nach der Jahrtausendwende schaffen. Dies ist beides aber verbunden mit den ersten Ansätzen erweiterter Marktwirtschaft zunächst unter grundherrlicher Aufsicht, dem langsamen Neu-Aufstieg von Städten und frühester Einwurzelung von Kapitalismus an wenigen Orten.

 

Über die rechtliche Situation der Unterschicht im 10. Jahrhundert, also fast aller, wissen wir in den deutschen Landen wegen der Dürftigkeit der Quellen sehr wenig. Widukind sagt für Sachsen: Bis heute ist das Sachsenvolk (gens Saxonica) dreigeteilt in bezug auf Abstammung und Recht (genere ac lege), von dem Knechtsstatus abgesehen (preter condicitonem servilem. I,14). Der servus kann aber im Mittellateinischen ein Sklave sein oder ein anderer Status der Unfreiheit. Widukind setzt ihn wohl gleich mit dem vile mancipium (II,11). Ihm gilt im 10. Jahrhundert oft Verachtung bei denen, die uns Texte hinterlassen haben, wie schon die Tatsache zeigt, dass er/sie als Neutrum sprachlich ausgezeichnet ist. Solche mehr oder weniger unfreie Familien können verkauft oder verschenkt werden (Widukind, Thietmar), allerdings oft nur mit dem Land, auf dem sie wohnen und arbeiten. Sie haben zumindest soweit Sklavenstatus (T. Reuter), wobei es allerdings nicht einmal regional einheitliche Rechtsformen gibt. So können mancipia und servi zum Beispiel auch nebeneinander bestehen bleiben, bis erstere aus der (mittellateinischen) Sprache verschwinden.

Slaven nannten sich die Slawen selbst, und das nachantike Ostrom übernimmt das Wort im 6. Jahrhundert. Da bald ein Großteil der gehandelten Sklaven Slawen sind, bürgert sich dann im Westen der lateinische sclavus für die Handelsware ein und taucht so im späten 10. Jahrhundert in Mitteleuropa bedeutungsgleich für servus auf. Um alles noch schwieriger zu machen, taucht bedeutend später insbesondere in Westfalen noch die Hörigkeit auf und anderswo im 17. Jahrhundert der Leibeigene, zwei Bezeichnungen, die hier deshalb auch nicht für frühere Verhältnisse benutzt werden sollen.

 

Während die Sklaverei in der Landbewirtschaftung langsam zurückgeht, ist der Handel mit Sklaven im 10. Jahrhundert ein Hauptzweig des Handels überhaupt.

 

Der Sklave, als Mann servus, als Frau ancilla, beide zusammen mancipia, ist persönliches Eigentum seines Herrn. Er besitzt selbst kein Eigentum, ist zu jeder vom Herrn geforderten Arbeit verpflichtet, für ihn werden nicht wie für Hörige spezielle Dienstleistungen und Abgaben festgelegt und auch keine Gegenleistungen für seine Arbeit. Er darf nicht an Gerichtsverhandlungen oder solchen der waffenfähigen Männer teilnehmen und hat keinen Zugang zu den Allmenden. (Bois, S.28) Zudem heiraten Sklaven in der Regel nur Sklavinnen, was die Herren fördern, soweit sie des entsprechenden Nachwuchses bedürfen.

 

Über die Sklaven des 10. Jahrhunderts, welche direkt dem Herrenhof zugehörig sind, geben die Quellen kaum etwas her. Zu ihnen gehören wohl auch die Frauen der Gynecäen (genitium), die Textilien herstellen. Sie sind vielleicht inzwischen in der Regel verheiratet, können manchmal sogar ein Stück Vieh haben. Zu ihnen stoßen wohl überzählige Kinder der Hufenbauern, die das Land nicht mehr ernähren kann (Fichtenau, S.174).

 

Guy Bois hat für Weiler in der Nähe von Cluny im Mâconnais herausgefunden, dass die Sklavenfamilien gegen Ende des 10. Jahrhunderts dort etwa 15% der Gesamtbevölkerung ausmachen. Sie gehören den wenigen Familien freier Bauern, die mehr als zwei und manchmal sechs oder sieben "Bauernstellen" besitzen, was gewährleistet, dass sie nicht mit ihren eigenen Händen arbeiten müssen. (Bois, S.36ff). Sie orientieren sich Richtung Graf und Bischof und werden unter sich ausmachen, wer in den neuen Adel aufsteigen wird. Die meisten freien (Klein)Bauern müssen hingegen selbst produktiv arbeiten und sind in den Krisen vor dem Millenium von Verarmung bedroht.

 

Im 10. Jahrhundert erweisen sich aber rundum zu versorgende Sklaven als unrentabler als abhängige Bauern auf ihren Hufen. Sklaven wachsen so erste "Menschenrechte" zu, sie beginnen sich ganz langsam und in begrenztem Umfang in Rechtspersonen zu verwandeln, die aber weiter als servus bezeichnet werden.

 

Vom Sklaven des weltlichen freien Mannes unterscheidet sich der servus eines geistlichen Grundherren. Dieser ist schon in den Volksrechten der Alemannen und Bayern des 8. Jahrhunderts ansatzweise als Rechtsperson ausgezeichnet, was sich darin ausdrückt, dass ihm bestimmte Leistungen auferlegt werden können. Diese vielleicht auch religiös bedingte Aufwertung des Sklaven in einen besonderen Status,  hat vielleicht Modellcharakter für eine solche Aufwertung auch bei weltlichen Herren bis ins 11. Jahrhundert hinein.

Den Übergang in eine solche Aufwertung stellt am Ende die "Unterbringung einer Sklavenfamilie auf einer Parzelle (dar), aus der sie ihren Lebensunterhalt zog und die ihr eine gewisse Selbständigkeit verlieh" (Bois, S.32). Dort wird sich die Position eines solchen servus casatus nach einer längeren Entwicklung in Richtung Gleichstellung mit dem einst freien Hufenbauern bewegen. Die ländliche Sklaverei verschwindet dabei durch Schritte der Aufwertung ihrer Familien aus ökonomischen Gründen. Gefördert wird das, sobald persönlich freie Kolonen und Sklaven nebeneinander in derselben Grundherrschaft auf Mansen/Hufen hausen und in etwa dieselben Arbeiten verrichten.

 

Das Schwinden der Sklaverei auf dem Lande zugunsten von Zwischenstufen zwischen Unfreiheit und Freiheit ist im 10. Jahrhundert ein wesentlicher Aspekt, durch den die Nachantike in das Mittelalter übergeht.

Zwischenstufen bilden u.a. auch die wohl aus dem Besitz des römischen Fiskus über den fränkischer Könige hervorgegangenen norddeutschen Liten, die in Süddeutschland Barschalken heißen. Sie sind rechts- und vermögensfähig und insofern frei, andererseits aber dienst- und zinspflichtig und an die Scholle gebunden. Der Schalk ist in dem Wort ein Knecht.

 

Es gibt weiter freie Bauern, die Land als Eigentum besitzen, wie schon aus den Texten Karls ("d.Gr.") deutlich wird. In der Picardie zum Beispiel werden sie bis ins hohe Mittelalter neben großen Fronhofverbänden überleben (Robert Fossier).

 

Für Weiler beim Kloster Cluny im 10. Jahrhundert stellt Guy Bois fest, dass bis auf Wald und anderes Allmendeland zwei Drittel der bewirtschafteten Fläche noch Allodialbesitz freier Bauern ist. Über das dritte Drittel verfügt bereits das Kloster, und einige wenige Bauerngüter gehören dem Grafen von Mâcon, über eines davon verfügt eine Familie in beneficio, was man wohl mit Lehen übersetzen kann.

Die freie Bauernschaft ist allerdings wenig schriftlich dokumentiert, ganz im Gegensatz zu jenen großen klösterlichen und kirchlichen, aber auch weltlichen herrschaftlichen Fronhof-Konglomeraten, für die es Urbare und Urkunden gibt.

 

Während die Sklaven in rechtlichere Formen von Abhängigkeit aufsteigen, steigen immer mehr freie Bauern in solche von Abhängigkeit ab. Beide gehen mit abgestuften und zunächst auch individuell bemessenen Rechten in die Grundherrschaft ein, in der sie dann als früher Keim zukünftiger Bannherrschaft unter die direkte Gerichtsbarkeit des Herrn und zugleich unter seine Verfügung über die ländlichen Kirchen geraten.

Freie reihen sich immer mehr als colones, in die großen Latifundien ein und geraten daneben auch in Abhängigkeit von jenen Großbauern mit servi dieses neuen Types, die versuchen, in einen (zukünftigen) Adel neuen Types aufzusteigen.

 

Zu den schon für die Karolingerzeit beschriebenen Abstiegsgründen kommt ein weiteres. Guy Bois, der vor allem Verhältnisse im Kern Westfranziens beschreibt, beobachtet für Weiler in der Nähe von Cluny folgendes: Die Tauschgeschäfte an Grund und Boden gehen erheblich zurück und in demselben Maße steigen sowohl Schenkungen an das Kloster und Grundstücksverkäufe. Dabei steigen zum Beispiel die Preise für Weinbergsareale zwischen 970 und 1010 um ein Vielfaches.

Meist werden bäuerliche Kleinbetriebe verkauft. Guy Bois schätzt, dass um Cluny herum im 10. Jahrhundert etwa 60% Kleinbauern etwa 40% des Bodens bearbeiten, und sie werden sich nicht mehr lange davon ernähren können.

Ein wesentlicher Grund dürfte Verschuldung sein, in die offensichtlich manchmal auch Großbauern hineingeraten. Ein Arleius verkauft in der Nähe von Cluny einen Teil seines Erbes an das Kloster für 17 Solidi, erhält aber nur 7, da er dort bereits mit 10 Solidi verschuldet ist.  Ein Richelmus verschenkt seinen gesamten freien Besitz dem Kloster, 19 Parzellen, von denen er 9 von Kleinbauern erworben hatte (Bois, S.64f).

Schenkungen an Klöster haben mehr oder weniger auch fromme Beweggründe, aber sie sind oft als Prekarien mit der Nutznießung bis zum Tod verbunden  und gewähren so Schutz und eine gewisse Sicherheit. Manchmal wird auch nur ein Teil des freien Bodens als Prekarie an das Kloster abzugeben, - vielleicht mit der vagen Hoffnung, dass diese erblich werden wird.

 

Mit dem Abstieg von Kleinbauern geht der Aufstieg von Großbauern einher. Ein wohl kleinerer Teil bildet mit Glück und unternehmerischem Geschick selbst Grundherrschaften aus und steigt damit in den sich neu bildenden Adel auf. Zu Glück und Geschick kommt die Orientierung weg von der germanischen Erbteilung hin zur agnatischen Geschlechterbildung und dem Vererben des größten Teil des Besitzes an einen Erstgeborenen. Diese Großbauern mit mehreren, zunächst eher von Sklaven bewirtschafteten Arealen sind teils mit der Grafenfamilie, teils mit den Vogteien, vor allem aber mit der Kirche verbunden, in deren Geistlichkeit sie vor allem nun nachgeborene Söhne hineinschicken, die manchmal bis zu Bischöfen aufsteigen, während die Äbte der mächtigeren Klöster wie Cluny oft dem Hochadel entstammen.

 

Was mit der Masse der freien Bauern und der deutlich kleineren Gruppe der Sklaven jeweils passiert, betrifft aber am Ende auch manche der Großbauern mit ihrem Herrenhof und mehreren weiteren, zunächst noch von Sklaven bearbeiteten Hofstellen, mit ihren oft höchstens 40 ha und oft dem besseren Land im Kontext eines Weilers. Sie, die am ehesten bereits mit Geld umgehen und gewisse Kontakte zur nächsten (oft entfernten) Stadt, ihrem Markt und und ihren Mächtigen haben, geraten zwischen die sich ausweitenden Fronhofsverbände und das zunehmende Marodieren kleiner Burgherrschaften. Um sich zu behaupten, verschuldet sich ein nicht geringer Teil, oft genug bei mächtigen Klöstern als Kreditgebern und muss sich dann in deren Grundherrschaften einreihen.

 

Erfolgreiche Bauern haben Sklaven und Ochsengespanne, die ärmeren bearbeiten ihre Felder mit Hacke und Spaten. Wo das nicht reicht, wird im Nebenverdienst ländliches Handwerk betrieben oder aber man muss sich saisonal zusätzlich bei einem Großbauern verdingen.

Kleinbauern gelangen als Kolonen oder Rodungsbeauftrage in eine Art "Klientel" der Großbauern, suchen Schutz und Hilfe bei ihnen in gewalttätigen Zeiten und Hungersnöten, und sie nutzen gegen Entgelt deren Mühlen.

Im 'Leben des heiligen Gerald' lautet das dann so:

Die Reichsten versuchen ihren Reichtum übermäßig zu vergrößern, um ihre tägliche Verschwendungssucht zu befriedigen. Sie unterjochen die Armen und reihen sie in ihre Klientel ein, und die unterwerfen sich aus freien Stücken, weil sie dann von den Reichen versorgt werden und nun ihrerseits mit Gewalt und mit Unterstützung ihrer Beschützer diejenigen unterjochen, die sich niemandem unterwerfen können. (so in: Bois, S.174)

Die Reichsten, dass sind Großbauern, Vögte, Grafen, Bischöfe, Äbte. Sie alle werden nun Konkurrenten um Land und Leute.

 

Immerhin gibt es in einem Gedicht des Bischofs Adalbero von Laon an König Rotbert (Robert) irgendwann um das Jahr 1000 eine kurze Passage, in der die arbeitenden Leute vorkommen:

Dieses gebeugte Geschlecht von Menschen hat nichts als seine Arbeit. Wer kann ihre Pflichten beschreiben, ihre Mühsal, ihren Einsatz, ihre überaus schweren Arbeiten? Für alle müssen sie die Kleidung und die Verpflegung schaffen, und kein Adeliger kann ohne die Arbeiter leben.

