STADT N4: 1350-1500

 

 

Stadtbild (Läden / Abfall)

Die Stadt als Festung

Stadt und Umland

Strukturen der Einwohnerschaft

Patriziat: Verachtung nach unten (Heinrich Toppler und Rothenburg)

Unternehmerisches Kapital und bürgerliche Mittelschicht  (Der Blick nach oben)

Unterschicht: Proletariat (Gesellen / Dienstboten / Prostitution / Bettelwesen / "Fürsorge" )

Gewalt, Verbrechen, Recht

Ausgrenzung (Juden / Zigeuner / Henker)

Stadtgemeinde in deutschen Landen (Politisierte Zünfte / Verfassung / Finanzen / Wirtschaftspolitik/  Recht / Wohlfahrt / Schulwesen / Kirche)

Fazit: Ämter, Obrigkeit und Untertänigkeit

Die Hanse: Lübeck / Wismar / Köln / Braunschweig

Leipzig / Erfurt / Trier

Süddeutschland (Würzburg / Freiburg / Augsburg / Nürnberg / Bamberg / Regensburg / Der Schwäbische Städtebund)

Bergbaustädte

 

England

Frankreich

Niederlande

Spanien

 

 

Die Krise des 14. Jahrhunderts ist wie viele Krisen seitdem schlimm für viele Menschen, aber gut für das weitere Aufblühen des Kapitalismus. In nicht wenigen Städten führt sie zu einem erheblichen Bevölkerungsschwund, der dann nach und nach wieder vom Land her aufgefüllt wird. Englische und deutsche Städte marschieren dann in eine zweite Blütezeit von Handel und Gewerbe. In deutschen Landen steht dafür zum Beispiel der Aufstieg von Köln, Lübeck und Nürnberg..

Die große Zeit der Stadtgründungen ist aber vorbei, nachdem schon in der letzten Zeit hauptsächlich Städte neu entstanden, die klein bleiben. Nach 1450 finden dann überhaupt kaum noch Städtegründungen statt. In Mitteleuropa leben am Ende um 1500 gut zwanzig Prozent der Menschen in Städten, davon viele in solchen Kleinstädten, die weit mehr unter herrschaftlicher Aufsicht stehen und denen viele der Einrichtungen größerer Städte fehlen. Sie machen über 90% aller deutschen Städte aus. Wenn gemeinhin heute von mittelalterlichen Städten die Rede ist, sind oft die größeren unter ihnen gemeint, solche wie Nördlingen mit 5000 Einwohnern, Konstanz vielleicht 7 000 oder wie Nürnberg, das es am Ende des 15. Jahrhunderts auf etwas unter 30 000 bringt.

Der Abstand von Orten mit Stadtrecht von einander beträgt nun meist deutlich weniger als eine Tagereise. Große Teile Europas sind in diesem Sinne "verstädtert", die großen Städte kontrollieren beträchtliche Teile des Landes und sind ein wichtiger Machtfaktor.

Dabei gehört für manchmal fast 20% der Bewohner größerer Städte immer noch Landwirtschaft zur Existenzgrundlage, und das meint mehr als das Halten eines Schweines oder einer Ziege und von Hühnern in der Stadt. Viele, selbst wohlhabendere Handwerker-Familien, die keinerlei Vermögen bilden können, halten sich noch Vieh im oder am Haus, um spätestens in der Not Milch, Eier, Fleisch und anderes zur Hand zu haben. Ein beträchtlicher Teil städtischer Ratsbeschlüsse ist immer noch mit der Regelung von Landwirtschaft befasst (Isenmann, S.22).

 

Der Zuzug vom Lande geht weiter und nimmt eher noch zu, wobei es häufiger nun die Wohlhabenderen sind, die in die Städte ziehen. Umgekehrt beginnen die ersten reich gewordenen Bürger wieder aufs Land zu ziehen und ihr Geld dort zu investieren. Handwerker ziehen von Stadt zu Stadt auf der Suche nach günstigen Bedingungen. Deutsche Handwerker beginnen gegen Ende des 14. Jahrhunderts sogar, sich in Rom, Venedig und Florenz niederzulassen. Handwerker vom Fach sind manchmal hochbegehrt.

 

Das späte Mittelalter ist zunächst die Blütezeit der Ratsverfassung, ob nun als patrizische oder unter Einschluss der Zünfte bzw. als solche einer Zunftregierung unter Einschluss des Patriziats. Dabei ist die zunehmend engere Verbindung einzelner Häuser des Großkapitals mit Königen und Fürsten, die beiderseitig gepflegt wird. Dabei werden Privilegien und Vorzugsbehandlungen gegen großzügige Geschenke verteilt, die damals noch nicht offiziell als Bestechung deklariert sind, Da in diesem Sinne Korruption schon durch das ganze Mittelalter der Normalfall ist, wird sie nicht als solche bezeichnet.

Zugleich "verbürgerlichen" Teile der königlichen Verwaltung und bald dann auch die "fortschrittlicher" Fürsten, die mit Vorliebe Juristen und andere Experten aus dem vorwiegend großbürgerlichen Milieu heranziehen. Zu diesem Zweck dienen auch vor allem die neuen deutschen Universitäten.

 

Immer von gewalttätigem Adel, Fürsten und manchmal auch von Königen bedroht, kommt es in den siebzigern und achtziger Jahren des 14. Jahrhunderts erst zu einem schwäbischen und dann einem rheinischen Städtebund, die sich schnell miteinander verbünden. Es geht um jenen Frieden, der Sicherheit für Kapitalverwertung bietet, und den abwechselnd alle drei Gruppen bedrohen. Dazu verbünden sich die städtischen Oberschichten auch zu gegenseitiger Hilfe bei Aufständen und Revolten, die ihre politische Monopolstellung angreifen. Es kommt zum sogenannten Städtekrieg, in dem 1388 die Grafen von Württemberg bei Döffingen und Ruprecht von der Pfalz bei Worms die Städte besiegen. Im Reichslandfrieden von Eger im folgenden Jahr müssen sie die Auflösung der Bünde hinnehmen.

Ein neuer schwäbischer Bund der Reichsstädte verfolgt zunächst bescheidenere Ziele und lässt sich auch nicht für König Sigmunds Reichsreformpläne einspannen. Mitte des 15. Jahrhunderts kommt es zu einem zweiten Städtekrieg, aber danach zerfällt die Städtepolitik in nicht mehr vereinbare Einzelinteressen. Die große Zeit mittelalterlicher Städte geht vorbei.

 

Dabei sind die Reichsstädte und freien Städte des späten deutschen Mittelalters sowie die italienischen Stadtstaaten ein Sonderfall der mittelalterlich-europäischen Geschichte. Städtische Autonomie in Flandern und den Niederlandern schwindet mit ihrer Integration in das burgundische Großreich und anderswo wird sie wie in dem französischen und den spanischen Königreich von den Herrschern erstickt.

 

Spätes Mittelalter und frühe sogenannte Neuzeit gehen ineinander über und lassen sich kaum voneinander trennen. Einer der Wendepunkte ist der Rückgang der freien bzw. Reichsstädte und die zunehmende Aushöhlung städtischer Autonomie und ihre Unterwerfung unter den landesherrlichen Stadtherrn deutscher Lande. Er  "bürdet ihr wachsende Steuerlasten auf und integriert sie in den territorialen Verwaltungsaufbau und in das entstehende territoriale Wirtschaftssystem. Freie Städte, Reichsstädte und bedeutende hansische Städte, deren Autonomie am entschiedensten ausgebildet ist, werden zu einem Teil mediatisiert und landsässig oder geraten, in eine isolierte Insellage gedrängt, gegenüber den sie umgebenden Territorien in politische und wirtschaftliche Bedrängnis." (Isenmann, S.26)

 

Die Städte in den deutschen Fürstentümern sind für ihre fürstlichen Herren zu allererst Einnahmequelle und daneben Festungen zum Ausbau ihrer Territorien. Mit zunehmender Verwaltung meinen diese Fürsten, sie im 15. Jahrhundert direkter regieren zu können. In Brandenburg verbünden sich schon im 15. Jahrhundert die Kurfürsten Friedrich II. und Johann mit dem Adel gegen die Städte, um die Territorialisierung voranzutreiben. 1432 schließen sich Berlin und Cölln zu einer Gemeinde zusammen. Es kommt zu Konflikten zwischen Zünften und Rat. 1442 nutzt Kurfürst Friedrich das aus, um die Gesamtstadt wieder zu teilen, ihre Autonomie einzuschränken und ihr die Bündnisfähigkeit abzusprechen. 1488 nutzt Kurfürst Johann Unruhen in brandenburgischen Städten, um ihnen die Gerichtsbarkeit und das Münzrecht zu entziehen und den Rat seiner Kontrolle zu unterwerfen. 

Im 16. Jahrhundert ist es dann bei den Städten unter deutschen Fürsten mit der Autonomie zunehmend vorbei, sowie auch bei vielen süddeutschen Reichsstädten. Selbstverwaltung liegt nicht mehr im Interesse des größeren Kapitals, nachdem dieses seine Förderer vor allem in fürstlichen Kreisen sieht.

 

Die neuzeitliche Stadt ist dann meist, wie schon viel früher in Frankreich und Kastilien, integraler Teil von Flächenstaaten und Teil ihres Untertanenverbundes.

 

Stadtbild

 

Das heute einigen noch vertraute Bild eines mittelalterlichen Stadtensembles, soweit noch erhalten und natürlich durch Restaurierung überformt, entstammt dem spätesten (kurzen) Mittelalter bzw. eher dem 16. Jahrhundert. Älter sind nur manche Stadtmauern, einige Kirchen und burgartige Gemäuer, manchmal der Plan einzelner enger Gassen und die Plätze von Märkten.

Die großen Altstädte des heutigen Restdeutschland sind fast alle im Bombenhagel der Siegermächte bewusst in Schutt und Asche gelegt worden, um die deutsche Geschichte sichtbar zu vernichten, etwas, was Hitler schon in Südengland hat vormachen lassen. Aber auch an stärker erhaltenen kleinen Städten wie Rothenburg oder Dinkelsbühl lässt sich natürlich spätmittelalterliches bzw. frühzeitliches Leben nicht auf den ersten Blick erkennen. Der Blick des Reisenden des 15. Jahrhunderts ist auch nur eingeschränkt nützlich und nimmt gelegentlich bereits die oberflächliche Naivität des modernen Touristen vorweg. Ein Beispiel liefert die Schwärmerei des Enea Silvio Piccolomini, damals Kardinal von Siena, für Nürnberg in seiner 'Germania':

Was für einen Anblick bietet diese Stadt! Welcher Glanz, welch liebliche Lage, welche Schönheiten, welche Kultur, welch vortreffliches Regiment! Was könnte man an ihr vermissen, was sie zu einer in jeder Beziehung vollkommenen Bürgergemeinde macht? Wenn man aus Unterfranken kommt und von Ferne die Stadt sieht, welche Großartigkeit, welche Schönheit bietet sich da schon dem Blick von außen! Und im Innern dann, welche Sauberkeit der Straßen, welche Eleganz der Häuser! Was gibt es Herrlicheres als die Kirche des hl. Sebaldus, was Prächtigeres als die Kirche des hl. Laurentius, was Stolzeres und Festeres als die Königsburg, was Bewundernswerteres als den Graben und die Stadtmauern! Wie viele Bürgerhäuser kann man dort finden, die für Könige geeignet werden! (Übersetzung A. Schmidt, in: Isenmann, S.17)

 

Was fast wie der Werbeprospekt einer modernen Tourismusbehörde klingt, ist immerhin vom Kenner der Schönheit toskanischer Städte des 15. Jahrhunderts geschrieben, die damals auf den ersten Blick wie Florenz oder Siena - viel moderner wirkten. Es ist der Blick eines Machthabers auf eine mächtige Stadt, und insofern ähnlich dem heutiger Touristen, die sich in aller Regel mit den Monumenten der Mächtigen und mit diesen selbst identifizieren.

Das Bild ist ungeniert die Wirklichkeit verfälschend, die gar nicht gesucht wird, denn sogenannte "Humanisten" wie dieser Piccolomini sind Meister im Idealisieren. Es fehlt hier die große Masse der Armen, die in Kellerlöchern und Einzimmerwohnungen wohnen, und der Bettler auf den Straßen, es fehlt die produktiv arbeitende Mehrheit der Bevölkerung, die in der vollkommenen Bürgergemeinde politisch eher rechtlos und einer kleinen Clique von Patriziern unterworfen sind, sich standesmäßig immer mehr abschließendem und sich aristokratisch gebendem Großkapital.

 

Das Wachstum der städtischen Bevölkerung durch Zuzug führt gelegentlich zur Zusammenlegung mehrerer benachbarter "Städte" zu einer Stadt mit einem Rat, einem Rathaus und Gericht an einem zentralen Markt wie dem in der Mitte von Rostock, wodurch die Gesamtstadt zu einem gemeinsamen Rechtsraum mit einer gemeinsamen Mauer wird. Duderstadt zum Beispiel platzt offensichtlich 1436 aus allen Nähten, die enge Bebauung fördert Feuersbrünste, und so erlaubt ihr Mainzer Herr die Vereinigung mit der Neustadt und den Bau neuer Befestigungen um den Gesamtkomplex. Konstanz gemeindet um 1410 die Vorstadt Stadelhofen mitsamt einer neuen Mauer ein und wenige Jahre später das Dorf Petershausen auf der anderen Rheinseite.

 

Städte wachsen, aber nicht mehr ihre Zahl. Und oft sind auch Altstadt, Neustadt und Vorstadt weiter getrennt. Selbst dort sind wiederum Klöster und Stifte als immune Bezirke separiert und mit eigenem Recht versehen. Überhaupt werden Klerus und Mönche gar nicht zur Stadtgemeinde gezählt, in der sie "exemt" sind, ausgenommen, eben keine Bürger der Stadt. Sichtbar wird das an den Mauern, die Bischofsstadt mit Domherren und den Bediensteten, Stifts- und Klosterbezirke abtrennen.

 

Den äußeren Rahmen liefert weiter die Stadtmauer, die, wo nötig, erweitert und aansonsten verstärkt und mit mehr Türmen versehen wird. Durch die Tore eingelassen wird man als Stadtbewohner, als Besucher bei einem oder in Geschäften,; zudem an Jahrmärkten bzw. Wochenmärkten. Wenn dann der Türmer zur Nacht bläst, muss der Bürger in die Stadt zurückkehren und das Vieh wird ebenfalls zurückgetrieben. In Rothenburg/Tauber werden die Tore dann verschlossen und die Schlüssel zum Bürgermeister gebracht.

 

Zentrum der Stadt wird schon im hohen Mittelalter der einzige oder wichtigste Markt wie der Hauptmarkt in Trier. Über die Stadt verteilen sich dann andere Märkte, Viehmärkte, Fleischmärkte, Kornmärkte und andere wie ebenfalls beispielsweise in Trier. Nahe beim Hauptmarkt sind im späten Mittelalter das Rathaus, die Waage, der Pranger, die Stadtapotheke, oft zumindest ein zentrales Kaufhaus, und die immer aufwendigeren Häuser der mächtigen Oberschicht, die sich an manchen Orten als Patriziat, eine Art Stadtadel, ständisch abschotten.

In den besseren Gegenden liegen Gilde- und Zunfthäuser, Trinkstuben der Patriziergesellschaften und der übrigen Kaufleute-Gesellschaften, zudem städtische Tanz-, Trink-, Hochzeits- und Festhäuser wie der Mitte des 15. Jahrhunderts erbaute Kölner Gürzenich, ursprünglich unten ein Kaufhaus, oben ein für damalige Verhältnisse riesiger Festsaal. Dieser wird zwar von der Stadt finanziert, ist aber den Festen samt Tanzveranstaltungen der ganz Reichen und Mächtigen vorbehalten.

 

Nicht Rathäuser, sondern Kirchen ragen aus dem Stadtbild heraus. Das Rathaus ist selten höher als die Traufe der Bürgerhäuser und bis in die Renaissance auch nicht größer als die Häuser großer Kapitaleigner. "Ein Saal für Rats- und Gerichtssitzungen, ein Raum für den Stadtschreiber, ein weiterer für den Verwalter der Finanzen, damit ließ sich eine mittelalterliche Stadt in vielen Fällen schon regieren." (Boockmann, S.125) Aber das Rathaus einer reichen Kapitaleignerschaft wie der von Köln zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert kann mit Turm, Kapelle, Ratskeller für die Alkoholisierung der Ratsherren und manchem anderen noch weit darüber hinaus wachsen. Dazu kommen meist Verkaufsstände für Kaufleute und Handwerker.

Andere von städtischen Behörden initiierte Großgebäude sind das Gewandhaus, die Stadtwaage, ein stattlicher Fachwerkbau in Braunschweig, allerdings erst von 1534, als Besonderheit das Heringshaus in Lüneburg, und die Getreidespeicher.

 

Das Zentrum ist des öfteren schon eng bebaut. Zu dem von Konstanz um 1400, einer Stadt von vielleicht 7000 Einwohnern, schreiben Keupp/Schwarz: "Dicht an dicht standen hier drei- bis viergeschossige Wohnhäuser, errichtet zumeist auf einem festen Steinfundament, die oberen Stockwerke in Fachwerkbauweise ausgeführt. Die unteren Geschosse beherbergten oftmals Geschäftsstuben, Werkstätten oder Lagerräume, während darüber die Wohnquartiere mit zwei bis drei Kammern und einer beheizbaren Stube lagen." (S.92) In Anlehnung an alte, festungsartige Turmbauten des hohen Mittelalters gibt es für Reiche und Mächtige immer noch Wohntürme von bis zu 30m Höhe in 5 Geschossen, nun komfortabler ausgebaut.

 

Vom Markt führen die Hauptstraßen zu den Toren, wobei mit größerer Entfernung und besonders in Seitengassen das "Volk" lebt, die einfachen und ärmeren Leute und die geringschätzig behandelten Arten von Handwerken.

 

Entfernter ist manchmal das Zeughaus, die Waffenkammer der Stadt, die Schule, sind Getreidespeicher. Über die Stadt verteilt sind das Spital, zunehmend in weltlicher Hand, Herbergen und Wirtshäuser, Badestuben und Bordell, das sogenannte Frauenhaus. Außerhalb sind der Galgen und der Richtblock, das Leprosenhaus. All das gilt vor allem für die wenigen größeren Städte.

 

Inzwischen wird es üblicher, wichtige Plätze, Märkte und einige Hauptstraßen mit Kieseln oder behauenen Straßen zu pflastern, angeleitet von der Stadtregierung und hauptsächlich von den Anliegern bezahlt. 1368 gibt es erste Straßenpflasterung in Nürnberg, 1374 oder 1376 ist ein Großteil von Rothenburg gepflastert, 1403 beginnt man in Regensburg, 1415 in Augsburg, Straßen zu befestigen. 1448 pflastert man in Erfurt Rathausplatz und Fischmarkt. Pflastern, von städtischen Bauhöfen begleitet, ist allerdings teuer und wird natürlich auf die Bürger umgelegt. Wirklich gutes Kopfsteinpflaster ist dabei selten, es wird oft eher Schotter oder Bruchstein verwendet.

 

Bürgersteige fehlen, immerhin gibt es inzwischen manchmal Rinnsteine für den Abfluss von Wasser und Abwasser.

Die Straßen haben Namen, aber es gibt keine Straßenschilder, auf denen sie stehen könnten. Auch einzelne Häuser haben hin und wieder, eher selten, Namen, aber keine Hausnummern. Der Fremde muss sich also durchfragen.

 

Zentrales Gebäude jeden Viertels ist auch die Pfarrkirche, inzwischen nach gotischer Mode gebaut oder umgebaut. Einfluss hat dort die städtische Oberschicht, die auch zunehmend den Bau und die Instandhaltung finanziert. Ähnlich wie schon zuvor in Italien werden manchmal gotische Domneubauten überwiegend - wie in Regensburg - vom Patriziat finanziert, welches die Kathedrale dann auch ein Stück weit als ihre eigene betrachtet.

Die Verbindung von größerem Kapital und Kirche wird auch in ihrer weltlichen Nutzung deutlich, wie die Lübecker Marienkirche zeigt: "Sie war Versammlungsort der bürgerlichen Gemeinde und des Rats. Über der Bürgermeisterkapelle im ersten Stock wurde das Ratssilber (-schatz) verwahrt. Die Kapelle selbst diente den Bürgermeistern als Versammlungsort. Im Ratsgestühl fand die feierliche Einsetzung der Ratsherren und der Bürgermeister statt., die vor dem Gestühl Bittschriften entgegennahmen und Verfügungen ausstellten. Der Chor diente zu Gerichtssitzungen, ferner zu Versammlungen von Testamentsvollstreckern und Gläubigern. Die an der Marktseite angebaute St-Annenkapelle wurde Briefkapelle genannt, weil hier öffentliche Schreiber Urkunden ausfertigten." (Isenmann, S.60)

 

Erst in der beginnenden Neuzeit werden Juden feste Areale zugewiesen, wie 1462 in Frankfurt an der alten Stadtmauer in der Judengasse mit Synagoge, Ritualbad und Schule. 1516 taucht das Wort Ghetto für ein Judenviertel in Venedig auf. Im Nordosten der deutschen Lande leben Slawen oft in eigenen, ärmlicheren "Kiezen" am Rande.

 

Im späten Mittelalter treten vereinzelt in Städten wie Lübeck (1276) Verordnungen auf, die Bauherrn aus Feuerschutzgründen zur zunehmenden Steinbauweise veranlassen, die Regel sind aber in vielen Regionen Fachwerkbauten in Skelettbauweise. Manchmal auf einer Mauerbasis sitzt der Balken als Schwelle, darauf Ständer für die Etage, die mit senkrechten, waagerechten und schrägen Hölzern verbunden werden. Etagen darüber besitzen zwei getrennte Balkenlagen, zwischen denen die Balken für die Geschossdecken aufliegen. Auf den oberen horizontalen Balken sitzen dann die Ständer für die nächsthöhere Etage. Diese Bauweise erlaubt das Vorkragen der oberen Stockwerke, welches nicht nur Raum gewinnen lässt, sondern auch die jeweils unteren Etagen vor Regenwasser schützt. Ähnlich wie Steinbauweise wird gelegentlich auch die feuerfeste Dachdeckung vorgeschrieben.

 

Unter dem Haus ragt der Keller bis unter die Straße und den Hinterhof. Bei vornehmen Patriziern ist dieser wiederum umbaut mit Laubenumgang, Galerien und Treppentürmchen. Hier gibt es Ställe, Warenlager, Badstube, Gesindewohnungen und manches mehr.

 

Bauweise und Nutzung unterscheiden sich in einen nord- und einen süddeutschen Typus. Im Norden stehen zum Beispiel die Ständer enger nebeneinander als im Süden. Im Dielenhaus des Nordens mit hohem Satteldach wird in der hohen und großen Diele gewohnt und gearbeitet, bis dann Wohnräume abgetrennt werden.

Im Süden wohnt man im Obergeschoss. "Außerdem ist der Grundriss zweigeteilt. Auf der einen Seite befindet sich der Hauseingang und der Durchgang zum Hof (...) mit der Treppe zum Obergeschoss.  auf der anderen Seite liegen im Erdgeschoss Werkstatt und Laden. Im Obergeschoss mit den Wohnräumen wird die Längsteilung durch eine Querteilung in einzelne Wohnbereiche überlagert." (Isenmann, S.51)

 

Eine Besonderheit sind Geschlechtertürme, die zum Teil schon im hohen Mittelalter und gleichzeitig mit denen in Bologna und San Gimignano entstanden und inzwischen den vornehmen Stand dieser städtischen Herren des Kapitals aufzeigen sollen. In Regensburg stehen sie neben den Türmen der Dependancen auswärtiger Bischöfe und sind zum Teil noch heute erhalten. Ihr Erdgeschoss nimmt eine Kapelle auf, während das Wohngebäude daneben steht. In den beiden Nürnberger Pfarrbezirken St.Sebald und St.Lorenz gibt es 1430 noch 65 Wohntürme neben 3.556 Wohnhäusern (Fuhrmann, S.105).

 

Solange die meisten Fenster offenstehen, sind sie eher klein. Ansonsten werden sie von Fensterläden verschlossen, was die Zimmer dunkel macht, oder aber, wenn das Geld dafür da ist, mit halb durchsichtigen dünnen Materialien verschlossen, die zwar den Wind, aber nicht die Kälte ordentlich abhalten.

 

In den Gebäuden der Reichen nimmt im späten Mittelalter der Wohnkomfort zu. Stühle, oft noch Hocker,  und Tische, Schränke und Bettgestelle füllen die Räume, manchmal schmücken Fresken die Wände, oder sie sind mit Wandteppichen behängt. Reiche Bürger besitzen für den Wohnbereich einen von der Küche beheizten Kachelofen, der allerdings alle 10-20 Jahre von Grund auf renoviert werden muss. Er steht oft in der Kemenate (caminata). Die Ärmeren besitzen wenigstens ein Bettgestell und Truhen.

 

Insgesamt werden die Wohlhabenheit repräsentierenden Zentren der großen Städte prächtiger. Das gilt nicht nur für Großbauten und Plätze, sondern auch für Brunnenanlagen. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wird der schöne Brunnen auf dem Hauptmarkt zu Nürnberg mit seinem prächtigen spätgotischen Figurenschmuck zweimal vergoldet.

 

Der kapitalistische Reichtum führt, später als in der Nordhälfte Italiens, zudem zu großbürgerlichen Landsitzen, wie den Weiherhäuschen von Patriziern Nürnbergs und Rothenburgs. Aber die Mehrzahl der Städter wohnt ohnehin weniger vornehm, oft in mehrgeschossigen Mietshäusern, die in Regensburg und Köln schon mal mit bis zu acht Mietparteien belegt sind. Einen "architektonischen Typus des Mietshauses" (Boockmann, S.49) scheint es allerdings nicht gegeben zu haben. Viele der städtischen Wohnhäuser dienen weiter der Kapitalanlage, also der Kapitalsicherung und Fundierung von Renten. Je nach Finanzspielraum werden sie denn auch öfter gekauft und verkauft. Reichtum an zu vermietenden Häusern weist auch die Kirche auf.

