Robert d'Abrissel
Fontevrault
Klosterreformen in deutschen Landen
Diversifizierung
Bruno und die Karthäuser
Bei sich erwärmenden Temperaturen führt der Weg des lateinischen Abendlandes zu landwirtschaftlichen Produktionssteigerungen, zu Bevölkerungsvermehrung, zum Aufstieg neuartiger Städte und zu Vorformen späterer Nationalstaaten. Handel und Handwerk nehmen zu, es bildet sich immer mehr Kapital und Macht und Reichtümer konzentrieren sich in fürstlichen Händen.
Eine neue Frömmigkeitsbewegung entsteht im 11. Jahrhundert, die gegenüber dem Rituellen und Zeremoniellen der benediktinischen Klöster und auch denen von Cluny eine stärkere Verinnerlichung des Glaubens bei Betonung der eigenen Gewissensinstanz entwickelt. Ein so bedeutender und gelehrter Mann wie der Abt Lanfranc von Bec erklärt in einem Brief, er würde entgegen der Regel sein Kloster verlassen, wenn ihm sein Gewissen aus Glaubensgründen den Aufenthalt nicht mehr erlauben würde.
Ein Mönch namens Rainald, der in die Eremitenbewegung ausgebrochen war, "beklagte" gegenüber Ivo von Chartres in einem Brief "die Banalität des mönchischen Alltags, das ständige Geschwätz (sermo) über Essen,Trinken und Pitanzen, das Maulen über die Sparsamkeit des Abtes und über seine Bediensteten, das verbale Herumstreunen in der Welt draußen, das Interesse an Schlachtensiegen (regum ducumque pugnas et victorias) und den ewigen Klatsch und Tratsch. (in der freien Übertragung von Rexroth, S.115)
Parallel zu den Reformern in der Kirche brechen Leute aus ihr aus. In der Vita des Stephan von Obazine heißt es: Und weil man kein schriftliches Recht irgendeiner Ordnung angenommen hatte, galten die Anweisungen des Meisters anstelle eines Gesetzes - Anweisungen, die nichts anderes lehrten als Demut, Gehorsam, Armut, Zucht und vor allem fortdauernde Liebe. (in Zisterzienser, S.26). Stephan von Muret, Gründer von Grandmont, soll gesagt haben, es gebe nur eine Regel, nämlich die des Evangeliums, was natürlich die römische Kirche nicht lange akzeptieren kann.
Als der verheiratete Vater mehrerer Kinder und Archidiakon von Coutances Bernhard von Tiron fragt, mit welchem Recht er Kleriker kritisiere, sagt dieser: Ein Prediger der Kirche muss für die Welt tot sein (...) dass er weltliche Lust ertötet, gibt ihm das Recht zu predigen. (in: Moore, S.259)
Leute wie Robert d'Arbrissel ziehen in Wälder, bilden Gemeinschaften, dann manchmal Klöster wie Fontevrault. Ihr charismatischer Anführer schreibt ihnen Statuten vor. 1084 zieht sich der ehemalige Reimser Domscholaster Bruno von Köln nach Chartreux bei Grenoble zurück, wo sich ihm andere anschließen, bis er dann 1091 eine neue Eremitengemeinschaft in Kalabrien gründet. Unter den in der Kartause von Chartreux Zurückgebliebenen entwickeln sich dann feste Ordensregeln, die der Prior aufschreiben lässt.
Sogar das unbelesene einfache Volk gerät an einigen Orten in Bewegung. Bernold von St. Blasien beschreibt in seiner Chronik für 1091 verblüfft, wie in Dörfern in Schwaben Leute anfangen, von einem urchristlichen Gemeinschaftsleben zu reden und versuchen, so etwas in die Praxis umzusetzen. Irgendwie passt das ein wenig zu den frommen Gesellschaften von Gewerbetreibenden, die sich in den Städten immer mehr herausbilden.
Das alles hat nicht zuletzt auch einen wirtschaftlichen Hintergrund. Im Zuge von steigender Vermarktung landwirtschaftlicher Produkte, Aufschwung der Städte und städtischen Handwerks, Zunahme des Geldes und seiner Bedeutung lösen traditionelle Klöster wie das von St. Gallen nach und nach ihre Villifikationsverfassung auf, also die Trennung in Herrenland und Mansen abhängiger Bauern mit deren Abgaben und Dienstverpflichtungen, und gehen wie auch anderswo zu einer Art Rentengrundherrschaft über. Eines der Nachteile zeigt sich dann wie im weltlichen Bereich: Die geldlichen Abgabenverpflichtungen stagnieren eher, während der Geldwert sinkt. Manche traditionell benediktische Klöster geraten dabei in finanzielle Engpässe.
Daneben belasten besonders im Ostreich die Reichsdienste eine ehedem reiche und mächtige Abtei wie Fulda ebenso wie die zunehmenden Auseinandersetzungen mit Vasallen und Ministerialen. Kurz nach der Mitte des 12. Jahrhunderts beschreibt Abt Abt Markward die Situation, "wie die Ministerialen und Vasallen des Klosters einen großen Teil der Erträge der Fronhöfe aufzehren, jeweils die besten Hufen innerhalb der Villifikationen an sich reißen und sie als erbliche Lehen beanspruchen. Benachbarte Magnaten hätten außerdem viele Klostergüter und Villifikationen geraubt und wollten sie als Benefizien innehaben. Die Bauern nähmen selbständig Rodungen in den Klosterwäldern vor und legten dort Dörfer an." (Rösener in Staufer und Italien, S.297)
Robert d'Arbrissel
Robert d'Abrissel ist wohl um 1045 in der Bretagne geboren. Laut seinen beiden zeitgenössischen „Biographen“ ist er Sohn eines Priesters und wird später selbst Priester. Der Biograph seines Bekannten Bernhard von Thiron beschreibt für die Zeit:
Nun war es zu jener Zeit in der ganzen Normandie Sitte, dass die Priester in aller Öffentlichkeit jemanden zur Frau nahmen, dass sie Hochzeit feierten und Söhne und Töchter zeugten, denen sie in Übereinstimmung mit dem Erbrecht nach ihrem Ableben ihre Kirchen vermachten. Auch wenn sie ihre Töchter verheirateten, gaben sie ihnen häufig, wenn sie über keine anderen Besitzungen verfügten, eine Pfarrei zur Mitgift. (in Delarun, S.25f)
Noch 1074 lehnte eine Synode in Paris das Zölibat der Geistlichen als vernunft- und naturwidrig ab. Es wird vermutet, dass auch der Priester Robert sich eine Frau nahm. Dann beginnt die Kirchenreform ihren ersten Höhepunkt zu erreichen. Offenbar flieht Robert nach Paris, wo er stark unter ihren Einfluss gerät. Vielleicht ist er dort Schüler des Anselm de Laon. Die Ablehnung der hauptsächlichen Sünde des Fleisches führt zu einem inneren Ringen. Biograph Balderich schreibt:
In ihm gab es eine Art innerer Auseinandersetzung (conflictus), ein Wüten des Geistes (mentis rugitus), ein durchdringendes Schluchzen des Leibes, die man als unmenschlich (crudelem) und gottfern (impium) bezeichnen könnte; kein Heilmittel gab es dafür, auf Dauer und viele raunten sich zu, dass es hier um etwas Außergewöhnliches und Extremes ginge, weit entfernt von unserer elenden Schwäche. (Balderich, Vita Roberti)
Für die damalige Zeit wird das nicht psychologisch erklärt, sondern als das Ringen guter und böser Engel von außen um die Seele des Mannes.