Das heißt allerdings nicht, dass der Autor etwas an diesen gottgewollten Verhältnissen ändern will, auch nicht auf seinen eigenen Gütern. Er genügt hier nur rethorisch jener christlichen Pflicht der misericordia, später eingedeutscht als Barmherzigkeit. Sie verpflichtet wie in ihrer säkularisierten heutigen Form als politische Korrektheit zu nichts als zum Almosengeben.

 

 

Mit der Tendenz Freier, in Formen der Abhängigkeit von Herren zu gelangen, verschwinden ihre Rechte der Beteiligung an allgemeinen Versammlungen Freier und an den Gerichtsterminen: Die produktive Landbevölkerung verschwindet aus dem öffentlichen Raum, in dem sich nunmehr der entstehende neuartige Adel vor allem bewegt.

Aus "freien Franken" werden weithin halbfreie bis unfreie Bauern. Latifundienbesitzer verfügen nun über servi, die zunehmend als casati auf Mansen/Hufen sitzen, oder aber auf dem Herrenhof (Salhof) weiter sehr bescheiden in Hütten hausen wie auch die Frauen, die in den Gynecäen Textilien für den Herrn produzieren. Neben den servi casati sitzen die Kolonen auf Hufen, und beide leisten bestimmte Dienste und Abgaben. Dabei geht es denen, die ins klösterliche Prekariat gelangen, offenbar in der Regel etwas besser als denen, die als Kolonen in die Abhängigkeit von Großbauern geraten, in der sie kaum besser behandelt werden als die servi casati.

 

Neben dem servus, dem Hörigen des Grundbesitzers, breitet sich in den kirchlichen und klösterlichen Latifundien, die inzwischen längst den größeren Teil des Grundbesitzes ausmachen, langsam eine Zensualenschaft aus, die (siehe 'Übergänge1') sich ursprünglich vor allem aus ins Patronat eines Herrn befreiten Sklaven sowie nun zunehmend als sich selbst in die Zensualität übertragenden Freien zusammensetzt. Neben dem Kopfzins taucht seit dem späten neunten Jahrhundert in den Quellen immer häufiger die Heirats- und die Todfall-Abgabe auf, die dann im 10./11. Jahrhunderts immer mehr auf die Hörigen/Leibeigenen übertragen werden. 

 

Wer besondere Dienste für den Grundherrn verrichtet, wie Schmiedearbeiten oder Mühlendienst, hat dazu noch seine Hufe. Die Meier, die eine villa verwalten und die Abgaben einsammeln, können allerdings vom ihnen zugeteilten Land mit ihrer Familie ordentlich leben.

 

Wünsche nach mehr Freiheit werden noch von Thietmar als presumptio bezeichnet, als Anmaßung, und vermutlich besteht ein beträchtliches Konfliktpotential. Für Thietmar von Merseburg jedenfalls bedeutet der plebeius furor, das Wüten der kleinen Leute, eine beachtlichte Bedrohung.

Für das 10. Jahrhundert fehlen aber im Unterschied zum 9. weithin die Güterverzeichnisse, Urbare, die uns die Strukturen auf dem Lande näherbringen könnten.

 

 

Das Dorf, Kirche, Arbeiten und Leben

 

Dorf

Je stärker irgendwo Staatlichkeit verblasst, desto wichtiger wird das Zusammensiedeln freier Bauern in wohl meist kleinen Dörfern, die sich oft aus mehreren Weilern zusammensetzen, die einem oder mehreren Herren gehören können. Dörfer können aus 5-50 Hofstätten bestehen, und haben dann maximal 200-400  Einwohner, meist aber eher nur 50-100.

In ihnen ist auch in geringem Umfang ländliches Handwerk angesiedelt, mal ist es ein Schuster, mal ein Schmied. Eine de-facto-Oberschicht stellen die Kleindomänen dar, in denen zu einem Herrenhof noch mehrere kleine, in der Regel von Sklaven bewirtschaftete Hofstellen gehören.

 

Die Hufenbauern eines Herrn können sich ein Stück weit als Dorfgemeinschaft fühlen, wenn sie alle auf denselben Herrn und seine Kirche fixiert sind. Das können dann 50 oder 200 Menschen sein. Ein Vorläufer des Dorfes kann aber auch aus Abhängigen mehrerer Herren bestehen. Dann schafft immerhin noch die gemeinsame Nutzung der Allmende von Wald und Weideland Vergesellschaftung. Stärker verflochten wird das (Arbeits)Leben seit der Karolingerzeit durch die Einführung der Dreifelderwirtschaft, die allerdings bis ins sogenannte hohe Mittelalter nicht überall auftritt. Dabei wird das gesamte (nun auf jeden Fall dörfliche) Feld in der Regel durch Gebot eines großen Grundherrn in drei Fluren aufgeteilt, von denen eine Wintergetreide, eine Sommergetreide enthält und eine brachliegt. Entsprechend erhalten die Hufenbauern dann von jeder Flur ihren Anteil. Absprachen werden nun nötig. Bauernhöfe siedeln enger zusammen.

 

Nach dem Zusammensiedeln in Dörfern kommt es durch Zunahme der Bevölkerung zu deren Wachstum, vor allem seit dem 11. Jahrhundert, und gleichzeitig durch Erbteilung zu immer kleineren Einzelhöfen.

 

Nun war einerseits in der Nachantike das Land zum Teil unter große Herren aufgeteilt gewesen, aber der größte Teil davon war entweder verwildert, oder er war schon immer Wüste, Ödland gewesen, also Urwald, Sumpf, Talaue oder Marschland, ungenutztes Herrenland also. Solange diese Herren es nun nicht selbst nutzen, steht es der Landbevölkerung zur Nutzung offen, und zwar mit der Entstehung von Dörfern auch auf der Basis gemeinsamer Vereinbarungen. Daneben gibt es die Allmende in gemeinsamer Verfügung, ein wesentlicher Teil des Dorfes so wie es die Feldflur ist.

Wiesen als Weiden gehören dazu, aber am wichtigsten ist der Wald, großer Teil der Gebiete nördlich des Mittelmeerraumes. Schon in der Jungsteinzeit aber beginnen massive Eingriffe in die Naturlandschaft. In Mitteleuropa werden Ulmen, Haseln und Eichen gerodet, und nach dem Weiterwandern der Menschen kommen dann zunehmend Buchen auf. (Bayerl, S.59) In Südeuropa holzen schon die antiken Zivilisationen großflächig und ersatzlos ab. Mit dem Zusammenbruch der Westhälfte des Imperiums nimmt Bewaldung wieder zu, um dann mit den Rodungsanstrengungen der Merowinger- und Karolingerzeit wieder zurückzugehen, diesmal oft dauerhaft und bis heute.

 

Aus dem Wald kommen Bau- und Brennholz (Eiche und Buche), Beeren, Pilze und Kräuter. In ihn werden Schweine zur Mast mit Eicheln und Bucheckern getrieben. In ihm wird das Laub als Streu für die Stallungen der Tiere gesammelt. In ihm findet sehr lange die Imkerei mit Waldbienenvölkern statt, die Honig als einzigen Süßstoff und das Wachs für die Kerzen liefern. In ihm wird gejagt, solange das keinen Herrn stört, und bis die Jagd fast ganz zum Herrenrecht wird. Bis zum großflächigeren Getreideanbau seit der Karolingerzeit ist der Wald fast so wichtig für die Menschen wie das Kulturland. Er ist lebensnotwendig, aber zugleich auch für manche bedrohliche Wildnis; es gibt Wölfe, Bären und wilde Gesellen wie Köhler und Pechbrenner, die dauerhaft darin arbeiten.

Holzkohle ist wichtige gewerbliche Energiequelle und wird bei der Verhüttung zur Verbesserung des Eisens eingesetzt. Teer und Pech sind Schmiermittel und dienen der Abdichtung von Booten und Schiffen. Die Herstellung von Pottasche vernichtet bald große Waldstücke für die Glasproduktion und die Bleichung von Textilien.

 

Eine wichtige Nutzung des Waldes, in Mitteleuropa zunächst der größte Teil des Landes, besteht für die Herren darin, dass es sich für sie um Jagdgebiete handelt. Die Jagd ist das elementare Freizeitvergnügen der Herren, dem Krieg verwandt, und in manchem diesen einübend. Schon früh reservieren sich Herren und insbesondere Könige und Fürsten Wälder aufgrund ihres Wildreichtums als ihre privaten Jagdgebiete. Wer sonst dort einfach so Hochwild jagt, als ob er sich in Gottes freier Natur befände, wird zum Wilderer, also zum Verbrecher. De facto werden so am Ende große Gebiete nicht nur von Wald zu Bannbezirken für die Landbevölkerung , der überhaupt die Jagd bald zunehmend eingeschränkt wird.

 

Kirche

Zentrale Punkte bäuerlichen Lebens sind der Herrenhof und die ebenfalls aus Holz gebaute (Dorf)Kirche, meist Eigenkirche des Grundherrn mit einem von diesem eingesetzen "Geistlichen". Der Grad der „Christianisierung“, also der förmlichen Unterwerfung unter die Kirche, bleibt umso geringer, je weiter man sich von dem dauerhaft in der Antike romanisierten Gebiet und den Städten entfernt. Christianisierung ist dabei zugleich Zivilisierung als domestizierende Unterwerfung unter die weltlichen Mächte, die Hand in Hand mit der geistlichen Macht einher kommen. 

 

Die Menschen auf dem Lande können weder lesen noch schreiben und haben so keinen Zugang zu den heiligen Schriften einer an sich auf Schriftlichkeit basierenden Religion. Die evangelikalen Ideale von Armut und Friedfertigkeit übersetzen sich für sie in bedingungslose Unterwerfung unter ihre Herren, deren Position gottgewollt ist, wie ihnen beigebracht wird, und in erzwungene Armut. Religion ist vor allem von oben indoktrinierte Moral. Die von den wenigen beleseneren Mönchen und Weltgeistlichen vertretenen religiösen Positionen dringen nicht zu ihnen vor. Verständlich werden ihnen einmal die magischen Kräfte der Priesterschaft, jener Zauber, mit dem man versuchen kann, die Natur gnädig zu stimmen oder Feinde abzuhalten.

 

Unglaube wird bestraft und scheint dennoch in den germanischen Gegenden verbreitet.

"In der Diözese Utrecht ermahnte ein Priester die Leute eines Dorfes zum österlichen Sakramentenempfang und erhielt durch einen von ihnen die Antwort, ein Krug voll Bier sei ihm lieber als der Kelch des Herrn. Er sprach dabei als Dorfschulze für die Gesamtheit. (Fürstenau, S.402)

Noch Anfang des nächsten Jahrhunderts beschreibt Bischof Burchard von Worms, wie Leute bei Bäumen, Quellen und Steinen beten, Lichter oder Fackeln, Brot und andere Gaben opfern. (Decretum XIX,5)

 

Ansonsten vermischen sich weiter vorchristlicher Volksglaube und der in den Evangelien schon für den vorderen Orient anklingende Glaube an Geister, Dämonen, Teufel usw. Tote stehen nachts aus den Gräbern auf und wandeln durch die Nacht. Man hört Geschichten von Begegnungen mit ihnen, von Ungeheuern in den Wäldern und überhaupt der noch vorhandenen Wildnis, aber auch von guten Geistern, Feen usw.. Am Himmel und auf Erden gibt es Vorzeichen, die Unheil ankündigen, wie sie selbst Thietmar, der Bischof von Merseburg, noch aufzählt.

 

Zauberer, Wahrsager und sogar Frauen vollbringen gelegentlich heimlich weiter kultische Handlungen an Bäumen, Quellen und anderen magischen Orten, nutzen dabei alte Beschwörungsformeln. Man versucht, solch alte magische Praktiken umzudeuten. In einer Prozessionsordnung der Abtissin von Schildesche in Westfalen heißt es 939:

Wir verordnen, dass ihr jährlich am 2. Pfingsttag unter dem Beistand des hl.Geistes den Patron in euren Pfarrdistrikten in langer Prozession herumtragt, eure Häuser reinigt, statt des heidnischen Flurumgangs unter Tränen und Hingebung selbst trauert und zur Labung der Armen Almosen einsammelt. Auf dem Klosterhof sollt ihr dann übernachten und über den Reliquien feierlich Nachtwache halten und singen, so dass ihr am besagten Tage frühmorgens den von euch beschlossenen Umgang durch fromme Fahrt beendet (... in: Goetz, S.140) Damit soll in nun christlicher Weise reichere Ernte und gutes Wetter beschworen werden.

 

Daneben besteht Christentum aus biblischen Geschichten: Adam und Eva, Kain und Abel, Noah, Abraham usw., aber auch die Taten tapferer (jüdischer) Helden, die als Herrscher zu Vorläufern der meist weit entfernten neuartigen Fürsten und Könige werden.

 

Der dreifaltige Kriegs-Gott, ein drohender und strafender, aber auch belohnender Gott, ist weit weg und nicht wirklich verständlich. Wichtiger wird die Heerschar der Heiligen, die immer mehr an seine Stelle treten, und die man sich in Menschengestalt vorstellen kann und darf. Irgendwie gelangten diese Heiligen zur Engelsschar in der Umgebung des Herrscher- und Kriegergottes, haben an seiner Macht teil und können Wunderbares bewirken. Kirchen sammeln Reliquien, die in Altären und manchmal auch Kapitellen eingeschlossen werden. Portable Reliquiare werden auf Prozessionen mitgeführt. Reliquienhandel tritt zunehmend neben den Raub von solchen, an dem auch hohe kirchliche Herren sich beteiligen.

