ANHANG 4: DAS ANTIKE ROM: DEFINITIONEN III

 

Res publica: Von der Urbs Roma zum italischen "Reich"

Das Reich zerstört die Republik (Veränderungen / Problemlösungs-Versuche / Lösung)

Prinzipat (Künste / Kult u. Religion / Macht / Integration / Juden / Städte / Wirtschaften)

Stämme, Völker, Wanderungen und das Reich (Tacitus und Arminius)

Das Reich von Marc Aurel bis Diokletian (Germanen / Entwicklung bis Diokletian / Natur)

Jesus, Kirche und Christentum (Christentum des 3. Jahrhunderts)

Konstantin

Von Konstantin bis Theodosius (Erlösungssehnsucht / Verstaatliches Christentum / Pöbel)

Das Schwinden des Imperiums

 

 

 

Von der frühen Res publica zum italischen Reich der Römer

 

Kapitalismus wird auf dem Boden der ehemaligen Westhälfte des Römischen Riesenreiches entstehen, und zum Teil in ehemaligen Römerstädten. Die lateinische Schriftsprache und Begrifflichkeit wie die aus dem Römerreich stammende Religion werden die Entstehungsgeschichte von Kapitalismus prägen. An Einfluss wird nach und nach auch weltliche Literatur und Philosophie der Antike zunehmen, wenn auch nur auf eine kleine geistliche und mönchische Elite und dann später auf mindestens so kleine Kreise einer neuartigen Gelehrsamkeit.

 

Aus dem antiken Kaiserreich entstammen die extremen Besitz- und Einkommensunterschiede, die sich in Nachantike und Mittelalter in manchmal noch riesigeren Latifundien weltlicher (wie inzwischen auch geistlicher) Herren und inzwischen auch reicher Klöster darstellen. Erneut ansteigende Kapitalbildung wird wesentlich auf dem Luxuskonsum reicher und mächtiger Herren beruhen.

 

Die durch einige Jahrtausende bereits eingeübte Untertänigkeit der produktiv arbeitenden Bevölkerung wird eine weitere wesentliche Voraussetzung für die Entstehung von Kapital, seine Verbreitung und dann der Entwicklung von Kapitalismus sein. Da dieser erst nach dem Ende der Nachantike (meist als frühes Mittelalter bezeichnet) auftaucht, ist aber die Sklaverei dort dann weitgehend verschwunden und durch neue Formen von Abhängigkeit und Untertänigkeit ersetzt.

 

 

Um 4000 (v.d.Zt.) setzt in Italien der Gebrauch von Kupfer ein und die Bevölkerung wird hierarchischer strukturiert. Um 2200 beginnt die Nutzung von Bronze. Eine Vielfalt von Stämmen errichtet teilweise befestigte Siedlungen. Ganze Teile des zukünftigen Italien werden zur frühen Eisenzeit Anfang des ersten Jahrtausends (v.d.Zt.) von fast schon städtisch geprägten Siedlungen in den Stammesgebieten durchzogen, unter denen die von Stadtpotentaten beherrschten Etrusker mit eigener Schriftsprache in Mittelitalien seit dem 8. Jahrhundert herausragen.

 

Als diese, etwas unter griechischen Einfluss geratend, einen Städtebund bilden, ist Süditalien von hellenischen Städten aus kolonisiert, während ebenfalls städtebasierte Phönizier sich in Teilen Siziliens und Sardiniens niederlassen und schließlich unter karthagische Kontrolle geraten.

 

Große Teile Italiens sind neben dem Flickenteppich an Stadt-Herrschaften unterschiedlicher Art ländliche Stammesgebiete mit einer Vielzahl von Sprachen. Aus vielen fruchtbaren Tieflandgebieten wohl von den Städtegründern vertrieben, siedeln sie im italischen Bergland, wo sie neben etwas Ackerbau vor allem Viehzucht nicht zuletzt auch in Transhumanz betreiben. Das alleine schon bringt sie in Konflikt mit den oft anders-völkischen Städtern, aber natürlich auch der Wunsch nach reicher Beute dort. Um 550 werden dann auch noch keltische Stämme in jenem Norditalien ansässig, welches die Römer später als gallia cisalpina bezeichnen werden, das diesseitige Gallien.

 

Da römische Geschichtsschreibung erst lange nach der griechischen auftritt und dann zunächst von griechischen Autoren betrieben wird, fehlen solide Kenntnisse von den ersten Jahrhunderten römischer Geschichte. Erschwerend kommt hinzu, dass römische Historiker dann entweder einer kleinen Oberschicht entstammen oder gewissen Machthabern zumindest nahestehen. Darunter wird die Geschichtsschreibung der römischen Antike bis heute leiden, die ihren Gegenstand meist wenig kritisch verherrlicht, nicht zuletzt auch, um ihn so besser vermarkten zu können.

 

Rom wird vermutlich aus Streusiedlungen auf Hügeln im späten siebten und frühen sechsten Jahrhundert unter etruskischen Herrschern, welche die Römer später in ihrer Sprache als rex bezeichnen, zu einem stadtähnlichen Ort. Schon vor der Stadtbildung hatten sich in Latium mächtige Sippenälteste deutlicher von ihrer Klientel abgesondert und an Macht und Reichtum gewonnen.

Miteinander verbundene Sippenälteste versammeln sich innerhalb der einen Friedensraum umschließenden Stadtgrenze (pomerium) in Kuriatskomitien, um im kultischen Akt der Inauguration durch Vogelzeichen den gottgewollten König einzusetzen. Mittels des auspicium gewinnt er so sein gottgewolltes imperium.

Die Stadt ist derart Machtbereich und Kultgemeinschaft, aber auch Rechtsgemeinde und bewaffnetes Aufgebot.

 

Die sumpfigen Niederungen werden aufgeschüttet, Foren als Versammlungsorte werden angelegt, und zur Zeit der Vertreibung des etruskischen Herrschers um 510 oder wenig später wird den drei Hauptgöttern auf dem Kapitol ein zentraler Tempel gebaut, ebenso der Circus Maximus für Wagenrennen und eine Art Stadtmauer. Inzwischen gibt es auch schon eine Anzahl Steinhäuser. Ostia entwickelt sich zum Handelshafen, an dem vor allem Salz umgeschlagen wird.

 

Den sich im deutschen Mittelalter entwickelnden Begriff "Stadt" kennen die antiken Römer nicht. Nur Roma ist die Urbs, größere gallische Ansiedlungen heißen, sobald erwähnt, oppida, daneben gibt es viele weitere Benennungen für stadtähnliche Siedlungen wie colonia oder municipium, die später näher zu erwähnen sein werden. Wesentlich wird, dass Stadt und agrarisches Umland durch die römische Antike eine Einheit bilden.

 

Familia basiert auf der sehr weitgehenden Macht, Befehlsgewalt (potestas) des Vaters, des pater familias über, wo vorhanden, bäuerlichen Grundbesitz, Vieh (pecunia), Gesinde und Sklaven einerseits, Frau und Kinder andererseits. Zur Macht der Väter gehört auch die Aufsicht über den Kult der Familie. Die Wertvorstellungen der republikanischen Zivilisation, das mos maiorum, drehen sich um männliche Tüchtigkeit in Familie und Agrikultur, in den Institutionen und im Krieg.

 

Irgendwo zwischen Macht und Gewalt angesiedelt ist potestas, die im Zweifelsfall immer auch physische Gewalt ist, und die in der Zivilisation an Institutionen hängt. Als jeweils spezifische Befehlsgewalt ist sie das imperium.

Neben der amtsgebundenen Potestas/Imperium gibt es die an die Person gebundene auctoritas, das erarbeitete Ansehen mit entsprechendem Einfluss, um im Deutschen zu bleiben, wo das Wort, seit es dort im späten Mittelalter (eher selten) auftaucht, auch mit der Vorstellung von Würde verbunden wird, die allerdings dann auch wieder an einen Titel gebunden sein kann. Mehr oder weniger familiengebunden ist bei den Reichen und Mächtigen die dignitas, eine Mischung aus Ehre, Würde, Ansehen und Status.

 

Sein tatsächlich auf der Macht über das Militär fundiertes Prinzipat begründet Octavian/Augustus in seinen 'Res Gestae' so: Nach dieser Zeit überragte ich an auctoritas alle, an potestas besaß ich jedoch nicht mehr als die anderen, die jeweils meine Kollegen im Amt waren. (34). Das ist natürlich genauso verlogen wie die Version, dass Demokratie heute Volksherrschaft sei. Autorität ohne die Befehlsgewalt über das meiste Militär hätte wenig Bedeutung gehabt.

 

 

Sind die Rechte der Frauen schon in Hellas recht eingeschränkt, so gilt das eher noch mehr für Rom. Frauen sind keine Krieger und schon darum keine Bürger (cives), sondern deren Zubehör, andererseits produzieren sie Erben, die dem Eigentum der Väter über den Tod hinaus Sinn geben. Sie sind nicht geschäftsfähig, unterliegen der Strafgewalt ihres Mannes, können aber erben und gewinnen wie später im (lateinischen) Mittelalter mit ihrem Witwenstatus eine gewisse Selbständigkeit.

 

Patriarchat ist aber nicht nur innerfamiliär, sondern strukturiert die ganze Urbs Roma. Aus der Schicht der Kleinbauern erheben sich aufgrund von immer mehr Eigentum immer deutlicher jene Väter, patres, die als Patrizier die Spitzen der "aristokratischen" Gemeinde bilden und sich den Besitz von Pferden für Kampf und Krieg leisten können. Als herausragende Väter bilden solche patres auch den Ältestenrat (senatus), der zunächst den rex berät und nach dessen Vertreibung Zentrum aristokratischer Machtausübung wird. Sie leiten als Priester zunächst die öffentlichen Kulte und stellen den pontifex maximus, den obersten Brückenschlager. Priester bedeutet allerdings nicht wie später bei den Christen einen wohldotierten Beruf, sondern eine ehrwürdige Nebentätigkeit, nämlich dann, wenn kultische Rituale anstehen.

 

Patriarchalisch wird sich in diesem Rahmen auch das lateinische Christentum entwickeln, dessen Kirche ausschließlich männliche Funktionäre hat, die Priester, von griechisch presbyteros, Ältester, abgeleitet. Ihre Anrede ist darum auch "Vater" (pater), so wie der Papst "Heiliger Vater" ist. Als Väter sind sie dann auch Hirten (pastores) und ihr Sprengel wird von "Schafen" bzw. der "Herde" bevölkert. Konsequenterweise ist der Gott dieser Kirche der "Vater im Himmel".

 

Ansonsten ist aber das Christentum etwas ganz anderes als die antiken Kulte. Diese kennen keine Kirche, keine professionellen Priester, keine heiligen Schriften und keine Glaubensinhalte und ihnen ist darum der heutige Begriff Religion auch ganz fremd, der sich im Deutschen erst im 15./16. Jahrhundert aus seiner lateinischen Wurzel für das Christentum entwickeln wird.

 

In den Kulten (cultus deorum) wird der Einklang mit dem Willen der Götter gesucht, einmal durch die Opfer, einmal, indem man ihn in der Deutung des Vogelfluges, der Eingeweideschau und manch anderer archaischer Absonderlichkeiten herausfindet. (Tier)Opfer und Ritual zusammen machen den Kult aus.

Die Macht der Stadt, ihrer "Väter" mit großem Grundbesitz, und das Wohlwollen ihrer Götter bilden eine Einheit, weswegen die Patrizier denn auch, wie schon die Machthaber in bronzezeitlichen Zivilisationen, über die wichtigen Kulte verfügen.

 

Dabei hat sich schon sehr früh wie im antiken Hellas eine mythische Götterwelt entwickelt, deren anthropomorphe Gestalt sie immer mehr von den Naturgewalten löst, die sie einst wohl in Reinform repräsentierten. Diese Götter ähneln den Menschen bis auf ihre größere Macht und ihre Unsterblichkeit und existieren wie die der Griechen nicht in einer anderen Welt, sondern in der der Menschen. Schwer für einen kritischen Geist heute vorstellbar, sind Götter, Halbgötter und andere numinose Wesen an Quellen, in heiligen Hainen und sonstwo in ihren Statuen anwesend, weswegen sie im Opfer auch ernährt werden müssen.

Die Frage ist dabei nicht Glaube oder Unglaube, denn der Dienst an den Göttern und das Befragen ihrer Meinungen zu etwas ist identisch mit Wohl und Wehe der Stadt. Den antiken Römern wird darum eher gleichgültig, was Juden oder Christen in ihren Städten glauben, wichtig wird nur, dass sie zumindest an der Vergöttlichung ihrer Herrscher teilnehmen, weil davon ihrer Meinung nach oder zumindest nach der der Herrscher das Wohl des Reiches abhängt.

 

Ende des 6. Jahrhunderts nimmt die etruskische Herrschaft und die mancher griechischer Städte unter den Einfällen von Samniten, Oskern und anderen Stämmen ab, und dabei verschwindet auch das etruskische Stadtkönigtum  von Rom, dessen Funktionen eine Art Stadtadel übernimmt. Die Patrizier, reiche und mächtige Grundbesitzer, Herren mächtiger gentes, teilen sich nun die kultischen, rechtlichen und "politischen" Funktionen und halten die Kleinbauern und Handwerker in ihren Klientelgruppen in Abhängigkeit. Klienten, Einzahl cliens, sind Leute, denen es an Besitz und Macht fehlt, um ihr Recht durchsetzen zu können und sich selbst zu beschützen. Dafür vertreten sie, manchmal auch mit Gewalt, die Interessen ihrer Herren.

Die anwachsende Stadt lebt vor allem von Landwirtschaft des Umlandes, aber auch etwas von Handwerk und Handel, und wirtschaftlicher Erfolg gewährleistet wohl einigermaßen inneren Frieden.

 

Die Machtstrukturen im frühen republikanischen Rom haben als Pole den patrizischen Senat der Dreihundert, eine Ältestenversammlung gedienter hoher Magistrate, und die nach Vermögensklassen gegliederte Heeresversammlung der Zenturien, nach der Steuerleistung (census) gegliederte Hundertschaften. die in den  Volksversammlungen über von oben vorgelegte Anträge zu wichtigen Themen abstimmen dürfen, wobei die unteren Vermögensklassen kaum eine Rolle spielen.

Diese Versammlungen wählen nach patrizischen Vorgaben die Magistrate, die wiederum in ihren Entscheidungen vom Senat beraten bzw. gelenkt werden. Da die Magistrate dadurch, dass sie Exekutive, Jurisdiktion, Verwaltung und militärisches Kommando miteinander vereinen, enorme Amtsgewalt bedeuten, wird diese durch Annuität, Kollegialität und das Interzessionsrecht (Einspruchsrecht) der einzelnen Träger des Imperiums (Konsuln und Prätoren) etwas austariert und steht zudem unter besagter Aufsicht des Senats, der Aufträge an Magistrate vergibt, Abgaben festlegt, Gelder bewilligt.

 

Vom Quästor (Finanzen) zum Ädil (Polizei und Marktaufsicht) über den Prätor (Rechtsprechung) bis zum Konsul reichte eine Ämterlaufbahn (cursus honorum), wobei der Konsul zuvor auch einen langen Militärdienst absolviert haben muss. Als Ausnahmeamt gilt die Diktatur für ein halbes Jahr, die die Macht beider Konsuln integriert, und die Zensur, die nur alle fünf Jahre eingesetzt wird.

Die Zenturiatskomitien wählen Konsuln und Prätoren, und später werden die Tributkomitien Quästoren, Ädile u.a. wählen, und die Versammlung der Plebs die Volkstribunen und ebenfalls Ädile. Versammlungen der tribus sind eigentlich solche von Stämmen, werden aber im Verlauf der Reichsbildung zu solchen geographisch definierter Bezirke.

Neben dem Wahlrecht haben die Versammlungen auch das Recht weiterer Abstimmungen, u.a. über Krieg und Frieden, aber nur auf Initiative des einberufenden Magistrats, und ohne ein Diskussionsrecht. Wenn man dann auch noch die Tatsache einbezieht, dass in den Zenturiatskomitien oft schon die Stimmen der reicheren Zenturien ausreichen, dann ist die Partizipation der meisten römischen cives, "Bürger", ausgesprochen gering, wenn man von den comitiae plebis absieht, und so ist auch verständlich, dass die ärmere Masse dieser Plebs im 2. und 1. Jahrhundert wenig Interesse an der Verteidigung einer Republik hat, die wesentlich eine der Reichen und der alten Familien ist.

 

Mit dem Begriff der res publica, den öffentlichen Angelegenheiten im Unterschied zu den privaten, wird zum ersten Mal ein Name für so etwas ähnliches wie ein Staatswesen überliefert, in dem anders als in den hellenischen Demokratien Bürger und öffentliche Angelegenheiten nicht in eins fallen, da die wichtigen Ämter nur ganz wenigen offenstehen.

 

"Republik" taucht dann kurz im 17. französischen Jahrhundert auf, um im 18. Jahrhundert auch in andere Sprachen einzugehen, wobei nunmehr allerdings unter dem Einfluss politischer Ideologie Republik immer mehr als nicht-monarchische Staatsform propagiert wird, so dass ganz formal gesehen das Vereinigte Königreich Britanniens heute keine Republik ist. Andererseits blieb selbst das große Römerreich unter der Herrschaft von principes bzw. Kaisern nach eigenem Selbstverständnis res publica.

 

Die römische Republik sollte aber so wie die griechische Polis nicht als Staat betrachtet werden: Es gibt nur wenige und zudem nicht professionalisierte Ämter, die nicht bezahlt werden, sondern die man mit seinem Privateinkommen selbst finanzieren muss. Sie dienen einer winzigen Oberschicht als Karriereweg und in der späteren Republik vor allem auch der Bereicherung und Machtansammlung. Republik ist hier vielmehr die Organisationsform einer reichen und mächtigen Oberschicht, die deren Macht und Reichtum zu mehren hat und nach den geschicktesten Mitteln sucht, die Masse der Untergebenen, ihre Klientel, für sich arbeiten und kämpfen zu lassen. 

Entsprechend gibt es für Bürger auch keine Steuern und wenige Abgaben. Erst Beute und Ausplünderung eroberter Gebiete wird diese Situation ändern. Deshalb wird das ganze Amüsierprogramm aus kultischen und weltlichen Festivitäten, im Zirkus, der Arena und im Theater aus Spenden der Reichen und Mächtigen finanziert, - schließlich ist die Republik wie selbst auch die attische Demokratie wesentlich ihre Einrichtung und das "Volk" als die weithin untertänigen Massen muss bei Laune gehalten werden.

 

Res publica, und das ist wichtig, meint vor allem keine heutigen Republiken, in denen die Untertanen einem von ihnen präzise getrennten Staatsapparat konfrontiert sind, der eine nur von ihm selbst und immer weniger begrenzte Allmacht ausübt.

 

Tatsächlich stehen sich zunächst einmal Patriziat und eine Plebs von  kleineren Bauern, Handwerkern und Händlern gegenüber, zum anderen patrizisch besetzte Magistrate (öffentliche Ämter) und Volksversammlungen, die in der Regel gut durch die Oberschicht manipulierbar sind. In dieser Plebs steigen dann einige zu immer mehr Reichtum auf.

 

In immer noch recht sagenhaften Zeiten, über die es erst Jahrhunderte später Texte gibt, kommt es offenbar zu Konflikten zwischen Plebs und Patriziern, in denen der Plebs stärkere Beteiligung an der Republik durchsetzt, vielleicht durch eine Art Arbeitsverweigerung gegenüber den Arbeit scheuenden Patriziern, vielleicht auch, weil sie als Militär gebraucht werden. 

Wesentlich für diese Adelsrepublik wird nämlich die zunehmende Bedeutung der Phalanxordnung des Fußvolkes, jener Masse der Kleinbauern vor allem (plebs), die sich Rüstung (Brustpanzer und Beinschienen), Schild, Speer und Schwert leisten können, und erst erheblich später auch Sold (stipendium) bekommen. Reiterei und Fußsoldaten zusammen bilden denn auch jene in classes eingeteilte Heeresversammlung der Centuriatskomitien auf dem Marsfeld, welche immer stärker das Recht erhalten, die obersten Magistrate zu wählen, die das imperium innehaben, oberste Befehlsgewalt in Krieg und Frieden.

 

Die Zenturiatskomitien gibt es wohl seit der Königszeit. Sie sind eine Heeresversammlung, welche die Plebs einschließt und die "Bürger" in sechs Vermögensklassen und entsprechend ihre militärische Ausrüstung einteilt. Jede classis besteht dabei aus mehreren centuriae (insgesamt 193), von denen jede unabhängig von ihrer Mitgliederzahl eine Stimme besitzt. Alle Bürger sind gemäß ihrem Steueraufkommen entweder in die Reiterklassen oder als Fußsoldaten eingeteilt, sodass die classes der vermögenderen Gruppen (Reiter) wesentlich kleiner sind als die der Fußsoldaten, was zu einem unterschiedlichen Wert der Stimme führt. Die Abstimmungen finden von den reicheren zu den ärmeren Klassen statt und werden abgebrochen, wenn die erforderliche Mehrheit der centuriae da ist, nämlich die der oberen 97. Darum kommen die ärmeren Klassen meist gar nicht zum Abstimmen. Abgestimmt wird über Gesetze, Wahl der Magistrate (Consuln, Praetoren und Censoren) und über Krieg und Frieden, wobei der einrufende Magistrat die Vorlage liefert.

 

Neben den Zenturiatskomitien sind patrizische und plebejische Bürger in Tributkomitien versammelt, so wie sie zu Verwaltungszwecken auf 35 „Stämme“ (tribus) verteilt sind. Die vier städtischen und die 31 ländlichen tribus geben ihre Stimme geschlossen ab, wählen einige niedere Magistrate und bekommen nach und nach mehr Gerichtsfunktionen.

 

Aus den Tribunen (Anführern) der drei Versammlungen der Phalanx, also der Plebs, entsteht in dem concilium plebis, der Plebs-Versammlung, das Amt des Volkstribunen, der die Plebejerversammlung einberuft und für Plebiszite zuständig wird.

Zudem kann der einzelne aus dem Kollegium der Volkstribunen auch gegen Handlungen der Magistrate und gegen Senatsbeschlüsse Einspruch erheben (Interzession) und Plebejer vor Handlungen von Magistraten schützen, wofür er sakrosankt wird, also unantastbar.

 

Eine erste Tendenz in Richtung auf ein "staatliches" Gewaltmonopol schlägt sich schon 451/450 in dem von einem patrizischen Ausschuss schriftlich fixierten Zwölftafelgesetz nieder, auf dem das ganze später entfaltete Rechtswesen basiert. Es beschränkt aristokratische Gewalttätigkeit, geht mit der Schuldsklaverei ruinierter Kleinbauern um, verbietet die Ehe zwischen Patriziern und Plebejern, um ersteren das Monopol auf die hohen Kulte zu erhalten, besteht aber insofern bereits auf dem Prinzip der Rechtsgleichheit, als bei Kapitalverbrechen nun für alle die Zenturiatskomitien zuständig sind.

 

Das Ehegesetz wird bald wieder aufgehoben, wodurch sich nach und nach reiche und mächtige Plebejer mit den Patriziern zur Nobilität verbinden, einer Art neuer Adelsschicht. Abgeschlossen wird diese Entwicklung einmal 366 mit dem Zugang des Plebs zum Konsulat, dem höchsten Magistrat, in den man nun auch über das Volkstribunat gelangen kann, was tatsächlich in diesem Jahr auch geschieht. 339 werden Plebejer zudem auch zum Zensorenamt zugelassen, nach dem kurz zuvor schon einer von ihnen Prätor geworden war. Seit etwa 312 können plebejische Vertreter aus Spitzenämtern auch in den Senat gelangen. Damit entsteht die nobilitas der Reichen und Mächtigen, eine Meritokratie der Verdienste um den Staat. bei der die alten patrizischen Familien allerdings weiter für die hohen Kulte privilegiert bleiben. Plebiszite mit Gesetzeskraft der Sonderversammlung der Plebs gibt es aber erst seit 287. Insgesamt entsteht so ein gemeinsames römisches "Staatsbürgertum" (notgedrungen sehr anachronistish ausgedrückt).

 

Nobilis taucht als Konzept aber erst spät in der Republik auf, und nach Möglichkeit sollte man dabei nicht vom griechischen Begriff der Aristokratie ausgehen, der nicht meritokratisch definiert ist, und auch nicht von dem deutschen Adelsbegriff des Mittelalters, der ein "Geblüts"adel ist. Im Laufe der Zeit taucht nämlich immer einmal wieder ein homo novus auf, also jemand, der als erster in seiner Familiengeschichte es mit Geld, Klientel und/oder populären Parolen zum Konsul schafft und dessen familia nun in den Kreis der nobilitas aufsteigt. Der Kreis der Noblen ist so einmal klein, andererseits aber nicht nach unten abgeschlossen.

 

 

Inzwischen hat längst die Expansion der Urbs Roma aus ihrem Stadtgebiet in das Umland eingesetzt. Diese Entwicklung einer Stadt zum Zentrum eines großen Reiches ist in ihrer Art einzigartig. Ein Grund ist sicher der extreme römische Militarismus, der eine wesentliche Wurzel in den Privatfehden der Patres gentilizischer Verbände hat.

Dazu kommt Bevölkerungsvermehrung, die Versorgung überzähliger Söhne der  kleinbäuerlichen Landwirtschaft und bäuerliche Verschuldung, die durch den gewaltsamen Gewinn neuen Bauernlandes abgemildert werden können.

 

396 wird das etruskische Veji erobert, die heimische Bevölkerung wird "getötet, versklavt oder vertrieben, und römische Bauern besiedelten das Land." (Bringmann, S.49) Für die plebejischen Neusiedler-Bauern müssen neue tribus eingerichtet werden, nach Regionen aufgeteilte Wahlversammlungen. Große Teile des Landes gehen aber auch an patrizische Großgrundbesitzer, die dort nun vermehrt Sklaven einsetzen.

 

Damit geraten auch die Salinen an der Tibermündung in die Hand Roms.

Unmittelbare Gier nach Kriegsbeute und der Gewinn von rohstoffreichen Regionen sind offensichtliche Motive der kriegerischen Expansion.

 

Das alles führt zu immer mehr Berührungspunkten mit anderen Städten und Stammesgebieten, die offenbar von beiden Seiten als Konfliktpotential erlebt werden. Um 400 fallen Kelten in der Poebene ein, wenige Jahre später schlagen sie ein römisches Heer nahe Rom, und 387, nur wenige Jahre nach der Einnahme Veijis, plündern sie Rom, aber es gelingt den Römern, sie zurückzuschlagen und in ihr Territorium einzudringen. Die Erfahrung dieser Bedrohung durch anzivilisierte Stämme wird die weitere Militarisierung der Stadt fördern, und so verzahnen sich aggressive und defensive Momente miteinander. Das römische Heer soll um 400 etwa 4000 Reiter und Phalanxkämpfer und 2000 Leichtbewaffnete besessen haben, eine noch überschaubare Zahl. (Sommer I, S.111)

 

Im vierten Jahrhundert versuchen zunächst die Latiner vergeblich, sich der römischen Hegemonie zu entziehen, werden besiegt und teils mit römischem Bürgerrecht an die Stadt Rom zwangs-angeschlossen, teils in römische Kolonien verwandelt. Damit wächst das römische Heer. Brutaler wird mit den Samniten und ihren Verbündeten umgegangen. Samnitische Siedlungen werden zerstört, die Bevölkerung "systematisch massakriert" (Sommer I, S.128) und durch Römer und Latiner ersetzt. Romanisierung beruht, wie man sieht, auch ganz wesentlich auf Massenmord an Fremden und auf der Fruchtbarkeit römischer Frauen, die Neubesiedlung ermöglicht. Am Ende erreichen Kolonien wie die von Venusia (291) den Umfang von 20 000 Siedlern, die Samniten müssen nun der Hegemonialmacht Rom Heeresfolge leisten und die etruskischen Städte im Norden sind geschwächt.

 

Das Unheil des Krieges und damit verbundener brutaler, blutiger Gewalt wird so von Anfang an auch hier auf das Entsetzlichste alltäglich, geradezu normal. Rom wird versuchen, es soweit als möglich an seine immer entfernteren Grenzen abzudrängen, dafür gerät es aber später in immer neue bürgerkriegs-artige Zustände.

 

Im Zuge der Reichsbildung werden auch weiterhin Bevölkerungen ganzer Orte und Gegenden getötet, man kann die Römer wohl als noch versiertere Völker- und Massenmörder bezeichnen als die Hellenen. Gebiete mit ausgerotteter Bevölkerung wie auch andere werden mit Römern kolonisiert, wieder andere werden annektiert und in den römischen Bürgerverband aufgenommen oder als Untertanengemeinden, Munizipien anerkannt, und wieder andere zu Bundesgenossen mit der Pflicht der Heeresfolge gemacht. Damit haben sie "das souveräne Recht auf eigene Kriegführung" verloren. (Bringmann, S.52)

 

Im dritten Jahrhundert werden zunächst immer mehr etruskische Städte unterworfen. Im Süden wird Kalabrien erobert und mit römischen Garnisonen durchsetzt. Süditalienische Potentaten rufen Pyrrhos von Epiros gegen Rom um Hilfe, der mit fast 30 000 Mann in Tarent (Taras) gelandet sein soll. 272 ist er verjagt und Tarent erobert und geplündert. Damit ist Rom Hegemonialmacht auf der Halbinsel (ohne die Poebene), allerdings ist Italien noch rechtlich und machtmäßig ein wenig vereinheitlichter Flickenteppich.

 

Ganz langsam gehen die vielfältigen Zivilisationen und Kulturen Italiens mit vielen ihrer Traditionen und Sprachen unter. Die Stadtrepublik entwickelt sich auf dem Wege dieses Zerstörungswerkes nach und nach zu einem über weite Flächen uniformen „Reich“, welches später mit dem Begriff für die Reichweite vor allem militärischer Befehlsgewalt bezeichnet wird: Imperium. Nur in unzugänglichen Berggebieten und in Griechenstädten wie Neapel werden deutlichere Eigenheiten überleben.

 

Dabei gliedert sich das entstehende Reich in eine Vielzahl von Städten von unterschiedlichem Status, deren Strukturen sich an der Urbs Roma orientieren, wozu eine stadtsässige Oberschicht von Großgrundbesitzern gehört, welche die Ämter darin, in der curia, einnimmt und sich durch einen überall ähnlichen "adeligen" Lebensstil, seine civilitas auszeichnet.

 

 

Das Imperium zerstört die Republik

 

Während die Stadt Rom bis 200 mit der Eroberung der Gallia Cisalpina sogar die Poebene und damit mehr als die ganze Halbinsel erobert und die Eigenheiten der dortigen keltischen Stämme sukzessive vernichtet, ist es längst in Kontakt mit denen geraten, die auf Sizilien unmittelbare Nachbarn sind: Den phönizischen Karthagern, welche die Römer Punier nennen.

Im ursprünglichen Phönizien mit dem Hauptort Tyros geraten Phönizier mit Palästina unter die Oberhoheit der persischen Achaimeniden, mit denen sie kooperieren, und dann die der makedonischen Alexandernachfolger, unter denen sie hellenisiert werden.

Ganz anders gelingt es den Karthagern, im westlichen Mittelmeer ihre Oberhoheit und immer direktere Kontrolle über die dortigen phönizischen Handelsstädte herzustellen. Dabei geraten sie auf Sizilien in kriegerische Konflikte, wo reiche griechische, von Tyrannen beherrschte Städte mit hunderttausenden von Einwohnern wie vor allem Syrakus und karthagisches Militär aus multiethnischen Söldnerscharen gegeneinander kämpfen. Schon seit 348 gibt es wohl Vereinbarungen, in denen Karthager und Römer ihre Einflusssphären abzugrenzen versuchen.

 

Nach einem am Ende erfolgreichen Krieg gegen den epirotischen Herrscher Pyrrhus, der Teile Siziliens verwüstet zurück lässt, und dann der Eroberung Süditaliens greift Rom 264 in einen Konflikt in Sizilien ein und gerät so in einen

bis 241 andauernden und am Ende siegreichen Krieg mit Karthago. Damit sieht sich Rom genötigt, auch zur Seemacht zu werden. Karthago verliert dann auch Sizilien, Sardinien und Korsika.

In Abwehr von Kelten kommt es zur Eroberung Norditaliens (der Provinz Gallia cisalpina), und dann wird über Konflikte über die Einflusszonen auf der iberischen Halbinsel ein zweiter Krieg gegen die Punier unter Hannibal gewonnen (218-201). Die Dimensionen erweisen sich an den womöglich 100 000 Mann, mit denen Hannibal nach Italien aufbricht. Die Halbinsel wird ein gutes Stück weit sowohl von den Karthagern wie den Römern verwüstet. Am Ende wird Karthago auf Afrika beschränkt, als Militärmacht massivst reduziert und zu erheblichen Zahlungen verpflichtet.

In diesem Zusammenhang wird Scipio Africanus, nachdem er schon formal zu jung Ädil geworden war, nun auch noch außerhalb der üblichen Ämterlaufbahn Oberbefehlshaber, überspringt die Prätur, wird Konsul und lässt sich dann sein imperium für Afrika durch Plebiszite verlängern. Seine Basis beim "Volk" gewinnt er auch mit Getreideverteilungen, mit dem Spendieren von Spielen, also kostspieligen Amüsierveranstaltungen, und indem er sich persönlich darum kümmert, dass seine Veteranen versorgt werden. Den Demagogen spielen und sich mit den Massen gemein machen nennt das Plutarch Generationen später. Damit beginnen die Sonderkarrieren charismatischer Machtmenschen. Zudem wird Provincia  nun zum Namen vom eroberten und steuerpflichtigen Gebiet eines Statthalters.

"Um das Zentrum Rom lagerten sich, idealtypisch in konzentrischen Kreisen von innen nach außen, der ager Romanus mit den Bürgerkolonien, das Gebiet der coloniae latinischen Rechts, das Territorium der Bundesgenossen und schließlich die Provinzen." (Sommer I, S.265)

 

Nach Zama 202 ist die karthagische Macht gebrochen, 50 Jahre später wird Karthago dann noch dem Erdboden gleich gemacht.

Mit Sizilien und dann auch zwei hispanischen Provinzen wird Rom zur Mittelmeer-Vormacht im Westen

 

Das Heer besteht zunächst weiter aus einem Bürgeraufgebot, für Söldner fehlt eine entfaltete Geldwirtschaft. Im Vergleich dazu mussten die Karthager in hohem Maße auf Söldner zurückgreifen. Im dritten Jahrhundert verbreitet sich allerdings Münzgeld im römischen Reich, und damit beginnt die res publica ihr Militär mit Waffen auszustatten.

 

Nach der inzwischen geschaffenen Provinz Africa ist nun der südliche Balkan dran.

Die Gewalt regiert auch im griechischen vierten Jahrhundert, in dem zunächst Sparta, Athen und die persischen Großkönige die Hauptakteure sind, zu denen sich dann vorübergehend Theben gesellt und später Mausolos von Halikarnassos. Der fast permanente Kriegszustand in der Poliswelt bleibt bestehen bis sie untergeht.

338 siegt der Makedonenherrscher Philipp II. über die griechischen Poleis, deren Vasallenstatus er für einen Krieg gegen das Perserreich nutzen möchte. Das Ganze endet in der despotischen Monarchie des später so genannten "großen" Alexander, eines monomanischen, nach Weltherrschaft strebenden Machtmenschen.

 

Im nun entstehenden sogenannten Hellenismus despotischer Reiche durchdringen sich gegenseitig Europäisches und Asiatisches bis hin nach Indien. Ein Koiné-Griechisch hält sich noch lange in Kleinasien und Syrien und ist die Sprache frühchristlicher Texte, die durch das entstandene Gemeingriechisch schnelle Verbreitung finden.

Die auf der Alexander-Nachfolge beruhenden Herrscher führen Elemente orientalischer Despotie mit Herrscherkult und mit einem entsprechenden Beamtenapparat in ihren Reichen ein. Grundlage herrscherlicher Macht sind riesige Heere aus Hopliten und Reiterei. Außerhalb von Hellas kontrolliert bald eine winzige griechische Oberschicht wie Kolonialherren die einheimische Bevölkerung, was zu einer starken Hellenisierung der Wohlhabenderen dort führt, wie beispielsweise aus Judäa überliefert.

Insbesondere das Ptolemäerreich schafft eine durchorganisierte Landwirtschaft, die es zur reichsten Herrschaft ihrer Zeit und dann später zu einer wichtigen Beute Roms macht. Ein herrschaftlich kontrolliertes Finanz- und Bankwesen entsteht und ein umfangreicher "Staats"-Haushalt.

Die Poleis geraten nach und nach immer mehr unter den Einfluss aristokratischer Oligarchien, was oft mit einer ökonomischen Blütezeit verbunden ist.

Tendenziell treten nun Frauen stärker im öffentlichen Leben auf als in den früheren Poleis. Synkretistische Götter werden populär, schließlich verfällt an vielen Stellen der frühere Götterkult von Hellas und neuere Erlösungs"religionen" mit ihren Mysterien kommen auf.

Mit Museion und Bibliothek wird Alexandria ein Ort des Aufblühens von Vorformen der Wissenschaften.

 

Nachdem Makedonien sich mit den Karthagern verbündet hat, greift Rom auch hier an. In der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts wird die Macht Makedoniens in vier Kriegen gebrochen und das Reich zerschlagen. Massenhaft fließt Beute nach Rom und dieses wächst in die Rolle einer Art Schutzmacht über die diversen hellenistischen Monarchien hinein. Dabei kommt es teilweise gegenüber nichthellenischen Völkern und noch einmal gegenüber Karthago 146 zu brutalen Verwüstungen, Plündereien und Massenmorden und zum Verkauf riesiger unterworfener Menschenmassen in die Sklaverei.

 

Gegen Ende des 2. Jahrhunderts erobert Rom dann noch den Landweg zwischen Italien und Spanien und gründet dafür die Gallia Transalpina, die später nach ihrem Hauptort zur Narbonensis wird. Überall am Rande des römischen Reiches wird Rom nun als Schlichter und Interessenvertreter angerufen und auch dadurch in Konflikte hineingezogen.

 

Rund 150 Jahre Kriege gegen die iberischen Völkerschaften beginnen nun bis zu deren fast vollständiger Unterwerfung. Von neuen Kolonien vor allem in Baetica (Andalusien) aus werden iberische Metallvorkommen, überwiegend Silber, Gold und Eisen, nun ausgebeutet. Alleine in verpachteten Silberminen bei Neukarthago (Cartagena) gewinnen rund 40 000 versklavte Minenarbeiter für den römischen Staat Unsummen Geldes.

Diodor schreibt: Die in den Metallbergwerken Arbeitenden schaffen ihren Herren riesige Gewinne, sie selbst aber müssen sich, Tag und Nacht arbeitend, aufreiben, und viele sterben infolge des Übermaßes der Leiden. Eine Unterbrechung oder eine Pause beim Arbeiten gibt es nicht, sondern angetrieben von den Schlägen der Aufseher müssen sie fürchterliche Strapazen ertragen und verlieren so auf elende Weise ihr Leben. (in: Bringmann, S.153)

 

Fazit: In wenigen Jahrhunderten römischer Expansion und Reichsbildung werden abermillionen Menschen getötet, römische Soldaten und die ihrer Gegner, hier einmal 20 000, dort 50 000, und das immer und immer wieder, dazu kommt der Massenmord an unbewaffneter Bevölkerung vieler Städte, weitere Abermillionen werden verletzt, Millionen Menschen ganzer Städte werden deportiert und/oder versklavt und verkauft, zahllose Städte nach Eroberung komplett zerstört à la Karthago, Korinth und Numantia, und da das der brutalisierten römischen Bevölkerung noch nicht genug ist, lässt man zu ihrem Amüsement in den Spaßarenen Menschen zur allgemeinen Gaudi Menschen töten oder die Massen mit anderen Ekelhaftigkeiten bespaßen. Der zivilisierte Mensch erweist sich vielleicht mehr als zuvor als pervertiertes Tier.

 

***Veränderungen***

 

Während gerade erst große Teile Italiens romanisiert werden, erreicht die Hauptprofiteure der römischen Oberschicht schon vor der militärischen Vereinnahmung vom griechischen Süditalien/Sizilien und aus Kern-Hellas eine erste Überfremdungswelle. Zahlreiche Griechen wandern dann in Rom ein und verdingen sich als Erzieher/Lehrer der Oberschicht-Kinder. Ein gehobenes Amüsiergewerbe aus "Kunst" nach dem Vorbild der vielen aus Hellas geraubten Gegenstände und ein von Literaten betriebenes entsteht zusätzlich zum hergebrachten Massenamüsement in Arenen und Theatern.

Die römischen Kulte, zum großen Teil schon lange zu machterhaltenden Staatskulten erstarrt, werden durch griechische und später auch orientalische ergänzt. Der reichere Osten mit seinen Philosophien und seiner Literatur, dessen kleine Oberschicht längst ein höheres Konsumniveau besitzt, "verweichlicht" in den Augen seiner zunehmend ohnmächtigen römischen Kritiker ein auf rigoroserem bäuerlichem Kriegerethos beruhendes Römertum. Oberschichtfrauen zeigen öffentlich Schmuck- und Kleiderluxus vor und ein Gesetz von 215, welches das einschränken möchte, scheitert an weiblicher Empörung darüber. Der Erfolg anderer Luxusgesetze, wie sie z.Bsp. Cato anschiebt, wird nicht von Dauer sein, der Verfall des mos maiorum, der Sitten bzw. Lebensformen der Alten, ist zumindest in wohlhabenderen Kreisen nicht mehr aufzuhalten.

 

Individuelle Karrieren als Teil eines zunehmend egoistischen Individualismus werden langsam den Konsens der senatorischen Nobilität zersetzen, die es nun im Vollzug ihrer Krieger- und Ämterlaufbahn zu immer mehr von Korruption begleitetem Reichtum bringt. Die tradierten Wertvorstellungen der republikanischen Zivilisation drehten sich um männliche Tüchtigkeit in Familie und Agrikultur, in den Institutionen und im Krieg sowie um keusche weibliche Einordnung. Diese Sittlichkeit gerät ins Wanken mit der fortschreitenden Reichsbildung und den rasanten Veränderungen, die bis in die Persönlichkeitsstrukturen der Menschen hineinwirken.

Vermutlich bleiben in Kreisen der kleinen Geschäftsleute und Handwerker des öfteren Ehe und Familie noch heilig, aber was die Aufmerksamkeit auf sich zieht ist eine gewisse Verlotterung der Oberschicht. Am Ende wird dann die Gesetzgebung des Augustus stehen, die Ehebruch, Unzucht und Kuppelei zu Straftatbeständen macht, wobei das Augenmerk auf den Herren weit oben liegt. Deutlicher noch wird das, was geschieht, wenn von demselben Herrscher die Angehörigen der beiden oberen Stände zur Ehe und zur Erzeugung von Nachwuchs verpflichtet werden. Erahnen lässt sich, was in den 100 Jahren vor Augustus geschehen ist.

 

Unter männlichen Jugendlichen der Oberschicht entwickelt sich mit dem Anlegen der toga praetexta mit 14 Jahren eine Art arrogantes Rabaukentum, dessen harmlosere Formen in Sport- oder Jagdgruppen sich zeigt, welches aber auch Alkoholsuff bedeutet und dazu führt, dass sie "sich im Zirkus wie Hooligans aufführten, Frauen belästigten und systematisch dem Vandalismus frönten." (Sommer I, S.27) Terrorisieren von Schwächeren und Minderprivilegierten durch hormonell überkandidelte Jugendliche wird spätestens jetzt zu einem Wesenszug von Zivilisationen bis heute werden, insbesondere in Zeiten und bei Menschen, in welchen und bei denen Erziehung (educatio) nur noch geringe Bedeutung hat. 