Um 1085 ist Robert in Rennes als Erzpresbyter des Bischofs Sylvester de la Guerche. Nach dessen Tod 1093 ist er an der Kathdralschule von Angers unter seinem Lehrer Marbod, wo er studiert und beginnt, seinen Körper zu kasteien (d.h. zu quälen), um Sünden abzubüßen. Bischof Ivo von Chartres kritisiert ihn zum ersten Mal. 1096 trifft ihn dort Papst Urban II. und verleiht ihm den Titel seminiverbum, also Sähmann der heiligen Schrift. Damit hat er die offizielle Predigterlaubnis.
Dann geht er wie vor ihm Jesus und so viele andere und zum Missfallen seines BIschofs Marbod in die "Wüste", die in Nord-Frankreich wie in Deutschland meist ein Wald war. Eines der direkteren Vorbilder könnte Romuald aus der Familie der Herzöge von Ravenna sein, der nach einer aristokratischen Jugend erst ins Kloster geht, um dann extrem asketischer Eremit in der Einöde zu werden. 1012 wird seine Gemeinschaft zum Orden der Kamaldulenser. Die Zellen verlassen diese Eremiten nur zum Gottesdienst, außer am Donnerstag, am Sonntag gibt es nur Wasser und Brot, und es herrscht absolutes Schweigegebot. An diesen beiden Tagen darf auch Gemüse gegessen werden. Im Kamaldulenserkloster von Fonteavellana wird Petrus Damiani erzogen, einer der ersten großen Verfechter der Kirchenreform.
Zu der Schar von Roberts Anhängern gehören Bernhard von Tiron, Vitalis von Savigny, Herveus von Saint-Trinité und Radulf von La Fûtaie, die allesamt später Klostergründer werden. (Werner Robl, Heloisas Herkunft. S. 86) Sein Biograph Balderich (Baudri) von Bourgeuil schreibt später (um 1120): Viele Menschen jeden Standes strömten zusammen. Es kamen arme und edle (nobiles) Frauen, Witwen und Jungfrauen, alte und junge, Buhlerinnen und solche, die Männer verschmähten. Es fällt auf, dass es sich im wesentlichen um das weibliche Geschlecht handelt, jedenfalls hebt der bischöfliche Biograph darauf ab.
1095 ist Robert mit Anhängern im Wald von Craon, wo er das Chorherrenstift von La Roe gründet, das aus einer Schenkung von Rainald von Craon hervorgeht. Laut Biograph trägt er ein Bußgewand aus Schweineborsten, schläft auf dem nackten Boden. Man muss ihn sich mit Zottelhaar und Rauschebart vorstellen. Er gründet den Konvent, verlässt ihn aber wieder, als dort vielen seiner Anhänger der Zugang verweigert wird. In Zukunft lässt er sich nur noch Magister (Meister) nennen, nam neque dominus neque abbas vocitari volebat. (Balderichs Vita Roberti)
1084 hatte Bruno von Köln die große Chartreuse (Kartause) in der Einöde bei Grenoble gegründet. 1098 wird Robert de Molesmes Citeaux gründen. Aber Robert zieht es noch einmal in die Welt hinaus. Mit seinen Anhängern, darunter viele Frauen, streift er umher und predigt, bis er sich zwar in Fontrevault niederlässt, aber sich immer wieder in „die Welt“ hinaustreiben lässt, auch darin ein Vorläufer des Franziskus von Assisi. Zwischendurch nimmt die Kritik der Geistlichkeit zu: Die Kirchenoberen schimpfen über diese Gemeinschaft von Männern und Frauen, besonders über die meretrices, was sich nicht einfach mit Hure im heutigen Sinn übersetzen lässt, sondern eher mit „Frauen, die nicht kirchlich sanktionierte Beziehungen zu Männern haben“. (Alfred Haverkamp: Neue Formen von Bindung und Ausgrenzung. Konzepte und Gestaltungen von Gemeinschaften an der Wende zum 12. Jahrhundert, in: Schneidmüller/Weinfurter, S...)
Ein Welt-Kleriker wie Robert darf nicht so herumlaufen, seine Kritik an der hohen Geistlichkeit ist unloyal, er wirft ihnen Geldgier und Doppelmoral vor, Bischof Marbod von Rennes schimpft:
Des weiteren pflegst du in Predigten, in denen du das gewöhnliche Volk (vulgares turbas) und unwissende Menschen belehrst, nicht nur wie es sich ziemt die Anwesenden wegen ihrer Laster zu tadeln, sondern auch, wie es sich nicht ziemt, nicht nur den abwesenenden kirchlichen Stand, aber du zählst auch Verbrechen der Würdenträger auf, pflückst sie heraus, zerreißt sie.
Das ist schon schlimm genug und kündet von fehlendem geistlichem Corpsgeist. Aber am schwerwiegendsten ist, dass die Gemeinschaft dieses Robert mit Frauen von Hochmut und falschem Stolz kündet. Robert will wohl heiliger sein als alle bisherigen Heiligen. Das geht zu weit.
Marbod von Rennes weiß, worum es geht und beschreibt es Robert in einem Brief:
Allein durch ihr Aussehen verströmen sie ein verführerisches Gift, das bis ins Mark dringt, und mit ihren unaufhörlichen Lockungen erregen sie die dunklen Zonen des Geistes. ... Nicht lange schläft man sicher in ihrer Nähe. (Jacques Delarun, s.o.. S. 66).