 

Immerhin beschert das Christentum arbeitsfreie Tage, allerdings mit der Pflicht zum Kirchgang und mit Abgaben verbunden. Neben den allgemeinen Kirchenfesten des jesuanischen Jahres zwischen Geburt, Himmelfahrt und Pfingsten, die längst ergänzt sind durch das marianische Jahr, in das zahlreiche eigentlich von der Kirche nicht anerkannte Marienlegenden eingehen, daneben also ist jeder Tag wenigstens einem oder einer Heiligen gewidmet, denen eben auch die jeweilige Kirche geweiht ist. Die kirchlich bestimmten Feste haben neben dem zeremoniellen und rituellen Teil einen sehr weltlichen: Man trifft sich, feiert miteinander und vergisst dabei vermutlich des öfteren schnell den religiösen Anlass.

 

Arbeiten und Leben

Die Bauernhäuser der Spätantike und des frühen Mittelalters sind oft zunächst einfache, dann mehrgliedrige hölzerne Gehöfte mit dem Wohnhaus in der Mitte. Dieses besteht meist wohl aus einem Raum zum Wohnen, Arbeiten und Schlafen mit einer Feuerstelle und einem Abzug unter dem Dach. Geschlafen wird auf Stroh. Unter dem selben Dach ist oft auch das wenige Vieh untergebracht. Dies Haus, dessen Grundgerüst hölzerne Pfosten sind, hält in der Regel nur eine Generation lang, dann muss es neu gebaut werden.

Das Nutzungsrecht an der Hufe, die nicht in einem Stück direkt an das Gehöft angeschlossen sein muss, scheint im 10. Jahrhundert weithin vererbt zu werden. Dort, wo die Bevölkerung zunimmt, teilen sich nun zunehmend mehr Menschen eine Hufe, bevor sie in die Urbarmachung und später in die Städte abwandern. Zudem gehören des öfteren auch Knechte zu der Hufe.

 

Zu vermuten ist, dass die meisten Menschen dieser abhängigen bis unfreien Landbevölkerung am absoluten Existenzminimum leben. Und so lässt denn schon Karl ("der Große") verkünden: Wer ein Lehen von uns innehat, soll eindringlich mit Gottes Hilfe dafür Sorge tragen, dass kein dem Lehen zugeordneter Knecht Hungers sterbe; was den Eigenbedarf für seine Leute übersteigt, soll er wie geboten verkaufen. (in Fried, S.230)

 

Die einfache Feldwechsel-Bewirtschaftung, die Ackerland zur Erholung der Böden für Jahre in Brache liegen lässt, also sehr extensiv ist,  genügt oft bestenfalls für die Subsistenz, das Überleben, wobei jede Naturkatastrophe selbst das in Frage stellte. Beim Getreide liegt das Verhältnis von Saatgut zu Ernte bei guten Bedingungen zwischen 1:2 und 1:5, etwa ein Zehntel heutiger Ausbeute.

Alle paar Jahre droht darum Hungersnot. Dazu kommen Epidemien, Dürren, Überschwemmungen und der bis tief ins 11. Jahrhundert anhaltende Alltag von Fehden und Kriegen. Subsistenz beinhaltet das täglich Brot des Vaterunsers, wenig Fisch und Fleisch, zur Eigennutzung angebaute Salate, Gemüsesorten und Obst.

 

Das bäuerliche Leben ist meist Arbeit von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Auf dem Acker beginnt sie manchmal und bis ins 11. Jahrhundert mit der Vorbereitung des (schweren) Bodens mit dem Spaten, der aus Holz und an den Rändern manchmal mit Eisen beschlagen ist. Das gilt vor allem, wenn wenigstens vor dem elften Jahrhundert noch kein Wendepflug, sondern ein einfacher Hakenpflug verwendet wird, mit dem manchmal mehrmals gepflügt werden muss. Metalle Geräte sind selten und teuer. Bis ins hohe Mittelalter bleibt das Rind Zugtier. Nutztiere sind deutlich kleiner als heute und Rinder werden primär als Zugtiere und nicht zur Fleischerzeugung gehalten.

Es folgt das Säen und dann das Eineggen mit Strauchwerk oder der hölzernen Egge. Zwischendrin muss manchmal auch wenigstens grobes Unkraut gejätet werden. Geerntet wird bis ins hohe Mittelalter mit der Sichel, die den Halm auf halber Höhe schneidet, dann kommt das Einfahren der Ernte, das Dreschen und dann das Mahlen des Getreides. In unserer Schwellenzeit werden Mehl, Brot und Bier noch oft auf dem Bauernhof hergestellt.

 

Arbeit gibt es also nicht nur auf den Feldern und bei der Heuernte sowie im Garten. Bauern sind bis tief ins frühe Mittelalter Selbstversorger mit fast allem. Sie backen ihr Brot aus ihrem Getreide, sie brauen ihr Bier daraus. Das Zugvieh muss versorgt werden, das Milchvieh, die Hühner. Die Frauen sind für die Kleiderproduktion von der Wolle, dem Hanf bzw. Flachs an zuständig und natürlich für kochen, waschen und putzen - und die Kleinkinder, die noch nicht mitarbeiten können.

 

Neben der Selbstversorgung mit Getreide, aus dem unter anderem Breis gemacht werden, gibt es auch den Anbau von Gemüse und Salaten, die schneller verderblich sind un darum vermutlich zunächst weniger auf Märkte gelangen. Für den Markt wichtiger wird der Weinbau, den vor allem die Kirchen vorantreiben. "Das Aachener Konzil von 816 bestimmte, an jedem Dom sei ein Kanonikerkolleg einzurichten, zu dessen Pflichten u.a. auch die Pflanzung und der Unterhalt eines Weinbergs gehörte." (Gilomen, S.41) Es gibt Schätzungen, nach denen sich der Anbau von Wein in Mitteleuropa in den Jahrhunderten bis ins 10. etwa verzehnfacht.

Wein ist auf Grund seiner relativen Haltbarkeit ein wichtiges Handelsgut, auch für den Fernhandel geeignet. Viele Wingerte werden zwecks Delegierung der saisonalen Arbeiten und ihrer Organisation an Bauern verpachtet, und die Pacht wird dann in Wein bezahlt.

Für die Ernährung der Unterschichten spielt Fleisch offenbar eine immer geringere Rolle, und Jagd und Fischfang werden von der Herrenschicht zunehmend monopolisiert. Rinder sind vor allem Zugtiere und Lieferanten von Milch und Dünger; Schafe werden mindestens zur Hälfte zur Woll- und Milchproduktion gehalten. Vieh liefert darüber hinaus Leder, Pelze und den Rohstoff für Pergament.

 

Die Hörigen eines Herren haben neben der Arbeit für die Selbstversorgung sowohl reguläre wie außerordentliche Dienste zu absolvieren, die wir manchmal aus  Urbaren kennen, sogenannte Hand- und Spanndienste. Dabei arbeiten Hufenbauern mit Dienstpflichten und unfreies Hofgesinde eng zusammen.

 

"Die Pflugarbeit auf den Äckern wurde größtenteils von den Hufnern mit eigenem Spannvieh und Arbeitsgerät geleistet. Auch halfen sie in ausgedehntem Maße bei der Heu- und Getreideernte, ferner beim Einzäunen von Hof und Feld, beim Hüten des Viehs und bei der Schweinemast in den Wäldern. (...) Ferner halfen die Hufner bei der baulichen Instandsetzung des Herrenhauses und seiner Wirtschaftsanlagen, beim Dreschen des Korns und bei der Herstellung von Arbeitsgeräten, beim Brotbacken und Bierbrauen. Dazu kamen zeitaufwendige Fuhr- und Botendienste, Quartier- und Herbergspflichten und für die Frauen eine Reihe von häuslichen Arbeiten wie Spinnen und Weben." (Rösener, S.218)

 

Dazu kommen zu oft festgesetzten Terminen Abgaben von dem auf der Hufe Erwirtschafteten (Getreide, Wein, Bier, Brot usw.). Wenn Bauern das Dreifache des Saatgutes erwirtschaften, geht ein Drittel für das Saatgut ab und ein Drittel an den Herrn. Nur den Rest kann die bäuerliche Familie selbst konsumieren. Frauen müssen öfter Leinentücher herstellen und davon abgeben, Bauern zum Beispiel Zaunpfähle herstellen und abliefern. Waldnutzung wie für die Mast im herrschaftlichen Wald wird mit einer Abgabe versehen, ebenso wie die Nutzung von Mühle und Backhaus.

Im Todesfall des zum Herrn gehörenden Hufenbauern kann dieser zunächst dessen ganzen Besitz einziehen, begnügt sich aber bald mit einem Buteil oder einen guten Stück Vieh (besthaupt) oder beim Tod der Frau mit ihrem besten Gewand.

 

In der Villifikation Friemersheim des Reichsklosters Werden zum Beispiel mit seinen 121 Bauernhufen, die dreimal soviel Fläche einnehmen wie das Salland des Herrenhofes, bildet das Hofgesinde ohne Land um 900 etwa ein Viertel und muss jede Arbeit ausführen, die ihm anbefohlen wird. Eine zweite Gruppe sind die Zinsbauern, die nur Geld- und Naturalabgaben zu leisten haben. Die größte Gruppe sind die Hufenbauern. "An Ackerfronen werden zur Saatbestellung im Frühjahr und Herbst je zwei Wochen verlangt, und zwar gilt es, fünf Morgen Land zu pflügen und für die Einsaat vorzubereiten. Im Juni sind zwei weitere Fronwochen auf dem Herrenhof abzuleisten. Ferner sind die Hufner verpflichtet, bei der Heu- und Getreideernte zu helfen, im herrschaftlichen Garten Beete von vorgeschriebener Größe zu bestellen und umschichtig die Schweine des Hofes zu hüten. Jeder Hörige muss außerdem beim Brotbacken und Bierbrauen anteilsmäßig helfen, Flachs zur Gebrauchsreife verarbeiten und noch etliche andere Arbeiten in Hof und Feld erledigen. Die Fronarbeit der Hufenbauern nimmt alles in allem zehn volle Wochen in Anspruch, also den fünften Teil des ganzen Jahres. Außer diesen schweren Frondiensten hat jeder Bauer an Abgaben noch 56 Pfennig Geldzinsen, drei Hühner, zehn Eier und zwölf Scheffel Getreide zu leisten. (Rösener, S.222)

 

Für die Unterschicht der übrigbleibenden freien Bauern und die Knechte ihrer Herren bedeutet das Mangelwirtschaft, Abhängigkeit von der Qualität der Ernten, vom Wetter und vom Erfolg von Nahrungskonkurrenten. Periodische Hungersnöte auf regionaler Ebene und manchmal sogar in einem großen Teil Europas sind die Folge.

Bevor sich im 11. Jahrhundert Herren dafür zu interessieren beginnen, wie effizient und rentabel ihre Grundherrschaften sind, bedeutet es ihnen wenig, was ihre servi und colones insgesamt erwirtschaften. Wichtig ist, dass sie ihre vorgegebenen Abgaben und Dienste leisten, das, was als redditus, Einnahmen bezeichnet wird.

 

 

Ehe, Familie, Verwandtschaft

 

Die Kirche erklärt den handgreiflichen Körper zum Gefängnis einer „Seele“, die durch mancherlei körperliche Aktivitäten Schaden nimmt. Solche als Sünde bezeichnete Taten sind im Jüdischen Übertretungen kultisch-religiöser "Gesetze", im Christentum sind sie dem Menschen bald als Erbsünde angeboren. In der christlichen Interpretation der jüdischen Version der Paradiesgeschichte ist die zentrale Sünde das Ausleben jener Sexualität, die zugleich als Strafe für das Übertreten von Gottes Gebot den Menschen auferlegt ist. Darüber hinaus ist jeder nicht notwendige Konsum Sünde, da er den Menschen vom Erstreben des Himmelreiches ablenkt. Werden Sünden nicht gesühnt bzw. abgebüßt, landet man für immer und ewig in einer Hölle ewiger Folterqualen

 

In der Praxis sieht alles recht anders aus. Eindeutig sündig ist ausgelebtes sexuelles Begehren nur für Mönche und Nonnen, und nur für sie gilt auch gottgewollte Armut als Bescheiden auf das Lebensnotwendige. Priester und überhaupt höherer Klerus sollen zwar zölibatär leben, aber daran halten sich nur wenige und bis ins 11. Jahrhundert scheint das auch keine sonderliche Rolle zu spielen. 

Besonders merkwürdig ist die Situation der Laien, für die ein Ausleben der Geschlechtsgier zwar einerseits "eigentlich" Sünde bleibt, von denen andererseits aber erwartet wird, das sie in der Regel heiraten und Kinder bekommen. Als eigenartigen "Kompromiss" erlaubt die Kirche dann grundsätzlich der Zeugung dienenden Geschlechtsverkehr und verbietet ihn nur an Fasten- und Feiertagen. Zum Glück für die Menschen schaut die Kirche ihnen nicht in ihre Schlafstätten hinein.

Das mindestens ambivalente Verhalten der Kirche gegenüber dem Geschlechtsleben der Laien gibt ihr die Möglichkeit, fast jeden von ihnen als Sünder einzuordnen und damit an sich zu binden. Entsprechend sind Heilige keusch, was ursprünglich fromm, religiös sein heißt und zwischen den Bedeutungen des Verzichtes auf das Ausleben des Geschlechtstriebes und einem Ausleben nur in den erlaubten Bahnen der Ehe oszilliert.

In der alltäglichen Lebenspraxis ist Keuschheit vor allem auf Jungfrauen  beschränkt, weswegen Virginität nicht nur eine Altersstufe, sondern auch geschlechtliche Unberührtheit dieser Mädchen meint, und weshalb es auch keinen entsprechenden Ausdruck für Knaben und junge Männer gibt, was jenseits aller Religion eben daran hängt, dass Mädchen/Frauen Kinder bekommen, was außerhalb der Ehe für die meisten damals ein erhebliches ökonomisches Problem darstellt und darum meist mit Ehrlosigkeit bestraft wird.