 

Mit dem Einzug der Geldwirtschaft in Münzform, der immer neuen, oft riesigen Kriegs-Beute, die insbesondere im hellenischen Osten auftaucht, den enormen Abgabenmengen der eroberten Gebiete, soweit sie nicht in die Stadt-Republik integriert werden, und der Zunahme großen Grundbesitzes entsteht jene schwerreiche Oberschicht, aus der heraus immer wieder Leute den republikanischen Rahmen und damit die hergebrachten Machtverhältnisse sprengen werden.

 

Provincia ist ursprünglich der militärische und rechtliche Amtsbereich eines Konsuls oder Praetors. Zur Verwaltung des Reiches werden zunächst mehr Praetorenstellen geschaffen, und dann werden ehemalige Konsuln und Praetoren als Prokonsuln und Propraetoren über Provinzen, nunmehr eroberte Regionen, eingesetzt. Zuerst für Sizilien kommen sich oft rücksichtslos bereichernde Steuerpächter dazu, publicani, auf der iberischen Halbinsel wird ein fester Tribut eingezogen, auf den der Statthalter mehrere Prozent für eigene Bedürfnisse aufschlagen darf. Die Ausplünderung von Provinzen durch ihre Herren beginnt damit, dass Statthalter dort die Kosten ihrer politischen Karriere wieder hereinholen, um dann weitere Reichtümer anzusammeln. Das wird einer der Gründe für immer wieder blutig unterdrückte Aufstände dort werden.

 

Im dritten Jahrhundert beginnt Rom mit ersten Münzprägungen, und im zweiten finden diese immer geregelter statt. Der Bedarf an Münzen ist Indikator für erhebliche Veränderungen und ihre Verbreitung schafft weitere.

Die Versorgung der Grundbedürfnisse der städtischen Massen und vor allem die mit Luxusartikeln für die kleine, immer reichere Oberschicht führen zu einer enormen Ausweitung des Handels. Die offenbar stetig wachsende arme Unterschicht der Stadt Rom braucht als Grundnahrungsmittel Getreide, Olivenöl und Trinkwasser. Letzteres spendet die Oberschicht bzw. Zensoren mit immer längeren, bald mehrere 10 Kilometer langen Wasserleitungen, die in öffentlichen Brunnen für die Masse der Menschen enden.

 

Je mehr die Reichen und Mächtigen in Italien Villenwirtschaft durchsetzen, desto mehr werden dort profitable Waren für den Markt wie Wein, Öl und Gartenfrüchte angebaut, weshalb nun das Getreide für die Armen aus Übersee, Sizilien, Nordafrika und später Ägypten herangeschafft werden muss. Um den manövrierbaren Mob für die eigene Machtpartei zu gewinnen, wird das aus der Ferne herbeigeschaffte Getreide erst subventioniert und später dann gratis verteilt. Wer kein kleines Geschäft sein eigen nennt, muss sich in Lohnarbeit oder als Tagelöhner verdingen, um Hülsenfrüchte, andere billige Gemüse, billiges Öl und einfachen Wein hinzu zu kaufen. Manchmal helfen vor allem später im Prinzipat Lebensmittelspenden, mit denen einzelne Machtmenschen sich Massen gefällig stimmen. Fleisch, Obst, Eier und Käse dagegen sind für die Massen oft unerschwinglich. (Sommer I, S.41)

 

Der Großteil insbesondere des Fernhandels und auch der Produktion ganzer Städte betrifft aber wie in Nachantike und Mittelalter den enormen Luxusbedarf der Oberschicht, den schließlich ihre kriegerischen Eroberungen wecken, decken und erweitern sollen. Nach und nach dient der ganze Mittelmeerraum mit seinem Hinterland ihren gigantischen Konsumbedürfnissen, und insbesondere der fernere Osten wird für ihre Bedürfnisse entschlossen: Weihrauch aus Südarabien über Petra, Seide und Gewürze (Pfeffer, Kümmel, Koriander) erst auf dem Seeweg aus Indien und China über einen ägyptischen Hafen, später auf Karawanenrouten über Palmyra. Die als erlesener Luxus geltende Fischsauce Garum wird auf der iberischen Halbinsel und in Nordafrika hergestellt und mit Schiffen zu den Luxuskonsumenten überall im entstehenden Reich geschafft. Bald wird romanisierte britannische Oberschicht sich sogar an bestem italienischem Wein erfreuen.

 

Kein Wunder, dass die ständige Anwesenheit von Schiffen, die auf dem Mittelmeer Luxusgüter transportieren, auch Piraterie zu einem gewinnbringenden Geschäft macht, gegen das Republik und Prinzipat umfangreiche Kriege führen werden.

Über das ganze Reich verteilt nimmt so Transportgewerbe und Handelskapital zu, und damit verbunden auch Finanzkapital, Bereiche in denen Ritter und Freigelassene nun reich werden können. Aber gerade die städtebasierte "Verfasstheit" des Reiches sorgt für eine Dominanz des weiter in den Städten lebenden Großgrundbesitzes, der im wesentlichen konsumistisch eingestellt ist und Kapital nicht als Selbstzweck betrachtet. Dort wo ritterliches Kapital oder das von Freigelassenen, also das der Haupt-Geschäftemacher, ein Niveau erreicht, welches bedeutenden Grunderwerb und aristokratischen Luxus ermöglicht, kauft sich der Geschäftsmann Land und wird Rentier.

 

Bei Cicero heißt das dann so:

Für den Handel gilt Folgendes: Erfolgt er in kleinem Rahmen, so muss man das als schmutzig bezeichnen; wenn dagegen im großen und umfangreichen Geschäft, das vieles von Überallher herbeischafft und es vielen ohne Betrug zur Verfügung stellt, dann darf man ihn durchaus nicht tadeln, und wenn er dann sogar, gesättigt mit Gewinn oder vielmehr zufriedengestellt, sich häufig von hoher See in den Hafen und direkt vom Hafen auf seine Landbesitzungen zu begeben pflegt, scheint er mit vollem Recht Lob zu verdienen. (so in: Sommer I, 44)

 

Plutarch schreibt über den älteren Cato, der selbst das Ideal der Villenwirtschaft vertritt, dass selbst senatorische Oberschicht manchmal Gefallen an Kapitalverwertung finden:

Als  er sich ernstlicher auf den Gelderwerb zu legen begann, fand er, dass der Landbau mehr ein Zeitvertreib als eine ergiebige Geldquelle sei. Er legte darum seine Kapitalien in sicheren, risikofreien Objekten an, kaufte Teiche, warme Quellen, freie Plätze für Walker, Pecherzeugungsanlagen, natürliche Weiden und Hutungen, woraus ihm reicher Gewinn zufloss. (...)  Auch die anrüchigste Form des Geldverleihens, die gegen Seezins, verschmähte er nicht und verfuhr dabei folgendermaßen: Er veranlasste die Geldbedürftigen, eine Gesellschaft von Geldgebern ins Leben zu rufen. Waren deren 50 und ebensoviele Schiffe zusammen, so nahm er selbst einen Anteil durch seinen Freigelassenen Quintio, der dann die Geschäftsführung der Schuldner beaufsichtigte und mitreiste. So erstreckte sich sein Risiko nicht auf das Ganze, sondern nur auf einen kleinen Teil bei großem Zugewinn. (so in: Christ, S.29)

Aber sein Selbstverständnis zieht ein Cato eben aus der Villenwirtschaft, auch wenn sie mit Geldgier gekoppelt wird.

 

In welchem Umfang man für die späte Zeit der römischen Republik von Kapitalisten sprechen kann, muss aufgrund der Quellenlage unklar bleiben. Generell aber gilt, dass großer Reichtum in machtpolitische Projekte fließt oder in Besitzungen, die gehobenen Konsum mit zunehmendem Luxus ermöglichen. Die Masse des Handwerks bleibt in kleinen Familienbetrieben, und in den wenigen Fällen, wo wie in der Töpferei Massenprodukte hergestellt werden, geschieht das wohl weithin in vielen kleinen Einzelbetrieben. Nicht Kapitalbildung, die Ende des Westreiches ohnehin wieder massiv abnimmt, sondern Zivilisierung als brachiale Zerstörung einer Vielzahl von teilweise bereits anzivilisierten Kulturen wird der wichtigste römische Anteil an der Entstehung von Kapitalismus sein.

 

 

Bis in die Zeit der kriegerischen Expansion hinein dominiert ein sich vor allem selbst versorgendes Kleinbauerntum. Mit zunehmendem Handel und zunehmender Geldwirtschaft einher geht der durch die Kriegseinsätze der vielen Kleinbauern samt dem Verwüstungszug Hannibals durch Italien verursachte Ruin eines Teiles der bäuerlichen Landwirtschaft. An seine Stelle treten nun mittelgroße Betriebe als villae, die von traditioneller Getreideproduktion zu profitableren Oliven- und Weinkulturen übergehen oder zu Weidewirtschaft im Süden. Hier legt nun die Oberschicht vor allem ihre in Krieg und Geschäft erworbenen Gelder an und lässt für dessen Rendite inzwischen auch öfter mal zehn bis zwanzig Sklaven arbeiten. Der Weg in die Latifundien des Prinzipats ist nun offen und wird an einigen Stellen auch schon begangen.

 

Landwirtschaft, vor allem der Anbau von Getreide, Oliven und Wein, wird neben der allgegenwärtigen Korruption und offener Räuberei in den Provinzen weiter die vorrangige Grundlage für Reichtum sein und die geachtetste. Aber mit der Reichsbildung Roms verlieren die meisten Menschen den Zugang zu Eigentum an Grund und Boden, die erste Voraussetzung für Wohlstand und wirksamer Partizipation an der Macht. Sie verlieren ihn nicht nur auf dem Land, sondern auch in den Städten, wo sie zu Mietern werden.

 

Viele entwurzelte Bauern gehen in die Städte, insbesondere in die immer weiter wachsende Urbs Roma, und ein Teil von ihnen verwandelt sich in besitzloses Proletariat, die Leute, die der Republik nichts als ihre Nachkommen (proles) bieten.

Die plebejischen Massen in der Riesenstadt Rom wohnen schließlich in bis zu sechsstöckigen "Mietskasernen" (insulae) mit vielen anderen auf engstem Raum und oft in Armut. Neben den öffentlichen Großbauten prägen diese Mietshäuser das Stadtbild. Schlechte Bauweise lässt solche Wohngebäude gelegentlich einstürzen, dazu kommen häufige Brände. Als landlose und besitzlose Mieter bedienen städtische Arme den Reichtum von großen Immobilienbesitzern.

Man geht entweder Kleingewerbe nach vom Handwerksbetrieb und Laden über die Taverne bis zum Bordell, ist Tagelöhner oder arbeitslos und man wird immer mehr auf Geschenke eines Patrons und dann auch der Bürgerkriegsparteien angewiesen.

 

Populus meint Volk bei Römern und taucht als Pöbel im Sinne von Volk im späten deutschen Mittelalter auf, wobei es dann immer abschätziger für Unterschicht verwendet wird.

Der mittelhochdeutsche povel oder bovel entstammt dem altfranzösischen poble, einer Verwandlung des lateinischen populus. Tatsächlich bezeichnete er meist Menschen aus "Unterschichten" mit gröberen Manieren und einer Tendenz zur Äufsässigkeit. 1525 heißt es bei Luther über die aufständischen Bauern: Der Esel will Schläge haben und der Pöbel will mit Gewalt regiert sein. Das wusste Gott wohl, drum gab er der Obrigkeit nicht einen Fuchsschwanz, sondern ein Schwert in die Hand.

Hier soll der Begriff sinngleich mit dem vom Mob dienen, vom lateinischen mobile vulgus (bewegbare Unterschichten) über das Englische in die deutsche Sprache gekommen. Pöbel ist so hier der von Machtinteressen mobilisierbare Teil der städtischen Massen, die - politisch einflusslos und auf geringen Warenkonsum und nicht zuletzt den eines Amüsiergewerbes orientiert sind.

 

Dieser Pöbel passt sich in die Weiterentwicklung von dem, was schon sehr lange als Klientel bekannt ist, ein. Klient (cliens) ist jemand, der sich unter den Rechtsschutz eines wohlhabenden patronus begibt. Bekanntlich lässt sich Recht mit Geld besser durchsetzen als ohne, und es schadet auch nichts, dafür physische Macht im Hintergrund zu haben. Dafür muss der Klient dem Patron regelmäßig seine Aufwartung machen, Dienste leisten, als Leibwächter dienen oder ihm bei öffentlichen Auftritten Beifall klatschen. Wenn der Patron ein öffentliches Amt anstrebt, sind Klienten praktisch verpflichtet, ihn in den Komitien zu wählen.

 

Als Klientel reicher Herren werden solche Leute dann immer häufiger für Straßenkämpfe mobilisierbarer Pöbel, im letzten Jahrhundert vor der Zeitenwende zunehmend auch zu mordenden Schlägertrupps. Einem solchen Bodensatz raubender und mordender Massen werden wir in geringerem Umfang auch im "christlichen" Mittelalter wieder begegnen.

 

Eine weitere Rolle spielt der bald nach Hunderttausenden zählende städtische Pöbel in Versammlungen insbesondere der Plebs, wo diese Leute bald mit Drohgebärden Abstimmungen erzwingen können. Wer also Macht in Rom erringen oder bewahren will, gewährt diesem offenbar weithin käuflichen Pöbel subventionierte und am Ende verschenkte Getreiderationen, zu denen in der Kaiserzeit dann auch die von Speiseöl und manchmal von billigem Wein kommen. Wir bleiben damit aber noch weit entfernt von den Dimensionen der Umverteilungen von oben nach unten seit dem späteren zwanzigsten Jahrhundert. Im übrigen ist daran zu erinnern, dass sich im letzten Jahrhundert v.d.Zt. auch ein Großteil der Oberschicht als käuflich erweist, allerdings nur gegen wesentlich größere Summen.

 

Wenn man den Texten insbesondere dann des ersten Jahrhunderts auch nur ansatzweise glauben kann, dürfte weithin die noch heute zu beobachtende Regel stimmen, dass Geld den Charakter verdirbt, soweit überhaupt (noch) einer vorhanden ist. Für die Ämterlaufbahn, den cursus honorum, braucht man Geld, seitdem es üblich wird, Wähler mit Geschenken zu bestechen. Ist man im Amt, kann man im Rahmen einer ausufernden Korruption sich wiederum mit Geld Kollegen zu Freunden machen. Gekauft werden Magistrate, Mehrheiten in Volksversammlungen und Schlägertruppen auf den Straßen sowie mit dem Versprechen auf Beute und Versorgung ganze Legionen.

 

 

In der frühen Republik spielten Sklaven wohl eher eine untergeordnete Rolle und waren in die Familien eingeordnet. Dort ging es manchen nicht schlechter als Kleinbauern auf dem Lande, allerdings nur, wenn man davon absieht, dass der Herr seinen Sklaven töten, anderweitig bestrafen oder verkaufen kann. Das ändert sich dann aber mit den vielen Kriegen. Zwischen dem ersten punischen Krieg und der Zeit des Augustus verfünffacht sich die Zahl der Sklaven in Italien auf etwa 3 Millionen bei geschätzten 7,5 Millionen Einwohnern dort. Unter den 4,5 Millionen Freien nehmen allerdings auch schon die Freigelassenen einen immer größeren Anteil ein.

Der Nachschub an Sklaven kommt von massenhaft versklavten Kriegsgefangenen, von einem durchorganisierten Sklavenmarkt, der nicht zuletzt auch von der weit verbreiteten Piraterie versorgt wird, und dann auch von den Kindern von Sklaven.

Im Haushalt, im Handwerk und als Hirten ist ihr Schicksal oft vergleichsweise erträglich. Brutal und an bolschewistische oder nationalsozialistische Arbeitslager gemahnend ist ihre Lage in Bergwerken, in Steinbrüchen und oft auch der Landwirtschaft des Großgrundbesitzes, wo sie nicht selten zu Tode geschunden werden.

 

Zwischen 135 und 132 erheben sich dann in Sizilien vielleicht an die hunderttausend Sklaven, und es dauert Jahre, sie mit dem Einsatz großer Heere zu besiegen. 20 000 sollen danach an Kreuze geschlagen worden sein. Sklavenaufstände gibt es bald auch in Griechenland. 104-101 ist Sizilien wieder dran und 73 kulminiert das alles in einem Aufstand kampanischer Gladiatorensklaven unter Spartacus, denen sich Sklaven auf den Latifundien anschließen, welchen es fast so schlecht geht wie denen in den Bergwerken. Crassus, so wird berichtet, soll 71 rund 6000 von ihnen alleine entlang der Via Appia gekreuzigt haben. Die römische Antike ist ohnehin zweifellos ungeniert grausamer als Sowjetunion oder Hitler-Reich.

 

Zwei Veränderungen betreffen das Militär zunehmend: Je größer sich der Machtbereich Roms ausweitet, desto mehr Militär wird benötigt, und zugleich sinkt jener Anteil freier Bauern massiv, die sich selbst für den Krieg ausrüsten können. Damit beginnt die Finanzierung ihrer militärischen Ausstattung, die am Ende zu einem Berufssoldatentum führen wird.

In den Bürgerkriegszeiten wird nach und nach der Zensus für den Militärdienst immer weiter heruntergesetzt, so dass am Ende verarmte Massen im Militärdienst ein Auskommen finden können. Da sie nachher nicht auf Bauernstellen zurückkehren können, sondern versorgt werden müssen, werden sie zur (Heeres)Klientel ihrer sie ausstattenden Heerführer, die allerdings dann gezwungen sind, oft illegale und gewalttätige Mittel für die Versorgung ihrer Veteranen finden zu müssen, -wie die Vertreibung von bisherigen Bewohnern oder deren Massentötung in kriegerischen Auseinandersetzungen. Wer andererseits wie Cicero über keine solche militärische Klientel verfügt, wird im politischen Macht-Geschäft am Ende untergehen.

 

Als vorletztes hier herausgehobenes Problem sei das der Frage nach dem Umgang mit den jeweils eroberten Gebieten erwähnt, also das ihrer Integration in ein "Reich", wie es das schließlich so zuvor nie gab. Dabei ist zu unterscheiden zwischen den Latinern, mit denen sich Römer verwandt fühlen, den mit Gewalt zu Bundesgenossen gemachten Völkern anderer Sprachen und Traditionen, und dann, angefangen mit Sizilien, mit den als Provinzen unterworfenen großen Gebieten außerhalb von Italia.

Die einfachste Methode der Integration von Gebieten ist Massenmord, Vertreibung oder Versklavung ihrer angestammten Bevölkerung  und dann folgende Besiedlung mit Römern bzw. Latinern. Hier zeigt Rom die Skrupellosigkeit eines Stalin, Hitler oder Mao-tse-tung.

 

Für die Kolonisten werden neue tribus der Tributkomitien angelegt wie auch für die municipia, in die die kleineren latinischen Städte verwandelt werden. Eine  Spezialform werden kleine coloniae mitten in fremden Gebieten, Speerspitzen zukünftiger römischer Überfremdung. Große Städte werden von nun an in "Bundesgenossen" verwandelt. Ansonsten wird latinisches Recht dem römischen fast gleichgestellt und nach und nach wird Latinern römisches Bürgerrecht zugestanden. Um 300 gibt es wohl bereits hunderttausende römische "Bürger", fast alle Untertanen einer kleinen Machtelite. Eroberte Städte sind zugleich römische Garnisonen und da fast überall Heeresfolge für Rom Pflicht wird, steigt die Zentrale zu einer immer größeren Militärmacht auf.

Mit nach Rom führenden Straßen wird so auch ein immer größerer Teil Italiens Versorger der Stadt mit Lebensmitteln, Metallartikeln aus Capua und Tarent, Keramik aus Arezzo und anderen Orten, später Textilien aus Parma, Modena usw.

 

Ein weiterer wesentlicher Aspekt von Integration ist die Verbündung der römischen Machtelite mit der in den eroberten Städten, die ihren Luxuskonsum und damit ihre Lebensweise oft wohl gerne an dem der römischen Oberschicht orientieren, wo nicht schon ohnehin vorher an der hellenischen. Von dort aus ist die Korrumpierung der Untertanen bis hin zum langsamen Verlust ihrer Sprache dann nur eine Frage der Zeit, wiewohl die römische Antike nun auch bis zu ihrem Ende immer neue, auf das brutalste niedergeschlagene Aufstände und Abspaltungen kennt, die am Ende in die Auflösung des weströmischen Reiches münden.

 

Schließlich sei aufgrund der dürftigen Quellenlage nur kurz auf die immer schneller voranschreitende Zerstörung des Lebensraumes Erde eingegangen, der erste und wichtige Wesenszug aller bisherigen Zivilisationen. Schon die bronzezeitlichen Despoten plünderten nach Maßgabe ihrer Möglichkeiten die Erde aus und entnahmen ihr Bodenschätze, soweit sie nahe der Oberfläche waren. Das gilt genauso für Karthager und Römer, deren Gier sich vor allem auf Gold und Silber, aber auch auf Eisen, Zinn, Kupfer und Blei richtet. 

Oberirdisch werden weiter Naturlandschaften zerstört, Steppen in Äcker verwandelt, immer mehr Wälder abgeholzt und nicht einmal wieder aufgeforstet, Tier- und wohl auch Pflanzenarten ausgerottet.

Ein Beispiel für viele:

"Nachdem die Römer für ihre Flottenausrüstung gegen Karthago große Teile der Bergwälder in der näheren Umgebung abgeholzt hatten, rauschten mit jedem größeren Regen Unmengen Wasser und Schlamm zu Tal - der Wasserspiegel stieg unaufhaltsam, die Ebene versumpfte, Malaria breitete sich aus." (Sommer I, S.50 zur südlichen Campagna)

 

 

***Problemlösungen als Machtspiele***

 

Die res publica der Urbs Roma funktionieren solange, wie im Zusammenspiel von Senat, Magistraten und Volksversammlungen die gemeinsamen Interessen der Nobilität, also einer durch Militärdienst und Ämterlaufbahn gegangenen Gruppe von Reichen und Mächtigen ihren Mittelpunkt bilden. Dieser Korpsgeist, etwas anachronistisch formuliert, beginnt im Verlauf des zweiten Jahrhunderts zu schwinden, das heißt, aus reichem Hause von einer Volksversammlung als Magistrat gewählt zu werden, heißt bald nicht mehr so selbstverständlich wie bislang, nun den Konsens mit dem Senat zu suchen.

 

Was mehr als schiere Machtgier Einzelne nun vielleicht noch dazu treiben mag, individuelles Machtinteresse höher zu hängen als das gemeinsame, ist mangels besserer (weniger rabiat parteiischer) Quellenlage kaum mehr zu erkennen. Sicher nehmen die Probleme mit dem wachsenden Reichtum der Wenigen und der Armut von immer größeren Massen, mit der Landarmut, der Veteranenversorgung, Aufständen von Sklaven und unterworfenen Völkern zu und mit ihnen und ihrem Gewicht auch die Auseinandersetzungen über Problemlösungen, bei welchen die oft sehr materiellen Interessen verschiedener Kreise der Mächtigen offenbar immer schwerer unter einen Hut zu bekommen sind.

 

Den Konsens der Hauptprofiteure der Republik zugunsten des Rückgriffs auf die Plebs über das Volkstribunat oder bald dann auch direkt auf die eigene hauptstädtische Pöbel-Klientel oder über ein eigenes Militärkommando aufzugeben, wird nun immer üblicher werden. Inwieweit der Inhalt irgendwelcher Machtpolitik eine Rolle über die des Vorwandes hinaus spielt, ist praktisch nicht mehr erkennbar, vielleicht auch für die Akteure bald nur noch schwer auseinander zu halten. Zu verfolgen ist aber bei einigen, wie sie durchaus auch aus Machtgründen "politische" Inhalte wechseln.

 

Ganz aus geordneten Bahnen heraus geraten die res publica, als ein Tiberius Gracchus sich für seine militärischen Leistungen in Nordafrika nicht hinreichend anerkannt fühlt, sich 133 als Volkstribun wählen lässt und zur Versorgung von Veteranen ein Ackergesetz einbringt, welches einigen Großgrundbesitzern zugunsten von kleinbäuerlichem Besitz genommen hätte, was sie schon vor längerem zusätzlich in Süditalien illegal okkupiert hatten, aber längst für ihr Eigentum halten.

In Appians viel späterem bellum civile heißt das dann so:

(...) die Reichen, die sich den größten Teil des unverteilten Landes aneigneten und mit der Zeit so frech wurden , dass sie glaubten, es werde ihnen nicht mehr weggenommen, erwarben Parzellen angrenzenden Landes und benachbarte Höfe, teils durch Kauf, teils gewaltsam, und sie gingen dazu über, große zusammenhängende Grundstücke zu bebauen anstatt einzelne Bauernstellen, mit Sklaven als Arbeitskräften und Hirten, um für den Fall gewappnet zu sein, dass freie Arbeiter zum Heer eingezogen würden. Zugleich bescherte ihnen der Besitz von Sklaven dank deren zahlreichen Nachkommen großen Reichtum, da diese sich vermehrten und nicht zum Heeresdienst eingezogen wurden. So wurden mächtige Männer unerhört reich, und das Sklavenheer vermehrte sich im ganzen Land, während die Italiker, die unter Armut, Steuern und Heeresdienst litten, an Zahl und Stärke abnahmen. (in: Sommer I, S.337f)

 

Polit-Demagogie, wie wir sie noch heute ertragen müssen, wird nun immer alltäglicher. Laut Plutarch, welcher das wohl kaum wortwörtlich aufzeichnet, sagt der Gracche zum Beispiel und sicher (s.o.) nicht ganz aus der Luft gegriffen:

Die wilden Tiere, die Italien beweiden, haben Ruhestatt und Unterschlupf, aber die für Italien kämpfen und sterben, haben teil an Luft und sonst an nichts, ohne Haus und Hof irren sie mit ihren Kindern und Frauen umher, die Feldherren lügen, wenn sie vor der Schlacht die Soldaten aufrufen, zum Schutz ihrer Gräber und Heiligtümer die Feinde abzuwehren, denn keiner von ihnen hat einen väterlichen Altar, keiner einen Grabhügel der Vorfahren, nein: für Wohlleben und Reichtum anderer kämpfen und sterben sie, Herren der Erde heißen sie und haben nicht eine Scholle zu eigen. (so in: Bringmann, S. 206)

 

Indem Tiberius Gracchus sich derart an die Adressaten seiner "Reformen" wendet, unterminiert er mithilfe des Tribunats der plebejischen Massen das Zusammenspiel von Senat und Magistraten. Für die Landverteilung nimmt er dann dem Senat Kompetenzen, als dieser finanzielle Mittel verweigert. Und um sein Programm durchzusetzen, muss er schließlich unter Bruch der Annuität wiedergewählt werden. Das interpretiert der Senat als bedrohlichen Machtzuwachs und sorgt dafür, dass er und viele Anhänger erschlagen werden, und die übrigen vor feindseligen Sondergerichten landen. Die von ihm angestrebte Landverteilung findet dann allerdings doch statt.

Aber damit kann eine Minderheit der Oberschicht nicht mehr davon abgehalten werden, sich als populares gar nicht mehr erst um eine Senatsmehrheit zu bemühen, sondern sich gleich über Plebiszite und dann auch im Bündnis mit der wohlhabenden, aber nicht noblen Gruppe der Ritter durchzusetzen.

 

Bruder Gaius Gracchus erweitert das populare Programm wenig später um einen Maximalpreis für Getreide, zudem um ein Gesetz, nach dem die Republik die Kosten für die Bekleidung von Soldaten tragen soll, dann eines, welches bestimmt, dass alleine Ritter in den Repetunden-Prozessen über Verfehlungen von Magistraten sitzen, womit auf die rasant zunehmende Geschäftemacherei einer immer kapitalkräftigeren Schicht reagiert wird. Sobald die Nobilität nicht mehr die Reiter-Elite der Republik bildet, steigen so aus den Kreisen des Handels, der Finanzen und daraus resultierendem Grundbesitz Männer als Reiter/Ritter in die Gruppe der equites auf, die allerdings zunächst keine Magistraturen einnehmen können. Cicero, aus einer solchen ritterlichen Familie stammend, schafft es dann aber etwas später sogar, Konsul zu werden.

 

Schließlich stellt Gaius Gracchus den Antrag, den Latinern das volle Bürgerrecht und den Bundesgenossen immerhin ein Stimmrecht zu gewähren, was die Volksversammlung aber als ihre Privilegien gefährdend ablehnt. Der Senat fühlt sich erneut bedroht und erklärt ein senatus consultum ultimum, eine Art Notstandserklärung zur Unterstützung eines Gegners des Gracchen. Bevor Gaius nun ebenfalls von Pöbel ermordet wird, begeht er möglicherweise Suizid, was die Menge offenbar nicht hindert, dann seine Leiche öffentlich zu schänden. Eine mörderische Aktion gegen Anhänger der Gracchen folgt.

 

Damit steigert sich eine grausige Brutalisierung, die spätestens jetzt zu einem Wesenszug römischer Zivilisation wird. Ein Marius erhält unter Umgehung des Senats das Konsulat und besiegt den Numider Jugurtha. Inzwischen werden Heerzüge der Kimbern, Teutonen und anderer immer bedrohlicher.

Derweil haben nämlich Völkerschaften der germanischen Sprachfamilie längst begonnen, die Kelten von Norden her zu vertreiben. Der germanische Druck führt zu neuen keltischen Wanderbewegungen unter anderem der Belger, die sich im heutigen Südengland und gegenüber auf dem Festland niederlassen. Dabei kommt es aber gelegentlich auch zu Bündnissen von Germanen und Kelten wie dem der Kimbern und Teutonen, die gemeinsam die Alpen überqueren und ins römische Reich eindringen.

 

Von Germanen und Kelten wissen wir außer von den dürftigen Zeugnissen der Archäologie hauptsächlich durch römische Texte. Sie waren sich wohl nicht nur im Aussehen ähnlich, hochgewachsen, hellhäutig und mit hellen Haaren, sondern ihre Stammeskulturen waren auch verwandt bis darauf, dass der Weg in die Zivilisation, also in Herrschaftsstrukturen, bei Kelten schon weiter fortgeschritten war. Dazu gehören bei diesen stadtähnliche Siedlungen, von Fürsten beherrscht, und einer Art kriegerischer Oberschicht darunter. In der Eisenproduktion und ausgedehntem Handel liegt ihre eine Stärke, die andere in furchterregendem Kriegertum. Es ist wohl ihr Übergangsstatus in Zivilisation, der es den römischen Machthabern erleichtern wird, sie zu besiegen und ihre Traditionen zu zerstören.

 

Bevor Marius gegen die neue Bedrohung zu Felde zieht, beginnt er mit der Erweiterung des Heeres um Proletarier und weiterer Professionalisierung der Legionen. Damit kann er 102/101 die Kimbern und Teutonen in Südgallien und Norditalien schlagen. Die Kimbern sollen alle entweder umgebracht oder versklavt worden sein.

Kriegerische Erfolge werden nun, weil sie die Großklientel ganzer Legionen nach sich ziehen, zur Grundlage des Machterwerbs Einzelner. Inzwischen ist Marius dank seiner Schägerbanden viermal hintereinander zum Konsul gewählt worden, ein Verstoß gegen die Annuität, und versorgt auf demselben Wege seine Freunde mit Magistraturen. Im Verbund mit anderen wird das alte populare Programm wieder aufgelegt: Billiges Getreide, Land für Veteranen und ihre rechtliche Gleichstellung mit den Römern. Schlägergruppen dieser in Rom massenhaft eingedrungenen Veteranen prügeln in Rom die Opposition zusammen.

 

Dagegen setzt der Senat auf den Reformer Drusus, der versucht, das Bürgerrecht für Latiner und Bundesgenossen durchzusetzen, und der durch Mörderhand stirbt. Nun suchen Stämme wie die Samniten ebenfalls noch ein letztes Mal ihre Freiheit und es kommt zum Krieg eines Teils der Bundesgenossen gegen Rom, und nach deren Niederlage zu ihrer zwangsweisen Integration in das entstehende Römerreich und dem endgültigen Verlust ihres bislang tradierten Volkscharakters.

Am Ende wird das römische Bürgergebiet bis zum Po ausgedehnt. Im Zensus erscheinen nun 963 000 römische Bürger.

 

Sulla ist kein Überzeugungstäter, wird aber zum Mann der optimatischen Senatsmehrheit, wie diese später genannt werden wird. In Kleinasien und bis nach Hellas wird Mithridates, Herr von Pontos, als Befreier vom römischen Joch gefeiert. Zahlreiche Römer werden massakriert. Um das Imperium gegen ihn entsteht bürgerkriegsartige Gewalt zwischen Marius und Sulla und letzterer zieht mit Truppen, die nach Beute im reichen Osten gieren, nach Rom, setzt mit massenhaftem politischem Mord die Rücknahme eines Plebiszits zugunsten von Marius durch, und der muss nach Afrika fliehen.

Sulla führt in Asien Krieg und plündert dort die Städte aus, während Cinna mit Marius in Rom ein Terrorregime errichtet. Nach seinem Sieg über Mithridates kehrt Sulla nach Rom zurück und lässt sich zu einem Diktator neuen Typs ernennen. Darauf veranlasst er aufgrund eines Gesetzes, mehrere tausend reiche Gegner in sogenannten Proskriptionen von Amts wegen zu ermorden und zu berauben. Als das Vermögen der Getöteten versteigert wird, macht das zum Beispiel einen Crassus reich, der dann auf der Suche nach politischer Macht zum Verbündeten von Pompeius und Caesar werden wird. Von ihm " wird die Äußerung kolportiert, dass niemand für reich gelten könne, der nicht von den Erträgen seines Vermögens eine Armee unterhalten könne." (Bringmann, S.268) Ohne Verfügung über eine Armee aber gibt es keine Macht Einzelner mehr.

 

Sulla versorgt seine Veteranen mit konfisziertem Land, die es bald an Großgrundbesitzer weiterverkaufen: Immer größere Teile Italiens werden nun in von Sklaven bewirtschaftete Latifundien verwandelt. Der Senat wird aufgewertet und das Volkstribunat sowie die Ritterschaft geschwächt. Das Militär wird in die Provinzen verlagert, wo ehemalige Konsuln oder Prätoren nun die Befehlsgewalt erhalten. 79 legt Sulla die Diktatur nieder.

 

Sallust fasst die Zeit nach Sulla so zusammen:

... da begannen alle zu rauben und zu plündern, der eine begehrte ein Haus, andere Ländereien, und die Sieger kannten kein Maß und keine Schranke und begingen scheußliche Verbrechen an ihren Mitbürgern. (... Man gewöhnt sich daran) für sich und den Staat zu rauben, die Heiligtümer auszuplündern, alles Göttliche und Menschliche zu besudeln..

An anderer Stelle dort heißt es:

Denn, um mit wenigen Worten die Wahrheit zu sagen; wer immer seit jener Zeit politisch agitierte, schützte ehrenvolle Parolen vor. Die einen taten, als verteidigten sie die Rechte des Volkes, andere, als wollten sie die Autorität des Senats wahren. Indem sie das Allgemeinwohl vorschützten, kämpften sie alle nur für die eigene Macht. (in seinem 'Catilina') Das kommt uns Heutigen vertraut vor!

 

Wie man sieht, geht es über weite Strecken nicht mehr um Problemlösungen, sondern um das Nutzen von konkreten Problemen für den eigenen Machtzuwachs und dadurch dann um die Verschärfung einer allgemeinen Krise. Ein Musterbeispiel ist die sich ausbreitende städtische Armut, die zunächst mit der Subventionierung der Getreideversorgung für die Allerärmsten in der Metropole in ihrer Auswirkung gelindert und in der Substanz damit eher gefördert wird.

 

Nach und nach kommen zu den regulären und außergewöhnlichen Geschenken an Lebensmitteln die Angebote eines sich ausweitenden Amüsierbetriebes, entweder für den grölenden Pöbel gratis oder aber stark subventioniert. War in den frühen Despotien des Ostens und noch in Hellas die zentrale Sphäre öffentlicher Unterhaltung für städtische Massen zunächst auf kultisch begründete Festivitäten beschränkt, spendieren die Mächtigen nun große, nur noch höchstens mit einem kultischen Vorwand versehene Amüsierveranstaltungen, um einen verrohenden Pöbel an sich zu binden. Stärker noch als in Raubtieren angelegt erfreuen sich diese Leute an dargebotener Gewalttätigkeit und Grausamkeit gegen Mensch und Tier, um ihre Aggressionen zur Entladung zu bringen.

Menschen werden gegen Menschen gehetzt, wie in den Gladiatorenspielen, für deren Sklaven sich im ersten Jahrhundert die Amphitheater durchsetzen, und ebenso Mensch und Tier und Tiere gegeneinander. Je exotischer und blutrünstiger, desto dankbarer verstärkt der dort brüllende Pöbel die Anhängerschaft derer, die ihnen solchen Spaß geschenkt haben. Die Bestie Mensch erlebt in der römischen Amüsierwelt ihren vielleicht grausigsten Höhepunkt bislang.

 

***Die Lösung der Machtfrage: Brutal durchgesetzte Alleinherrschaft***

 

Mit Sulla endet die Zeit der sich an den hergebrachteten Machtstrukturen vorbei bewegenden einzelnen zeitlich noch begrenzten Machthaber. Jetzt wird immer deutlicher, dass Bürgerkrieg nur durch Alleinherrschaft auf Dauer zu vermeiden ist, also durch die Vernichtung aller Konkurrenten.

 

Mit Lepidus, Lucullus, Crassus und Pompeius treten nun vier Gefolgsleute Sullas an. Lepidus nähert sich popularer Programmatik und marschiert auf Rom zu. Der Senat verhängt ein consultum ultimum und er wird militärisch geschlagen.

Pompeius gelingt es, ohne vorherige Magistratur vom Senat das proconsularische Imperium gegen den antisullanischen Sertorius zu erhalten, der sich mit seinen Truppen Spanien unterworfen hat. Dessen Militärmacht bricht aber mit seiner Ermordung zusammen. Als nächstes wird das am Ende auf wohl über 100 000 Mann angeschwollene Heer aufständischer Sklaven unter Spartacus von Crassus und Pompeius zerschlagen. Die letzten 6000 Überlebenden werden der Reihe nach zwischen Capua und Rom am Rand der Via Appia gekreuzigt, ein Raub der Aasvögel. Beide Feldherrn marschieren Richtung Rom, und Pompeius bekommt Konsulat und Triumph. 

 

Lucullus wird nun mit Heer gegen Mithridates (von Pontos) geschickt und dann durch Pompeius abgelöst. Danach werden sullanische "Reformen" wieder rückgängig gemacht. Pompeius erringt immer neue Erfolge in Asien, während ein Putschversuch Catilinas verhindert wird. Ein Gaius Julius Caesar wird Pontifex Maximus und Publius Clodius Pulcher tritt mit seiner Hilfe durch Adoption zur Plebs über, um Volkstribun werden zu können.

 

Pompeius bekommt nun ein großes imperium für einen Krieg gegen das Seeräuber-Unwesen im Mittelmeer, erobert immer mehr Gebiete im Osten, schlägt auch einen Aufstand in Judäa nieder und kontrolliert schließlich dort ein von ihm abhängiges System von Klientelfürstentümern. Er und seine Freunde werden dabei schwerreich. Ende 62 kehrt Pompeius nach Italien zurück und entlässt seine Soldaten.

 

Unter den herausragenden Machtmenschen seit den Gracchen ist Gaius Julius Caesar wohl der geschickteste, brutalste und und skrupelloseste. Zu seinen Mitteln gehört das Ausplündern einer Provinz (Spanien) zwecks Finanzierung eines erfolgreichen Wahlkampfes zum Konsulat. (Bringmann, S.311) Zusammen mit Pompeius und Crassus kontrollieren die drei 60 das riesig gewordene Reich mit offener, brutalster Gewalt.

 

Nach seinem Konsulat benutzt Caesar Vorwände, um so, wie Pompeius Macht und Reichtümer im Osten erworben hatte, nun auch unter Vorwänden im Norden, nämlich in Gallien, vorzugehen. Dies ist zwischen 58 und 52 ein des öfteren auch Völkermord einbeziehender "gigantischer Raubkrieg" (Bringmann), in dem anzivilisierte Stammeskulturen zerstört, Hunderttausende getötet und weitere Unmengen an Menschen versklavt werden. Hinter dem Heer Caesars folgen die Sklavenhändler "wie die Aasgeier" (Bringmann).

Sueton schreibt in der Caesarbiographie: In Gallien raubte er die mit Weihgeschenken gefüllten Tempel und Heiligtümer aus, und des öfteren zerstörte er Städte eher um der Beute willen als wegen eines Vergehens. Daher kam es, dass er Gold in Überfluss hatte  (... in: Bringmann, S.329)

 

Agrargesetze werden gewaltsam durchgesetzt, um seine Anhängerschaft zu vergrößern. Die Beute aus der Eroberung Galliens verwendet er zum Ausbau seiner Macht. Er finanziert wie ein König Speisungen des "Volkes", Zirkusspiele und den Bau des Forum Iulium.

Er hatte sich auch die ganze Umgebung des Pompeius, ferner einen großen Teil des Senats durch zinslose Darlehen oder solche mit sehr niedrigem Zinssatz verpflichtet, und er beschenkte Leute aus allen Ständen überreich (..., Sueton)

 

Inzwischen organisiert Clodius den städtischen Pöbel für Straßenkämpfe, die auch der eigenen Machtentfaltung nach dem Ende seines Volkstribunats dienen sollen. Derweil erreicht der sich von Caesar bedroht fühlende Pompeius ein für fünf Jahre ausgelegtes proconsularisches Imperium mit der Kontrolle über die Getreidevorräte und soll noch weitere Vollmachten erhalten, muss aber dann vor dem allgemeinen Straßenterror aus Rom fliehen. Es kommt aber 55 doch noch zu einer neuen Vereinbarung zwischen Crassus, Pompeius und Caesar, die Plutarch als eine Verschwörung zur Verteilung der Herrschaft und zur Auflösung der verfassungsmäßigen Ordnung bezeichnen wird (in: Bringmann, S.334).

 

Während Caesar die gallischen Stammeskulturen zerstört, erstickt in Rom jede Ordnung in Straßenkämpfen, in denen schließlich ein Schlägertrupp des optimatischen Konsulatskandidaten Milo 52 den Clodius umbringt. Im selben Jahr wird Pompeius consul sine collega, zögert aber anders als der skrupelosere Caesar, ganz die Legalität der ungeschriebenen "Verfassung" zu verlassen.

 

Inmitten der Leichen von Zehntausenden seiner Legionäre stirbt Crassus im Krieg gegen die Parther. Pompeius kauft sich mit Wohltaten in die Sympathien der Römer ein.

Als  Caesar sich inzwischen Angehörige der Nobilität und der Ritterschaft kauft , will eine Fraktion mit Senatsmehrheit Caesar vor Gericht und zu Fall bringen. Anfang 49 überschreitet er darum mit seinem Heer den Rubicon und marschiert auf Rom. Pompeius ist mit seinen Truppen aus Italien geflohen, kontrolliert aber den Osten, Afrika und Spanien.

 

In Rom verschafft Caesar sich mit Gewalt einen Teil des Staatsschatzes im Saturntempel. Er kontrolliert bald ganz Italien, welches er Marcus Antonius anvertraut. Nun besiegt er mit äußerster Brutalität seine Gegner in Spanien und 48 auf den Balkan.