Die bisherigen Heiligengeschichten beschrieben, wie der Teufel in (Phantasie-)Gestalt schöner Mädchen die Frommen zu verführen suchte. Der Widerstand dagegen war schlimm genug. Sich noch mehr zu kasteien, indem man seine Keuschheit der unmittelbaren Nähe von (realen) Frauen aussetzte, war haarsträubender Übermut, eine Überforderung jedenfalls für alle anderen.
Und Marbod behauptet auch gegenüber Robert, dass Schwangere zu ihm flüchten, andere wohl in seiner Umgebung schwanger werden und weggehen, um zu gebären. (aliae enim urgente partu fractis ergastulis elapsae sunt, aliae in ipsis ergastulis peperunt.) Andere allerdings loben ihn, wie die Bischöfe von Poitiers und Bourges. Aber er muss Konzessionen machen.
Hersendis ist Tochter Huberts III. de Campania (de Champagne), ein treuer Gefolgsmann des angevinischen Grafen, der im Norden des Anjou auf Schloss Durtal hauste, einem Lehen von Gottfried Martell. Eine Urgroßmutter von Hersendis soll eine Montmorency gewesen sein, eine Ururgroßmutter eine Heloisa. (Robl, Herkunft, S. 97f)
Nach 1080 wurde Hersendis zum ersten Mal verheiratet (Robl, Herkunft, S.91), dann noch einmal mit Wilhelm von Montsoreau, das bei Candes liegt, wo Martin von Tours starb, dem Dorf, dem man dann den heiligen Leichnam stahl. Wilhelm hatte aus erster Ehe einen Sohn Walter, der am Ende seines Lebens Fontevrault beitritt. Um 1087 stirbt Wilhelm und wohl irgendwann nach 1092 schließt sich Hersendis Robert d'Arbrissel an, sie verschmähte das Ihre, wodurch sie über den Adel hinausstrahlte, wie Balderich in der Vita Roberti berichtet.
Als er sah, dass die Menge seiner Anhänger immer mehr wurde, und um nichts unüberlegt zu tun, weil er die Frauen und Männer unterbringen musste, wo sie ohne Angst vor Skandalen zusammensein und leben konnten, und wenn es ihm zuteil würde, einen einsamen Ort zu finden... (Vita des Balderich).
Sie gründen ein Konvent im Tal der fons ebraldi, wobei sie das Grundstück von einer Riveria geschenkt bekamen, die in der Nachbarschaft lebte. Amor fraternus fordert Robert für dort, brüderliche Liebe, etwas, was eher selten war in seiner Welt.
Es gab einen unbebauten und wüsten Ort, voller dornigem Gesträuch, das von altersher Fons Ebraldi genannt wurde, fern aller menschlicher Behausungen, etwa zwei Meilen von der Cella von Candes entfernt, an das Bistum Poitiers angrenzend. Dieses Wäldchen, eine Art Gestrüpp, wählte er, damit darin Gottes neue Familie und sein neues Heer (nova familia et novus exercitus) wohne und arbeite. Als Geschenk einiger Eigentümer empfing er es und führte die ungesonderten (promiscuos) Rekruten der Christenheit dorthin. (Vita des Balderich)
Der Ort ist auch ganz in der Nähe des Schlosses von Montsoreau und steht zudem unter dem besonderen Schutz des Bischofs Peter II. von Poitiers, der ein Freund Roberts ist.
Hinter den nun folgenden Landschenkungen stand, so Werner Robl (Herkunft, S. 115ff) die eigene und die angeheiratete Familie der Hersendis. Das mag auch ihre herausragende Stellung in dem entstehenden Kloster erklären (und vice versa).
Die Vorwürfe führen also dazu, dass Robert sich in Fontevrault niederlässt, wo die Geschlechter fein säuberlich in getrennte Teilklöster separiert werden können, so dass sie wenigstens in verschiedenen Räumlichkeiten untergebracht sind: Die „Jungfrauen“ kommen ins Marienkloster, die anderen ins Magdalenenkloster. Zu denen gehören auch ehemalige „Prostituierte“, vielleicht sind das zum Teil auch einfach von der Kirchenreform verjagte Frauen von Priestern. Insgesamt rund 300 Frauen sollen hier zusammenleben. Daneben ist das Männergebäude. Zusätzlich gibt es noch eine Abteilung, in der Aussätzige leben, die von der Gemeinschaft betreut werden. Die Frauen sollen in der Klausur beten, die Männer draußen arbeiten. Damit wird den Frauen eine höhere Stellung als den Männern in der Klosterhierarchie zugeordnet.
So wie das Kloster allerdings heute baulich dasteht, ist es im wesentlichen das Werk der Äbtissin Petronilla, die in Roberts Abwesenheit und insbesondere nach seinem Tod ein monumentales Anwesen bauen lässt. Indirekt erfahren wir aber, wie ein Teil der Amtskirche mit Roberts Vorstellungen noch nach seiner Niederlassung in Fontevrault und der Klostergründung mit seiner Geschlechtertrennung umging. In seinem wütenden Verteidigungsbrief gegen die Anwürfe Abaelards verweist Roscelin um 1120 darauf, er habe seinerseits sich nicht gegen Robert gewandt, den Abaelard offenbar als Zeugen gegen Roscelin angerufen hat,
(Hos autem quos in exemplum trahis, dominum videlicet Anselmum Cantuariensem et Robertum bonae vitae bonique testimonii homines nunquam persecutus sum, licet quaedam eorum dicta et facta reprehendenda videantur. Nec mirum, quia videmus nunc per speculum in aemigmate(1. Cor XII, 12)).
Aber Einwände gab es eben doch:
Denn ich habe gesehen, dass der Herr Robert Frauen, die ihren Männern entronnen sind (a viris suis fugientes), auch als diese sie zurückhaben wollten und auch auf die Aufforderung des Bischofs von Angers, sie zurückzugeben, diese ungehorsam bis zum Tod hartnäckig bei sich behielt. Betrachte, wie unvernünftig diese Tat ist. Wenn nämlich eine Frau dem Mann das Geschuldete verweigert, und deswegen jener dazu gezwungen wird, Ehebruch zu begehen, so ist die Schuld der Veranlasserin größer als die des Handelnden. Die Frau muss also des Ehebruchs angeklagt werden, wenn sie ihren Mann abweist, der dann später aus Not sündigt. Wie also soll Robert, wenn er diese bei sich behält und versorgt, schuldfrei und unbeteiligt an diesem Verbrechen sein? Jene würde dies nämlich keineswegs tun, wenn sie nicht einen fände, der sie bei sich behält (Illa enim nequaquam hoc faceret, nisi qui eam retineret inveniret. (Das lateinische Original habe ich aus: Werner Robl: www.abaelard.de/abaelard/060011rosceschmaeh.)