Ärmlicher noch sind die Buden oder Gaden/Katen aus Brettern und Flechtwerk, in denen Ärmere zur Miete hausen. Solche bescheidensten Behausungen gibt es in den Städten meist mehr als feste Häuser. Wem es dann nicht gelingt, über der Erde zu hausen, wohnt in Kellerverschlägen zur Miete. Auch das sind wohl oft recht viele. Wer mehr Glück hat, schafft es wenigstens, irgendwo Untermieter zu sein, ein Status, der auf dem Weg in die Neuzeit immer mehr zunimmt.

 

Gegen Ende des 15. Jahrhunderts, in der beginnenden Neuzeit, gibt es erste Ansätze eines kommunalen Wohnungsbaus zwecks Gewerbeansiedlung. Ab 1488 errichtet der Nürnberger Rat für schwäbische Barchentweber die Reihenhaussiedlung der "Sieben Zeilen". "Die Häuser enthielten einen Arbeitskeller, eine Werkstatt im Erdgeschoss und einen Wohnbereich im Obergeschoss. Je drei Häuser waren zu einer Zeile zusammengeschlossen." (Isenmann, S.54)

 

Es gibt erste Wasserleitungen, aber in der Regel wird das Wasser in Kannen aus Brunnen nach Hause getragen. Dieses ist oft durch Kloaken verschmutzt. Bis Mitte des 16. Jahrhunderts ohne Wasserleitung, sind die meisten Regensburger auf private Hausbrunnen oder das Donauwasser angewiesen. Solche Hausbrunnen konnten innerhalb des Hauses oder aber im Hofbereich (wie bis heute beim Runtingerhaus) liegen. Das Wasser wird mit Eimern geschöpft.

 

Spätmittelalterliche Ratgeber empfehlen eine Ganzkörper-Reinigung in der Woche, die nur öffentlich stattfinden kann. Private Badezimmer gibt es erst im 17. Jahrhundert häufiger. Frühe Badstuben entstehen in Regensburg und anderswo im 13. Jahrhundert in Spitälern. In Regensburg lassen sich im frühen 14. Jahrhundert zehn städtische Badestuben  an Fluss bzw. am Stadtrand feststellen . (Prosser in: Angerer, S.293) Den Inhabern liefern sie oft erhebliche Einnahmen.

Überall werden nun Badstuben errichtet, wo barbiert wird und der Bader auch zur Ader lässt. Wenn man Berichten und Bildern trauen kann, geht es dabei nicht nur um Hygiene, sondern auch um fröhliche Geselligkeit, die nach dem Urteil der frühen Neuzeit mit Schamlosigkeit verbunden war. Als dann um 1500 die Syphilis in Europa Einzug hält und sich immer mehr verbreitet, beginnt man diese Badhäuser zu schließen.

Auch beim Fleisch wird bereits auf Hygiene geachtet, es findet zunehmend eine von den Magistraten geleitete Fleischbeschau statt.

 

***Läden***

 

Mobile Stände aus Tischen, Bänken, Wagen und Zelten gibt es auf den Märkten schon sehr lange. Nach Lage und Größe müssen dafür unterschiedliche Mieten gezahlt werden. Manchmal werden solche Stände von den Vorstehern der Zünfte unter ihren Mitgliedern verlost, um Streit darüber zu vermeiden.

 

Genauso lange gibt es auch schon feste Verkaufsräume, entweder vorne vor der Werkstatt oder mit ihr direkt vereint. Im Italienischen wird die Kombination bottega genannt. "Gemäß dem Florentiner Catasto, dem Verzeichnis der Steuerzahler des Jahres 1427, lebten ca 26 Prozent der Florentiner Familien in Häusern mit botteghe im Erdgeschoss." (Ertl, S.208f) Leon Battista Alberti empfiehlt in seinem Lehrbuch 1471:

In der Stadt soll im Hause der Kaufladen prächtiger sein als das private Empfangszimmer. Dies, glaubt man, trage besonders zur Erfüllung von Hoffnungen und Wünschen bei. (...) Und man wird fast keine andere Sorge haben, als wie man durch die ausgestellten Waren die Käufer anlockt. (in: Ertl, S.212)

Immobilienbesitzer vermieten auch Läden innerhalb von Wohngebäuden.

Es entstehen so manchmal ganze Ladenstraßen, wie sie auch auf spätmittelalterlichen Gemälden abgebildet werden. "Manche dieser Straßen wie Cheapside in London erlangten im späten Mittelalter als Einkaufsstraßen für gehobene Ansprüche internationale Bekanntheit..." (Ertl, S.214)

Zur Ladenstraße gehören dann auch werbende Ladenschilder, die ähnlich wie Wirtschaftshausschilder einladen.

 

Von Werkstätten losgelöste Läden können manchmal eine enorme Vielfalt an Waren anbieten:

Maria de Villanueva, eine Witwe, "verkaufte im Jahr 1479 in ihrem Laden in Saragossa Stoffe verschiedener Art und Herkunft, Kleidungsstücke und Huashaltswäsche, aber auch Wachs und Honig, Öl und Wein, Gewürze und wahrscheinlich medizinische und kosmetische Produkte." (Ertl, S.209)

Daneben gibt es auch und vor allem spezialisierte Geschäfte, wie sie erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts in Europa zu verschwinden beginnen.

 

Weiterhin errichten Fürsten und Stadtherren Markthallen an zentralen Stellen der Städte, deren frühes Beispiel die Pariser halles sind, und eines der schöneren das im späten 15. Jahrhundert vom dortigen Bischof errichtete Chichester-Kreuz, in dessen offener Halle im Parterre Waren verkauft werden können.

 

***Abfall***

 

Alle Menschen entlassen Urin und Fäkalien in ihre Umgebung. Dieser wie der übrige Abfall wird erst zum Problem, wenn sich einmal zu viele Menschen an einem Ort konzentrieren und zum anderen Materialien als Müll hinzukommen, die Probleme bereiten.

 

Die menschlichen Fäkalien geraten über Gruben ins Grundwasser und aus Nachttöpfen auf der Straße. Gegen Ende des (kurzen) Mittelalters werden die rund 15 000 Einwohner von Braunschweig etwa 7000 Tonnen menschliche Fäkalien produzieren, die irgendwo hin müssen. Die modernste Variante entwickeln fürstliche Paläste im 16. Jahrhundert, indem sie Wasser durch den Abort laufen lassen, das dann in Bach oder Fluss geleitet wird. Ansonsten bleibt es bei den Kloaken der Städter, die auch sonstige Abfälle aufnehmen, sofern es nicht besondere Abfallgruben gibt.

Es handelt sich dabei um oft mehrere Meter tiefe, gemauerte Schächte, deren Boden oft nicht befestigt ist. Es kann vorkommen, dass sie nur einmal in einer Generation geleert werden. Daneben gibt es weiter Aborterker.

Damit nicht überall öffentlich gepinkelt wird, werden manchmal "Pisshäuser" angelegt, Verschläge, in denen sich dann der Uringestank konzentriert.

 

Tierischer Mist sich bewegender Tiere landet ebenfalls auf den Straßen, der Mist des Viehs hinter den Wohnhäusern landet auf städtischen Misthaufen, Gülle landet in der Erde.

 

Färber, Gerber und Schlachthaus liegen an natürlichen und künstlichen Wasserläufen und alle, auch die sehr giftigen Abfälle landen im Wasser. Manche Flüsse wie die Themse bei London stinken spätestens im 14. Jahrhundert bereits geradezu unerträglich. Immer häufiger tauchen dann im 15. Jahrhundert von Bach oder Fluss abgezweigte reine Abwässerkanäle auf. Am Ende kommen dann unterirdische Schmutzwasserläufe in den ersten Städten wie Zürich dazu.

 

Die Grundeinstellung der Menschen stammt aus der Steinzeit: Abfall, Müll wird in die nahe Umgebung entlassen. Entsprechend sehen offenbar Straßen und Plätze bis mindestens ins 15. Jahrhundert aus. Als 1451 in Dresden die Ankunft eines berühmten Predigers angekündigt wird, müssen "zwölf Stadtknechte und etliche Mistdirnen" drei Tage lang den Marktplatz freischaufeln. (SchubertAlltag, S.170) Ansonsten dienen auf ungepflasterten Straßen Bretterstege oder Trittsteine den Fußgängern.

 

Betrafen frühe Regulierungen vor allem den Handel und die Produktion, so kommen nun zu ersten Bauvorschriften solche, die die Hygiene betreffen. Exkremente und Müll sollen nicht mehr aus dem Fenster auf die Straße geworfen werden, tierischer Mist soll nicht auf den Straßen bleiben. Im April 1429 heißt es in Konstanz: Der Rat hat verfügt, dass künftig niemand seinen Mist mehr als acht Tage in der Stadt liegen lassen soll. (in: Keupp/Schwarz, S.94). In derselben Stadt wurde schon 1377 festgelegt, dass niemand mehr als ein (durch die Straßen laufendes) Schwein halten darf. In Rothenburg dürfen ab 1400 Schweine nur noch außerhalb der Stadt auf die Weide. Anderswo ist man da noch großzügiger. "In Goslar wurde 1427 dem Bürger, in dessen Brot zwölf Personen standen, erlaubt, sechs Kühe und acht Schafe in der Stadt zu halten; wer weniger Gesinde zu versorgen hat, durfte immerhin noch vier Kühe und acht Schafe durchfüttern." (SchubertAlltag, S.173) Ab 1421 darf in Frankfurt das Vieh nur noch dann das Grundstück verlassen, wenn es zur Tränke oder auf die Felder getrieben wird. 1481 wird dort die Schweinehaltung wenigstens in der Altstadt verboten. Schon 1475 wird in Nürnberg bestimmt, dass Schweine nur noch einmal am Tag zur Tränke getrieben werde dürfen. Damit schwindet allerdings die Abfallbeseitigung durch Schweine, die vieles davon fressen.

 

Schließlich wird in einigen Städten der Mist in öffentlichen Mistkästen gesammelt, um dann an Gärtner verkauft zu werden. Immerhin ist er wertvoller Dünger.

 

Ein kurzer Versuch, den Schweinemarkt außerhalb der Stadt zu verlegen, scheitert allerdings im ausgehenden 15. Jahrhundert in Nürnberg. (Boockmann, S.84)

 

Im 15. Jahrhundert verbietet der Rat von Köln, Abfallhaufen auf den Straßen anzulegen, was dazu führt, dass sie nun am Rhein oder vor den Stadttürmen aufgehäuft werden. In Frankfurt darf man ab 1411 Kehricht nur noch ein bzw. zwei Wochen (offen!) lagern, und ein Jahr später nur noch drei Tage. In der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts wird dann immer öfter die sofortige Abfuhr größerer Abfallmengen verfügt.

 

Nach und nach ergänzen Stadträte die Vorschriften für die Bewohner durch eine eigene Müllpraxis. Schon 1353 lässt die Stadt nachts mit Karren Mist und anderen Unrat aus der Stadt schaffen und in Gräben außerhalb schütten. Seit 1428 fahren Stadtknechte in Braunschweig den Müll alle vierzehn Tage von den Straßen zur Oker ab, in die er dann geschüttet wird. In ihr soll man nicht mehr baden, da sie zudem mit den Giftstoffen von Färbern und Gerberm verseucht ist.

 

Das alles darf nicht vergessen lassen, dass das Mittelalter dennoch eine Welt massiven "Recyclings" ist, denn Materialien sind teuer und manchmal rar und menschliche Arbeit ist relativ billig.

 

Die Stadt als Festung

 

Kriegführung, also Militärdienst ist schon im Mittelalter hohe Bürgerpflicht. Unübersehbar wird dabei das Monopol des Adels zum Waffenführen durchbrochen, dem sich schon die nichtadeligen Söldnertruppen seit dem 12. Jahrhundert entzogen hatten. Städte sind kriegführende Partei oder wenigstens Teil davon, und wenn sie Selbstverwaltung (Autonomie) erlangt haben, auch aus eigener Entscheidung.

Kriege werden wie bei Fürsten wesentlich durch die Finanzkraft möglich und zudem entschieden. Und da sie immer wiederkehren, fördern sie den Ausbau eines Finanzwesens. Zu den enormen Kosten in Friedenszeiten gehört der Bau, Ausbau und die Unterhaltung der Verteidigungsanlagen, auch wenn die Masse der Arbeitskraft durch die Wehrpflicht der männlichen Einwohner abgedeckt wird.

Diese Wehrpflicht umfasst auch die regulären Wachdienste auf Mauern und Türmen, aber vor allem auch die Kriegszüge der Städte und die Verteidigung im Angriffsfall.  Aber all diese Bereiche werden dann teilweise auch professionalisiert und besoldet, so wie die Freiburger Wachtdienste in Friedenszeiten von besoldeten Stadtdienern besorgt werden. Nachts patroullieren dort wie anderswo Wächter in Harnisch und Waffen, um unruw, unfrid, unzucht und frewel abzustellen.

Zudem sind der Rat und teilweise seine Bediensteten, Ärzte und Apotheker ausgenommen, sowie natürlich Klerus und Adel. Zudem haben die Juden schon im 13. Jahrhundert das Recht zum Waffentragen verloren.

 

Die Einteilung des Bürgerheeres orientiert sich wie in Italien zunächst an Stadtvierteln, Pfarreien oder ähnlichem.

Unübersehbar ist, dass die Handwerkerschaft schon rein zahlenmäßig das Gros der Verteidiger einer Stadt stellen. Dementsprechend sind die Zünfte bald oft die elementaren Einheiten der Bürger unter Waffen und das heißt nichts anderes, als dass sie in die Machtstrukturen ein- und untergeordnet werden.

Dementsprechend heißt es in einer Verordnung des Augsburger Stadtrates von 1360: In gleicher Weise soll man auch alle Handwerke hier in der Stadt nach Weisung des Rates aufteilen, wenn wir künftig in den Krieg ziehen wollten, und zwar so, dass ein Teil eines jeden Handwerks hier bleiben soll, wenn der andere die Stadt verlässt. (Engel/Jacob, S. 333)

 

Und so beschließt der Rat von Köln 1397: Ferner soll jeglicher Meister und Bruder dieser Zunft (der Kistenmacher) seinen Harnisch besitzen, nach seinem Vermögen... Für die Leineweber heißt es: Ein Meister der Stadt, der der Zunft drei Jahre gedient hat und vier Webstühle betreiben wolle, der soll vom vierten Webstuhl einen Harnisch unterhalten zum Nutzen der Stadt. (Engel/Jacob, S. 289/90).

 

Die Meister haben die Pflicht, ihre Wehrhaftigkeit gegenseitig zu kontrollieren.  1483 heißt es für Straßburg: Unsere Herren Meister, der Rat und die Einundzwanzig haben beschlossen, dass die Meister aller Handwerke zu Straßburg, jede Meisterschaft in ihrem Handwerk, von Haus zu Haus gehen und bei allen ihren Mitgliedern Ausrüstung, Geschütze und Gewehre besichtigen, auf dass sie alle gleichmäßig gerüstet seien und jeder besitze, was er besitzen soll. (Engel/Jacob, S. 335)

 

Immer häufiger tauchen in Städten Schützengilden mit Armbrust und Handfeuerwaffen auf, die regelmäßige Schießübungen abhalten und Schützenfeste mit Preisschießen veranstalten. Daraus entwickeln Räte von Städten städtische Schützenkorps, die neben ihrer Arbeit in der Freizeit trainieren. Als kleines stehendes Freizeitheer, welches für Einsätze bereits Sold erhält, dient es als Schutztruppe des Rates zur Aufrechterhaltung von "Ruhe und Ordnung", also der Ratsmacht, und als geschlossenes Corps im Kriegsfall. Hauptleute sind Patrizier oder voll professionelle Söldner.

 

Wohlhabendere Städte wie die Reichsstadt Lübeck verlassen sich nicht nur auf Bürgerwehr und landesherrlichen Schutz (hier im Auftrag des Königs), sondern bezahlen mit ihren Abgaben auch den Schutz durch jeweilige Landesherren mit und halten im Falle von Lübeck über 30 gepanzerte Pferde vor, Söldner, Geschütze und Armbrüste. Darüber hinaus finanziert diese Stadt wie auch andere Berittene, die den Convoys von Kaufleuten wie hier zwischen Hamburg und Lübeck schützen, und im Kriegsfall von Hansestädten auch schon mal hundert Soldaten.

 

Überhaupt nimmt im Bereich städtischer Fußsoldaten wie schon früher in Italien das Söldnerwesen zu. Anführer von Söldnertruppen sind gelegentlich wie in Italien und Frankreich kapitalkräftige Unternehmer, die Verträge schließen, die ihnen das Kapital liefern, um Söldner anzuwerben und zu bezahlen. Es gibt einen regelrechten Markt für Söldner, zu dem auch Städter und niedriger Landadel stoßen. Der Krieg wird zunehmend ein kapitalistisch strukturiertes Unternehmen.

 

Noch im 14. Jahrhundert kommen sowohl Handfeuerwaffen als auch frühe Geschütze auf. Das für Waffen und Rüstungen zuständige Handwerk wird durch Büchsenmeister und Leute, die Geschützrohre gießen ergänzt.

Vorläufig lassen sich aber Städte dabei durch Umbauten noch verteidigen. Dazu gehören vorgelagerte Zwinger, abgesenkte Mauern mit Schießscharten, Tore werden verdoppelt mit einem Innenhof und mit vorgelagerten Vorwerken, Barbakanen verstärkt.

Zwischen 1427 und 1452 baut das reiche Nürnberg sogar einen kompletten zweiten, äußeren Mauerring, von 5 km Länge und einer Höhe von 7-8 Metern. Alle rund 40 Meter gibt es einen der 123 Türme. Dazu fünf turmbewehrte Stadttore. Vor der Mauer entsteht ein Zwinger mit niedriger Mauer, davor ein großer und rund 10 Meter tiefer Graben. Alle Einwohner werden auf zehn Jahre zu Schanzdienst oder Ablösung durch Geld verpflichtet.

Das Vorfeld der Stadt wird oft für das freie Schussfeld von Bebauung freigehalten. Gassen in Tornähe können oft durch Ketten versperrt werden, manchmal auch Flüsse, und manche Straße wird zur Mauer hin verengt.

 

Das zunehmende Rüstungs- und Waffenarsenal der Städte wird nicht mehr in einfachen Rüstkammern, sondern in Zeughäusern gelagert, das explosive Pulver in Pulvertürmen. Die militärisch zu nutzenden Pferde stehen im städtischen Marstall.

 

Im Vorfeld von Städten werden manchmal Landwehren aufgebaut oder Burgen zur Vorverteidigung gekauft, wie dies Bremen im 15. Jahrhundert tut. Gefährdet sind nicht nur die Städte selbst, sondern auch ihre Kaufleute unterwegs. Als sich die Kaufleute von Weinsberg im August 1248 mit ihren Waren zur Frankfurter Herbstmesse begeben, werden sie im gerade von ihm käuflich erworbenen Sinsheim von Konrad von Weinsberg mit über 400 Militärs überfallen, nachdem Weinsberg selbst geächtet worden war. Weinsberg und die übrigen betroffenen Städte müssen darauf 30 000 Gulden Lösegeld zahlen.

Götz von Berlichingen und Franz von Sickingen gehen noch weiter. Sie kaufen die Fehdetitel anderer gegen Städte auf und erpressen dann von ihnen Lösegelder, um sie zu verschonen.

 

Stadt und Umland

 

Die bis ins 14. Jahrhundert wachsenden, dann zunächst wieder schrumpfenden und im 15. Jahrhundert manchmal dann die frühere Einwohnerzahl wiederherstellenden Städte sind für ihre alltägliche Versorgung in erster Linie von einem Umland in einem Umkreis von ein bis zwei Tagesreisen, also etwa 40 Kilometern abhängig. Köln mit seinen am Ende des Mittelalters etwa 40 000 Einwohnern brauchte dort eine Anbaufläche von rund 1800 km², während für Nürnberg bei deutlich weniger fruchtbaren Böden ca. 5000 km² geschätzt werden (Fuhrmann, S.110) Dabei handelt es sich vorwiegend um Getreide und natürlich wird ein Teil der Versorgung auch immer wieder von weiter her gesichert.

 

Noch vor den übrigen Nahrungsmitteln sind die Städte vom Grundnahrungsmittel Wasser abhängig. Dieses gelangt halbwegs sauber aus dem Umland in die Städte und verlässt diese verschmutzt, wobei man weithin auf die Reinigungskraft von Fließgewässern vertraut.

 

Ein direktes Umland liegt unmittelbar außerhalb der Mauern. Dort entstehen im späten Mittelalter mehr Obstgärten mit den klassischen mitteleuropäischen Früchten Apfel, Birne, Kirsche und Pflaume bzw. Zwetschge.

 

Städtische Territorien dienen einmal der Nahrungsversorgung durch erzwungen günstige Preise, denn das direkte bäuerliche Umland gerät wie schon früher in der Nordhälfte Italiens unter die städtische Knute. Des öfteren wird dabei im Interesse des städtischen das ländliche Handwerk dort verboten, des öfteren auch der Handel, den die Stadt monopolisiert.

Darüber hinaus kontrollieren die Territorien bildenden Städte auf diese Weise die Handelswege, die in die Stadt führen und aus ihr heraus. Dazu müssen dort die Burgen kontrolliert oder zerstört werden. In geringerem Umfang erhöhen sich dabei auch direkt die Einnahmen für die Herren der Städte, wichtiger wird das in den sehr großen Territorien von Bern und Zürich.

Autonom gewordene Städte des späten Mittelalters betreiben nicht weniger Herrschaft und Machtpolitik als die früheren Herren des ländlichen Raumes, sondern eher mehr und intensivere als je zuvor.

 

Zugleich wird auf andere Weise Umland an die Stadt gebunden, nämlich durch Einsatz städtischen Kapitals und die Etablierung abhängiger Gewerbe. In Flandern wandert fast die gesamte Tuchherstellung von den Städten, die das Kapital vorhält, auf das Land. In England wandern zumindest Einzelschritte wie die Spinnerei auf das Land ab, wo sie geringere Kosten verursachen. Nicht nur in Oberschwaben und der Lombardei wird die Herstellung billiger Massenware aufs Land und in Kleinstädte ausgelagert. Nicht immer geht das gut, manchmal entwickelt sich Gewerbe auf dem Land dann auch zur Konkurrenz und wird wieder bekämpft.

Immer aber ist das Umland Kunde für städtische Waren

 

Vielerorts geht die Grundherrschaft aus den Händen eines wirtschaftlich maroden Niederadels in die Hände städtischer Räte, Stifte, Spitäler oder anderer städtischer Einrichtungen über, die auch vorhandene Leibeigenschaft übernehmen.

 

In einigen Aspekten ähnlich wie bei den italienischen contadi binden auch vor allem süddeutsche Städte ihr Umland an sich. Dies geschieht durch städtischen und privaten Ankauf von Boden, Weilern und ganzen Dörfern. Manche Städte gewinnen so größere Territorien.

Das städtische Territorium ist aber kein Stadtstaat wie in Norditalien. Das Eigentum und die Rechte darin sind oft zersplittert, sind in den Händen einzelner Bürger oder verschiedener städtischer Institutionen wie zum Beispiel das Umland von Rothenburg. Die Territorien von Überlingen, Memmingen und Biberach beispielsweise sind etwa zur Hälfte in städtischem Spitalbesitz. Die Städte errichten nur eine Art territoriale Obrigkeit, die dann in der Neuzeit an der landesherrlichen Obrigkeit scheitern wird.

 

Nürnberg eignet sich im Wettstreit mit dem Burggrafen das Gebiet der Reichslandvogtei an. Zwischen 1372 und 1427 werden der Lorenzer und der Sebalder Wald gekauft. Immer mehr Gebiete kommen hinzu, bis sie rund 1500 km² umfassen. "Während der Hussitenkriege organisierte die Stadt 1439 und in den folgenden Jahren 5813 wehrfähige bäuerliche Hintersassen in 670 Ortschaften militärisch in 44 Hauptmannschaften." (Isenmann, S.241). Die meisten dieser Hintersassen gehören Nürnberger Geschlechtern, die manchmal bis zu 200 Grundholden aufweisen können. Insgesamt summieren sich die bäuerlichen Nürnberger Hintersassen um 1500 auf etwa 25 000.

Etwa 830 km² erreichen die Ulmer Landgebiete im ausgehenden Mittelalter. Größter Landbesitzer wird allerdings Bern mit rund 9000 km² und etwa 100 000 Menschen bei einer Berner Einwohnerschaft von etwa 5000.

Selbst das kleine Rothenburg ob der Tauber erwirbt unter Bürgermeister Toppler zwischen 1383 und 1406 "für 45 000 Gulden im ganzen ein Gebiet von 450 km² (Isenmann, S.241), durchsetzt allerdings von Adelsgebieten. Im halben Umfang schützt ein Graben-Wall-System mit Heckenbewuchs dieses Areal.

Die Schwäbisch-Haller Landheg umfaßt rund 300 km².

 

Auch reiche Lübecker Bürger erwerben im 14. Jahrhundert Gerichtsrechte im Umland. Wo in Norddeutschland keine Territorialpolitik von den weniger produktiven und mehr kaufmännischen Städten betrieben wird, hindert das Kaufleute nicht, wie in Lübeck Höfe von oft verschuldeten Bauern aufzukaufen. Daneben eignen sich solche Städte Burgen und andere feste Plätze an, die die Handelswege beschützen.