 

Pompeius ist inzwischen nach Ägypten geflohen, wo er ermordet wird. Caesar folgt dorthin, wo ihm der Kopf des ermordeten Pompeius übergeben wird. Kleopatra VII. wird Caesars Geliebte und dann von ihm zur Herrscherin dort ernannt. Seine Truppen richten in Nordafrika ein Blutbad gegen ein "republikanisches" Heer an. Cato begeht Suizid. Caesar ist nun Alleinherrscher in Rom.

 

"Indem der Diktator auf Lebenszeit die Insignien des etruskisch-altrömischen Königtums anlegte und sich so der Öffentlichkeit präsentierte, gab er demonstrativ zu erkennen, dass er seine Stellung als die eines Königs nach einheimischer Tradition und in Anknüpfung an die monarchischen Ursprünge der Stadt betrachtet wissen wollte." (Bringmann, S.354)

 

Caesar erhält das Konsulat auf fünf Jahre und wird zum Diktator ernannt. Sein Stellvertreter wird Marcus Antonius, der sich in Rom mit Gewalt gegen Dolabella durchsetzt. 46 ist Caesar in Rom zurück und ihm werden die Diktatur auf 10 Jahre und weitere Vollmachten zugesprochen. Er beschenkt sein Heer und den stadtrömischen Plebs mit erheblichen Summen. Teile der inzwischen 320 000 stadtrömischen Getreidempfänger werden überall in den Provinzen in Kolonien angesiedelt. Den Senat und die Magistratswahlen kontrolliert er mit harter Hand.

(...) mit Spielen, Bauten, Spenden und Speisungen hatte er die unerfahrene Menge gezähmt, seine Parteigänger mit Belohnungen, seine Gegner mit dem Schein der Milde sich verpflichtet. Was weiter? Schon hatte er eine freie Bürgerschaft dazu gebracht, sich an die Unfreiheit zu gewöhnen, schreibt Cicero ('Gegen Antonius'), der die nicht mehr aufzuhaltende (politische) Entmachtung der Nobilität beklagt.

 

Folgendes Fazit zieht Karl Christ:

"Im skrupellosen Einsatz finanzieller Mittel war er seit der Sanierung seines eigenen, durch die unbedenklichen Investitionen in seine politische Karriere völlig zerrütteten Vermögens im gallischen Feldzug kaum mehr zu übertreffen. Dutzende von Aristokraten wurden finanziell von ihm abhängig gemacht, einflussreiche Politiker der Reihe nach korrumpiert, aber auch der Sold seiner Truppen gegen Ende der Feldzüge in Gallien kurzerhand verdoppelt. Dazu kamen verschwenderische Ausgaben für Bauten, Spiele und Schenkungen an das römische Volk." (S.46)

 

47 kommt es in Teilen Spaniens zum Aufstand unter anderem von Pompeiussöhnen. Caesar marschiert mit seinen Truppen dorthin und wieder sterben in einer Schlacht zigtausende Legionäre für die Ehre ihrer Anführer und die Befriedigung ihrer eigenen Gier.

Nach der Rückkehr ist Caesar divus, göttlich, mit eigenem Tempel und eigener Priesterschaft und lässt sich zum Diktator auf Lebenszeit erklären. Die auf 900 erweiterten Senatoren müssen ihm die Treue schwören. Massen von Veteranen und römischen Armen sollen nun in Kolonien außerhalb Italiens angesiedelt werden. Mit prächtigsten Zirkusspielen sorgt er für die Unterhaltung der städtischen Massen.

 

Es geht den Verschwörern gegen Caesar natürlich nur um die Freiheit, das heißt politische Macht, einer kleinen reichen und ehedem mächtigen aristokratischen Oberschicht. Aber die Ermordung Caesars im März 44 rettet weder ihre Freiheit noch die Republik, an denen weder die großstädtischen Massen noch die Soldaten in den Legionen interessiert sind.

 

Es kommt zu einem Machtvakuum, allerdings lassen die Verschwörer Marcus Antonius und Lepidus entkommen und müssen dann vor ihnen fliehen. Es kommt zum Machtkampf zwischen einem Triumvirat der Caesarianer und dem Heer der Caesarmörder im Osten. Beide Seiten verschaffen sich mit äußerster Brutalität finanzielle Mittel, und nicht nur die Caesarianer operieren mit Mord und Totschlag gegen ihre Gegner. Unter den Triumvirn macht Gaius Octavius Karriere, der als Octavian in die Geschichte eingehen wird. Dieser Octavian ist von Caesar, so heißt es, testamentarisch als Erbe eingesetzt und adoptiert worden und benutzt die großen Geldmengen des Erbes gleich für die Aufstellung eines Heeres.

 

43 teilen sich Octavian, Antonius und Lepidus in das Reich. Per Gesetz werden sie dazu ermächtigt, Gesetze ohne Senat und Volksversammlung zu beschließen, Vorschläge für die Magistratsposten zu machen und Gegner zu proskribieren (scheinlegal massenhaft ermorden zu lassen.) Alleine hunderte Senatoren und tausende Ritter werden nun ermordet.

 

42 unterliegen die "Republikaner" bei Philippi, und manche töten sich darauf selbst. Marcus Antonius wird spätestens jetzt zur führenden Figur. Octavian enteignet rund 100 000 Menschen in Italien, um knapp 50 000 Veteranen ansiedeln zu können. 41/40 ziehen Marcus Antonius im Bund mit Pompeiussohn Sextus Pompeius, der zur See dominiert, und Octavian mit ihren Legionen gegeneinander. Diese weigern sich aber zu kämpfen, man schließt einen neuen Vertrag zur Machtverteilung.

 

37 wird das Triumvirat verlängert, aber bald darauf fällt es auseinander. Marcus Antonius zieht erfolglos in den Krieg mit den Parthern. Sextus Pompeius  wird von Octavian aus Sizilien vertrieben. Lepidus, der Octavian unterstützt hatte, wird entmachtet.

Als Marcus Antonius aus dem Osten zurückkehrt, wird aus seiner sexuellen Beziehung zu Kleopatra eine machtpolitische. Derweil schafft Octavian die römische Bevölkerung auf seine Seite:

"Roms längste Wasserleitung, die Aqua  Marcia, wurde repariert, das Abwassersystem der Cloaca Maxima gereinigt, ein neuer Aquädukt, die Aqua Julia, errichtet, um die wachsende Bevölkerung der Stadt mit Wasser zu versorgen; Agrippa und Octavian ließen Nahrungsmittel an die Römer verteilen und als Dreingaben zu Theateraufführungen Gutscheine für Kleidung und Bargeld." (Sommer I, S,559)

Immerhin bewegt sich Rom darauf hin, zur Millionenstadt zu werden, und dort kann sich niemand mehr halten, der sich nicht die Masse der Bevölkerung kauft. Nach erfolgreicher Hetze gegen den immer unrömischer erscheinenden Marcus Antonius im Osten lässt er die Bevölkerung Italiens und des Westens einen Eid auf sich schwören und zieht mit der Behauptung, den consensus universorum zu vertreten, gegen den Herrscher im Südosten in den Krieg.

 

Es kommt zur militärischen Entscheidung zwischen Marcus Antonius und Octavian. Letzterer erreicht die Alleinherrschaft nach dem Seesieg bei Actium 31 v.d.Zt., der Einnahme von Alexandria und dem Tod von Marcus Antonius und Kleopatra. Das enorm reiche Ägypten wird zu einer allein Octavian unterstehenden Provinz.

 

 

Kaiserreich I: Das sogenannte Prinzipat

 

29 (v.d.Zt.) kehrt Octavian als Sieger nach Rom zurück und wirft mit seinem Beutegeld um sich. Es soll auch dafür ausreichen, die für die Veteranen Enteigneten zu entschädigen.

Octavian verspricht Frieden im Inneren auf der Basis der tradierten "Verfassungs"-Organe, wenn man ihn persönlich als militärischen Oberbefehlshaber und zivilen Magistrat anerkennt. Er gibt - wohl nach Vorabsprachen - seine (formelle) außerordentliche Machtvollkommenheit zurück, wird mit dem Titel Augustus, der Erhabene beschenkt und erhält dann ein außerordentliches prokonsularisches Imperium zunächst auf zehn Jahre, welches dann immer wieder verlängert wird. Dazu gehören die spanischen und gallischen Provinzen sowie Syrien. Damit kontrolliert er weiter den größten Teil der Truppen. 23 wird sein bisheriges Konsulat ersetzt durch die Erweiterung der Macht über das Militär durch ein imperium proconsulare maius und eine lebenslange tribunizische Gewalt, die vom Amt getrennt ist.

 

Octavian/Augustus braucht den Senat nicht nur, um seine Herrschaft zu legitimieren, sondern auch, um aus ihm die obersten Verwaltungsorgane für sein Reich zu rekrutieren und nicht zuletzt auch, um mit dem Netzwerk senatorischer Familien das inzwischen riesige Reich zusammenzuhalten.

 

Sein tatsächlich auf der Macht über das Militär fundiertes Prinzipat (ein Begriff der neueren Geschichtsschreibung) begründet Octavian/Augustus in seinen 'Res Gestae' später so: Nach dieser Zeit überragte ich an auctoritas alle, an potestas besaß ich jedoch nicht mehr als die anderen, die jeweils meine Kollegen im Amt waren. (34).

Das stimmt zwar so nicht, gibt aber den Kern der monarchischen Ideologie wieder: Ansehen und Einfluss, die an die Person gebunden sind, machen ihn zum obersten Entscheidungsträger. Von der auctoritas zum charisma ist dann nur noch ein kleiner Schritt, den schon Octavian/Augustus ein Stück weit geht. Was den öffentlichen Kult eines teilweise bereits vergöttlichten Augustus ausmacht, bezeugt eine Inschrift in Narbo (Narbonne):

Die Plebs der Narbonnenser hat in Narbo auf dem Forum einen Altar errichtet. An ihm sollen alljährlich am 23. September, dem Tage, an welchem die Gunst der Zeit ihn dem Erdkreis als Herrscher geboren hat, drei römische Ritter aus der Plebs und drei Freigelassene je ein Opfertier darbringen, und sie sollen an diesem Tage aus eigenen Mitteln den Coloni und den Incolae Weihrauch und Wein zur Verfügung stellen, damit diese dem Numen des Augustus opfern können. Ebenso sollen sie am 24. September den Coloni und den Incolae Weihrauch und Wein zur Verfügung stellen (...) Auch am 7. Januar, dem Tag, an dem er die Herrschaft über den Erdkreis antrat, sollen sie Weihrauch und Wein opfern und je ein Opfertier darbringen (..., in: Christ, S.164)

 

Nachdem Caesar bereits nach seiner Ermordung zum Gott erhoben worden war, wurde Augustus zum Divi filius und in den Ostprovinzen dann deutlicher vergöttlicht.

Es geht "um die Idee, dass ein Einzelner, dessen Macht aus der Perspektive der Vielen so überwältigend war, dass er sich kaum noch auf menschliche Begriffe bringen ließ, göttliche Ehren verdiente. (...)In der archaischen Großfamilie (...) war der genius - die numinose, einem Menschen innewohnende >Lebenskraft< des Oberhaupts (...) als göttlich verehrt worden.; ähnlich hatten die Klienten eines großen Mannes dessen genius göttliche Ehrungen dargebracht. Von hier zur göttlichen Verehrung der eigentlichen Person war es nur noch ein kleiner Schritt." (Sommer II, S.36)

 

Die entscheidende Leistung des Octavian ist überhaupt die öffentliche Darstellung seiner Militärdiktatur als ein ausschließlich auf seinen persönlichen Qualitäten beruhendes Regime, was dem Senat ermöglicht, ihn anzuerkennen, ohne das Gesicht zu verlieren, dem Militär aber den Platz einräumt, den es längst hat, - entscheidender Machtfaktor zu sein. Im Verlauf der nächsten zwei Jahrhunderte wird man sich an die abnehmende Bedeutung des Senates und die entscheidende des Militärs gewöhnen, wobei der Charakter einer Militärdiktatur  immer deutlicher wird.

 

Das deutsche Wort Kaiser leitet sich zwar von Caesar ab, diese werden aber in der Antike als augusti, als Erhabene bezeichnet. In der gesamten Zeit der Alleinherrschaft (Monarchie) wird die Ämterlaufbahn über den Konsul bis in den Senat zwar beibehalten, aber die wirkliche Macht gehört seit Caesar und Octavian/Augustus denjenigen, die genügend Militär hinter sich bringen, zugleich allerdings auch dem Senat zwar immer weniger Einfluss, aber zunächst noch eine gewisse dignitas belassen, was durch geschicktes Lavieren gelingt.

 

Wichtiger noch als das sprachliche Raffinement, mit dem Octavian/Augustus die Machtverhältnisse dekoriert, ist sicherlich, dass die Gruppen, die zuletzt schon die vor allem ökonomischen Profiteure der Machtverhältnisse waren, dies auch unter den neuen Bedingungen bleiben: Die vorläufig immer noch auch insofern einflussreichen senatorischen Familien, als sie unter anderem über Magistrate und Pro-Magistraturen in den Provinzen ihren Reichtum erweitern können, dann die manchmal schnell in den engeren Kreis um den Alleinherrscher aufsteigenden großen Geschäftsleute der Ritterschaft, und die langsam zu ihnen - ebenfalls über Geschäfte - Aufsteigenden unter den Freigelassenen.

Mit dem Prinzipat werden die Ritter zu einem eigenen Stand mit einem Mindestzensus von 400 000 Sesterzen Vermögen. Zur Zeit des Augustus stehen etwa 20 000 Ritter 600 Senatoren gegenüber, deren Zahl nun bereits verdoppelt und deren Bedeutung damit abgewertet ist. Dabei werden die Vermögensunterschiede auch innerhalb dieser reichen Oberschicht immer größer.

 

Octavian/Augustus behält die von Clodius eingeführte Form kostenloser Getreideversorgung der städtischen Massen bei, reduziert die Zahl der Empfänger aber auf 200 000. Häufige kostenlose oder billige Amüsierveranstaltungen aller Arten halten den Pöbel in der Regel bei Laune.

 

Das Heer leistet jährlich einen Eid auf den Prinzeps, den obersten Befehlshaber und sein "Haus" (domus), und entsprechend geht der Großteil der Finanzen auch dorthin. Veteranen werden mit Land versorgt, welches er mit der riesigen ägyptischen Beute ankaufen kann.

Aus der Bürgerwehr der Stadtrepublik Rom ist längst eine Vielzahl professionalisierter Armeen geworden, die das Vielvölkerreich widerspiegeln. Augustus reduziert sie auf 28, die jeweils eine Sollstärke von 5500 Fußsoldaten und 120 Reitern haben. Nach einer Dienstzeit von rund 25 Jahren gibt es nun ein Entlassungsgeld von 3000 Denaren. Finanziert wird das mit einer Erbschaftssteuer von 5% und einer Verkaufssteuer von 1% für eine Pensionskasse. Ein Teil der Veteranen kommt dann in neuen Kolonien unter.

 

Mit des Augustus Sieg wird Italien weitgehend von Militär befreit. Der Großteil der Armeen, etwa 28 Legionen mit insgesamt rund 150 000 Mann, allesamt freie römische Bürger, haust nun in Garnisonen an den Grenzen, wie in Mainz oder Xanten. Damit entstehen Märkte, auf die Lebensmittel und handwerkliche Produkte der Umgebung gelangen, es entstehen Siedlungen (canabae) mit Läden, Werkstätten, Wirtshäusern und Prostituierten.

Solche Militärlager mit Siedlung stimulieren Fernhandel u.a. mit Wein, Speiseöl und sogar ein wenig mit Luxusprodukten.

 

Zudem werden nun Auxiliartruppen von 500 oder 1000 Mann aus freien Provinzialen aufgebaut, die ebenfalls 25 Jahre zu dienen haben und solange aufgestockt werden, bis sie fast den Umfang der regulären Legionen haben. Nach der Dienstzeit bekommen sie das volle römische Bürgerrecht.

Solche schnellen Eingreiftruppen fremder Söldner beeinflussen anzivilisierte Völkerschaften außerhalb, wie am Beispiel der Cherusker dann deutlich wird.

Nach Ausschaltung der Garden, Schutztruppen der Bürgerkriegsparteien, bleibt in der Hauptstadt eine kaiserliche Prätorianergarde übrig, die 23 n.d.Zt. auf den Viminal in die Stadt verlegt wird und dort wichtigstes kaiserliches Machtmittel  bleibt. Umgekehrt wird sie bei Schwächen der Kaiser enorm viel Macht auf sich vereinen.

Zu alledem kommen zwei Flotten für das westliche und östliche Mittelmeer und kleinere Flotten für die Fluss-Schiffahrt.

 

In der Spätzeit des Augustus sind von rund 60 Millionen Einwohnern des Reiches 14 Millionen im heutigen Italien samt Nachbarinseln zu Hause. Zugleich dominieren inzwischen unter den freien Bürgern die aus den Provinzen, wobei im größten Teil Italiens die Freien nun das römische Bürgerrecht besitzen.

 

Letztlich endet bald nach 9 n.d.Zt. mit der verheerenden Niederlage im Teutoburger Wald die dauerhafte Ausdehnung des Reiches deutlich über den Rhein hinaus. Aber es kommt immer wieder zu kriegerischen Konflikten, wobei Rom Stammesobere durch Geschenke, die Menschen durch Handel und ähnliches zu korrumpieren versucht, aber auch ganze Volksgruppen umsiedelt oder auch weiterhin schon mal ausrottet.

Mit äußerster Brutalität und bestialischem Terror werden die Alpenvölker und dann das Alpenvorland unterworfen. Es wird weiter zwangsrekrutiert, umgesiedelt und mit Vertreibung, Angst und Schrecken operiert.

Einer von vielen Gründen, immer wieder Heere oder Heeresteile in Bewegung zu setzen ist die Erfahrung, dass von ihnen bei längerer Inaktivität Unruhen ausgehen können. Dann werden sie wieder aufs legale Töten, Zermetzeln, Vergewaltigen und Niederbrennen orientiert mit dem zusätzlichen Vergnügen des Beutemachens.

 

Ein großer Staatsapparat wird nicht aufgebaut. In der frühen Prinzipatszeit bedient sich der Augustus bei Angehörigen der eigenen familia, eigenen Sklaven und Freigelassenen, um seine Regierungsgeschäfte zu betreiben. (Sommer I, S.34) Ein immer größerer Teil der für heutige Verhältnisse zunächst niedrigen Steuern und Abgaben landet beim zunehmend professionalisierten Militär, wozu auch die erheblichen Abfindungen der Veteranen gehören, ein weiterer in der langsam immer prächtigeren Hofhaltung. Daneben wird eine wie schon in der späten Republik allgegenwärtige Korruption bedient.

 

***Die Muße der reichen Profiteure: Künste***

 

Sehr verschiedenartige römische Belletristik begleitet die untergehende Republik und das frühe Prinzipat. Ihre Rezeption durch Mittelalter und Neuzeit wird das Bild der römischen Antike massiv verfälschen und zu ihrer Verherrlichung beitragen.

Während die bildenden Künste reiche Auftraggeber erfordern und deren Erfordernissen dann auch unmittelbar dienen, finanzieren Machthaber spätestens seit Octavian/Augustus Autoren indirekt und lassen sie dafür die Prinzipatsideologie propagieren. Zuständig für das Heranziehen solcher Dichter wird Augustus enger Mitarbeiter Maecenas, der Horaz mit einem Landgut beschenkt, Vergil für das enteignete väterliche Gut entschädigt und auch Properz und andere materiell unterstützt.

 

Ein Teil dieser Literatur feiert die römische Militanz mit ihren durchgängigen Aggressionen, wie wenn Horaz formuliert:

Die Flut des Galliers, welcher dem Tode trotzt, / Das weite Land des störrischen Spaniers, / Sigambrer auch, die schlachtenfrohen, / Bergen die Waffen vor dir in Ehrfurcht. (Carmina IV). Zwei Jahrtausende darauf folgender Literaten werden das Morden, Metzeln, Vergewaltigen und Zerstören als Kriegspropaganda in ihrer formvollendeten Scheußlichkeit weiter betreiben.

Zur Gewaltverherrlichung kommt dann die widerliche Lobpreisung der Machthaber, wie wenn Vergil über den mörderischen Augustus in der 'Aeneis' behauptet: Das goldene Alter wird er wiederum stiften in Latium, womit er etwa das ethische Niveau von Brechts Verherrlichung des Massenmörders Stalin vorweg nimmt.

 

Bukolische Dichtung formulieren Autoren wie Vergil, wenn sie nach hellenistischem Vorbild idealisiertes Hirtenvolk feiern, oder aber verwandt damit Landbearbeitung, typische Literatur für wohlhabende Städter, denen körperliche Arbeit fremd ist.

 

Mit Catull, Properz und Ovid zieht eine Erotisierung der Geschlechterbeziehungen ein, die dazu neigt, Ehe und Familie verächtlich zu machen und flüchtige sexuelle Beziehungen einer dem Luxus ergebenen Oberschicht als "Liebe", amor, zu verherrlichen. 

So schreibt Properz an Cynthia: (...) in der Liebe bedeutet es nichts, Völker besiegt zu haben. / Ich ließe mir lieber den Kopf vom Halse trennen, / als meine Liebesglut der Laune einer Gattin zu opfern, / oder als verheirateter Mann an deiner verschlossenen Tür vorüberzugehen, / die ich verraten habe (...)

 

Die formal kunstvollen Texte eines jüngeren Ovid, in denen der Geschlechtstrieb als unverbindliche Spielerei ausgelebt wird, werden Lektüre der wenigen Belesenen des früheren Mittelalters werden.

Eines haben sie gemeinsam: Die wohlhabenden Herren Catull, Tibull, Properz und Ovid ziehen sich alle aus dem öffentlich-politischen Leben zurück und privatisieren. Zudem: Sie schreiben nicht für einen Markt, auf dem Geld zu verdienen ist, sondern um kunstvolle Fluchtperspektiven aus einer Wirklichkeit zu entwickeln, die sie offenbar anders nicht mehr zu ertragen vermögen.

 

 

***Kult und Religion***

 

Anhand eines Berichtes der Priester-Bruderschaft einer Fruchtbarkeitsgöttin von 118 wird einmal deutlich, was Kult bedeutet und wo seine Wurzeln liegen, und zum anderen, wie sehr er mit Festlichkeit und Unterhaltung verquickt ist:

Im Hain der Dea brachte der Obmann (...) am Altar zwei Säue als Sühneopfer für Beschneiden der Bäume und Vollführen von Arbeiten. Ferner brachte er am Opferherd der Dea Dia eine weiße Kuh als freiwilliges Ehrenopfer. Sodann setzten die Priester sich in der Halle nieder und nahmen ein Mahl von dem Opfer ein. Nachdem sie die Praetexta angelegt und Ährenkränze mit Binden aufgesetzt hatten, stiegen sie, während der Weg freigehalten wurde, in den Hain der Dea Dia hinauf und opferten durch den Obmann (...) und den Flamen (...) ein fettes Schaf. Nach Vollzug des Opfers spendeten sie alle Weihrauch  und Wein. Sodann wurden die Kränze herbeigebracht und die Götterbilder gesalbt. (...) Nach dem Mahl begab sich der Obmann (...), angetan mit Purpurmantel und Sandalen, einen geflochtenen Rosenkranz auf dem Haupt, an die Schranken und gab den Wagenlenkern und Kunstreitern das Zeichen. (Danach gibt es für die Sieger) Palmen und Siegerkränze als Ehrenpreise. (in: Christ, S.565)

 

Insgesamt dürfte schon in der späten Republik die Bedeutung der traditionellen (öffentlichen) Kulte immer stärker "machtpolitischer" Natur geworden sein. Mit den Einflüssen aus Griechenland und dann auch dem Orient kommen zur üblichen Götterwelt Mysterien und orgiastische Kulte hinzu, sehr unrömische Phänomene, die eine Tendenz weg von den ins Politisch-Zeremonielle erstarrten Staatskulten und hin zu Formen privater Gläubigkeit einleiten.

Privatleute befassen sich ohnehin eher mit Traumdeuterei, Astrologie, Wahrsagerei und ähnlichem, wenn sie nicht den aus dem Südosten stammenden Mysterienkulten der Isis, Kybele, oder des Mithras nachgehen. Diese sprechen in der Intimität kleiner Gruppen bei ritueller Aufnahme stärker die Emotionen an, wie beim taurobolium, der Besprengung mit dem Blut eines rituell geschlachteten Stieres im Kybele- und Mithraskult. Dabei geht es wie im Christentum um die Vorstellung des Eingehens in ein Heil nach dem Tode oder gar die mystische Vereinigung mit einem Gott. Rom wird immer "unrömischer" auch unter dem Einfluss bedeutender werdender anderer orientalischer Kulte noch vor der steigenden Bedeutung eines Christentums.

 

Die wenigen Belesenen dürften weiter die Kulte als staatstragendes Moment für die glaubensfroheren Massen akzeptiert haben, selbst aber seit dem Einfluss hellenischer Philosophie zu vagen, abstrakten Ein-Gott-Vorstellungen oder Skepsis zu neigen, letztere so nach dem Ovidschen Motto: Es ist nützlich, dass es Götter gibt, und da es nützlich ist, lasst uns daran glauben, dass es sie gibt. (Ars amatoria I)

 

Ein Sonderfall ist das sich überall weiter ausbreitende Judentum, dessen Unduldsamkeit und monotheistische Arroganz in den ersten hundert Jahren des Prinzipates immer wieder zu Zusammenstößen führt. Unter Nero kommt es auch kurz zur Verfolgung der (noch wenigen) Christen, wobei letzteren ansonsten vor allem mit Unverständnis begegnet wird. Etwas weiter gehen zumindest regional Christen-Verfolgungen erst viel später.

Neue jüdische Aufstände gibt es zwischen Alexandria, Zypern und Mesopotamien im Zuge der Kämpfe Trajans gegen die Parther, und darauf folgende Massaker gegen Juden.

130-35 führen massive gegen die jüdische Religion gerichtete Maßnahmen zum Bar-Kochba-Aufstand, in dem erneut etwa eine halbe Million Juden sterben, wie es heißt, und Iudea nun zur Syria Palaestina wird.

 

***Macht, Gewalt und Grausamkeit***

 

Tacitus beklagt das Ende eines idealisiert-aristokratischen Römertums:

Das Werk, das ich beginne, enthält eine Fülle von Unglück, berichtet von blutigen Kämpfen, von Zwietracht und Aufständen, ja sogar von einem grausamen Frieden. Vier Fürsten fielen dem Dolch zum Opfer, drei Bürgerkriege wurden geführt, noch mehr Kriege mit auswärtigen Feinden, beide Arten meistens zur gleichen Zeit. (...) Sklaven wurden bestochen gegen ihre Herren, Freigelassene gegen ihre Patrone und, wenn ein persönlicher Feind fehlte, der wurde ein Opfer seiner Freunde. (Historien I)

 

Dagegen setzen die neuen Caesaren den inneren Frieden, der aus der Klärung der Machtverhältnisse entstehen soll, der Alleinherrschaft eines einzigen Herrn, die bei Octavian/Augustus fast 50 Jahre dauert. An einen Nachfolger kann diese nicht offiziell weitergegeben werden, da der Herrscher formell seine Macht vom Senat empfängt. Aber ein Nachfolger kann nur  als materieller Erbe auftreten, als Sohn oder Adoptivsohn, als de facto-Erbe der aus den Legionen gebildeten Großklientel und durch die Übertragung der tribunicia potestas und des imperium proconsulare, wie das dann mit Tiberius geschieht, der wiederum auf Geheiß seines Vorgängers seinen Neffen Germanicus adoptieren muss. Dies wird dann in der weiteren Zeit der einzige geordnete Übergang eines Augustus auf seinen Nachfolger sein.

 

Unter den Kaisern wird die res publica, also die Summe der öffentlichen Angelegenheiten und ihrer Vertretung, nun in ersten kleinen Ansätzen in einen Staat verwandelt, der aus dem Kaiser, seinem Hof und seiner Verwaltung gebildet wird. Dieser kleine "Staat" ist seit Tiberius offener despotisch, wie Tacitus später kommentiert: In Rom warf sich alles der Knechtschaft in die Arme, Konsuln, Senatoren, Ritter. Gerade die Angesehensten waren die Heuchlerischsten und hatten es am Eiligsten. (In: Christ, S.183)

 

Die vom Senat verwaltete Staatskasse verliert immer mehr an Bedeutung; immer mehr der im Vergleich zu heute sehr niedrigen Steuern, durchschnittlich vielleicht 10% insgesamt, gelangen in den kaiserlichen fiscus und insbesondere in die kaiserliche Kasse zum Unterhalt des Militärs, Hauptausgabenposten.

Eine einprozentige Verkaufssteuer, eine vierprozentige Sklavenverkaufssteuer, Zölle, Markt- und Hafengebühren sind für alle im Reich gleich. Die Provinzialen müssen zudem erhebliche Grund- und Kopfsteuern entrichten, die römischen Bürger nur eine fünfprozentige Erbschaftssteuer.

 

In den ersten zwei Jahrhunderten Despotie wechseln sich immer wieder große Sparsamkeit mit extremer Verschwendung ab. Auf die folgen dann "erzwungene Erbschaften und Legate reicher Personen, skrupellose Konfiskationen von Gütern und Vermögen, die Verurteilung von Senatoren, Rittern, reichen Freigelassenen und Provinzialen, deren Hab und Gut eingezogen werden konnte (...) und die systematische Herabsetzung von Feingehalt und Münzfuß der Währung." (Christ, S.445)

 

Der Senat wird immer einmal wieder "gesäubert", und man muss nun für den Eintritt in ihn eine Million Sesterzen vorweisen. Immer neue Leute aus immer ferneren Gegenden steigen in ihn auf. Die Nobilität und die sogenannte Munizipalaristokratie wird entweder dem Herrscher dienstbar, oder sie genießt im Konsum ihren Reichtum.

 

Herrscher wird man auf dem Wege der Adoption, wie das schon für Tiberius gilt, vor allem aber durch die Erhebung durch das Heer oder die Prätorianergarde.

Herrschaftsmittel sind die Ermordung von Konkurrenten auch in der eigenen Familie, die willkürliche Tötung von Opposition mittels des Vorwurfs der laesa maiestatis, was schon Tiberius sechzig mal praktiziert. Ein stattlicher Teil der Herrscher werden selbst ermordet.

 

Die mit Geld, Heer und Verwaltung ausgeübte Macht hängt dabei sehr deutlich von der Persönlichkeit des Herrschers ab. Tiberius lässt den einzigen überlebenden Enkel des Augustus ermorden und dann auch noch dessen Mutter Julia. Der Senat fürchtet sich vor ihm.

Dabei zieht er sich irgendwann in ein Luxusleben auf Capri zurück und lässt dem Gardepräfekten Sejan das Feld in Rom, der mit seiner hochbezahlten Elitetruppe offenbar in der Stadt Angst und Schrecken verbreitet. Schließlich lässt ihn der Kaiser vom Senat verurteilen, hinrichten und den Leichnam von den Massen schänden. Auch Frau und Sohn sterben und zahlreiche Anhänger des Sejan werden hingerichtet.

 

Nach dem Tod des Tiberius ruft die Prätorianergarde Caligula, den Sohn des Germanicus, zum Augustus aus. Dieser erwirbt sich zunächst Zustimmung durch reiche Beschenkungen, was beim römischen Pöbel und Teilen des Militärs in Erinnerung bleibt. Antike Historiker berichten aber dann davon, dass er pläötzlich persönlich ("psychisch") gekippt sei, nun die Bevölkerung schröpft und das Geld dann  in einem durch mörderischen Terror  angereicherten Luxusleben verpulvert. Der Senat duckt sich in hündischer Feigheit vor ihm, bis man 41 einen Mörder findet.

 

Claudius verspricht jedem Prätorianer 15 000 Sesterzen und wird von ihnen zum Kaiser erhoben. Verdienste erwirbt er sich als Eroberer Englands, wiewohl dieser Vorgang erst einige Jahrzehnte später abgeschlossen wird. Den Senat empört. dass er sich immer mehr mit Freigelassenen umgibt, denen er Ämter zuweist und die sich in erheblichem Maße bereichern können; unter anderem muss man sie nun bestechen, um zum Kaiser zu gelangen.

Nachdem ihn Gemahlin Messalina für einen jungen Senator verlassen hat, heiratet er Agrippina, die aus voriger Ehe Nero als Sohn mitbringt. Dieser wird mit der 13-jährigen Claudiustochter Octavia verheiratet, und Agrippina bleibt der Spielraum zur Förderung ihres Sohnes überlassen, der am Ende zur Ermordung von Claudius durch Gift führt, wie es heißt.

 

Nero beseitigt Claudiussohn Britannicus und seine Mutter Agrippina. Ein Plan des Piso, Nero zu beseitigen, wird offenbar aufgedeckt, und dieser sowie Seneca und bald auch Gemahlin Octavia sowie manche anderen werden hingerichtet. Das ergibt die Möglichkeit, die wegen Schönheit wie Lasterhaftigkeit berühmte Geliebte Poppaea Sabina zu ehelichen.

Der ganze Charme römischer "Hochkultur" entfaltet sich in des Tacitus Beschreibung der Neronischen Christenverfolgung nach dem großen Brand Roms:

Man fasste also zunächst diejenigen, die sich öffentlich als Christen bekannten, dann auf deren Anzeige hin eine gewaltige Menge Menschen. Sie wurden weniger der Brandstiftung als des Hasses gegen das ganze Menschengeschlecht überführt. Bei der Hinrichtung wurde auch noch Spott mit ihnen getrieben, indem sie in Tierhäute gesteckt und von wilden Hunden zerfleischt wurden. Andere wurden ans Kreuz geschlagen oder, zum Feuertod bestimmt, nach Einbruch der Dunkelheit als nächtliche Fackeln verbrannt. (Annales XV, 44)

 

Nero versteht sich nicht zuletzt als poetisierender Sangeskünstler, der offenbar in Hellas wie Italien gerne als solcher auftritt, was ihm wie sein Philhellenentum die Verachtung der Senatoren einbringt. Gewichtiger aber ist die immer deutlichere Selbstherrlichkeit, mit der er herrscht. In Gallien tritt der Usurpator Galba mit Unterstützung eines Heeres auf. Bevor Nero hingerichtet werden kann, tötet er sich selbst.

 

Das mehr oder weniger durch "Adoptionen" zusammengehaltene julisch-claudische Kaiserhaus endet in einem Bürgerkrieg mit vier Kaiser-Prätendenten hintereinander, in dem deutlich wird, wie sehr Rom längst von einer Art Militärdikatur beherrscht wird.

Zwischen 69 und 96 herrschen Vespasian, Titus und Domitian. An die Stelle von immer neuen Bürgerkriegszuständen tritt grausame Despotie: Tacitus lässt den römischen Legaten folgendes an die aufständischen Treverer verkünden:

(...) man kann nicht ohne Waffen die Ruhe der Völker, auch nicht die Heere ohne Sold und den Sold ohne Steuern haben. (...) Grausame Principes stürzen sich auf die zunächst Erreichbaren. Wie Dürre oder alzu häufigen Regen und alle übrigen Heimsuchungen der Natur, so ertragt eben die Schwelgerei oder die Habsucht der Despoten! Laster wird es immer geben, solange es Menschen gibt. (Historien IV)

 

Nach der Eroberung Englands ab 43 kommt es immer wieder zu Aufständen. Der erste große findet 61 unter Boudicca statt und wird auf das blutigste unterdrückt. Nach 122 wird mit dem Hadrianswall eine ähnliche Grenze gezogen wie mit dem Limes gegen die Germanen.

Was Romanisierung in Britannien bedeutet, hat Tacitus schön dargestellt:

Dann ließ er die Söhne der Fürsten in den freien Künsten bilden und stellte die Begabung der Britannier über die Bemühungen der Gallier, so dass die, welche eben noch die römische Sprache abwiesen, jetzt Beredsamkeit begehrten. In der Folge kam sogar unser Aussehen zu Ehren, und die Toga wurde häufig. Und allmählich ging man zu Annehmlichkeiten und Ausartungen über, zu Säulenhallen, Bädern und erlesenen Festgelagen. Und das hieß bei den Unerfahrenen Kultur, während es ein Teil der Knechtschaft war. ('Agricola' 21)

 

Titus folgt auf Vespasian bei der Niederschlagung des großen jüdischen Aufstandes, die 70 in der Oberstadt von Jerusalem endet:

"Zu Tausenden wurden die letzten Verteidiger erschlagen, die Stadt geplündert, ihre Mauern geschleift, wer sich ergeben hatte und mit den Leben davongekommen war, in die ägyptischen Bergwerke geschickt oder in die Sklaverei verkauft. Josephus gibt die Zahl der in diesem Krieg in Gefangenschaft geratenen Juden mit 97 000, die Gesamtzahl der Toten mit 1,1 Millionen an." (Christ, S.252)

 

Ab 69 wenden sich Bataver, Friesen und ihre Nachbarn gegen die immer rabiatere Machtausübung der Römer, verbünden sich mit germanisch besetzten römischen Kohorten und gewinnen Einfluss bis ins Moselland, bevor sie von Vespasian-Sohn Domitian unter dem Einsatz von acht Legionen erneut unterdrückt werden.

 

Domitian treibt die Despotie auch äußerlich weiter voran. Er lässt sich für zehn Jahre zum Konsul und auf Lebenszeit zum Zensor wählen und als dominus et deus anreden.

"Der princeps wurde nun stets von vierundzwanzig Liktoren begleitet, betrat den Senat im Triumphalgewand, seine Person wurde faktisch (...) unnahbar. Bei den von ihm zu Ehren des Juppiter Capitolinus gestifteten Spielen trug Domitian eine purpurne Toga nach griechischem Zuschnitt, auf dem Kopf eine goldene Krone (..." Christ, S.275)

 

Unter dieser verschärften Despotie des Domitian werden wieder mehr Senatoren hingerichtet. Tacitus schreibt:

Wir gaben in der Tat einen schönen Beweis von Unterwürfigkeit; und wie die alte Zeit sah, was das äußerste in der Freiheit ist, so wir, was in der Knechtschaft, wobei durch geheime Überwachung auch der Austausch im Hören und Sprechen genommen war. Auch das Gedächtnis hätten wir noch mit der Stimme verloren, wenn es so in unserer Macht stünde, zu vergessen wie zu schweigen. (Agricola, 2.3)

 

Seit Domitian beginnen Einfälle der leicht anzivilisierten Daker, die zunächst über die Donau zurückgetrieben werden. Illyrien und die ganze Balkanhalbinsel werden erobert, im unteren Donauraum sollen an die 100 000 Menschen umgesiedelt worden sein.

 

Auch Domitian wird am Ende samt seiner engsten Helfershelfer ermordet, worauf dann auch die erschlagen werden, die unter ihm als Denunzianten ihre Herren und Patrone massenhaft dem Tod ausgeliefert hatten. Eine Weile später werden dann auf Druck der Prätorianergarde auch noch die Mörder Domitians hingerichtet.

Einer der Verschwörer gegen Domitian wird aber sofort sein Nachfolger: Nerva. Mit ihm wird versucht, zu einer weniger von Terror geprägten Form des Prinzipates zurückzukehren. Mit der Idee des kinderlosen Nervas, Trajan direkt als Nachfolger zu adoptieren, wird dann etwas ähnliches wie eine Erbmonarchie angestrebt.

 

Während die iberische Baetica unterworfen bleibt und ziemlich schnell romanisiert wird, so dass von dort dann die Kaiser Trajan und Hadrian herkommen werden, leisten vor allem die Kantabrer, Asturer und Galizier heftigen Widerstand, der mit äußerster Brutalität niedergeschlagen werden muss.

 

Mit Trajan erreicht das Reich seine größte Ausdehnung einmal durch Eroberung und Ausplünderung von Dakien, die mit "grausamen Gemetzeln, Zerstörungen und Umsiedlungen großer Bevölkerungsgruppen" (Christ) vonstatten geht, und die eine Beute von fünf Millionen römischen Pfund Gold und 10 Millionen Pfund Silber erbracht haben soll, zudem rund 500 000 Kriegsgefangene, die auch zu Geld zu machen sind. Dakien soll danach so entvölkert sein, das große Menschenmassen von überall aus dem Reich dort neu angesiedelt werden. Nach der Ausplünderung der Menschen kann dann unter der Erde nach dem vielen Gold, Silber, Eisen und Blei gegraben werden.

 

Dazu kommt die zeitweilige Eroberung von Armenien und Mesopotamien und die Annektion des Nabatäerreiches um Petra als Provinz Arabia. Dabei gerät Rom in Konflikt mit dem Partherreich. Seitdem ist das Reich im Osten dann in die Defensive, wie es mit den Angriffen der Parther in der Zeit Marx Aurels erleben muss. Sie und dann die Sassaniden bilden auf Dauer ein konkurrierendes und machtmäßig ebenbürtiges Großreich.

 

Unter Hadrian, wie Trajan aus reicher Familie italischer Kolonisten in der hispanischen Baetica, konsolidisiert und verändert sich das inzwischen geschätzte 60 Millionen Einwohner umfassende Reich, welches immer stärker auf den Kaiser ausgerichtet wird, der Heerführer und zugleich als divus vergöttlicht ist. Zentrum neuer Städte ist der Tempel des Kultes des aktuellen Kaisers. Im monumentalen Pantheon, dem Mausoleum (Engelsburg) und Hadrians riesiger Phantasieresidenz bei Tivoli spiegelt sich der despotisch zentrierte Reichsgedanke, der überall mit kaiserlichen Bauten repräsentiert wird. Auch mit teuren Spielen und Geschenken an die vielen Armen macht er sich schnell in der Hauptstadt beliebt.

Geherrscht wird inzwischen mit einem vergrößerten Beamtenapparat. Straßen und Kuriersystem werden weiter ausgebaut.

 

Durch den belesenen Hadrian wird in neuer Schub der Hellenisierung eingeleitet, den seine Knabenliebe zu Antinoos, der nach seinem frühen und mysteriösen Tod ebenfalls vergöttlicht wird, ebenso repräsentiert wie die Errichtung eines Panhellenion in Athen und seine Bekleidung des Amt eines Athener Archonten.

 

Die weitere religiöse Erniedrigung der Juden führt zu Aufständen unter Bar Kochba in Palästina und in Ägypten und der Kyrenaika, die ebenso niedergeschlagen werden wie solche der Mauren.

 

Der erste Versuch der Etablierung eines Nachfolgers durch Adoption, begleitet von der Ermordung zahlreicher möglicher Konkurrenten, scheitert am frühen Tod desselben. Sein Nachfolger Antoninus Pius kann nur mit Mühe die consecratio (Vergöttlichung) des in seinem Mausoleum beigesetzten Hadrian durchsetzen, - Voraussetzung für sein eigenes Überleben.

Der Expansionsdrang der römischen Caesaren ist inzwischen zum Stillstand gekommen, aber Aufstände in Britannien, Dakien, Nordafrika und Judäa erinnern daran, dass das Reich das Ergebnis brutalster Eroberungen und grausamer Unterdrückungsmaßnahmen ist.