Als einziger kasteit sich Robert weiter, indem er die körperliche Nähe zu den Frauen sucht, und dabei Enthaltsamkeit übt. Auch ein Abt Gottfried von Vendôme schilt ihn deshalb:
Du erlaubst, wie man sagt, dass irgendwelche Frauen dir allzu vertraulich beiwohnen, mit denen du dich oft vertraulich unterhältst, und du errötest nicht dabei, dass du mit und unter ihnen schläfst. ... Du hast eine neue Art von Martyrium erfunden, eine Art, die bis jetzt noch nicht angewandt worden ist und die fruchtlos ist. Denn man kann keinerlei Frucht, keinerlei Nutzen ziehen aus dem, was gegen die Vernunft ist.
Zwei zukünftige gegensätzliche Bewegungen deuten sich an: Die der Vernunft, des Rationalisierens, deren vornehmster Vertreter bald Anselm von Canterbury wird, und die Entwicklung eines sensibleren Gefühlshaushaltes, wie er sich im poetischen Frauendienst darstellen wird.
Robert überschreitet keine Grenzen, sondern er lotet ihren äußersten Rand aus. Indem er die Nähe zur Frau zur äußersten Kasteiung macht, wertet er sie zugleich erheblich auf, schon alleine, indem er ihre Nähe als Geistlicher überhaupt zulässt. In der Keuschheit bei der Begegnung mit der Frau erfährt er den Geschlechtstrieb als höchsten Schmerz und höchste Lust. In diesem Schmerz befindet er sich im Zustand höchster Heiligkeit. Indem er das im Doppelkloster von Männern und Frauen in Fontrevault in deutlich geringerem Maße zum Dauerzustand macht, als besondere Heiligkeit und höchste Sublimierung des Geschlechtstriebes, gewinnt er seine ganz eigene Passion, das Leiden in einer Liebe zu Gott und seinen Nächsten. So fremd, wie das heute wirken mag, es ist eine zentrale Wurzel weiterer abendländischer Kultur geworden.
Fontevrault.
Indem die Leitung des Klosters und die höhere Arbeit des Gebetes an die Frauen fällt, ihnen die Männer unterworfen sind, entspricht er ein wenig dem, was gleichzeitig beim Aufschwung des Kultes der Muttergottes Maria passiert. In derselben Zeit kommt es auch zum Kult der Maria Magdalena, der ehemaligen „Hure“, die Jesus keusch die Füße wäscht. Im Magdalenenkloster sind dementsprechend entlaufene Ehefrauen und ehemalige sogenannte „Huren“ versammelt, alles Frauen mit sexuellen Erfahrungen und in der Regel mit schlechten. In der keuschen Verehrung ihres heiligen Robert gewinnen sie nun auch eine neue erotische Dimension.
Es sind mit Hersendis und Petronilla aber nicht irgendwelche Frauen, sondern solche aus dem höheren Adel, die die Klosterleitung übernehmen.
Dies ist dieselbe Zeit, in der aquitanische Troubadoure beginnen, neue Liebesvorstellungen zu entwickeln, die literarisch in der Verehrung einer unerreichbaren Dame gipfeln werden. Der deutsche Minnesang wird folgen. Die Liebe als caritas, „himmlische Liebe“, wird verweltlicht als Liebe zur Hohen Frau, so dass es auch im säkularen Raum gelingt, die begehrende (cupiditas) von der gebenden Liebe zu unterscheiden. Wilhelm von Aquitanien wird im alten Okzitanisch erst sehr sinnlich-erotische Gedichte schreiben, dann eine Frau beschimpfen, die ihn zugunsten von Fontrevault verlässt, um dann aber doch die „hohe Minne“ zu entdecken, die nicht erobernde und manchmal auch vergewaltigende, wie es damals wohl nicht selten war.
Der Geschlechtstrieb und das sexuelle Begehren, insbesondere bei Männern, ist die ursprünglichste Quelle menschlicher Aggression. Beim neuen Mönchtum entwickelt sich seine radikalste Ablehnung, aber es entdeckt langsam, dass es nicht mehr die Frau ist, hinter der sich der Teufel versteckt, sondern dass der Teufel im Manne selbst drinnen steckt. Indem Robert sich seiner Sexualität stellt, stellt er sich am Ende der Aufgabe, mit ihr nicht mehr gegen Frauen fertig zu werden, nicht mehr in ihrer massiven Abwertung, sondern im Umgang mit sich selbst. Dabei wird das Christentum in eine Innerlichkeit hineinversetzt werden, die sich in den Mutter-Kind-Bildnissen der Marien der späteren Gotik beispielsweise niederschlagen wird.
Wie weit Robert seiner Zeit voraus ist, zeigt sich bei seinem Sterben 1117. Er ruft den Klerus der Gegend zusammen, um sie als Zeugen zu haben für seine Verfügung, dass die adelige Petronilla Äbtissin wird, die das väterliche Erbe verlassen hatte und seine Schülerin gewesen war, wie es in der Vita Andreae heißt: Eine Frau mit Macht über Männer. Eine adelige Frau, die verwitwet ist und Mutter, keine Jungfrau, eine Frau mit sexueller Erfahrung. Sie wird auch die spirituelle Leiterin. Den Männern stellt er frei, (deswegen) das Kloster zu verlassen und offensichtlich nimmt das ein Teil auch wahr.
Der Kampf um den Leichnam des beinahe Heiligen
Die Reliquie als Fetisch in eine Theologie zu integrieren, die sich bemüht, nach der Anverwandlung aristotelischer Gedankengänge in die lateinische Welt eine neue Anverwandlung in eine lateinisch-christliche Welt zustande zu bringen, gelingt nicht gedanklich-philosophisch, sondern nur aus der letztlich aristokratisch-antiken Vorstellung heraus, dass nur wenige berufen sind und die anderen als Herde (von Schafen oder gar Lämmern) eben ertragen und eingegattert werden müssen.
Das scholastische, also schulmäßige Philosophieren, welches seine erste Blüte direkt neben der Entdeckung des neuen lyrischen Ichs hat, wobei beide sich gegenseitig weitgehend ignorieren, systematisiert die altgriechische Philosophie so, wie sie sie nun versteht: Von Gott aus und nicht mehr vom denkenden Menschen. Da Gott alles ist, und der Mensch an ihm nur denkend teilhaben kann, verehrend denkend, partizipiert eben jeder am geschlossenen System so, wie er kann, und diejenigen, die fast alle sind, dürfen aufgrund ihrer geistigen Minderleistungen daneben bestehen – auch das hat Gott so gewollt.