"Aus der Altmark liegen Zahlen vor, wonach im ausgehenden 14. Jahrhundert bis zu 40% der bäuerlichen Rentenleistungen in bürgerliche Hände flossen. Um 1500 waren im altbayerischen Dachau 12% aller Anwesen in der Hand Münchner Bürger." (Isenmann, S.236).

 

Mit Unterstützung ihres Landesherrn gewinnt Görlitz mit der Gerichtsherrschaft über rund 200 Dörfer sein "Weichbild" und reduziert dabei die Macht adeliger Grundherren.

 

Ein weiteres norddeutsches Beispiel ist die thüringische Reichsstadt Mühlhausen, die bei rund 9000 innerstädtischen Einwohnern im Umland 19 Dörfer und 43 Dorf-Wüstungen erwirbt. Um 1360-80 wird das Gebiet mit der Landwehr geschützt, einem Graben von ca. 24 Kilometern Länge, zu dem auch Warten gehören. Die Dorfgemeinden besitzen eine beschränkte Selbstverwaltung, sind gegenüber der Stadt aber steuer- und wehrpflichtig. (Mägdefrau, S.104f)

 

Erfurt mit seinen im 15. Jahrhundert fast 20 000 Einwohnern gewinnt zwischen 1269 und etwa 1470 sein großes Umland von rund 910 Quadratkilometern, zu dem fast 100 Dörfer gehören. Dazu gehört auch Sömmerda, welches 1418 für 2750 Mark Silber dem Grafen von Schwarzburg abgekauft wird, und kurz darauf als oppidum erwähnt wird, dem Erfurt einen Markt zugesteht, und welches sich zu einer Kleinstadt entwickelt.

Damit hat es ein Mehrfaches seiner städtischen Kernbevölkerung. Dabei geben hier wie auch anderswo die Verkäufer oft nicht alle ihre Rechte ab, behalten Gerichtsbarkeit, Zinsen und Dienste.

Oft ist es nicht der Rat, sondern es sind Bürger, die Orte und Gebiete kaufen. Dabei wird im Erfurter Zuchtbrief von 1351 bestimmt: Welcher Bürger hat eygene Dörffer und Gerychte, der sal sie niergent noch niemant verkauffen, er enhab die dane vor geboten dem Rathe. (in: Mägdefrau, S.249)

 

Erst wird oft eine Burg gewonnen, und erst dann die dazu gehörigen Dörfer. Die Burgen sind dann Mittelpunkte der Ämter, änhlich wie das auch Landesherren machen. Zur (Wasser)Burg und Amt Kapellendorf gehören so vierzehn Dörfer.

 

Hauptgegner städtischer Umlandentwicklung sind die Fürsten mit ihrer Tendenz zu Territorialstaaten und in ihrem Interesse auch Könige. Im Laufe der Zeit entdeckt aber auch die zünftige Opposition und dabei besonders auch die niederen Zünfte, dass die Ausgaben und Opfer dieser expansiven Politik eher im Interesse der ebenso kleinen wie reichen Oberschicht liegt. Diese tritt nämlich mit größerem Grundbesitz außerhalb der Stadt in die Fußstapfen des Adels, und dies auch gegenüber den dort ansässigen Bauern.

 

 

Ein Sonderfall der Bindung von Menschen aus dem Umland an die Stadt sind die sogenannten Pfahlbürger, die durch reichsrechtliche Bestimmungen wie Landfrieden immer wieder verboten werden, da sie die Einkünfte und Rechte ihrer bisherigen Herrschaften mindern. Im Berner Umland z.B.  sind sie dennoch sehr verbreitet und auch in Flandern.

 

 

Strukturen der Einwohnerschaft (Materialsammlung)

 

Möglicherweise nivellieren die großen Pestzüge seit 1348 die Besitz- und Einkommensunterschiede in Europa etwas, aber danach steigen sie dann wieder weiter an.

"Für Lübeck wurden im 15. Jahrhundert vier Steuerklassen ermittelt: Die Oberschicht umfasste 18 Prozent der Stadtbewohner und besaß ein Durchschnittsvermögen von 1000 Mark lübisch. Zur gehobenen Mittelschicht zählten 30 Prozent mit einem Durchschnittsvermögen von 461 Mark lübisch. Weitere 30 Prozent gehörten zur unteren Mittelschicht, deren Vermögen durchschnittlich 114 Mark lübisch betrug. " Den Rest (22%) bilden die städtischen Armen. (Ertl, S.173)

 

In Schwäbisch-Hall besitzen die reichsten 6 Prozent der Bürger 59 Prozent des gesamten Vernögens, die reichsten 12 Prozent sogar 75 Prozent. (s.o.) Diese Vermögensverteilung entspricht in etwa der heutiger großer Städte in der BRD.

Nach 1460 gibt es dabei nur fünf Nichtadelige unter den 19 reichsten Steuerzahlern, von denen die ersten neun adelig sind. (Thomas, S.15)

 

In Augsburg bezahlen 1475 zwei Drittel der Einwohnerschaft überhaupt keine Vermögenssteuer und der große Teil des Restes lebt höchstens knapp über der Armutsgrenze, während die wenigen übrigen in ihren Händen Vermögen und Einkommen konzentrieren, wobei das Vermögen in der Regel stärker konzentriert ist.

In Konstanz konzentrieren sich 1418 mehr als zwei Drittel allen Vermögens in den Händen von etwa 10% der Steuerzahler. Etwa die Hälfte der Bevölkerung lebt "von der Hand in den Mund" (in: Keupp/Schwarz, S.108)

 

Auf dem Markt sind inzwischen in der Stadt fast alle vertreten, wenn auch sehr unterschiedlich. Bettler und andere städtische Armut durch Almosen, Knechte und Mägde fast nur durch die Ausgaben ihrer Arbeitgeber für sie. Tagelöhner wiederum schaffen es meist höchstens nur, ein Minimum an Nahrungsmitteln zu erarbeiten, weshalb die Frauen ebenfalls zum Einkommen beisteuern müssen. Gesellen im Bauhandwerk schaffen es, eine dreiköpfige Familie zu ernähren, wobei wohl knapp drei Viertel des Einkommens für Nahrungsmittel eingesetzt werden müssen, und der Rest in Kleidung und Wohnung.  

 

Für einen Handwerksmeister wird das drei- bis vierfache Einkommen eines Tagelöhners geschätzt, etwa dasselbe, was der in einer Pfarrkirche etablierte Priester erhält und das Doppelte bis Dreifache eines Steinmetzgesellen. Für alle diese von ihrer Arbeit lebenden Menschen gilt, dass Unfälle und Krankheiten den vollen Verdienstausfall nach sich ziehen und von der Verwandtschaft oder Zunft aufgefangen werden müssen.

 

Zwei Regeln kristallisieren sich heraus: In den Metropolen des Kapitals ist die ungleiche Verteilung von Reichtum größer als in kleineren Städten, Und: In Zeiten des Wirtschaftswachstums geht die Schere zwischen arm und reich stärker auseinander, während sie in Krisenzeiten wie der des 14. Jahrhunderts eher schrumpft.

 

Nicht zu vergessen ist, dass es neben der weltlichen eine davon geschiedene geistliche Bevölkerung in der Stadt gibt. In Konstanz sind es beispielsweise etwa zehn Prozent, die in Steuerlisten u.ä. nicht auftauchen, gegliedert in eine Spitze aus Bischof, Domherren und Kanonikern, die meist aus dem Adel bzw. den alten städtischen Geschlechtern stammen, und den Schichtungen eines niedereren Klerus. Sie wirtschaften privilegiert und verwalten dabei erheblichen Grundbesitz.

 

 

Patriziat: Verachtung nach unten

 

Patrizier ist ein Wort, die erst vereinzelt nach 1500 und häufig dann erst im 17./18. Jahrhundert, nun zusammen mit "Patriziat", verbreitet ist. Als sehr unklare Entlehnung aus dem frühantiken Rom handelt es sich in einer gewissen Analogie zum Adel auf dem Lande um jene alten Geschlechter, die zugleich Macht und Reichtum auf sich vereinen und im Lebensstil dem Adel nacheifern.

 

Als Leonardo Bruni das Konstanzer Konzil besucht, schreibt er recht pauschal: Die einen sind von ritterlicher Geburt, die anderen von bürgerlicher. (in: Keupp/Schwarz, S.96). Gemeint sind die Geschlechter, die sich selbst als eine Art ritterlicher Stadtadel sehen.

 

1516 definiert der Nürnberger Ratskonsulent Dr. Christoph Scheuerl in einem Brief an Johann Staupitz:

Es sein leut eins erbarn lebens und wandels, die ir narung mit eherlichen dapfern gewerben und nicht mit verachtem hantwerke uberkomen, außgenommen etlich wenig hantwerksleut, so in ansehelichem wesen schweben...

Und an anderer Stelle:

Alles regiment unserer stat und gemainen nutzes steet in handen der so man geschlechter nennet, das sein nun soliche leut, dero anen und uranen vor langer zeit her auch im regiment gewest und uber uns geherscht haben, frembdlingso allda eingewurtzelt und das gemain völklein hat kainen gewalt: es steet inen auch nicht zu, dieweil aller gewalt von got, und das wolregirn gar wenigen und allein denen so vom schöpfer aller ding und der natur mit sonderlicher weyshait begabet sein verlihen ist. (in Isenmann, S.248 / 269).

 

Außerdem gehören dem Rat noch sogenannte acht genannte und seit 1370 acht an Reichtum herausragende Handwerker an, die allerdings wenig Einfluss ausüben. Die acht Genannten stammen aus einem großen Rat von 300 bis 400 Genannten, die zwar insgesamt nicht ratsfähig, aber immerhin gerichtsfähig sind. Die acht Genannten, die der (kleine) Rat dazu kooptiert, müssen schier all von renten und zinsen ir genugsame narung haben. (in Isenmann, S.270), was heißt, dass ihr Erwerbsleben sie nicht von den Ratsgeschäften abhält.

 

Aber das Nürnberger Patriziat besteht nicht wie anderswo gegen Ende des Mittelalters aus reinen Rentiers, vielmehr wird Großhandel betrieben, dazu Finanzgeschäfte und Unternehmen in der frühen Montanindustrie. Anderswo wird wie in Ulm und Augsburg, eher ein reines Rentierdasein angestrebt, wie es eben auch der Adel weiter pflegt.

Oft eignet sich Patriziat Lehnsgüter und ritterliche Burgen an und besitzen Landhäuser, von denen aus sie Gerichts- und Herrschaftsrechte über Bauern ausüben. Dazu kommen adelige Lebensformen und Verhaltensweisen.

 

Das Kölner Patriziat beginnt sich ein, zwei Generationen nach dem Sieg der Partei der Overstolzen zu einem Patriziat abzuschließen. Ein Teil dieser Familien führt nun seine Abstammung auf mächtige städtische Geschlechter der späten Römerzeit Kölns zurück, kämpft ritterlich in Fehden und auf Turnieren und gibt dann dank seines Reichtums ein Unternehmerdasein zugunsten eines Rentierslebens auf.

Wenn so das aktivere Wirtschaftsleben auf unternehmerischere Kreise des Kapitals übergeht, wird es naheliegend, dass dieses auch größere Anteile an der Macht gewinnen möchte. Dabei überlebt die politische Macht des Patriziats 1370/71 einen sogenannten Weberaufstand und den Schöffenkrieg von 1375, um dann 1396 von den politischen Zünften, den Gaffeln, übernommen zu werden. Im Verbundbrief wird die Macht von 22 Gaffeln festgeschrieben, wobei sich das Patriziat in eine von fünf für sie vorgesehene Gaffeln eintragen muss. 1448 wird dann durch Erzbischof Diether auch das Schöffenamt seiner patrizischen Exklusivität beraubt.

 

Achtung ist im germanischen Sprachraum zunächst Beachtung, wie sie sich zum Beispiel in der Begrüßung äußert. Nicht beachtet wird der, der es nicht wert ist, er wird verachtet. Als der Flame und Chronist am burgundischen Hof  Georges Chastellain über die drei Stände schreibt, hat er zum dritten nur folgendes zu sagen:

Um nun zu dem dritten Gliede zu kommen, das das Reich vollständig macht, so ist das der Stand der guten Städte, der Kaufleute und der Feldarbeiter, ein Stand, von dem es sich nicht ziemt, eine ebenso lange Darstellung zu geben wie von den anderen: aus dem Grunde, dass er an sich hoher Eigenschaften kaum fähig ist, weil er dienenden Ranges ist. (Chroniques, in: Huizinga, S.77)

 

In der Sache teilen sich alle Zivilisationen in institutionalisierte Hochachtung und Verachtung, also Geringschätzung. Diese impliziert in aller Regel die Hochachtung des Müßiggangs  und die Verachtung körperlicher Arbeit, zumindest aller produktiven Arbeit. Im Mittelalter sind Aspekte des edlen Müßigganges (otium) der Krieg, die Jagd und andere Vergnügungen. Wer nicht dem otium nachgeht, ist mit seiner Negation, dem negotium beschäftigt, und als frühmittelalterlicher negotiator ein Händler.

Fernhändler sind bis in das hohe Mittelalter oft die einzigen freien unteradeligen Menschen, zunächst häufig Juden oder Orientalen. Je mehr sie Kapital anhäufen können, desto mehr trennen sie sich im eigenen Selbstwertgefühl von den produktiv Arbeitenden und versuchen, nach oben zum Adel hin aufzuschließen. Die Verachtung des Adels für den Nichtadeligen geht auf sie über als die des Großhändlers und zunehmend auch des Finanzkapitals auf Handwerk, Bauern und Lohnarbeit.

 

Im Verlauf des Mittelalters gewinnen Handwerksmeister und wohlhabendere Bauern an Selbstachtung (siehe Kapitel...), ohne aber dabei der Verachtung durch Adel und großes Kapital zu entgehen. Teile des großen Kapitals gewinnen dabei die vorher dem Adel vorbehaltene Titulatur und Anrede von "Herr" und "Dame", oft verbunden mit der Herrschaftsausübung in großen Städten. Dabei sind zudem zwei Gruppen von Herren im späten Mittelalter zu unterscheiden, jene nämlich, deren Geschlechter als ratsfähig gelten, und die, die draußen bleiben.

 

Die Abschließung eines Patriziats nimmt mit dem Aufstieg der Zünfte in manchen Städten eher noch zu. Dort, wo sie, anders als in Nürnberg zum Beispiel das Rathaus nicht mehr alleine benutzen dürfen, richten sie zunehmend exklusive Trinkstuben ein, manchmal Herrenstube genannt, wo sie unter sich bleiben können. Dasselbe gilt für ihre exklusiven Tanzveranstaltungen.

1387 wird in Nürnberg erstmals ein sogenanntes Gesellenstechen eingeführt, in dem " die Söhne der vornehmen Patrizier ritterliches Treiben" nachahmen. (Fleischmann, S.124) Im 15. Jahrhundert werden regelrechte patrizische Turniere dann häufiger.

Wo es ein breites Patriziat gibt wie in Frankfurt, besitzt es im 15. Jahrhundert gleich fünf solcher Trinkstuben. Wo sich die Geschlechter wie in Straßburg verfeinden, sammeln sie ihren Anhang in getrennten Stuben wie die Zorn "Zum Hohensteg" und die Müllenheim "Zum Mühlstein".

 

Nach den Unruhen von 1368 schließt sich in Augsburg eine kleine Elite von etwa fünfzig Geschlechtern nicht den Zünften an, sondern gründet die Gesellschaft auf der Bürgerstube. 1383 sind es noch wenigstens 22 Geschlechter, die nun in der Herrenstube vereinigt sind. Die mit den Geschlechtern inzwischen durch Heirat verwandten reichen Kaufleute und einige Kramer und Weber bilden gegen Ende des 15. Jahrhunderts die Gesellschaft der Mehrer, die in der Bürgerstube verkehrt. Im 16. Jahrhundert werden ausgestorbene Geschlechter durch neuere reiche Familien ergänzt, zu denen dann auch die Fugger gehören werden.

 

Konstanzer Geschlechter versammeln sich seit der Mitte des 14. Jahrhunderts im Haus Zur Katz, wo es eine Trinkstube gibt. Von dort berichtet auch Oswald von Wolkenstein:

Die Frauen zart und engelhaft / so schimmernd schön und licht im Glanz, / die haben völlig mich betört / beim Tanz im Haus 'zur Katz'. (in: Keupp/Schwarz, S.97)

1436 nehmen 20 Gesellen der Gesellschaft der Katz an einem Turnier in Schaffhausen teil. Von dort heißt es:

Niemand durfte eine Dame zum Tanz auffordern außer untadeligen Rittern mit reinem Geblüt von allen vier Großeltern her. Auch zum Turnier ließ man nur Ritter zu, die in allen vier Linien die Ahnenprobe bestehen konnten. (in: Keupp/Schwarz, S.98)

 

In Lübeck gründet die Elite der Elite 1379 die Zirkelgesellschaft der städtischen "Junker", was 1450 zur Gründung der Kaufleute-Kumpanei der ausgeschlossenen Fernhändler führt.

Wie man in Lübeck Karriere machen kann, verkörpert zum Beispiel der in Dortmund um 1420 geborene Hinrich Castorp. Er ist zunächst Kaufmannsdiener und arbeitet sich im Brügger Kontor zu einem vermögenden Kaufmann empor. Erfahrungen sammelt er mit Handel in Livland und Flandern.In Brügge ist er 1447-50 Olderman, und siedelt dann 1450/51 nach Lübeck über, wo er vorteilhaft heiratet und als Großkaufmann 1452 bereits in den Lübecker Rat gewählt wird und Mitglied der dortigen Zirkelgesellschaft wird. Später legte er sein Kapital mehr und mehr in Renten an. 1462 wird er für 26 Jahre Bürgermeister und führend an Außen-und Kriegspolitik seiner Stadt beteiligt.

Mit fünf anderen Großkaufleuten stiftet er die Marientiden in der Marienkirche und lässt sich zusammen mit seinen beiden Ehefrauen in der Katharinenkirche beisetzen. Der gleichnamige Sohn wird ebenfalls Ratsherr und Bürgermeister in Lübeck.

 

In Dortmund versammeln sich die Edelsten der Edlen des Rentierskapitals in einer Junkergesellschaft. In der Satzung der Danziger Artusgesellschaft von etwa 1390 heißt es:

Auch soll Niemandt auf den Hoff gehen, er habe den eygenes guttes auff 20 Marck und nicht münder. Auch sollen da keine handtwercks Leute eingehen, sie sein auch wer sie wollen, moch der da Bier schenckett oder bey Pfenge verkaufft, sondern er wartte seiner Gäste daheime, oder die innerhalb einem Jahre haben umb Lohn gedienet. (in: Dollinger, S.546)

 

Um 1340 wohl wird in Freiburg die Gesellschaft der Trinkstube zum Ritter gegründet, die sich 1360 ihr Statut gibt. Ihre Vertreter sind in und direkt um die Stadt wohnende Geschlechter, die selbst ritterliche Krieger sind, an Turnieren teilnehmen, Gefangene auslösen und Beute teilen. Fastnacht, Fronleichnam und an den Jahrmärkten trifft man sich zum Festmahl und Tanzvergnügen.

 

Überall wird deutlich, dass jener Teil des Großkapitals, der Karriere macht, um am Ende in adelsähnlicher aber zugleich reicherer Situation als der Adel  zu landen, seinem Wesen nach bald kaum noch als bürgerlich zu bezeichnen ist, sondern als Zwischenstatus zwischen Bürgertum und Adel.

 

Die Freiburger Malterer-Familie kann als Musterbeispiel gelten. Der ungeheure Reichtum wird im Laufe von zwei Generationen offenbar ganz wesentlich mit Finanzgeschäften gemacht. Johannes ("der Mezzier") kann seinen Sohn Martin Malterer dann schon an eine Tochter eines Grafen von Tierstein in der Nordwestschweiz verheiraten. Martin haust bereits auf der Kastelburg über Waldkirch1356 heiratet seine Schwester Elisabeth Markgraf Otto aus der Hachenberger Nebenlinie des badischen Markgrafen, wodurch die Verschuldung dieser Adelsfamilie an die Malterer wegfällt.

1357 kauft Martins Vater das Dorf Eichstetten mitsamt dem Gericht, Bann und den Eigenleuten von den Üsenbergern.

An Martin  werden im Laufe der Zeit viele Orte verpfändet, darunter Emmendingen mit der Hochburg und Mußbach, Glashausen, Reichenbach, Nordprechtsberg, Bildstein, Altkeppenbach, Gerlisberg und Hofen. 1381 besitzt er zudem Kenzingen und die Kirnburg als Pfand. "Zeitweilig waren den Malterern die Städte Endingen und Staufen, die Dörfer Riegel und Eichstätten sowie das Obere Mundat im Elsaß mit Ruffach, Sulz und Egisheim verpfändet. Zu ihren Schuldnern gehörten die Städte Freiburg und Endingen, die Grafen von Freiburg, von Fürstenberg und von Tübingen, die Markgrafen von Hachberg, die Herren von Geroldseck, von Staufen und von Falkenstein, die Klöster St. Peter und St. Märgen." (Freiburg, S.282)

 

1366 tritt Martin Malterer auf der Seite des Stadtherrn in den Kaiserstühler Krieg gegen die Stadt Freiburg ein. Seit 1367 bezeichnet er sich in Urkunden als Ritter, in dem Jahr, in dem er sich an der Fehde der Ebersteiner gegen den Grafen von Württemberg. 1377 kämpft er mit Eberhard von Württemberg gegen den schwäbischen Städtebund und befindet sich im Dienst von Leopold III. von Habsburg. Damit erreicht er eine weitgehende Befreiung der Herrschaft Kastelburg von österreichischen Verpflichtungen.

 

Schließlich gehört er der Gesellschaft mit dem Löwen an, einer am 17. Oktober 1379 gegründeten Adelsgesellschaft, vor allem im Westen des Reiches. Im selben Jahr macht ihn Herzog Leopold III. von Österreich zum Landvogt im Breisgau, Sundgau und Elsass, was er mindestens bis 1384 bleibt. 1386 fällt er an der Seite Herzog Leopolds in der Schlacht von Sempach gegen den aufstrebenden Freiheitswillen der Schweizer Eidgenossen.

 

Mit der aus Freiburg stammenden Maltererfamilie als einem von ganz vielen Beispielen wird deutlich, dass die Rechtsformen und Gewaltstrukturen eines sogenannten "Feudalismus" im römischen Reich nur noch eine dünne Hülle sind, hinter der sich die viel relevantere schier kapitalistische Substanz verbirgt. Klar ist schon, dass ein wesentlicher Teil der Gewaltstrukturen, aber bei weitem nicht mehr alle, feudal definiert sind, aber sie sind kaum noch feudal finanziert.

 

In Trier gelingt es reichen Familien aus dem Zunfthandwerk, in die Wechslerhausgenossenschaft vorzudringen und dabei Ministerialenstatus zu erlangen, wobei sie von St.Maximin und St.Simeon Dienstlehen (als Bäcker, Köche und Küster) erlangen. Auch Adel und Patrizier waren einst Bauern und dann Handwerker bzw. Händler und Finanziers, bevor sie in die Spitzen institutionalisierter Gewalttätigkeit aufsteigen, in das, was bis heute "Macht" heißt, Staatsmacht nämlich.

 

Um 1400 beschließt der Frankfurter Rat, dass Trinkstuben (der Herren) weder vom hantwercker noch von erbeitende tageloner betreten werden dürfen. Am Ende definieren die Ordnung der Herrentrinkstube von Nürnberg von 1489 und dann das Tanzstatut (der Herren) von 1521 in derselben Stadt als Herren wer sich ehrbar und redlich hält, nichts Unehrbars handelt oder Handwerk treibt. In der patrizischen Tanzstube auf dem Rathaus dürfen sich nur die beteiligen, die vor anderen den Vorgang haben und geehrt werden, daß sie und ihre Nachkommen dieser alten wohlhergebrachten Ehren sich gebrauchen mögen. .(alles in: Isenmann, S.246).

 

Lütfried II. Muntprat ist Sohn lombardischer Geldhändler, die spätestens seit 1378 zu den Konstanzer Patriziern gehören. Er wird 1383 in Konstanz geboren und wächst in Barcelona auf. Laut einer Konstanzer Steuerliste von 1418 besitzt er zusammen mit seinem Bruder Johann 7 500 Pfund Heller an Immobilien und bewegliches Kapital von 37 500 Pfund Hellern.

Die Muntprat verkaufen in großem Maße Leinwand und kaufen dafür Safran, Korallen und andere Luxusgüter ein. Lütfrid Muntprat reist dafür von Brügge bis Genua, von Frankfurt bis Venedig, von Ravensburg bis Lyon. In Venedig, Barcelona und Brügge gibt es um 1414 Handelsniederlassungen.

Irgendwann gegen 1400 gehen Muntprat mit den Ravensburger Handelsherren Henggi Humpis und Ulrich Möttli einen Handesvertrag ein. In einer Chronik des Ladislaus Suntheim aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts heißt es:

Die erste oberdeutsche Gesellschaft ist in Ravensburg erfunden worden, und in diese Gesellschaft sind später die Humpis, Besserer, Täschler, Geldrich, Muntprat, Neidecke, Ankenreute und andere eingetreten, und sie haben Waren in das Königreich Neapel, in die Lombardei, in die Königreiche von Aragon, Valentia, Kastilien und Katalonien ausgeführt. (in: Keupp/Schwarz, S.101)

Diese Familien gehören entweder zur Ravensburger Patrizier-Gesellschaft 'Zum Esel' oder der Konstanzer 'Zur Katz'. Nach und nach beteiligen sich immer mehr Familien des süddeutschen Raumes.