 

***Integration und ihr Scheitern***

 

Der Weg von der Stadt Rom zum großen "Reich", dem Imperium Romanum, erreicht mit Octavian/Augustus die weitgehende Romanisierung der Italia, und zwar teilweise durch Völkermord, partiell durch Ansiedlung von Römern bzw. Latinern, also Kolonisierung von zuvor den Einheimischen geraubtem Land, was von romanisierten Städten bzw. Militärstationen dann auf das Umland übergreift, nicht zuletzt aber durch Korrumpierung der lokalen und regionalen Oberschicht, welche im Konsumstandard und Status mit den Römern gleichziehen möchte und darum sich selbst romanisiert. Man spricht nun Latein, opfert den Göttern der Eroberer, die mit den eigenen gleichgesetzt werden, und etabliert in den oft neuen Städten mit Forum, Tempeln, Basiliken, Wasserversorgung und Stadthäusern der Wohlhabenden die Imitation der Hauptstadt in kleinerem Maßstab.

Entsprechend entwickeln sich die Eigentumsverhältnisse: Wenige Reiche und Mächtige teilen sich in Villenbesitz und Latifundien, eher wenige Arme teilen sich in kleinbäuerliche Betriebe und die Zahl der Besitzlosen schwillt beträchtlich an.

 

Im Kern findet all das auch anderswo statt, und Romanisierung wird fast überall auch durch Wellen von Aufständen hindurch auf das Brutalste durchgesetzt. Im Osten folgt östlich von Kern-Griechenland Romanisierung auf Hellenisierung, wobei lokale und regionale Sprachen, das Griechisch einer Oberschicht und das Latein der Verwaltung nebeneinander bestehen.

Der ethnisierte Monotheismus der Juden macht sie in ihrem Kernland besonders widerstandsfähig und -bereit gegenüber römischer Überfremdung und Ausplünderung und führt im jüdischen Krieg bis 70 (Masada) zur Zerstörung des Tempels und dem Ende seiner Priesterschaft. Mit dem Bar-Kochba-Aufstand 132-35 kommt es zur weiteren Vertreibung aus ihrer ursprünglichen Heimat, nachdem indirekte Herrschaft nicht funktioniert.Unter der Führung von Rabbinern entsteht überall in der Diaspora ein neuartiges Judentum.

Unter direkte Herrschaft gelangen auch Kleinkönigtümer zwischen Kommagene und die durch Handel reich werdenden Oasenstadt Palmyra, die allerdings erst im dritten Jahrhundert ihre Autonomie verliert.    

 

England ist ein Beleg dafür, dass der römische Expansionsdrang auch weitgehend unprovoziert durch Bedrohung von außen vonstatten gehen kann, getrieben von der Gier nach Zinn und Blei. Es ist zudem ein Beleg dafür, dass Romanisierung überall im Kern von jener kleinen Oberschicht getragen wird, die unmittelbar von ihr profitiert, sowie natürlich von den Truppen mit ihrem brutalen Militarismus, der die ganze römische Geschichte durchzieht: Mit dem Abzug der Truppen schwindet dann fast sofort das römische Städtewesen dort sowie die von Römern getragenen Macht- und Besitzstrukturen.

 

Fast drei Jahrhunderte früher wird die iberische Halbinsel als Hispania beansprucht, aber erst unter Augustus, also nach hunderten von Jahren brutalster Unterdrückung gelingt es den römischen Legionen, die heimischen Zivilisationen und Kulturen hinreichend zu zerstören, um solide Romanisierung über die zentralen Kolonialstädte Augusta Emerita (Mérida), Corduba und Tarraco (Tarragona) durchführen zu können.

 

Gallien wird relativ schnell nach der Eroberung von einem recht engen Netz römischer Städte durchzogen, die die keltischen "oppida" ablösen, und die das Land relativ schnell romanisieren. Dabei vermischen sich nach und nach heimische und zugezogene Oberschicht und betreiben dann die Romanisierung des Umlandes der Städte.

 

Die völlige Durchsetzung der Romanitas einer Elite samt erzwungener Unterwerfung der arbeitenden Massen darunter bedeutet in diesem Riesenreich nicht, dass sich nicht ein regionales Selbstbewusstsein erhält und bei der geringsten Schwäche der Zentralgewalt wieder verstärkt. Aus den am Ende vergeblichen Aufständen gegen die römischen Herren werden dann Versuche, mit Hilfe von regionalen Heereskontingenten Usurpationen der Macht zu starten, und am Ende wird das Westreich nicht zuletzt auch auf diese Weise zerfallen.

 

***Städte***

 

Das römische Reich besteht aus einer Zentrale, welche bis tief ins Prinzipat hinein die urbs Roma bleibt, in der weiter Senat und Magistrate existieren, auch wenn sie im Laufe von zwei Jahrhunderten ihren Einfluss verlieren, und in welcher Kaiser meist noch von ihren Palästen aus mit Hilfe des Heeres und des Geldes herrschen.

Seit Augustus setzen Kaiser Magistrate und Ämter ein, um die Riesenstadt zu verwalten. Erste Aufgabe ist immer die Getreideversorgung (cura annonae), zunehmend auch die mit Speiseöl, und die Wasserversorgung über riesige Aquädukte, die täglich eine geschätzte Milliarde Liter Wasser in die Stadt leiten. Dazu kommt noch die städtische Feuerwehr. Wichtig ist auch der Bau und Ausbau der Straßen von und nach Rom und der Botendienste entlang solcher Straßen.

 

Die römische Oberschicht setzt sich auch in der Zeit des sogenannten Prinzipats aus der sehr überschaubaren Gruppe der Senatoren und den Rittern zusammen, von denen es zur Zeit des Augustus bereits etwa 20 000 gibt und die dann immer mehr werden.

Der entmachtete Senat wird zu einer Art "Notabelnversammlung" (Christ) von Familien mit einem Vermögen von wenigstens einer Million Sesterzen, gelegentlich bis zu 10-20 Millionen, die ihre Söhne den cursus honorum durchlaufen lassen. Bereits in den ersten beiden Jahrhunderten sinkt dabei der Anteil italischer Konsuln immer weiter.

Ritter durchlaufen oft ebenfalls den cursus honorum oder eine Militärlaufbahn, viele sind aber auch einfach reiche Geschäftsleute.

 

Die Wohnverhältnisse der städtischen Massen in rund 40 000 Insulae (Mietshäuser) um etwa 100 n.d.Zt. verbessern sich nicht. Platz dafür geht an die Stadthäuser der Reichen, insgesamt an die 1800 domus, und an die öffentlichen Protzbauten verloren, und ersatzweise werden suburbia eingemeindet, auch um zuwandernde Massen unterzubringen. Die Fläche der Urbs Roma verdoppelt sich so in kurzer Zeit.

Die meisten Menschen wohnen in kleinsten und dunklen Mietwohnungen von wenigen Quadratmetern zusammen gepfercht, meist ohne Wasserleitung,  Küche und Toilette. Letztere werden teilweise durch öffentliche Toilettenräume ersetzt. In diesen Mietsbauten muss es übel gestunken haben und es herrscht wohl drinnen wie draußen großer Lärm, was es schwer macht, in Ruhe zu schlafen. Das Leben hat wohl wesentlich draußen stattgefunden, dabei kosten solche kleine Wohnräume offenbar manchmal fast das Jahresgehalt eines einfachen Arbeiters.

 

In der Stadt Rom wird die Getreideversorgung seit Augustus für 200 000 oft arbeitslose bzw. gering verdienende Stadtrömer gratis. Die Mengen reichen allerdings wohl kaum ganz zur Ernährung einer Familie aus.

 

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Jenseits der Zentrale gibt es bzw. entstehen mehr als tausend Städte, Kolonien und Munizipien, mit denen bzw. von denen aus mehr oder weniger "Romanisierung" stattfindet, also Überfremdung. Urbanisierung ist dabei häufig identisch "mit einer brutalen Okkupation der wertvollsten Anbauflächen, mit der Vertreibung der Besitzer, die ihr bisheriges Eigentum allenfalls noch als Pächter bewirtschaften konnten, sowie mit der Aneignung von Häusern, Vieh, Gerät und beweglicher Habe aller Art." (Christ, S.456)

 

Civitas ist in der Kaiserzeit zunächst eine ländliche Gemeinde, die einen städtischen Kern ausbildet. Munizipien zeichnen sich durch einen großen Anteil römischer Bürger aus, während coloniae geschlossene Ansiedlungen römischer Bürger sind.

Die meisten Städte sind Kleinstädte wie Pompeii.In ihnen besitzen Stadtrömer neben ihrem hauptstädtischen Haus und ihrer villa rustica auf dem Landbesitz nun eine villa urbana, wo sie bei städtischem Komfort dem Lärm, Gestank und Gedränge der Urbs Roma entkommen.

Unter 50 000 Einwohner haben Narbonne, Köln, London. Darüber liegen Lyon, Trier, Cádiz. Über 100 000 Einwohner sind für Alexandria, Antiochia und Karthago anzunehmen.

Für unsere kommenden Betrachtungen wichtig wird, dass der Norden Galliens und die Atlantikküsten der iberischen Halbinsel samt dem Landesinneren kaum urbanisiert werden.

 

Verwaltet werden sie von den Stadträten des ordo decurionum, von dem aus man in den Ritterstand, in Offizierspositionen und in selteneren Fällen bis in den Senatorenstand aufsteigen kann. Je nach Stadt und Region ist es verschieden, wie man in den Rat der Stadt kommt und welches Vermögen man dafür mindestens vorweisen muss, bis man schließlich bald dann Kurialer auf Lebenszeit und das Amt dann erblich wird.

 

Da dies Amt ehrenamtlich ausgeübt wird und zugleich mit erheblichen finanziellen Verpflichtungen verbunden ist, ist es von vorneherein Sache einer kleinen Oberschicht, die bald auch die Magistrate (mit deren Aufwand) unter sich verteilen muss, was zum Schwinden der dortigen Volksversammlungen führt. Diese Reichen und Mächtigen finanzieren dabei die Kulte und die Monumentalbauten der Theater und Amphitheater, der Tempel, der Märkte und Basiliken, Wasserleitungen und Bäder.

Insofern ist das ihre Stadt. Andererseits müssen sie aber die in weitgehender Untertänigkeit gehaltenen produzierenden, Handwerk und Kleinhandel treibenden und dienenden Massen ruhigstellen, was durch die Sicherstellung der Getreideversorgung und die von den Kurialen bereitgestellten Amüsier-Angebote wie Tierhetzen und Gladiatorenkämpfe geschieht. Dabei wird all das im Laufe der Zeit immer mehr von einer Ehre zu einer Verpflichtung, da es für all das kaum reguläre städtische Einnahmen gibt.

Anders als Städte des lateinischen Mittelalters finanzieren sich Städte des Römerreiches nicht aus ihrem Handel und Gewerbe, sondern aus dem, was die Grundgrundbesitzer im weitem Umland der Städte erwirtschaften und der Stadt an Wohltaten zur Verfügung stellen. Im Sinne von Max Weber handelt es sich weitgehend um "Konsumentenstädte", die im Mittelalter dann eher die Ausnahme werden.

 

***Brutalisierter Pöbel***

 

Vor allem in Rom selbst kommen zu den regulären und außerordentlichen Lebensmittelleistungen immer einmal wieder teilweise beträchtliche Geldgeschenke. Die Menschenmassen werden dabei seit den Bürgerkriegen in Käuflichkeit eingeübt und beschränken so ihre Bedürfnisse meist brav auf den Konsumbereich, was (nicht nur) den untertänigen Massen der Europäer heute sehr vertraut sein dürfte.

 

Unter Domitian wird Juvenal das "Volk" in seiner zehnten Satire so kommentieren: Schon lange, seitdem es keine Stimme mehr zu verkaufen gibt, hält es sich fern. Einst verlieh es Feldherrnamt, die Fasces, Legionen, Alles - jetzt begnügt es sich und hegt nur noch zwei angelegentliche Wünsche: Brot und Spiele!

 

Vor allem werden die Massen durch ein umfangreiches Amüsierprogramm ruhig gestellt, ähnlich wie auch heutzutage, allerdings teils gratis, teils leichter erschwinglich, bei Augustus an 65 Tagen, danach dann immer häufiger: Da ist das Theater mit Schauspiel überwiegend auf niedrigem, derbem Niveau, das Odeon, eine Art Variété, da sind die Rennbahnen für Wagenrennen mit bis zu zehn vorgespannten Pferden, deren größte der Circus Maximus für am Ende wohl mindestens 150 000 Zuschauer ist; da sind die Arenen für Gladiatorenkämpfe und ähnlich brutale Spektakel wie das von Vespasian veranlassste Amphitheatrum, welches später einmal Kolosseum heißen wird und für 50 000 Zuschauer eingerichtet ist. Dazu gehören auch die großen Bäderanlagen, den Griechen abgeschaut, und noch manches mehr.

 

Massen: Amüsier-Arenen haben selbst in der Provinz Platz für bis zu über 30 000 Menschen. In regelmäßigen Abständen auftretende erlebte Vermassung verstärkt das, was den Untertanen auszeichnet: Er verliert zur Gänze das, was er nur als Einzelner überhaupt erleben könnte, nämlich das Gefühl eigener Verantwortlichkeit, das eben, was ihn als Individuum vom Untertanen unterscheiden würde.

Die brüllenden und kreischenden Horden in den Arenen - damals wie heute - erlauben aber andererseits auch jene Glücksgefühle, welche nur unter Ausschalten jeglicher Verstandestätigkeit möglich sind, und wie sie ähnlich kurzzeitig durch den alle Zivilisationen ebenfalls auszeichnenden bewusstseinsverändernden Drogenkonsum hervorgerufen werden können. Damit begeben sich Menschen nicht - wie gelegentlich behauptet wird - auf das Niveau animalischer Bestialität, sondern sie sinken weit darunter. Nur diese Denaturiertheit der zivilisierten Menschenmassen wird es denn auch möglich machen, dass sie den Lebensraum Erde und damit am Ende seine eigenen Überlebenschancen mit gnadenloser Konsequenz zerstören werden.

 

Das Zelebrieren des rauschhaften Unverstandes taucht schon im in die griechische Zivilisation integrierten Dionysoskult auf, nirgendwo so drastisch wie bei Euripides vermittelt/kommentiert, und es begleitet auch den Festkalender der Römer. Vor den zur Zeit des Domitian an die hundert Tagen mit Wagenrennen im Circus Maximus findet ein Umzug statt, an dem als Satyrn verkleidete Männer eine wichtige Rolle spielen. Zivilisierung verlangt als Gegenpart nicht Kultivierung, sondern De-Naturierung im kompensatorischen Rausch. Soweit passt auch die Teilnahme der reichen Oberschicht an den Massenphänomenen spätestens, seitdem sie fast wie der Pöbel Untertanen von Militärdiktatoren geworden sind.

 

Brutalisierung: Im Laufe des ersten Jahrhunderts nimmt der Umfang der zum Amüsement der Stadtrömer in Tierkämpfen sich zerfleischenden und umkommenden wilden Tiere immer mehr zu, bis es unter Domitian zu großangelegter Ausbildung der entsprechenden Tierfänger kommt. Zudem werden die Tiere immer exotischer, dazu gehören schon früh Löwen, Leoparden, Bären, Elefanten.

Bei der Einweihung des "Kolosseums" unter Titus werden an 100 Tagen 5000 Tiere verbraucht. Trajan alleine lässt dann innerhalb von drei Jahren an 117 Tagen zur Feier der Vernichtung der Daker knapp 5000 Gladiatorenpaare gegeneinander kämpfen und setzt zudem in dieser Zeit rund 11 000 wilde Tiere für Spiele ein. Die Massen sind begeistert. Regulär finden dann im Kolosseum rund 25 Veranstaltungen im Jahr statt.

 

Auch wo nicht Menschen sich zum Amüsement der Massen gegenseitig niedermetzeln oder Tiere sich oder Menschen für diese frühe Spaßgesellschaft

zerfleischen, ist gnadenlose Grausamkeit Kern der Belustigungen: Selbst Wagenrennen gewinnen ihren Hauptspaß darin, dass sie für Wagenlenker immer lebensgefährlich sind und die meisten früh auf der Rennbahn sterben. Dazu wird erwartet, dass sie fast ohne Regeln gegeneinander ankämpfen und dabei den Tod der Gegner billigend in Kauf zu nehmen haben.

Entsprechend sind es meist Sklaven, die in den Rennfirmen mit Leib und Leben für das Amüsement dieser grausigen Massen herhalten müssen - und für die hohen Erträge, die das Amüsiergeschäft insgesamt für die Unternehmer einbringt, deren (Millionen)Geschäft das alles damals wie heute ist. Diese Sklaven sind Eigentum der vier großen Rennställe, die auf dem Circus Maximus auftreten wie auch das jener Unternehmer der in Kasernen ausgebildeten und untergebrachten Gladiatoren.

 

***Wirtschaften***

 

Wenn man von Wirtschaft der römischen Antike reden will, geht es im wesentlichen um Landwirtschaft und Handel. Das Kleinbauerntum wird unter dem Prinzipat weiter weniger, ohne aber zu verschwinden. Da es weiter Subsistenzwirtschaft betreibt, fällt es weitgehend aus einem Markt heraus. Die mittelgroße Einheit einer villa nimmt weiter zu, von Sklaven bearbeitet und spezialisiert auf einen Markt ausgerichtet. Weiter zu nimmt auch das latifundium mit mehr als 125 ha Land. In seiner Naturgeschichte schreibt der ältere Plinius:

Um die Wahrheit zu sagen, haben die Latifundien Italien ruiniert und werden wahrscheinlich schon bald auch die Provinzen zum Ruin bringen. Sechs Landherren waren im Besitz der einen Hälfte der Provinz Africa, zu der Zeit, als Nero sie alle beseitigen ließ. (Historia naturalis 18)

In den Briefen des Seneca lautet das so: Vernehmt, ihr reichen Männer, einmal ein ernstes Wort, und weil der einzelne davon nichts hören mag, so sei es öffentlich gesagt: Wo wollt ihr euren Besitzungen die Grenzen setzen? Der Bezirk, der einst eine Gemeinde fasste, dünkt jetzt einem Grundherrn eng. Wie weit wollt ihr eure Ackerfluren ausdehnen (..., in: Christ, S.488)

 

Im Unterschied zur Villenwirtschaft und kleineren Latifundien kommen die ganz großen eher ohne Sklaven aus, die derart massiert gefährlich werden könnten und wohl auch in der großen Fläche unproduktiv arbeiten würden. Stattdessen produzieren dort auf Parzellen Kleinpächter, die so wie früher ganz allgemein der Bauer, nämlich colonus heißen. Sie haben eine erhebliche Pacht in Geld oder Naturalien zu leisten und zudem in gewissem Umfang Arbeitsdienste. Wo es, wie bei den kaiserlichen Domänen und manchem anderen Großgrundbesitz, um eine ganze Anzahl riesiger Flächen in verschiedenen Teilen des Reiches geht, verwalten das verschiedene Pachtunternehmer bzw. Verwalter, die versuchen, möglichst viel aus den Kleinpächtern herauszupressen. Andererseits wird von der Rentiers-Oberschicht kaum etwas unternommen, um Produktion zu steigern, anders als es von kirchlichem Großgrundbesitz nach dem ersten Millenium berichtet wird.

 

Dennoch besteht unter dem Prinzipat mancherorts ein Viertel der Bevölkerung aus Sklaven, und zusammen mit den vielen Freigelassenen machen sie gelegentlich die Mehrheit der Bevölkerung aus.

Vom rechtlichen Status her unterscheiden sich Sklaven und "freie" Bürger weiterhin, in manchem nähern sich einige der letzteren aber immer mehr an. Am deutlichsten wird das wohl bei dem immer unfreieren Status der abhängigen Bauern auf den Besitzungen der villae und auf den Latifundien.

 

Was Sklaven selbst von ihrem Status halten zeigt die Tatsache, dass Sklaven unentwegt und in großer Zahl vor ihren Herren fliehen. Was "freie" Römer (ingenui) fast durchweg von der Sklaverei halten, zeigt die Tatsache, dass auch Christen, wenn das Geld reicht, Sklaven besitzen und sich seit Paulus die Kirche kaum gegen Sklaverei äußert. Selbst Freigelassene, von denen Texte überliefert sind, wenden sich nicht gegen die Sklaverei.

 

 

Freie stadtrömische Bürger, cives, sind in der Masse Handwerker, Kleinhändler, Dienstleister und Gelegenheitsarbeiter. Sie sind, auch wenn das eher wenig dokumentiert ist, wohl oft in Berufsvereinen, collegia organisiert, die einen gemeinsamen Kult pflegen und gemeinsam Feste feiern. Selbst wo es wie in bestimmten Keramikbereichen zu Massenproduktion kommt, verteilt diese sich in der Regel doch auf viele kleinere Betriebe. Gemeinhin arbeiten in Werkstätten Freie und Sklaven zusammen; vor ihnen ist oft ein Verkaufsladen, und die Eigentümer wohnen darüber.

 

Meist werden handwerkliche Produkte auch nur regional verkauft, vor allem bei Transporten über Land, die sehr teuer sind, auch wenn die primär für militärische Zwecke gebauten Fernstraßen etwas helfen. Das gilt etwas weniger für alte griechische Städte, die schon länger auch für Fernhandel (insbesondere auf dem Seeweg) produzieren. Der zweieinhalb-prozentige Binnenzoll zwischen großen Zollregionen hingegen spielt kaum eine Rolle. (Christ, S.118)

 

Größere Töpfereien und Ziegeleien mit Massenproduktion sind oft in der Hand großer Grundbesitzer, die hier ihren Rohstoff Erde nebenbei auch auf diese Weise kommerzialisieren, ohne aber wohl großen unternehmerischen Eifer zu entwickeln.

 

Die Qualität des privatwirtschaftlich und in Handelskorporationen organisierten Fernhandels über das Mittelmeer hängt daran, inwieweit das Seeräuber-Unwesen eingegrenzt werden kann. Zwei wichtige Güter des Seehandels sind Getreide und Speiseöl, weil die Menschen der Großstädte mit mehreren hunderttausend Einwohnern nur so noch ernährt werden können. Zur Zeit des Augustus werden ungefähr 150 000 Tonnen Getreide allein aus Ägypten über Ostia nach der Millionenstadt Rom transportiert, daneben auch aus Sizilien und Nordafrika. Zur Zeit des Hadrian könnten es bereits 250 000 Tonnen gewesen sein. Bis zu über 100 000 Tonnen dienen zudem der Versorgung der Armee (Sommer II, S.204). Das Massengut Speiseöl wiederum kommt aus Süditalien oder Griechenland.

 

Ansonsten dominieren im Fernhandel wie bis tief ins Mittelalter hinein Luxusgüter. Gewürze, Edelmetalle, Edelsteine, Elfenbeinschnitzereien, Schmuck und Seide kommen zum Beispiel aus Indien und Äthiopien, Weihrauch aus Südarabien über Zwischenhandels-Stationen wie Petra seit etwa 100 und dann Palmyra. Keramik kommt aus Südgallien, Marmor aus den Apuanischen Alpen, manchmal auch aus Griechenland, zudem Holz und Wein aus dem ganzen Mittelmeerraum (Sommer II, S.54)

 

Handelskapital muss es im Reich durchaus gegeben haben, solches, welches auf bestimmte Waren spezialisiert ist wie solches, welches Handel mit einer bestimmten Region betreibt. Dabei dürften einige Firmen auch eine beträchtliche Größe gehabt haben. Im zweiten Jahrhundert schreibt ein Aelius Aristides über den blühenden Hafen von Ostia:

Das Ein- und Auslaufen der Schiffe hört niemals auf, so dass man sich nicht nur über den Hafen, sondern sogar über das Meer wundern muss, dass es, wenn überhaupt, für die Lastschiffe noch ausreicht. (in: Christ, S.501)

 

Im antiken Römerreich eher selten ist ein auf naturwissenschaftlich-technische Gegenstände orientierter Forschergeist, wie er sich im Verlauf des Kapitalismus entwickeln wird. So etwas ist für Römer immer an eine unmittelbare Nutzanwendung geknüpft. (Christ, S.507ff)

 

Als erhebliche technische Leistungen der römischen Antike mögen die Gewölbe angeführt werden, mit denen Hallen (Basiliken) überspannt werden und die Rundbögen, mit denen enorm lange Aquädukte für die Wasserversorgung der Städte und steinere Brücken gebaut werden. Ein solches technisches Niveau wird dann langsam in der Zeit wieder erreicht werden, in der Kapitalismus sich einzuwurzeln beginnt, nach dem ersten Jahr Tausend. Eine weitere Errungenschaft ist das senkrechte Mühlrad zum Mahlen von Getreide.

Handwerkliche Spitzenleistungen gibt es auch in der Keramik, der Glasproduktion und anderen Bereichen der Luxusproduktion für die Oberschicht.

 

 

Stämme, Völker, Wanderungen und das Reich

 

Aus Stammeskulturen entwickeln sich auf der italischen Halbinsel manchmal städtische Zivilisationen wie bei den Etruskern und eben auch mit der urbs Roma, oder aber im Süden und auf Sizilien und den kleineren Inseln durch Besiedlung, und zwar von Hellenen und Karthagern. Überlebende Reste von Stammeskulturen ziehen sich in die Berge zurück und werden dann später zu einem guten Teil von den Römern ausgerottet oder aber nach Kriegen mehr oder minder gewaltsam überfremdet.

 

Nach zwei Jahrhunderten Prinzipat haben es die Römer geschafft, die Stammeskulturen in Gallien und auf der iberischen Halbinsel, ja selbst in England und zwischen Donau und Balkan teils durch Völkermord, teils durch systematische Überfremdung bei brutaler Unterjochung zu vernichten. Daneben werden zahlreiche städtebasierte Zivilisationen vor allem von Ägypten bis Kleinasien und östlich davon mit Kriegen nach und nach in das Riesenreich integriert.

 

Je größer das Reich, desto länger wird die Grenze zu Stämmen im Norden und Westen Englands, zu zum Teil nomadischen Stammesvölkern in Nordafrika und in den Steppen des Ostens, sowie zum Teil in Bewegung geratende Stämme in den Weiten Germaniens und weiter östlich von ihnen. Als kriegerische Gegner bleiben im Osten u.a. die Zivilisationen Armeniens und insbesondere die der Parther bzw. der Sassaniden im Gebiet des heutigen Iran.

 

Das Wort Stamm beruht auf der Vorstellung gemeinsamer Abstammung. Es soll hier Leute mit einer gemeinsamen Sprache, gemeinsamen Kulten, ähnlicher Lebensweise und Produktion benennen, die sich ganz auf der Basis von Tradition und ohne allgemeine Schriftlichkeit entwickeln.

 

Der ebenso wenig klare Begriff „Volk“ soll für die hier beschriebene Zeit zunächst damit in etwa zusammenfallen. Davon zu unterscheiden ist der populus, das "Volk" von Rom, womit die Schicht unterhalb des Adels gemeint ist, ein schichtspezifischer Ausdruck also. Beide Volksbegriffe werden sich von nun an in einem steten Wandel befinden.

 

Das germanische „Volk“ bedeutete wohl ursprünglich unter anderem eine Kriegerschar. Das spiegelt sich noch in den deutschen Ritterromanen um 1200, wo volc meist das Heer oder die Ritterschaft bedeutet. Aber in ihnen wird an einigen Stellen bereits jener Bedeutungswandel deutlich, der gelegentlich nun Bevölkerung zum Beispiel einer Stadt meint und dann zunehmend die Bevölkerung unterhalb des Adels, das gemeine volk Gottfrieds von Straßburg. "Volk" wird dann immer verächtlicher gebraucht werden, und zwar auch von den gehobeneren Kreisen des Bürgertums. Soweit handelt es sich um eine deutsche Besonderheit. (Vgl. Großkapitel im Anhang: 'Helden').

 

Im englischen Sprachraum wird das folc nach der (franco)normannischen Eroberung zunehmend durch das romanische people ersetzt. Dies wiederum entstammt dem römischen (lateinischen) populus. Folc sinkt dann nach und nach ab, bis es vor allem die nichtadelige ländliche Bevölkerung meint.

Der populus der antiken Menschen des Römerreiches ist die förmlich von der Senatorenschicht abgetrennte Bevölkerung (senatus populusque Romanum) und wird den deutschen Oberschichten viel später dazu dienen, Unterschichten als "Pöbel" abzuqualifizieren. Im Altfranzösischen werden die gentes der Lateiner übernommen und so tauchen bei Chrétien de Troyes die genz menües als pueples, kleine Leute auf, die zugleich vilains sind, ein Wort, welches auch die Bauern bezeichnet und später dann allgemein Schurken und Halunken.

 

Von einem klaren, alles übergreifenden Volksbegriff (volc, folc, people, peuple) kann also nicht die Rede sein.

 

Die Problematik des Volksbegriffes in der historischen Rückschau wird vielleicht am deutlichsten in den Schwierigkeiten der Benennung jener Völkerscharen, die seit der späten Antike aus dem Inneren Asiens in Europa hereinbrechen, und die selbst keine Texte hinterlassen haben. Sie sind in der Regel nomadisierende Viehzüchter aus Steppengebieten, die sich für Raubzüge zu bewaffneten Reiterscharen zusammenfinden. Nach den Hunnen, von denen wir fast gar nichts wissen, tauchen die Awaren an den Grenzen des oströmischen Reiches auf, wo sie sich im Bereich von Pannonien niederlassen und ein Großreich bilden. Sie waren offenbar im Zuge der Bildung eines zentralasiatischen Reiches der Gök-Türken vertrieben worden und haben sich in Südosteuropa Bulgaren und andere Slawen dienstbar gemacht, die in ihrem Reich dann die große Masse der Bevölkerung stellen, und die unter dem awarischen Khan ebenfalls als Awaren gelten, während sie, sobald sie daraus ausscheren, eben oft auch als Bulgaren bzw. "Slawen" gelten.

Awaren sind also eine (durchaus zentralasiatisch aussehende) dünne Oberschicht wie die Franken in Gallien, in die als Völkerschaft untergebene Völker auch begrifflich eingegliedert werden. Aware ist man unter der Herrschaft des awarischen Khans. Die Bulgaren treten in die Geschichte mit ihrer Reichsbildung auf (ost)römischem Boden ein. Slawen nördlich des Balkans, die in von Germanen verlassene Landschaften einwandern, sind vor allem in Stammeskulturen siedelnde Bauern, die einen Angriff der Awaren auf Byzanz zum Aufstand unter einem fränkischen Kaufmann nutzen, um dann nach und nach unter die erst lokale und dann regionale Kontrolle einzelner mächtiger Familien zu gelangen, was zur Herausbildung von Völkern führt. 

 

Stammes-Kulturen bzw. solche Völker sind im Unterschied zu Zivilisationen mobiler. Auf früher Stufe wandern sie, manchmal sogar von Jahr zu Jahr, von einem Jagdrevier, Weidegrund oder einem weniger fruchtbar gewordenen Boden zum nächsten. Den Bewohnern Nordamerikas wird das ab dem 16. Jahrhundert zum Verhängnis werden, denn die europäischen Einwanderer werden befinden, dass die Einheimischen, da sie keine schriftlichen Rechtstitel auf immobiles Eigentum vorweisen können, überhaupt keine Rechte auf ihren Halbkontinent haben.

 

Der Begriff Völkerwanderung operiert mit einem Volksbegriff, wie er außerhalb des germanischen Sprachbereichs nicht möglich ist und wie er zu der Zeit, in der diese  "Völker" "wandern", so auch völlig fehlt. Er taucht Ende des 18. Jahrhunderts unter anderem bei Friedrich Schiller auf und wird dann im 19. Jahrhundert schnell populär. Das ist deswegen kurios, weil das Wort "wandern" gerade dabei ist, einen erneuten Bedeutungswandel durchzumachen, den hin zu einer neuartigen Freizeitbeschäftigung zu Fuß. Zuvor hatte das Wort bestimmte Formen notwendigen Reisens benannt, wie bei der Gesellenwanderung.

Ursprünglich hatte Wandern seine Bedeutung als sich irgendwo hin wenden, aufmachen, in Bewegung setzen. Das konnte für die, die es sich leisten konnten, zu Pferde geschehen, auch schon mal unter Mitnahme von Karren für das Gepäck.

Zu den Ursachen, warum sich Teile von Völkern oder gar ganze in Bewegung setzten, um nicht mehr zurückzukehren, sind wir auf Vermutungen angewiesen, die hier nicht wiederholt werden müssen. Der Grund dafür ist, dass es sich um höchstens ein wenig anzivilisierte Völker handelt, die keine Texte hinterlassen haben. Erschließen lässt sich, dass fehlende Zivilisierung ders öfteren eine geringere Ortsfestigkeit der Besiedlung bedeutet. Innerasiatische Steppenvölker wiederum sind als Viehzüchter ohnehin Nomaden.

Absichten wiederum lassen sich aus dem entnehmen, was diese "wandernden" Völker tatsächlich tun. Einige suchen ganz offensichtlich neuen Siedlungsraum, wobei sie beim Aufbruch offenbar noch nicht ganz sicher wissen, wo sie genau hin wollen. Das lässt sich für die gotisch dominierten Völkerscharen so nachvollziehen, und jene Sueben, die sich am Ende auf dem Gebiet des heutigen Portugal niederlassen, werden das sicher bei ihrem Aufbruch noch nicht so geplant haben, so wenig wie die dann neben ihnen siedelnden Vandalen.

 

Solche militarisierten Völkerscharen in Bewegung ernähren sich, so ist anzunehmen, von dem, was sie unterwegs vorfinden. Eines darf man nicht vergessen: Krieger kämpfen, verteidigen, erobern, verletzen, töten, rauben, machen Beute, zerstören, vergewaltigen auch. Ihre Legitimation ist das Schlachtenglück, der Erfolg in der Gewalttätigkeit.

Ganz auf Beute aus sind innerasiatische Reiterscharen wie auch so manche größere Truppe von Germanen, die nach Erfolg dann wieder zurückkehren. Beide Verhaltensweisen gehen aber manchmal auch in einander über. Die Beute kann zudem dauerhaftere Begehrlichkeiten wecken.

 

Die nomadischen Völkerschaften aus dem Nordosten des römischen Imperium wie auch die germanischen und keltischen stoßen mit den klar und deutlich markierten Grenzen (wie dem Limes, dem Hadrianswall oder den Flussgrenzen) auf etwas für sie zunächst Fremdes und Neues. Grenzen sind mit grundsätzlicher Sesshaftigkeit und neuartigen Formen von Eigentum verbunden, das Überschreiten der römischen Grenzen, sei es über Verträge mit den dortigen Herren oder mit Gewalt, bietet ihnen nun bei Eingliederung in die Strukturen dieses Reiches selbst Sesshaftigkeit an und damit auch das Errichten eigener Grenzen bei Übernahme römischer Eigentumsvorstellungen.

 

 

Erinnern wir uns: Kelten waren einst in Norditalien eingewandert, wie auch in Hellas. Es sind überhaupt Völker aus dem Norden und Osten, die nie die stabile Sesshaftigkeit orientalischer Despotien erreicht haben, und die nun immer wieder gegen die Grenzen des römischen Reiches anrennen.

 

Im europäischen Nordosten herrschen immer noch ganz andere Verhältnisse als südlich und westlich davon: Es fehlen die Städte als Kernpunkte von Zivilisation und entsprechend ist auch die Sesshaftigkeit der Menschen geringer ausgeprägt. Germanische Stammeskulturen bestehen aus bewaffneten Bauern.

Was die Römer damals gentes nennen, können wir in diesem Sinne auch als Völker bzw. Stämme bezeichnen. Solche Stämme oder Teile von ihnen setzen sich immer wieder einmal aus nur zu vermutenden Gründen in Bewegung, wobei sie vorwiegend nach Westen und nach Süden ziehen. Dabei nehmen sie offenbar manchmal auch Teile anderer Völkerschaften mit und integrieren sie zum Teil. Stämme, welche bereits in der Reichweite der Rhein- und Donaugrenze siedeln, sind fasziniert von dem Konsumniveau der "römischen" Zivilisation, treiben mit ihr manchmal Handel und werden so etwas "anzivilisiert". Ab dem zweiten Jahrhundert nach der Zeitrechnung durchbrechen sie und aus ferneren Gebieten stammende Verbände auf Raubzügen immer häufiger die römische Grenze.

 

Anders geartet sind nomadisierende, ursprünglich wohl auf Viehzucht in Steppengebieten basierende Reitervölker aus Innerasien, die nördlich des Römischen Imperium beutesuchend in Europa hereinbrechen, um sich dann vorübergehend irgendwo niederzulassen. Mit zunächst überlegener Kriegstechnik treiben sie germanische Völkerschaften vor sich her. Das ganze nichtrömische Europa gerät so in stärkere Bewegung und drückt auf die Grenzen der römischen Zivilisation. Wir befinden uns in einer weiter zunehmend gewalttätigen Welt.

 

***Kurzer Exkurs: Tacitus und Arminius***

 

In den Annalen des Tacitus findet sich eine Textstelle über einen Arminius, die erst rund anderthalbtausend Jahre später richtig Wirkung zeigt:

Unstreitig war er der Befreier Germaniens (liberator haud dubie Germanicae), der das römische Volk (populus Romanus) nicht am Anfang seiner Geschichte..., sondern das in höchster Blüte stehende Reich herausgefordert hat, in den einzelnen Schlachten nicht immer erfolgreich, im Kriege unbesiegt. Er wurde 37 Jahre alt, zwölf Jahre hatte er die Macht (potestas) in Händen, und noch immer besingt man ihn bei den barbarischen Völkern (barbaras gentes). Die griechische Geschichtsschreibung, die nur die eigenen Taten bewundert, kennt ihn nicht, und bei den Römern spielt er nicht die ihm gebührende Rolle, denn die alten Sachen loben wir, die neuen finden wir nicht interessant. (Buch II, Absatz 88, mein Deutsch)

 

Zunächst das, was wir heute wissen: Tacitus schreibt diesen Text mehrere Generationen später und war selbst wohl nie in nichtrömischem Germanenland gewesen. Seine Quellen sind also aus zweiter und dritter Hand. Arminius war lateinisch sprechender römischer Bürger mit „cheruskischer“ Herkunft, der durch den Militärdienst in den römischen Adel aufsteigt. Arminius ist kein germanischer Name und hat wohl auch nichts mit einem „Herrmann“ zu tun. Von den Cheruskern wissen wir vor allem, und zwar von römischen Autoren, dass sie ausgesprochene Römerfreunde waren und sich dadurch den Hass bzw. Neid anderer germanischer Gruppen zuzogen.

 

Die sogenannte Varusschlacht, im neunten Jahre "des Herrn", die von Römern eher als „Niederlage“ oder „Unglück“ bezeichnet wird, ist wohl keine Schlacht gewesen, sondern ein Hinterhalt mit folgender Metzelei. Wer an diesem Hinterhalt unter besagtem Arminius teilnahm, ist schwer herauszufinden. Der Begriff „Befreier Germaniens“ eröffnet Fragen. Was Tacitus als „Germanien“ bezeichnet, ist Propaganda: Wie vor ihm Caesar tut er implizit so, als ob der Rhein eine Volksgrenze zwischen Kelten und Germanen gewesen wäre, eine Art natürliche Grenze im doppelten Sinn – und zudem jetzt eine römisch-germanische. Er schafft klare sprachliche Verhältnisse, die in den Augen der Leser eine viel unklarere Wirklichkeit absichtsvoll verändern sollen.

 

Einige Absichten des Textes, der ausschließlich an vornehme römische Zeitgenossen gerichtet ist, werden gleich deutlich: Tacitus gibt schon für damals eigenartige Pauschaulurteile über drei große „Völkerschaften“ ab: Römer, Germanen und Griechen. Die Griechen sind so beschränkt und selbstbezogen, dass sie nicht einmal ein Reich wie die Römer zustande bekamen, sondern in dem der Römer aufgingen. Die Römer entkommen den Widrigkeiten der Gegenwart, indem sie in einer wunderbaren eigenen Vergangenheit schwelgen. Die Germanen hingegen machen es richtig, und dafür steht dieser Arminius. Wenn die Römer doch nur...

 

Die Rolle, die ihm gebühren würde, wäre die herausragender Bedrohlichkeit, die mit ihm für „alle Germanen“ gilt. Schließlich besingen sie ihn immer noch, diesen wunderbaren Bösewicht. Tacitus sollte gewusst haben, dass das ganz großer Unfug war, in diesem auch für ihn dunklen Germanien hatte dieser Arminius wohl mehr Feinde als Freunde.

 

Da wird ein römischer Freiheitsbegriff (im Singular: libertas) den Germanen übergestülpt, wodurch sie auf pfiffige Weise im Sinne des Textes „romanisiert“ werden: Hätte er sich mit den Germanen eigenen Vorstellungen hier abgegeben, hätte er damit keinen Römer hinter dem Ofen hervorgelockt, für den die Germanen nur als Bedrohung interessant werden konnten. Wirklich bedrohlich macht er sie, wenn er sie für die Vorstellung des Lesers ein wenig romanisiert, also für Römer ebenbürtig macht - und sie damit der Verachtung entzieht.

 

Die handfeste Bedrohung durch die Germanen lässt sich nämlich ganz anders in drei Wörtern zusammenfassen: Beute, Land und - möglichst römisch werden. Dieses "römisch werden" bedeutete aber für jeden etwas anderes, es war ein schwieriger Aneignungsprozess. Auf jeden Fall bedeutete es: In den römischen materiellen Wohlstand hinein gelangen.

 

"Römisch werden" war dem Arminius schon ein Stück weit gelungen, auch die Leute, die von ihren Anführern längst unter dem Begriff „Markomannen“ zusammengefasst worden waren, waren beispielsweise dahin auf dem Weg, und ihr „König“ beäugte diesen Arminius sehr misstrauisch als möglichen Konkurrenten bei einer Reichsbildung außerhalb des römischen Reiches.

 

Das römische Reich ist nicht einfach an „den Germanen“ zerbrochen, weder an ihrer „Angriffslust“ noch ihrem „Freiheitswillen“. Ein Gutteil derer, die das Reich verteidigten, waren längst „Germanen“ als einfaches Militär und in Führungspositionen. Dies war der beste von Römern vorgegebene Weg dahin, Römer zu werden. Es ist der Weg, den der Vater für seinen „Arminius“ wollte.

 

Übrigens: Einen Satz mit "unstreitig" oder "zweifellos" (haud dubie) zu versehen, zeigt an diesem Beispiel, warum Römer das Fach "Rhetorik" so sehr schätzten. Es ist ein Indikator für zweierlei völlig entgegengesetztes: Entweder erwartet der Autor, dass tatsächlich niemand Zweifel hat (ist selten!), oder aber, er erwartet wie hier das genaue Gegenteil und macht den Zweifler zu einem randständigen Idioten, der besser den Mund hält. Des Tacitus zweischneidige Loblieder auf die Germanen sind schließlich dazu da, Überzeugung erst herzustellen.

 

***Germanien und die Römer***

 

Als erster trennt Caesar Germanen und Kelten deutlich voneinander: Er möchte laut seiner Propagandaschrift die drei Teile der Gallia, also das Keltenland, in seiner Raub- und Machtgier erobern. In manchem außer der Sprache werden sich Kelten und Germanen nur wenig unterschieden haben. Andererseits: Südlich der Donau ist längst eine oppida-Zivilisation entstanden, wie sie die gallischen Kelten auch kennen. Das bayrische Manching ist ein solches oppidum von vielleicht 10 000 Einwohnern und fast 400 ha Fläche bei teilweise dünner Besiedlung, ein europäisches Handelszentrum mit bedeutender Metallverarbeitung, besitz- und machtmäßig bereits deutlich strukturiert. Der Niedergang des stadtähnlichen Ortes könnte mit dem römischen Abschluss des eroberten Galliens einhergehen.