Das schulmäßige Philosophieren, die Gelehrsamkeit, ist genauso nur etwas für wenige wie auch das neue lyrische Ich. Die meisten sind durch ihren Alltag davon ausgeschlossen und wohl ohnehin zu solchen intellektuellen bzw. sensiblen Höhenflugen nicht imstande. In der Reliquie und überhaupt dem Fetischisieren von Gegenständen wird etwas für fast alle angeboten. Jesus war ein Gegner der Gelehrsamkeit gewesen, ein Freund des schlichten Gemütes. Dieses braucht das sinnliche Angebot. In ihm kann sich die Volksfrömmigkeit der Schafsherde entfalten, wie damals die Gemeinde der Weltkirche genannt wird. Über sie wacht der Hirte und der Hirte der Hirten mit dem bischöflichen Krummstab, also dem Hirtenstab. Das weltlichen Herren unterworfene Volk wird auch geistlich verächtlich behandelt – es ist zu dumm für Theologie.
Die wichtigsten Fetische (man denke nur, der biblische Jesus hätte davon gewusst!) sind die Reliquien, die Überbleibsel der und des Heiligen. Sie sind wunderbar und wundertätig zugleich, Mittler zwischen dem Unfassbaren und der schlichten Menschenseele. Als die Trobador-Lyrik und das scholastische Denken beginnt, beginnt sich direkt daneben auch der Reliquienkult bis ins Unsägliche zu steigern. Die Überreste der Heiligen werden dabei zu kostbaren Wertsachen. Bevor ich das am Beispiel von Robert d'Arbrissel erzähle, sei nur als Seitenvermerk erwähnt, dass Kapitalismus ohne die Fetischisierung toter Dinge nicht denkbar wäre, auch wenn das nur ein Charakterzug seiner Entstehung ist.
Kloster-Reformen in deutschen Landen
Von innen gesehen dienen Klöster dem eigenen Seelenheil der Mönche, von außen dem des Weltklerus und der Laien durch das Gebet. Unter den Laien ist dabei jener Adel zu verstehen, der genug besitzt, um sich durch Stiftung und Schenkungen in das Gebet der Mönche "einzukaufen".
Der Adel bedarf der dauerhaften Institution Kloster, denn das Gebet für ihn, welches ihm die Sündenstrafen erleichtern soll, wird erst nach dem Tod so richtig wichtig, und es soll andauern, bis er ins ewigen Heil gelangt ist. Da nun die Klöster auf Schenkungen von Grundherrschaften angewiesen sind, um viel Zeit für den Erwerb jener Heiligkeit zu gewinnen, die ihr Gebet für den Adel erst wirksam macht, kommt es zu einer engen Verbindung der Klöster mit der regionalen weltlichen Macht. Diese wird noch dadurch unterstützt, dass bislang solche Klöster selbst dem Adel weitgehend vorbehalten sind.
Insbesondere stiften Adelsfamilien „eigene“ Klöster, die sie dann auch materiell ausstatten. Nachdem sie nun Mitte des 11. Jahrhunderts beginnen, (Höhen)Burgen zu bauen und eine Stammburg zu ihrem Familiensitz zu machen, haben sie so ein geistliches und ein weltliches Zentrum, von denen aus sie dynastisches Bewusstsein entwickeln können, ähnlich wie die salischen Könige. Es gibt dann so ein Zentrum für die Lebenden, nachdem sie anfangen, sich zu benennen, und eines für die Toten, die sie bald in der Klosterkirche bei denen zu bestatten trachten, die für sie zu beten hatten.
Im Zuge einer Entwicklung intensiverer Frömmigkeit, wie sie schon in Burgund im zehnten Jahrhundert in der Gründung von Cluny kulminierte, Anfang des 11. Jahrhunderts in Italien (Fruttuaria) anlief und etwas später auch in den deutschen Landen, wurde beim Adel das Bewusstsein dafür geschärft, dass die Gebetsleistung der Mönche dort an Wert für das eigene Seelenheil gewinnt, wo diese sich besonderer Heiligkeit befleißigen. Familien unterstützen so Neugründungen mit größerem Heiligkeitspotential und zudem die Reformierung „ihrer“ Klöster, weil Reform mehr Heiligkeit erwarten lässt. Dies wird im 11. Jahrhundert um so wichtiger, als das Bewusstsein für die eigene Gewalttätigkeit und sexuelle Sündhaftigkeit (und ähnliches) zunimmt, ohne dass diese sich deshalb verringern.
Geringere Heiligkeit heißt bei alten Reichsklöstern wie St.Gallen oder Reichenau das negative Ansehen, Regeln weniger streng zu befolgen, immer weniger Mönche zu haben und weniger Schenkungen zu bekommen.
Mit dem Tod dessen, der sich ein Kloster verpflichtet hatte, wird dieses zu einer Art Memorialeinrichtung. Zusätzliche Geschenke zu Lebzeiten werden darauf verwendet, das Kloster darauf zu verpflichten, jährlich zum Todestag nicht nur für einen zu beten, sondern die Qualen des Abbüßens von Sünden durch Almosenspenden an die Armen zu verkürzen. Bevor man also Kapital investierte, investierte man Geld und Gut in die Ersparnis von Höllenqualen.
In Cluny wurden alleine schon die Mittel, die die (adeligen) Mönche in ihren Klostereintritt mitbrachten, an jedem ihrer Todestage für die Speisung eines Armen verwendet, was um 1100 auf jährlich über 12 000 Armenspeisungen angewachsen war.
Die klösterliche Reformbewegung entwickelte sich im römisch-“deutschen“ Reich zunächst in Lothringen, in Gorze, Moyenmoutier, Lüttich und anderswo. Unreformierte Klöster gelten bald als korrupt, verderbt, während diese die reformierten als schismatische Abspaltung vom gemeinsamen benediktinischen Mönchtum empfinden, wie dies zum Beispiel Ekkehard von St.Gallen darlegt. Es geht um die Kontakte der Mönche mit der Außenwelt, eine gewisse Heiterkeit im internen Umgang miteinander in der Klausur, gegen die ein konsequentes Schweigegebot gesetzt wird. Es geht gegen die Lektüre heidnischer Autoren, gegen bequeme oder gar prächtige Kleidung. „Strengeres Fasten, häufigeres Wachen, längeres und intensiveres Chorgebet, vertiefte Kontemplation und persönliche Askese“ (KellerBegrenzung, S.150) sollen zu den Wurzeln der benediktinischen Regel zurückführen. Was sich in deutsche Klöster eingeschlichen hatte, war in der Regel nicht massive Verwahrlosung, sondern Anpassung an die Tatsache, dass das Kloster von Kindheit an gemeinsamer Lebensraum war.