 

Wir erfahren wenig und sehr Unterschiedliches über das Sexualverhalten der produktiven Masse der Menschen. Im 10./11. Jahrhundert tauchen mehr Erwähnungen von sexueller Verwahrlosung auf, was aber auch daran liegen kann, dass die geistlichen Autoren sie nun stärker wahrnehmen. Thietmar von Merseburg beklagt, dass sie inzwischen zu wenig hart bestraft wird:

Heute (...) herrscht überall (...) Freiheit zur Sünde, und so treiben nicht nur viele verführte Mädchen, sondern auch manche verheiratete Frauen schon zu Lebzeiten ihres Mannes Ehebruch (...) Heute gibt es keine harte Strafe mehr dafür, und so kommt die neue Mode, wie ich fürchte, bei vielen immer mehr in Übung. (Chronicon, VIII,3)

Vermutlich ist die Bezähmung des Geschlechtstriebes in dieser Zivilisation besonders schwierig, da ihre christlichen Meister ihn auf das absurdeste diabolisieren und so jede kultivierende Auseinandersetzung mit ihm erschweren.

 

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Es lassen sich sinnvollerweise zwei Formen von Vergesellschaftung erkennen und so auch definieren: eine sexuell vermittelte und eine von solcher Vermittlung freie. Auf der Schwelle zum Kapitalismus gehört die erstere einerseits für die meisten Menschen in den privaten Raum, wird aber andererseits von ihren Herren beaufsichtigt und nun zunehmend von der Kirche definiert.

 

Das (deutsche) Wort Ehe wird seine noch heutige Bedeutung erst im sogenannten hohen Mittelalter bekommen, das Wort Verwandtschaft erst auf dem Weg in die sogenannte Neuzeit. Familie wiederum als lateinische familia behält durch das Mittelalter in etwa seine antik-römische Bedeutung, wird aber zugleich gelegentlich auch auf die eingeschränkt, die wir noch heute darunter verstehen.

 

Da die meisten Menschen einen Herren haben, unterliegt ihre Eheschließung in unterschiedlicher Weise der Genehmigung durch diesen, insbesondere, wenn einer der beiden einem anderen Herrn untersteht. Dabei sind mehr oder weniger auch Abgaben fällig. Die Eheschließung selbst ist dann ein privater Akt zwischen zwei Familien, an dem die Kirche, die das Ausleben von Sexualität auch in der Ehe längst zu einem (notwendigen) Übel erklärt hat, nicht beteiligt ist, auch wenn die Ehe von ihr längst bejaht und immer unauflöslicher wird. Gelegentlich lässt man sich aber bei der Heirat den Segen eines Geistlichen geben. Immerhin sind es nun immer weniger Jungfrauen, sondern zunehmend auch Ehefrauen, die als weibliche Heilige angesehen werden.

 

Zur Verheiratung gehört die Mitgift, welche der Braut von ihren engsten Verwandten mitgegeben wird, und welche zu ihrer materiellen Absicherung auch im Falle der Verwitwung gehört. Ihre Höhe trägt dort, wo es größeres Eigentum gibt, viel zur Attraktivität der Braut bei.

Für Katalonien beschreibt Bonnassie (La Catalogne) nicht nur, das Frauen damit über uneingeschränkten Eigenbesitz verfügen, sondern auch ein Mitspracherecht bei Verfügungen über das Eigentum des Gatten haben, was sich in ihrer Mit-Unterzeichnung von Urkunden dokumentiert. Solche Rechtsvorstellungen sind aber nach Gegend verschieden.

 

Mit der Eheschließung und dem Nachwuchs bildet sich Verwandtschaft, die aber noch nicht in dieser Abstraktion, sondern als anschaulich-konkretes Beziehungsgeflecht gesehen und benannt wird. Dieses ist im Vergleich zu heute ausgesprochen stabil, sobald Ehescheidung nur noch ausnahmsweise möglich ist.

 

Wie komplex sich das Zusammentreffen von Christentum und Germanen auswirkte, lässt sich an Vorstellungen erkennen, wie sie das Gesetzeswerk des Liutprand für langobardische Frauen festlegt. In seinem Kapitel 204 findet sich einerseits die Bestimmung, dass die Frau ihr Leben lang im mundium, der germanischen munt des Mannes verbleibt, also des Vaters, des Ehemannes, danach des Sohnes. Das heißt aber auch, sie ist frei über ihren freien Vater und Mann. Sie bleibt aber immer unter der rechtlichen Vormundschaft des einen oder anderen.

Andererseits muss der zukünftige Ehemann ihr vor der Hochzeitsnacht Geschenke machen, und auf die Hochzeitsnacht folgt die „Morgengabe“ von einem Viertel seines Eigentums. Die rechtliche Ohnmacht wird also durch erhebliche wirtschaftliche Macht kompensiert. Diese quarta wird im Süden Italiens bis in die Neuzeit hinein erhalten bleiben als germanisches Element einer Stärkung der weiblichen Situation. (Jean-Pierre Martin, Les Lombards, derniers barbares du monde romain. www.clio.fr./BIBLIOTEQUE/les-lombards-derniers-barbares-du-monde-romain.asp.)

 

Definierte Weiblichkeit verbindet sexuelle Momente mit ökonomischen und rechtlichen. Die rechtliche Bindung an den Mann als Unterordnung hat wenigstens einen doppelten Aspekt: Damit kontrolliert er einmal die Fortpflanzung als seine eigene und die Verfügbarkeit (s)eines Objektes des Begehrens. Zum anderen steht die Frau als Eigentümerin eines beachtlichen Teils des Familienbesitzes unter seiner Aufsicht. Die ansonsten noch erhebliche Eigentumsfähigkeit der Frau zeichnet sie als „Freie“ im germanischen Sinn aus und als aus einem solchen Haushalt kommend.

 

Die religiöse Abwertung der Frau und ihre rechtliche Minderstellung besagt wenig über ihre tatsächliche Situation im Alltag. Königinnen regieren mit und manchmal als Witwen alleine, sowohl im ottonischen Königshaus wie im Westen, wo Hadwig als Witwe von Hugo ("dem Großen") 956-60 kräftig mitmischt, und wo ihre Tochter Beatrix nach dem Tod ihres Gemahls 978 zehn Jahre lang Oberlothringen regiert. Aus den meisten Quellen lässt sich keine Ablehnung dieser Machtstellung von Frauen ablesen (Wickham).

 

Im bäuerlichen und noch sehr seltenen bürgerlichen Haushalt erledigen sie eigenverantwortlich wesentliche Teile der Arbeit. In der hochadeligen Familie sind sie für die innere Haushaltung zuständig und haben damit einen durchaus wichtigen Aufgabenbereich. Die Vorstellung von einem Emanzipationsdefizit wird von einigen wenigen erst seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert formuliert und zwar im Zusammenhang jener "bürgerlichen" Haushalte, in denen einige Damen des Hauses dank Dienerschaft nach neuartiger Beschäftigung suchen und diese ideologisierend in Konkurrenz zu Männern finden.

 

In den germanischen Rechtsvorstellungen war die Eheschließung eine "Privatsache" der betroffenen Familien, die sich in der Verehelichung ihrer Kinder miteinander verbanden. Diese Verbindung betraf Eigentum, Machterweiterung, Ansehen, gegenseitige Hilfeleistung und andere praktische Erwägungen. Darum tendierten Eheschließungen zu einer gewissen Endogamie, die Kinder sollten im engeren oder weiteren Verwandtschaftskreis verheiratet werden, damit der Besitz in möglichst engem Rahmen zusammengehalten wird. Ausgehandelt werden Ehen oft von den Eltern, insbesondere den Vätern, deren Kinder unter ihrer Munt stehen, latinisiert dem mundium. Das betrifft aber vor allem die, die etwas besitzen. Im Mittelpunkt steht so zunächst der Konsens der Väter, aber mit Papst Nikolaus I. wird nun auch stärker der der Brautleute betont.

 

Ausgehandelt werden dabei sowohl erhebliche Gaben von seiten der Familie des Bräutigams vor und nach dem ersten "Beilager" (letztere die Morgengabe oder das osculum, also die Gabe nach dem Hochzeitskuss). Andererseits gibt es oft auch eine geringere Gabe des Brautvaters. Nach germanischem Recht bleibt die Verfügung über das ihr mit der Hochzeit Gegebene bei der Braut, nun Ehefrau.

 

Die Entwicklung von Ehe und Familie hat einen "weltlich"-pragmatischen Aspekt und einen kirchlichen. Die kirchliche Seite ist von dem Widerspruch geprägt, dass sie einerseits die Fleischeslust scharf ablehnt, andererseits aber die Fortpflanzung bejaht, was praktisch den lustlosen Koitus erzwingen soll. 829 formuliert ein fränkisches Konzil, was bis ins nächste Jahrtausend gültig bleiben wird:

Laien sollen wissen, dass die Ehe von Gott eingerichtet ist, und dass sie nicht zur Befriedigung der Lust, sondern vielmehr der Nachkommenschaft wegen eingegangen werden soll (...) Die fleischliche Verbindung mit Frauen muss um der Nachkommenschaft und nicht um des Vergnügens willen aufgenommen werden und ein Mann soll sich des Geschlechtsverkehrs mit seiner schwangeren Frau enthalten. (MGH LL,1)

Da es tatsächlich der Geschlechtstrieb ist, der zum Kopulieren führt, und nichts anderes, wird eine lange und nicht sehr konsistente Entwicklung dazu führen, dass aus dem gerade so Hingenommenen im 12./13. Jahrhundert das Sakrament der Ehe wird, was die Sünde des Auslebens des Geschlechtstriebes zwar nicht beseitigt, aber in der Ehe doch sehr in den Hintergrund drängt. Aber es wird noch zu untersuchen sein, wie die Inkonsistenz der katholischen Sexuallehre in Zusammenhängen von Widersprüchen mit dazu beiträgt, dass Kapitalismus entsteht.

 

Im Verlauf der Nachantike, also des auch so genannten frühen Mittelalters, schwindet die öffentliche Akzeptanz für die Friedelehe, eine feste Liebesbeziehung, die anstelle oder neben der regulär werdenden (monogamen) Ehe öffentlich nachvollziehbar eingegangen wird. Die Friedel (Geliebte) sinkt dabei auf den Stand des Konkubinats und verliert alle ihr nicht individuell geschenkten Rechte. Schließlich gibt es noch das Kebs-Verhältnis mit einer unfreien Frau. In solchen ziemlich patriarchalen Strukturen wird der Frau aber nur ein Mann zugestanden.

 

Traditionell finden bislang Scheidungen in der Form statt, dass der Mann die Frau verstößt und ihre Mitgift an ihre Familie zurückgibt. Mit der Aufwertung der Ehe durch die Kirche in der Karolingerzeit und der Forderung nach Monogamie wird spätestens seit dem neunten Jahrhundert die Ehescheidung immer mehr erschwert, und das geht bis dahin, dass als Scheidungsgründe nur noch die gelten, die eine Eheschließung ungültig machen, besonders zu enge Verwandtschaft.

Wieweit die Kirche damit bereits in königliche Familien hineinregiert, zeigt der frühe Fall von König Lothar II., der mit der hochadeligen Thietberga verheiratet ist, die kinderlos bleibt, während er gleichzeitig ein Verhältnis zu seiner Friedel Waldrada hat, von der er einem Sohn bekommt. Nach Jahren gelingt es ihm 862, seine Ehe auf einer Synode zu Aachen für ungültig erklären zu lassen, da er die Ehefrau der Blutschande bezichtigt. Thietberga appeliert an den Papst, der 865 den König zwingt, Thietberga wieder als Gemahlin anzunehmen und Waldrada exkommuniziert. Die Scheidung wird dann hingenommen unter der Bedingung, dass beide Partner fürderhin ehelos leben.

 

In dem Verband aus Eheleuten und Kindern ist der Mann und Vater die durch seine Verantwortung für alle ausgezeichnete dominante Person so wie auch in der weiter gefassten familia. Väterliche Gewalt heißt, dass er für Frau und Kinder haftet, die unter seinem Schutz (munt) steht und dass er in letzter Instanz über Besitz, Einkünfte und Ausgaben verfügt, extra beschlossenes Sondervermögen der Frau ausgenommen. Tatsächlich besitzen die meisten Menschen im frühen Mittelalter allerdings nur geringes Eigentum.

 

Anders als später spielt der weibliche Teil in dem Aufbau von Familie und Verwandtschaft bei grundsätzlicher Patrilinearität in der Nachantike noch eine größere Rolle, wie für die Francia überliefert ist. In Rom zum Beispiel werden noch im zehnten Jahrhundert ein Drittel der überlieferten (Oberschicht-)Leute matronym benannt, wie Crescencius de Theodora, Stephan de Imiza, Gregorius filius Maroze senatrix. Das mag allerdings auch etwas damit zu tun haben, dass es sich dabei um besonders machtvolle Frauen handelt.

Aber diese weibliche Rolle geht wohl schon im Verlauf des 10. Jahrhunderts zurück. Männlich bezogene Zunamen nehmen dabei zu. Zwar entspricht der weibliche Erbteil zunächst noch in etwa dem männlichen, aber in großen Teilen Italiens des 11. Jahrhunderts geht er bereits zurück, im 12. Jahrhundert noch stärker. Dabei werden die Mädchen auf die Mitgift und die Gabe des Bräutigams (dos) als Hälfte der Mitgift zurückgeworfen. Die Verfügung über Land gelangt immer mehr in männliche Hände. Damit wird im Laufe der Zeit auch das öffentliche Auftreten von Frauen geringer werden.