 

Nördlich der Donau ist Germanien, als die Herren Roms sich dafür zu interessieren beginnen, und zwar ohne solche Vorformen von Städten. Die Menschen leben in Einzelhöfen oder kleinen Weilern auf Lichtungen in dichten Wäldern und Sumpflandschaften und betreiben im wesentlichen einen durch Feldwechsel bestimmten Ackerbau., verbunden durch ein relativ dichtes Wegenetz. Wenig Eigentum macht es einfach, die Menschen in Gruppen zu mobilisieren.

 

Seit 12 (v.d.Zt.) ziehen römische Truppenverbände über den Rhein und die Täler seiner Nebenflüsse hinauf. Zwischen den heutigen Niedersachsen und Hessen entstehen feste Militärstationen, beim heutigen Waldgirmes an der Lahn sogar ein regelrechter Handelsplatz. Sommer meint mit Cassio Dio, Germanien sei hier bereits in einen Prozess der Romanisierung eingetreten (Sommer II, S.104)

Derweil bildet der Markomanne Marbod in Böhmen eine Art "Reich" aus unterschiedlichen Stämmen. Offenbar versucht es ihm dann der zunächst in römischem Sold kämpfende Cherusker Arminius gleich zu tun und ist zunächst in der "Varusschlacht" erfolgreich, bevor er später wohl von auf die Seite Marbods übertretenden Verwandten erschlagen wird.

 

Immerhin beschränkt sich das römische Ausgreifen nach Osten nun auf den Südwesten der heutigen BRD, das sogenannte Dekumatsland. Wie wenig nachhaltig römischer Aufenthalt dort sein wird, wird sich daran erweisen, wie wenig später Alamannen hier von früherer römischer Anwesenheit für sich nutzen werden.

 

 

Das Reich von Marc Aurel bis Diokletian

 

Als 161 Marc Aurel Herrscher wird, bestimmt er einen zweiten Augustus für die Provinzen. Ein Krieg gegen die Parther scheint zunächst erfolgreich, dann wird aber erst das Heer und dann das ganze Reich von einer Art "Pest" überzogen, die zahllose Tote fordert. Parallel dazu müssen in drei "Markomannenkriegen" die Einfälle germanischer Verbände abgewehrt werden, die bis nach Aquileia und Athen gelangen. Nur alleine dabei schon sind wohl Hunderttausende Kriegstote zu beklagen.

 

Die Karrieren beim Militär sind inzwischen vom tradierten cursus honorum gelöst und somit professionalisiert. Diese Militärlaufbahn führt nun auch ohne "politische" Ämter in das direkte Machtzentrum um den Kaiser, etwas, was sich unter Nachfolger Commodus noch verstärkt, den eine senatorische Opposition ermordet, um ihrer Ermordung durch den Augustus zuvor zu komnmen. Militärs mit ihren Armeen in den Provinzen werden denn auch durch das dritte Jahrhundert versuchen, durch Usurpation die Macht in der Zentrale zu ergreifen.

 

Nach dem Tod des Commodus kommt es zu vier Jahren "Bürgerkrieg", aus denen der Nordafrikaner Septimius Severus als Sieger hervorgeht. Im 3./4. Jahrhundert erreicht das immer despotischer regierte Reich nun eine weitere Steigerung allgemeiner Korruption. Nachdem ein Pertinax die Prätorianer mit einem pro-Kopf-Geschenk von 12 000 Sesterzen bestochen hat und darum zum Herrscher ausgerufen wird, erschlagen sie ihn wenig später. Darauf wird das Amt für ein Donativ ("Geschenk") von 25 000 Sesterzen pro Kopf an einen reichen Senator versteigert. Nun machen sich aber die Legionen bemerkbar, und in einem längeren Bürgerkrieg kann sich der nordafrikanische Septimius Severus durchsetzen.

Er stützt sich mehr noch als seine Vorgänger auf das Heer, dessen Sold er verdoppelt, wofür er gezwungen ist, die Städte und einzelnen Bürger immer mehr mit willkürlichen (Natural)Abgaben zu belasten, während die Währung weiter verfällt.

 

Indem Severus den Legionären erlaubt, Familien zu gründen und mit ihnen nahe dem Militärlager zu leben, verwurzelt er sie in der Region ihrer Garnison. Dieser regionale Bezug kann sie dann mehr und mehr von der Reichszentrale entfremden, um ihre Führung in ihren eigenen hohen Offizieren zu sehen und im Zweifel deren Usurpationsversuche zu unterstützen. Mit einer eigenen Legion in der Nähe von Rom entwickelt der Kaiser ein Instrument, um die Hauptstadt zu kontrollieren.

 

Sohn Caracalla gewinnt 211/12 die Alleinherrschaft, indem er seinen Bruder, die gemeinsame Mutter und zahlreiche andere Würdenträger erschlagen lässt. Schon lange lässt sich feststellen, dass römische Kaiser oft eben auch multiple Mörder sind, selbst wo sie andere das blutige Handwerk betreiben lassen.

 

212/13 verdoppelt er die Erbschaftssteuer auf 10% und verleiht dann der großen Mehrzahl der Leute in den Provinzen das römische Bürgerrecht, welches sie nun zur Zahlung dieser Steuer verpflichtet. Caracalla besiegt die Alamannen und zieht dann nach Osten gegen die Parther, offenbar vom Vorbild des "großen" Alexander bewegt. Herrschaft wird weiterhin durch Grausamkeit, Verschlagenheit und Hinterlist betrieben, und entsprechend wird auch Caracalla mitten im Partherkrieg ermordet. Derweil gewinnen die Sassaniden die Kontrolle über das Partherreich.

 

Die Enkel der Schwägerin des Caracalla wachsen mit ihr in Emesa, dem heutigen syrischen Homs auf. Enkel Varius Avita wird dort in jugendlichem Alter Priester des Sonnengottes Elegabal. Als Usurpator Macrinus Probleme bekommt, präsentiert die Großmutter der dortigen Garnison ihren Enkel als Sohn des Caracalla. Der setzt sich mit Mord und Legionen durch, heiratet als heftigsten Traditionsbruch eine Vestalin und feiert dann mit jährlich wechselnden "Ehe"Frauen den Kult eines heiligen schwarzen Steines, den er nach Rom bringen lässt (Herodian). Cassio Dio beschreibt ihn als grausam, sexuell ausschweifend und tradiertes Römertum verachtend.

Man zwingt ihn, Bruder Alexianus als Mit-Caesar anzunehmen. Der sorgt wohl dafür, dass Elagabal erschlagen wird und folgt als Severus Alexander, der wiederum 235 erschlagen wird. Inzwischen etabliert sich dauerhaft der Zweifrontenkrieg, zunächst mit den Alamannen im Westen und unentwegt nun mit den Sassaniden im Osten.

 

***Bedrohung aus Nordost: Germanen***

 

Es ist für unsere Zwecke müßig, den einzelnen Kaisern bis vor Diokletian im Detail zu folgen. Wichtiger ist, dass das Riesenreich in die Zange zwischen einerseits dem Perserreich der Parther und bald dann Sassaniden im Osten gerät und andererseits germanischen und etwas auch anderen Völkerschaften.

 

Die Rhein- und Donaugrenze ist von Anfang an immer wieder gefährdet gewesen und der Charakter dieser Gefahr ist ein ganz anderer als der hochzivilisierter Reiche wie der im Osten. Die alten germanischen Völkerschaften des ersten und zweiten Jahrhunderts sind in den römischen Texten nunmehr weitgehend verschwunden. Die inzwischen lang andauernde Konfrontation mit dem imperialen Rom hatte zu stärkerer Mobilisierung von Beutelust und vielleicht manchmal auch schon dem Interesse an Siedelgebieten geführt. Die neuartigen großen Gefolgschaftsverbände sind disziplinierter, Formen von Stammeskonföderationen mit Oberbegriffen wie Alamannen, Goten, Franken und dann auch Vandalen. Sie sind auf erfolgreiche Heerführer (reiks oder kunings) orientiert und zerfallen wieder stärker bei deren Misserfolg - bis sich ein Nachfolger findet.

 

Mit ihnen gerät das Reich dauerhaft in die Defensive. 233 gelingt es Alamannen, den Limes zu überrennen und in Norditalien reiche Beute und viele Gefangene machen. 260 werden sie erst bei Mailand gestoppt. Als sie nach Westen zum Rhein vordringen, bildet sich unter dem Heerführer Postumus ein gallisches Sonderreich, da die Kaiser die Verteidigung nicht mehr schaffen. Dies wird dazu beitragen, dass sich vor allem in den nördlicheren Teilen Galliens und der beiden römischen Germanien ein "regionales Sonderbewusstsein" entwickelt (Kaiser/Scholz, S.37). Die Großregion wird erst 273/74 wieder erobert, aber die Beziehungen nach Rom werden sich langsam etwas lockern.

 

238 tauchen Goten, die Römer zunächst noch für Skythen halten, mit ersten Zerstörungen an der Donau auf und werden für kurze Zeit mit römischen Geldzahlungen beschwichtigt. In den folgenden Jahrzehnten brechen sie immer wieder einmal auf Beutezügen durch. Von dem nomadischen Reitervolk der Alanen übernehmen sie Lanze, Langschwert, Kettenpanzer und Wagen.

251 fällt Kaiser Decius im Kampf gegen sie. Ein Teil von ihnen überquert immer wieder die Donau, wird als Foederaten anerkannt - was heißt, dass die Römer ihnen nun jährlich Tribut zahlen, um sie ruhig zu stellen, was sie nicht längere Zeit an Plünderungszügen ins Reich hindert, bis Aurelian sie 270 aufhalten kann.

Nun teilen sich die Goten als Terwingen in einen westlichen Teil "zwischen Dniestr, Karpaten, Walachei und unterer Donau" und einem östlichen als Greutungen "zu beiden Seiten des Dniepr bis hin zum Asowschen Meer und zum Don im Osten." (Christ, S.643)

 

Inzwischen überqueren Franken zunächst ganz im Norden den Rhein und zerstören das römische Utrecht. 257/58 dringen sie laut Aurelius Victor durch Gallien bis Tarraco (Tarragona) vor und setzen dann sogar nach Afrika über. 254 fallen Markomannen in Pannonien ein und gelangen bis in die Nähe von Ravenna. Um 275 dringen Franken erneut in Gallien ein, werden nach einigen Jahren besiegt und dann soweit möglich in die Region am Schwarzen Meer deportiert.

Der zunehmende und auch über Beutegüter vermittelte Kontakt mit der römischen Welt stärkt den Sinn einzelner Heerführer für Schatzbildung und das Konsumniveau als Statusbildung. Der Weg in die Zivilisierung wird stärker beschritten, auch wenn "Könige" zunächst noch reine Heerführer sind.

 

 

Überall in der Reichweite germanischer Einfälle werden nun Steine von Ruinen für Stadtmauern verwendet. Städte in Gallien, Norditalien und Griechenland werden mit Mauern versehen. Kaiser Aurelian (270-75) versieht sogar die Stadt Rom mit einer knapp 19 km langen Mauer, nachdem Alamannen 271 wieder in Italien eindringen und im selben Jahr Goten in Thrakien. Die Handwerker-Kollegien müssen die Mauer errichten.

Schließlich wird Dakien weitgehend geräumt und die Bevölkerung umgesiedelt. Unter anderen lassen sich hier nun Visigoten und Vandalen nieder.

 

Germanen heuern als einzelne und Gruppen bei den Legionen an. Zunehmend werden Kriegsgefangene auch als ethnische Großgruppen in Gallien angesiedelt, um dort als Wehrbauern zu fungieren.

 

Zu den äußeren Bedrohungen kommen weiter die inneren. Nach dem Ende des gallischen Sonderreiches beginnt gegen Ende des 3. Jahrhunderts das Bagaudentum, Aufstände von Bauern und Hirten, die gelegentlich in schiere Räuberei übergehen und bis zum Ende des Westreiches anhalten werden. Jahrelang kann sich ein Heerführer in Britannien mit Einfluss bis Gallien und Hispanien verselbständigen.

 

***Innere Entwicklung bis Diokletian***

 

Da das Militär immer mehr Geld beansprucht, muss immer mehr aus denen herausgepresst werden, die es haben. Herodian schreibt vor 250:

Täglich konnte man sehen, wie Leute, die gestern noch zu den reichsten gehörten, heute den Bettelstab nehmen mussten; so groß war die Habgier der Tyrannis, die die Notwendigkeit der ständigen Beschaffung von Geldern zur Bezahlung der Soldaten zum Vorwand nahm. (in: Christ, S.652)

 

Zwischen 235 und 284 regieren mehr oder weniger mit Duldung des Senats mindestens neunzehn Kaiser; sie werden erschlagen oder ermordet, während die Zivilbevölkerung sich in stiller oder lauter Opposition übt. Inzwischen werden nach Afrikanern auch Orientalen häufiger Kaiser. Ein Pilippus Arabs aus der Provinz Arabia überlebt zwei Usurpatoren, dann machen Legionen 249 Decius zum Kaiser. 250 erlässt der ein Edikt, welches zum mit einer Bescheinigung überprüfbaren Opfern für die traditionellen römischen Götter verpflichtet. Die Schwäche der Kaiser macht Kulte und den Kaiserkult immer wichtiger als Machtlegitimation. Damit wird eine erste große Christenverfolgung ausgelöst, in der es allerdings nicht um Glauben im religiösen Sinne, sondern um kultische Stabilisierung der kaiserlichen Macht geht. Im folgenden Jahr fällt Decius dann gegen die Goten.

 

Kaiser lassen sich in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts gelegentlich bereits als deus et dominus titulieren, was nicht hindert, dass viele von ihnen durch Ermordung enden: Zwischen 235 und 285 stirbt nur ein Kaiser eines natürlichen Todes.

Ein Gallus als Decius-Nachfolger muss die Goten bezahlen, damit sie stillhalten und kann das Auseinanderbrechen des Reiches im Osten nicht aufhalten. 253 erschlagen ihn dafür die eigenen Soldaten, wie auch der darauf folgende Aemilian von eigenen Legionären umgebracht wird. Auch Valerian und Mitherrscher Gallienus haben das Reich kaum unter ihrer Kontrolle. Nach 260 ziehen sich die Römer aus dem Dekumatland zurück, welches den Alamannen überlassen wird.

 

Die Kaiser herrschen oft in Frontnähe in Residenzen oder Hauptquartieren, von Konkurrenten bedroht oder mit dem Separatismus einzelner Reichsteile konfrontiert. Nur selten kontrolliert eine Zentrale einmal für eine gewisse Zeit das ganze Reich. In die zweite Hälfte des 3. Jahrhunderts hinein nimmt die "Regionalisierung militärischer Veranwortung" (Sommer) zu.

Von da aus ist es dann nur noch ein kleiner Schritt dazu, dass 260 Soldaten den Chef von Niedergermanien Postumus zum Kaiser ausrufen, der dann außer den germanischen Gebieten auch Gallien, Spanien und Britannien für sich gewinnt und dort ein Parallelreich mit eigenen Magistraten und eigenem Senat einrichtet. Erst 274 kann Aurelian mit seinem Militär einen Nachfolger verjagen. Dakien muss er allerdings räumen lassen und die Bevölkerung südlich der Donau umsiedeln.

 

Die Kaiser herrschen im wesentlichen mit einem Stab militärischer Berater, so dass man spätestens jetzt mit Fug und Recht von einer Militärdiktatur sprechen kann. Die Senatoren, von denen immer mehr nicht mehr aus Italien stammen, bilden eine reiche Oberschicht ohne politischen Einfluss. Darunter kann man als Ritter über eine militärische Laufbahn zum Kaiser aufsteigen.

 

Kleinbauernland samt den Menschen ist inzwischen häufiger in den aristokratischen Großgrundbesitz eingeordnet, der sich in einen kleinen, direkt bearbeiteten Herrenhof und viele Pachtgrundstücke der abhängigen Bauern teilt, die zudem noch Dienste auf dem Herrenhof leisten müssen und zunehmend der Gerichtshoheit der Herren unterstellt sind. Eine Tendenz wird absehbar, die solche Pachtbauern an die Scholle binden wird.

 

Diese großen Güter lösen sich, nachdem dort auch immer häufiger Handwerk angesiedelt wird, vom städtischen Markt und lassen so Städte als Handelszentren an Bedeutung verlieren. Es geht um die Bedarfsdeckung der Herren, für die auch Warentausch möglich ist. "Entscheidend bleibt: dass das formende Prinzip für ihn >Vermögensnutzung< und nicht >Kapitalverwertung< ist." (Max Weber) Zudem führt die andauernde Inflation zu einem Verfall der Geldwirtschaft.

 

Nicht alle Reichen leiden darunter. Der ungeheure Reichtum weniger im Vergleich zum schieren Überleben der meisten lässt sich daran zeigen, dass Anfang des 4. Jahrhunderts im Höchstpreisedikt Diokletians ein Pfund doppelt gefärbte tyrische Seide 150 000 Denare nicht überschreiten darf, und das ist die Summe aus hundert Jahren Legionärssold. (Sommer, II, S.209)

 

Der fiscus leidet darunter, dass die Einnahmen im dritten Jahrhundert immer weniger ausreichen; also lassen die Kaiser den Feingehalt der Münzen sinken. Als Aurelian dann 274 Münzen wieder mit höherem Feingehalt zum Kurs von 1:20 ausgibt, wird den Menschen deutlich, wie sehr sie um ihr (Geld)Eigentum betrogen worden waren. (Sommer II, S.295) Da vor allem die Soldaten bezahlt werden müssen, werden Münzstätten regional und damit in ihrer Nähe in den Provinzen eingerichtet.

 

Unter Valerian nehmen die Verfolgungen kirchlicher Geistlicher zu. Wichtiger wird wohl die Etablierung des orientalischen Sol-Kultes durch Aurelian mit eigenem Tempel und Priesterkollegium, welcher wohl den nachlassenden bisherigen Kaiserkult ersetzen soll. 275 wird dann Aurelian ermordet.

Die Zeiten bleiben unruhig, bis Diocles, ein hoher Offizier, 284 möglicherweise Numerian umbringt, sicher aber mit eigener Hand denjenigen, den er dann des Mordes beschuldigt.

 

Wohl vor allem um eine Regionalisierung des Reiches durch Usurpatoren zu verhindern, aber auch im Interesse einer besseren Verwaltung teilt Diokletian        286/93 zunächst die Macht mit einem zweiten Augustus, dem Karriereoffizier Maximian, dem als Jüngerem der Westen zugeordnet wird, und ordnet beiden dann noch einmal einen Caesar zu, Galerius für den Osten und Constantius für den Westen.

 

Große Provinzen werden geteilt und dann in zwölf Diözesen wieder zusammengefasst, denen vicarii vorstehen. Duces erhalten das militärische Kommando über mehrere Provinzen und die (ritterlichen) Provinzstatthalter behandeln nun nur noch nicht-militärische Angelegenheiten.

 

Bis Diokletian verdoppelt sich das reguläre Heer auf etwa 500 000 Mann. Unter ihm werden die Legionen auf ca. 1000 Mann verkleinert und dafür ihre Zahl von etwa 30 auf 50 erhöht. Zudem werden die Grenzen stärker befestigt.

 

Finanzieren muss das und die zunehmende Verwaltung samt neuen Monumentalbauten nun eine Mischung aus capitatio und iugatio, also einer Kopfsteuer und einer am iugum, also dem Boden, den der Einzelne für seinen Lebensunterhalt braucht und nutzt, gemessenen Steuer. Dabei wird die Gesamthöhe am herrscherlichen Bedarf festgesetzt und dann auf die Untertanen umgelegt.

Die erblich an ihren Stand gebundenen Dekurionen müssen die Steuern auf die Bevölkerung umlegen, einziehen und schließlich transportieren lassen.

 

Der dem Christenverfolger Diokletian feindselig gesonnene Laktanz schreibt dazu: Indes wurden das Unglück und der Jammer erst allgemein durch die neue Steuerveranlagung, die gleichzeitig für alle Provinzen und Gemeinden angeordnet wurde (...) Die Menge der Steuerbeamten ergoß sich überallhin und brachte alles in Aufruhr. Es waren Bilder des Schreckens wie beim Einfall von Feinden und Wegführen von Gefangenen. Die Äcker wurden schollenweise abgemessen, Weinstöcke und Bäume gezählt, jede Art von Haustieren verzeichnet, die Kopfzahl der Bewohner vermerkt. In den Städten wurden städtische und ländliche Bevölkerung zusammengedrängt; alle Plätze waren mit Scharen von Gesinde überfüllt. Jeglicher war mit Kindern und Sklaven zur Stelle. Foltern und Schläge hallten wider, Söhne brachte man auf wider die Väter, die treuesten Sklaven wurden gegen die Herren, Gattinnen wider die Gatten gefoltert. Wenn alles erfolglos war, so folterte man die Besitzer gegen sich selbst, und wenn der Schmerz die Oberhand behielt, so schrieb man als Eigentum zu, was nicht vorhanden war. ('De mortibus persecutorum', 23)

 

Die steigende Abgabenlast der Oberschicht, ihr Entrée in die politische Macht der civitas, wird nach Möglichkeit an die Landbevölkerung weitergereicht, die dadurch in immer größere Abhängigkeit von den Magnaten gerät oder sich aber bald dann im Patrocinium bzw. Patronat unter seinen Schutz begibt. Andererseits verleiden diese Abgaben der Oberschicht zunehmend das Vergnügen an der Leitung der res publica vor Ort, der öffentlichen Angelegenheiten in der Stadt nämlich, und man zieht sich stärker in das Privatleben zurück, auf luxuriös ausgestattete Landgüter. Das Imperium verliert nach und nach seine wichtigste tragende Schicht, die Kurien schrumpfen immer mehr zusammen und die Rolle der Bischöfe in den civitates steigt damit erheblich, auch weil sich mit ihrem Amt durch Spenden immer mehr Besitz verbindet.

 

Gegen die Inflation setzt Diokletian 301 ein Edikt, welches Höchstpreise für Lebensmittel, Rohstoffe und Sklaven ebenso festsetzt wie für Arbeitslöhne und solche für Fuhrlöhne und Transportkosten.

Darin heißt es: (...) da es ja höchst selten ist, dass man eine menschliche Situation antrifft, die von selbst Gutes tut, und immer der Lehrmeister Furcht der gerechteste Lenker der Pflichten ist, wird bei Vergehen die Todesstrafe angeordnet.

Besser lässt sich bis heute nicht das Verhältnis von geducktem Untertan und terroristischem Machthaber ausdrücken.

 

Die Vergöttlichung der Kaiser nimmt zu.

"Schon Diokletian wird gelegentlich mit dem Nimbus, der strahlenden Lichtscheibe um den Kopf, abgebildet; Szepter und Globus gehören zum feststehenden Kaiserornat. Längst war alles, was mit dem Kaiser zusammenhing, heilig. Nun aber wurde der Herrscher inmitten des sacrum palatium unzugänglich. Von allen, die ihm dort nahen durften, wurde die Proskynese gefordert, der Kniefall und das Küssen eines Zipfels des Kaiserornates, eines mit Edelsteinen übersäten Ornates, dem Konstantin der Große später dann noch das Diadem hinzufügte." (Christ, S. 706)

 

Priester der Manichäer werden im östlichen Reich vor allem verbrannt und ab 303 beginnen Christenverfolgungen, erst gegen Gebäude und Gegenstände darin, dann gegen Priester und schließlich gegen diejenigen, die die angeordneten Opferkulte nicht mitmachen. Ganz offensichtlich geht es dabei überhaupt nicht um Religion bzw. Glaubensinhalte, sondern um die kultische Absicherung kaiserlicher Macht, die man durch das Christentum nicht gewährleistet sieht, obwohl dieses den Machtverhältnissen keineswegs ablehnend gegenüber steht.

 

***Natur***

 

Jungsteinzeitliche Produktion dürfte in der Regel Kulturlandschaften als überschaubare Inseln in Naturlandschaften geschaffen haben. Zivilisationen tendieren dann dazu, Naturlandschaften großflächig zu vernichten, wie man schon am bronzezeitlichen Umgang mit Wald an einzelnen Stellen erkennen kann. So wenig, wie Quellen und Archäologie auch hergeben, kann davon ausgegangen werden, dass das Reich der "Römer" im Zuge seiner Ausdehnung, im Zuge von Urbanisierung und vor allem auch Bevölkerungsvermehrung schlimmer als alle vorherigen Zivilisationen mit den Naturräumen umgeht, die es unter die Macht seines Gewaltapparates bringt.

 

Zwei Beispiele sollen hier zunächst genügen: Auf römische Eroberung, die immer auch Landraub bedeutet wie in den "christlichen" Kolonisierungen seit dem 15./16. Jahrhundert, folgt die Einteilung bzw. Parzellierung des den bisherigen Bewohnern weggenommenen Landes und dann auch jenes, auf welchem solche "Ureinwohner" verbleiben. Diese Parzellierung, die teilweise neuartige Eigentumsverhältnisse erst schafft, dient der Ausplünderung des Landes, der Bereicherung der Eroberer und derer, die sich ihnen willig unterwerfen, um integriert zu werden.

Nutzland, welches ausschließlich menschlichen Bedürfnissen zu dienen hat, bedeutet nicht nur Landwirtschaft, sondern Abholzung von Wäldern oder auch quasi Umpflügen ganzer Gebiete zum Herausholen von Rohstoffen, wobei am Gierigsten und Rücksichtslosesten beim Schürfen von Gold und Silber vorgegangen wird.

 

Nachdem schon die bronzezeitliche Despotie das Niltal ganz auf menschliche Zwecke zugeschnitten hatte, wird dasselbe mit den nordafrikanischen Eroberungen gemacht, die in der Zeit der Caesaren, denen ohnehin große Teile des nutzbaren Landes nach dem Gesetz des erfolgreichen Gewalttäters gehören, die Großstädte und insbesondere die Millionenstadt Rom mit Getreide versorgen müssen und dazu in eine Art Monokultur verwandelt werden.

Ein Großteil der Provinz wurde "innerhalb weniger Generationen mit einem Netz von Städten, ländlichen Siedlungen und Dörfern überzogen, das in seiner Dichte die meisten anderen Provinzen in den Schatten stellte." (Sommer II, S.280). Was dort mit der Artenvielfalt von Tier und Pflanze geschieht, ist leicht vorstellbar. Tatsächlich lässt sich festhalten, dass der Untergang des weströmischen Imperiums noch rechtzeitig geschieht für die Regeneration von großen Teilen verschwundener Naturlandschaft.

 

 

Jesus, Kirche und Christentum

 

Mit den frühen Schriften der Juden haben wir ein fast einzigartiges Dokument für eine Etappe des ideellen Verschmelzungsprozesses von weltlicher und Priestermacht, die auch fundamentale Texte im Entstehungsprozess der nachantiken und mittelalterlichen Zivilisationen werden. Dabei bleiben sie den meisten "Christen" bis auf Gruppen radikaler Protestanten bis heute unbekannt. Dagegen setzen die Texte der ursprünglichen Jesuaner einen radikal antizivilisatorischen Akzent, der die jüdischen, eher innerweltlich gedachten Erlösungsphantasien in solche der Erlösung überhaupt von "der Welt" überführen. Mit der schrittweisen Integration dieser Religion in die Machtstrukturen des römischen Imperiums beginnen auch erste Teilaspekte einer Re-Judaisierung, die mit der Vertagung der versprochenen Erlösung anfangen und in fast vollständiger Romanisierung der Kirche im Westreich enden. Damit kippt der antizivilisatorische Impetus so rabiat, dass die entstandene Kirche selbst zu einem Propagandainstrument der Machtstrukturen wird und das weithin bis in die Gegenwart bleibt.

 

Diese jüdisch-frühchristliche Geschichtserzählung wird aber dann zu einem wesentlichen Teil der Vorgeschichte hin in jenes Mittelalter, in dem Kapitalismus entstehen wird. Darum soll sie hier wenigstens in ganz groben Zügen angedeutet werden. ( Genaueres in den Anhängen 2 und 3) Kapitalismus entsteht nicht aus religiösen Überzeugungen, sondern zunächst eher gegen diese, aber er wird in Machtstrukturen entstehen, die sich dieser Religion in ihrer mittelalterlichen Ausprägung ausdrücklich bedienen. Dabei ist zu beachten, dass alle in Zivilisationen hinein entwickelten Religionen Erlösungsphantasien enthalten, und das solche nicht nur die Erlösung von der Endgültigkeit des Todes enthalten, sondern damit verbunden auch Erlösung von den Bürden der Zivilisation hinein in ein paradiesisches Jenseits der bekannten Welt.

 

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Kurz vor dem Ende des antiken Judentums, unter römischer Oberherrschaft und unter Bedingungen starker Hellenisierung, zerfällt dieses offenbar zum Teil in zahlreiche Gruppen und Sekten. Ohne einen eigenen „souveränen“ Herrscher nimmt die Autorität des Tempels und seiner Priesterschaft ab, es entstehen Räume, in denen sich Judentum neu definiert. Auf erstaunliche Weise später wirkmächtig wird ein Jesus, der uns als historische Figur kaum vorliegt. Früheste Texte, die ihn erwähnen, gibt es von einem stark hellenisierten Juden Paulus, der einige Zeit nach dem Tode Jesu mit ersten Jesus-Anhängern in Kontakt kommt und dann eine Art religiöse Erleuchtung hat, die zu seiner Bekehrung führt, deren Ergebnisse er in Briefen an entstehende Gemeinden formuliert. Da wir über Jesus selbst nichts wissen, können wir nur in Verbindung mit den in den folgenden Jahrzehnten entstandenen Evangelien und der Apostelgeschichte erahnen, wie Paulus vorliegende, wohl vorwiegend mündliche Traditionen umformt und dabei bereits ein Stück weit entjudaisiert und hellenisiert.

 

Vom Leben Jesu und seinem Tod erfahren wir kaum etwas bei ihm, aber umso mehr über das paulinische Gottesbild und dessen Umformung des jüdischen in einen christlichen Gott. Dieser betreibt laut Paulus eine Umwertung fast aller Werte, ja, er stellt sie auf den Kopf:

Sehet an, liebe Brüder, eure Berufung: nicht viel Weise nach dem Fleische, nicht viel Gewaltige, nicht viel Edle sind berufen. Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, dass er die Weisen zu Schanden mache, hat Gott erwählt, und das da nichts ist,  und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, dass er zu Schanden mache, was stark ist; und das Unedle vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt (... 1. Brief an die Korinther, 1,26-29)

 

Kurioserweise hat Paulus an die Römer-Gemeinde wiederum geschrieben, dass solche Umwertung doch nicht die aller Werte sein soll, denn die Machtverhältnisse auf Erden sollen erhalten bleiben: Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet. Kein Wunder, dass in christlichen Kirchen bald für die unchristlichen Herrscher gebetet wird, wie im ersten Clemensbrief überliefert ist: Gib, dass wir deinem allmächtigen und vortrefflichen Namen, sowie unsern Herrschen und Vorgesetzten auf Erden gehorsam seien! Du Herr hast ihnen die Kaisergewalt gegeben (... in: Christ, S.598)

 

Ein weiteres, allerdings erst Jahrzehnte später aufgeschriebenes Dokument zur frühen Christenheit (die das Volk wegen ihrer Schandtaten hasste und mit dem Namen >Christen< belegte) liefert Tacitus in seinen Annalen (XV,44) im Zusammenhang mit der Neronischen Verfolgung nach dem großen Brand Roms. (siehe weiter oben)

 

Die Evangelien wiederum berichten über Jesus hauptsächlich Legendäres und Wundersames, und es ist nicht einfach, daraus irgendwelche historischen Tatsachen abzuleiten, die, wenn überhaupt, dürftig bleiben. Fassbar wird vielleicht ein Mann aus Nazareth, der mit etwa 30 Jahren einem Johannes begegnet, der im Jordan Menschen tauft und schon damit aus dem jüdischen Rahmen fällt. Dieser Täufer, von dem wir sonst nichts erfahren, hat Jesus offenbar stark beeindruckt und beeinflusst, möglicherweise hat er ihm den Kern seiner Ansichten übermittelt.

 

Unser Jesus wird darauf laut den synoptischen Evangelien für ein knappes Jahr zum radikalen Aussteiger aus allen anerkannten jüdischen Lebens-Zusammenhängen und zieht als eine Art Wanderprediger umher, wobei er seinen Lebensunterhalt aus Spenden und vielleicht auch mit Betteln ermöglicht. Vermutlich bezeichnet er sich nicht als (leiblichen?) Sohn Gottes, wie ihn die Evangelisten dann am Ende nennen, die seine Geschichte jeweils von hinten, von seinem Tod her aufzäumen werden. Dass er von einem Vatergott redet, soll wohl diesen selbst so für alle als „väterlich“ charakterisieren - jedenfalls für die, die ihm gehorsam sind.

 

In den Evangelien hat er davon nicht viel zu sagen und entwickelt auch sonst kaum so etwas wie Religion oder gar Theologie. Er verkündet vielmehr eine Art Ethik demütigender Gewaltfreiheit, radikaler Selbstlosigkeit, von Besitzlosigkeit als gottgewollter Armut, uneingeschränkter Friedfertigkeit außer gegenüber der Welt böser Dämonen, und zudem eine von völlig fehlender Sexualität, die in der radikalen Ablehnung auch von Ehe und Familie im Matthäus-Evangelium gipfelt.

 

Der Jesus der Evangelien schart nach seiner Erleuchtung am Jordan einige Anhänger um sich, von denen er verlangt, dass sie sich ganz auf ein anstehendes Weltende hin orientieren und darum alles dafür Überflüssige oder Hinderliche von sich weisen: Dazu gehörte jeglicher Besitz und alle persönliche Bindung an andere Menschen außer an ihn, den Erleuchteten selbst. Eine Welt voller Dämonen und Schlechtigkeit würde von einem väterlichen Gott für die erlöst werden, die an ihn, Jesus von Nazareth, glauben.

Kein Wunder, dass seine Anhängerschaft winzig bleibt und aus einigen weiblichen Verehrerinnen und einem kleinen Kreis von Männern besteht, die letztere mit ihm umherziehen. Das alles wird möglicherweise mit dem unmittelbar bevorstehenden Ende der Welt begründet, welchem die entkommen, die sich Jesus anschließen und mit ihm ziehen. Angesichts der nahen Wiederkunft eines neuen Paradieses werden Sexualität und Erzeugung von Nachwuchs dann wieder überflüssig werden.

 

Ich lasse die von den Evangelisten beschriebenen magischen Kräfte aus, mit denen er wie von Zauberhand Wasser in Wein verwandelt, Tote wieder zum Leben erweckt und selbst wie schwerelos auf einer Wasseroberfläche herumspaziert. Wichtiger sind seine Gleichnisse, in denen er die Welt nicht nur der Juden auf den Kopf stellt: Menschen sollen nicht nach ihrer (Arbeits)Leistung, sondern gemäß ihrer Gottesgläubigkeit vom väterlichen Gott ent- bzw. belohnt werden, Arme sind Gott näher als Reiche, deren Besitz ihnen das Himmelreich nahezu versperrt, und einsichtige, vorher lebenslange Sünder ebenfalls eher als Muster jüdischer Rechtschaffenheit mit dem Eintritt in die Erlösung begabt. Tempel, Priesterschaft und Opferkult scheinen kaum noch eine Rolle zu spielen.

 

Das Himmelreich wird nicht näher erklärt, aber es leitet sich wohl aus einem wiedergewonnenen jüdischen Paradies nach Erscheinen eines prophezeiten Messias ab. Jesus selbst lässt sich als Rabbi anreden, als eine Art jüdischer Fachmann für Religiöses, und er wird wohl erst nach seinem Tode zu einem Messias (Erlöser) gemacht, im Griechisch der Evangelisten dann christos und sotér. Und ohne diese Verwandlung eines Menschen Jesus in einen am Ende auch lateinischen christus wäre aus ihm auch im Nachherein kein Religionsgründer gemacht worden.

 

Nur zu vermuten ist, dass er aufgrund seiner Erfolglosigkeit sozusagen in der Höhle des Löwen auftaucht und im Jerusalemer Tempel randaliert, weil ihn die Kommerzialisierung des Opferkultes stört. Bis dahin hatte er sich nur in ländlichen Kleinstädtchen fernab in Galilea herumgetrieben, was offenbar kaum störte. Nun scheint er die Aufmerksamkeit, den Eklat zu suchen und bekommt ihn. Eine empörte Priesterschaft setzt bei der römischen Staatsmacht seinen Tod durch, offenbar unter dem Jubel vieler Juden.

 

Soweit kann der Außenstehende folgen. Was nun in den Evangelien beschrieben wird, hat wohl damit zu tun, dass an sich jetzt die Jesusgeschichte zu Ende wäre, was seine wenigen Anhänger als großes Unglück so nicht hinnehmen wollen. Und so beschreiben sie eine ganz und gar unglaubliche Geschichte, die offenbar damals dann eine gewisse Austrahlung auf einige wenige hat. Erst aus ihr wird sich ein "Christentum" entwickeln.

Aus dem Menschen Jesus wird nun tatsächlich, wie es heißt, ein irgendwie leiblicher Sohn des jüdischen Gottes, oder anders verstanden, die Inkarnation (Fleischwerdung) Gottes auf Erden. Vermutlich fangen bald die ersten derer, die ihren (jüdischen) Gott dennoch weiter mit einem gewissen Monotheismus versehen, an, daran zu glauben, dass ihr Gott in Menschengestalt zu den Juden gekommen sei, denn Jesus ist nun mehr als ein Prophet, er wird selbst göttlich.

 

In völliger Verkehrung der Abrahamgeschichte, in der ein Menschenopfer von Gott abgelehnt wird, lässt sich also Gott selbst in Menschengestalt opfern. Also erst im Tode selbst wird der Jesus der Evangelisten zu Gott als Gottes Sohn. Und da Götter unsterblich sind, muss er von den Toten "auferstehen". Damit das glaubhaft wird, behaupten die Evangelisten, dass man ihn kurz darauf in seiner Menschengestalt wiedererkannt habe, allerdings nun soweit vergöttlicht, dass er unberührbar geworden ist. Jetzt fehlt nur noch jene Pfingstversammlung, bei der seine kleine Anhängerschar sich in Verzückung oder gar Raserei versetzt, um all das nun auch ganz fest zu glauben.

Der Gott aber, der sich in Menschengestalt opfert, tut dies zur Erlösung derer, die an ihn glauben, und gibt seinen Anhängern das Versprechen, für sie sehr bald wiederzukommen, um damit das Ende der Welt und den Anbeginn des Himmelreiches (für sie) in Szene zu setzen.

 

Da es hier um die Entstehung des Kapitalismus vom 10. Jahrhundert an nach solchen recht legendären Ereignissen gehen soll, ist das wichtigste Moment des Ganzen zum Schluss deutlich hervorzuheben: Der zum Messias bzw. zu (einem?) Gott gewandelte Jesus verspricht im Kern Erlösung von jenem Menschsein, wie es allen Menschen in einer wahrnehmbaren Wirklichkeit zu eigen ist; also die Rück-Verwandlung der Menschen, die an ihn glauben, in Gottes Ebenbilder, denen Gott in Menschengestalt in seinem eigenen Reich erneut paradiesische Zustände jenseits von Raum und Zeit verspricht. Die ganze "irdische Welt" wird dabei untergehen, sie ist überflüssig geworden. Und denen, die nicht nach Jesu Vorgaben leben oder gar an seine Göttlichkeit glauben, blüht im selben Moment ewige Verdammnis. Von einem "lieben Gott" der deutschen Mittelschichten des 18./19. Jahrhunderts jedenfalls kann noch lange keine Rede sein. "Er" ist eher weiter von einer gewissen archaischen Härte.

 

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Der zu Christus gewordene Jesus verspricht seine nahe Wiederkehr, bei der nicht nur wie bei seinem Tod der Jerusalemer Tempel wackelt, sondern alles Irdische mit Getöse untergeht. Die kleine Jerusalemer Gemeinde, in der Apostelgeschichte nun schon etwas historischer greifbar, wartet auf ihren Erlöser, konfrontiert mit der bis zur Steinigung des Stephanus gehenden Feindseligkeit jüdischer Orthodoxie. Man lebt in Gütergemeinschaft in einer isolierten Männerwelt und bekräftigt sich wohl immer wieder gegenseitig die Gewissheit der Wiederkunft des Herrn.

 

Aber während "der Herr" erst einmal nicht kommt, taucht der zu seiner Version eines Jesus und Gottes findende Paulus auf und verlangt, dass Juden kein Monopol auf diesen Erlöser haben dürften und hätten – er gehöre allen Menschen, die an ihn glauben, worunter er wohl vor allem die griechische, aber auch die lateinisch-römische Welt versteht. Das führt zum Streit, aber der erledigt sich spätestens, als die Jerusalemer Gemeinde mit dem Tempel und antiker jüdischer Geschichte zusammen untergeht.

 

Mit der Auswanderung des Christentums aus dem Judentum gerät es in eine erheblich andere Welt als die seines Ursprungs. Während es sich nebenan in Syrien stärker ländlich einwurzelt, Jesus war eher kein (Groß)Städter, sondern vertraut mit dem Leben in kleinen Ortschaften, gelangt es im lateinischen und griechischen Teil des Reiches zunächst in große Städte mit ihren ganz eigenen Strukturen, nach Alexandria, dann prächtigen anatolischen, also griechischen Metropolen, und schnell auch in die Millionenstadt Rom. Der vielleicht aramäisch sprechende Jesus der Evangelien muss also zunächst ins Hebräische, dann ins Griechische und schließlich ins Lateinische übersetzt werden, mit einer jeweils verschiedenen Begrifflichkeit, die etwas unterschiedliche Vorstellungswelten ausdrückt.

 

Es entstehen vielerorts neue Zentren christlicher Gemeinden, also der Verehrung des menschgewordenen, getöteten und und auferstandenen Gottes. Mit der Verbreitung eines solchen Christentums aus dem jüdischen Kernraum und auch über Gemeinden der jüdischen Diaspora hinaus beginnt aber sogleich seine radikale Substanz zu verwässern, wie man bald an vielen Stellen nachlesen kann. Nicht nur, dass der neue Gott in gewissem Sinne noch stärker aus dem Kontext jüdischer Orthodoxie gelöst wird, und dass er zum Gott aller wird, die an ihn glauben, sondern er kommt, und das wird den Glauben an ihn stark verändern, nicht wie versprochen wieder, anders gesagt, man muss sich auf ein Leben einrichten, dass mit dem eigenen Tod endet, und hoffen, dass er doch irgendwann später zu ihren Gunsten eingreift. Irgendwann eben am "jüngsten", also letzten Tag.

 

Während die Frömmsten der ersten Generationen noch glauben, die Wiederkehr des Erlösers samt seinem Erlösungswerk selbst erleben zu können, schwindet dieser Glaube bei den meisten, die deshalb auch nicht mehr bereit sind, der Aufforderung des Erlösers nachzukommen, auf Besitz, Ehe und Familie zu verzichten. Sie bleiben zunehmend dieser Welt verhaftet. Das funktioniert darüber, dass die entstehende Kirche Zug um Zug die Erlöserfunktionen dieses Jesus übernimmt.

 

Wie nicht anders zu erwarten, verändert das Christentum mit seiner Ausbreitung über Palästina hinaus überall seinen Charakter. Mit der Christianisierung des griechischen Raumes wird es hellenisiert, mit seinem Einzug im lateinischen Westen des Imperiums romanisiert. In Syrien mit seiner eigenen Sprache und seinen Lebensformen erobert es sich schneller das Land, anderswo zunächst die Städte.