Dennoch sieht das ein Lampert von Hersfeld etwas schärfer, wiewohl er radikalerer Klosterreform eher ablehnend gegenüber steht. Zunächst ist es Parteinahme gegen den König, was ihn dazu führt, einen neuen Abt für das Kloster Reichenau 1071 als Schacherer zu verurteilen:
er hatte an die königliche Kasse 1000 Pfund reinsten Silbers gezahlt. Durch schmutzige Wuchergeschäfte, die er auch schon als einfacher Mönch im Kloster betrieben hatte. hatte er sich ein riesiges Vermögen erschachert ... Dann verallgemeinert er allerdings, dass man in unserer Zeit und in unserem Lande die Mönche nicht nach ihrer Unschuld und der Reinheit ihres Lebenswandels, sondern nach der Menge ihres Geldes einschätzt, und dass man bei Abtswahlen nicht fragt, wer der Würdigste ist für das Amt, sondern wer es am teuersten kaufen kann. So drang (...) die Gewohnheit in die Kirche ein, dass die Abteien in der Pfalz öffentlich als käufliche Ware prostituiert werden (publice venales prostituantur), und dass niemand einen so hohen Preis dafür verlangen kann, dass er nicht sofort einen Käufer fände, während die Mönche sich nicht mit löblichem Eifer in der Beobachtung der Regel, sondern mit üblem Eifer in Gelderwerb und Wucher (de questibus et usuris) zu übertreffen suchen.
Während dieser neue Abt von Bamberg nach Reichenau wechselt, hatte dieses dort
inzwischen Ekbert, ein Mönch aus der strengen Zucht von Gorze, übernommen. Bei dessen Amtsantritt stoben sofort alle Brüder. die er bisherige Abt erzogen hatte, nämlich in der Schacher- und Wucherkunst, und die er wie der Vater seine Söhne gelehrt hatte, in Lebensführung und Sitten, wie man sagt, in seine Fußstapfen zu treten, auseinander wie Blätter, die der Wind vor sich hertreibt. (Alles Annales für 1071)
Ein Beispiel, das wohl nicht völlig aus der Luft gegriffen ist, aber wie es allgemein in den Klöstern aussah, lässt sich kaum mehr genau ergründen. Dafür sind die Quellen der Zeit zu parteiisch. Bei Lampert heißt es aber zum selben Jahr:
Selbst um ein kleines Amt (honor) zu erkaufen, versprachen sie täglich goldene Berge und schlossen weltliche Käufer durch ihr übermäßig hohes Angebot aus (...) Die Welt fragte sich staunend, aus welcher Quelle eigentlich dieser gewaltige Geldstrom hervorsprudele, wieso Privatleute Schätze (opes) wie Krösus und Tantalus hätten anhäufen können, und noch dazu solche Menschen, die >das Ärgernis des Kreuzes< und den Ehrentitel der Armut als Aushängeschild benutzten und vorgaben, außer einfacher Nahrung und Kleidung nichts zu besitzen.
Und damit niemand denke, es handele sich um Einzelfälle, erwähnt Lampert für 1075 in seinen Annalen, die sich des Öfteren mit Fulda befassen, noch folgendes: Als dann (...) der König mit den Fürsten zur Wahl eines Abtes von Fulda eine Sitzung abhielt, entstand ein heftiger Streit zwischen Äbten und Mönchen, die in großer Zahl aus verschiedenen Orten herbeigekommen waren. (...) der eine versprach goldene Berge, der andere ungeheure Lehen aus den Fuldaern Besitzungen, ein dritter außergewöhnliche Dienstleistungen für das Reich, und alle wahrten nicht Maß noch Ziel in ihren Angeboten.
Es muss nicht immer eine Geldsumme sein, mit der man seinen Eintritt in das Amt eines Abtes (oder Bischofs) bezahlt. Klöster sind immer auch große Wirtschaftsbetriebe, und bei manchem größeren bedeutete die Abtswürde Macht und die Verfügung über viel Geld. Dass da vor der Wahl Versprechungen gemacht werden, dürfte normal gewesen sein.
Es kommt dazu, dass der Ruf nach der libertas ecclesiae auch zu einem nach der „Freiheit“ des Klosters führt, und die soll nun wie in Cluny nicht mehr vom Bischof und dem König eingeschränkt werden. Mehrere Generationen nach der Gründung von Cluny beginnen Adelige in Lothringen wie 1049 jener Egisheimer Grafensohn, der zum Papst Leo IX. wird, im Fall von Heiligkreuz-Woffenheim, „ihre“ Klöster direkt dem Papst zu unterstellen, was heißt, sie der königlichen Oberaufsicht zu entziehen, der bisher oberster Schutzherr der Klöster war. Tatsächlich bleiben sie nun aber unter der erblichen Aufsicht der jeweiligen adeligen Stifterfamilie, im Egisheimer Fall wird dort die Vogtei an den Besitz des Stammsitzes der Familie, die Egisheimer Dagsburg gebunden. Das gilt aber selbst dort, wo die Familie den Mönchen nicht nur die Wahl des Abtes, sondern auch die freie Wahl des Vogtes gewährt, der die weltliche Gewalt ausübt. Auf diese Weise werden in den südwestdeutschen Reformklöstern dann lange vor den Übereinkünften zwischen Königen und Päpsten Temporalia und Spiritualia getrennt.
Das Kloster tut dabei gut daran, sich von denen beschützen zu lassen, die ihnen am nächsten stehen und die tatsächliche Macht in der Gegend innehaben.
Neben den Ämtern der Kirche und denen, die die Ministerialität innehatte, etabliert sich so der Amtsgedanke auch in den Vogteien, selbst wo diese, wie meist, in einer Familie erblich sind.
Tatsächlich scheint es bei einigen südwestdeutschen Adeligen auch zu intensiverer "Christianisierung" bis hin zu persönlicher Frömmigkeit zu kommen, die einige von ihnen sogar dazu bringt, sich aus der Welt zurückzuziehen und in Klöster einzutreten. Auch das wohl brachte sie dazu, im Streit zwischen Papst und Kaiser die päpstliche Seite einzunehmen.
1070 gründet Erzbischof Anno von Köln das Kloster Siegburg und verpflanzt dorthin zwölf Mönche aus dem reformierten Kloster Fruttuaria, die er von einer Italienreise mitbringt (Lampert).