 

***Liebe***

 

Die spätkapitalistisch forcierte sexuelle Verwahrlosung großer Teile der Bevölkerung in Europa, inzwischen als politisch korrekt propagiert, macht es längst unmöglich, über "Liebe" zu sprechen, ohne vorher zu erklären, was man damit meint. Wer sich heute ins Nachtleben stürzt, um "Liebe zu machen", wie es im Denglischen heißt, oder um Triebabfuhr im Bordell zu suchen, der verwechselt sprachlich aus extremer Prüderie den Geschlechtsverkehr mit Liebe. Tatsächlich aber ist das aber wohl bereits früh das Problem (kulturloser) Zivilisationen wie der städtischen des antiken Mittelmeerraumes, die ohnehin dieses Wort nicht kennen, sondern die Ambivalenzen von amor und eros pflegen.

 

Die germanischen Wurzeln von Liebe sind mit Konnotationen von Freundschaft und Zuneigung verbunden. Damit finden sie Platz im Raum von Ehe und Familie, den kleinsten Einheiten vergesellschafteter Menschen, zugleich den elementaren wirtschaftlichen Einheiten, dem "Haus" des deutschsprachigen "Mittelalters".

 

Problematisch werden sie über das Bindeglied der Produktion von Nachwuchs, also ausgelebte Geschlechtlichkeit - und damit über den Geschlechtstrieb, dessen Ausleben originär massiven Egoismus bedeutet, so von der Natur alles Lebendigen angetrieben. Wie Liebe im ursprünglichen Sinne, und in der noch funktionierenden Familie, Geben meint, so tendiert der Geschlechtstrieb zum fordernden Nehmen. Geglücktes Leben von Ehe und Familie versucht immer wieder neu das schwer Zusammenzubringende miteinander zu verbinden.

 

Auch Historiker der letzten Jahrhunderte tendieren dazu, Liebe und Verliebtheit zu verwechseln, eine Unterscheidung, die insbesondere den vornehmen antiken Römern der Kaiserzeit zu fehlen scheint. Gemeinhin wird der hormonelle Überschwang, diese Verwirrung von Egoismus und Altruismus, als Liebe bezeichnet, obwohl nur kurzzeitige Verliebtheit mit ihrem offensichtlichen Begehren gemeint ist. Aus diesem Grunde gibt es im zwanzigsten Jahrhundert nicht wenige, die den Menschen vor dem sogenannten hohen Mittelalter absprechen, zu lieben, und davon ausgehen, dass erst die Troubadoure und Minnesänger "die Liebe erfunden" hätten, ein offensichtlicher Unsinn,da sie nur die Verliebtheit, also das sehr überschaubare sexuelle Begehren, in Leid wie Freud propagieren.

 

Die wenigen Quellen für die Nachantike und bis ins frühere Mitttelalter hinein schweigen zu dem Thema, nicht zuletzt auch, weil sie fast alle auf Latein verfasst sind. Dort ist dann auch nicht von Liebe und nicht von amor die Rede, soweit nicht von Liebe zu Gott und den Heiligen die Rede ist. Wir sind also auf wenige quasi anekdotisch zu fassende Ausnahmen angewiesen, und die berichten nicht von den Mächtigen, bei denen Liebe in dynastischen Ehen eher die Ausnahme ist und verliebtes Begehren wohl oft auf Konkubinen und kurze außereheliche Ausfüge beschränkt wird.

 

Eine solche Geschichte unter kleinen Leuten vermittelt Gregor von Tours, der sie zugleich dafür benutzt, den dort vorkommenden reichen und mächtigen Herrn abzuwerten:

Er habe unter seinem Gesinde (famulis) damals einen Mann und ein Mädchen gehabt, die, wie es oft geschieht, sich ineinander verliebt hatten (mutuo se amore dilixisse). Solche Beziehungen bedurften aber der Genehmigung durch den Herrn. Und als sich ihre Liebesbeziehung schon zwei Jahre oder noch länger hingezogen hatte, verbanden sie sich (coniuncti) und flüchteten beide in eine Kirche. (Gregor V,3) Siehe oben für die ganze Geschichte, die an der Grausamkeit des Herrn schlimm endet.

 

Um 880 überträgt ein (wohl freier) Mann eine ancilla samt ihren drei Söhnen an das Regensburger Kloster St.Emmeran und gewinnt damit seiner wohl aufgrund ihrer Unfreiheit nicht geheirateten Frau samt seinen Kindern für sein Ende etwas mehr Sicherheit. Die Zahl solcher illegaler und zugleich wohl aus liebevoller Verbundenheit eingegangener Beziehungen bleibt notgedrungen unbekannt. (in: Esders, S.74)

 

In anderen Fällen äußert sich Liebe daran, dass sie rechtliche Restriktionen überwindet:

In oder bei Piacenza hat ein (freier) landbesitzender Bauer namens Authari eine junge Tochter namens Anstruda, die sich offensichtlich in einen (unfreien) servus verliebt, der zwei Brüdern gehört. Sie verkauft ihre Freiheit für drei solidi an die beiden, um ihn heiraten zu können. Dabei macht sie mit den beiden Herren aus, dass ihre möglichen Söhne in Unfreiheit bleiben sollten, die Töchter aber das Recht hätten, sich für die selbe Summe freizukaufen. (Wickham(3), S.203 mit Quellenangabe)

 

Was im 10. Jahrhundert in Texten weithin fehlt, ist das antike Hochstilisieren von Verliebtheit mit dem Drang zur schnellen Triebbefriedigung, und was noch nicht stattfindet, ist die neue Kultivierung von Verliebtheit in höheren adeligen Kreisen, die mit Beziehungslosigkeit und letztlich Lieblosigkeit verbunden werden. Zu befürchten ist allerdings eine Tendenz sexueller Aggressivität von Herren gegenüber von ihnen abhängigen Mädchen und Frauen, die natürlich in den Quellen damals kaum auftaucht.

 

***Ganz unterschiedliche Körperlichkeit***

 

Während die Jagd und vielleicht auch noch das Sammeln von Früchten und selbst eine naturnahe Viehzucht bei guter Ernährung gesunde Körper hervorbringen, lässt sich das weder von den Ackerbauern noch für viele Formen von Handwerk sagen. Einseitiges Training bestimmter Muskeln zu ungunsten anderer, vielfach gebückte Haltung und für Bauern zumindest saisonal harte Arbeit und lange Arbeitszeiten von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang treffen dann für das hier zentrale frühe Mittelalter unserer Schwellenzeit auf immer wieder mengenmäßig und qualitativ unzulängliche Ernährung.

 

Was die Hygiene in Land und Stadt angeht, sind wir auf Vermutungen angewiesen, auch was Körperreinigung angeht, da oft das Wasser herangeschleppt werden muss und man für ausgiebige Ganzkörpersäuberung auf größere Fließgewässer oder Seen angewiesen ist. Bei aller diesbezüglichen Quellenarmut tauchen einzelne Textstellen dazu auf. In Liutprands langobardischer Gesetzgebung gibt es Verfügung darüber, wieviel Strafe ein Mann bezahlen soll, der einer Frau die Kleider stiehlt während sie badet, was wohl heißt, an offenem Gewässer. (Wickham(3), S.143)

 

Ganz im Gegensatz dazu lässt sich bei den Herren eine in der Jagd und der Einübung des Reitens und Kämpfens trainierte geradezu sportive Körperlichkeit annehmen, die in den wenigen Texten auch hervorgehoben wird. Für diese Leute, die nicht produktiv arbeiten müssen, sondern dafür andere ausnutzen, lässt sich eine Art Schönheitsideal vermuten, welches bei Männern auch im nordwestlichen Mittelmeerraum hohen Wuchs, helles Haar und helle Augen sowie Kraft und Stärke beinhaltet. Das gilt auch für "edle" Frauen, Herrinnen also, Damen später, die im wesentlichen ebenso von produktiver Arbeit ausgespart bleiben, wo sie nicht schiere Beschäftigung im textilen Bereich bedeutet. Frauen sollen vor allem kräftig sein, um viele Kinder zu bekommen.

 

Aussehen wird weder bei der Geistlichkeit noch den Klosterleuten ignoriert, wie denn auch, aber eigentlich ist ihr Körper ja nur der lästige Leib der Seele, dem man eher wenig Beachtung schenken sollte. Während die Kirche von produktiver Arbeit so befreit ist wie die Kriegerschicht, mit der sie oberhalb der Gruppe der kleinen Pfarreipriester die edle Herkunft gemeinsam hat, sollte sie eigentlich des Körpertrainings auf der Jagd und in der Vorbereitung für den Kampf entsagen, was aber höhere Prälaten wohl zumindest vom Jagdvergnügen nicht immer abhält. Aber insgesamt fehlt der allgemeinen Geistlichkeit der wohlgeübte Körper, und das Ausleben des Geschlechtstriebes wird zwar geduldet, aber nicht unbedingt gutgeheißen, weswegen der sexuelle Blick auf die Körper nicht so offen betrieben werden kann.

 

Da Mönche und die geringere Zahl der Nonnen ebenfalls in der Regel aus edleren Kreisen stammen, ist das benediktinische Arbeitsgebot für die meisten auf die weniger beschwerlichen Tätigkeiten reduziert, von wenigen häuslicheren Verrichtungen einmal abgesehen. In ordentlich ausgestatteten Klostern haben Mönche allerdings wie der übrige Adel eine solidere, weniger krisengeschüttelte  Ernährung als die, die für sie arbeiten, auch wenn ihnen das edle Schlemmen und Bechern untersagt ist. Auch ohne sportive Übungen haben Mönche und Nonnen so eine höhere Lebenserwartung als die arbeitende Bevölkerung, was ihnen eine längere Wartezeit hin zu den doch eigentlich angestrebten Gründen des ewigen Chorgesangs im Angesicht ihres obersten Herrn gewährt.

 

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Was wissen die Menschen von den im Körper verborgenen Vorgängen und was von den schambesetzten äußeren?

Die Masse der Bevölkerung dürfte im frühen Mittelalter in Verhältnissen gewohnt haben, die sowohl was das Ausagieren des Geschlechtstriebes, Nacktheit wie auch Urinieren und Defäkieren angeht, nur eingeschränkte Heimlichkeit zulassen. Aber die unsichtbaren Vorgänge im Körper sind weithin unbekannt. Aus der Antike stammt eine Humoraltheorie, die vier Körpersäfte annimmt, Blut, Phlegma, gelbe und schwarze Galle, welche in ihrer Zusammensetzung Persönlichkeit und Gesundheit bestimmen sollen.

Ähnlich dubios sind die Ansichten über die nicht gleich sichtbaren Vorgänge der Fortpflanzung. So wird vielfach angenommen, dass nicht nur der Mann Samen ausstößt, sondern beim fruchtbaren Koitus auch die Frau, und dass die Vermischung beider vonnöten ist. Alternativ folgt man Aristoteles, der erklärt hat, dass das männliche Sperma durch Formung einer weiblichen Substanz den Fötus schaffe.

 

In den 'Practica secundum Trota' aus Salerno, die im 12. Jahrhundert zum ersten Mal ausführlicher auch Gynäkologisches in der Medizin behandeln, und zwar von Unfruchtbarkeit und Menstruationsproblemen bis zu Kosmetika, wird als empfängnisverhütendes Mittel folgendes empfohlen:

Nimm ein männliches Wiesel und lass seine Hoden entfernen und setze es anschließend wieder lebend in Freiheit. Lass die Frau diese Hoden, welche in die Haut einer Gans oder eines anderen Tieres gewickelt werden sollen, an ihrer Brust tragen, dann wird sie nicht empfangen. (in: Mazo Karras, S.151)

Ladurie berichtet aus Montaillou, dass der Dorfpriester, wenn er mit Beatrice de Panissoles schläft, zur Empfängnisverhütung ein Amulett mit Kräutern um seinen Hals trägt.  

 

Diese Art von (faulem) Zauber fördert auch das Gewerbe der Zauberer und Hexen, und offensichtlich sind es vor allem Frauen, die sich auch ganz unprofessionell hier versuchen. Das veranlasst Burchard von Worms um 1000, Strafen auf Frauen auszusetzen, die zu magischen Zwecken den Samen ihrer Ehemänner trinken oder ihnen von ihrem Monatsblut zu trinken geben.

 

 

Klima, Modernisierung und Wirtschaftswachstum

 

Kapitalismus entsteht nicht in Wüsten, Steppen oder tropischen Regenwäldern, sondern in einer gemäßigten Zone zwischen der nordwestlichen Mittelmeerküste und England. Gemäßigt heißt dabei aber dennoch, dass das Leben der Nahrungs-Produzenten äußerst mühsam der "Natur" abgerungen werden muss und es dabei Rückschläge gibt. Sturmfluten an der Nordsee reißen Städte wie das alte Winchelsea in Südengland in den Untergang und trennen die Nordfriesischen Inseln vom Festland, eröffnen andererseits aber den Aufstieg von Hafenstädten wie Kampen nach dem Aufreißen der Zuidersee oder den von Brügge.

 

Flüsse sind besonders dort, wo sie nicht eng von Bergen begrenzt sind, flach, weil sie sich in einem breiten Band in viele kleinere Flussläufe verästeln, und machen so Schifffahrt zu einem Problem. Was für das Meer die Sturmfluten, sind bei den Flüssen und Bächen die immer wiederkehrenden erheblichen Überschwemmungen.

Dazu kommen Ernteverluste durch zuviel oder zu wenig Regen, durch Heuschreckenschwärme und vieles mehr.

 

Aber das alles nimmt dem Großraum nicht seine guten Voraussetzungen für die Entstehung von Kapitalismus. Neben dem Klima, dem Boden und dem genügenden Wasser wirkt sich auch der viele Wald als Rohstoff Holz nördlich der Alpen zunächst als Motor aus: Noch vor der Wasserkraft ist Holz die wesentliche Energiequelle des Mittelalters und wird erst im 18. Jahrhundert dann durch Steinkohle abgelöst. Zudem ist sie wichtiger Baustoff.