 

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Ohne kirchlich definiertes "Christentum" kein Kapitalismus, auch wenn dieser die Religion am Ende erledigen wird. Dabei weiß schon bald niemand einigermaßen genau, was Jesus von Nazareth so alles gepredigt hat, aber mit Friedrich Nietzsche und anderen ist davon auszugehen, dass Paulus und die Überarbeiter der Evangelien mit der Entwicklung eines Christentums, welches Jesus kaum gewollt haben kann, Jesus zum Religionsgründer hochstilisieren und seine Rebellion gegen das Judentum nach dem Sieg von dessen Orthodoxie gegen die Etablierung einer Kirche eintauschen, um sein wohl historisches Scheitern zu verschleiern.

 

Ursula Homann fasst Nietzsche hier treffend zusammen:

Die Jünger und Paulus, sagt Nietzsche, sie haben die Verkündigung Jesu zum Opfer des Milieus der kleinen Leute und ihres Aberglaubens gemacht. Die Verkündigung ist unter die "kleinen Mucker" gefallen und nach deren Muckertum verstanden und umgedeutet worden. So wird Jesus ein Opfer der kleinen Leute.

Durch die Verlagerung aller Hoffnungen auf ein Dasein nach dem Dasein wird jedem Tatsachensinn der Boden entzogen. Die Folge ist eine die ganze Natur umfassende Entwertung der Realität; in letzter Konsequenz führt die ressentimentgeladene Grundstimmung der christlichen Religion zu einer nihilistischen Einstellung zum eigenen Leben. >So zu leben, dass es keinen Sinn mehr hat zu leben, das wird jetzt zum Sinn des Lebens ... Nihilist und Christ, das reimt sich nicht bloss..< (https://ursulahomann.de/NietzscheUndDasChristentum)

 

Nihilismus heißt hier Entwertung der irdischen, sichtbaren Welt, der Natur, jeder Wirklichkeit zugunsten eines Jenseits, das, was Nietzsche Nihilismus nennt. Bei ihm heißt das: Glaube heißt Nicht-wissen-wollen, was wahr ist, - sondern glauben, was einem aufokroyiert wird. Zu Nietzsche zu ergänzen ist, dass Glauben auch Nicht-Aushalten-Können des existentiellen Nichtwissens des Menschen ist. Damit verschwindet die jesuanische Kritik an der jüdischen Priesterreligion und wird ersetzt durch ihre christliche Wiederauferstehung. Der strafende Gott kehrt zurück und mit ihm die Priester und die Sündenkataloge. Der nunmehr christianisierte und dann theologisierte Jesus wird zugleich zum Propheten der kleinen Leute umfunktioniert, die nun wieder vor der Obrigkeit zu ducken haben.

Bei Nietzsche heißt das: Paulus konnte im Grunde das Leben des Erlösers überhaupt nicht brauchen - er hatte den Tod am Kreuz nötig und etwas mehr noch..(...) Ein Gott für unsere Sünden gestorben: eine Erlösung durch den Glauben: eine Wiederauferstehung nach dem Tod - das sind alles Falschmünzereien des eigentlichen Christentums, für die man jenen unheilvollen Querkopf(Paulus)verantwortlich machen muss. (so zusammengestellt in: siehe oben) 

 

Die zentrale Botschaft der Kirche heißt dann: Gehorsam gegenüber den irdischen und gottgewollten Machtstrukturen, nämlich Herrscher, Vorgesetzte und Priester, völlige Hoffnungslosigkeit gegenüber irgendeiner "Erlösung" in der wirklichen Welt, komplette Vertröstung auf ein Jenseits, für dessen Zugang die totale Unterwerfung unter geistliche und weltliche Herren vonnöten ist.

Hatte der evangelische Jesus in seiner Verachtung alles irdisch nicht absolut Lebensnotwendigen die Beschäftigung auch mit institutionalisierter kultischer und weltlicher Macht abgelehnt, so wurde daraus in kompletter Verdrehung die Hochachtung dieser Machtstrukturen als göttlich gewollt, ja christlich darum wünschenswert. Daraus ergibt sich das enge Bündnis von Kirche und Macht bis in unsere heutigen Tage.

 

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Der unübersehbare Grundwiderspruch des entstehenden Christentums ist der zwischen der Verheißung der baldigen Wiederkehr des Jesus als Christus bei Paulus und in den Evangelien und der Tatsache, dass diese nicht eintritt.

Damit werden die radikalen Forderungen dieses Jesus der heiligen Texte für die meisten obsolet, ihre Geschäftsgrundlage entfällt sozusagen.

Genau daraus nun begründet sich aber der Aufstieg der Kirche. Sie ersetzt das Heilsversprechen Jesu durch ihr eigenes, durch die Etablierung ihrer magisch-sakramentalen Macht. Mit dieser gewinnt sie ein Eigenleben und Eigeninteresse, welches sie in ihre Integration in den antiken Machtapparat einbringt. Im Laufe der Jahrhunderte wird sie zum zentralen Erben der christianisierten antiken Welt. Der paulinische und evangelische Jesus verschwindet dann dahinter.

 

Die entstehende Christenheit nach dem Tode Jesu spaltet sich schnell in die wenigen auf, die bestrebt sind, mehr oder weniger seine Nachfolge anzutreten und in die Laien, die nicht bereit bzw. imstande sind, diesem Anspruch zu genügen. Der „Laie“ gehört zum griechischen laós, dem „Volk“, mittellateinisch laicus, was dann auch ungebildet heißt, wobei das Mittelalter in diesem Fall unter Volk eben die versteht, die sich mit der Nachfolge Jesu überfordert fühlen und darum weder Kleriker noch Mönche werden. Ihre Rechtfertigung beziehen sie daraus, dass es eben auch die Massen geben muss, die für die Frommen arbeiten und ihnen Nachwuchs produzieren.

 

Nachfolge Jesu: Sein Reich ist nicht von dieser Welt, es gilt möglichst alles „Weltliche“ (das „Fleisch“) von sich abzustreifen, um die Seele/den Geist auf die Ewigkeit vorzubereiten. Anders gesagt, alles Begehren ist auf dieses ewige Leben auszurichten. Essen und Trinken ist auf das schier Notwendige zu beschränken, ebenso die Kleidung. Besitz ist rundherum hinderlich, da er vom Streben ins Himmelreich ablenkt und abhält. Insofern wären die meisten, nämlich die produktiv Arbeitenden, mit ihrer relativ ausgeprägten Besitzlosigkeit für die Kirche vorbildlich, wenn ihre Armut nicht der Sehnsucht nach dem Himmelreich, sondern den natürlichen Gegebenheiten und den gewaltsam aufrechterhaltenen Machtstrukturen geschuldet wäre. Und bei ihnen wird die Kirche auch nicht einmal eine sonderlich "christliche" Sublimierung des Geschlechtstriebes durchsetzen können.

 

Für die Laien vom König bis zum von einem Herrn abhängigen Landbearbeiter ist der Klerus zuständig. Kléros ist im Griechischen das Los, das einen trifft, und es meint nun das selbst erwählte Los des „Geistlichen“, von dem erwartet wird, dass er lesen und schreiben gelernt hat und wenigstens Teile der Heiligen Schrift und der kirchlichen Dogmen kennt. Als „Hirte“ hat er die „Herde“ der Laienschar zu betreuen und für deren unsterblichen Teil, die „Seele“ zu sorgen.

Dieser „geistige“, vom Körper umfangene und kontaminierte Teil des Menschen landet nach dem Tod entweder (nach Anbruch des Jüngsten Gerichtes, wie es in der mittelalterlichen Interpretation der Apokalypse des Johannes beschrieben wird) in der ewigen Seligkeit, oder aber er erleidet ewige Höllenqualen. Der Klerus unterweist die Laien auf dem Weg zur ewigen Seligkeit, die auch die Annahme der magischen Kräfte der Sakramente einschließt, und er sollte eigentlich selbst ein exemplarisch heiliges Leben in der Nachfolge Jesu leben, was in der Praxis aber eher selten bleibt.

 

Priester sollen nach Heiligkeit streben, nach Minderung allen "fleischlichen" Begehrens zugunsten von Vergeistigung. Aber im Unterschied zu den später aufkommenden Mönchen flieht der (Welt)Klerus nicht die Welt, denn er soll den Laien, den Schafen der christlichen Herde, als Hirte dienen und ihnen ein besseres Jenseits bei Folgsamkeit versprechen. Zu diesem Zweck verfügen die Priester über die Sakramente und haben damit den Mönchen etwas voraus. Die Mönche wiederum (und die Nonnen) besitzen den Vorzug, nicht durch den Kontakt mit "der Welt" ständig den Gefahren massiver Kontaminationen ausgesetzt zu sein.

 

Die Gemeinde hat zunächst kaum ein eigenes Gebäude, aber doch einen Raum, indem man sich trifft. Organisiert werden die Treffen von Presbytern, Ältesten, die später auf deutsch Priester heißen werden. Und solche Versammlungen im Raum einer civitas mit ihrem erheblichen Umland werden bald vom einem übergeordneten episcopos beaufsichtigt, der auf deutsch dann zum Bischof wird.

So bekommen die Gemeinden Vereinscharakter, sie richten Ämter ein, eine Hierarchie entsteht, die zur Kirche wird, kyriakon, dem Haus des „Herrn“, und ekklesia, der organisierten Versammlung der Gläubigen. Kirchliche Ämter entwickeln ein Eigenleben und werden zugleich aufgewertet durch die Anzahl der ihnen zugeordneten Menschen. Anstatt bloß in der Erwartung der Wiederkunft Gottes zu leben und sich auf diese vorzubereiten, wie es einst Paulus verlangte, richtet man sich im Erdenleben ein und macht die ersten Kompromisse mit der Wirklichkeit.

 

Wenn man aber mehr Gläubige haben möchte, tritt man in Konkurrenz zu den antiken Kulten. Solche frühe Versammlungen sind für die meisten Menschen im Vergleich mit den römischen und griechischen Kulten mit ihren Zeremonien, dem Nebel des Geheimnisvollen und den sie begleitenden Festivitäten eigentlich nicht sehr attraktiv. Und so wird das dort veranstaltete Gedächtnismahl für das letzte Abendessen des "Herrn" mit seinen Aposteln immer stärker magisch aufgeladen, wobei dem Presbyter steigende Bedeutung zukommt. Ein Altar muss her, nicht mehr der nebenan, bei dem Tiere geopfert werden, sondern einer, an dem zeremonielle Gegenstände, die heilige Schrift und was auch immer abgelegt werden können. Immerhin haben die Christen ja auch ein Opfer, das ihres Gottes am Kreuz, welches man feiern kann. Und hatte nicht Jesus kurz vor seinem Tode gesagt, wie man lesen kann, dass man sich beim Essen und Trinken an ihn erinnern sollte, den Wein wie sein Blut und das Fleisch wie sein Fleisch betrachten solle, um sich seines Opfertodes ganz handfest gemeinschaftlich zu erinnern?

 

Auf diese Weise entsteht langsam die Messfeier, in die sich nach und nach die Vorstellung einschleicht, dass sich dabei irgendwie Wein und feste Nahrung in Fleisch und Blut Jesu verwandeln, etwas, was allerdings erst im 11. Jahrhundert dogamtisch festgelegt werden wird. Dafür sitzt man nicht mehr einfach weiter am runden Tisch und isst und trinkt, sondern der Priester reicht von der Altarseite aus besondere symbolische und darum kleine Portionen. So entsteht der zunehmend magisch besetzte Kirchenraum, in dem sich Priester und Gemeinde gegenübersitzen und später dann gegenüberstehen.

 

Mit der magischen Note, die das bekommt, beginnt das Sakramentalisieren bzw. Weihen von Speis und Trank und dann des Raumes, in dem das alles geschieht. Und wenn schon die Gemeinde immer mehr an Heiligkeit verliert, dann muss doch wenigstens der Priester daran gewinnen. Wie Jesus und seine Apostel soll er möglichst unbeweibt sein und seinen Geschlechtstrieb im Zaume halten. Er soll außerdem besitzlos sein wie Jesus; Spenden gehen dafür an die Institution und damit an Gott, wie auch bei den Heiden. Auf diese Weise soll er eine Art bezahlter Beamter der Gemeinde werden, den diese zu finanzieren hat. Das Priestertum der "heidnischen" Antike zieht so in neuem Gewand ins Christentum ein.

 

Aus dem Ältesten, presbyteros der Gemeinde, wird also der Priester, und aus dem Aufseher über eine Anzahl Gemeinden, episcopos, der Bischof. Vollgültiger sacerdos wird dabei nur der Bischof, der alleine Priester und Kirchen mit den magischen Kräften des Bindens und Lösens und ihrer Schlüsselgewalt weihen darf, was ihn zum direkten Nachfolger der Apostel mit fast deren Status macht.

Auf diese Weise entsteht etwas noch nie dagewesenes, was auf deutsch später Kirche heißt, ursprünglich ekklesia, griechisch für eine Menschenversammlung, dann ein institutionalisierter und zunehmend in Bistümern zentralisierter Apparat beamteter Priester, überall im Reich einigermaßen gleich, denn es geht um denselben einen Gott und dieselben heiligen Schriften. Kirche entsteht also aus der Trennung von Priesterschaft und Gemeinde, also den Laien einerseits, und der Abspaltung eines monastischen Lebens als Eremit oder im Kloster andererseits.

Und im römischen Reich mit seinen städtischen Strukturen passt diese Kirche sich an: Der Priester vor Ort, der Bischof für das ganze Territorium der civitas, der Metropolit darüber für mehrere civitates, bald auch archiepiscopus in latinisiertem Griechisch genannt und schließlich Erzbischof im Deutschen. Darüber wölbte sich noch das Patriarchat, und unter deren mehreren wird das von Rom für den lateinischen Westen nach und nach die Oberhand gewinnen, während die anderen später dem Islam bzw. der Bedeutungslosigkeit zum Opfer fallen.

 

Und es braucht darüber hinaus eine attraktivere Botschaft als die Vertröstung auf eine immer fernere Zukunft. Die entstehende Kirche beginnt also, ihre neuen Mittel als Mittler zu Gott anzubieten, die an die Stelle Jesu treten. Ohne sie ist jetzt kein Heil und nur bei ihr ist jedwede Wahrheit.

 

Aus dem nicht mehr greifbaren Erlöser wird also die Kirche nun zum Erlöser, zum Mittler zwischen "Gott" und den Menschen. Mit dieser Macht ausgestattet, entscheidet sie jetzt zwischen heiligen und zu vernachlässigenden Texten des ersten Jahrhunderts und verändert dabei ihre Substanz immer mehr zu jener Religion, die dann bald als die der "Christen" immer doktrinärer fixiert wird.

 

Begründet wird das alles dann durch das sicherlich später eingefügte (angebliche) Jesuswort an Petrus als Auftrag zur Kirchengründung, dem sowohl paulinische Texte wie die Apostelgeschichte mit ihrer Erwartung der Wiederkunft des Herrn widersprechen. Aber da es sich hier um die einzige Rechtfertigung der Macht einer hierarchisch gegliederten Institution handelte, übersteigt es wohl das kritische Denkvermögen der Beleseneren in der Kirche und natürlich ihre handfesten Interessen, daran zu zweifeln.

 

Tatsächlich hat wohl der evangelische Autor ausgerechnet den ob seiner Gewalttätigkeit von Jesus gerügten Petrus dazu ausersehen, weil sein griechischer Name (petros lässt sich als Fels übersetzen) sich für das Wortspiel eignete, er sei der Fels, auf den Jesus baue:

et super hanc petram aedificabo ecclesiam meam (…) Et tibi dabo claves regni coelorum, et quodcunque ligaveris super terram, erat ligatum et in coelis, et quodcunque solveris super terram, erit solutum et in coelis (Matthäus XVI,18f: Und ich will dir die Schlüssel zum Himmelreich geben. Alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.)

 

Die griechische ekklesia ließe sich problemlos als schlichte Versammlung der Gläubigen übersetzen, was sie wohl auch am Anfang war, wenn nicht die enorme Macht, die Petrus dann überantwortet wird, als die fast eines christos beschrieben wird, was auf eine bereits etablierte Kirche verweist, die für Jesus kurios gewesen wäre, der ausdrücklich im selben Evangelium darauf verweist, dass er kein Religionsgründer, sondern „Erfüller der Schrift“ der Juden sein möchte. Aber eine kritische Lektüre der Evangelien ist undenkbar, und eine vernunftgemäße Interpretation wird zwischen Augustinus und Abaelard ebenfalls nicht möglich.

 

Da man nun erzählt, dieser Petrus sei in Rom als Haupt seiner Gemeinde (so wie auch Paulus) als Märtyrer gestorben, verstärkt das jene Begründung einer herausragenden Rolle der Stadt, deren tiefster Grund die Tatsache war, dass es sich um die Hauptstadt des Weltreiches handelte, welches für ein Christentum und die entstehende Kirche zu gewinnen sein wird.

 

Die vermutlich spätere Einfügung in Matthäus 16 begründet dabei nicht nur nachträglich die Entstehung einer Kirche, sondern eben auch die Macht derer, die sich selbst als Nachfolger Petri bezeichnen. Wenn der evangelische Jesus angeblich Petrus die Macht "zu binden und zu lösen" gibt (im Himmel wie auf Erden), dann lässt sich daraus ein totaler Machtanspruch ableiten. Andererseits lässt sich schon aus Paulus und dann aus Matthäus ein Nebeneinander geistlicher (privater) und weltlicher (öffentlich römischer) Mächte ableiten.

 

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Dabei gelangt Christentum in Verhältnisse extremer Unterschiede von arm und reich, von Macht und Ohnmacht, und von anderen Auffassungen von einem guten und schlechten Leben. Vor allem bauen Römer alle ihre Vorstellungen auf ihrer spezifischen Auffassung einer patriarchalen Familie auf, und das Christentum kann daran nicht vorbei. Damit aber ist das jesuanische „lasst alles stehn und liegen und folgt mir nach“, ganz jüdisch offenbar ausschließlich an Männer gerichtet, nicht mehr aufrechtzuerhalten.

 

Mit der patriarchalen Familie und der Sorge um Frau und Kind ist der neu definierte Gott nicht mehr als alleiniger Orientierungspunkt fassbar. Und da er nicht mehr wiederkommt, kann man nicht auf Kinder für das eigene Alter verzichten, die Vorstellung einer Erlösung zu Lebzeiten schwindet. Zudem erkennt die Kirche, dass sie offenbar Nachwuchs für ihre Gemeinden braucht, um nicht auszusterben. Was davon bleibt, ist ein Kult der Jungfräulichkeit für besonders Auserlesene, die dann zum Zeichen ihrer Heiligkeit besonders gewandet vorne in der Kirche sitzen und der Prozession voranschreiten dürfen. Was wiederum mit zunehmendem Misstrauen begleitet wird, sind Leute, die sich ohne kirchliche Hilfe zum Beispiel als Eremiten ganz selbständig mit ihrer eigenen Heiligung und Erlösung beschäftigen.

 

Familie heißt nur für wenige ein Oberschicht-Dasein als Großgrundbesitzer, für die meisten bedeutet es stattdessen arbeiten und Geld verdienen, um in einer Welt allgemeiner Lohnarbeit oder als zunehmend abhängiger Bauer zu überleben. Und aus alledem erwächst dann das Bedürfnis nach den Tröstungen des fast genauso allgemein vorhandenen und zutiefst unchristlichen Amüsierbetriebes. Wer sonst nichts kann oder will, geht schon damals zum Militär und wird Soldat, ohne alle Feindesliebe.

Das zweite Jahrhundert ist bereits voller Texte, die beklagen, dass man Christen und Heiden alltäglich immer seltener unterscheiden könne.

 

***Das Christentum des 3. Jahrhunderts***

 

Zwei an griechischer Philosophie geschulte christliche Lehrer helfen um 200 bei der Integration der christlichen Religion in die Schicht der Beleseneren. Clemens von Alexandria weicht dabei deutlich von der Radikalität des evangelischen Jesus ab, zum Beispiel indem er Christen sogar Reichtum zugesteht, so sie ihm nur nicht allzu hohe Bedeutung beimessen. Ein so konzipiertes Christentum verkommt dann zu einem ehrbarer Moral.

Ähnliche Bedeutung gewinnt Origenes, der meint, dass Christentum intellektuell mit Philosophie konkurrieren könne, auch wenn dafür nur wenige geeignet seien:

(...) wenn wegen der Sorgen und Mühen, die das Leben mit sich bringt, oder der menschlichen Schwäche zufolge sich nur wenige der Wissenschaft widmen, welcher andere Weg, um der großen Masse zu helfen, ließe sich dann wohl finden, der besser wäre als jener, den Jesus den Völkern gewiesen hat. ('Contra Celsum I, in: Christ, S.686)

Unübersehbar wird hier zwischen der Lehrhoheit dafür (Aus)Gebildeter und der Naivität (Dummheit?) der Masse der Gläubigen unterschieden.

 

Ganz anders der Nordafrikaner Tertullian: Hüte man sich vor solchen, die ein stoisches, platonisches und dialektisches Christentum erfunden haben! Wir bedürfen seit Jesus Christus des Forschens nicht länger, noch des Untersuchens, seit wir das Evangelium besitzen. (in: Christ, S.688) Vom Besuch der Amüsier-Veranstaltungen über das übliche erotisch mehr oder weniger provozierende Auftreten der Frauen bis zum Militärdienst lehnt er all das ab, was bei Christen nun immer üblicher wird. Kein Wunder, dass er bald aus der immer dogmatischen Kirche herausfällt so wie alle anderen, die den paulinischen und/oder den evangelischen Jesus ernst nehmen. Zu erwähnen wäre noch Cyprian, der die hierarchische Struktur einer derart völlig unjesuanischen "katholischen" Kirche vertritt.

 

Die Christen trennen zunehmend zwischen einem „römischen“ Alltag, der sich von dem der Nichtchristen kaum noch unterscheidet, und dem kirchlich gestalteten Leben daneben, welches vielfältigere Facetten bekommt.

Der Widerspruch zwischen den radikalen Forderungen Jesu und christlicher Laienpraxis scheint dabei zunächst aufgelöst: Christen verhalten sich in der Kirche so, wie diese es verlangt, und außerhalb so, wie es "das Leben" erfordert. Heiligkeit ist nur noch durch ein in manchem apostolisches Leben in mehr oder weniger abgetrennten Gemeinschaften oder als Eremit möglich, und das manchmal fast ungenierte Sündenleben der Laien gibt der Kirche ihre Existenzberechtigung. Im Auftrag ihres Gottes verschaffen sie denjenigen, die sich in ihr unter ihre Anforderungen beugen, einen Zugang zum Himmelreich, ohne dass man Jesus noch "folgen" muss. (Das alles wird ausführlicher im Anhang 5)

 

Ganz so ist es allerdings nicht: Für seltene interessiertere Geister und sensiblere Seelen ist der Widerspruch, den sie leben und der in ihnen vorhanden ist, spürbar, was immer wiederkehrende Verunsicherung und Nachdenken nach sich ziehen kann. Abendländisches Denken wird davon geprägt werden, und in einer kirchlich-religiös geschlossenen Welt einen lebhaften Diskurs und eine beispiellos tiefe Streit“kultur“ entfachen. Auch daran wird das Christentum samt seiner Kirche im Unterschied zum Islam am Ende ganz zugrunde gehen.

Diese ernsthafte diskursive Welt wird mit dazu beitragen, Kapitalismus zu ermöglichen und wird ihm Räume schaffen. Aber wichtiger noch wird das religiös bestimmte Leben in Widersprüchen, aus denen ein so widersprüchliches Wirtschaften wie das von Kapitalverwertung dominierte seine Persönlichkeitsstrukturen wird ziehen können. Doch natürlich muss sich das alles erst einmal mit entsprechenden Bedürfnissen und passenden Machtstrukturen verbinden.

 

Zum Wandel gehört die Reintegration jüdischer Aspekte eines Kriegsgottes von enormer Militanz. Überhaupt werden die von Christen gesammelten jüdischen Texte nun zur Vorgeschichte ihres Christus, während der paulinische und evangelische Jesus selbst sich nur auf sehr wenige ausgewählte Passagen bezogen hatten. Damit nimmt man sie gewissermaßen den Juden weg, die einfach nicht wahrhaben wollen, dass sich die Schrift (des nun Alten Testamentes) mit Jesus „erfüllt“ hatte und damit eigentlich erledigt ist. Die nächsten 600 Jahre werden Christen gegenüber Juden ein ambivalentes Verhältnis haben, immerhin hatten sie, meinen sie, ihren Christus angekündigt. Aber der eher volkstümlich-zeremonielle Teil des neuen Synagogen-Judentums nach Zerstörung des Tempels ist inzwischen durch einen andersartigen christlichen ersetzt worden, und es gibt kaum Verständigung mehr zwischen beiden Seiten. Andererseits sind Juden noch für viele Jahrhunderte als Geschäftsleute gefragt, die auch darum von den Mächtigen geschützt werden.

 

Ein weiterer Aspekt sowohl von Rejudaisierung als auch von Romanisierung wird die so ganz unevangelische Vorstellung, dass man durch Eigenleistung die bedrohlichen Folgen unausweichlicher Sündhaftigkeit lindern könne, durch Spenden, Opfergaben, Almosen. Zu diesem fast schon direkten Geschäftsverhältnis mit Gott tritt früh für die Kirchenfrommen das über die Gnadenmittel der Kirche vermittelte. Dafür hilfreich wird es, der Kirche Besitztümer zu überschreiben. Aus einem Teil der daraus resultierenden Einnahmen finanziert die Kirche städtische Armenpflege und übernimmt so eine Aufgabe der kurialen Oberschicht.

 

Mit dem Ende der Jerusalemer Christengemeinde und der paulinischen Missionszeit war der Glaube an die schnelle Wiederkehr des Messias/Christus erledigt, eigentlich die Grundlage des Glaubens nach Jesu Tod. Und da "Christen" sich nun daran gewöhnen, dass ihre Kinder und Kindeskinder im ganz diesseitigen Imperium Romanum leben und sich in dieses einpassen, entwickelt sich bis spätestens ins vierte Jahrhundert die Vorstellung, dass das Römerreich als christianisiertes das letzte Reich auf Erden sei, welches sein Ende erst mit dem Tag des Gerichtes findet, dem Weltenende. Römisches Reich und Christentum werden so gleichgesetzt, und die germanisch dominierten Nachfolgereiche werden diese Vorstellung mit Hilfe ihrer Kirchen fortsetzen ("Die Ideologie des Mittelalters verlangte die Dauer des Römerreiches bis zum jüngsten Tag." Demandt in: Römer und Barbaren, S.19). Ein guter Christ sein heißt seitdem eben vor allem, ein gutes Mitglied des Imperiums der Römer zu sein. Christentum definiert sich dann bis heute aus der Integration der Religion in die jeweiligen Machtverhältnisse.

 

 

Konflikte mit der „heidnischen“ römischen Welt finden kaum statt, gelegentlich, eher selten gibt es aber dabei kurze dramatische Phasen. Die Caesaren eignen sich, um despotischer auftreten zu können, eine gewisse Art von nicht klar definierter Göttlichkeit an, und wenn sie es aufgrund instabiler Verhältnisse für angebracht halten, müssen die Untertanen ihnen kurz einmal als eine Art Ergebenheitserklärung opfern, entweder in bestimmten Gegenden oder im ganzen Reich. Das ist an sich keine große Sache, aber eine Minderheit der besonders frommen Christen, der stantes, Standhaften hält daran fest, das nicht tun zu dürfen, da sie nur ihren eigenen Gott anerkannten.

 

Im Extremfall werden sie dann für diesen Hochverrat bis hin zu einem damals gängigen, aber für uns heute oft grausamen Tod verurteilt. In ihrem öffentlichen Sterben bezeugen sie ihren Glauben, wie sie meinen, werden also auf griechisch Märtyrer, und die laue Menge der Ängstlichen, die verständlicherweise brav opfert, um nach einer Karenzzeit als lapsi, Gefallene wieder in der Gemeinde aufzutauchen, deklariert sie dann manchmal zu besonders Heiligen, wie um sich hinter dem Faktum ihrer Besonderheit zu verstecken. Nicht nur die stete Zunahme der Gemeindemitglieder belegt, dass es sich bei diesen Märtyrern allerdings eher um wenige Fälle handelt. (ausführlicher in der Kirchengeschichte des Eusebius oder hier in Anhang 5)

 

Nach der Verfolgung unter Decius wendet sich Valerian gezielt gegen den christlichen Klerus und gegen Christen in seinem Beamtenapparat, was deutlich macht, dass die Religion bisweilen schon in die Oberschicht eingedrungen ist.

 

Eine andere Version von Religion entsteht mit Mani, dem selbsternannten Apostel Jesu Christi, im 3. Jahrhundert im Reich der Sassaniden. Er beruft sich auf Jesus, Buddha und Zarathustra. Wesentlich massiver als bei Paulus und den Evangelisten wird hier ein Gegensatz von Licht/ das Gute und Dunkel/das Böse vertreten, welcher noch bis ins abendländische hohe Mittelalter Einfluss ausüben wird.

Bedeutende christliche Elemente enthalten die damit verwandten verschiedenen Schulen der Gnosis, also Erkenntnis, die aber auch Jüdisches und Elemente des Mithraskultes gelegentlich aufnehmen. Dabei geht es um den Weg der Erkenntnis, der Vergeistigung meint und damit Lösung von der materiellen Welt der Finsternis.

 

Verwandt damit ist der von Plotin ausgehende Neoplatonismus, der sicher in manchem dem Jesuanismus des ersten Jahrhunderts näher steht als die entstehende Kirche:

Der Weise (...) betrachtet den Reichtum nicht als einen Vorteil, noch hält er die politisch Mächtigen für bevorzugt vor den Privatleuten, sondern ein solches Trachten überlässt er den anderen. Er hat die Einsicht erlangt, dass es auf Erden zweierlei Leben gibt, eines für die Weisen und eines für die Masse der Menschen; das Leben des Weisen ist auf das höchste Gut, nach oben gerichtet; das der gewöhnlichen Menschen ist wiederum ein zweifaches; das höhere gedenkt der Tugend und hat Zugang zu gewissen Werten, der gemeine Haufe aber ist sozusagen zum Handlager der notwendigen Bedürfnisse für die Edleren da. (in: Christ, S.694)

Es ist unübersehbar dies auch die Arroganz, mit der die Kirchenoberen der Masse der Gläubigen ihre Glaubensinhalte aufzwingen und bestimmen, was Christentum zu sein habe.

 

 

Nach vier Jahrzehnten der Duldung der Christen werden sie unter Diokletian wieder verfolgt, der offenbar schon durch Verschärfung der Strafen für Bigamie und Ehebruch und ähnliches "die Götter gnädig stimmen" möchte. Es folgt die Verfolgung der Manichäer, die allesamt verbrannt werden sollen, und dann ab 299 die massive Entrechtung aller Christen und am Ende Folter, Zwangsarbeit und Tod, was bis 311 andauern wird.

 

Ausführlicher sei das Edikt des Galerius gegenüber den Christen angeführt, um deutlich zu machen, wie wenig die Verfolgungen im heutigen Wortsinn „religiös“ begründet sind und um als Entsprechung dann die Verfügungen zur Duldung, Legalisierung und Privilegierung der Christen dazu zu sehen:

Unter den übrigen Anordnungen, die wir immer zu Nutz und Frommen des Gemeinwesens treffen, waren wir bisher willens gewesen im Einklang mit den alten Gesetzen und der staatlichen Verfassung der Römer, alles zu ordnen und auch dafür Sorge zu tragen, dass auch die Christen, welche die Religion ihrer Väter verlassen hatten, zu vernünftiger Gesinnung zurückkehrten. Denn aus irgendeinem Grunde hatte eben diese Christen ein solcher Eigenwille erfasst und solche Torheit ergriffen, dass sie nicht den Einrichtungen der Alten folgten, die vielleicht ihre eigenen Vorfahren zuerst eingeführt hatten, sondern sich nach eigenem Gutdünken und Belieben Gesetze zur Beobachtung schufen und in verschiedenen Gegenden verschiedene Bevölkerungen zu einer Gemeinschaft vereinigten.

(in: Laktanz, De mortibus persecutorum, 34,1-2, hier in: Hermann-Otto, S.67.)

Nicht religiöse Inhalte, sondern ihre Absonderung, Segregation wird den Christen vorgeworfen: … sibimet leges facerent, quas observarent, et per diversa varios populos congregarent.

 

Der für Britannien und Gallien zuständige Constantius Chlorus, Vater von Kaiser Konstantin, wird sich an den Christenverfolgungen allerdings nicht beteiligen.

 

 

Konstantin

(Konstantin und Christentum ausführlich in Anhang 5)

 

Nach zwanzig Jahren Herrschaft zieht sich Diokletian 305 ins Privatleben zurück und veranlasst den zweiten Augustus Maximian zum selben Schritt. Galerius und Constantius (der zusätzlich Spanien erhält) werden jeweils Augusti, und als neue Caesaren werden nicht deren Söhne Konstantin und Maxentius eingesetzt, sondern für den Osten Maximinus Daia und für den Westen Severus, der bald durch Licinius ersetzt wird, der aber auch im Westen kaum Fuß fassen kann.

 

Beide Caesarensöhne akzeptieren das nicht. Der unehelich gezeugte Sohn Constantin des Tetrarchen Constantius Chlorus und einer Helena aus einfachen Verhältnissen wird 306 von den Truppen seines gerade verstorbenen Vaters Constantius in Eburacum (York) zum Augustus des Westen ausgerufen.

 

Konstantin unterstützt den in Gallien verbreiteten Apollokult und damit verbunden auch den des unbesiegbaren Sonnengottes, Sol invictus, der vergöttlichen Sonne. Indem er sich mit ihr identifiziert, deutet er seinen Anspruch auf Alleinherrschaft an.

 

Caesar Severus bekommt nun im Westen von Galerius den Augustustitel und Constantin soll sich mit Unterstützung von Galerius mit dem eines Caesars bescheiden. Dem Sohn Maximians, Maxentius, gelingt es, sich in Rom zum Imperator ausrufen zu lassen. Er nennt sich nun erst Princeps und dann Augustus, nachdem er Severus vertrieben hat, und setzt dabei sowohl auf den Senat als auch die Christen, erlaubt ihre Versammlungen, gibt ihnen ihre Gebäude zurück. Sohn Romulus macht er zum Caesar.

 

Galerius beauftragt Severus, der dann mit einem Kriegszug gegen Maxentius scheitert und 307 ermordet wird, und Constantin heiratet dessen Schwester Fausta. 308 treffen sich Diokletian, Maximian und Galerius noch einmal, aber ihr neuer Pakt scheitert schon alleine daran, dass ein Teil der Kombattanten nicht anwesend ist.

Vater Maximian wendet sich nun gegen seinen Sohn, muss aber zu Constantin fliehen, der wohl mit seiner Unterstützung zum Augustus erhoben wird. In Nordafrika tritt ein Usurpator auf, was eine Hungersnot in Rom hervorruft.

 

Um 310 gibt es sechs Augusti. Der Daker Licinius ist für den Westen hinzugekommen. Constantin (für den Westen), Maxentius (in Rom) und Maximinus Daia (für den Osten) beanspruchen den Titel neben Galerius und Maximian. Constantin kann letzteren gefangennehmen, worauf der sich selbst tötet oder hingerichtet wird. Maxentius erklärt nun, seinen Vater rächen zu wollen.

 

Mit dem Toleranzedikt (von Nikomedia) von 311 des kurz darauf sterbenden Galerius wird dann noch deutlicher, wie nun der Machtkampf auf ideologischer (religiöser) Ebene geführt wird: Sie dürfen also wieder Christen sein und ihre Versammlungsstätten wieder herrichten, unter der Bedingung allerdings, dass sie in keiner Weise gegen die Ordnung handeln (Laktanz, s.o.) Kurz darauf stirbt Galerius.

 

Constantin marschiert 312 gegen Maxentius nach Rom, wo er ihn an der Milvischen Brücke vernichtend besiegt. Später wird Bischof Eusebius die Geschichte von einem christlichen Feldzeichen des Kaisers und seinem Traum (en touto nika) möglicherweise erfinden. Der von ihm bald als allerchristlichster Herrscher bezeichnete Constantin "ließ am nächsten Tag den Leichnam seines Gegners aus dem Fluss ziehen und ihm den Kopf abschlagen, den er als Trophäe bei seinem Einzug in die Stadt vorweisen wollte." (Bellen, S.11)

 

Trotz deutlich zunehmender Mitgliedschaft bleibt die Kirche eine Minderheit im Reich der „Römer“. Aber mit dem Verfall der politischen Strukturen in den civitates, die zugleich Bistümer sind, gewinnen die Bischöfe an Gewicht und werden zu einem stabilisierenden Element. Ein Teil der Abgaben der Frommen wird für die Alimentation der vielen Armen verwendet, nach dem Jesuswort, dass was ihnen gegeben wird, Gott gegeben werde. Die Kirchen sind so ein recht braver Ordnungsfaktor, ihre Mitglieder auf Untertänigkeit getrimmt und bis auf den Kaiserkult zur Gänze ins Reich integriert. Bischof wird man als christliches Mitglied der städtischen Oberschicht, und schon alleine dadurch wird die Identifikation der Kirche mit den römischen Machtstrukturen deutlich erleichtert. Die hohen Ämter der Kirche bieten eben auch eine Karriere jenseits des amtlichen cursus honorum, der Beamtenlaufbahn, und spendenfreudige reiche Christen versorgen die Kirche mit immer mehr Eigentum.

 

313 besiegt Licinius den Maximinus Daia, lässt dessen ganze Familie töten und wird Alleinherrscher im Osten. Im selben Jahr einigen sich der von Trier aus herrschende Konstantin und Licinius in Mailand auf die ebenfalls bei Laktanz überlieferte Formel:

(...) wir sollten allen, den Christen wie allen übrigen, die Freiheit und Möglichkeit geben, derjenigen Religion zu folgen, die ein jeder wünscht, auf das, was an Göttlichem auf himmlischem Sitze thront, uns und allen Reichsangehörigen gnädig und gewogen sein möge. (De mortibius...., 48)

 

Bis 325 dauert noch der zunächst latente und 324 offene Bürgerkrieg, dann ist auch Licinius geschlagen und wird bald danach samt seinem Sohn hingerichtet. 25 000 seiner Soldaten sollen bei Adrianopel getötet worden sein.

 

 

Mit Konstantin erringt zum ersten Mal in einer straff-terroristischen Monarchie  das dynastische Prinzip mit der herrschaftlichen Etablierung seiner Söhne den Durchbruch.

So ist es kaum verwunderlich, dass Kaiser Konstantin die Stabilisierung seines Reiches auch durch das Einvernehmen mit der monotheistischen Kirche als Ordnungsfaktor sucht. Als vergöttlicher Herrscher übernimmt er mit dem derzeitigen "Christentum" eine neue Herrschaftsideologie und die stabilen Strukturen der über das Reich verbreiteten kirchlichen Institutionen der Städte.

 

Von einer Bekehrung kann bei ihm wohl kaum die Rede sein, wenn man davon absieht oder darauf hinweist, dass er offenbar nach erfolgreicher Unterstützung durch Bischöfe zu einer Art Identifikation seines Haus- und Kriegsgottes Sol (der Sonne) mit dem christlichen Gott gelangt, wozu ihn wohl einige dieser Bischöfe animiert haben. Im Zeichen des Kreuzes Kriege zu gewinnen, war allerdings wohl ihre Erfindung gewesen. 321 wird für den Sonnengott der dies solis (Sonntag) eingeführt, den u.a. die Deutschen und Engländer bis in die Gegenwart so nennen werden

 

Die längst meist der römischen Oberschicht angehörenden Bischöfe, die mit den weltlichen deckungsgleiche kirchliche Regionen verwalten, sind ob so viel Anerkennung und Machtzuwachs sichtlich erfreut und lassen es zu, dass er sich bald als der Chef ihrer Kirche aufführt, denn sie werden damit zugleich mächtig aufgewertet.

Von nun an sehen sich die meist der Reichsaristokratie angehörenden Bischöfe zunehmend privilegiert. Das findet 333 einen ersten Abschluss mit der Gleichstellung der Bischofsgerichte mit den staatlichen. "Die episcopalia audientia konnte nun von jedem auf der Grundlage des prätorischen oder des Civilrechts als Gerichtsstand verlangt und das Urteil des Bischofs von Staatsorganen vollstreckt werden." (Bellen, S.45)

 

Damit kommt es nach über 250 Jahren der massiven Veränderung der evangelischen Botschaft durch Integration ins römische Reich zu deren Abschluss, indem nun der "christliche" Gott zu einem des Krieges, der Gewaltverherrlichung und der Einsetzung terroristischer Despotie wird. Konstantin wird ihn laut Eusebius selbst so bezeichnen:

(...) unter deiner Führung habe ich die heilbringenden Taten unternommen und durchgeführt. Ich habe mein siegreiches Heer geführt, indem ich dein Siegel überall vorangetragen habe. (Leben Konstantins, II)

 

Diese Rejudaisierung des jesuanischen Gottes und damit Orientalisierung nicht nur von Machtausübung, sondern auch von Religion wird dazu führen, dass von nun an Anhänger des (tatsächlichen) evangelischen Jesus weit mehr als ein Jahrtausend in unmittelbarer Lebensgefahr existieren und oft genug von dem weltlichen Arm der Kirche getötet werden.

 

Den Endpunkt der Zerstörung der jesuanischen Botschaft verkündet mit unverhohlener und ganz alttestamentarischer Begeisterung Bischof Eusebius, der damit auch seinen eigenen Machtzuwachs feiert:

So lag Licinius niedergeschmettert am Boden. Konstantin aber, der mächtigste Sieger, ausgezeichnet durch jegliche Tugend der Gottesfurcht, nahm mit seinem Sohne Crispus, dem gottgeliebten Caesar, der dem Vater in allem ähnlich war, den ihm zugehörenden Osten in Besitz und schuf so wieder nach alter Weise ein einziges und einheitliches Reich der Römer, in dem sie ringsum alle Lande des Erdkreises vom Aufgange der Sonne bis zum äußersten Westen samt dem Norden und Süden ihrem friedlichen Szepter unterwarfen. (...) Und als ob es noch nicht genug verlogener Propaganda der Kirche für den Despoten gibt, geht es so weiter: In Reigen und Liedern gaben sie in Städten wie auf dem Lande vor allem Gott, dem König der Könige, die Ehre, wie sie gelehrt wurden, sodann dem frommen Kaiser mit seinen gottgeliebten Söhnen. Die alten Leiden waren vergessen und begraben jede Erinnerung an Gottlosigkeit. Man freute sich der gegenwärtigen Güter und harrte dazu der zukünftigen. (Kirchengeschichte, in: Christ, S.746)

 

Man erkennt sehr deutlich, dass die konstantinische Wende wesentlich von der Kirche vollzogen wird, während der Kaiser sich erst direkt vor seinem Tod (sicher ist sicher!) taufen lässt. Diese römische Kirche aber wird Seite an Seite mit der jeweiligen weltlichen Macht rund anderthalb Jahrtausende lang die Köpfe der Menschenmassen indoktrinieren, die Anhänger des evangelischen Jesus diffamieren, töten und verbrennen lassen und die Körper der Masse dieser Menschen in massive Untertänigkeit zwingen, um von ihr materiell ganz erheblich zu profitieren. Nichts ablehnendes zu den Leichenbergen und Mordopfern dieses Despoten gibt es, nichts über seine brutale Rücksichtslosigkeit und die Grausamkeit des Machtapparates:

"Drastische Strafen sollten offensichtlich in vielen Bereichen eine grausame Abschreckung erzielen. Kinder- und Viehdiebe, Vatermörder und Entführer sollten zusammen mit Schlangen in einen Sack genäht und ins Meer oder in einen Abgrund gestürzt werden. Nach einem Gesetz des Jahres 326 n.Chr. war bei Ehebruch über den schuldigen Teil grundsätzlich die Todesstrafe zu verhängen. Nach wie vor wurden Ehen zwischen Freien und Sklaven untersagt, der Verkehr einer Frau mit ihrem Sklaven mit der Todesstrafe geahndet." (Christ, S.750)

Gemahlin Fausta soll eine Intimbeziehung zu ihrem Stiefsohn Crispus haben und Konstantin lässt 326 seinen Sohn hinrichten und deckt die Ermordung seiner Frau. Besiegte fränkische Kleinkönige werden zum Amüsement des Publikums den Raubtieren im Zirkus zur Zerfleischung vorgeworfen.