 

Im schwäbischen Raum gehört das Gegensatzpaar Müßggänger (miessiggenger), also Herr, und Handwerker im 15. Jahrhundert zur Amtssprache und in den norddeutschen Verfassungen ist eine möglichst ausführlich bekannte Familiengeschichte ohne Handarbeit Voraussetzung, um Ratsfähigkeit zu haben, also zur Herrenschicht zu gehören.

 

Diese Haltung reicht bis ins 20. Jahrhundert hinein und wird dann von sozialdemokratischer Politik unter den Bedingungen des neuen Konsumismus der Massen dahin transformiert, dass Handarbeit (für deutsche Ureinwohner) beschämend sei und darum auf ferne, und zum Teil zu importierende Völkerschaften übertragen werden solle, der auch ideologische Nachhall auf die Praxis des globalisierten Kapitals und nicht zuletzt auch das stillschweigende Weiterleben nationalsozialistischer Vorstellungen im Untergrund des allgemeinen Bewusstseins.

 

Im Hanseraum mit seiner Dominanz fernhandelnden und eher unterdurchschnittlich gebildeten Großkapitals wird Ritterromantik samt Turnierspektakel durch das ganze späte Mittelalter von diesen Kreisen hochgehalten. Dazu gehört die Benennung von Patriziergesellschaften als Artushöfe in Elbing, Danzig, Riga und Stralsund und die Bezeichnung großer zentraler Statuen als Wahrzeichen hansischer Privilegien als Rolande. Die Statuen von Hektor, Alexander, Caesar, Artus, dem großen Karl, Gottfrieds von Boullion, Josua,, David und Judas Makkabäus, ein hohles Sammelsurium von "Helden", schmückt "die Hansesäle der Rathäuser von Köln, Osnabrück und Lüneburg, einen Brunnen in Hildesheim und den Gesellschaftssaal des Artushofs in Danzig." (Dollinger, S.346) Damit wird der Weg gewiesen in den noch sinnentleerteren Renaissance-Dekor norddeutscher Städte, Ausdruck intellektueller Rückständigkeit in großen Teilen der deutschen Lande.

 

***Heinrich Toppler und Rothenburg***

 

 Um 1300 wandert ein Toppler aus dem ländlichen Raum nach Rothenburg ein. Seinem Sohn, ebenfalls ein Konrad, erreicht zunächst über Viehhandel und vielleicht auch andere Produkte einen so großen Wohlstand, dass ihm dann zumindest für 1352-58 der Aufstieg in den (inneren) Rat der kleinen Stadt gelingt. Inzwischen erwirbt er von Adeligen auch erheblichen Grund und Boden außerhalb, und er kann einen Altar in der Johanniskirche stiften, auf dessen Bild er sich mit seiner Familie malen lässt. Er erwirbt wohl schon das stattliche Haus zum Greifen und betreibt dort eine Gastwirtschaft. Zwischen 1340 und 1350 wird dort sein Sohn Heinrich geboren.

Sein Bruder und sein Schwager werden mit ihm dann im Rat sitzen, ebenso wie später auch sein Vetter Heinrich, der zudem Steuereinzieher wird.

 

"Die politische Macht, die sich Heinrich Toppler rasch zu erwerben verstand, konnte er zunächst nur im Rahmen der bestehenden städtischen Verfassung ausüben. Das Stadtregiment lag seit Beginn des 13. Jahrhunderts in den Händen eines Zwölferkollegiums, das sich seit 1336, als sich ein 40-köpfiger Gemeindeausschuss als äußerer Rat konstituierte, innerer Rat nannte und dem die wichtigsten Entscheidungen oblagen. Je ein Bürgermeister aus beiden Räten, für ein Jahr gewählt, bildeten deren Spitze und zugleich die Häupter der Exekutivgewalt. Ratsausschüsse oder -ämter versahen die einzelnen Zweige der städtischen Verwaltung: das Steuer-, Bau-, Kriegs-, Vormundschaftsamt, die Pflegschaften über Spital und Klöster, nachdem man sich bis zum Ende des 14. Jahrhunderts die weltliche Aufsicht darüber erkämpft hatte, und weitere." (Schnurrer)

 

1372 sitzen zwölf Patrizier und sechs Nichtpatrizier im Rat, wobei letztere im folgenden Jahr zu acht werden und im nächsten dann neun.

Heinrich Toppler wird etwa 30 Jahre alt gewesen sein, als man ihn 1373 zum ersten Mal in den inneren Rat wählte, dem er bis zu seinem Ende 1408 ununterbrochen angehörte. Erstaunlich ist, dass er, der Debütant auf stadtpolitischem Parkett, noch im gleichen Jahr zum ersten Mal Bürgermeister wird. Danach ist er nicht mehr in diesem Amt, da er fast zehn Jahre für den Schwäbischen Städtebund unterwegs ist, dem Rothenburg 1378 beitritt. Seit 1373 führt er auch städtische Truppen gegen (räuberische?) Ritter der Umgebung an .In diesem Jahr fordert Toppler auch 1000 Mark Silber von Konrad von Hohenlohe als Entschädigung für die (widerrechtliche?) Gefangennahme eines Rothenburger Bürgers. Die Familie dieses kleinen Fürsten hatte einst Rothenburg in Besitz gehabt.

 

Seit dieser Zeit erwerben Stadt und Bürger rund 40 Burgen, etwa 20 Mühlen, Weinberge, Steinbrüche, Tongruben, Wälder und Dörfer, bis 1406 etwa 400 Quadratkilometer Umland mit 1250 bäuerlichen Familien zur Stadt gehören. 1376 wird als großes Gebiet umfassendes Beispiel die Herrschaft Nortenberg gekauft. Die 7000 Gulden verteilen sich auf je 1400 von Toppler, seinem Schwager, sechs weiteren Bürgern, und 2500, die sich Toppler von zwei Juden leiht. Wo die Stadt direkt Land aufkauft, verkauft sie es meist an ihre Bürger weiter.

 

In dieser Zeit ist Toppler wahrscheinlich an der (Wieder)Ansiedlung von Juden beteiligt, was die Finanzkraft der Stadt steigert. Außerdem wird die Stadtbefestigung ausgebaut und mit einer Art Vorwerken versehen.

 

In den siebziger Jahren wird am Kirchenschiff der Stadtkirche St. Jakob gebaut, die später den wunderbaren Heiligblut-Altar beherbergen wird, der noch in einer kleinen Kapelle zu Hause ist. Inzwischen versteuert Toppler ein Vermögen von rund 2000 Pfund (Heller) aus dem Grundstock seines väterlichen Erbes, den er bereits deutlich vermehrt hat.

Laut den städtischen Steuerlisten zahlen gut ein Fünftel der rund 5000 Menschen hier Steuern. Von diesen gut 1000 fallen 400 in die unterste Steuerklasse und zahlen weniger als einen Heller jährlich. Ungefähr die Hälfte der Steuerzahler zahlt zwischen einem und zehn Heller, zehn Prozent zahlen zehn bis zwanzig Heller, und 55 Personen zahlen zwischen 20 und 50 Pfund Heller pro Kopf und zusammen die Hälfte der gesamten Steuer.

 

Um 1380 heiratet Heinrich Toppler die Erbtochter einer der reichsten Patrizierfamilien der Stadt, Barbara Wernitzer, was ihn bald schon durch die riesige Mitgift zum reichsten Mann der Stadt macht. Er erwirbt immer weiteren Grundbesitz und wird langsam zum größten Grundbesitzer von Rothenburg. Von seinen am Ende 358 Gütern vermarktet er vor allem Getreide, Holz und (Schafs)Wolle. Dazu kommen Wein- und Pferdehandel aus eigener Zucht. Zudem besitzt er bald eine wohl erhebliche Anzahl von Häusern in Rothenburg, die er vermietet.

 

Längst ist Toppler der inoffizielle Herr von Rothenburg, vor allem auch sein Vertreter nach außen in der großen Politik, und er versieht alle möglichen anderen einflussreichen Ämter. Seine wohl über hundert diplomatischen Missionen lassen ihn jedesmal gegen Vergütung (täglich 3 Pfund, also ein Gulden um 1377) zu Pferde die Stadt verlassen. Des öfteren tritt er dabei auch als Schiedsmann bei Streitereien und Fehden im süddeutschen Raum auf. Es geht zudem um Bündnisse mit Städten in der Nähe und Auseinandersetzungen mit den Feinden Würzburg (Bischof), Nürnberg (Hohenzollern) und Hohelohe. 1383 ist er zweimal auf Reichstagen in Nürnberg.

1384-86 ist er außerordentlicherweise zweimal hintereinander Bürgermeister, ab 1388 dann jedes zweites Jahr wieder und vor seinem Ende wieder zweimal hintereinander. 1388 befehligt er auch einen fränkischen Teil des Heeres des Schwäbischen Bundes gegen die Herzöge von Bayern, nachdem einer von ihnen den Salzburger Erzbischof als Bundesmitglied eingesperrt hat.

Im folgenden Jahr scheitert der Städtebund gegen Württemberg, Pfalzgraf Rupert, den Burggrafen von Nürnberg und andere bei Döffingen. Rothenburg verliert das Privileg der Landgerichtsbarkeit. Toppler gelingt es im Bündnis mit dem Burggrafen von Nürnberg, welches Rotheburg jährliche 4000 Gulden kostet, gegen den Würzburger Bischof den Status einer Reichsstadt zu bewahren.

 

Sein nahes Verhältnis zu König Wenzel vielleicht seit dem Reichstag zu Rothenburg 1377 hilft ihm bei seinen politischen Ausflügen.

 

Neben dem ererbten Familienwappen lässt er sich um 1388 auch noch ein Lustschlösschen unterhalb der Stadtmauer im Taubertal errichten. Am Wehrturm lässt er folgende Inschrift anbringen:

Diz haus mit dem graben hot der erber man Heinrich Toppler burgermeister zu der zeit zu Rotenburg mit sin selbes kost und erbeit gebawet in dem jor, do der beswerlich krieg zwischen fursten und allen edeln uff einer seit und auch allen steten, die zusamen verbunden woren, uff der ander seit in teutschen landen, und daz vorgenant haus sol Rosenthal heißen. Anno Domini 1388 und in dem nesten jar darnach.

Damit tritt er nun immer aristokratischer auf. Er stiftet inzwischen Messen für sich und seine Familie und am Ende eine Almosenstiftung für Arme von 6 jährlichen Gulden und erwirbt von Papst Ablässe für seine Sündenstrafen.

 

Andererseits kümmert er sich um die Kreditfinanzierung nicht nur seiner Stadt, sondern auch die befreundeter Städte und leiht im Notfall Rothenburg auch mehrmals Geld.

Aber es gibt auch jenseits von Kreisen des Landadels Widerstand gegen ihn, und zwar von einfachen Leuten bis ganz nach oben, aber überhaupt auch verbunden mit antipatrizischen (Unter)Tönen.

 

1392 heiratet er nach dem Tod der ersten Frau eine Margaretha aus Nördlingen, mit der er Verbindungen zur dortigen städtischen Elite und Verwandtschaft bis tief nach Bayern hinein bekommt.

Um 1395 verheiratet Toppler seine älteste Tochter mit einem Kaspar Wernitzer, was ihm Verbindungen nach Dinkelsbühl beschert.

1397 gelingt es den Rothenburgern unter Toppler, das reiche Dominikanerinnen-Kloster der Stadt mit eher brutalen Mitteln unter städtische Kontrolle zu bekommen

1400 wird Wenzel von vier Kurfürsten als nicht regierungsfähig abgesetzt. König Repurecht ist mit dem neuen Burggrafen von Nüprnberg verschwägert

 

Nach 1403 wird er nicht mehr wieder Bürgermeister, was auch mit der Opposition wegen seiner Machtfülle zusammenhängen könnte. 1405 verheiratet er einen Sohn und eine Tochter an die Kinder zweier der mächtigsten Nürnberger Patriziergeschlechter und beide Mädchen bekommen eine Mitgift von 1000 Gulden. Es gibt Historiker, die meinen, er suche nun Fluchtpunkte in der Ferne. Zudem verkauft er immer mehr an die Stadt.

Inzwischen hat sich Rothenburg auch wegen seiner offensiven Umlandpolitik besonders bei seinen Konkurrenten, dem Bischof von Würzburg und dem Burggrafen von Nürnberg immer unbeliebter gemacht. In der Situation wird Toppler noch einmal zum Bürgermeister gewählt.

 

Er muss nun Kriegsvorbereitungen vor allem gegen den Burggrafen betreiben, den er als Bürgerlicher einen Hochadeligen vor das Rothenburger Landgericht zitiert, dass vom König 1401 nicht mehr bestätigt worden war. Toppler verbündet sich mit dem Würzburger Bischof und tritt dem Marbacher Bund von 17 schwäbischen Städten bei. Es kommt auch zu (Geheim)Verhandlungen mit dem abgesetzten König Wenzel, die verraten werden. Schon zuvor wird Rothenburg von König Ruprecht in die Reichsacht versetzt. Militärisch wird die Stadt zwar dann 1407 von einem breiten Bündnis umzingelt, ohne aber eingenommen werden zu können, verliert dann auch  im Umland nur die Burgen durch Schleifung- allerdings auch die Ernte eines Jahres.

 

Einige Wochen nach dem Friedensschluss von Mergentheim (1408), in dem wohl auch sein Schicksal verhandelt wird, wird Toppler mit einem Sohn und einem Vetter vom Rat wohl u.a. als Sündenbock verhaftet. Er hatte allerdings schon vorher große Teile seines Geldvermögens mit dem Rest der Familie nach Nürnberg geschafft. Ihm wird vielleicht vorgeworfen, dass er keine Steuer dafür entrichtet hat und wohl auch, dass er eine Alleinherrschaft angestrebt habe. Aber Unterlagen über eine Anklage gibt es keine mehr. Letztlich ließ ihn der Rat unter dem Rathaus im Keller ermorden oder verhungern. Kritik dagegen wird in der Stadt unterdrückt.

 

 Bei seinem Tod 1408 beträgt sein versteuertes Vermögen bereits 31 000 Gulden.

In seinem kurz vor seinem Ende geschriebenen "Salbuch" sind seine Besitzungen aufgeschrieben. Danach besitzt er 1408 in ungefähr 118 Ortschaften etwa 330 bäuerliche Anwesen (darunter 6 Großhöfe, 2 Schafhöfe, 36 weitere Höfe und 7 Mühlen), die ihm jährlich rund 500 Gulden in bar, 1000 Malter Getreide und Abgaben für1000 Hühner, für Gänse, Schweine, Lämmer usw. einbringen. Dazu kommen 28 Häuser mit zusammen fast 1000 Tagwerk, 11 Weiher, eine Reihe von Weingärten und eine große Zahl sonstiger Grundstücke..." (Schnurrer/Heine)

 

Etwa ein Jahr nach der Hinrichtung Topplers verlangt König Ruprecht, der nach der Inhaftierung Topplers selbst Klage gegen ihn hat erheben lassen, einen erheblichen Anteil an dessen übriggebliebenem Vermögen. In einem Kompromissurteil dürfen die Topplerkinder, soweit noch in Rothenburg, mit einem Teil ihres Erbes nach Nürnberg abziehen.

 

 

Kapital und bürgerliche Mittelschicht

 

Die städtischen Freiheiten des aufblühenden spätmittelalterlichen Kapitalismus schaffen erhebliche Auf- und Abstiegsmöglichkeiten. Für den Aufstieg aus kleinen Verhältnissen wird dabei neben bestimmten Talenten und ökonomischer Energie eine gewisse Schulbildung immer wichtiger.

 

Aufsteiger ins Kapital gibt es naturgemäß nur wenige, aber dafür nimmt die passive Partizipation am unternehmerischen Kapital zu. Die Firma der Hächstetter in Augsburg bietet schon Einlagen von zehn Gulden an. Höhere Bedienstete der Firmen wie Faktoren erhalten schon mal Einlagen ins Geschäft, um sie an dieses zu binden. Ansonsten kann manchmal eisernes Sparen dazu führen, dass auch kleine Leute geringfügig an Risiko und Gewinn des großen Kapitals partizipieren.

Wo Bergwerkskuxen oder Anteile an Schiffahrtseigentum stark gestückelt werden, ist es ebenfalls möglich, sich kleine Anteile anzueignen. Wenn Köln im 15. Jahrhundert Kleinrenten von einem Gulden an aufwärts ausgibt, allerdings mit deutlich geringerer Rendite aber größerer Sicherheit ausgestattet, wird ihr Kauf für viele zugänglich. "In Speyer etwa, einem führenden oberdeutschen Kapitalmarkt, waren zahlreiche Handwerker an großen Darlehen für die Grafen von Württemberg und eine Reihe von Reichsstädten beteiligt." (Isenmann, S.256)

 

Auf diese Weise erfolgt nach der Integration der Menschen in den Markt nun auch in kleinen Schritten die ganz handfeste durch Partizipation in den Kapitalismus. Immobilien dienen der Mittelschicht vor allem als Sicherheit und ihre Miete als Rente, aber sie können durchaus auch kapitalisiert werden, insbesondere wenn Handwerker wie der Freiburger Metzger Hanman Schalun am Ende seines Lebens kurz nach 1400 fünf Häuser vererben kann.

 

Bürgerliche Mittelschicht ist ein moderner Sammelbegriff, der erhebliche Einkommensunterschiede und sehr unterschiedlichen Status umfasst und nur sehr notdürftig taugt. Ganz unten steht wie noch heute das mit den Händen arbeitende Dienstleistungsgewerbe, wie Bader und Bartscherer oder die Arbeitskräfte in Hospitälern. Nur wenig darüber stehen, ebenfalls wie noch heute, die Schneider und Flickschuster - und oft auch die Leineweber. Bezüglich der bei ihnen vorherrschenden Armut passen sie als Zünftige in die Mittelschicht, ansonsten sind sie in der Lebensführung eher Unterschicht. Ganz oben ist man im Zeitalter "politischer Zünfte" dann, wenn man sogenannten Herrenzünften angehört und sich selbst so zu titulieren beginnt.

 

Das alles spiegelt sich in den Summen, die für die Zulassung zu Zünften gezahlt werden müssen. Anfang des 15. Jahrhunderts muss man in Nürnberg je nachdem zwischen 50 und 200 Gulden zahlen, in Lübeck zwischen 4 und 30 lübische Mark (Isenmann, S.258). In Freiburg/Breisgau werden 1468 die Zugangsgebühren zu den Zünften soweit angehoben, dass nur etwas Wohlhabendere dort noch Zutritt haben.

 

Mittelschicht? 1427 zieht der Kürschnermeister Heinzmann Sprung nach Freiburg, wo er vom Heiliggeist-Spital ein Haus in Erbpacht bekommt. Sein Sohn Peter schafft den Übergang vom Handwerker zum Großhändler. 1490 wird er Ratsmitglied. 1491 wird er Zunftmeister der Kaufleute zum Falkenberg. Während die alten Geschlechter und der Adel immer mehr verarmen bzw. aufs Land ziehen, weil sie mit den neuen kapitalistischen Verhältnissen nicht mehr zu Rande kommen, wird der Handwerksmeister als Kaufmann einer der reichsten Männer der Stadt. 1503 wird er als Obristzunftmeister nach Bürgermeister und Schultheiß dritthöchster Amtsinhaber in der Stadt. 1504-10 ist er einer der drei heimlichen Räte beim Malefizgericht. Entsprechend gehören er und seine Frau zu den wichtigen Stiftern des Münsters und er wird Pfleger des Waldheiligtums von St.Ottilien. 1512 gründet er die frommen Freiburger Meistersinger mit.

 

Anders als Aufsteiger in die Oberschicht der alten Geschlechter wirkt die Karriere des Peter Sprung eher bürgerlich, insbesondere, da er das immer deutlicher vertritt, was einem heutigen Klischee von Bürgerlichkeit entspricht: Stabile Hierarchisierung, Ruhe, Ordnung, Christentum als bürgerliche Ehrbarkeit. Zu dieser Welt gehören, zwecks Stabilisierung der allgemeinen Ordnung,  Hochzeitsordnungen, die die Prachtentfaltung eingrenzen.

Für Freiburg: "1424 und 1425 hieß es, neben Braut und Bräutigam seien nur noch die nächsten Verwandten einzuladen. Nach einer Verordnung von 1484 durften endlich in der Regel nicht mehr als 20 Personen geladen werden, die Feier selber nicht länger als zwei Tage dauern. Am Morgen solle es höchstens vier gekochte Essen geben, zum Nachtmahl drei." Ähnliche Ordnungen tauchen für Taufen und Totenfeiern auf. (Freiburg, S.507)

 

An Adel gemahnende Prachtentfaltung oben, zunehmende Armut und Bettelei unten: Kapitalismus tendiert zu Unordnung und Krisenhaftigkeit.

 

Eine neuartige und bereits in die Neuzeit verweisende Gruppe bürgerlicher Mittelschicht, die bis heute immer mehr zunehmen wird, bilden diejenigen, die durch "gelehrte" Ausbildung und nicht primär durch Eigentum ausgezeichnet sind. Eine große Untergruppe stellt dabei die der Juristen mit Hochschulstudium dar, die sich durch unterschiedliche Verwendung unterscheiden. Einige von ihnen gehören der weiteren Untergruppe städtischer Beamter und Angestellter an. Dazu kommen "gelehrte" Apotheker und Ärzte. Zusammen mit Drucker-Buchhändlern werden sie sich dann in einem neuzeitlichen Bildungsbürgertum zusammenfinden, welches in die Mittelschicht vor allem auch durch Eigentumsbildung aufsteigt.  Mit ihrer Zunahme wird aber die Vorstellung von auf Eigentum basierender bürgerlicher Selbständigkeit in einen neuen, neuzeitlichen Bürgerbegriff umschlagen, der mit seinen Ursprüngen immer weniger zu tun hat. Mit dem Untergang des bürgerlichen Bildungsbegriffs im zwanzigsten Jahrhundert werden sie alle im Phänomen einer durchkommerzialisten und weithin bildungslosen Masse solches Selbstverständnis verlieren.

 

***Der Blick nach oben: Ehre und mâze*** (Erste Sammlung)

 

Wer die Energie zu einer Aufsteigerhaltung mitbringt (ich will, dass es mir besser geht / ich möchte als jemand besserer erscheinen), der wird sich nach "oben orientieren, und das macht wesentlich diejenigen aus, die nun bald als Patrizier bezeichnet werden. Aber in einer nächsten Etappe werden jene bürgerliche Kreise, die von diesen "Geschlechtern" draußen gehalten werden, sich ebenfalls möglichst weit oben orientieren.

 

Die Ehre ist eigentlich eine Kerndomäne des Adels, aber die Ehrbarkeit des Bürgers wird immer stärker in Richtung Ehre "hochveredelt". Diese ist nicht zuletzt der gute Ruf, der Leumund, wie er seit dem 12. Jahrhundert heißt, und ursprünglich genau das, nämlich den Ruf und das Gerücht meint. Ein schlechter Ruf bedeutet, dass man bescholten ist, man scheltet über einen.

Das Schelten bis hin zum Beschimpfen, meist impulsives, selten aber auch kalkuliertes Abwerten eines Menschen, seiner "Person", scheint damals wie heute gleichermaßen beliebt zu sein. Deshalb sind genossenschaftliche und andere Vereinigungen in ihren Statuten durch das Mittelalter mit detaillierten Strafen gegen Beleidigungen ausgestattet, die oft mit nicht lebensgefährlichen körperlichen Attacken gleichgesetzt werden.

"Der Göttinger Rat unterscheidet zwischen >scheltword<, dem heftigen Schimpfen, und der >eersprake<, die den Leumund des Widersachers beschädigt. Ersteres kostet nur 14 Schilling Strafe (wofür ein Tagelöhner zwei Wochen arbeiten musste); die Kränkung des Leumunds jedoch muss mit zwei Mark, fast dem Zwanzigfachen, gebüßt werden." (SchubertAlltag, S.320)

 

Höfisch ist man ursprünglich bei Hofe, aber es dringt gegen Ende des kurzen Mittelalters als Auftrag zum rechten Maß in das Bürgertum ein. 1464 fordert der Göttinger Stadtrat für Leute, die abends auf der Gasse unterwegs sind, de schal hovischen gan und nicht jucheyen stormen schrigen noch mit hornen blasen noch unstur driven (Unheil betreiben. in: SchubertAlltag, S.276) Es geht darum, dass man abends andere Leute nicht stört, aber es ist bezeichnend, dass das mit "sich höfisch bewegen" als Oberbegriff markiert wird.

 

Während der deutsche Adel seit dem 13. Jahrhundert das "Ihr" in der Anrede verwendet und die Bauern sich untereinander bis tief in die große Industrialisierung des 19. Jahrhunderts duzen, wandert das "Ihr" dann erst in die patrizischen Kreise ein, um nach dem 15. Jahrhundert auch das einfachere "Bürgertum" zu erreichen. Zunächst duzen sich Eheleute noch untereinander, während ihre Kinder sie nun "ihrzen", bis dann im 16. Jahrhundert auch Ehepartner, die "etwas auf sich halten", anfangen, sich mit gegenseitig mit "Ihr" anzureden.

 

Unterschicht: Proletariat

 

Kapitalismus als Integration der ländlichen Produktion in einen Markt, als Aufstieg der neuartigen (Markt)Städte und Abhängig-Werden von immer mehr Lebensverhältnissen von Vorgängen der Kapitalverwertung differenziert die Bevölkerung stärker als zuvor in Gewinner und Verlierer. Zu den absoluten Verlierern gehören einmal die breite Schicht der Lohnarbeiter auf dem Land und in den Städten und darunter eine Schicht noch ausgesprochenerer Armut, die auf Bettelei und Almosen angewiesen ist.