 

Das 8.-13. Jahrhundert gilt als relative Warmzeit, insbesondere zwischen 950 und 1200. Passend dazu nimmt die Bevölkerung nach Jahrhunderten der Abnahme wieder zu, zwischen dem späten 8. Jahrhundert und dem Millenium hat sie sich möglicherweise verdoppelt, um dann im 11./12. Jahrhundert weiter zuzunehmen. (GoetzEuropa, S.162)

 

 

Die hohen Herren von Kirche und weltlichem Hochadel tun oft bis weit in die hier so genannte Schwellenzeit eher wenig gegen die eher steigende Ineffizienz ihrer weit verstreuten Domänen, während manche Klöster an vorderster Front beteiligt sind. In technischer Hinsicht sind sie oft Vorreiter in der Organisation ihrer Grundherrschaften, in der Steigerung der Produktivität dort, in der Nutzung des Wassers und der Wasserkraft durch Mühlen, in der Urbarmachung von "Ödland".

 

Erst mit dem Ende der antiken Sklaverei und der damit einhergehenden Verwandlung der Grundherrschaften aus servi und colones wird im 11. Jahrhundert ein stärkeres Interesse bei vielen großen Herren erwachen, was sich in einer Zunahme von Urbaren, mit denen sie sich einen Überblick über ihren Reichtum verschaffen, und dann auch mit den neuartigen Hofrechten abzeichnet.

 

Im wesentlichen ist es nicht Gewalt von Herren, sondern die Macht der wirtschaftlichen Entwicklung, die Sklaven von unten und Bauern von oben auf ein mittleres Niveau von Abhängigkeiten von Herren bringen. Ihr wesentliches Kennzeichen ist das Wachstum der Nahrungsmittelproduktion, die einher geht mit Bevölkerungswachstum, Zunahme der Warenproduktion, Marktwirtschaft und Dezentralisierung der Macht- und Gewaltverhältnisse. Das Wachstum wird anhalten und am Ende bei einer allgemein durchgesetzten ersten Phase von Marktwirtschaft und Kapitalismus dann erneute Zentralisierungsbestrebungen ermöglichen, die Ansätze zu Formen neuartiger Staatlichkeit mit sich bringen.

 

Das Wachstum der Landwirtschaft beruht auf drei Phänomen, dem technischer Entwicklungen im weitesten Sinne, dem der Erweiterung der Nutzflächen und dem allgemeinen Bevölkerungswachstum.

 

Auf jeden Fall ist aufgrund archäologischer Befunde eine Zunahme des Bevölkerungsanstiegs für das zehnte Jahrhundert zu vermuten. (Bois, S.127ff etc.) Dieses Wachstum fördert an einzelnen Punkten den Druck, technische Neuerungen zu übernehmen und vor allem auch geeignete Ländereien zu roden bzw. trocken zu legen und so intensiverer Bewirtschaftung zugänglich zu machen.

 

 

Das Wort Technik ist erst im 18. Jahrhundert aus dem Französischen in die deutsche Sprache gekommen und bis heute von beachtlicher Unklarheit. Der Weg von der altgriechischen techne bis dahin ist durch die mangelnden Griechischkenntnisse im Mittelalter verbaut. Hier soll das Wort die Nutzung menschlicher Artefakte, also von Werkzeugen, Geräten und Maschinen bezeichnen, also Gegenstände und die Fähigkeit, sie zu benutzen.

 

Der Nachantike fehlte wie der Antike ein solches Konzept, stattdessen erhielt sich das lateinische vom ingenium. Auf unseren Technikbegriff angewandt, wird daraus unter Bedingungen der Anfänge von Kapitalismus im 11. Jahrhundert der ingeniator und im ganz späten "Mittelalter" der französische ingénieur, der auch erst im 18. Jahrhundert in die deutsche Sprache einwandert.

Gerne wird gelegentlich behauptet, das Christentum sei für die Aufwertung von Handarbeit und für technischen Fortschritt förderlich gewesen und man belegt das unter anderem mit der kirchlichen Nachfrage nach Bauten und schmückenden Gegenständen (siehe z.B. Bayerl, S.18ff), aber das setzt die Kirche nicht von anderen zivilisierten Religionen und Kulten ab. Es ignoriert auch die technische (und kommerzielle) Überlegenheit der islamischen Welt und Chinas bis mindestens ins hohe Mittelalter.

 

Technische Intensivierung entwickelt sich sehr langsam, dafür beginnt schon zwischen dem 7. und 9. Jahrhundert jene Extensivierung vor allem durch Rodung, in der einzelne große Waldgebiete auf Reste in einer immer agrarischer geprägten Landschaft reduziert werden - und mit ihnen gehen immer mehr Tierarten zurück. In einer ersten Phase werden seit dem Ende des 3. Jahrhunderts verloren gegangene Nutzflächen zurückgewonnen, aber schon in der Karolingerzeit nimmt wohl auch Rodung nie zuvor intensiver genutzter Waldflächen zu. Vermutlich wird sie zumindest in Gallien nach dem 11. Jahrhundert nie mehr in diesem Umfang aus landwirtschaftlichen Gründen betrieben werden.

Praktisch gibt es wohl zwei Wege zu dieser Gewinnung neuer Nutzflächen. Entweder lassen Latifundienbesitzer oder Großbauern Sklaven diese Arbeit verrichten, oder aber sie beauftragen Kolonen oder freie Bauern damit und sichern ihnen dafür einen Anteil, wohl oft die Hälfte, als ihr Besitztum zu. Weniger "legaler" Raubbau an Wäldern und Feuchtwiesen wird wohl aus Eigeninitiative kleiner freier Bauern hervorgehen.

 

In der Nordhäfte Italiens sind große Landschaften Sümpfe, Wälder und andere Naturlandschaft. Zu den Pflichten der abhängigen Landbevölkerung kann dann die regelmäßige Jagd auf wilde Tiere gehören, um das Kulturland zu schützen. „...a donation made by the Marchesa Willa in 978 to the Florentine monastery known as the Badia shows that one third of an estate at Signa in the Arno valley only a few miles from the city was uncultivated; at another estate in the same region, the proportion of waste was five-eighth, while at Bibbiano in the Valdelsa, near the boundaries of Florentine territory, the uncultivated part of the estate was ten times the area where grain, vines and olives were grown.“ (Hythe, S.25)

 

Ein Weg, Kulturland zu gewinnen, wird es, Leute dort anzusiedeln, denen dafür größere Freiheiten gewährt werden. Der Aufstieg des Hauses Canossa beginnt in den unwirtschaftlichen Marschen des Po, und wendet sich dann den nur etwas weniger unwirtlichen Apeninnen  zu, wobei man darauf achtet, in geschlossenen Gebieten Herrenrechte anzusammeln. Die Markgräfin Mathilde, mit diesem Titel allerdings nicht belehnt, geht nicht zuletzt über Klostergründungen in der Poebene, ihrem Kernland, dabei voran, indem sie solche Gründungen in unkultivierte Gegenden verlegt und die Klöster damit zur Schaffung von Kulturland bringt. (Elke Goez).

 

Weinbau beginnt, eine Tendenz in Richtung Monokultur einzuschlagen. In der Umgebung von Bergamo soll Wein schon etwa ein Drittel der gesamten Anbaufläche einnehmen.

 

 

Vermutlich (wichtigste Qualifizierung von Äußerungen noch über das zehnte Jahrhundert) setzt das durch Einführung technischer Neuerungen hervorgerufene Wachstum in der Landbewirtschaftung schon in der Karolingerzeit punktuell ein. Der Ackerbau ist zunächst extensive und knochenharte Zweifelderwirtschaft aus bewirtschafteter Fläche und Brache, wobei Ochsen Hakenpflüge ziehen, die in die Erde gedrückt werden müssen und manchmal vorne auch Räder besitzen (die carrucae). 

Von Ochsengespannen gezogene erste hölzerne Beetpflüge mit Rädern, die die Schollen umwenden und das Pflügen in nur einer Richtung anstelle von Querpflügen ermöglichen, kommen wohl lokal seit dem 7. Jahrhundert an wenigen Orten Mitteleuropas auf. Im 10. Jahrhundert kommt, zunächst eher selten, die eiserne Pflugschar dazu, eine Neuerfindung, die vermutlich zunächst auch sehr teuer ist. Der Pflug besteht nun aus der senkrechten Sech, der waagerechten Schar und dem Streichbrett.

"Der Vorgang erforderte mindestens zwei menschliche Arbeitskräfte: Den Treiber, der das Vieh führte, und den Pflüger, der den Pflug in den Boden stemmte. Nach dem Pflügen wurde der Boden mit Strauchwerk oder mit der Egge, die sich noch nicht allgemein durchsetzte, geebnet und von Hand besät. (...) Bei der Ernte, durchweg mit der kurzen Sichel, ließ man die langen Halme als Viehfutter stehen." (GoetzEuropa, S.198)

 

Ähnlich vereinzelt taucht der Hufeisenbeschlag und das Kummet für Pferde auf, die dann zu effektiveren Zugtieren werden können. Die Hufe der Pferde sind grundsätzlich nicht so belastbar wie die von Ochsen, weswegen die, die es sich leisten können, sie beschlagen. Das neue Handwerk der Hufschmiede beginnt sich zu verbreiten. Die höhere Zugleistung der Pferde wird aber nur erreicht, wenn es nicht wie der Ochse mit dem auf dem Nacken aufliegenden Jochgeschirr versehen wird, sondern mit dem auf der Schulter liegenden gut gepolsterten Kummet, welches besseres Atmen und freieren Blutkreislauf ermöglicht. Damit nun leistet das Pferd die vier- bis fünffache Zugkraft eines Ochsen. Wie der eiserne Scharpflug verursacht auch der neue Pferde-Einsatz erst einmal erhebliche Kosten, weshalb er sich nur sehr langsam durchsetzt.

 

Die Sichel wird nun nicht mehr zum Ährenschnitt eingesetzt, sondern der ganze Halm wird geerntet und nach Abtrennen der Ähren als Einstreu und Winterfutter verwendet. Da man sich dafür tiefer bücken muss, beginnt nach und nach der Übergang zur Sense, die sich im 12. Jahrhundert auch für den Getreideschnitt  durchsetzt, nachdem sie bereits seit dem 9. Jahrhundert für den Grasschnitt eingesetzt wurde. Die Nachfrage nach immer besseren Klingen fördert die Metallverarbeitung.

 

Einzelne Fälle von Dreifelderwirtschaft tauchen wohl schon in der Merowingerzeit auf, aber sie wird sich mit ihren Gewannen, Fluren und der Dorfbildung erst nach dem 10. Jahrhundert stärker durchsetzen und dabei die Nahrungsproduktion weiter vergrößern. Im Prinzip geht es darum, in einer Flur zwei Fruchtfolgen mit einem Brachgewann zu kombinieren, in der Regel Wintergetreide mit solchem des Sommers (Hafer, Gerste) und Erbsen, Linsen oder Bohnen, und einer dritten Fläche als Brache, teilweise mit Hülsenfrüchten im Feldbau. Die Zeit der Brache erhöht die Boden-Ertragsfähigkeit, die erhöhte Produktivität bringt mehr Nahrung und die Leguminosen steigern das Maß der erzeugten Proteine und erhöhen die Bodenfruchtbarkeit durch Stickstoffdüngung. Zudem kann auch mehr Futter für Zug-Pferde erzeugt werden, mit denen größere Flächen beackert werden können.  Das Brachland wird gelegentlich dann auch noch als Weideland genutzt, wobei die Tiere mit ihren Exkrementen die Erde düngen.

 

Mit der Technik bzw. den Techniken sind erhebliche Veränderungen in den Verhältnissen zwischen den Menschen verbunden. Die drei Fluren oder Feldmarken sind in sich geschlossene Gebiete, an denen jeder Bauer seinen Anteil hat. Dafür muss es eine Art "Flurbereinigung" gegeben haben und die Zusammenarbeit der Bauern, die nun nicht mehr in Streusiedlung auf einer Grundherrschaft hausen, sondern in Dörfer zusammensiedeln und ansatzweise genossenschaftlich zusammenarbeiten, was zunächst ihre Stellung gegenüber dem Grundherrn aber nicht verändert. Bis ins 11. Jahrhundert lassen sich bei der geringen Überlieferung nur an wenigen Orten solche Neuerungen feststellen.

Aber im wesentlichen sind wir damit bereits im 11. und 12. Jahrhundert.

 

Die technischen Veränderungen, Kummet und insbesondere Wendepflug und die langsam zunehmende Verwendung von Eisen und überhaupt Metallen bei den Arbeitsgeräten verlangen mehr Einsatz von Geld für Beschaffungen auf einem Markt.

 

 

Das Wort Maschine beginnt seine Entwicklung vom griechischen mechané über die lateinische machina und bedeutet im Mittellateinischen noch nicht unsere moderne "Maschine", die im 17. Jahrhundert, aus dem Französischen entlehnt, zunächst die Belagerungsmaschine meint. Erst mit der beginnenden Industrialisierung des 18. Jahrhunderts setzt sich die allgemeinere Bedeutung durch. In unserem Mittelalter taucht vor allem machinari und machinationes auf, was dann sehr negativ Machenschaften heißt.

 

Die einzige, aber enorm wichtige Maschine des Mittelalters stellt die Mühle dar, die es als Wassermühle schon im antik-römischen Kaiserreich gab, und zwar sowohl solche, die von im Kreis gehenden Sklaven oder Zugtieren betrieben wurden, die als Teil der Maschinerie fungierten, wie auch Wassermühlen. Sie dienten im wesentlichen dem Mahlen von Getreide und wurden dann in die Nachantike und das frühe Mittelalter hinein übernommen, bei erheblichem Rückgang ihrer Anzahl.

Weitere Verbreitung scheint sie erst in der Karolingerzeit zu bekommen, und sie tauchen auch dort auf, wo es keinen bedeutenden Großgrundbesitz gibt (Bois, S.141). Mit dem zunehmenden Anteil von Getreide an der Landwirtschaft werden Mühlen zum Mahlen des Mehls immer wichtiger.