Dann vertrieb er laut Lampert Annales 1072) die Kanoniker aus Saalfeld und führte dort mönchisches Leben ein, indem er Mönche aus Siegburg und St.Pantaleon (in Köln, ebenfalls reformiert) hinschickte. Lampert muss dort erfahren, dass das Volk die herkömmlichen Benediktiner (uns) für nichts hält - und hielten diese, die etwas Neues und Ungewohntes zu bieten schienen, nicht für Menschen, sondern für Engel, nicht für Fleisch, sondern für Geist.
Und diese Meinung (opinio) hatte sich in den Köpfen der Vornehmen noch tiefer und fester eingenistet als in denen der einfachen Leute. Von jenen aus war diese Ansicht ins Volk (ad populum) gedrungen und erregte in den meisten Klöstern dieses Landstrichs solche Angst, dass bei ihrem Herannahen hier dreißig, dort vierzig und anderswo fünfzig Mönche, durch die Furcht vor einem strengeren Leben verscheucht, die Klöster verließen und es für besser hielten, ihr Seelenheil in der Welt in Gefahr zu bringen, als über das Maß ihrer Kräfte hinaus mit Gewalt das Himmelreich erobern zu wollen.
Die Skepsis der altgedienten Mönche vor den Neuerungen ist groß, und in mehreren Quellen wird davon berichtet, dass Mönche sich vielerorts dagegen stemmen oder ihre Klöster fluchtartig verlassen. Am Beispiel des Erzbischofs Anno wird deutlich, wie sich moralische Säuberungen mit den Interessen territorialer Kontrolle durch Reform verbinden.
1072 wird St.Blasien vom schwäbischen Herzog Rudolf dem Einfluss Fruttuarias unterstellt. Zwischen 1069 und 79 wird das Kloster Hirsau mit Unterstützung eines Grafen von Calw nach dem Vorbild von Cluny und in enger Verbindung zu diesem von Mönchen aus Gorze reformiert. 1075 dokumentiert das 'Hirsauer Formular' die Investitur des Abtes durch den Klosterpatron, von dessen Altar er den Stab nimmt. Später wird dieser Stab im Weiheakt des Abtes diesem vom Bischof überreicht und wird so Teil der Weihe und nicht mehr Investitur im eigenkirchlichen Sinne. Das bedeutet dann freie Abtswahl, während sich die Calwer Grafen das Vogtsamt vorbehalten.
Das Institut der ungeweihten Laienbrüder, der Konversen wird eingerichtet und die Aufnahme unmündiger Kinder durch Oblation wird abgeschafft.
Die vielen von Hirsau beeinflussten Klöster, etwas über hundert, bleiben wie am Beispiel Gorze selbständig.
Alle diese Reformen werden dann auf andere deutsche Klöster übertragen. Es verbinden sich innerklösterliche Reformbestrebungen mit der Sorge von Adeligen um ihr Leben nach dem Tode, und diese wiederum mit den territorialen Bestrebungen des Adels. Damit verknüpft wird das Sympathisieren mit dem Reformpapsttum, ein weiterer Konfliktpunkt mit König und Kaiser.
Um 1030 werden sowohl die Habsburg wie das dazu gehörige Kloster Muri gegründet. Allerdings erst 1064 wird die Klosterkirche geweiht. Um sein Kloster zu stabilisieren, geht Graf Werner von Habsburg nach Hirsau, um sich dort Hilfe zu erbitten. Vier Mönche und Wilhelm von Hirsau selbst reisen darauf nach Muri. Der Graf bietet freie Vogtswahl, was aber wenig erfolgreich bleibt, und übernimmt dann wieder die Vogtei, die in Zukunft an den jeweils ältesten Erben fallen soll. Damit kann das Kloster nicht mehr geteilt werden und so wird die Zukunft des Hauses Habsburg wie die des Klosters zur gleichen Zeit gesichert.
Bald gibt es päpstliche und kaiserliche Klöster, Reformmönche werden dort vertrieben, wo kaiserlicher Hochadel die Oberhand gewinnt und umgekehrt. Dabei bleibt der Einfluss Clunys auf die consuetudines der Klöster beschränkt, ihre Einreihung in Machtgruppen ist eine ausgesprochen deutsche Angelegenheit.
Mit der neuen Frömmigkeit, wie sie vor allem von Hirsau aus Schwaben beeinflusst, wandelt sich das benediktinische Kloster. Wurden bislang die Klöster im wesentlichen mit Kindern aus Adelshäusern bestückt, so wird nun zunehmend ein Eintrittsalter verlangt, welches dem Manne die freie und bewusste Entscheidung für das Klosterleben überlässt, was alleine schon dessen Charakter verändert. Vor allem Kleriker und Mönche, die eine strengere Regeleinhaltung wünschen, treten nun ein. Entsprechend werden Laienbrüder (Konverse) aus der Klausur ausgeschlossen, tragen einen Bart und eine andere Tracht, um so von der neuen Rigorosität abgegrenzt zu sein. Die Arbeit außerhalb des Klosters und das Betreiben von Geschäften werden den regulären Mönchen oft zur Gänze abgenommen.
Zugleich kommt es zu einer weiteren Neuerung. Bislang waren die Klöster dem Adel und der arrivierteren Ministerialität vorbehalten, nun wurde dieser de facto, wenn auch nicht nach der Regel existierende Adelsvorbehalt ein Stück weit aufgehoben.
Mit dem 12. Jahrhundert beginnt in den klassischen benediktinischen Klöstern der Abschluss von konvertierenden Laien, die stärker als störend empfunden werden. Das betrifft nun besonders Nichtadelige, Bauern zum Beispiel, die nun insbesondere bei den Zisterziensern ganz als Laienbrüder (Konversen) ausgegliedert werden, die keinen Zugang zu Büchern und Studien bekamen und nur an hohen Festtagen den hohen Offizien beiwohnen dürfen.
All dies wird für einige Jahrzehnte mehr Strenge, „Askese“ in diese Klöster einziehen lassen. Dort, wo dann im 12. Jahrhundert der Reformeifer wieder nachlässt, werden neue Gruppierungen nachziehen.
Reform betrifft nicht die Regel Benedikts, sondern die Details und damit wohl auch den Geist der Regel. Im Zuge zunehmender allgemeiner Schriftlichkeit beginnt man diese jeweiligen Gewohnheiten als Regelzusätze aufzuschreiben. Aus solchen Anfängen wird sich nach und nach ein Bewusstsein für verschiedene „Orden“, also Ordnungen des Mönchtums herauszubilden.