 

Armut bleibt eine unklare Bezeichnung sowohl bei dem, der sich selbst so bezeichnet wie bei denen, die andere so sehen. Auf jeden Fall gehören die dazu, die dauerhaft betteln bzw. materielle Hilfe benötigen, aber eben auch die, die in immer wieder auftretenden Notsituationen sich nicht mehr selbst helfen können, zum Beispiel nicht kreditwürdig sind, sondern Hilfe benötigen. Beide Gruppen zusammen stellen eine Mehrheit zumindest in größeren Städten dar. Aeneas Sylvius Piccolomini kann denn zu Basel auch schreiben: Die große Masse kommt ungepflegt, zerlumpt und unordentlich daher, in ärmlicher Kleidung, zumeist aus Leinen. (in: Oexle, S.287)

1494 schreibt Sebastian Brant, immerhin als Jurist wenigstens ein bisschen von geschärfter Begrifflichkeit, deshalb: Armut hett geben fundament / und anfang allem regyment / Armut hat gebuwen alle stett / all künst armut erfunden hett. (in: Oexle, S.169) Also: (Körperliche) Arbeit schafft Zivilisation und bringt dem arbayter, wie er manchmal seit dem 15. Jahrhundert heißt, dennoch nur Armut.

 

Armut ist eine Notsituation, die nicht nur Nahrung, sondern auch Kleidung betreffen kann. Selbst gebrauchte Kleidung von Mägden und Tagelöhnern kann den Gegenwert von Wochen und Monaten Lohnarbeit darstellen. Wenn über solche einmal Geld gespart werden kann, wird dieses wohl nicht selten in Ermangelung anderer Anlagemöglichkeiten in Textilien angelegt, die man im Notfall zur Pfandleihe bringen oder im Gebrauchtkleiderhandel wieder zu Geld machen kann. (Groebner in: Oexle, S.173)

In Nürnberg verpflichtet sich 1493 in einem Schuldvertrag, "einen Mantel durch Arbeit abzubezahlen. Sie und ihre beiden Töchter sollen dem Gläubiger demnach pro Woche einen halben Zentner gezogenen Draht aus von ihm gestellten Rohmaterial liefern; um den Mantel abzuarbeiten, sind 17 Arbeitswochen der Witwe und ihrer beiden Kinder notwendig." (Groebner, s.o.)

 

In ihrer Not gehen Bedürftige dazu über, z.B. Kleider, Hausrat oder Betten zum Pfandleiher zu bringen, der die Pfänder niedriger taxiert als den Wiederverkaufswert. Gehen sie zur Pfandleihe zu wohlhabenderen Handwerkern oder städtischen "Politikern", geraten sie nicht selten aus Abhängigkeit in deren Klientel. So wie Kaufleute immer mehr auf Makler angewiesen werden, so auch die Armen, denen - oft in behördlichem Auftrag - keufler und keuflerinnen Pfandleihe vermitteln, wobei sie Gewinn erzielen und selbst als Verkäufer  auftreten, oder aber unter der Hand selbst als Pfandleier. (Groeber, s.o.,S.179)

 

 

In den Städten liegt die Macht in den Händen eines sich adelig gebenden Patriziats bzw. denen großer Kapitaleigner, und dort, wo die Zünfte dann an der Macht partizipieren, handelt es sich oft nur um eine kleine Handwerker-Elite. Größeres Kapital und insbesondere Handwerk repräsentieren zwar zusammen das, was bis heute gelegentlich als bürgerlich gilt, sind aber im späten Mittelalter manchmal nur eine Minderheit der städtischen Bevölkerung. Die Mehrheit der Haushalte hat in der Regel aufgrund fehlenden Eigentums und zur Lohnarbeit gezwungen nicht einmal das Bürgerrecht. Darunter gibt es dann noch die absolute städtische Armut massiven Elends, die wenigstens um die 10% ausmacht und mit der Größe der Städte oft zunimmt.

 

Städtische Strukturen imitieren die alten auf dem Lande: Was beim Adel Ehre ist, wird in der Stadt Ehrbarkeit bzw. Ehrlichkeit, und es sind nicht immer die größten Kapitalien, die in den Städten die größte Macht haben, sondern es ist der Status der Ehrbarkeit der quasi-aristokratischen Geschlechter, der sie ausmacht. Das wird schon ein wenig deutlich, wenn unehrliche Berufe wie die des Henkers oder des Bordelliers schon mal Wohlhabenheit mit sich bringen, niemals aber Ehrbarkeit. Das heißt, die neuen kapitalistischen Strukturen betten sich mit ihren Machtverhältnissen in die alten aristokratischen ein. Das wird tendenziell bis zur Entstehung des Massenkonsums im zwanzigsten Jahrhundert so bleiben.

 

Proletarisierung beinhaltet in der mittelalterlichen Stadt vor allem fehlenden Zugang zu mit Rechten und wirtschaftlicher Selbständigkeit verbundenem Eigentum, was dazu zwingt, seine Arbeitskraft auf dem Markt anzubieten oder aber zu betteln und auf Almosen angewiesen zu sein. Die Letzteren werden für die Bürger in der beginnenden Neuzeit ein Übel, die Ersteren sind als Dienstboten und übrige Lohnarbeiterschaft eine Notwendigkeit: Der Wohlstand der einen beruht immer auf der Armut der anderen, so wie auch heute.

 

Die Unterschicht besitzt zunächst kein Bürgerrecht, schafft dann aber im Laufe des späten Mittelalters, da es immer mehr zur Voraussetzung für Erwerbsarbeit wird, gelegentlich teilweise den Zugang zu einem kleinen Bürgerrecht, einer Art Minderberechtigung für Schutz und Fürsorge, und manchmal auf dem Weg in die frühe Neuzeit auch ein volles Bürgerrecht, welches jedoch keine Teilnahme am politischen Geschehen erlaubt.

Das gilt allerdings nicht immer und überall. Seit 1382 müssen in Nürnberg Tagelöhner schwören, "das sie als einfache Beiwohner gleich welcher Ausbildung nur Tagewerk und kein Handwerk ausüben dürfen sowie auf eine mögliche Anordnung des Rats die Stadt verlassen" müssen (Fuhrmann, S.223)

 

Das Wirtschaften differenziert nicht nur durch Teilung der handwerklichen Arbeit und der Berufe, sondern auch durch die Teilung in Lohnarbeit auf der einen Seite und Eigentum bzw. Kapital auf der anderen. Dabei sind nur Teile der Lohnarbeit größeren Kapitalien zugeordnet wie im Bergbau, bei der Salzproduktion, beim Transportgewerbe usw.  Lohnarbeit gibt es beispielsweise auch in der Waidproduktion Thüringens, im Brauereigewerbe, von Bürgern einer kleinen Oberschicht betrieben, die die Arbeit gegen Lohn Braumeistern, Gesellen und Knechten überlassen, und im bürgerlichen Grundbesitz des städtischen Umlandes: Der Kapital einsetzende Bürger betreibt selbst keine Handarbeit mehr.

 

Andere Teile dienen den Machthabern, wie zum Beispiel Soldaten und kleine Beamte oder Dienstboten. Schließlich ist eine gewisse Zahl ins Handwerk als Gesellen und Lehrlinge integriert, wobei der Lohn überwiegend in nicht geldlich ausgezahlter Versorgung besteht. Im moderneren Sinne Lohnarbeit wird daraus überall dort, wo Industrialisierung Handwerk ablöst.

 

Differenzierung tut allerdings not. Zum einen muss Proletarisierung nicht elende Armut der armen luyte bedeuten, viele Gesellen und manche Dienstboten sind bis ins 15. Jahrhundert ordentlich versorgt, einige Soldaten und Inhaber kleiner Ämter machen Karriere. Darüber hinaus ist der Gesellenstatus einer, der in der Regel in die Meisterschaft und den eigenen Betrieb führen soll, auch wenn das spätestens im 15. Jahrhundert immer seltener wird.

Andererseits sind nicht wenige Handwerker und ganze Handwerkszweige zumindest am Rande der Armut und sinken immer mal wieder in diese ab. In der Übergangszeit vom kurzen Mittelalter zur sogenannten Neuzeit wohnen immer mehr von ihnen zur Miete und mieten auch die Räumlichkeiten für Produktion und Verkauf. Manche von ihnen leben wie die allgemeine Armut in Kellerlöchern, Treppenverschägen, Einzimmer-Behausungen und bescheidenen Katen mit wenig Inventar. Der touristische Blick heute sieht nichts mehr davon, da all das spätestens im zwanzigsten Jahrhundert verschwindet.

 

Im 14. Jahrhundert Erfurts sind vor allem Bauern, ländliche Lohnarbeiter und kleine Handwerker eingewandert. Zwischen 1386 und 1419 sind das etwa 4000 Zuwanderer, eine ganz erhebliche Zahl.

Einwanderung in Städte führt oft erst einmal in entsprechende Vorstädte, in denen sich Armut sammelt. Hier wohnen Gesinde, Tagelöhner und andere Arme, Leute, die auf bürgerlichem Land vor der Stadt arbeiten, saisonal zum Pflügen, Ernten und Holzhauen zum Beispiel eingesetzt werden.

 

1380 sollen in Lübeck Handwerkergesellen, Lohnarbeiter, Matrosen und ähnliche 42% der Bevölkerung ausmachen. (Ahasver Brandt)

 

Solche städtische Armut vereint zum Beispiel in Freiburg/Breisgau die Zunft der Rebleute, die Winzer, Gärtner, Fuhrleute und Tageleute umfasst, die im 15. Jahrhundert alle dem Zunftzwang unterliegen. 1412 wird vom Rat dann verfügt, dass auch alle, die ohne erlerntes Handwerk zuwandern, hier eintreten müssen. Am Ende werden 1497 auch alle Dienstknechte und Mägde zum Eintritt in eine Zunft verpflichtet. Zünftig sein und bitter arm sein können inzwischen Hand in Hand gehen. (Freiburg, S.238)

 

Proletarisierung meint also kein breites Industrieproletariat, ein solches deutet sich höchstens in großen Montanrevieren an und führt bereits aus einem Mittelalter heraus, als es im 15. Jahrhundert unter die Kontrolle von in fernen Städten ansässigen großkapitalistischen Firmen gerät. Hier alleine kommt es denn auch schon zu größeren, neuzeitlich wirkenden Kämpfen zwischen Lohnarbeit und Kapital.

"Im Jahr 1477 streikten beispielsweise die Lohnarbeiter des Aachener Wollgewerbes, weil sie fürchteten, aufgrund der schlechten Bezahlung und der steigenden Brot- und Bierpreise in die Armut abzusinken." (Ertl, S.108) Gegenüber dem Rat erklären sie: Wir müssen sehr schwere Arbeit leisten und der Lohn ist so klein, dass wir uns keinen Hausrat leisten können. Deshalb, liebe Herren des Rates, haben wir unsere Arbeit niedergelegt und begehren, dass unser Lohn erhöht werde, damit wir uns davon ernähren können. (in: Ertl, S.180)

 

Wenn der Prolet weder genug flüssiges Kapital noch hinreichend Produktionsmittel für eine selbständige wirtschaftliche Existenz hat, so ist er doch nicht ganz deckungsgleich mit städtischer Armut, die ohnehin nicht ganz einfach definierbar ist. Beide nehmen aber - je nach Stadt unterschiedlich stark - im 15. Jahrhundert erheblich zu, während sich der Abstand weniger Reicher zu ihnen enorm erhöht.

Ganz allgemein kann man wohl sagen, dass eine deutliche Mehrheit der Einwohner von der Hand in den Mund lebt, und damit in den periodisch auftauchenden Not- und Krisenzeiten ganz handfest Hunger leidet. Bei Versuchen, eine Einteilung in drei Steuergruppen vorzunehmen, landet in Lübeck eine Unterschicht bei 40% und eine Mittelschicht bei 38%, während in Augsburg nach diesem Schema 86% zur Unterschicht gehören. In Freiburg/Breisgau wiederum erklärt eine Steuerordnung von 1476 diejenigen für arm, die ein Vermögen bzw. Einkommen von unter 25 Gulden haben, während die, welche unter 100 Gulden Vermögen haben, immerhin noch nicht zu den gediegenen bürgerlichen Kreisen gehören, da sie zwar zünftig sind und Bürgerrecht besitzen, aber von vielem dennoch ausgeschlossen bleiben. Entsprechend der 25-Gulden-Grenze sind etwa 57% der zünftigen Haushalte in der Stadt 1481 arm. Ein Viertel der zünftigen Haushalte besaß nur ein Vermögen von unter 12 Gulden. Viele von ihnen gehörten zu den Zünften der Rebleute, der der Küfer, Zimmerleute, Schneider und Tucher.

 

***Gesellen***

 

Im Verlaufe des sogenannten späten Mittelalters erfahren die Knechte der Handwerksmeister eine sprachliche Aufwertung: Sie werden zu Gesellen. In diesem Vorgang beginnt sich dann auch der Lehrling vom Gesellen zu unterscheiden, und der Lehrvertrag vom Gesellenvertrag. Meist wird Gesellen, in der Regel unverheiratet, Kost und Logis geboten, manchmal auch Kleidung. Daneben gibt es für die Vertragszeit von einigen Wochen bis zu einem Jahr einen Arbeitslohn, der manchmal zusammen mit den übrigen Leistungen nicht sehr viel niedriger als das reine Einkommen des Meisters ist. Wo der von Zunft oder Rat regulierte Lohn für zu niedrig erachtet wird, kann es schon mal zu Lohnkämpfen kommen.

 

Gesellen sind so wie Studenten aufgrund der Jugend und Ungebundenheit ein unruhiges Element in den Städten. Dazu gehören Suff, lärmende Umzüge und offenbar häufige Nutzung der Prostitution. Oft haben sie Zugang zu den Zunftstuben, gelegentlich gelingt es ihnen, eigene Stuben für sich einzurichten.

Verboten wird ihnen aber die regelrechte Vereinigung, da boykottartige Streiks befürchtet werden, die Lohn und Arbeitszeit betreffen können. Boykott kann den Auszug von Gesellen eines Handwerks aus der Stadt bedeuten oder aber die Boykottierung missliebiger Meister. Daneben versuchen Gesellen, Neuankömmlinge von solchen Meistern wegzulotsen. Stadträte reagieren mit Knechtsordnungen, oft auch bei der starken Mobilität der Gesellen im späten Mittelalter eher auf regionaler Ebene als der von Städtebünden.

 

1329 sollen Gürtlergesellen bereits in Breslau die Arbeit verweigert haben, 1.352 Webergesellen in Speyer

 

1365 taucht eine erste Gesellenvereinigung der Tuchmacher in Freiburg auf, gegen die die Zunft beim Rat klagt. Es geht um Unterstützung ärmerer Gesellen und um Lohnforderungen, was beides auf Verständnis stößt, aber die Bruderschaft muss weg.

 

1358 versuchen die Augsburger Webergesellen durch eine Vereinigung mehr Lohn durchzusetzen. 1381 werden Nürnberger Schneidergesellen aus der Stadt gewiesen, weil sie eine solche Vereinigung anstrebten.1383 verbünden sich auch gegen Gesellenvereine die Schmiedezünfte von Bingen, Kreuznach, Mainz, Oppenheim, Worms, Speyer, Frankfurt und Aschaffenburg.

 

1385 verbietet der Hochmeister des Deutschordenslandes Versammlungen der Gesellen. 1389 verweigern Schneidergesellen in Konstanz die Arbeit und ihre Anführer werden aus der Stadt gewiesen. Kurz darauf wird dort den Knechten aller Zünfte verboten, eigene Trinkstuben zu unterhalten. (Keupp/Schwarz, S.107)

 

1390 kommt es zu Unruhen, die bis dahin führen, dass die Schmiedegesellen die Stadt Thorn verlassen. (Czacharowski in Beiträge 2, S.129) 1414 wird ein Bund von vierzehn Gerbergesellen in Straßburg verboten. Erlaubt sind religiös-karitative Vereinigungen, nicht mehr.

 

Nach und nach setzt sich im 15. Jahrhundert aber die Einsicht durch, dass die Gesellen ihre Vereinigungen brauchen.

 

1436 verlangt eine Rheinische Gesellen- und Knechtsordnung die Unterordnung unter Bürgermeister und Rat:

Es sollen auch in Zukunft weder die Handwerksmeister noch die Gesellen sich verbinden, vereinigen oder Bündnisse schließen und keinerlei Versammlungen unter sich haben ohne Erlaubnis und Zustimmung der Meister und des Rates. (…) Es sollen auch alle Handwerksgesellen und alle anderen dienenden Knechte, wer sie auch seien, künftig keine Trinkstuben oder gepachtete Häuser und Gärten aufsuchen und keine allgemeine Gesellschaft innehaben, wo sie zusammenkommen, es sei zum Essen oder zu sonst einem Anlass. (…) Sie können auch am Sonntag oder nach jeder Fastenzeit wegen ihrer Kerzen eine Zusammenkunft haben, doch dürfen sie diese Zusammenkunft nur durchführen nach vorheriger Ankündigung beim Zunftmeister. Dieser soll dann einen oder zwei Meister desselben Handwerks bestimmen, die an der Zusammenkunft teilzunehmen haben. (...) In Zukunft soll kein Handwerksgeselle und kein anderer dienender Knecht ein Schwert oder ein Langmesser oder einen Degen, kurz oder lang, oder eine andere Waffe tragen. (Engel/Jacob, S. 356)

 

Im Verlauf des 15. Jahrhunderts bei zunehmender Mobilität der Gesellen lösen diese sich aus dem Haushalt des Meisters und zugleich entlässt das diesen aus der Verantwortung für seinen Knecht. Diese müssen darum gemeinsam Armut, Krankheit, Alter und Beerdigung absichern. Die Vereinigungen der Gesellen sind also nicht nur Interessenvertretung gegenüber Meistern, sondern auch füreinander. Darin ahmen sie zunehmend die Zünfte nach. Schließlich tauchen sie Anfang des 16. Jahrhunderts in Freiburg zum Beispiel als eigenständige Gruppen bei der Fronleichnamsprozession auf.

 

***Lohnarbeit***

 

Gesellen werden in der Regel versorgt, auf dem Bau treten sie als Lohnarbeiter mit relativ hohen Löhnen auf. In Konstanz erhalten sie täglich 18 Pfennige. (Keupp/Schwarz, S.108). Darunter gibt es im Baubereich die kurzzeitig angeheuerten Lohnarbeiter mit deutlich niedrigeren Löhnen, wobei hier Frauen nur etwa den halben Lohn erhalten und Kinder noch einmal die Hälfte. Frauen und Kinder treten häufig auch als Tagelöhner in Handwerk und Landwirtschaft auf. Viele solcher Lohnarbeiter sind zusätzlich, zumindest zeitweise, neben dem Lohn auf Almosen angewiesen.

 

***Dienstboten***

 

Der Dienstbote ist ein sehr deutsches Wort, in anderen europäischen Sprachen handelt es sich oft eher um Domestiken, was von Haus und Haushalt abgeleitet ist. Bote leitet sich von (ge)bieten ab, einem Boten wird also etwas aufgetragen, oft eine Botschaft. Ein Dienst (ministerium) unterwirft jemanden einem Herrn. Im weitesten Sinne sind also im Spätmittelalter auch Inhaber eines Amtes Dienstboten, wobei der "Bote" auf einen Gebieter verweist. Hier soll das Wort aber auf jene Bedeutung hin verengt bleiben, die es spätestens in der Neuzeit erlangt: Auf Lohnarbeit im privaten Haushalt unter Bedingungen extrem geringer Bezahlung, die oft vorrangig von Mädchen und Frauen ausgeführt wird.

 

Solche Dienstboten dienen einmal der Befreiung der adeligen Dame von (manueller) Hausarbeit und zeigen mit ihrer Anzahl zugleich den Status des Hausherrn an. Sobald eine bürgerliche Oberschicht versucht, in möglichst vielen Bereichen mit dem Adel gleichzuziehen, beginnt sie auch damit, sich Dienstboten zuzulegen. Den meisten Handwerkern gelingt eine solche Karriere nicht, weswegen sie sich auch keine Dienstboten leisten: Die Hausarbeit bleibt bei der Hausfrau, die eben auch keine Dame wird.

 

Das neuartige (Selbst)Verständnis von Bürgertum in der Neuzeit mit der Einbeziehung auch wirtschaftlich unselbständiger Kreise und zunehmend mehr freier Berufe mit einem entsprechenden Konsumniveau in seine Reihen wird die Dienstbotenschar erheblich erweitern, bis im 19. Jahrhundert viele sich für eine Dame oder einen Herrn halten, die das mit Dienstboten ausweisen können. Aber das ist bereits eine sehr andere Welt.

Dienstboten sind im mittelalterlichen Haushalt das, was Gesellen und Lehrlinge in der Werkstatt sind: Angelernte Hilfskräfte, die aus ihrer Arbeit in der Regel so wenig Entlohnung in Geld ziehen, dass sie ohne das Angebot von Kost und Logis kaum überleben können. Sie sind strikt weisungsgebunden, unterliegen einem sehr engen System von Befehl und Gehorsam ähnlich dem eines Hundes gegenüber seinem Herrn.

Von knapp 6000 Einwohnern in Freiburg/Breisgau sollen 1497 etwa 1000 Knechte und Mägde Dienstboten gewesen sein, in Konstanz etwa ein Fünftel der Bevölkerung.

 

Die typischen Dienstboten des bürgerlichen Haushaltes im späten Mittelalter sind proletarische Mädchen, die von den Eltern in den Dienst eines Herrn und seiner Dame gegeben werden. Dabei wird wenig bekannt von der sexuellen Macht der Herren über die Mädchen und Frauen, die erst in der Neuzeit dann immer deutlicher beschrieben wird. (ff)

 

****Prostitution****

 

Wie in der Antike wird Prostitution auch durch das Mittelalter geduldet, offiziell nicht zuletzt, um ehrbare Mädchen und Frauen vor männlicher Sexualgier zu schützen. Zudem heiraten Städter erst, wenn sie einen eigenen Hausstand gründen können, und offiziell sind Frauen und Jungfrauen für sie ansonsten nicht zugänglich, was aber gelegentlich kein Hinderungsgrund ist, die Mädchen aber in die Ehrlosigkeit treibt.

Versucht wird, die Allgegenwart von Huren beim Gottesdienst, wo sie sich appetitanregend postieren, in den Wirtshäusern und auf den Hauptstraßen und Märkten zu verbieten. Stattdessen werden sie auf bestimmte Gassen abgedrängt und in vom Rat lizensierte Frauenhäuser, Bordelle also. Damit gelingt es auch, sie über die Abgaben der Bordelliers von der Stadt abzukassieren. Dies einträgliche Geschäft für die Stadt regelt der Rat mit Wochengeld für die Prostituierten und Umsatzbeteiligung samt Kost und Logis.

Das gelingt allerdings nur bei einer Mehrheit der Prostituierten, die bereit ist, ihrem "Gewerbe" offen und öffentlich nachzugehen und sich entsprechend registrieren zu lassen. Eine Minderheit verhökert aus Scham und um dem Abkassieren lizensierter Zuhälter zu entgehen ihre Reize lieber heimlich. Darüber hinaus werden die Huren in den vom Rat betriebenen Bordellen wie auch heutzutage zu sexuellen Dienstleistungen verpflichtet ohne Ansehen der Person und der Wünsche ihrer Kunden, was nicht jederfraus Sache ist.

Erlaubt ist die sexuelle Nutzung der Körper von Huren nur für unverheiratete Männer, Ehemännern und Geistlichen ist sie verboten, was aber kaum zu kontrollieren ist.

 

Seit der Mitte des 15. Jahrhunderts nimmt eine Tendenz zu, Prostitution stärker an den Rand zu drängen, eine Tendenz der Moralisierung, die mit steigender Unmoral einhergeht und im 16. Jahrhundert massiv zunehmen wird. Die Tendenz zur Kriminalisierung wird Prostitution allerdings nicht verringern; vielmehr steht sie paradigmatisch für alles, was nun Kapitalismus ausmacht.

 

Wenn man Aeneas Silvius de Piccolomini glauben kann, der sich 1444/45 in Diensten König Friedrichs III. in Wien aufhält, ist dort Prostitution alltäglich: Wenn man morgens aufsteht und zur Kirche geht, stößt man oft auf die auf der Straße liegenden Leichen derer, die in der Nacht zuvor getötet worden sind. Wein im Haus zu verkaufen, wird nicht durch Geringschätzung behindert. Dies geschieht vielmehr ringsum aufgrund einer Verfügung der Bürgermeister, und so wird man kaum einen Bürger finden, der das Gewerbe nicht ausübt., wenn ihm Wein verkauft wird, um diesen als Schankwirt weiterrzuverkaufen. Sie heizen nämlich Stuben, richten eine Küche ein und rufen Zuhälter, Prostituierte und jede Art von Trinkern durch dafür eingestellte Menschen herbei. Und sie geben ihnen etwas Gekochtes umsonst, aber ein kleineres Maß Wein. so trinkt man, isst, spielt, streitet, bis der Weinkeller erschöpft ist. Die Menge widmet sich dem Bauch und ist gefräßig, was sie in der ganzen Woche verdient hat, wirft sie am Feiertag hinaus. Ein zerlumptes und unordentliches Volk, träge und arbeitsscheu, zieht durch die Stadt, eine große Zahl von Prostituierten. (Historia Austrialis, in: Fuhrmann, S. 214)

Der vornehme Herr betreibt seine Beobachtungen allerdings nicht moralisch, sondern um seiner Verachtung für die Unterschichten Raum zu geben.

 

Dass es manchmal Armut ist, die Mädchen und Frauen in die Prostitution treibt, stört kaum, so wenig wie es heute in Mitteleuropa oft Arme aus fernen Ländern sind, die sich für die Prostitution anwerben oder pressen lassen. Wie heute findet auch im späten Mittelalter Mädchenhandel mit entsprechender Versklavung statt, was auch deswegen kaum stört, weil Sklaverei zwar selten geworden, aber nicht ganz verboten ist.