Für das Kloster Corbie wird dann wieder für die Zeit Karls des Großen von der Anlage von Kanälen für jeweils sechs Mühlräder berichtet und für das Kloster Prüm in der Eifel für 897 bereits von rund 50 Mühlen.

In den Klöstern ist Belesenheit zuhause und eine Finanzkraft, aus denen Maschinenbaukunst erwachsen kann. Dabei handelt es sich zunächst im wesentlichen um Getreidemühlen, die das Mahlen per Hand ablösen, welches der ländlichen Bevölkerung in den Grundherrschaften oft durchaus noch sehr lange für seine Selbstversorgung vertraut bleibt.

 

Im 10. Jahrhundert sind Mühlen bereits weit verbreitet, andererseits verlangen sie erheblichen Aufwand zu ihrer Errichtung und Unterhaltung. Das leisten Grundherrschaften, die sich ihre Nutzung mit Dienstleistungen oder Abgaben bezahlen lassen. Wer sich dem entziehen will, muss mit erheblich größerem Zeitaufwand sein Getreide weiter mit Handmühlen mahlen.

 

Ihre Funktion ist zum einen, die Arbeit des Getreidemahlens erheblich zu beschleunigen, also Arbeitskraft davon freizusetzen, zum anderen aber ist sie immobiles Kapital, welches die Macht von Grundherren steigert. Verrechtlicht wird sie durch den Mühlenbann, wie er überwiegend dann im 11. Jahrhundert auftaucht, also dem Zwang, gegen Abgaben die Mühlen des Grundherrn zu benutzen.

Die für ihren Bau nötigen technischen Fertigkeiten fördern wiederum spezialisiertes Handwerk, welches zunächst noch vorwiegend auf dem Lande angesiedelt ist.

 

 

Handwerk

 

Die landwirtschaftliche Produktion schafft die Basis für die Nachfrage bei Handwerk und Handel. In ihr arbeiten die meisten Menschen, und ihre Überschüsse und Abgaben schaffen die Nachfrage nach anderen Produkten.

Während das Agrarland und die Landbevölkerung mehr werden, steigt die Produktivität bis ins 11. Jahrhundert nur geringfügig, und sie wird immer wieder insbesondere durch Wetter-Schwankungen massiv eingeschränkt, aber es können doch offenbar insgesamt damit mehr Menschen ernährt und die Märkte mit mehr Waren beliefert und solche vom Lande zudem nachgefragt werden.

 

Handwerker gehören noch immer weitgehend den familiae der (Grund)Herren an, die erst langsam ein eigenes Interesse daran entdecken werden, den Untergebenen Spielräume zu geben, um Märkte zu bedienen. Soweit sie nur Aufträge ihrer Herren ausführen, sind sie nur wenig an einem Marktgeschehen beteiligt. Dies nimmt erst zu, wo sie auch auf den Markt als Ort von Nachfrage hin spekulierend eigenständig produzieren. Förderlich dafür ist bei noch viel Tauschwirtschaft, dass der Geldumlauf langsam zunimmt. Abgaben an Kirche und Grundherren werden manchmal stärker auch in Geld geleistet. Wo aber mehr Geld zwischen die Menschen tritt, sinkt tendenziell die Macht persönlicher Bindungen.

 

Was in der Schwellenzeit überall in Kerngebieten des lateinischen Abendlandes stattfindet, ist eine Tendenz zu stärkerer Arbeitsteilung zwischen Stadt und Land.

Dort, wo die Produktion ihrer familia abhängiger Produzenten nicht ausreicht, wird auf dem Markt Kleidung und Nahrung zugekauft. Dafür senden die Klöster weiter eigene Händler über Land zu wichtigen Marktplätzen. Andererseits versuchen Klöster nach Möglichkeit besonders auch Wein über den eigenen Bedarf hinaus zu produzieren und so wie auch gegebenenfalls Salz zu verkaufen.

Seit dem Ende des 9. Jahrhunderts lösen sich erste grundherrschaftliche Weinbauern aus dem Hufenschema und werden zu Berufswinzern, die nun Getreide und Fleisch eher eintauschen oder dann auch einkaufen müssen.

 

In den 'Honorantie civitatis Papiae', überwiegend kurz nach dem Millennium redigiert, tauchen als Handwerke unter königlichem Schutz eine Anzahl ministeria auf: Kaufleute, Finanzleute bzw. Münzer (monetarii), Fischer, Lederhandwerker, Seifen- und Parfumhersteller, Bootsleute, die alle Abgaben an den Kammerherrn zu leisten haben (§12-14, 19).

 

Größere Grundherren verfügen nun über mehr Geld, weshalb einige anfangen, das, was nicht auf ihrem Besitz und dem ihnen Geliehenen hergestellt wird, dann nicht nur auf dem örtlichen Markt, sondern je größer, mächtiger und reicher sie sind, desto weiter entfernt auch auf anderen Märkten zu kaufen. Marktwirtschaft entfaltet sich langsam.

 

Überliefert ist vor allem der erhebliche und kunstvolle Schmuck reicher Kirchen. Zur Luxusausstattung gehören Wandteppiche aus Wolle und Leinen, wie sie für Cluny überliefert sind, und Ende des Jahrhunderts stiftet ein Graf bemalte Kirchenfenster für die Abteikirche von Tegernsee statt der Tücher, die bislang die Fenster bedeckten. In Westfranzien gab es da schon über hundert Jahre wenigstens in Blei gefasste Glasfenster. 1003 ist in der Abteikirche Prüm ein großer Radleuchter aus Gold und Edelsteinen über dem Hauptaltar installiert, davor einer mit Glöckchen, dann sieben silberne und 13 kleinere. Dazu gibt es zwei goldene und sieben andere Lampen aus Gold und zwei weitere, und 13 silberne Leuchter, einer mit der Darstellung eines Löwen verziert.

 

Inwieweit gewerbliche Produktion über Luxusproduktion hinaus zu einer Zunahme des Handels beiträgt, lässt sich ansonsten nicht leicht erkennen. Textilproduktion und Töpferei zum Beispiel werden noch nicht durch technischen Fortschritt verändert.

 

Bergbau

 

In der späten Jungsteinzeit kommt der Gebrauch von Kupfer, Gold und Silber auf, seitdem gibt es Bergbau da, wo solche und dann auch andere Metalle wie Zinn und viel später Eisen vorkommen sowie auch sogenannte Edelsteine. In diesen Zeiten werden zugleich Kulturen von aufsteigenden Machthabern in zum Teil langsamen Prozessen in Zivilisationen verwandelt. Bekannt ist die Gier nach edlen und unedlen Metallen, die die Kriege der antiken "Römer" begleiten und ganze Landschaften wie zum Beispiel in Baetica dafür durch Einsatz von Sklaven zerstören lassen.

 

Insbesondere Edelsteine, Silber und Gold erwecken in Männern wie Frauen Laster wie Besitzgier und Eitelkeit, für die sie immer wieder auch über Leichen gehen. Bronze und dann Eisen werden zu Mitteln ihrer Machtgier und grenzenlosen Brutalität.

An alledem ändert sich nichts in den Reichen der Nachantike. Alles was den neuen Herrenmenschen den Einsatz von Gewalt wert ist, und dazu gehören Edelsteine und Metalle, eignen sie sich zunächst genauso an wie die alten Herren.

 

Mit dem Ende des weströmischen Imperiums kommt es zum erheblichen Rückgang des Bergbaus, der bis ins 10. Jahrhundert hinein anhält. Mangel an Gold, Silber, Eisen, Blei und Kupfer wird deutlich. Metallverarbeitende Produktion geht mehr noch als übriges Handwerk zurück. Mitten im 10. Jahrhundert beginnt sich das dann wieder zu ändern. Es gibt nun wieder vielerorts eisenverarbeitende Kleinbetriebe, aber Erz wird weiter in Rennöfen bei etwas mehr als 1000 Grad verflüssigt, und so das Roheisen getrennt.

 

Propagandisten der Mächtigen wie ein Otfried in seinem Evangelienbuch des 9. Jahrhunderts, welches er Ludwig ("dem Deutschen") widmet, feiern das fränkische Ausplündern der Erde beim Gewinnen von Gold, Silber, Kupfer und Edelsteinen.

Wo es nicht Könige sind, sind es vor allem mächtige und reiche Klöster, die eben nicht nur von Agrarprodukten und handwerklichen Erzeugnissen einer von ihnen unterdrückten Bevölkerung Reichtümer und Macht aufbauen, sondern auch vermittels des Bergbaus. Dazu kaufen sie erzreiche Gebiete, die zum Teil viele hundert Kilometer von ihrem Zentrum entfernt sind. St. Denis bei Paris besorgt sich so erzhaltige Gebiete im Breisgau, ähnlich wie auch Lorsch und St. Gallen (usw.) vorgehen. An Klöstern angesiedelte Waffen- und Alltagsgüter-Produktion bedient sich dann ihrer Rohstoffe.

Ähnliche Bedeutung hat der Bergbau für Stadtherren. Der Basler Bischof schafft es so, im Zuge der Burgundpolitik deutscher Könige/ Kaiser die Kontrolle über den ganzen Breisgauer Bergbau, die Silberproduktion und die Münze dort zu erlangen. Indem er zugleich den Wildbann dort erhält, kann er die Ausplünderung der Erde mit jener rabiaten Nutzung des Holzes der Wälder als Brennstoff verbinden, die aus Erzen erst Metalle macht.

 

 

Das Land in England

 

Zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert findet in England, regional etwas verschieden, in etwa eine Entwicklung wie in den Frankenreichen statt: Der Anteil freier Bauern (ceorlas) verringert sich, und sie müssen nun Abgaben in Naturalien und Geld leisten sowie Arbeiten für Herren wie Pflügen und Schafschur. Nach und nach werden diese Herren praktisch Eigentümer ihrer Höfe. Freie und Unfreie gleichen sich langsam an. Die produktiv das Land Bearbeitenden geraten unter immer stärkere Belastungen, der Prozess der Zivilisierung schreitet voran.

Dorf und Landgut eines thegn fallen nun öfter zusammen, ähnlich wie die Situation in der Île de France. In einigen Gegenden entsteht so eine derart von Landgütern mit zugehörigen Dörfern geprägte Landschaft. (Wickham(3), S.467f) Der Anteil freier, unbelasteter Bauern ist noch geringer als in den Frankenreichen. Größer Grundbesitzer aber wird in dieser Zeit der König, was unter den Dänen und dann den Normannen noch eklatanter wird über ihre Enteignungen englischer Oberschicht. Damit übertrifft er mit seinem Anteil an Landbesitz sogar die kontinentalen Herrscher.

 

England besteht bereits im 10. Jahrhundert im wesentlichen aus genutzter bis vernutzter Landschaft. Was nicht Acker und Weide geworden ist, ist in vielerlei Form genutztes Waldland. Am Ende des Jahrhunderts sind die Bären ausgerottet und Wölfe und Biber haben sich in sehr entlegene Gegenden zurückgezogen. Die Könige und die Magnaten beginnen, immer mehr Wald- und Weideland für ihre Jagden in Parkland zu verwandeln, woraus dann nach der normannischen Eroberung die königlichen "Forsten" (forests) werden.

Die Landwirtschaft produziert zumindest Überschüsse für Abgaben an den Herrscher wie das geld, den Zehnten für die Kirche und Abgaben an die direkten Herren, darüber hinaus im 11. Jahrhundert auch schon für den Markt, zumindest was tierische Produkte angeht, denn viele der Abgaben werden inzwischen in Bargeld entrichtet (Dyer, S.39). Geld wird wohl auch mit Nebenbeschäftigungen erwirtschaftet, manchmal mit Fischerei, Holzfällen, Holztransport und in Steinbrüchen. Andererseits erwerben Bauern auf dem Markt Handmühlen und eiserne Agrargeräte.

 

In einem breiten Streifen vom östlichen Schottland, Northumberland, die Midlands und dann bis Dorset und Hampshire beginnt bereits im 10. Jahrhundert das Zusammensiedeln von Bauern (ceorl, gebur) in Dörfern von zwischen zwölf und sechzig Haushalten, welches bis ins 12. Jahrhundert anhält (Dyer, S.19). Die Dörfer wirken geplant mit gleich großen Hofgrundstücken entlang einer Straße.

Grund ist wohl die gemeinsame Organisation von Feldfluren mit ihren Ackerstreifen und von Weide und Wald in gemeinsamer Nutzung, und das weist darauf hin, dass der Kern der Landwirtschaft hier Ackerbau (Getreide, Bohnen, Erbsen) ist. Wenn Bauern eines Dorfes in der Abhängigkeit mehrerer manors mit ihren Herren stehen, bilden die dennoch eine Gemeinschaft zur Regelung vieler interner Angelegenheiten.

Gemeinschaftsbildend wirkt die ländliche Pfarrei, denn die Herren lassen nahe der Dörfer und noch näher bei ihrem manor house jeweils eine Kirche bauen, was Handwerk auch auf dem Lande fördert: Steinmetze, Zimmerleute, Kunsthandwerker. Vornehmere südenglische Herren lassen wertvollen Stein sogar von der Isle of Wight kommen oder aus der Gegend von Caen.

 

Die Erträge dürften wie auf dem Kontinent gering gewesen sein, selbst die Nutztiere sind auch hier noch viel kleiner als heute, - ein Schaf wiegt nur die Hälfte eines heutigen.