Diversifikation
Erfolgreich ist die Kirchenreform mit ihrem Zentralismus und ihrer Verrechtlichung. Sie scheitert aber auf die Dauer mit ihrem Wunsch, die Geistlichkeit zu reformieren. Die Verweltlichung des Klerus nimmt zu. Höhere Geistliche halten sich an ihre Pfründe, die Dotierung ihres Amtes, überlassen die Seelsorge aber niederen Geistlichen bei spärlicher Bezahlung. Kirchenämter werden schiere Einkommensquellen, auch eine Form von Simonie. Das Zölibat wird weiter nur partiell durchgesetzt. Das führt bei Laien nicht nur zu Spott, sondern auch zu Versuchen, selbst nach Formen eines christlichen Lebens zu suchen.
Nachdem im 12. Jahrhundert die Zeit der Wanderprediger alten Typs wie eines Robert d'Arbrissel vorbei ist, die am Ende auch in der kirchlich approbierten Klostergründung landet, kommt es einmal zu Bewegungen von Laien wie den Katharern oder den Waldensern, die dem Neuen Testament mehr Gewicht als dem Alten beilegten, und daraus ihre eigenen Schlüsse zieen, die radikaler werden als das, was die Kirche den Laien vorgibt. Mitte des 12. Jahrhunderts wird eine solche Gruppe in Köln von der Kirche und erst recht dem städtischen Pöbel verfolgt. „Sie hatten einen eigenen Bischof, die Gemeinde war gegliedert in Hörende, Gläubige und Erwählte, zu denen auch Frauen gehörten. Bei ihrem Verhör beriefen sie sich allein auf Worte Christi und der Apostel, und nur wenn man ihre kundigsten Lehrer widerlege, wollten sie ihren Überzeugungen abschwören.“ (KellerBegrenzung, S.291)
Der Geistliche Arnold von Brescia möchte in derselben Zeit die Kirchenreform, die gerade an einer weiter verweltlichenden Kirche scheitert, fortführen dahingehend, dass die Kirche auf allen Besitz und ihre ins Weltliche reichende Macht verzichen soll. Im Bündnis mit der römischen Kommunalbewegung versucht er die päpstlichen Machtvollkommenheiten zu beschneiden. Kommentar des Gelehrten Johannes von Salisbury: Was er lehrte, stimmte weitgehend überein mit dem Gebot der Christen, deren Leben freilich weit davon abwich.
Zum anderen kam es zu Klöstergründungen aus recht selbständigem Antrieb, die alle die Regeln des Benedikt radikaler auslegen, und die dann durch Tochterklöster etwas neuartiges schaffen, was man später Orden nennt, ein etwas missverständlicher Begriff, bedeutet das Wort doch nichts anderes als Ordnung.
Bruno und die Karthäuser
Es heißt, Bruno stamme aus einer alten Kölner Patrizierfamilie. Er studiert an den Domschulen in Köln und Reims. 1056 wird er Leiter der Domschule (Scholaster) von Reims. Im Investiturstreit verteidigt er die Reformkirche. Als der weltlich gesinnte Manasses I. de Gourney dort Erzbischof wird, laut Guibert von Nogent ein Simonist, muss Bruno fliehen und Reims verlassen. Nach der Absetzung Manasses’ I. im Jahr 1080 kehrte Bruno nicht nach Reims zurück, sondern tritt in die Benediktiner-Abtei Molesme ein.
1084 erlaubt ihm sein Abt, in der nahe gelegenen Einöde von Sèche-Fontaine eine Einsiedelei zu errichten. Bald schließen sich ihm weitere Einsiedler an, und das Gelände in Sêche-Fontaine wird zu klein. Darum stellt der Bischof von Grenoble Bruno ein Gelände im Chartreuse-Gebirge in der Gegend von Grenoble zur Verfügung, wo Bruno mit sechs Gefährten die Chartreuse aufbaut, die durch reichlich Zulauf bald zur Grande Chartreuse wird.
Im Jahr 1090 wird Bruno von einem seiner ehemaligen Schüler, dem neu gewählten Papst Urban II., als dessen Berater nach Rom berufen. Schon im Jahr 1091 gründet er eine weitere Kartause in La Torre in Kalabrien, wo er bis zu seinem Tod 1101 bleibt.
Unter den in der Kartause von Chartreux Zurückgebliebenen entwickeln sich dann feste Ordensregeln.
In den Worten von Guibert von Nogent wird die erste Karthause so beschrieben:
Sie haben alle ihre eigenen getrennten Zellen um einen Kreuzgang, in welcher sie arbeiten, schlafen und essen. Sonntags bekommen sie ihr Essen vom dispensator - und zwar Brot und Bohnen, letztere als einzige Zugabe von jedem in seiner Zelle gekocht. Wasser bekommen sie genug sowohl zum Trinken als auch für andere Zwecke aus einer Leitung, die durch alle ihre Zellen geht (...) Sie haben Fisch und Käse an Sonntagen und den wichtigsten Feiertagen; unter Fisch verstehe ich nicht das, was sie kaufen (emere), sondern was sie durch die Großzügigkeit (largitio) guter Leute bekommen.
Gold, Silber, Schmuck für die Kirche bekommen sie von niemandem, und so haben sie nur einen silbernen Kelch (calix). Darüber hinaus gehen sie nicht zu den üblichen Zeiten wie wir zur Kirche, aber schon zu festen Zeiten. Die Messe hören sie, wenn ich mich nicht irre, Sonntags und an den üblichen Feiertagen. Sie sprechen kaum irgendwo, wenn sie etwas benötigen, verständigen sie sich durch Zeichen. (...)
Dieser Ort heißt Carthusia, und dort kultivieren sie den Boden nur wenig für Getreide. Dafür kaufen sie (comparare) normalerweise mit den Fellen ihrer Schafe, die sie in großer Zahl halten, die Produkte die sie brauchen. Am Fuß des Berges sind Behausungen, in denen mehr als zwanzig treue Laien unter ihrer Aufsicht wohnen. (De Vita sua, I,11) Diese sind bald als Brudermönche dem Kloster zugeordnet und verrichten Arbeiten für die Versorgung der Chormönche. Dazu gehören die Vieh- und Pflanzenzucht (Karthäusernelken). Der Likör ist erst eine Erfindung der fortgeschrittenen Neuzeit.
Die Karthäuser unterscheiden sich von anderen Klöstern durch das sehr erweiterte Schweigegebot und die intensive Einsamkeit der Mönche in und bei ihren Zellen mit Gebet und Meditation. Diese bestehen aus einem Vorraum zum Gebet an Maria, einem Hauptraum mit Strohbett und einem Handwerksraum zum Holzhacken für das Heizen und Kochen und andere Arbeiten.