 

***Bettelwesen***

 

So wie der Geschlechtstrieb als Strafe Gottes eine Notdurft ist, die für Unverheiratete das Bordell legitimiert, so ist auch elende Armut im Mittelalter offiziell gottgewollt. Da andererseits Almosen wie fromme Stiftungen als sich Einkaufen in das ewige Paradies Gottes verstanden werden, ist der bettelnde Arme in diesem Sinne im früheren Mittelalter geradezu willkommen, da er eben Gelegenheit bietet, den Weg ins himmlische Paradies zu beschleunigen.

Man darf das nicht missverstehen: Es geht mit den Almosen weniger um Nächstenliebe, bei Christen üblicherweise mindestens so wenig verbreitet wie bei anderen Menschen, als um Eigenliebe, eben das sogenannte Seelenheil. Und die kirchliche Propagierung mehr oder weniger heiliger Armut wurde von der Bevölkerung auf mehr oder weniger Heilige beschränkt, denn allenthalben ist wo möglich Reichtum das Ziel und Armut schrecklich.

 

Eine unbezifferbare und wohl nicht allzu große Zahl von Bettlern sind arbeitsscheues Volk, arbeitsfähig, aber eher arbeitsunwillig. Daneben gibt es jene anerkannte Armut, die entweder dauerhaft zum Betteln zwingt oder aber aus vorübergehender Not entsteht. Dauerhaft Bettelarme entsetzen durch ihr Aussehen, in Lumpen gekleidet, ihre körperlichen Defekte, ihr Benehmen und ihren Gestank.

Und schließlich gibt es jene, die sich ihrer Armut schämen und darum ihr Elend nicht öffentlich mit Betteln offenbaren wollen. Sie verdienen sich nach der Ansicht der Mächtigen in der Stadt am ehesten Almosen und öffentliche Fürsorge.

Zu den Armen, auch den konzessionierten Bettlern, gehören immer wieder auch in die Armut abgestiegene Handwerker. Als Habenichtse (habnits)  bezeichnen sich im 15. Jahrhundert bei Besteuerungen etwa 60% der Bevölkerung in Augsburg oder München und in Köln erklären rund 70% aller Handwerker, die Kopfsteuer von einem Gulden, die sogenannte Armensteuer, nicht bezahlen zu können. Diese dazu erklärten städtischen Armen des späten Mittelalters sind aber nicht bettelarm und in der Regel auch nicht völlig eigentumslos und gehören nicht zu den 5-10% Almosenempfängern und Bettlern. Aber grundsätzlich kann man mit Ernst Schubert sagen: "Wer allein von seiner Hände Arbeit leben muss, lebt von der Hand in den Mund." (in: Oexle, S.295)

 

So wie sich der Rat inzwischen um den reibungslosen Ablauf im Bordell und feuerfeste Bedachung kümmert, so auch  um ein wohlgeregeltes Bettlerwesen. Wer nicht aus großer Not bettelt, dem wird darum seit der Mitte des 14. nun zunehmend Missbrauch vorgeworfen. In dieser Zeit beginnen Räte auch, Bettelmeister wie 1443 in Wien den Sterzermeister, die späteren Bettelvögte, einzusetzen. Der Rat gibt nun Bettlerlizenzen und Bettelmarken aus, die manchmal bezahlt werden müssen, und stellt oft ein Ratsmitglied ab, das für wohlgeordnete Abläufe sorgt. In Nürnberg sind schon für 1370 Bettelmarken aus Blech belegt. 1424 verbietet der Rat von Freiburg/Breisgau, ohne ausdrückliche Genehmigung vor bzw. in einer Kirche zu betteln.

 

Fremde Bettler allerdings werden oft nur kurzzeitig zugelassen und bei größerem Zulauf auch gleich abgewiesen. Die Hüter der Stadttore haben es damit aber schwer, wie es 1532 für Straßburg heißt:

Nun ist der armen thorlüten halb ouch vil klag. Sie luegen eben nit doruf und lassen die fremden betler und maltzen harin. Ist not wol müglich innen, alles zu ersehen. Ouch rechtfertigen (ablehnen) sie manchen armen bursmann und andere übelbekleidete, so nit im sinn haben zu betlen. Dagegen strichen etlich zimlich wolbekleidete mann, frowen, knaben und meidlin harin, die nieman für bettler ansehe, und heischen dann. (in: Oexle, S.186)

 

1325 taucht zum ersten Mal, und zwar in Köln, der Begriff huisarme auf, Hausarme also. Das sind unverschuldet in heftige Armut geratende und eigentlich angesehene Bürger der Städte. Erst im 15. Jahrhundert werden sie deutlicher und häufiger von den übrigen Armen abgehoben und nun bevorzugt, wenn auch nicht ausschließlich, im bürgerlichen Stiftungswesen bedacht. Damit beginnt die langsam zunehmende Ablehnung dauerhaft bettelnder Menschen, möge es ihnen auch noch so schlecht gehen.

 

Weil manchmal nicht so genau hingeschaut wird, ob jemand wirklich bedürftig ist, entwickelt sich das Betteln gelegentlich zu einem individuellen oder genossenschaftlich organisierten Geschäftszweig, als der er dann bis heute überlebt, heute oft als niederer Teilbereich organisierter Kleinkriminalität mutiert.

 

Für Zülpich ist für 1454 mit Unterstützung von Erzbischof und Stadtrat eine Bruderschaft der Bettler, Krüppel, Blinden und anderer Armer belegt,die beim Spital angesiedelt ist. Man trifft sich viermal im Jahr und wählt Meister, die ehrbar sein sollen. Im Krankheitsfall wird für solche Mitglieder mitgebettelt. (Schubert in: Oexle, S.319)

Für Frankfurt ist 1480 eine der Blinden und Lahmen dokumentiert. (Fuhrmann, S.214) In Freiburg/Breisgau findet jährlich ein Bettelgericht statt, welches laut städtischer Bettelordnung von 1517 städtische Amtsleute anwesend sind. Bis sie 1523 aufgelöst wird, gibt es eine Straßburger Bettelbruderschaft. Ihr Vorläufer ist eine 1411 dokumentierte Bruderschaft der armen Blinden. In der fraternitas pauperum mendicantium mit einem gewählten Meister und einem Bettlergericht wird eine Seelenmesse für die verstorbenen Mitglieder bezahlt.

 

Kurz vor 1440 wird im Trierer Karmeliterkloster von Bettlern, Aussätzigen und Kranken sowie Gauklern und Spielleuten eine Bruderschaft der Elenden gegründet, die sich alljährlich vor der Peter- und Paul-Messe versammelt. Sie kümmert sich um die Beerdigung ihrer Mitglieder und gibt 1463 sogar eine Bettelordnung heraus. Im Klostergarten der Karmeliter sitzen sie über Mitbrüder zu Gericht. (Soweit bei Hirschmann in: Anton/Haverkamp, S.449)

 

Im späteren 15. und dann im 16. Jahrhundert wird dann versucht, professionalisiertes Betteln als ihrem immer säkulareren Arbeitsethos widersprechend einzuschränken oder zu verbieten und ansonsten die Armen in Armenhäuser und deutlich später in Arbeitshäuser abzuschieben. Dabei geht die weltliche Macht voraus, aber die Kirche zieht nach. Im Verlauf des 15. Jahrhunderts beginnt das Verbot des Bettelns in der Kirche, welches erst im 16. Jahrhundert dann konsequent durchgesetzt wird. Nun werden die Bettler auf den Kircheneingang beschränkt, manchmal nur auf einen bestimmten und manchmal nur auf eine Kirche in der Stadt.

 

1496 wird auf dem Reichstag von Lindau gefordert, dass gesunde Bettler arbeiten sollen, denn ansonsten würde ein Mangel an taglönern und andern arbaitern (...) und erhöhung des lons eintreten. (Schubert in: Oexle, S.324) Ab 1500 fordern Reichspolizeiordnungen Bettelverbote arbeitsfähiger Leute. 1510 wird in Goslar das Betteln für alle verboten, die nicht das Bürgerrecht besitzen.

Immer häufiger treten Vorstellungen einer Arbeitspflicht aller Leute auf, die einmal biblisch begründet wird, handfester aber damit, dass Müßiggang die Laster bzw. Verbrechen fördert. Im 16. Jahrhundert werden dann die Reichen und Mächtigen bereits stärker vom Etikett Müßiggänger befreit.

 

***Fürsorge*** (siehe auch Kirche 4, Stiftungen)

 

Von Kirche und Kloster geht die Armenfürsorge zunächst auf die Städte über.

1389 erlässt der Erfurter Rat eine erste Hospital- und Armenordnung.

 

Zur öffentlichen Fürsorge gehören auch seit dem frühen 15. Jahrhundert die Kornvorräte, die für Fälle schlimmer Teuerungen angelegt werden, oft in kostenintensiven Kornhäusern und ausdrücklich für arme lude. Um auszuschließen, dass zuviel Arme sich in den Städten niederlassen und diese überfordern, gibt es schon seit dem 14. Jahrhundert ein Aufnahmegeld für Neubürger. Bis ins 16. Jahrhundert werden dann solche Gebühren immer wieder angehoben.

 

Im 16. Jahrhundert versuchen die Territorialstaaten im Zuge der Konzentration von Macht auch immer mehr Fürsorge an sich zu reißen. Dabei übernimmt sie die schon vorhandene Tendenz der Städte, Armut und Bedürftigkeit durch Aussperren und Verstecken unsichtbarer zu machen. 1531 versteckt der Nürnberger Rat jene Armen, die körperlich schadhaft sind oder stinken. (Schubert in: Oexle, S.291)

 

1522 wird in der Wittenberger Reformordnung unter anderem auch festgelegt, dass der Kirchen- und Klosterbesitz in Gemeingut überführt werden soll. Dafür wird der Gemeine Kasten eingeführt, aus dem die Sozialfürsorge für die Armen und Schwachen bestritten werden soll. In Straßburg heißt die Einrichtung dann gemeines almosen. Die Armenfürsorge wird städtische und später klassische staatliche Aufgabe, auf wenn es weiter, insbesondere auf dem Lande, Leute geben wird, die sie für ihre persönliche Aufgabe halten.

 

Gewalt, Verbrechen, Recht

 

Lebendigkeit bedeutet, wie wir schon gesehen haben, Gewalt im weitesten Sinne, und das auch bei den Menschen. Damit muss umgegangen werden. Daran ändern, wie bereits beschrieben, Zivilisationen nichts, vielmehr nutzen Machthaber sie nun für ihre Zwecke, und dazu monopolisieren sie Gewalt nach Möglichkeit, nicht zuletzt für die Greuel der Kriege der Machthaber und die Unterdrückung der Untertanen, die dort kriminalisiert werden, wo sie sich jene Gewalt anmaßen, die nur den Mächtigen zusteht. Mord und Totschlag, Raub und Vergewaltigung sind zum Beispiel überall dort Verbrechen, wo Herrscher sie nicht als Krieg oder Fehde legalisieren. Dann aber schaffen sie Heldentum.

Gewalt legitimiert sich bekanntlich primär über ihren Erfolg, daneben aber durch das von den Mächtigen durchgesetzte Recht. Dabei entstehen im lateinischen Mittelalter mehrere Rechtsräume, einer der Herrscher, einer der Fürsten, die sich in deutschen Landen als Landesfürsten durchsetzen, einer der Kirche und einer der Städte.  

 

Für die Entfaltung von Kapitalismus sind nicht nur die Konflikte und Konfliktlösungen der hohen Herren interessant, sondern vor allem auch die, welche sich in den Städten entwickeln.

Zunächst einmal werden die Städte zu jeweils eigenen Rechtsräumen, in denen sie ihr spezifisches Recht setzen, für welches Institutionen zuständig werden, die eine kleine Oberschicht zunehmend selbst verwaltet. Diese Selbstverwaltung, zunächst in Absprache mit Stadtherren, geht im Verlauf der Zeit von zunächst wenigen auf mehr Vertreter der mächtigen Geschlechter über, darunter Fernkaufleute, bis dann die Honoratioren der mächtigeren Handwerker-Vereinigungen selbst in diese Oberschicht aufsteigen, welche die "Politik" der Städte betreibt und welche nach innen sich inzwischen als polizey und ähnliches bezeichnet.

Die Macht mancher großer Städte führt zu selbständiger Machtpolitik, die für sich selbst nun das Fehderecht in Anspruch nimmt und Kriege führt. Dabei sind die Städte im Interesse von Handel und produzierendem Gewerbe eigentlich stärker an Frieden interessiert und tendieren eher zu Defensivbündnissen gegen Könige und Fürsten wie insbesondere die Hanse, verbünden sich dabei aber auch mit ihnen, wenn das opportun erscheint.

 

Die Befreiung der Menschen für den Markt und die sich immer mehr verallgemeinernde Warenwelt entlässt Menschen aus durch Tradition verfestigten persönlichen Bindungen vertikaler und horizontaler Art und entfaltet gerade in den Städten eine neue Art von Zivilisation. Diese wird durch Gesetze und Verordnungen geregelt, denen durch Unterordnung zu gehorchen ist. Zur situativ motivierten Kriminalität und den gelegentlich aufwallenden Aggressionen, allesamt durch mühsame Impulskontrolle einzudämmen, kommt zunehmend das, was man als professionelles Verbrechertum ansehen kann. Dabei wird klar unterschieden zwischen illegalem Diebstahl, Beutemachen und Mord und seinen legalisierten Formen in Fehde und Krieg, in der Willkür der legalen Abgaben und der legalisierten Gewalt der Obrigkeit. Dass in Zivilisationen dieselbe Handlung legal oder illegal sein kann, je nachdem, wer sie ausführt, wird dabei bis heute bestehen bleiben.

 

Ein großer Teil dessen, was im späten Mittelalter als Kriminalität angesehen wird, ist entweder schiere Armutskriminalität und hat so vorwiegend mit Eigentumsdelikten zu tun. Dazu gehören Betrüger, Diebe und Straßenräuber. Mit der Zunahme des Geldes, welches dann auch herumgetragen wird, kommen zum Beispiel die Beutelschneider auf. Daneben gibt es aber auch schon bandenmäßig organisiertes und professionalisiertes Verbrechertum. Auf den Meeren tummeln sich Piraten, die Straßen werden von Räuberbanden unsicher gemacht. Beliebt ist es, die Kostbarkeiten aus Kirchen auszurauben und bei oft jüdischen Hehlern zu verkaufen.

 

Erwischt werden Diebe und Räuber eher selten, manchmal erst nach inzwischen 15 Jahren Berufskarriere, oder Beutelschneider, nachdem ihnen 6o Fälle und mehr nachgewiesen werden können (SchubertRäuber, S.189) Tücher werden von der Bleiche gestohlen, Geschirr aus dem Haushalt, überhaupt alles, was nicht niet- und nagelfest ist.

 

Im 'Tagebuch eines Bürgers von Paris' aus der Mitte des 15. Jahrhunderts werden sogar Leute beschrieben, die berufsmäßig Kinder entführen, um den Eltern Lösegeld abzupressen. Wird dies nicht gezahlt, lassen sie die Kinder verhungern oder werfen sie ins Feuer. (Reliquet, S.194)

 

Schon früh beginnt die Kirche mit der Fälschung von Urkunden, Münzen werden gefäscht und vor allem auch Waren bis hin zu Gewürzen wie Safran. Wein wird verwässert und teure Metalle werden über billige drüber gezogen. Der kriminellen Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.

 

Und natürlich gibt es neben dem selteneren Mord aus Heimtücke (arglist) den impulsiveren Totschlag, der besonders unter Alkoholeinfluss (wie auch heute) stattfindet, bei Festen und im Umfeld von Wirtshäusern, und wo neben dem Messer auch alle möglichen anderen Gerätschaften zum Einsatz kommen. Die viel häufigeren Verletzungen werden weniger dokumentiert, weil das Faszinosum des Todes (wie wiederum auch heute) sie überdeckt.

 

Wenn Menschen in Städten auf immer engerem Raum zusammenleben, sind Gewalt oder zumindest Handgreiflichkeiten, Schlägereien immer auch vorhanden, und offensichtlich sind auch Frauen daran beteiligt. Vermutlich übertreibend schreibt Aeneas Sylvius Piccolomini in einem Brief über Wien 1438:

Nur wenige Heiligentage, wenige Sonntage vergehen ohne Mord. Sobald es zwischen zweien zu einem Waffenhandel gekommen ist, gibt es niemanden, der den Kampf unterbräche. Sofort bildet sich ein Kranz von Zuschauern, die nichts dagegen unternehmen. Auch die Behörden treffen keine Maßnahmen, um die Tollkühnen einzuschüchtern, wie es sich eigentlich gehörte. Wenn man frühmorgens aufsteht und zur Kirche geht, findet man auf den Plätzen oft die Leichen der in der vorangegangenen Nacht Getötenen. (in: SchubertAlltag, S.337)

 

Überall wird von den Stadtoberen das Tragen von Schwertern und langen Messern verboten. Messerstechereien machen einen stattlichen Anteil städtischer Straftaten aus. Dementsprechend wird schon das Zücken des Messen hat bestraft. Der ähnlich wie bis heute hohe Alkoholkonsum ebnet den Weg in Gewalttaten, deren Schauplatz Wirtshaus und Gasse sind. Vernünftigerweise fehlt im Mittelalter das heutige Kuriosum, dass Alkoholkonsum strafmildernd wirkt.

 

Ein Kapitel für sich sind die Sexualdelikte, darunter der raptus seu violentia corruptio virginum seu mulierum, quod vulgariter dicitur notnunft (SchubertRäuber, S.212), wobei das Opfer gezwungen ist, selbst unmittelbar danach zu klagen und an Kleidung und Körper die Spuren der Gewalt zu dokumentieren. Die Dunkelziffer dürfte darum sehr hoch gewesen sein, und sie wird extrem hoch, wenn man Dienstmägde mit einbezieht, die ihren Herren und deren Söhnen vermutlich nicht selten auch sexuell zu Diensten stehen müssen.

 

Kriminalität lässt sich damals als charakterlicher Defekt beschreiben oder als moralische Verworfenheit, aber sie lässt sich eben auch als unvollständige oder fehlende Integration in die zivilisatorischen Ehr- und Moralbegriffe, die Eigentums- und Machtverhältnisse verstehen. Während die reguläre Habgier der Oberschichten und ihre Luxusbedürfnisse samt ihrer legalen Gewalttätigkeit als ehrbar und ordentlich angesehen werden, gilt die irreguläre von Unterschicht-Leuten eben als verbrecherisch. Während die Kindesentführungen, der sexuelle Missbrauch und das Morden eines fast schon fürstlichen Gilles de Rais jahrelang ungehindert stattfinden kann und ohne sein übriges Verhalten vielleicht nie geahndet worden wäre, wird dieses, dort wo der Unterschicht-Verbrecher gefasst wird, auf das härteste geahndet.

 

Das Ausmaß an Verbrechen in der spätmittelalterlichen Stadt kann nicht genau bestimmt werden. Annäherungen gibt es dort, wo wenigstens Todesstrafen für schwere Verbrechen verhängt werden. Im kleinen Berlin sind das zwischen 1399 und 1448 im Durchschnitt zwei pro Jahr, im größeren Breslau zwischen 1456 und 1529 sogar fast sieben. "In Wien sind 44 Menschen zwischen 1470 und 1479 gehängt, 11 ertränkt, 10 geköpft, 5 gerädert und 3 Menschen verbrannt worden. (...) In Stralsund kam es in den Jahren 1536 bis 1572 im jährlichen Durchschnitt zu vier Mord- und Totschlagsfällen." (alles in: SchubertRäuber, S. 35)

 

Einerseits fallen unter die schweren Strafen auch einzelne Fälle, die heute nicht mehr als Verbrechen bezeichnet würden, andererseits wird auch (im Vergleich zu heute) nur eine Minderzahl schwerer Verbrechen aufgedeckt bzw. werden die Täter gefasst. Das (vergleichsweise kleinstädtische) spätere Mittelalter bis durch das 16. Jahrhundert zumindest ist also von viel mehr Gewalttätigkeit geprägt als dies heute dort der Fall ist. Das Land dürfte sich davon erheblich unterschieden haben. Dort werden Konflikte noch eher durch Konsensbildung ausgetragen, und dies bis ins 20. Jahrhundert, zudem dürfte es mehr soziale Kontrolle gegeben haben, und zum anderen fehlt dort jene breite Unterschicht, die aufgrund ihrer Situation und damit auch geringeren Zivilisierung grundsätzlich eher "kriminell" wird.

 

 

Recht, Gericht, Bußen und Strafen

Da es weniger Freiheitsstrafen gibt, nehmen die Körperstrafen bis hin zu den verschiedenen Tötungsarten von Verbrechern zu. Die Überführung des Täters vor Gericht konzentriert sich bei geistlichen wie weltlichen Gerichten einmal zunehmend auf Zeugenaussagen, vor allem aber auf das Geständnis des Täters. Um dieses zu erzwingen, wird immer mehr zur sogenannten peinlichen Befragung, also zur Folter übergegangen.

Mit dem Tode bestraft wird manchmal schon Diebstahl, Brandstiftung, auch Zauberei und Münzfälschung. Große Städte kennen im Schnitt eine bis zwei Todesstrafen im Jahr.

 

Von der Opfer-orientierten Entschädigung als Sühne/Versöhnung samt Gerichtsgebühr ausgehend entwickelt städtische Obrigkeit ihre Täter-orientierten Strafordnungen und die Fürsten folgen ihnen. Dabei werden keine Haftstrafen erfunden, sondern "peinliche" Körperstrafen bis hin zu den Todesstrafen (peinlich von poena, Strafe) und andere Formen der Bußen.

Im Sachsenspiegel tauchen als Todesstrafen Hängen, Köpfen, Verbrennen und Rädern auf, dazu kommt noch das Ertränken und - selten - lebendig Begraben.

 

Die am häufigsten verhängte Todesstrafe ist die für das am häufigsten auftretende Verbrechen, den Diebstahl: Das unehrenhafte Erhängen. Es handelt sich dabei um ein langsames Erdrosseln durch den Galgenstrick, bei dem Freunde und Verwandte manchmal die Erlaubnis erhalten, am Körper des Bestraften zu ziehen, um das Leiden abzukürzen.

Ehrenhafter und eher den Oberschichten vorbehalten ist das Köpfen mit dem Beil. Unehrenhaft ist das Rädern, bei dem die Gliedmaße des zu Strafenden mit einem schweren Rad erst von der einen Seite und dann der anderen mit einem schweren Rad zerstoßen, gebrochen werden bevor der letzte Stoß auf das Herz ihn dann tötet. Manchmal wird er danach noch "auf das Rad geflochten". Diese Strafe trifft Straßenräuber, mehrfache Mörder, Kirchenräuber und Mordbrenner.

Verbrannt werden ursprünglich Brandstifter, dann kommen Ketzer und Schadens-Zauberinnen hinzu. Ertränkt werden immer häufiger im späten Mittelalter in einen Sack geschnürte Frauen, die manchmal auch lebendig begraben werden. In der Konsequenz eine Todesstrafe ist das Blenden.

 

Kleinkriminellen werden Ohren oder Finger abgeschnitten, in schwereren Fällen eine Hand. Gotteslästerern und Meineidigen wird die Zunge abgeschnitten oder wenigstens die Zungenspitze. Kinder unter 12 Jahren sind von solchen Strafen verschont und Frauen immerhin aus Schamgefühl von der Strafe des Hängens. Tendenziell milder wird auch mit den meisten Reichen und Mächtigen umgegangen.

 

Erst spät wird das Strafen als Friedenssicherung mit Abschreckung verbunden, welches dann im 16. Jahrhundert immer mehr zunimmt. Dabei geht der Weg von der Genugtuung für den Geschädigten und sein Umfeld zur Genugtuung für die Bevölkerung ganz allgemein über: Der Verzicht der vielen auf das Begehen von Missetaten wird belohnt mit der Strafverfolgung der Missetäter. Die Wirkung von Abschreckung ist nicht erkennbar, da nicht belegbar ist, wer ohne sie alles zum Verbrecher würde. Jedenfalls erreicht sie bis ins Ende des 18. Jahrhunderts keine Verringerung der "Straftaten".

 

Zweifellos wird hier, wie man damals auch sagt, Böses mit Bösen vergolten, oft auch Grausames mit ausgesprochener Grausamkeit, was sicher auch so empfunden wird. Aber das andere Extrem ist die heutige staatlich verordnete ganz andere Grausamkeit in den Nachfolgeregionen des Lateinischen Abendlandes, in der die Leiden der Opfer in demütigender Weise fast völlig ignoriert werden, ihnen keine adäquate Entschädigung geboten wird und die Täter von Vergewaltigungen und Raubüberfällen zum Beispiel erstaunlich schnell wieder frei herumlaufen und so ihre Opfer (und neue Opfer) mit ihnen konfrontiert werden.

Zum Verzicht auf Gerechtigkeit kommt heute die (weithin) Resozialisierungslüge im Bereich von Triebtätern, professionellen oder von Ideologie bzw. Religion getriebenen Kriminellen, die auch aus Kostengründen oft recht bald wieder auf die Menschheit losgelassen werden.

 

Die Grausamkeit der Strafe steht im späten Mittelalter bis ins 17. Jahrhundert zunehmend nicht mehr im Verhältnis zur Tat selbst, sondern zu ihrer staatlicherseits betrachteten Bedrohlichkeit, weswegen Diebstahl und Raub so hart bestraft werden - während sie heutzutage deutlich geringer geahndet werden, soweit Täter überhaupt noch gefunden werden. Andererseits werden so harte Strafen oft gar nicht angewendet, und so gibt es bis ins 15. Jahrhundert viel mehr Verbannungen und Geldbußen als harte Leibesstrafen. Selbst die Stadtverweisungen auf Zeit oder dauerhaft werden dort, wo das den Tätern möglich ist, bald in Geldbußen umgewandelt.