 

Der despotisch organisierte kaiserliche Hof besitzt einen entsprechend großen Verwaltungsapparat samt den comes (Begleitern), die nicht zuletzt für das Eintreiben der kaiserlichen Einnahmen zuständig sind und mit anderen im sacrum consistorium auf Weisungen des Kaisers hin Staatsmacht ausüben. Der Senatorenstand verdoppelt und verdreifacht sich, um aus ihm die hohen Ämter zu besetzen, was aber dabei keinen Eintritt in den Senat bedeutet, für den die stadtrömische Ämterlaufbahn Voraussetzung bleibt.

 

Getrennt in die fest an den Grenzen stationierten Truppen (limitanei) und die im Hinterland stationierten beweglichen Einsatztruppen (comitatenses) bekommen nun magistri equitum und militum über letztere Befehlsgewalt, und selbst unter ihnen nehmen in der Folge Germanen, zunächst vor allem Alemannen, immer mehr zu. Schon an der Milvischen Brücke waren britannische und germanische Truppenteile vertreten gewesen.

 

332 werden Goten vernichtend geschlagen, - sie sollen 100 000 Menschen verlieren, heißt es, die vermutlich ausgezogen waren, sich irgendwo fest niederzulassen. In einem Vertrag wird ihnen der Schutz der Donaugrenze übertragen und sie stellen nun auch Hilfstruppen, erhalten dafür aber Geldzahlungen und das Recht, über die Donau hinweg Handel zu treiben. In Thrakien und Makedonien werden Sarmaten angesiedelt.

 

Seit etwa 300 nimmt die Christianisierung Armeniens zu und damit nun seine Nähe zum römischen Imperium. Es wird dabei Zankapfel zwischen dem Imperium und den persischen Herrschern bleiben.

 

Armee, Hofstaat und Verwaltung verschlingen immer größere Summen, und so kommen nun zur capitatio-iugatio Sondersteuern für Senatoren auf ihren Grundbesitz. "Die städtischen Oberschichten hatten alle fünf Jahre zu den Regierungsjubiläen ein aurum coronarium in Form von Goldkränzen oder Goldmünzen zu entrichten, und schließlich wurden auch die Gewerbetreibenden und Händler im Abstand von fünf Jahren durch die auri lustralis collatio erfasst, eine in Gold zu leistende Vermögens- und Umsatzsteuer." (Christ, S.755) Je größere Herrschaft, desto mehr Raffgier.

 

Mit der besonderen Belastung der Munizipalaristokratie nimmt deren Niedergang zu, den ein Edikt Konstantins impliziert:

Keiner, der richterliche Gewalt hat, soll versuchen, irgendein Ratsmitglied (curialis) von seinen Pflichten gegenüber der Gemeinde freizustellen oder jemanden nach eigenem Ermessen von der Zugehörigkeit zum Stadtrat (curia) zu befreien. Sollte nämlich jemand derart durch unglückliche Umstände finanziell ruiniert sein, dass er unterstützt werden muss, so gehört es sich, dies zu unserer Kenntnis zu bringen, auf dass ihm für eine gewisse Zeit Befreiung von seinen Pflichten der Gemeinde gegenüber gewährt werde. (in: Christ, S.757)

 

Die erbliche Bindung an den Stand des Dekurionen und die Verhinderung der Flucht aus ihren Verpflichtungen in den Klerus, das Heer oder die Verwaltung des Kaiserreichs sollen diese Leute "als Garanten für das Steueraufkommen des Staates und für das Gedeihen der Städte" festschreiben. (Bellen, S.46)

 

Die großen Grundbesitzer versuchen schon seit längerem, ihre Kolonen an die Scholle zu binden und ihnen einen Pachtzins abzuverlangen. Mit Diokletians Steuergesetzen, die die Steuern an Arbeitskraft und Land banden, wurde das verstärkt. Dennoch fliehen immer wieder Pächter von ihren Landstellen.

332 verbietet dann schließlich Kaiser Konstantin den colones, zur Sicherung der staatlichen Einnahmen ihr Land zu verlassen, was ihre Abhängigkeit vom Herrn erblich macht:

Bei wem auch immer ein Kolone, der einem anderen gehört, aufgefunden wird, der soll diesen nicht nur an seinen alten Platz, woher er stammt, zurückbringen, sondern soll auch für ihn die Kopfsteuer für die entsprechende Zeit erstatten. Die Kolonen selbst, die auf Flucht sinnen, soll man, wie es Sklaven zukommt, mit eisernen Fesseln binden, damit sie gewzungen werden, die Pflichten, die ihnen als Freie zukommen, infolge ihrer Verurteilung zum Sklavenstande zu erfüllen. (in: Christ, S.757)

 

Das wird dann von den germanisch dominierten Nachfolgereichen zusammen mit großen Teilen der römischen Aristokratie übernommen werden. (Werner, S.216). Aber dieser von der Kirche so gefeierte Despot beschränkt auch die Freiheit von Versorgungsgewerben und einzelner Handwerke sowie des Transportgewerbes:

Wenn einer, der von Geburtsstand Transportschiffer ist, Kapitän eines Leichters werden sollte, soll er gleichwohl in dem gleichen Stande verbleiben, dem offensichtlich auch seine Eltern angehört haben. (in: Christ, S.757)

 

Aus einst freien römischen Bürgern werden nun in immer mehr Unfreiheit verschobene Untertanen, ein Prozess, der allerdings schon vor der Zeitenwende angefangen hatte. Zudem nimmt, was schon noch früher eingesetzt hatte, der Abstand zwischen immer weniger Reichen und den armen Massen zu, wobei der obere und nun in den Herrschaftsapparat integrierte Teil des "christlichen" Klerus zu den zunehmend Reicheren gehört.

 

Mit Konstantin kommt auch der lange Prozess der Entmachtung der Stadt Rom und ihrer Instititutionen zu einem Abschluss. Das Stadtbild bleibt eine Weile noch überwiegend "heidnisch", aber erste christliche Großbauten werden noch vom Kaiser veranlasst. Da entsteht in der Nähe der Palastaula der Kaisermutter Helena eine große Basilika auf dem Grund der Lateranfamilie als Kathedrale, eine weitere außerhalb beim angeblichen Grab des ("Apostels") Paulus und eine besonders große fünfschiffige über dem angeblichen Petrusgrab.

 

Eine gewisse Bedeutung für das spätere (gallische) Frankenreich gewinnt der Aufstieg Triers, welches durch das vierte Jahrhundert hindurch kaiserliche Residenzstadt ist und erst 395 durch Mailand abgelöst wird. Der große Militär- und Beamtenapparat begründet sich daraus, dass von hier aus Britannien, Gallien bis ans Mittelmeer, Hispanien und Nordwestafrika regiert bzw. verwaltet werden.

 

324/26 beginnt jedoch der Aufstieg von Byzantion als Konstantinopel, neue kaiserliche Residenz und zunehmend Hauptstadt auf dem Boden jener Welt, die die hellenistischen Monarchien und ihre Unfreiheit hervorgebracht hatte. Überall werden Städte nun ausgeplündert, um die neue Stadt des Konstantin zu schmücken. Zwar werden sich die zunehmend wie Stadtrömer privilegierten Einwohner bald Rhomaioi nennen, aber von den römischen Traditionen wird im griechischen Osten immer weniger zu spüren sein.

Rund 80 000 Brote lässt der Kaiser nach dem Vorbild (West)Roms in seiner Residenzstadt täglich verteilen und amüsiert das (zunehmend christliche) Volk mit Spielen, unter denen die Wagenrennen in Zukunft immer wichtiger werden.

 

Konstantin ist ganz offensichtlich nicht am evangelischen Kern dieser merkwürdigen Religion interessiert, der ohnehin bei den "Christen" stetig an Bedeutung verliert, aber sehr an der Stabilität ihrer Organisation und Institution, weswegen ihn die bei Christen üblichen doktrinären Streitereien, die gang und gäbe sind und immer wieder in innerkirchliche Machtspiele ausarten, ärgern, und er sehr - aber nur zeitweilig erfolgreich - darauf drängt, dass eine einheitliche Doktrin sich durchsetzt. Ein für allemal klären und dann kein Meckern mehr zulassen ist dabei wohl die kaiserliche Devise. (Genaueres in Anhang 5)

 

Es kommt zum (Donatisten)Streit über die Christen, welche sich bei den Verfolgungen weggeduckt hatten, und der Kaiser macht auf einer von ihm geleiteten Synode zu Arles klar, wer nun Christentum definiert:

Dann werde ich dem Caecilian und seinen Gegnern durch ein ganz deutliches Urteil zeigen, welche und was für eine Verehrung der höchsten Gottheit zukommt und welche Art Gottesdienst ihr Freude macht. Auch werde ich durch sorgfältige Untersuchung vollständig erfahren und ans Licht bringen, was jetzt diese törichten und unwissenden Menschen verbergen zu können meinen. Die Leute aber, die diese Dinge ins Werk setzen und bewirken, dass dem höchsten Gott nicht mit der ihm gebührenden Verehrung gedient wird, werde ich vernichten und zerschmettern. (in: Christ, S.766)

Es wird dem Kaiser aber nicht gelingen, die Donatisten auszurotten, die bis ins 5. Jahrhundert die nordafrikanische Christenheit spalten werden.

 

Der jeweils missliebige Flügel der Christenheit wird nun verfolgt, seine Kirchen werden geschlossen, sein Klerus verbannt oder ins Martyrium getrieben. Die hässliche Fratze eines in Gewalttätigkeit und Grausamkeit erstarrenden katholischen Christentums belegt, dass vom evangelischen Jesus bei den meisten nichts mehr übrig geblieben ist, die sich jetzt im Bündnis mit der weltlichen Macht als "Christen" bezeichnen.

 

Der größte Konflikt dräut dann damit, dass "Christen" damit zu Rande kommen müssen, dass sie ihren Gott, seinen Sohn und einen ominösen Heiligen Geist gleichermaßen verehren und dabei zudem behaupten, das sei ein und dieselbe Person. In Nicäa setzt der Kaiser zusammen mit Teilen des kirchlichen Machtapparates dazu ein Glaubensbekenntnis in griechischer Sprache durch, ein symbolon, eine Art Glaubenskern. Dieser konnte nur an der Person Jesu festgemacht werden, und musste darum um das Ende der Evangelien kreisen, um Auferstehung und Himmelfahrt.

 

Für die verschiedenen Versionen stehen in den Quellen herausragende Personen: Der Bischof von Alexandria, Athanasius vertritt mit Kaiser Konstantin das Dogma von der Wesensgleichheit Jesu mit seinem Gott (das zukünftig katholische), einer seiner Presbyter, Arius, vertritt das Dogma von der Wesensähnlichkeit, und in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts wird der Bischof von Konstantinopel, Eudoxius, Kaiser Valens darauf festlegen, dass Jesus Mensch war und Gott nicht einmal wesensähnlich.

 

Für den Kaiser soll der Gottessohn wesensgleich (homooúsios) mit Gottvater sein, eine für die Masse der Kirchengläubigen sprachlich-gedanklich völlig unverständliche Erklärung, die die Verfolgung der von Arius vertretenen Gegner dieser Formulierung nach sich zieht:

In diesem Sinne schreiben wir durch dieses Gesetz vor, dass keiner von euch hinfort wagt, Zusammenkünfte zu veranstalten. Darum haben wir auch Befehl gegeben, alle eure Häuser, in denen ihr diese Zusammenkünfte veranstaltet, zu beschlagnahmen (...usw. in der Konstantins-Vita des Eusebius, 3).

Inzwischen hat allerdings unter "arianischem" Einfluss bereits die Missionierung der Goten begonnen. Und nach den Donatisten spalten nun auch die Arianer das Reich religiös.

 

Man wird sich noch viele Jahrhunderte streiten, ob Jesus als Christus und Gottessohn nun auf Erden Mensch war oder nur so aussah und auftrat, von den Wundergeschichten einmal abgesehen. Und der Heilige Geist ist ein besonderer Fall, ist er doch der Gott, der zu den Menschen spricht und ihnen die heiligen Texte, "das Gesetz" aufträgt. Die aber sind als Gottes Wort und unumstößliche Wahrheit absolut notwendig, denn ohne ihren Besitz, den nämlich ewiger Wahrheiten, ist die Kirche nicht mit dem unduldsamen Absolutheitsanspruch ausgestattet, der ihre Macht begründet.

 

Im Osten kommt es noch zu einer dritten großen Spaltung der Christenheit: Der Patriarch von Konstantinopel Nestorius lehnt für Maria den Namen Gottesgebärerin ab und betont die zwei Naturen Jesu. Dagegen tritt Kyrill, der Patriarch von Alexandria, für einen Monophysitismus ein, wonach Christus nur eine (göttliche) Natur habe. Es wird den oströmischen Kaisern zumindest nicht gelingen, die ägyptischen Christen davon abzubringen.

 

Von nun an werden Kaiser und später Könige siebenhundert Jahre lang Konzilien abhalten und über die Doktrin der Kirche bestimmen. Fast allen aufgewerteten Bischöfen aus der römischen Oberschicht ist das nur recht. Die germanischen Nachfolgereiche werden diese Einheit von Staat und Kirche übernehmen. Christliche Religion begründet seitdem sowohl Herrschaft wie die Ohnmacht der produktiven Massen, Armut und Reichtum, begründet Kriege, jede erdenkliche Form von Grausamkeit und Schrecken, das Unheil eben, welches seitdem von sogenannten Christen über die Welt gebracht wird. Es konkurriert darin mit dem Judentum bis zur Zerstörung des zweiten Tempels und mit dem Islam seit seiner Erfindung durch Mohammed.

 

337 stirbt Konstantin, den der fast schon Hof-Bischof Eusebius am Ende noch tauft. Danach wird er in der consecratio vom Menschen zum divus (Göttlichen) erhoben und eine Münze zeigt ihn, wie er vierspännig zum Himmel auffährt, von dem ihm Gott eine Hand entgegen streckt.

"... das Bestreben, die Taufe Konstantins durch einen den Arianern zugerechneten Bischof vergessen zu machen, (führt) in der 2. Hälfte des 5. Jahrhunderts zur Entstehung der >Silvesterlegende<, wonach der Bischof Silvester von Rom (314-335) Constantin im Lateranpalast getauft und ihn dadurch vom Aussatz befreit hat. Zum Dank sei ihm von Constantin das Privileg verliehen worden, dass er und seine Nachfolger allen Bischöfen übergeordnet sein sollten. Drei Jahrhunderte später wuchs - wiederum in Rom - aus der Silvesterlegende die >Constantinische Schenkung< heraus, die besagte, Constantin habe nach seiner Taufe dem Bischof Silvester zu seiner geistlichen Vorrangstellung auch weltliche Hoheitsrechte übertragen, und zwar über Rom und alle Provinzen des Westens." (Bellen, S.51)

An die erste der Legenden wird wiederum Gregor von Tours wohl anknüpfen, der anlässlich der Taufe Chlodwigs behauptet, dieser habe ganz konstantinisch mit dem frischen Wasser der Taufe auch die alte Krankheit des Aussatzes beseitigt.

 

Von Konstantin bis Theodosius

 

Seit 317 war Konstantins Sohn Constantinius II. ein Caesar, 324 wird auch Constantius II. ein solcher, 333 Constans. 335 kommt noch sein Neffe Dalmatius dazu. 337 stirbt Konstantin. Die ersten drei werden von den Heeren als Augusti ausgerufen und machen sich dann daran, mit Dalmatius weitere mindestens acht Familienmitglieder Konstantins zu ermorden. Sie teilen dabei das Reich unter sich auf.

 

340 werden die Brüder zu Feinden. Constantin II. überfällt seinen Bruder Constans und stirbt dabei. Constans (als Westkaiser) stellt sich mit Bischof Julius von Rom auf die Seite des Athanasius im Arianerstreit, in welchem der Osten diesen als Bischof von Alexandria abgesetzt hatte. Konzile im Osten und Westen tagen, schließlich exkommunizieren sich die Führer der beiden Lager gegenseitig. Der religiöse Gegensatz zwischen 'Arianern' und 'Orthodoxen' unterstützt die politische Teilung in ein Ost- und Westreich.

Der Druck auf den östlichen Bruder führt schließlich dazu, dass Athanasius nach Alexandria in sein Bistum zurückkehren kann, bevor er wieder (in den Westen) fliehen muss, wo ihn Bischof Iulius unterstützt. 343 findet in Serdica (Sofia) ein Konzil statt, in dem Ost- und Westbischöfe es nicht einmal mehr schaffen, gemeinsam zu tagen. Am Ende exkommunizieren sich die Häupter beider Seiten gegenseitig.

Beim Bischof Donatus von Karthago stößt Einflussnahme des Constans 347 auf Widerstand: Was hat der Kaiser mit der Kirche zu schaffen, hält er ihm entgegen. Da immer mehr Wanderarbeiter sich den Donatisten anschließen, lässt der Kaiser sie nach Möglichkeit mit Gewalt vernichten.

 

Die mit der Macht verbandelte Kirche, in bitterste interne Streitigkeiten verwickelt, wendet sich nun immer gnadenloser gegen die „Heiden.“ Der zum Christentum konvertierte Rhetor Firmicus Maternus verlangt die Abschaffung aller heidnischen Kulte und ihre Vernichtung durch den Staat, hatte der siegreiche Gott doch den Kaisern inzwischen zu Siegen über Franken und Perser verholfen. 346 wird durch kaiserliche Gesetze die Schließung der Tempel und das Verbot aller Opfer verfügt. Wer sich nicht konform verhält, soll mit dem Tod sowie dem Vermögensverlust bestraft werden, ebenso wie die Amtsträger, die das nicht durchsetzen.

 

Was inzwischen stattfindet, ist einmal, dass die Kaiser insbesondere des Westens Scharen von Kriegsgefangenen und dann einzelne germanische Heeresverbände in ihre Armeen aufnehmen, da sie diese nicht mehr hinreichend aus ihrem Reichsgebiet auffüllen können.

Frühe Beispiele waren seit dem späten 3. Jahrhundert Scharen germanischer Kriegsgefangener, die vor allem in verödeten Landstrichen in Nordgallien und dem zukünftigen Bayern mit der Verpflichtung zum Militärdienst als Bauern angesiedelt werden.

 

Die Kaiser Constantius (Chlorus) und Sohn Constantin siedelten bereits massenhaft Kriegsgefangene und eindringende Volksschwärme in Gallien als eine Art Wehrbauern an. Das wohl hübscheste sprachliche Dokument ist eine Lobrede auf diesen Constantius Chlorus aus der Zeit um 300. Darin heißt es:

Wahrhaftig! Man möchte im Namen ganz Galliens frohlocken und … den Provinzen selbst den Triumph in den Mund legen: „Also jetzt pflügt für mich der Chamave und Friese, und jener Landstreicher (vagus), jener Räuber (praedator) dort quält sich mit der Bearbeitung des unwirtlichen Bodens, bevölkert meine Wochenmärkte mit Vieh zum Verkauf, und der barbarische Bauer (cultor barbarus) senkt die Getreidepreise. Und wenn er zur Aushebung gerufen wird, dann eilt er herbei, lässt sich drillen und fuchteln und freut sich noch, als Soldat zu dienen! (Kaiser II, S.72)

 

Daneben stellen sich grenznahe Germanen von sich aus für den römischen Kriegsdienst mit seinen Versorgungsperspektiven zur Verfügung. Man kann davon ausgehen, dass Gewalttätigkeit vielen Germanen wie anderen europäischen Völkerschaften nicht fremd ist.

Von nun an werden Germanen in römischen Diensten gegen solche außerhalb des Reiches kämpfen. Während das Imperium dabei ein kleines bisschen barbarischer wird, werden manche Germanen deutlich römischer.

 

Immer mehr (nicht nur) germanische Hilfstruppen werden in den Städten besonders Galliens stationiert und zusammen mit der Ansiedlung ihrer Angehörigen findet eine erste Welle von Germanisierung dort statt, während im Osten und Südosten des Landes Germanen zugleich immer stärker romanisiert werden.

 

Die Neusiedler insbesondere in Nordgallien genießen keine vollen Bürgerrechte und ihre Truppenteile stehen unter römischen Befehlshabern. Um 350 verteidigen bereits zum großen Teil germanisch-stämmige römische Soldaten das Reich gegen anbrandende germanische Stämme wie die Alemannen (352). Einzelne machen Karriere beim Militär und Mitte des vierten Jahrhunderts sind bereits knapp die Hälfte der römischen Heermeister (Magistri militum) germanischer Abkunft, erlangen römische höfische Titel und stehen bald auch der dortigen Zivilverwaltung vor. Um 400 sind dann alle westlichen Heerführer germanischer Abkunft. Selbst in den römischen Truppen in Italien gewinnen germanisch-stämmige Führer und Soldaten das Übergewicht.

 

Inzwischen wird der Kaiser um 341 oder etwas später eines Teils der salischen Franken offensichtlich nur noch dadurch Herr, dass er sie südlich der unteren Maas als Wehrbauern ansiedelt (Ammianus Marcellinus). Dort existieren durch die Wirren der Zeit geringer besiedelte bzw. weniger kontrollierte Randgebiete. Diese Germanen dürfen dort unter kaiserlicher Oberhoheit siedeln und dabei aber ihre Lebensformen und ihre Selbst“verwaltung“ in einer gewissen Autonomie behalten. Eine weitere Gruppe siedelt auf der Ostseite des Rheins, um dann auch diesen zu überschreiten und ein Reich mit dem Zentrum Köln zu gründen.

 

350 wird in Autun gegen Constans der Nichtchrist Magnus Magnentius zum Augustus ausgerufen. Er siegt über den Konstantin-Sohn, der dreißigjährig getötet wird. Im folgenden Jahr dann siegt Constantius II. über Magnentius, was insgesamt auf beiden Seiten 54 000 tote Soldaten gekostet haben soll. Zeitweilig steht die Rheingrenze den Germanen offen. Zwei Jahre später tötet sich 353 Magnentius nach einer weiteren verlorenen Schlacht selbst.

 

Inzwischen ist Constantius II. Alleinherrscher im Reich. Derweil verstärken die Alamannen ihren Druck auf die südlichere Rheingrenze,  die sie gelegentlich plündernd und brandschatzend überschreiten. Sie werden sich bald nach Süden in die heutige Schweiz ausdehnen. Um 355 wird ganz Gallien von Germaneneinfällen verheert, Köln wird verwüstet. Ein breiter Streifen links des Rheins ist germanisch besetzt, ein weiterer westlich davon verwüstet.

 

Vetter Julian, nunmehr Caesar, ist 355 mit der "Befriedung" Galliens beauftragt und besiegt 357 die Alemannen bei Straßburg und danach weiter nördlich die Franken, wobei er den salischen Franken offenbar Toxandrien, das Gebiet zwischen Schelde, Maas und Demer, zugesteht, welches sie ohnehin schon besiedeln.

Derweil wird Athanasius auf massiven Druck von Constantius im selben Jahr bei einem Mailänder Konzil erneut abgesetzt. Wer sich wie Bischof Hilarius von Poitiers (Pictavi) widersetzt, muss in die Verbannung. Kaiserliche Truppen vertreiben Athanasius gegen den Willen seiner Gemeinde aus Alexandria.

 

360 zwingt der Kaiser der Christenheit ein neues, arianisches Glaubensbekenntnis auf. Christus und Gottvater sind nun ähnlich (homoios). Anwesend ist auch der Gote Wulfila, der sein Volk missioniert. Bischöfe, die sich widersetzen, setzt Constantius ab. Hilarius darf nun auf seinen Bischofsstuhl zurückkehren, wohin ihm jener Martin folgt, der ein "Heiliger" werden wird. (Anhang 5) Athanasius versteckt sich bei ägyptischen Mönchen und schreibt dort seinen Antoniustext.

Die rüde Herrschaft über die Kirche ergänzt Constantius andererseits dadurch, dass er die Bischöfe von der weltlichen Gerichtsbarkeit ausnimmt. Seine Despotie mit Hilfe des Eunuchen Eusebius nimmt immer orientalischere Formen an.

 

Während der Kaiser sich dann zum Krieg gegen die Perser aufmacht, hat Julian Gallien seiner Fuchtel unterstellt, die Germanen zurückgeschlagen, und ist dafür 360 von seinem Heer zum Augustus ausgerufen worden. Er kehrt zunächst wohl nur persönlich zu den römischen Göttern zurück. 361 stirbt Constantius östlich von Tarsus, nachdem er im letzten Moment noch getauft worden war und Julian zu seinem Nachfolger bestimmt hatte.

 

Dieser verkündet inzwischen öffentlich seine Abkehr vom Christentum und richtet sich in seinem Palast in Konstantinopel ein Helios-Heiligtum ein, um dort täglich zu seinem (Sonnen)Gott zu opfern. Die altrömischen Kulte werden 361 wieder zugelassen und die Priesterschaft wird in eine kirchenähnliche Hierarchie eingeordnet, die von ihm als Pontifex maximus beaufsichtigt wird.

Mit einem Edikt versucht Julian christlichen Erziehern (Rhetoren) zu verbieten, den Kanon klassischer Bildung (paideia) zu unterrichten, um damit die christliche Uminterpretation "heidnischer" Texte zu verhindern, die sich dann aber bis durch das Mittelalter fortsetzen wird.

 

Als neuplatonischer Philosoph versucht Julian auf seine Art, Philosophie und Kulte miteinander zu vereinen, also ein wenig eine „Religion“, eine Glaubenslehre zu schaffen, wie das vorher schon dem Christentum gelungen war. Sein Philanthropismus und seine persönliche Bescheidenheit, seine Verachtung für den Betrieb der Massenunterhaltung zeichnen ihn dabei vor seinen christlichen Vorgängern aus. Seine Rückkehr zu den alten Kulten findet allerdings nicht sehr viele Nachahmer.

 

363/4 stirbt er unglücklich, nachdem ein Kriegszug gegen die Perser scheitert. Das Heer macht sofort Jovian zum Kaiser, der zwar Christ ist, was aber wohl die Entscheidung weniger beeinflusst als sein militärisches Renommée. Er gibt der Kirche nun all ihre bisherigen Privilegien zurück, stirbt dann aber nach wenig mehr als einem halben Jahr.

 

Das Heer macht jetzt Valentinian zum Kaiser, der auf dessen Wunsch seinen jüngeren Bruder Valens 364 zum zweiten Augustus für den Osten erhebt. Beide vertragen sich etwas besser, als bei römischen Herrschern vorher üblich gewesen war, aber die Teilung in ein West- und ein Ostreich vertieft sich dennoch. Gemeinsam sorgen sie für Glaubensfreiheit in ihrem Reich, wobei Valens eher dem arianischen Christentum zuneigt und bald unduldsamer werden wird.

 

In Tours (Caesarodunum) wird der Einsiedler Martin Bischof, gründet das Kloster Marmoutier (maius monasterium) und geht massiv gegen das Heidentum auf dem Lande vor.

 

Für die Militärverwaltung zentrale Städte werden im Westen weiter von oben mit Geld versorgt, während viele andere an Bedeutung verlieren, sei es, weil sich die gewerbliche Produktion auf die großen Landgüter zurückzieht, sei es, weil die Bewohner nun Steuern nicht mehr an ihre Stadt, sondern an die kaiserliche Zentrale zahlen, und das mindestens im Bewusstsein der städtischen Oberschicht Wirkung zeigt. Darüber hinaus spielt auch der Verfall der Geldwirtschaft eine Rolle. Andererseits müssen die Städte selbst für die immer dringenderen Stadtbefestigungen aufkommen.

 

Im Patrocinium suchen freie Bauern, manchmal ganze Gemeinschaften, nun bei großen Grundbesitzern Schutz vor steigendem Steuerdruck und anderen Belastungen. Das wiederum führt dazu, dass diese (quasi-staatliche) Herrschaftsrechte entwickeln. Maßnahmen der Kaiser dagegen scheitern. Die Flucht von Sklaven und Kolonen nimmt hingegen weiter zu.

Längst sind auch Bäcker fest an Stand und sogar Betrieb gebunden. Ähnlich wie sie sind auch die für den Getreidetransport zuständigen Schiffer zwangsweise in einer Berufsvereinigung zusammengeschlossen. Die Versorgung von 120 000 bis 200 000 stadtrömischen Plebejern mit kostenlosem Brot, Fleisch und Speiseöl sowie verbilligtem Wein muss garantiert werden, um Unruhen zu vermeiden.

 

Valentinian hatte zunächst Mailand als Residenz vorgesehen, residiert dann aber von 367-375 in Trier, der alten Residenz des Constantius Chlorus und des Konstantin, wo sein von ihm als Augustus auserwählter minderjähriger Sohn Gratian von dem oberflächlich christianisierten, dafür aber hochgebildeten Ausonius erzogen wird.

Von Gallien aus kann sich Valentinian besser den bedrohlichen Alamanneneinfällen widmen, die schon 365 losbrechen, als noch wesentliche Truppenteile im Osten sind. Weiter nördlich werden fränkische Heerhaufen an der Rheinmündung besiegt, während andererseits Franken nun die gallischen Legionen auffüllen. Zahlreiche Gräberfelder in Nordgallien bezeugen ihre Anwesenheit und ihre Lebensform als Mischung aus germanischen und römischen Elementen.

Libyen wird von Stammesverbänden überrannt. Der Kaisert schickt außerdem Theodosius, Vater des gleichnamigen späteren Kaisers, zur Abwehr von Picten, Scoten, (Nieder)Franken und Sachsen nach Britannien, wo diese bis nach London gelangt sind, und sich mit nicht romanisierten Einheimischen verbünden. Dieser Theodosius muss auch einen Aufstand in Mauretanien niederschlagen.

 

375 stirbt Valentinian und wird in der Apostelkirche von Konstantinopel begraben. Sohn Gratian wird Augustus und der (germanische) Heermeister Merobaudes unterstützt den kindlichen Kaisersohn Valentinian II, den das Donauheer zum Kaiser ausruft. Beide teilen sich das Westreich.

 

Valens führt seit 366/7 Kriegszüge gegen die Goten, die 369 in einen Vertrag mit Athanarich münden. Dieser verfolgt arianisch-christliche Goten, zu deren Führer sich Fritigern macht. Um 375 bricht ein Hunnensturm über den Don hinweg los, der nicht nur die Goten über die Donau treibt. Die Greutungen ("Ostgoten") werden besiegt und ins hunnische Heer integriert. Der heidnische Athanarich marschiert mit seinen Visigoten in die Karpathen und der christliche Fritigern an die Donau, wo Valens sie 376 aufnimmt. Sie werden in Thrakien angesiedelt. Ostgoten siedeln sich in der Scythia an. 

Als die Fritigern-Goten einerseits nicht entwaffnet, andererseits nicht wie versprochen mit Nahrung versorgt werden, beginnen sie mit Plünderungen. Ihnen schließen sich Goten des römischen Heeres an sowie Sklaven und Bergwerksarbeiter.  Die Terwingen berbünden sich außerdem mit dem hunnisch-ostgotischen Haufen.

 

Was im Westen noch gerade so zu halten war, bricht 378 mit der Niederlage des Valens gegen riesige gotische Haufen, vereint mit Alanen und Hunnen, bei Adrianopel (Edirne) zusammen. Valens möchte die Goten ohne die heraneilende Hilfe des Gratian besiegen und stirbt mit über zwei Dritteln seines Heeres.

Mit den Niederlagen gegen Perser und Goten ist das römische Heer so weit geschrumpft, dass es in immer größerem Maße "barbarische" Soldaten sogar in größeren geschlossenen Truppenteilen aufnehmen muss.

 

379 wird der in der iberischen Provinz Galaecia geborene (jüngere) Theodosius mit Unterstützung durch Gratian vom Heer zum Kaiser erhoben. Erstmals wird seine Erhebung nicht nur dem Senat von Rom, sondern auch dem von Konstantinopel angezeigt. Theodosius nimmt den Titel eines Pontifex Maximus nicht mehr an und veranlasst wohl Gratian dazu, seinen abzulegen.

Da er die ganze Reichsteile ausplündernden Goten nicht alleine zurückweisen kann, schickt Gratian ihm ein neues Heer zur Hilfe, welches von den Franken Bauto und Arbogast angeführt wird. 382 kommt es zu einer Lösung: Die Goten dürfen sich in der Provinz Moesia secunda als foederati ansiedeln, die sie auch verteidigen sollen, behalten dabei ihre Stammesorganisation und ihre eigene Führung, zudem auch ihr arianisches Christentum, dürfen aber keine Römerinnen heiraten. Dieser Staat im Staat wird Modellcharakter für den Westen bekommen.

 

Derweil bleibt das Reich in seinen beiden Teilen religiös gespalten in Arianer und Anhänger der Beschlüsse von Nicäa, als deren Führer nach dem Tod des Athanasius (373) Basilius auftritt. In Antiochia zum Beispiel gibt es nun zwei konkurrierende Bischöfe, und gegen den nicäischen noch einmal einen internen Konkurrenten. Mailand ist derzeit eine arianische Hochburg, in Rom wird der Streit um den Bischofstitel inzwischen mit erheblicher Gewalt und vielen Toten ausgetragen.

 

380 lässt Theodosius sich taufen und setzt mit Edikten und Gewalt seine „katholische“, in etwa die in Nicäa beschlossene Version des Christentums durch, nachdem ein Jahr zuvor ein Konzil in Antiochia die „Jungfrau Maria“ ins Glaubensbekenntnis eingeschlossen hatte.

Zu verstehen ist das Ganze nur für theologisch geschulte Leute, insbesondere da hinter den groben Linien noch eine Vielzahl von Abstufungen und Varianten verborgen sind, von anderen Bischöfen vertreten. Die Kirche hat noch keine monarchische Spitze, obwohl die beiden Hauptstadt-Oberhirten eine gewisse Sonderstellung beanspruchen, der westliche auch, weil Rom die mit Abstand größte Christengemeinde unter sich hat, während der östliche mit Antiochia und Alexandria zum Beispiel konkurrieren muss.

 

Also spricht der eher weniger theologisch geschulte Kaiser Theodosius, den Kirchenmänner auch deshalb später "den Großen" nennen werden, 380 ein Machtwort und bestimmt:

Alle Völker, welche unserer gnädigen Milde Leitung regiert, sollen, das ist unser Wille, in dem Glaubensbekenntnis verharren, welches der göttliche Apostel Petrus, wie bis heute der von ihm verkündete Glaube dartut, den Römern überliefert hat, und dem sichtbar der (römische) Pontifex Damasus folgt und Petrus, der Bischof von Alexandria, ein Mann von apostolischer Heiligkeit; das heißt, dass wir glauben, nach der apostolischen Unterweisung und der evangelischen Lehre an des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes eine Gottheit in gleichartiger Majestät und in frommer Dreifaltigkeit. Die diesem Gesetz folgen, sollen, so gebieten wir, die Bezeichnung katholische (d.h. allgemeine und damit korrekte) Christen beanspruchen, die anderen aber, die nach unserem Urteil Unisnnige und Verrückte, sollen die schimpfliche Ehrenminderung der Häresie erleiden, und ihre Konventikel sollen nicht die Bezeichnung von Kirchen führen. Sie sollen fürs erste durch ein göttliches Gericht, dann aber auch durch Ahndung unseres richterlichen Einschreitens, das wir, gestützt auf des Himmels Ermessen, treffen werden, bestraft werden. (in: Lippold, S.21f)

 

Vielleicht sogar noch bevor er getauft wird, bestimmt der Kaiser, was die wohl wichtigste innerchristliche Glaubensfrage ist, und versucht dann mit der Verfolgung der "Häretiker" eine monolithisch einheitliche Kirche durchzusetzen, das, was Konstantin nicht gelungen war. Der arianische Bischof von Konstantinopel wird vom Kaiser abgesetzt und ein korrekter "katholischer", nämlich Gregor von Nazianz, unter Militärschutz in die Apostelkirche gebracht. Was griechisch "katholisch" heißt, nämlich einziger von oben mit Gewalt verordneter Glaube, wird dann genauso griechisch auch "orthodox", nämlich rechtgläubig. Der rechte Glaube wird so vom Kaiser diktiert, bei den Franken später vom König und noch später vom fränkischen Kaiser, und in der Confessio Augustana von den deutschen Fürsten. Im Zuge der Säkularisierung wird er durch "politischen" Glauben ersetzt, genauso von oben verordnet bis heute.

 

Die in Konstantinopel vorherrschende arianische Geistlichkeit wird entmachtet. Alle abweichenden Gemeinden verlieren ihre Kirchen und ihren Besitz. Der neu definierte Katholizismus ist damit Staatsreligion.

 

381 sorgt Theodosius für ein Konzil in der Hauptstadt, auf dem das erweiterte Glaubensbekenntnis beschlossen wird, sowie die Übertragung der staatlichen Diözesen-Ordnung mit ihren fünf Verwaltungseinheiten auf die kirchliche. Damit entstehen nun fünf Patriarchate im Osten, deren oberstes das von Konstantinopel wird. Nur das von Rom steht noch über ihm, aber der Ostkaiser setzt durch, dass seine Hauptstadt, weil sie denn das zweite Rom sei, auch eine nahe am Rang des westlichen Rom angesiedelte Position bekommt. Als Reaktion ignoriert ein kurz darauf von Gratian einberufenes und von Bischof Ambrosius von Mailand kontrolliertes Westkonzil die östlichen Beschlüsse. Der Graben zwischen Westen und Osten, der seit der Reichsteilung Diokletians langsam entstanden war, nimmt auch in kirchlicher Hinsicht zu und wird vom römischen Bischof Damasus noch vertieft. Im Westreich wird für die Liturgie die griechische Sprache durch die lateinische ersetzt. Hieronymus macht sich nun an die Übersetzung der beiden biblischen "Testamente" ins Lateinische, die Vulgata.

Einig sind sich beide noch darin, dass, wer vom Christentum abfällt, als Straftäter behandelt werden soll.

 

Im Westen des Reiches hat inzwischen Ambrosius eine kirchliche Führungsrolle übernommen, welche die des römischen Bischofs überschattet. Aus hochnobler Familie wird er Statthalter in Mailand, dann 374 in tumultuarischer Wahl dort Bischof, worauf er sich schleunigst taufen lässt. Gegen Gratian und dann Valentinian setzt er Positionen totaler Unduldsamkeit erst gegenüber "Heiden" und dann gegenüber Arianern durch. Als Theodosius die von einem Bischof betriebene Zerstörung einer Synagoge bestrafen will, verlangt Ambrosius, dass bei solchen Angelegenheiten Bischöfe an der Entscheidung beteiligt werden müssten, auf deren antijüdische Haltung er wohl hofft.

Seinen Höhepunkt erreicht der Konflikt zwischen Bischof und Kaiser, als 390 ein gotischer (römischer) Heerführer in Thessaloniki in einem Aufruhr erschlagen wird, der möglicherweise auch fremdenfeindliche Züge trägt. Darauf gibt der Kaiser schnell den Befehl, dass Soldaten zur Strafe auf das Publikum bei einer Zirkusveranstaltung einprügeln sollen, den er erst zu spät zurücknimmt. Es soll zu tausenden von Toten gekommen sein. Ambrosius nutzt die Gelegenheit, um den Kaiser aufzufordern, sich wie einst David öffentlich von dieser Sünde zu reinigen. Nach einigem Zögern tritt der Kaiser dann in Mailand vor Bischof und Gemeinde in der Kirche ohne seine Insignien auf, wirft sich zu Boden, bekennt seine Sünden unter Tränen und wird dann wieder zur Kommunion zugelassen.

 

In dieser Zeit beginnt die systematische Christianisierung der Landbevölkerung in den pagi, wo die Bewohner als pagani nun mit Ungläubigkeit, Heidentum gleichgesetzt werden.

 

382 erhalten Goten den Status von Föderaten. Während die Kaiser notgedrungen auf Integration hoffen, ist doch das Römerreich ohnehin ethnisch ein Vielvölkerstaat unterhalb der kleinen Oberschicht, auch wenn es sich so nicht darstellt, entwickelt sich im Raum der Gebildeteren Besorgnis und schließlich verbale Aggression gegen die Überfremdung in Militär und Staatsapparat (Synesius, Ammianus Marcellinus und andere). Zu dieser Front kommt die zwischen immer mehr christianisiertem Staatsapparat und zunehmender christlicher Unduldsamkeit einerseits und einem tendenziell freigeistigeren Heidentum auf der anderen Seite, und schließlich noch auf christkatholischer Seite im Sinne des späten 4. Jahrhunderts Besorgnis bezüglich des Heidentums oder, fast noch schlimmer, der Häresie des Arianertums bei vielen Barbaren.

 

383 wird Magnus Maximus von seinen britischen Truppen zum Imperator ausgerufen, und er setzt nach Gallien über. Gratian stirbt, der Rebell unterwirft auch Spanien und residiert nun in Trier. "Legitimer" Nachfolger ist andererseits der minderjährige Valentinian II. am Hof in Mailand, von seiner Mutter, dem heidnisch-fränkischen Heermeister Arbogast und Bischof Ambrosius betreut. Dem magister militum Bauto gelingt es, Magnus Maximus von Italien fernzuhalten. Zum Konflikt um Mailand kommt es, als Valentinian zum Arianismus neigt und diesem eine Kirche in der Stadt öffnen möchte, was Ambrosius verhindert.

In dieser Zeit lässt Magnus Maxentius dem allzu frommen Spanier Priscillian in Trier den Prozess machen und ihn mit mehreren Freunden hinrichten.

 

387 reagiert die Bevölkerung von Antiochia mit einem Aufstand, den der Kaiser mühsam unterwirft, auf eine Sondersteuer. 388 marschiert ein oströmisches Heer mit Goten, Hunnen und Alanen gegen Magnus Maximus, der besiegt und hingerichtet wird. Arbogast wird nach Gallien geschickt und macht sich dort zum Präfekten. Als Theodosius Valentinian nach Gallien schickt, kann der sich gegen Arbogast nicht mehr durchsetzen.

 

Als es im Zusammenhang mit den Wagenrennen in Konstantinopel zu einem Volksaufstand im Zirkus und in der Stadt kommt, schlägt der Kaiser ihn blutig nieder. Von 7000 Toten ist die Rede und Theodosius muss sich der Forderung des Ambrosius beugen, dafür in Mailand in der Kathedrale Buße zu tun.

391 beginnt dann eine systematische Heidenverfolgung mit weiteren Tempelzerstörungen, die sich 392 noch verschärft, als man Valentinian II. erhängt in seinem Palast in Vienne (Vienna) auffindet, wo ihn Arbogast praktisch eingesperrt hatte. Dieser setzt denn auch den wenig religiösen, aber mit den Heiden sympathisierenden Rhetoriklehrer Eugenius als (West)Kaiser ein.