 

Nachdem bis ins 10. Jahrhundert hin alles Land aufgeteilt ist, kann man sehr große und sehr kleine Grundbesitze (estates aus manors) unterscheiden. Darin arbeitet eine halbe Million bäuerliche Haushalte für einige tausend der edlen Kriegerschaft. An deren Spitze steht der König, darunter ealdormen wie in Hampshire Aelfheah, in dessen Testament von etwa 970 große Grundbesitzungen in mehr als sechs shires vorhanden sind, die über 700  hides (also kleine Weiler) umfassen. Darunter stehen die, welche gelegentlich auch hier als proceres bezeichnet werden, wohlhabende Vornehme also, die über wenigstens 40 hides verfügen, und von denen es im 11. Jahrhundert fast hundert gibt. (Dyer, S.74) Solche großen Herren besitzen erhebliche Gelder und Schätze, ein Ealdorman vergibt um 980 zum Beispiel in seinem Testament Gold und Geld für mehrere hundert Pfund. Diese Herren haben feudale Häuser mit großen Hallen für festliche Empfänge, Silbergeschirr und kostbare Waffen und Rüstungen. Ihre Gebäude umgeben sie meist mit Wall, Holzpalisaden und Graben, aber eigentliche Burgen bauen sie ähnlich wie oft in deutschen Landen noch nicht.

Große Herren sind natürlich auch die Bischöfe und die größeren Klöster, die schon mal über 300 hides besitzen.

 

Die kleineren Herren, mehr als 4000 thegns, haben direkt mit Sklaven und unfreien Bauern bewirtschaftetes Land des Herrenhofes, und daneben solches, welches eher persönliche Freie auf Einheiten, die der ursprünglichen Bedeutung von hides entsprechen, gegen (Natural)Abgaben vor allem bewirtschaften. Wenigstens fünf hides sollte ein solches Anwesen umfassen.

Solche klein"adelige" Güter sollen den Herrn mit einem Schlachtross, Rüstung, Waffen und gutem Tuch ausstatten, welche seinen edlen Status demonstrieren. Solche Herren stehen für Waffendienste, Verwaltung und Gerichte dem König und oft auch größeren Lords zur Verfügung. Früh"feudale" Verpflichtungen im Ereignisfall (Todfall etc.) werden bereits in Geld bezahlt.

Kleinere Herren sind auch die in Minstern zusammenlebenden Geistlichen, die manchmal verheiratet und recht begütert sind und manchmal sogar mehrere Höfe besitzen.

 

Urbare geistlicher Herrn und von Klöstern, wie es sie auf dem Kontinent gibt, fehlen. Besonders aus den überlieferten Käufen von Klöstern wissen wir, das es bereits einen Markt für Land gibt, auf dem Ländereien gegen Geld ge- und verkauft werden. Geld spielt auch eine Rolle im Umfeld der noch kleinen Städte. "...the 800 inhabitants of a town of modest size would eat and drink der produce of 1000 acres of arable land, and over a large area would generate demand for livestock and wool." (Dye, S.35)

 

Die Sklaverei blüht noch bis Anfang des 11. Jahrhunderts, als selbst geringere estates 10 bis 30 Sklaven haben, denen es allerdings besser geht als in früheren Zeiten.

 

 

Das Land in Galizien und Asturien-León

 

Nicht die losen ländlichen Gemeinschaften des 10. Jahrhunderts haben schriftliche Zeugnisse hinterlassen, sondern Klöster, Bischöfe, Könige und Grafen. Informationen gibt es also erst in dem Maße, in dem solche Herren sich des ländlichen Raumes bemächtigen. Die Zeit davor kann im wesentlichen nur erschlossen werden.

Im Kern ähneln sich die Verhältnisse überall im ehemaligen weströmischen Reich: Das Eigentum an nutzbarem Land ist verteilt auf Menschen, die zugleich damit (wehrhafte) Freie sind, aber es gibt größere Gebiete, die der Natur überlassen sind und der Nutzung erst noch harren. Große Teile derer, die das Land bearbeiten, sind Herren untergeordnet bzw. leben und arbeiten in direkter Abhängigkeit von ihnen.

Das christliche Nordspanien stellt ein wenig eine Besonderheit dar, als es Rückzugsgebiet und Front gegenüber dem aus Nordafrika einmarschierten militanten Islam ist.

 

Eine Besonderheit Nordspaniens ist der nach Norden abnehmende Grad der Romanisierung. Eine weitere ist im 10. Jh. die Trennung in das Gebiet der nördlichen Kordilleren und der Atlantikküste noch nördlich davon, welches abgesehen von gelegentlichen Verwüstungen von islamischer Dominanz verschont bleibt, und jenes seit der Mitte des 10. Jhs. zurückeroberte südlich davon bzw. nördlich des Duero. Dort entsteht viel bäuerliches Eigentum durch Landnahme bzw. Kultivierung von "Ödland".

 

Für das Königreich Asturien-León lässt sich zudem feststellen, dass es anders als West- und Ostfranzien und Italien wenig bis gar nicht städtisch geprägt ist. Ortschaften als Ansammlungen von Gebäuden tauchen ausschließlich als villa auf, die in einen Gebäudekern und dazu gehörige Ländereien aufgeteilt ist, deren Grenze auch die des Ortes (locus) ist. In einem Beispiel von vor 1025 hat die villa von Maroxo mit dem Land eine Ausdehnung von 650 ha und die elf Höfe durchschnittlich von etwa 60 ha.

 

Das Ganze ist aus der visigotischen Zeit geerbt, die wiederum Erbe antik-römischer Zustände war. Mit den islamischen Eroberungen kommt es zu einem kaum quantifizierbaren Flüchtlingsstrom in den Norden, mit dem neue villae gegründet werden und Naturland kultiviert wird. Daraus nähren sich dann auch größere Orte, die im 10. Jahrhundert als civitates bezeichnet werden. Zu Alfons (Adefonsus) III. heißt es: (...) vicos et castella erexit et civitates munivit et villas populavit atque eas certis limitibus firmavit et terminis certis locavit et inter utrosque abitantes divisit. (in: López Alsina, S.210)

 

 

Nach dem Ende des Westgotenreiches gibt es dörfliche Gemeinschaften nördlich des Duero, die sich als concilium zusammenfinden und noch nicht als homines eines Herrn, sondern als Leute eines Ortes definiert werden (Godoy, S.57) Unterschieden werden von den spanischen Historikern communidades de valle in den Bergen mit Streusiedlung und Viehzucht und größeren  Verwandtschaftsverbänden und daneben enger zusammensiedelnde comunidades de aldea mit Zwei-Generationen-Einheiten aus Eltern und Kindern und deutlicherer territorialer Abgrenzung. Im 10 Jh. bestehen sie wohl in der Regel überwiegend aus kleinen produktiven Subsistenz-Einheiten Der Terminus ist villa, von der ganz anderen römischen villa abgeleitet, manchmal auch locus.

 

Das ist anders als wenn Robert Fossier für Westfranzien sagt, dass das Dorf um 1000 aus dem encellulement um Burg, Friedhof und Kirche entsteht oder Toubert und andere für Italien aus dem encastellamento.

 

Es gibt ein zunächst schlecht dokumentiertes Gemeineigentum an Wiesen, Weiden, Wäldern (Bergen), Mühlen, Fließgewässer, Quellen. Der Einzelne entwickelt immer definiertere Anteile an Tagen und Stunden daran, was dann besonders bei den Mühlen später auch dokumentiert ist, insbesondere, weil solche Anteile verkauft oder verschenkt werden können. 959 verkauft ein Selano und seine Frau dem Kloster Santiago de Valdávida seine Rechte an den Mühlen am Cea, nämlich die Nutzung an neun Tagen und Nächten. (Godoy, S.61)

 

Die Villa kann sowohl Ort der Machtausübung eines Herrn sein wie auch ein Dorf freier Bauern, aber auch eine Mischung aus beidem, wo Herren sich einen Teil des Ortes und seiner Ländereien angeeignet haben. In einem solchen Ort können auch mehrere Herren ihr Dominium ausüben. Ein Teil des Herren- Eigentums bewirtschaften dann Bauern, ein Teil (die Hälfte?) wird direkt bewirtschaftet.

Die Masse der abhängigen Bauern sind wohl servi casati in erblicher Knechtschaft gegenüber einem dominus, ähnlich wie in den späten Frankenreichen. Sie können wie Sachen von einem Herrn auf einen anderen übergehen und leisten ähnliche Dienste und Abgaben.

 

Zunächst existieren wohl keine formalen Gerichte in den dörflichen Gemeinschaften für offenbar hauptsächlich Eigentumsdelikte, aber auch Ehebruchsfälle und ähnliches. Dabei kann einer der Dorfeigentümer, also Familienoberhäuper, eine Art Richterrolle übernehmen. In einem Beispiel werden omines bonnos zusammengerufen, die eine Übereinkunft (placitum) schaffen.

 

In den leonesischen Gesetzen von 1017 heißt es dann: "im Fall dass einer durch einen anderen verletzt wird, muss der Agressor dem Sayonen ein Quantum (canadilla) Wein und außerdem den Schaden beseitigen, wenn er aber nicht vor dem sayón erscheint, genügt eine Entschädigung für die Verletzung." (Godoy, S. 64.) Der Sayon ist inzwischen der visigotische Richter des Königs.

Andererseits findet ein Eigentumskonflikt 946 seinen Abschluss in einem Dokument, laut dem beide Parteien am Ende die Gerichtskosten (iudicatos) an den Richter, den Sayonen und einen vermittelnden Priester zahlen müssen (Godoy, S.63)

 

Daneben gibt es in der Gemeinschaft auch Hilfe auf Gegenseitigkeit, die aber kaum dokumentiert ist. Man dient gegenseitig als Zeuge bei Verkäufen und Schenkungen, meist dient zudem das concilium bzw. die collatio des Ortes als kollektiver Zeuge. 979 erscheinen so als Zeugen der Schenkung eines Weinbergs, eines Stückes Land und von Vieh eines Julian ans Kloster Sahagún alios plures de concilio de Melgare de Forakasas, von wo her die Schenkung stammt (Godoy, S.58) Das concilium hat wohl keine festen Termine, sondern die Versammlung der Dörfler findet im Bedarfsfall statt.

 

Reduzierung des Gemeineigentums bedeutet langsam mehr Gewicht auf dem Privateigentum (Carlos Estepa Díez). Darüber kann man hier aber nur Vermutungen anstellen. Auffällig ist das Maß an Kauf und Verkauf von Landstücken und Rechten schon im 10. Jahrhundert, also das Ausmaß von Geldumlauf.

 

 

Wie weit das Vermögen großer Bauern sich bereits früh von dem kleinerer unterscheidet, belegt der Fall des Ehepaares Menicio und Abola:

"Im Verlauf der sechzehn Jahre zwischen 898 und 914 kauft das Paar von anderen Einwohnern einen Garten, eine llosa, zwei Häuser und wenigstens fünf Äcker in verschiedenen Teilen des Ortes Villa de Monna, wofür sie soviel mit Geld wie mit Tieren bezahlten. Schließlich überführten sie einen Teil dieses Eigenbesitzes (vielleicht ein fünftel dessen, worüber sie frei verfügen konnten) in die Rettung ihrer Seelen, was aber erst nach ihrem Tod wirksam werden sollte: Einen Weinberg in Villa de Monna ans Kloster San Cosme und San Damián und ein anderes Stück Land in Vega de Orga an das Kloster Santiago de Cellariolo." (Godoy, S.73)

 

Andere Reiche besitzen zusätzlich größere Anteile an der Nutzung von Mühlen und größere Rechte an der Nutzung von Fließgewässern. Das bringt ihnen bereits im 10. Jahrhundert Gelder ein, mit denen sie feinere Textilien, Gegenstände aus Silber und militärische Ausrüstung beschaffen können.

 

Der Herrenhof heißt oft curtis oder palatium im 10. Jahrhundert. Der Herr ist abgabenfrei, übernimmt immer mehr Rechtsprechung, kann sich frei zwischen den comissa, eine Vorform von  Grafschaften, bewegen und bei genügend Besitz diesen von Verwaltern beaufsichtigen lassen, so dass er sich vor allem auf den Genuss seiner Einkünfte konzentrieren kann. Im 10. Jahrhundert taucht für diese Herren häufiger der Begriff potestates auf. Die Grenzen zwischen Herrn und Bauern sind aber noch durchlässig wie die zwischen dem abhängigen und freien Bauern. Entscheidend ist vor allem wirtschaftlicher Erfolg.

Zudem gibt es königliche Besitzungen, die von den Statthaltern in den Bezirken verwaltet werden. Diese arbeiten aber ansonsten mit den concilia der Herren des comisso zum Beispiel bei höheren Gerichtsverhandlungen zusammen.

 

Für Galizien heißt das, dass es rund dreißig Bezirke als comisso gibt, die etwa den früheren Erzpriester-Bezirken entsprechen. Sie sind entsprechend klein und richten sich an geographischen Gegebenheiten aus: Grenzen sind Flüsse oder Wasserscheiden. In Dokumenten werden sie darum auch als Täler bezeichnet. Der königliche Vertreter im comisso ist militärischer Befehlshaber und hebt so Truppen aus. Er sammelt den Vierzigsten der Freien ein und organisiert die concilios, in denen die Freien sich versammeln, die zunehmend nur noch die filii bene natorum sind.

Bei den Gerichten setzt er für den Einzelfall iudices ein. Daneben treten die Sayonen als Rechtskenner auf, die weniger bedeutende Fälle aburteilen.

 

Diese Einheiten erlauben einen Tagesritt zu jedem beliebigen Ort. Im 10. Jahrhundert werden comes (Grafen) über mehrere benachbarte comissa eingesetzt, die dem entstammen, was sich nun als höherer Adel versteht. Nicht nur sie, sondern ebenfalls als Adel herausragende Familien beginnen mit Burgenbau oder wenigstens dem eines Turmes. Neben der islamischen Bedrohung gilt das vor allem den Normannen, die immer wieder Gegenden verwüsten. Die Zentren des comisso werden so zerteilt in einzelne Adelsherrschaften, die auch von Gegenleistungen für Militärdienst profitieren.