Ein Grund dafür ist, dass Geldstrafen Einkünfte der Gerichtsherren sind und zum Teil an die Richter und Amtsleute weitergegeben werden. Die Basis des sich entfaltenden Staates aber ist die Menge seiner den Untertanen abgepressten Einkünfte.

Grausam ist zweifellos die Folter, die im Spätmittelalter zunimmt und dann im 16. Jahrhundert immer noch grausamer wird. Dazu weiter unten mehr.

 

****

 

Im Verlauf des langen Mittelalters nimmt das Phänomen der Offizialklage zu, welches vor die Sühne als Täter-Opfer-Ausgleich die Strafe setzt und damit die "staatliche" Funktion der Verbrechensbekämpfung. Diese Entwicklung wird sich in der sogenannten Neuzeit weiter fortsetzen.

Im Laufe der Zeit kommt zur Strafe immer stärker auch das Motiv der Abschreckung hinzu. Dazu gehört die angstverbreitende Funktion der Folter, die zunächst vor allem der Geständniserzwingung diente. Besonders eindrucksvoll ist jene Neuerung im 15. Jahrhundert, die Gehenkten lange Zeit am Galgen baumeln zu lassen, und dabei Wind, Wetter und Tieren auszusetzen.

 

In der Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung, in den Zuschauern als dem "Umstand", den Umstehenden, bleibt bis ins 15. Jahrhundert etwas von der Vorstellung erhalten, dass das Verurteilen und Bestrafen durch die Obrigkeit des Konsenses eines wenigstens gedachten Gemeinwesens bedarf. Ohne größere bewaffnete Polizei ist überhaupt Konsensbildung wesentlich für das Stadtregiment.

Öffentlichkeit wird dadurch ermöglicht, dass das Gericht unter freiem Himmel tagt. Das unterscheidet weltliche städtische Justiz von der kirchlichen mit ihren Inquisitionsprozessen hinter verschlossenen Türen, die erstere aber dann zunehmend beeinflusst. Dann findet das Gericht zunächst unter Gerichtslauben oder Arkaden statt, um schließlich ebenfalls hinter verschlossenen Türen zu enden.

Was Verurteilung und Strafmaß angeht, wird durch das 14./15. Jahrhundert immer wieder über Korruption geklagt, vor allem die Bestechlichkeit der Richter, weshalb Gerichte selbst immer wieder auf ihre Unvoreiungenommenheit hin festgelegt werden. Zu den Klagen gehört zudem, dass man die Kleinen hart verfolge, die Großen aber laufen lasse, eine vielleicht zu pauschale Klage, hinter der sich aber wohl doch auch viele einzelne Fälle verbergen.

 

Zwischen dem Urteil und der Hinrichtung steht der vor der Öffentlichkeit stattfindende Weg zur Richtstätte. Ist die Gefahr, die vom Verurteilten ausging, erst einmal gebannt, kommt oft das Erbarmen mit ihm, das Mitleid auf. Wird die Missetat aber für zu abscheulich erachtet und das Urteil entsprechend als zu "milde", kommt es bis ins 17. Jahrhundert in Extremfällen sogar zu von der Obrigkeit geduldeten Steinigungen. Andererseits sind Einzelfälle bekannt, in denen unterwegs eine Volksmasse den zum Tode Verurteilten befreit und das dann geduldet wird.

 

Die Öffentlichkeit der Hinrichtung wird anders als die des Gerichtes bis ins 18. Jahrhundert gewahrt bleiben. Sie ist bis ins 15. Jahrhundert Teil einer wenigstens meist konsensualen, wenn auch von wenigen beschlossenen Rechtsordnung, die die Beteiligung aller Menschen in der Stadt vorsieht.

Zur Öffentlichkeit gehört die häufig artikulierte Vorstellung von dem Missetäter als dem armen Sünder und das Erbarmen. Dies äußerst sich seitens der Obrigkeit in der Gewährung von besonderer Gunst wie einer Henkersmahlzeit oder einer letzten Beichte. Dazu kommt das offenbar weitverbreitete Phänomen der Abbitte durch die Umstehenden: "Neben den in Breslau in 69 Jahren vollstreckten 454 Hinrichtungen stehen im gleichen Zeitraum 70 Fälle, in denen zum Tode Verurteilte auf der Hinrichtungsstätte abgebeten, begnadigt wurden." (Schubert Räuber, S.36) 

 

1459 ist ein Hans Breitbeck in Stolberg wegen erwiesenem Totschlag zum Tode verurteilt worden: "Er wird durch den Henker auf den Marktplatz geführt, wo bereits alle Vorrichtungen zum Enthaupten getroffen sind. Nun aber bittet die Gemeinde den Grafen, den Gerichtsherrn, er möge um Gottes und Marias Willen den Verurteilten losgeben und ihn lediglich lebenslang der Grafschaft verweisen. Und so geschieht es." (SchubertRäuber, S.53f)

 

In der Regel muss aber die Strafe durchgesetzt werden, wenn der Geschädigte bzw. seine Erben auf der Sühne bestehen. Gelegentlich werden dennoch über längere Zeiträume mehr zum Tode Verurteilte abgebeten als hingerichtet. Dabei geht es meist um keinen Machtkampf zwischen Obrigkeit und "Volk", sondern um den Konsens, dass Gnade zum Recht so gehört wie Strafe.

Ein weiterer Aspekt ist, dass es um Friedensherrstellung geht. Wenn eine Jungfrau beim Gericht um die Heirat mit einem Verurteilten bittet, dieser so quasi resozialisiert wird, kann dieser manchmal begnadigt werden:

"Der Hildesheimer Rat gewährt 1555 zwei Jungfrauen die Bitte, die beiden zum Tode verurteilten Knechte, die sie heiraten wollen, vom Galgen freizugeben. Die Hildesheimer Bürger, die an der Richtstätte den umstand bildeten, wol over dusend man, hatten dieses Begehren unterstützt." (SchubertRäuber, S.57) In Rothenburg/Tauber erbittet sich der Scharfrichter die zum Ertränken verurteilte Kindsmörderin zur Frau und dem wird stattgegeben.

 

Abbitten kann Straferlass, aber vor allem auch Strafminderung bedeuten: Der zur Vierteilung oder zum schimpflichen Hängen Verurteilte wird "nur" geköpft, Körperstrafen können durch mildere ersetzt werden.

 

Erbarmen kann auch der Christengott erweisen, indem er eine in einem Sack ertränkte Missetäterin rettet, die rechtzeitig ans Ufer geschwemmt wird, oder indem er einen Strick reißen lässt, bevor der Übeltäter gestorben ist. In der Regel ist dann der verurteilte Verbrecher frei und kann seiner Wege gehen.

 

Bis ins 15. Jahrhundert kann man davon ausgehen, dass die Beteiligung an Hinrichtungen in Städten primär einer ursprünglichen Vorstellung von einem alle bzw. alle Bürger umfassenden Gemeinwesen entspricht, zu dem wenn auch nicht "politische" Partizipation, aber doch die Vorstellung eines allgemeinen Konsenses gehört.

Bei jedem wohl verschieden ist jener den Menschen in ihrer doppelten zivilisierten Widersprüchlichkeit wohl genuin eigene Aspekt der Angstlust als lustvoller Angst und angstgejagter Lust gegenüber dem zivilisatorisch mehr oder weniger gebändigten Schrecken, der bis heute hin eher noch zugenommen hat, auch wenn ihn besonders domestizierte Individuen gerne wegleugnen.

 

Ein Stichwort dazu kommt erst im 18. Jahrhundert in die deutsche Sprache als Faszination, aus dem Lateinischen entlehnt, wo es Verhexung, mit einem Zauber versehen meint, seit dem 18. Jahrhundert also Widerständigkeit gegen den Einfluss von Aufklärung und Wissenschaftlichkeit, und zwar vor allem als Beschönigung einer des Phantastischen beraubten Welt.

Fasziniertsein vom Schrecken, vom Schrecklichen wie der rechtlich abgesicherten öffentlichen Tötung eines Menschen ist noch etwas anderes in Zeiten größerer Gewalttätigkeit, die zur eigenen Angst keine Lust gewährt, wenn man nicht professioneller Krieger ist. Aber im Ritual des Menschenopfers zur Herstellung eines wie auch immer gearteten Friedens liegt gewiss eine archaische Form der Faszination, die an das Maß unterdrückter Aggression gebunden ist, deren Wirken im menschlichen Untergrund dabei vernehmlicher wird.

 

Ein weiterer Ort öffentlichen Strafvollzugs wird der Pranger oder Schandpfahl, in der Regel auf dem Marktplatz. Hier wird zunächst die Prügelstrafe vollzogen, dann wird das am Pranger stehen aber vor allem zur Schande, bei der zumindest Schmähungen seitens der Bevölkerung, aber auch Heftigeres möglich sind. Oft sind die Delinquenten mit einem Halseisen und Kette am Pranger befestigt, aber es gibt auch eine Vielzahl anderer Möglichkeiten. Als ausgesprochen entehrend gilt es, wenn der Henker die Strafe durchführt. Es ist meist Unterschicht, die hier präsentiert wird und die Pranger deshalb auch mit entsprechender Ablehnung begegnet.

 

Zur zunehmenden Nicht-Öffentlichkeit des Gerichts gehört die nicht öffentliche Folter, von der Papstkirche im 13. Jahrhundert mit dem Inquisitionsverfahren gegen Ketzer eingeführt. Dazu gehört die Offizialklage und ein neuartiges Beweisverfahren zunächst im kirchlichen Raum, welches im Idealfall mit dem zur Not eben durch Folter zu erzwingenden Geständnis zu enden hat. 1252 erlaubt Innozenz IV. sie für diesen Zweck. Für einzelne Delikte taucht sie dann in oberitalienischen Städten auf.

Im 14. Jahrhundert wird sie manchmal in deutschen Bischofsstädten auch für weltliche Verfahren eingesetzt. Sie findet um ihrer "Beweiskraft" willen zunächst in Gegenwart der Schöffen statt, die sich dafür gelegentlich alkoholisieren müssen, und das Geständnis muss dann nachher - ohne Folter - noch einmal wiederholt werden.

 

 

Ausgrenzung

 

Mit der Bildung städtischer Gemeinden entsteht eine an sich sehr fragile und letztlich rein ideelle Gemeinschaft, die nur durch Formen institutionalisierter Macht zusammengehalten wird. Da ist der Stadtherr, da sind die mit ihm in der Regel zunächst kooperierenden Geschlechter, da entsteht eine städtische Obrigkeit neuen Stils, in der Formen von Staatlichkeit eingeübt werden. Ökonomische und durch Privilegien konstituierte Gesellschaften (Genossenschaften) kooperieren dabei. Die Mitwirkung der meisten Einwohner an dieser sich politisch-staatlich entwickelnden Gemeinde geht dabei im Laufe der Zeit immer weiter zurück. Ansätze von Staatlichkeit schließen fast alle von den wesentlichen Entscheidungen aus, aber diese müssen dann auf die Akzeptanz der Untertanen treffen, damit solche Gebilde halbwegs stabil bleiben. Das ist im Mittelalter so wie heute in den sogenannten Demokratien.

 

Die handfesten Interessen der Vielen, sich mit ihrem Untertanen-Status abzufinden bzw. sich in ihm wohlzufühlen, sind wirtschaftlicher Natur, wozu auch die in den städtischen Gemeinden hergestellten Rahmenbedingungen einer gewissen Sicherheit kommen. Der Rest ist ideelle Identifikation, die auch eine mit der sinnlich wahrnehmbaren Repräsentanz von Macht einschließt. Dazu gehört ein jeweils an die Bedingungen von Handel und Finanzen, von Produktion und Machtstrukturen angepasstes Ideengebäude, ein komplexes Text-Gebilde aus meist schlichten und im religiösen Bereich eher abstrusen Gedanken.

 

Der Oberbegriff dafür ist das jeweils aktuelle Christentum. Dieses hat seine religiöse Seite mit dem Raum der Kirche, der aber zugleich kurioserweise als erster Stand aus dem Raum der Gemeinde rechtlich ausgegrenzt ist, wiewohl er genau dort angesiedelt ist. Es hat aber auch die wenig religiöse Seite von Ehrbarkeitsvorstellungen im Bereich des Handwerks bis hin zur Adaption des adeligen Ehrbegriffs (honor) bei den mächtigen Geschlechtern, also Verwandtschaftsverbänden bzw. Familien. Religion ist für fast alle nur tauglich, wenn sie eine sehr weltliche Werteordnung einschließt. 

 

Ehrbarkeit: Der Konstanzer Patrizier Eberhard von Kreuzlingen verteilt Hauslehen nur an Leute, die er für ehrbar hält und die jährlich sechs Schillinge zahlen können. So sie Untermieter aufnehmen, die unehrenhaft und den Nachbarn nicht bequem sind, darf dieser Eberhard ihnen die Türen aushängen lassen und ihren Ofen zerschlagen. (so in: Keupp/Schwarz, S. 93)

 

Damit die einen Macht über Kapitaleinsatz genießen, die anderen Reichtum als Rentiers, ist die Arbeit der vielen nötig, als Handwerker, Gesellen, Dienstpersonal und Lohnarbeiter. Damit erhält Arbeit für die Herren in der Stadt immer größere Bedeutung und es wird immer deutlicher thematisiert, dass diese möglichst wohlfeil zu haben sein soll. Damit werden die zunehmend diffamiert und ausgegrenzt, die als Arbeitsverweigerer angesehen werden, welche Arbeit auf dem Markt verteuern, zum Beispiel mutmaßlich arbeitsfähige Bettler und Vagabunden, das Amüsiergewerbe usw.

Ihnen wird das vorgeworfen, was seit dem 15. Jahrhundert immer mehr mit dem Wort Müßiggang bezeichnet wird. Dazu gehören auf dem Weg in die Reformationen die Bettelmönche, aber auch schon mal Begarden oder Lollarden.

Zwischendrin taucht aber auch bei denen, die nicht dazu gehören, die Vorstellung von Rentiers, Adel und Fürsten als Müßiggängern auf.

 

Etwas anders stellt sich die Marginalisierung von Juden, Zigeunern, Henkern und anderen ehrlosen Leuten dar.

 

***Juden***

 

Da nun ehrbar/ehrlich und christlich zusammen gehören, also genau das, was der Jesus der Evangelien so massiv abgelehnt hatte, dann sind Nichtchristen, sogenannte Heiden bzw. Ketzer per definitionem nicht zugehörig. Daraus entsteht das Kuriosum, dass die Juden, nicht wenige darunter ein zunächst relevanter Teil des Finanzkapitals und mit überdurchschnittlichen Lese- und Schreibfähigkeiten, aufgrund ihrer Religion und ihrer entsprechend fremdartigen Gewohnheiten von vorneherein aus der Gemeindebildung ausgegrenzt sind. Dabei erlaubt ihre Religion ihnen eine viel unproblematischere Integration in kapitalistische Verhältnisse.

 

Andererseits sind Juden von derselben religiösen Arroganz wie Christen (und Muslime) beseelt. Während archaische Kulte im Prinzip nebeneinander bestehen und ihre Götter in den jeweiligen Götterhimmel integriert werden können, was die antiken Griechen und Römer auch so machen, sind monotheistische Religionen ihrem Wesen nach im Besitz einer unumstößlichen Wahrheit und darum unduldsam. Damit schließen beide Seiten jeweils die Eheschließung aus, sofern nicht der Partner zur "allein wahren" Religion übertritt. Unds alleine so schon ist die Integration der Juden in die städtischen Gemeinden ausgeschlossen.

 

Die so von beiden Seiten betriebene Ausgrenzung trennt also die religiösen Praktiken, die Verwandtschaftsverbände und die politischen Räume, in denen sich Juden bis ins 14. Jahrhundert mehr oder weniger selbst verwalten, dabei immer der christlichen Mehrheit untergeordnet. Von der Ausgrenzung zur Gewalttätigkeit der zahlenmäßig erheblich Überlegenen und zugleich religiös  Korrekten ist es nur ein kleiner Weg.

Wesentlich ideelle Gemeinschaft in ihrer ganzen Fragilität tendiert dazu, sich ebenso ideelle Feinde zu suchen, so wie ja auch der Krieg wesentliches Mittel der Nationenbildung wird. Der blühende Kapitalismus des späteren Mittelalters verunsichert zugleich, indem er tradierte Strukturen und Vorstellungen immer mehr in Frage stellt, was nichts mehr verdeutlicht als die immer weiter zunehmende Wertschätzung des Geldes mit seiner massiven Käuflichkeit der Menschen. Auf der Ebene der Städte antwortet darauf Hass auf Juden mit erheblichen damit verbundenen, fast kollektiven Wahnvorstellungen, eine Etage darüber wird das Entsprechende der Nationalismus tun.

 

Juden feiern andere Feste als Christen und tun dies zu anderen Zeiten, ihr heiliger Tag ist verschieden wie das ganze Brauchtum. Zunächst tragen Juden auch teilweise ihre traditionelle Tracht wie den spitzen Hut und eine spezielle Art, den Bart zu schneiden. Je mehr sie sich äußerlich angleichen, desto stärker werden sie auf ihre jüdischen Besonderheiten verpflichtet und schließlich auf sie kennzeichnende Abzeichen wie einen gelben Ring.

 

Eine grausame Art, die Minderwertigkeit der Juden zu demonstrieren, findet in den selten stattfindenden Todesstrafen der Hochgerichtsbarkeit statt. Juden werden fast immer mit der Ehrlosígkeit darstellenden Strafe des Hängens bedacht.

Dabei werden sie immer wieder (und manchmal bis durch das 17. Jahrhundert an den Füßen aufgehängt, was dazu führt, dass ihr Sterben sich über mehrere Tage hinziehen kann. Verkürzt wird ihr Leiden dann nicht selten, wenn neben ihnen ein oder zwei Hunde so aufgehängt werden, dass sie die Delinquenten langsam zerbeißen können. Gelegentlich, wenn sie den Kopf am Galgen oben behalten, so wird Nürnberg und Brünn davon berichtet, wird ihnen ein Hut mit heißem Pech über den Kopf gestülpt. (alles bei: SchubertRäuber, S.62) 

 

****

 

Juden, Kawertschen (aus Cahors) und Lombarden sind bei den hohen Herren beliebte Kreditgeber und sich kirchlichen Regeln entziehendes Finanzkapital. Nach den Pogromen auf Juden im Zusammenhang mit dem ersten Kreuzzug werden sie 1103 im Mainzer Reichslandfrieden unter besonderen Königsschutz gestellt. Derweil verurteilt sie kirchliche Lehre wegen Ablehnung Jesu als Messias und wegen der ihnen zugeordneten Schuld am Tod desselben zu "ewiger Knechtschaft" unter den Christen. Die Schutzformel Friedrich ("Barbarossas") wird dann von Kaiser Friedrich II. in die von der Kammerknechtschaft der Juden umformuliert: Schutz gegen eine regelmäßige Abgabe. Seit Rudolf von Habsburg kann diese auch verliehen bzw. verpfändet werden.

 

Verbote reduzieren vielerorts das Wirtschaften vieler Juden auf Kreditgeschäfte. Allein zwischen 1326 und 1328 leihen sie zum Beispiel jährlich der Stadt Freiburg rund 400 Silbermark, damit sie Verpflichtungen gegenüber ihrem Grafen nachkommen kann. Das ist pro Jahr deutlich mehr, als den reichen Freiburger Snewlin der Kauf von Burg und Dorf Zähringen kostet.

Konsequenterweise gibt es 1338 einen erweiterten Schutzbrief von Graf und städtischer Obrigkeit, der sogar die Diffamierung der Juden verbietet. Noch 1345 tritt Freiburg einem Bündnis gegen die antijüdische Armlederbewegung bei, die Leib und Leben der Juden bedroht.

 

Dass es dann zur allgemeinen Pogromwelle in großen Teilen Europas kommt, die 1347 in Südfrankreich beginnt, hat auch mit der Pest zu tun, aber der Hass auf Juden ist an vielen Orten schon älter. 1321 taucht im Reich des französischen Königs die Behauptung auf, Juden würden die Brunnen der Christen vergiften. Juden werden dort verbrannt und 1323 zur Gänze dort vertrieben. Ein deutliches Interesse an diesen Greueltaten belegt die Tatsache, dass ihre Vermögen dabei einkassiert werden.

1349 finden in deutschen Städten dann Judenprozesse statt, in denen mit Folter Geständnisse und Denunziationen erreicht werden und dann massenhafte Hinrichtungen neben den von interessierten Kreisen angezettelten Pogromen stattfinden. Das Interesse der Obrigkeit wird besonders in Freiburg/Breisgau deutlich, wo die Stadt beschließt, die Schulden der auch hier massenhaft getöteten Juden zu teilen. Fünf Pfund Pfennige sollen den Bürgern erlassen werden, den Rest der Schulden beansprucht hier nun die Stadt für sich. Offene Empörung in der Stadt dagegen wird mit brutaler Gewalt niedergeschlagen.

 

Im restlichen 14. Jahrhundert nehmen Restriktionen und Diffamierung gegen Juden zu. Gegen 1400 verbreitet sich eine zweite Beschuldigung, dass nämlich Juden christliche Klienkinder ermordeten, um ihr Blut rituell zu nutzen. Neue Verfolgungen setzen ein und kulminieren in kompletten Ausweisungen, wie zum Beispiel 1424 in Freiburg.

 

****

 

Einige Faktoren für die zeitweilig brutale Ausgrenzung der Juden aus der "christlichen" Stadt sind offensichtlich:

- Juden grenzen sich durch Religion und Brauchtum selbst massiv von ihrer christlichen Umgebung ab und pflegen als auserwähltes Volk Gottes eine für Christen schwer erträgliche Arroganz, die sich letztlich in Verachtung gegenüber den Christen äußert.

- Juden sind in Geldgeschäften sehr erfolgreich, wozu auch bessere Schulbildung beiträgt, und erregen so den Neid mancher Christen. Die im aufblühenden und dann im 14. Jahrhundert krisenhafter werdenden Kapitalismus zunehmend bei ihnen verschuldeten Bauern, Handwerker und Kapitaleigner bis hin zu den Stadtgemeinden können auf das Schnödeste die umlaufenden Greuelmärchen über Juden nutzen, um ihre Schulden durch Totschlag zu tilgen.

- Die von der Kirche zunehmend geduldeten Finanzaktivitäten insbesondere auch im Kreditgeschäft und beim Zinsnehmen ermöglichen "christlichem" Kapital, die Finanzaktivitäten von Juden zu ersetzen und diese dabei als Konkurrenz zu begreifen.

- Der triumphierende Gott des frühen und hohen Mittelalters ist inzwischen ersetzt durch den leidenden Gottessohn seiner Passionsgeschichte. Mit ihr gewinnt der Aspekt jüdischer Schuld an seinem Leiden an Gewicht. Umso stärker wird damit die Haltung, dass man Juden zur Konversion ins Christentum zwingen müsse, zur Not auch mit Zwangstaufen. Diese Haltung wird sich bis ins 16. Jahrhundert erst einmal noch verstärken, wie man nicht nur an den Texten Luthers erkennen kann.

 

Handfestes Interesse und Greuelpropaganda gehen hier Hand in Hand. Aber jenseits einer solchen offensichtlich rationalen Erklärung versteckt sich etwas anderes: Die Umwertung tradierter Werte durch den Kapitalismus, das Prinzip der Käuflichkeit einer sich ausweitenden Warenwelt verunsichert und verbreitet Angst. Diese wird von religiösen wie weltlichen Propagandisten für ihre Zwecke genutzt.

An den Judenwahn schließt sich der Hexenwahn an, für den schließlich dann insbesondere im 16. Jahrhundert eine ähnliche Greuelpropaganda entwickelt wird, auch wenn diese teilweise auf dem Lande erfolgreicher eingesetzt werden kann als in der Stadt.

 

Eine in zunehmende Untertänigkeit gezwungene Bevölkerungsmehrheit, regelmäßig von Hungersnot, Seuchen und Kriegen belastet, mehr oder weniger unfähig, sich anders als durch Wanderprediger und andere Propagandisten samt folgender Buschtrommel zu informieren, von wichtigen Informationen völlig ausgeschlossen (und das bis heute immer mehr), wird zum Mob, der nur darauf wartet, dass rhetorisch geschickte Demagogen seine vagabundierenden Ängste in Aggressionen verwandeln, die dann lustvoll ausagiert werden können.

 

Was für das Athen des fünften Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung und wenige Jahrhunderte später das Rom der Bürgerkriege hinreichend beschrieben ist, Demagogie, Massenhysterie und allgemeine Verblödung, taucht unter kapitalistischen Vorzeichen eben nicht mehr nur gelegentlich, sondern als Normalfall auf. Was bei diesen Massen fehlt, sind hinreichende Konsumangebote als Gratifikation für lange Arbeitstage, harte Arbeit und immer wiederkehrende Zeiten der Not. Dass die aber auch nicht dauerhaft ausreichen, belegt die Gegenwart des 21. Jahrhunderts.

 

***Zigeuner***

 

Anfang des 15. Jahrhunderts tauchen entweder über Ägypten (weswegen die Engländer sie gypsies nennen) oder über Byzanz und den Balkan kleine Volksgruppen auf, die sich mit den merkwürdigsten Herkunftsgeschichten ausweisen wollen. 1422 tauchen sie zum Beispiel im Markgräflerland auf. Meist gehen sie in die Sprachen als Zigeuner, bzw. im Ungarischen cigány, Französischen gitans und spanisch gitanos ein.