 

Darauf reagiert Theodosius damit, dass er nach Sohn Arcadius auch noch Honorius zum Augustus macht, und damit Eugenius zum Usurpator erklärt (Lippold). Darauf treffen zwei Heere aufeinander, die wohl zu einem stattlichen Teil auf beiden Seiten aus "Barbaren" bestehen, beim Westheer aus Franken und Alamannen. Nachdem zunächst die föderierten gotischen Reiter wohl unter Alarich die Hauptlast des Kampfes mit zahllosen Toten zu tragen hatten, siegt das Hauptheer des Theodosius. Eugenius wird von Soldaten vor den Augen von Theodosius getötet und Arbogast tötet sich selbst. Neuer Oberbefehlshaber im Westen wird der Vandale Stilicho und Honorius Westkaiser in Mailand werden.

 

De facto ist das Imperium Romanum nun zwei Jahre, bis zum Tode des Theodosius 395 wieder in einer Art Erbmonarchie geeint. Die minderjährigen Augusti werden vom Kaiser vor seinem Tod dem (Halb)Vandalen Stilicho anvertraut, der wiederum mit dem Goten Gainas im Bunde ist. Damit bricht sich das römische Misstrauen gegen die Fremden noch stärker Bahn. Und es nimmt überhand, als die Rheingrenze und die Pannoniens nicht mehr gleichzeitig von Stilicho zu halten sind, während sowohl Britannien wie Nordafrika immer stärker ausfallen.

 

Die Knappheit an Soldaten hatte zur Aufnahme von immer mehr Barbaren ins Heer geführt, zugleich kommt es in einigen Reichsteilen zu einer immer gravierenderen Verknappung von Arbeitskräften. Darauf verweisen verschärfte Gesetze betreffs flüchtiger Sklaven und solche, die Kolonen immer stärker an ihre Grundbesitzer binden. Besitzlose Landbewohner wie Bauern in ihrem Eigentum suchen Schutz im Patrocinium lokaler Mächtiger, die jenen Schutz übernehmen, den der Staat nicht mehr gewährt. Die Nachantike beginnt im Westen.

Für die Basisversorgung der Bevölkerung werden Bäcker, für den Getreidetransport zuständige Schiffseigner und Schweinehändler immer fester an ihren Berufsstand und ihren Betrieb gebunden.

 

Der christliche Kaiser Theodosius wird nach seinem Tode 395 wie seine Vorgänger zum divus erklärt, zu einer Art Gottheit, was seine Christen inzwischen kaum noch zu irritieren scheint. Aber wichtiger ist, dass der Kaiser schon zu Lebzeiten ihm innewohnende göttliche Kräfte besitzt und eben ein besonderes Verhältnis zum Christengott hat, welches sich nicht zuletzt im Schlachtenglück erweist. Er sorgt dafür, dass das göttliche Gesetz auch das seinige ist (bzw. vice versa).

  

Die Verwaltung wird wie das Heer sehr hierarchisch nach dem Prinzip von Befehl und Gehorsam neu organisiert und heißt wie dieses militia. Beim Eintritt in die Beamtenschaft wie bei dem ins Militär erhält man einen nach Rang gestaffelten Gürtel (cingulum), an den wehrhafte Franken dann ein Schwert zumindest hängen werden. In einem ausführlichen Text hat K.F.Werner die Kontinuität dieser Militia als eines Adels aus Amt und Kriegertum bis tief ins Mittelalter beschrieben (WernerNaissance).

 

An seiner Spitze bleibt der Senatorenstand als erbliche nobilitas, die in den Städten des Reiches eine führende Rolle spielt. Ein Großteil der um 400 rund 2000 Senatoren des westlichen Roms nimmt selten oder nie an Senatssitzungen teil, hat aber sowohl Vorrechte wie erhebliche finanzielle Belastungen. Die reicheren unter ihnen haben Großgrundbesitz, der über die ganze Westhälfte des Imperiums verteilt ist, und eine ganze Anzahl luxuriös ausgestatteter Villen.

In der ständischen Ordnung darunter standen einst die Ritter, die aber längst nur noch formal als zweiter Rang der Beamtenschaft fungieren. Den dritten Stand bzw. Rang nehmen die Kurialen der Städte ein, und in ihn wird man inzwischen hineinverpflichtet, sobald man eine bestimmte Menge an Besitz angehäuft hat. Einst am Stadtregiment beteiligt, haben sie inzwischen vor allem Pflichten wie die, das Bau- und Amüsierprogramm der Stadt auszurichten und - noch drückender - für das von oben festgesetzte Steueraufkommen zu haften. Das führt dazu, dass immer mehr Kuriale, Dekurionen sich auf vielfältige Weise ihrem (ehedem) Ehrenstatus zu entziehen versuchen. 

 

Die Reglementierung des Wirtschaftslebens und die damit einhergehende Korruption entfremden dem Reich seine es bislang tragende Oberschicht, die laut Zosimus um 380 kaum noch unterscheiden mag zwischen der Ausplünderung durch Barbaren und der durch den eigenen Staat (Lippold, S.113). Schließlich: Es gibt keinen Kapitalismus, der aus sich heraus Reichtümer generiert, und die staatlichen Zwangsmaßnahmen verhindern zu allem übrigen seine Entstehung.

 

In ganzen Regionen nimmt die Bevölkerung ab und damit das Reservoir, aus dem Soldaten bezogen werden können. Die Verstädterung mit ihrem sehr engen Zusammenwohnen fördert die Ausbreitung von Seuchen, man vermutet heute darunter die Pocken, Masern, Malaria, Tuberkulose. Am Ende breitet sich auch die Lepra aus und nach dem Zusammenbruch des westlichen Imperiums die Beulenpest, die in größeren Städten möglicherweise bis zu einem Drittel der Bevölkerung auf einen Schlag hinwegraffen kann. (Gilomen, S.10)

 

Den Reichtum der grundbesitzenden Oberschicht und die Einnahmen des Kaisers erwirtschaften Sklaven und Kleinpächter auf dem Großgrundbesitz, Kolonen, die im 4. Jahrhundert an ihre Scholle auch bei Besitzerwechsel gebunden werden, während das verarmende freie Bauerntum, offenbar manchmal schlechter dastehend als die auch abnehmende Zahl der Sklaven, immer weniger wird. Kolonen besitzen jenseits ihrer Abhängigkeit Erbrecht, können theoretisch Eigentum besitzen, ein Kind anderer freier Bürger heiraten und vor Gericht auftreten. Aber in der alltäglichen Lebenswirklichkeit besagt das nicht viel.

 

Zur Plebs unterhalb des mit Ämtern versehenen (hier einmal so zusammengefassten) "Adels" gehören außer Bauern Handel und Handwerk. Alle Bereiche, die dem Staat der Spätantike lebenswichtig erscheinen, von dem Transport zu Wasser bis zu den Bäckereien, werden weiter in die Zwangsmitgliedschaft von staatlich kontrollierten Kollegien gedrängt. Ein freier Handel muss zunehmend mit einem staatlich gelenkten konkurrieren. Alles tendiert zu einer von der Staatsspitze gelenkten "Planwirtschaft", die einerseits die Versorgung städtischer Massen, andererseits die finanziellen Erfordernisse des Militärs im Auge hat, eine Art Kriegswirtschaft also.

Dieser zentrale "Plan" wird im weniger wohlhabenden Westen des Reiches immer weniger funktionieren. Als germanisch dominierte Nachfolgereiche an seine Stelle treten, werden sie diesen Aspekt antiker Staatlichkeit ersetzen müssen.

 

Indem eine kleine Oberschicht die Bischofssitze besetzt und das Land über seine Latifundien kontrolliert, überlebt sie direkt in die germanisch dominierten Reiche hinein, in denen sie eine tragende Rolle behält und Träger der Romanisierung dieser Reiche wird. Überleben wird vorläufig auch das System der Besteuerung der Person und des Grundbesitzes samt den Zöllen und anderen Abgaben. Der römische Staat geht in diesen neuen Reichen nicht gleich unter, sondern verändert sich langsam. (K.F.Werner)

 

Überleben wird auch anderes: An der Spitze der römischen Höfämter stehen "Gefährten" des Kaisers, die comes, die unter germanischer Führung dann von den civitates aus neben den Bischöfen das Umland kontrollieren, aber schon im christlichen Kaiserreich auch Truppen führen können. Grenzschutztruppen unterstehen jeweils einem dux (Führer), und das übrige Militär den magistri militum, Heermeistern. Bei zunehmender Abwesenheit von Kaisern im Westen werden sie auch die Spitzen der Zivilverwaltung kontrollieren und nach und nach wie der princeps, der Erste, als König an Kaisers statt in ihrem Bereich herrschen.

 

***Erlösungs-Sehnsüchte***

 

Der Wahnwitz des Kapitalismus braucht die Besonderheiten christlicher Religion als Voraussetzung, wie sich zeigen wird. Aber so wie der Kapitalismus nicht nur Wahnwitz ist, sondern zugleich ein sich verselbständigendes ungeheures und weltbewegendes Erfolgsprogramm, so hat das Christentum auch eine sehr verständliche anthropologisch fassbare Komponente, jene nämlich, einer vielen Menschen wohl seit ihrer Zivilisierung innewohnenden Erlösungssehnsucht eine Perspektive zu bieten. Erlösung ist schließlich dann das jesuanische Schlüsselwort.

 

Vom Paradies bis zur verheißenen Wiedergeburt und Wiederkunft des getöteten Gottes lässt sich eine Geschichte menschlicher Unzufriedenheit mit sich selbst und den eigenen Lebensumständen erkennen, mit den so empfundenen Übeln dieser unserer Welt eben. Und das dem Judentum entschlüpfte Christentum ergibt dazu die bis dato radikalsten Erlösungsvorstellungen (und erlöse uns von dem Übel bzw. Bösen, heißt es bald im Paternoster).

 

Diese Unzufriedenheit scheint Konsequenz von Lebensformen zu sein, die sich mit den neolitischen Veränderungen einstellten: Produktives Eigentum an Land und Vieh und Werkzeugen unterscheidet nun Leute nicht mehr nach ihrem Talent allein, sondern auch nach ihrem Besitz. Die neue Mühsal produktiver Arbeit, die für die meisten in relative Armut und Not führt, wird noch verstärkt durch Abgaben, die an Tempelpriesterschaft und mit ihr verbündete aufsteigende Despoten zu errichten sind. Die Selbstregulierung der Menschen in Gemeinschaften wird nach und nach in einigen Gegenden ersetzt durch Gebote der Priester und Gesetze der mit ihnen verbündeten Despoten. Menschen geraten in die Strukturen von Zivilisation, also unter institutionalisierte Herrschaft, zu deren Rechtfertigung auch der nun erfundene Krieg gehört, der die früheren gelegentlichen und gewaltsamen, aber notwendigen Rangeleien mit Nachbarn um Lebensraum ablöst.

 

Frühe Kulturen mussten bereits die Zähmung und Selbstbezähmung von Triebenergien betreiben, damit Menschen solide gemeinschaftsfähig werden konnten. Die daraus erwachsenden Frustrationen konnten aber noch in den eigenen Lebenszusammenhang eingeordnet werden. Zur gemeinschaftlichen Selbstbezähmung kommen aber nun „von oben“ die neuen Zwänge, die institutionalisierte Macht ausüben. Das alles verlangt nach begründender Erklärung, die aus den Positionen der Macht heraus geliefert wird. Der Schmerz des ständig einzuübenden Verzichtes ist anders offenbar nicht erträglich.

 

In Zivilisationen findet also ein verdoppeltes Frustrationserlebnis statt. Das lateinische frustrare bedeutet unter anderem zunichte machen und vereiteln und gelangt erst spät in die psychologische Fachsprache. Frustration wird dabei vom Vorgang des Vereitelns zu dem Gefühl, welches dieser auslöst: man ist frustriert.

Dieses Phänomen tritt wohl schon im Prozess früher kultureller Domestikation auf und nimmt dort zu, wo produktive Arbeit überhand nimmt: Das moderne Deutsch spricht davon, dass man sich dabei "überwinden" muss.

 

Frühe Kulturen bis ins Neolithikum hinein schaffen es, große Teile der Impulskontrolle zu regulieren, geradezu zu automatisieren. Dss Gefühl der Frustration ist dabei soweit ins Unterbewusste verdrängt, dass es nur noch in emotionalen Ausbrüchen zu Tage tritt, die in Zivilisationen weithin kanalisiert bzw. kriminalisiert werden.

Zivilisierte Untertänigkeit muss so reguliert werden, dass sie im Regelfall als sogenannte Selbstverständlichkeit auftritt. Zur Domestikation der Kultur tritt also als neue die der Unterwerfung unter den Willen der Machthaber, was nicht nur durch Verdrängung, sondern dabei auch mittels Identifikation mit den Machthabern gelingt. Aber Verdrängung begleitet von nun an mehr denn je den Alltag der Menschen. Was verdrängt wird, verschwindet aber nicht, sondern taucht an anderer Stelle irgendwann wieder auf, und dort wird es recht häufig von Erlösungsphantasien aufgefangen. Das Faszinierende am Weg in das Mittelalter wird, dass die neuen Machthaber, anders oder zumindest stärker als orientalische Despoten, selbst in solchen Erlösungssehnsüchten gefangen sein können.

 

Das Christentum als Partner der Macht, also die Kirche, fördert diese Sehnsüchte, indem es zugleich zunehmend Angst macht. Das gelingt ihr dadurch, dass sie für alle den Tod als Erlösung vom Leben der Mühen, Anstrengungen und Gefahren nicht nur (als endgültig) abschafft, sondern den "Sündern", also denen, die sich nicht rigoros der Kirche unterwerfen, eine ewige postmortale Existenz in Höllenqualen verspricht. Erlösung ist also nicht mehr einfach die vom Tod, sondern die von den immer grausamer ausgedachten Torturen danach, sie wird also immer dringlicher.

 

Im Rahmen solcher Vorstellungen wird eben Kapitalismus auch entstehen. Solche extremen messianischen Erlösungsphantasien, wie sie das Christentum basierend auf jüdischen Vorformen bietet, sind ansonsten zumindest selten. Germanischer Pessimismus mit Weltuntergangsvorstellungen oder altgriechische Vorstellungen von der tragischen Existenz der Menschen traten häufiger auf, sowie auch Kulte und Göttervorstellungen, die einen gewissen dieseitigen Optimismus förderten.

 

Kern des christlichen Erlösungsgedankens ist der vorausgegangene behauptete Durchgang durch Leid und Tod als Aufopferung des Mensch gewordenen Gottes, der eben auch das bislang gebräuchliche Tieropfer ablöst und so Tempel und Priesterschaft überflüssig macht. Gott opfert sich kurzzeitig in Menschengestalt für die, auf die das hinreichenden Eindruck macht. Passion, Sterben und Auferstehung machen dann die Vorgänge aus, um die Christentum religiös kreisen wird, worüber es die radikalen und für die meisten unerfüllbaren Vorstellungen Jesu dann eben auch wird vernachlässigen können. Sie werden nun den sehr wenigen "Heiligen" vorbehalten bleiben.

 

Das ist alles deshalb wichtig, weil, wie sich zeigen wird, der Kapitalismus solche Erlösungssehnsüchte säkularisieren wird. Er bietet neue Karrieren, neue Wege zu Reichtum, erweiterten Warenkonsum und immer größere Amüsierwelten: Erlösung schon im Diesseits. Das alles sind, um in einer notwendigen Abwandlung des Freudschen Diktums zu sprechen, Kompensationen für das Unbehagen in der Zivilisation, jene Gratifikationen, die die alltäglichen Frustrationen erträglicher und ihre Verdrängung leichter machen.

 

***Verstaatlichtes Christentum***

 

Mit der Legalisierung der „katholischen“ Lehre und der ihr zugehörigen Kirche lässt sich vermuten, dass in Städten, in denen Christen – besonders im Osten und Afrika - einflussreich werden, es nun einigen auch opportun erscheinen kann, Christ zu werden, ohne einen sonderlichen Hang zu den neuen Formen von Frömmigkeit zu haben. Je deutlicher der Kaiser eine Präferenz für die Kirche zeigt, desto naheliegender kann ein solcher Opportunismus sein.

 

Diesen Lauen in der Kirche kommt es entgegen, dass die zunehmend schwerer verständliche Glaubenslehre auf Credo-Formeln verkürzt wird, die man auch einigermaßen gedankenlos nachplappern kann. Im immer mehr mit Streit um die weltliche Macht verquickten Glaubensstreit spalten sich Gemeinden offenbar in Parteien, die unterschiedlichen Anführern folgen. Wenn dann in einer civitas zwei Bischöfe auftreten, sammeln sich unter ihnen Gefolgschaften, die auch schon mal gewalttätig werden können. Das Christentum verliert selbst im Inneren sein bisschen Friedfertigkeit fast völlig, so wie es weit überwiegend die kriegerische Gewalttätigkeit ihrer Kaiser nach außen bejaht.

 

Das Faszinosum der Grausamkeit für zivilisierte, untertänig gemachte Großstadtmassen im ganzen Reich führt bei Christen zu enormen Ambivalenzen. Das längst erlaubte Ausleben von Aggressionen und wilden Emotionen im subventionierten Amüsierbetrieb wird von einzelnen christlichen Texten weiter verurteilt, und das Moment exzessiver Lust an Grausamkeit wird langsam durch staatliche Verordnungen etwas abgemildert.

Johannes Chrysostomos, Patriarch von Konstantinopel seit 398, schreibt, es gebe unter den Christen von Antiochia

...großes Durcheinander und große Verwirrung und unsere Versammlungen unterscheiden sich in nichts von einer Weinhandlung, so laut ist das Gelächter, so groß die Ruhestörung, wie in der Therme, wie auf dem Markt, allenthalben Geschrei und Tumult.( 'Über den Korintherbrief, in: Sommer II, S.392)

 

Aber die „Spiele“ verschwinden im lateinischen Westen erst, als in den Städten im 5. Jahrhundert die Mittel dafür ausbleiben. Soweit erkennbar, nehmen Christen der „opportunistischen“ und „laxen“ Art als begeisterte Zuschauer daran teil – nunmehr werden sie auch von christlichen wohlhabenden Mächtigen ausgerichtet.

 

Die christliche disciplina, ein wenig auch Nachfolger der stoischen Disziplinierung der Emotionen und Leidenschaften, fördert neben der persönlichen Frömmigkeit auch die öffentliche Untertänigkeit. Zu vermuten ist, dass eine so gesteuerte Aggressivität ihr Ventil nicht nur im lizensierten Amüsierbetrieb (so wie auch heute) findet, sondern die Aggressionen vor allem in einer gesteigerten Latenz hält, die nur „legitimer“ Anführer bedarf, um auszubrechen. Im Zuge der Christianisierung scheint die öffentliche Gewalttätigkeit im 4./5. Jahrhundert eher zu- als abzunehmen.

 

Diese nunmehr christliche Gewalttätigkeit, unterstützt von der zunehmenden Präferenz, die Christen nun durch ihre Kaiser erfahren, richtet sich spätestens seit Kaiser Theodosius I. zunehmend nicht mehr nur gegen Häretiker, also von der katholischen Kirche abweichende Christen (denen ihr Christsein offiziell abgesprochen wird), sondern auch gegen Heiden aller Arten. Zunächst werden die traditionellen Kultstätten in den Städten zerstört, gelegentlich gegen den erbitterten Widerstand der Kultanhänger, was auch mit Mord und Totschlag verbunden sein kann.

Zu den von Christen Verfolgten gehören dabei zunehmend auch Juden, die schon Konstantin „verfluchte“.

 

Für die opportunistischen und laxen Christen verwandelt sich die Volkskirche in eine, die vor allem von Ritus und Zeremoniell geprägt ist. Dazu gehören der regelmäßige Kirchgang, die Taufe, die Unterwerfung unter die Amtsträger der Kirche, der Verzicht auf außereheliches Ausleben der Sexualität und die monogame Ehe und schließlich das christliche Begräbnis. An die Stelle des Glaubenseifers der frühen Christen tritt für viele die Routine eines von weltlicher wie geistlicher Seite immer ähnlicher sanktionierten biederen Alltags.

 

Als das Christentum im fünften Jahrhundert durch staatliche Maßnahmen aufgezwungen ist, widersetzen sich zunächst immer noch manche einer „Bekehrung“, und selbst in einigen Städten sind die Christen zunächst noch in der Minderheit. Aber eine mehr oder weniger widerwillige Duldung gibt es nur noch für die Juden. Ansonsten ist bald kein Entkommen mehr vor der Mitgliedschaft in solcher Kirche samt ihren Abgaben und Pflichten.

 

Mit dieser Zwangsmitgliedschaft schwindet der persönliche Glaubenseifer wohl bei den meisten. In den (nunmehr nur noch) „christlichen“ Texten ist von Säumigkeit beim Kirchgang die Rede, von Unaufmerksamkeit beim Gottesdienst, wohl vor allem bei der Predigt, vom verfrühten Verlassen der Kirche bei der Messfeier. Eine Kirche, die jetzt mit Gewalt christianisiert und missioniert, dürfte sich alles in allem mit der öffentlichen Unterwerfung unter das Kirchenregiment zufrieden gegeben haben.

 

Zu den persönlichen, privaten Pflichten des Christen gehört zunächst die regelmäßige Bibellektüre und das mehrmalige tägliche Gebet. Mit dem Zerfall des weströmischen Zentralstaates und der Verwandlung der städtischen Selbstverwaltung schwindet die Lesekundigkeit der Menschen und damit der unmittelbare Zugang zu den heiligen Schriften und damit die Kenntnis christlicher Glaubensinhalte. Über eine persönlich-private Frömmigkeit der meisten sind wir alerdings kaum unterrichtet.

 

Zu vermuten ist aus dem wenigen, was heute noch betrachtet werden kann, dass Ritus und Sakrament jenes magische Moment befördern, welches weniger bei Paulus, aber umso mehr in den synoptischen Evangelien vorhanden ist. Der Umgang mit der Trinität dürfte ein theologisches Thema für den höheren Klerus bleiben, Gott wird wohl wesentlich als siegreicher und Sieg spendender, triumphierender Jesus/Christus verehrt. Näher sind sicher schon bald und dann für anderthalb Jahrtausende die Heiligen wegen ihrer größeren Menschlichkeit. Ganz nahe sind Engel und Dämonen, besonders solche, die zu den Heerscharen des Teufels gehörten.

 

Eine von magischen Kräften zusammengehaltene Welt wird vom Klerus auf den allmächtigen Schöpfergott und seinen bösen Gegenspieler bezogen, und sie bedarf mehr denn je Vorgängen der Reinigung vom Bösen und der Eingießung des Guten. Auf diese Weise kann der Klerus Präsenz im Alltag zeigen.

 

Die Taufe wird zur magischen Befreiung von der zwischen Paulus und dem späten Augustinus entwickelten Erbsünde, und zu diesem Zweck muss das Taufwasser zunächst vom Bösen gereinigt und dann dem Guten geweiht werden. Genau dasselbe geschieht mit dem Weihwasser.

 

Die interne Macht der fest institutionalisierten kirchlichen Hierarchien begründet sich dabei zunehmend aus Ansprüchen an eine besondere Heiligkeit des Klerus, deren wichtigster Ausdruck sexuelle Enthaltsamkeit wird.

Kurz vor 303 beschließt das Konzil von Elvira in Südspanien, dass Bischöfe, Priester, Diakone und alle Mitglieder des Klerus, die mit der Liturgie verbunden sind, sich ihrer Frauen enthalten sollen und keine Kinder zeugen dürfen. (Kanon 33) Nur eine Schwester oder Tochter, die als Jungfrau Gott geweiht ist, darf bei ihm wohnen (Kanon 27).

 

Die Konflikte um die Frage, inwieweit christlicher Klerus auch antik-"heidnische" Texte selbst lesen und weitervermitteln darf, werden immer öfter dahingehend entschieden, dass man in ihnen Übereinstimmungen mit christlicher Lehre findet, die zwar weithin an den Haaren herbeigezogen sind, aber dennoch wirksam. Damit werden dann ausgerechnet Kirche und Kloster zu den Orten, an denen antike Literatur am sichersten aufgehoben sein wird.

 

***Pöbel***

 

Um 400 ist das Imperium immer noch eine auf große Städte konzentrierte Welt. Da ist die alte Hauptstadt Rom, die einst auf vielleicht bis zu einer Million Einwohner angewachsen war, und die inzwischen eher von ihrer Vergangenheit zehrt und von zwei West-Residenzen mit deutlich geringerer Bevölkerung abgelöst wird: Mailand und das immerhin noch von rund 80 000 Menschen bewohnte Trier. Im Osten gibt es das ägyptische Alexandria mit an die 300 000 Einwohnern und das syrische Antiochia mit vielleicht 250 000 Menschen, eine Größe, auf die inzwischen auch Konstantinopel angewachsen ist, die Ost-Residenz.

 

Unterhalb einer kleinen, oft immer noch in großem Luxus lebenden Oberschicht gibt es die städtischen Massen der Kleinhändler, Krämer, Handwerker, Tavernen- und Bordellinhaber, der vielen Tagelöhner und Arbeitslosen. Ihre Versorgung wird durch die großen Bauten von Wasserleitungen und die zum guten Teil staatlich organisierten Getreidelieferungen gewährleistet, die aus Nordafrika und insbesondere aus Ägypten kommen. Damit das für die städtischen Massen und zudem für die Heere funktioniert, wird von oben immer stärker in das Wirtschaftsleben eingegriffen, was diesem allerdings insbesondere im ärmeren Westen auf die Dauer nicht förderlich ist.

 

Neben dieser Infrastruktur, zu der auch zum Beispiel Badhäuser, große Bäderanlagen, Straßen und Brücken gehören, dient auch ein großer Amüsierbereich dem Ruhigstellen der Massen, ihrer Untertänigkeit. Idole der in solchen Veranstaltungen aufgeheizten Massen sind denn auch weniger Heilige als vielmehr Sportler, Schauspieler, Tänzerinnen etc., ganz so wie wieder spätestens seit dem zwanzigsten Jahrhundert.

Der Kampfcharakter des Sportes und des Zirkus lädt zur Parteibildung ein, die sich dann auch schon mal "politisch" artikuliert und im Falle des Aufbaus besonderer Spannungen in Ausschreitungen und Straßenschlachten enden kann. Dennoch dient das Amüsierprogramm aber eher dem Ruhigstellen städtischer Massen.

 

Dauerhaftere Unruhe erzeugen religiöse Parteiungen, seitdem die Kaiser sich des Christentums bedienen. Da sind die krawallartigen Ausschreitungen gegen "Heiden", zunehmend auch schon mal gegen Juden, betrieben auch gelegentlich von Geistlichen, Mönchen und selbst Frauen, und dann kommen die zwischen unterschiedlichen christlichen Glaubensrichtungen hinzu, die sehr grob vereinfacht oft etwas damit zu tun haben, ob Jesus als Mensch, als Mensch und Gott zugleich oder nur als Gott gesehen wird. Solche Fragen werden im Osten noch Jahrhunderte weiterschwelen und in verwandelter Form im sogenannten Bilderstreit einen Abschluss finden. Dass die städtischen Massen, die sich dabei engagieren, von den Feinheiten solcher Debatten nichts mitbekommen, hindert sie nicht daran, die Gelegenheiten zum Ausleben von Aggressionen zu nutzen, die sie üblicherweise unter dem Druck der Obrigkeit wegzuducken haben. 

 

Neben religiösen Vorwänden für Krawall und Lynch-Morde bieten sich Hungerkrisen an oder Unzufriedenheit über zu geringe Wohltaten der Machthaber.

Im Verlauf des enormen Schwundprozesses der Städte im Westen der nächsten Jahrhunderte wird dieser städtische Pöbel (populus) erheblich an Bedeutung verlieren, ohne aber überall zur Gänze zu verschwinden.

 

Das Schwinden des Imperiums

 

Im Winter 394/95 schaffen es Verbände der Hunnen über die Donau und treiben die Goten Alarichs vor sich her, die nun wieder auf dem Balkan plündern. Von einem westlichen Entsatzheer aus ermordet der Gote Gainas den Berater von Arcadius, Rufinus, der durch den Eunuchen Eutropius ersetzt wird. Der hatte schon die Heirat des Kaisers mit der Tochter von Bauto vermittelt. Alarich zieht inzwischen auf die Peloponnes. Stilicho wird vom Ost-Senat zum Staatsfeind erklärt, ein Gildo separiert sich in Africa vom Westreich und muss von Honorius besiegt werden. Alarich zieht nach Epirus. Er nennt sich nun König, und wird auch Heermeister (magister militum) für Illyrien.

Mit den in Phrygien jetzt aufständischen Greutungen (Ostgoten) verbündet sich Gainas, und Eutropius findet den Tod. Gainas wird oströmischer Heermeister und zieht mit mehreren zehntausend Mann in Konstantinopel ein, wo gnadenlos geplündert wird. Alarich wird zum Reichsfeind erklärt. Gainas muss dann bald abziehen, aber unterdessen steht die Bevölkerung gegen die Goten auf, von denen 7000 im Kirchenasyl Schutz suchen und mit der Kirche verbrannt werden.

 

Inzwischen nimmt der kaiserliche Druck auf die Kolonen im Osten zu, die zunehmend mit Sklaven gleichgesetzt werden. Der allgemeine Arbeitskräftemangel führt dazu, dass die großen Grundbesitzer auch Waffenschmiede und Weber aus staatlichen Manufakturen aufnehmen, weshalb die Waffenproduzenten nun ebenso wie jetzt auch Sklaven gebrandmarkt werden.

Die Großgrundbesitzer in Ost wie West befestigen ihre Gebäude und besorgen sich militärische Gefolgschaften, die manchmal als buccelarii bezeichnet werden. Fliehende Sklaven und Kolonen verbinden sich zu Räuberbanden, die manchmal militärisch niedergerungen werden müssen.

 

398 kann ein Aufstand in Nordafrika niedergeschlagen und das Getreide für Rom gesichert werden. 401/02 taucht Alarich mit seinen Goten zum ersten Mal in Italien auf und gelangt bis vor Mailand. Honorius verlegt seine Residenz nach Ravenna. Alarich wird von Stilicho geschlagen und als westlicher Heermeister zur Ansiedlung in Pannonien bewegt.

 

Um 400 kommen die aus dem heutigen Polen stammenden Burgunden bei Mainz an, 406/07 soll ein burgundischer König Gundahar rund 80 000 Burgunden in einem Reich in der Gegend von Worms ansiedeln.

Ende 405 dringt eine große Zahl Ostgoten, vielleicht 20 000, unter Radagaisius in Italien ein. Stilicho stellt sogar Sklaven in sein Heer ein. 406 siegt Stilicho und die überlebenden Reste der Ostgoten werden als Sklaven verkauft.

 

Ende des 4. Jahrhunderts wird die Kaiserresidenz endgültig von Trier nach Mailand verlegt, und wenig später die wichtige Prätorianerpräfektur nach Arles. Für die römische Oberschicht wird immer deutlicher, dass, insbesondere auch nach der Aufgabe Britanniens, nun auch zumindest die Nordhälfte Galliens extrem gefährdet ist. Mit der Fluchtbewegung solcher Leute nach Süden verringert sich die römische Präsenz im Norden.

 

Derweil berennen Alemannen mit gelegentlichen Teilerfolgen die südliche Rheingrenze, und Vandalen, Sueben und Alanen gelingt der Durchbruch durch Gallien bis auf die iberische Halbinsel (406-09), wo die Sueben ein Reich etwa im heutigen Portugal und die Vandalen südlich davon errichten. In diesen Wirren zieht ein Constantinus (III.) mit seinen Truppen von Britannien ab, wo relativ schnell die Städte verfallen und eine starke Entromanisierung einsetzt, bis dann vor allem "heidnische" Jüten, Angeln und Sachsen dort einfallen und sich niederlassen werden. Dieser Constantinus macht sich 407 in Gallien zum Kaiser.

 

Sachsen besiedeln den späteren norddeutschen Raum, daran an schließen sich Thüringer. Südlich davon entsteht auf ehedem römischem Boden das Land der Bayern. Östlich der nach Westen und Süden abziehenden Germanen tauchen dann bald die ersten Slawen auf.

 

408 stirbt Arcadius und der siebenjährige Theodosius II. folgt ihm als Kaiser. Honorius lässt Stilicho hinrichten, als dieser nach Konstantinopel will, um dort für den Minderjährigen die Macht auszuüben..

 

Die Visigoten unter Alarich, zu denen nun viele Germanen des römischen Heeres stoßen, dringen im Herbst 408 erneut in Italien ein und ziehen nach Rom. Gegen enorme Summen von Gold (5000 Pfund), Silber (35 000 Pfund) und zahlreichen Luxusgegenständen lässt Alarich von der Belagerung ab. Die Stadt muss allen Sklaven freistellen, sich ihm anzuschließen. Aber nachdem er kein Siedlungsland bekommt, geht es erneut gegen Rom. Nach gescheiterten Verhandlungen zieht er 410 in der Stadt und überlässt sie dem Heer für drei Tage zur Plünderung. Zu den Gefangenen gehört mit Galla Pacidia die Schwester des Honorius. Als Reaktion auf dies Ereignis schreiben Augustinus und Orosius ihre großen Texte.

 

Des Constantinus (III.) Heermeister Gerontius siedelt die Sueben, Vandalen und Alanen in festen Regionen an, um der Verwüstung der iberischen Halbinsel Einhalt zu gebieten.

 

 412 versucht Alarich von Sizilien die Überfahrt nach Africa, was mangels Schiffen scheitert. Er stirbt und sein Nachfolger wird Schwager Athaulf. Constantius verdrängt die Goten aus Italien; mit viel Plündern führt Athaulf sie nach Gallien. Ganz Gallien rauchte wie ein Scheiterhaufen (Orosius). Dann ziehen die Goten nach Spanien ab, während Constantinus III. besiegt und getötet wird. An seiner Stelle usurpiert ein Iovinus von Mainz aus die Macht in Gallien mit der Unterstützung von Burgundern, Franken und Alamannen. Dafür erhalten die Burgunden einen Föderatenstatus um Worms.

413 besiegen die Goten des Athaulf Iovinus im Einvernehmen mit Honorius. Inzwischen haben sich Bagauden in der Aremorica (Bretagne) verselbständigt.

 

Athaulf liefert Galla Placidia nicht wie versprochen aus und erhält darum nicht bereits versprochenes Getreide. Die Goten marodieren nun in Südwestgallien. In Narbonne heiratet Athaulf die Kaiserschwester. Honorius erneuert den Krieg und die Goten müssen wieder nach Spanien ausweichen. 415 wird Athaulf ermordet. Sein Nachfolger Vallia muss sich mit Honorius vertragen, um an Getreide zu kommen und wird nun gegen die übrigen Germanen in Spanien eingesetzt. Er vernichtet eine Volksgruppe der Vandalen und die Alanen

 

416/18 endlich werden die Visigoten unter Theoderid in Südgallien als Föderaten angesiedelt und mit Land versorgt. Dafür erhält Constantius Galla Placidia, die er prompt heiratet. In Britannien machen sich nach und nach die Angelsachsen auf den Weg zu einem Nachfolgereich.

 

Das Visigotenreich in Südwestgallien mit der Hauptstadt Tolosa (Toulouse) ist zwar noch formal ins Imperium eingegliedert, aber in seinen Entscheidungen selbständig. Die Sueben und Vandalen im Süden und Westen der iberischen Halbinsel sind noch unabhängiger. Der Einfluss des Westimperiums beschränkt sich langsam immer mehr auf Italien.

Die Entwicklung fasst Reinhold Kaiser mit Demandt so zusammen: „Das Römerreich löste sich (...) auf, weil die Abwehr der äußeren Angriffe scheiterte und weil die Integration und Assimilation von kulturell eigenständigen Gruppen nicht gelang.“ (S.48) Was dabei fehlt sind die Kosten, welche das Militär erfordert, und der psychosoziale Preis, der inzwischen für die despotischen Strukturen zu zahlen ist.

 

421 macht Honorius den Constantius (als den Dritten) zum Augustus. Der stirbt aber bald danach und nun ist Theodosius II. in Konstantinopel Herr des Gesamtreiches. 425 wird der kleine Valentinian in Rom Augustus. Mutter Galla Placidia ist Regentin. Die Machtausübung im Osten nimmt immer "byzantinischere" Züge bei weiter anhaltenden innerchristlichen Konflikten wie dem von Kyrill versus Nestorius an.

Von nun an wird in unserem Text Ostrom nur noch in seinem Bezug zum Westen behandelt werden. Es fällt aus jener abendländischen Entwicklung heraus, die hin zum Kapitalismus führen wird.

 

Das römische Gallien, zunehmend unter Heerführern aufgeteilt, wird wirtschaftlich, politisch und kirchlich vorwiegend von senatorischen Aristokraten kontrolliert, die - soweit sie ihm überhaupt noch nachkommen - den Steuerdruck nach unten weitergeben. Darunter leiden die noch freien Bauern, die verarmen und sich unter den Schutz von Patronen begeben müssen. Kolonen und Sklaven fliehen und reihen sich in Räuberbanden ein (Stichwort Bagauden). Salvian von Massilia beklagt diese verheerenden Zustände am Beispiel des überfallenen Triers:

...obwohl die ganze Stadt verbrannt war, wuchsen die Leiden noch nach den Zerstörungen. Man verbrannte, verhungerte, erfror. Überall, was ich selbst gesehen und ausgehalten habe, lagen nackte und zerfleischte Leichen beiderlei Geschlechts, die den Anblick der Stadt schändeten, von Vögeln und Hunden zerrissen. Verderben für die Lebenden war der üble Geruch der Toten. (De gubernatione Dei)

 

Mit dem Tod des Constantius (III.) und dem kindlichen Valentinian (III.) als Caesar fühlen sich die Germanen von ihren Verpflichtungen gelöst. Die Visigoten dringen überfallartig bis nach Narbonne und Arles vor. 425 geht das gallische Heermeisteramt an Aetius über.  Er wird 428 Heermeister des Westreiches, wendet sich weiter gegen die Rheinfranken und nun auch die salischen Franken und versucht, die Expansion der Visigoten einzugrenzen.

 

Als der comes Bonifatius nach Italien überwechselt und die Gunst der Galla Placidia erhält, die für ihren Sohn regiert, zieht Aetius nach Italien, muss aber dann zu den Hunnen ausweichen, von denen er mit einem Heer zurückkehrt. Als Patricius ist er nun Herr in Italien und fördert die Karriere gallischer Oberschichtleute.

 

Als Gundahar/Gundichar versucht, sein Burgunden-Reich in die Gallia Belgica auszudehnen, wird er 435/37 von Aetius und seinen hunnischen Truppen geschlagen. Um 443 wandern die restlichen Burgunden um den Genfer See und in das Gebiet der Sabaudia, etwas nördlich des heutigen Savoyen, ab, wo sie ein neues Reich begründen, und die alte Reichsgrenze gegen die Alamannen behaupten. 451 werden wir sie auf der Seite des Aetius im Kampf gegen die Hunnen finden, bei denen möglicherweise ein anderer burgundischer Trupp mitkämpft. Sie lösen sich dann als Königtum aus dem Imperium Romanum, dessen Strukturen zunächst teilweise übernehmend in einem Nebeneinander von römischem und burgundischen Recht.

 

Die gallischen Bagauden unterwirft Aetius auch durch die Ansiedlung germanischer Volksgruppen. Der Visigote Theoderich schließt mit dem römischen Vertreter Avitus Frieden.

 

Seit etwa 430 muss Ostrom jährlich Gelder an die Hunnen zahlen. 445 wird Attila durch Brudermord Alleinherrscher der Hunnen von der (späteren) Ukraine bis zum heutigen Ungarn. 447 sind sie bereits dauerhaft südlich der Donau und Ostrom muss ihnen immer mehr bezahlen. 451 gibt Attila das Land südlich der Donau auf und marschiert nach Westen bis Metz und Orléans. Aetius vereint seine Truppen mit dem Heer der Westgoten und Einheiten der Burgunder, Franken und aus Aremorica (der späteren Bretagne). In der (künftigen) Champagne wird Attila geschlagen und zieht sich nach Ungarn zurück. Theoderich stirbt und es soll weit mehr als hunderttausend Tote gegeben haben, das heißt unzählig viele.

 

Ins zukünftige England dringen immer mehr Angelsachsen ein. Inzwischen haben die (arianischen) Vandalen längst unter Geiserich nach Afrika übergesetzt (429) und die Sueben beginnen, ihr Reich zu vergrößern. In Afrika haben die Vandalen mit ihrer Reichsbildung immer wieder die Möglichkeit, Rom von der Getreidezufuhr abzuschneiden, welches dann auf die Produktion von Sizilien und Sardinien zurückgreifen muss.

Inzwischen residiert Valentinian III. in Ravenna und geht dann nach Rom. In Ostrom erhebt sich weiter der Monophysitismus, der nur eine Natur Christi behauptet, und der erst 451 auf einem Konzil zu Chalcedon verurteilt wird. Bischof Leo macht deutlich, dass die Petrusstadt Zentrum der Christenheit sei, womit er seine päpstliche Rolle fundiert. 452 reist er zu Attila, um diesen von der Eroberung Roms erfolgreich abzuhalten. Der Hunnenführer stirbt bald darauf und seine Leute ziehen sich teilweise ans Schwarze Meer zurück. Die Greutungen (Ostgoten) werden sich davon lösen.

 

Valentinian ermordet 454 Aetius, was dessen Gefolgsleute mit der Ermordung des Kaisers rächen. Die vielen kurzlebigen Westkaiser, die nun folgen, sind zunehmend machtloser und sterben wieder oft keines natürlichen Todes mehr.

 

455 fallen die Vandalen unter Geiserich in Italien ein und plündern Rom vierzehn Tage lang auf das Schlimmste. Römer beginnen, die alten Monumente als Steinbruch zu benutzen; die Stadt verfällt und die Einwohnerschaft sinkt weiter rapide. Ein Jahr später fallen Vandalen in Sizilien ein. Der Suebe Ricimer versucht, die Vandalen zurückzudrängen und protegiert Maiorian als Kaiser.

Ein von diesem betriebener Versuch, das Vandalenreich zu besiegen, scheitert schon im Ansatz, wie dann auch ein Krieg Ostroms gegen dieselben. Bis 461 ersetzt Papst Leo kaiserliche Funktionen in Rom und Italien. 461 lässt Ricimer Maiorian fallen und hinrichten.

Der römische Heermeister Aegidius und nach seiner Ermordung 464 sein Sohn Syagrius halten eine Art römische Enklave in Gallien., bis Chlodwig den letzteren besiegen wird.

 

Das tolosanische Visigotenreich steht nach der Ermordung von Theoderid II. unter dessen Bruder Eurich auf der Höhe seiner Macht und erobert immer größere Teile Hispaniens, dringt bis zur Loire und in Richtung Rhône vor. Inzwischen steigt ein Frankenreich unter Childerich auf und begrenzt die visigotische Expansion nach Norden.

 

475 macht der Diplomat und Heerführer Orestes seinen noch recht jungen Sohn als Romulus Augustus zum Kaiser. Laut Prokop revoltiert die Armee, die bezahlt werden möchte. 476 tötet der Offizier Odoaker Orestes und schickt seinen Sohn in Pension in den Süden. Noch einmal versucht er mit imperialen Truppen dem Reich eine Ordnung zu geben und Frieden herzustellen. Ostkaiser Zenon verbindet sich mit dem Ostgoten Theoderich, der für ihn Italien zurückgewinnen soll.

 

Als aber nun die neuen Reiche die Funktionen des Westkaisers jeweils für ihre Territorien übernehmen, ist es nur plausibel, das Amt des immer machtloseren Westkaisers dort für erledigt zu erklären. Viel Römisches unterhalb der verschwundenen kaiserlichen Zentralmacht, für die nun Ostrom eintritt, bleibt allerdings noch lange bestehen.