 

Im heutigen Restdeutschland versuchen die Vertreter eines als politisch korrekt deklarierten Newspeak mit aller ihnen zur Verfügung stehenden Macht diese Bezeichnung (wie viele andere) zu diffamieren, woran ich mich hier nicht beteilige, da ich mich weder als politisch noch gar als politisch korrekt einordnen möchte, sondern eine dem Erkenntnisinteresse geschuldete Haltung einnehme. Es genüge hier, darauf zu verweisen, dass politisch korrekter Bekenntnisdrang samt Diffamierung derer, die daran nicht teilnehmen, genauso wie religiöse Propaganda und religiös motivierte Unterdrückung dem Geist der Aufklärung und einer Wissenschaftlichkeit widersprechen, die sich allerdings gerade in deutschen Landen noch weniger als sonstwo durchsetzen konnten.

 

Diese Großsippen oder kleine Stammesverbände, von denen man heute annimmt, dass sie aus Indien stammen, stoßen schnell auf ein Unverständnis, welches darauf beruht, dass man im Unterschied zu den Juden kaum Zugang zu ihnen findet: Sie bleiben draußen, möchten auch gar nicht dazu gehören.

Hatten die Juden sich schon in das antik-römische Imperium und seine städtische Welt soweit integriert, dass sie bis zum Sieg des Christentums dort relativ ungestört leben konnten und danach sich in die städtische Zivilisation von Nachantike und Mittelalter einbetten, bis sie vorwiegend in den slawischen Raum fliehen müssen, so behalten die verschiedenen Zigeunersippen ihr Wanderleben bei und stoßen soweit mit den neuartigen städtischen Gemeinden kaum zusammen.

 

Das Wanderleben mit Zelten und Wagen verhindert produktives Arbeiten und erlaubt vor allem Kleinhandel, wohl auch kleinere Diebstähle, den seßhaften Einheimischen begegnen sie mit derselben Verachtung, die auch Juden und Christen sich gegenseitig bezeugen, und ihnen werden immer wieder neu Mischungen aus Verachtung und Faszination entgegengebracht. Die andere Kleidung, Musik und Sprache wird aber auch als exotisch bewundert, die vermutete Lebensfreude eines ebenso armseligen wie fast mühelos erscheinenden Daseins führen auch zu Neid, der sich mit Ablehnung paart. Musik- und Tanzvorführungen, Taschenspielerei und Wahrsagerei finden aber auch Kundschaft, so dass sie zum Lebensunterhalt der Leute beitragen.

 

Auch zu ihren eigenartig synkretistischen Glaubensvorstellungen mit christlichen Elementen gibt es bis ins 18./19. Jahrhundert kaum Zugang.

 

1498 werden sie auf dem Reichstag zu Freiburg im Falle, dass sie nicht das Reich verlassen, für vogelfrei erklärt. Das hindert sie aber nicht, dort weiter herum zu reisen, dabei immer wieder aufgegriffen und vertrieben zu werden - und das bis ins 20. Jahrhundert.

 

***Henker***

 

Zur Ausgrenzung unter religiösen Vorzeichen kommen Formen der Abgrenzung des zünftigen Handwerks gegen mehr oder weniger unehrliche Berufe. Dazu gehören der Müller und der Henker, die beide entsprechend auch außerhalb der Stadtmauern wohnen (müssen).

 

Der Beruf des Henkers entsteht in deutschen Landen gegen Ende des 13. und dann vor allem im 14. Jahrhundert mit der Zunahme der Bedeutung der Strafe vor der des Sühnens. Indem Obrigkeit zunehmend dem Geschädigten seinen Anspruch auf Entschädigung nimmt, also dem Opfer oder seinen Erben ihre Ansprüche raubt, nimmt es ihm auch nach und nach seinen Anteil an Rechtsprechung und folgendem Strafvollzug. Der sich ausbreitende Staat (Stadt / Fürstentum) übernimmt also die Opferrolle und entrechtet das wirkliche Opfer, eine Situation, die bis heute anhält.

 

Da der Strafvollzug in den Städten so immer mehr professionalisiert und zugleich eine Sache der Obrigkeit wird, wird er im Laufe der Zeit aus der Sphäre jener Ehrlichkeit ausgegrenzt, die sich das Handwerk selbst setzt. Auf dem Lande hingegen bleibt er noch länger in der Hand der Dorfgemeinschaft.

 

Mit der Ausgrenzung des Henkers samt des Schinders und seiner/ihrer Behausung kommt auch die seines Arbeitsplatzes: Immer solider gebaute Galgen als Symbol der obrigkeitlichen Hochgerichtsbarkeit entstehen auf Anhöhen oder an Kreuzwegen weithin sichtbar. Die Körper bleiben hängen, bis die Gebeine zu Boden fallen und dann vom Henker bzw. Schinder zusammen gefegt und in der Nähe verscharrt werden.

 

Die Ausgrenzung von Henker und Schinder ist verbunden mit seiner Beauftragung mit eher anrüchigen Tätigkeiten. In nicht wenigen Städten wird er für die Säuberung der Kloaken zuständig, mit der Überwachung des Glücksspiels oder der Vertreibung herumwandernder Huren, was konsequenterweise dazu führen kann, dass er die Aufsicht über die legalen Bordelle übernimmt. Selbst das Einfangen und Töten der vielen herumstreunenden Hunde kann zu seiner Aufgabe erklärt werden.

"Der Nachrichter steht in der spätmittelalterlichen Stadt - oft durchaus zu Recht - im Geruch der Kriminalität. In Emden zum Beispiel betreibt er eine bodelye, eine über beleumundete Schenke, einen Treffpunkt der Unterwelt, eine Stätte von Mord und Totschlag. Henker sind im Spätmittelalter oft selbst straffällig geworden." (SchubertRäuber, S.72)

 

 

Stadtgemeinde in deutschen Landen

 

Die herrschaftliche Macht in vielen größeren Städten verlagerte sich im hohen Mittelalter schrittweise von den Stadtherren auf eine städtische Oberschicht, die wirtschaftlich aus größeren Kapitaleignern besteht und rechtlich ursprünglich aus zunächst noch unfreien Dienstleuten der Herren, Ministeriale, die sich mit freien Kapitalisten zu einer Gruppe vereinen, die im späten Mittelalter die neue Obrigkeit bilden. Diese Leute  entwickeln ein dem Adel verwandtes stolzes Bewusstsein von der eigenen Herkunft, die gelegentlich so geschönt wird wie bei jenen. Als quasi adelige Geschlechter schließen sie sich von der übrigen städtischen Bevölkerung ab und übernehmen auch dem Adel abgeschaute Lebensformen. Wo dieser Abschluss auch das Heiratsverhalten betrifft, werden sie zu dem, was manchmal dann als Patriziat bezeichnet wird.

 

Diese Geschlechter sind meist in ihrer gemeinsamen Machtausübung solidarisch gegenüber der Masse der nun von ihnen unterdrückten städtischen Bevölkerung, konkurrieren aber wie schon lange zuvor in Italien immer wieder auch miteinander, was zu erheblichen Gewaltausbrüchen und Fehden führen kann. Da sie Klientelen mit ähnlichen Funktionen wie adelige Gefolgschaften bilden, und sich ähnlich bewaffnen und in eigenen Turnieren ihre Gewalttätigkeit üben, bricht immer einmal wieder ein gewalttätiger Konflikt in den größeren Städten aus.

Die früh schon formulierte Idee der Stadt als Friedensraum gewinnt also nur eingeschränkt Wirklichkeit, so wie die Landfriedensvorstellungen keinen dauerhaften Frieden eines Landes bewirken. Da den Menschen und besonders den Männern grundsätzlich aber physische Aggression und Gewaltausübung von Natur her mitgegeben ist, gelingt es der neuen Obrigkeit auch bei den untergebenen Städtern nicht, Gewaltausbrüche zu verhindern, so wenig wie in den heutigen (tendenziell totalitären) Demokratien. Physische Gewalt und die oft härtere physische Arbeit der meisten Männer in der Stadt scheint dahin zu führen, dass in spätmittelalterlichen Städten anders als früher ein Frauenüberschuss entsteht.

 

Nicht in allen größeren Städten geht die "politische" Macht auf einen Rat über. In Würzburg bleibt die Macht beim Bischof, der einem Rat nur eingeschränkte Kompetenzen zugesteht. Bamberg bleibt ohne geschlossene Stadtmauer und ein eigenes Stadtrecht. In Mainz erobert sich 1462 der Erzbischof die Stadtherrschaft zurück.

 

***Politisierte Zünfte und Erweiterung der Obrigkeit***

 

Politisierung der Zünfte bedeutet ihre Ausformung so, dass sie für politische Teilhabe an der Macht in der Stadt taugen. Dazu gehört für immer mehr Leute der Zwang zur Mitgliedschaft, wobei die einzelne Zunft zunehmend mehrere Gewerbe umfasst.

In die Mitgliedschaft muss man sich einkaufen, wobei der Reichtum des Handwerks den Eintrittspreis bestimmt. In Freiburg/Breisgau werden die Aufnahmegebühren 1468 so festgelegt, dass Metzger und Goldschmiede sechs Pfund Pfennig bezahlen und die armen Rebleute ein Pfund Pfennig. Als man dann versucht, arme Leute von der Stadt fernzuhalten, erhöht man letzteren Satz und zwingt immer mehr Leute in die Zünfte. (Freiburg, S.581)

 

Dort, wo Zünfte Teil des städtischen Machtapparates werden, sind Zunftmeister nach erstmaliger Wahl verpflichtet, Bürger ihrer Stadt zu werden, was sie oft noch nicht sind. Nach ihrer Wahl werden sie wie in Freiburg vom Rat auf Tauglichkeit überprüft und manchmal auch abgelehnt. Werden sie genehmigt, müssen sie amtieren und dürfen nur danach für ein Jahr pausieren. An die Spitze der Zunftmeister tritt dann der Obristzunftmeister (wie er in Freiburg heißt), der im Falle des Krieges den Befehl über die städtischen Milizen hat.

 

In Freiburg gibt es neben dem Zunftmeister "in jeder Zunft weitere Ehrenämter, von denen das der Ächtwer das bedeutendste ist. Es handelt sich hierbei um einen Ausschuss von acht Zunftmitgliedern, die sich aus den in den Rat entsandten Zusätzen, den alten Zunftmeistern sowie aus Zünftigen, die dem Rat noch nicht oder auch nie angehören, zusammensetzen. Die Ächtwer unterstützen den Zunftmeister bei Leitungs- und Verwaltungsaufgaben. EWenn im Rat finanz- und steuerpolitische oder andere wichtige Entscheidungen anstehen, müssen die Ächtwer aus allen Zünften zugezogen werden. (...) 1481 beschließt der Rat, die Ächtwer in allen Zünften von ihren Amtsvorgängern ernennen zu lassen." (Freiburg, S.582)

 

Die Machtergreifung des großen Kapitals in den größeren Städten wurde offensichtlich zunächst von den neuartigen städtischen Untertanen als Fortschritt begriffen, da es die Gemeindebildung und Selbstverwaltung vorantrieb. Zudem gab es beim Anwachsen der städtischen Bevölkerung und Wirtschaft zunehmenden Regelungsbedarf, und zunächst waren wohl die regierenden Cliquen ohnehin die einzigen, die dazu imstande waren. Aber überall dort, wo Teile des Handels- und Finanzkapitals von der politischen Macht ausgeschlossen bleiben und zugleich einzelne Handwerkerzweige wohlhabender werden und ihre Zünfte stärker von reinen Berufsgenossenschaften zu politischen Einheiten werden, kommt es zu Forderungen nach politischer Partizipation, die des öfteren mit Gewalt ausgetragen werden.

 

Im Kern geht es nicht darum, das Großkapital bzw. ein Patriziat von der Macht auszuschließen, und eine Teilhabe der meisten produktiven Gewerbe ist mangels Zeit, Geld und alleine schon deshalb auch Kenntnissen praktisch ausgeschlossen. Im Ergebnis wollen die Produzenten meist nur eine stärkere Berücksichtigung ihrer Interessen. Selbst dort, wo es vor allem in Süddeutschland zu einer Zunftverfassung kommt, wie in Freiburg/Breisgau 1388, partizipiert Patriziat bzw. größeres Kapital in nun eigenen Zünften oder Gilden an dieser. Und so wie es dem großen Kapital im zwanzigsten Jahrhundert gelingen wird, Arbeitervertreter auf ihre Seite zu ziehen, so geschieht das mit der Vertretung der produktiven Arbeit schon im späten Mittelalter.

 

Was man immerhin manchmal dabei gewinnt, ist die Abschaffung schierer Kooptation im Rat oder die lebenslanger automatischer Mitgliedschaft der Patrizier, oft ist es auch nur die Mitgliedschaft in einem erweiterten Rat. In vielen Hansestädten, aber zum Beispiel auch in Nürnberg regiert das Patriziat oder zumindest eine kleine Ratsclique in unterschiedlicher Form alleine weiter.

 

Am Beispiel Kölns lässt sich schön verfolgen, in welchem Maße in Städten die politische Integration der Zünfte immer totalitärere Züge neuzeitlicher Staatlichkeit befördert. Hier führen die gewalttätigen Auseinandersetzungen mehrerer alter Geschlechter, ähnlich wie Generationen zuvor in Straßburg, 1396 zur Erhebung einer kommunalen Bewegung, die die alleinige Macht von Richerzeche und Schöffen bricht und das politische Stadtbürgertum dann in 22 Gaffeln (politisierte Zünfte) einteilt, die nach ihrer wirtschaftlichen Bedeutung für die Stadt einen oder zwei Ratssitze zugeteilt bekommen, das Wollenamt sogar vier (in: Hergemöller, S.380ff, siehe auch: Schulz, S.65). Diese sechsunddreißig kooptieren dann jeweils 13 weitere Ratsherren, sogenannte Gebrachtsherren, um das Gewicht der traditionell mächtigen Familien zu stärken und dieser Rat wählt schließlich zwei Bürgermeister. Als zusätzliches Kontrollorgan wählt jede Gaffel zwei Vertreter in einen Rat der Vierundvierzig, der beim Beschluss über Krieg und Frieden, Bündnissen und sehr großen Ausgaben des Rates mitwirken darf.

Alles halbe Jahr wird die Hälfte des Rates neu gewählt, wobei die Abgetretenen erst im dritten Jahr wieder neugewählt werden können.

 

Im 'Verbundbrief' dieser Stadtverfassung wird zudem eine Pflicht zur Zugehörigkeit zu einer der Gaffeln für alle Haushaltsvorstände festgelegt, in der dann Rechte und Pflichten wahrzunehmen seien (§13a). Damit ist wie in anderen Städten der Zeit die politische Zwangsmitgliedschaft eingeführt, wie wir sie noch heute als de-facto-Zwang zur Staatsbürgerschaft kennen. Das Recht wird hier also vollkommen von der de-facto-Unterwerfung unter eine kleine, aber einflussreiche Obrigkeit abhängig gemacht, die Vollmacht bis in Details des stadtbürgerlichen Alltags wie Religion, Familienleben, Gewerbe, Militär, Festivitäten hat. Der steyde ere ind vryheit (...) ind eyn gemeyne beste als hohes Gut in Köln (Hergemöller, S.384) formuliert (Lokal)Patriotismus als Untertänigkeit der Untertanen (getruwe ind hoult zo sijn) in der neuen Staatlichkeit.

 

Tatsächlich geht die politische Cliquenbildung der Reichen und Mächtigen in Köln in Hinterzimmern immer weiter, was zu ständig neuen Beschwerden führt, die keine Abhilfe schaffen.

 

In Augsburg stehen im Oktober 1368 Handwerker gegen die Herrschaft der Geschlechter auf. Es geht úm neue Steuerbelastungen, zum Beispiel die Einführung eines Wein-Ungeldes. Die Aufrührer besetzen die Stadttore, organisieren Nachtwachen und bilden einen Sechserausschuss aus je einem Vertreter der Weber, Kürschner, Metzger, Kaufleute und Bierbrauer. Der Rat übergibt die Schlüssel der Stadt, Stadtsiegel und Stadtbuch. Für die Handwerker soll eine alte Ordnung wiederhergestellt werden.

Wie eine Zunftherrschaft aussehen soll, wird durch Boten in süddeutschen Städten erkundet. Im Dezember wird der Zweite Zunftbrief beschlossen: "Die Gemeinde hatte 18 Zünfte zu bilden, deren Zunftmeister dem Rat angehörten, größere Zünfte konnten zwei Vertreter entsenden, sodass schließlich 29 Mitglieder der Zünfte Ratsstühle besetzten." (Fuhrmann, S.236) Dazu kommen 15 Vertreter der Geschlechter, die aufgrund ihres Einkommens aus Grund- und Geldbesitz keiner Zunft beitreten wollen.

 

Auf friedliche Weise wird eine Schwurgemeinschaft aus Handwerk und Geschlechtern eingeführt, in der die Zünfte eine Mehrheit im Rat gewinnen und das Recht, die Patrizier dort hinein zu wählen. Darüber hinaus gibt es einen patrizischen und einen zünftigen Bürgermeister, und dasselbe gilt für Baumeister, Steuermeister und Siegler. Der Rat bekommt Rechenschaftspflicht in Finanzsachen gegenüber der Gemeinde auferlegt und darf in Zukunft kein Ungeld mehr erheben.

 

1342 kommt es in Konstanz zum bewaffneten Zusammenstoß zwischen Patriziern und darunter stehenden Gewerbetreibenden. Aber als dauerhafter Erfolg ist nur die Anerkennung von immer mehr Zünften zu verzeichnen. Bald können nur noch Zunftmitglieder das Bürgerrecht erwerben. 1370 kommt es zu einem erneuten Aufstand. Ein Schlichterspruch besagt, dass nun die Hälfte der Ratssitze an die Zünfte gehen soll. Anfang des 15. Jahrhunderts besetzen sie dann tatsächlich zwei Drittel der Ratsstellen.

1420 kommt es wieder einmal zum Kampf gegen den Eintritt von reichen Zunftbürgern in die Gesellschaft der alten Geschlechter. Diese verlassen zusammen mit mehr als 30 Patriziern die Stadt. 1425 versucht der Rat die großen Handelsgesellschaften zu zerschlagen. Viele Leute aus ihnen verlassen darauf die Stadt, und 1429 muss der Rat klein beigeben. Wenig später sollen erneut Zunftmitglieder bestraft werden, die sich denen 'Zur Katz' anschließen. Erneut verlassen 42 Gesellen der Patrizier-Gesellschaft die Stadt.

1430 dringen rund 600 Handwerker in Wohnungen von Juden ein, setzen einen Teil gefangen und reißen dann die Macht in der Stadt an sich. Darauf schreitet König Sigismund in seiner Reichsstadt ein, reduziert die Macht der Zünfte und stellt das alte Regiment aus 50% Patriziern und 50% Zunftvertretern wieder her, welches sich nun als dauerhaft erweist. (alles nach Keupp/Schwarz, S.155ff)

 

In Ulm setzen die Zünfte 1397 den 'Großen Schwörbrief' durch, mit dem die nun 14 Zünfte einen bis drei Ratsherren entsenden, neben zehn nicht zünftigen Räten. Mitte des 16. Jahrhunderts wird Karl V. den Schwörbrief aufheben und die Zunftrechte wieder beschneiden.

 

In Trier wird nach schweren Unruhen, die als Machtkämpfe zwischen den vier großen Ämtern (Zünften, und zwar der Weber, Metzger, Bäcker und Schuhmacher) und neun kleinen Ämtern ausgebrochen waren, 1434 ein Rat gebildet, den jeweils sieben gewählte Vertreter der beiden Gruppen, zwei Vertreter der Jakobi-Bruderschaft und die beiden Bürgermeister wählen und der dann durch die Schöffen ergänzt wird.

 

Zumindest die mächtigeren Zünfte, nun völlig politisiert, mit ihren durch Wohlhabenheit hervortretenden Spitzen kontrollieren jetzt solche Städte. Andererseits entsteht eine bürgerliche Öffentlichkeit: „Die in den Zunft- und Gaffelhäusern anzutreffende politische Öffentlichkeit hatte ein spürbares Gewicht erlangt. Die hier geführten Diskussionen prägten spätere Stellungsnahmen im Rat, so dass sich der Ratsherr der entsprechenden Gaffel oder Zunft besser nicht allzuweit von der dort herrschenden Meinung und Stimmung entfernte. Viele der im Rat getroffenen Entscheidungen lassen den Bezug und die Rücksichtsnahme auf das, was man die Zunftöffentlichkeit nennen könnte, erkennen.“ (Schulz, S.66)

Diese Öffentlichkeit ist aber geprägt von dem Einfluss der Reichen und Mächtigen, die Opposition zu einer Sache von Heimlichkeiten hin ersticken kann. Was da stattfindet, ist eine oberflächliche, aber keine handfeste Beteiligung des durchschnittlichen kleinen Handwerkers. Schulz spricht darum davon, dass eine solche Verfassung nur „eine neue Führungsschicht und ansatzweise wiederum eine Oligarchie“ hervorbringt (s.o.)

 

Während in einigen Städten die alte bürgerliche Oberschicht in die Zünfte integriert wird, entstehen anderswo gemische Verfassungen. Nach schweren Unruhen teilt sich 1375 die politische Macht in Nordhausen in 25 Ratsmannen und 3 Ratsmeister, die durch die Handwerksmeister gewählt werden, während der Rest, "die Gemeinde" (gemeyne) durch ein Viermännergremium und einen Ratsmeister vertreten wird, sowie durch zwei von sechs Kämmerern und durch einen von zwei Vertretern der übrigen städtischen Ämter (in: Hergemöller, S.374ff). Ähnlich werden in Marburg 1428 zwölf Schöffen und die Vier aus der Gemeinde eingesetzt, wobei die Schöffen immerhin aus den Vieren einen Unterbürgermeister wählen (in: Hergemöller, S.406ff).

In Heilbronn geht der halbe Rat an die Mitglieder der Zünfte, die andere Hälfte an die patrizischen Geschlechter.

 

Die große Zeit des Einflusses der Zünfte im 14. und 15. Jahrhundert betrifft ohnehin nur wenige Gegenden und einige darüber hinaus existierende Städte. Von einer mächtigen Kaufmannschaft kontrollierte Handelsstädte wie Nürnberg, Frankfurt, Lübeck oder Hamburg bleiben weithin frei von zünftigem Mitwirken im Rat. Im Osten, von Mecklenburg bis Österreich, bleiben Zünfte über ihre eigenen Belange hinaus einflusslos, bis sie Mitte des 16. Jahrhunderts dann vom Kaiser mehr oder weniger verboten werden.

 

In den norddeutschen Hansestädten, durchweg von einer reichen Kaufmannschaft kontrolliert, versuchen Handwerker meist vergebens durch Aufstände in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts Einfluss auf die Ratsverfassung zu bekommen. Aber wie die Braunschweiger Schicht des Rades 1374-86 belegt, geht es weniger um "demokratische" Repräsentanz als um wirtschaftliche Interessen, und zwar um die hohen Steuern, die bislang für den Erwerb von immer mehr Umland ausgegeben werden. Aktuell geht es um die Lösegeldzahlungen aus einer Fehde gegen das Erzbistum Magdeburg und ihre Finanzierung durch Steuererhöhungen.

Bei einem Treffen vom Rat aus den alten Geschlechtern, der im wesentlichen aus den Spitzen der Einwohnerschaft der vornehmen Altstadt besteht, und Gildevertretern ist 1374 zu hören, diese sollten verhaftet und womöglich getötet werden. Bei einem Auflauf von Gildemitgliedern, den Schichtmekern vor allem aus wohlhabendem Bürgertum werden zahlreiche Geschlechtervertreter gefangen genommen und acht oder neun von ihnen getötet. Deren Vermögen und das anderer Reicher, die nicht rechtzeitig geflohen sind, wird eingezogen.

 

1376 beschließen die Räte anderer Hansestädte die Verhansung Braunschweigs, also die Rechtlosigkeit der Stadt und ihrer Kaufleute. Der wirtschaftliche Schaden erweist sich bald als groß. Durch Vermittlung anderer Städte können die Vertriebenen schließlich zurückkehren.

Bis 1386 wird dann eine neue Verfassung etabliert, die in den inneren Rat Vertreter aller fünf "Weichbilde"aufnimmt und in den Gesamtrat Vertreter vieler Gewerbe. Die Elite sind nun nicht mehr Kaufleute, die für eine aristokratische Lebensweise Interesse an immer mehr Landbesitz haben, sondern solche, die ihre Einkünfte weiter kapitalisieren. (Olaf Mörke in: Beiträge 2, S.149f)

 

In der Regel wird dem Handwerk in Hansestädten schon einmal zeitweise eine deutliche Minderheit von Ratssitzen konzediert, aber die Vereinigung der Hanse war auch dadurch gekennzeichnet, dass sie gegenseitige Unterstützung für ein jeweils bedrohtes Patriziat versprach. 1417 und 18 wird dann auf zwei großen Hansetagen von 35 Städten unter Beisein des Kaisers, des Deutschen Ordens und einiger Fürsten eine Art "Verfassung" (Schulz) beschlossen, die auch das Versprechen enthielt, "jede Unruhe und jeden Umsturzversuch in einer Stadt mit allen Mitteln (Verhansung, Todesstrafe) zu verhindern.

 

Nachdem die Räte die Aufsicht über die Zünfte gewinnen, setzen sie besonders im 15. Jahrhundert gelegentlich Höchstzahlen für einzelne Gewerbe fest und erschweren so den Zunftzugang (oder erleichtern ihn gegebenenfalls).

 

***Verfassung***

 

Der hochmittelalterliche Begriff Gemeinde, Kommune, bedeutet in größeren Städten bald nichts anderes mehr als wirtschaftlich gesehen die Machtübernahme des großen Kapitals und politisch gesehen die Machtausübung weniger Geschlechter. Nicht nur die Frauen, sondern auch fast alle Produzenten und der größte Teil des Detailhandels, also fast alle Menschen sind vom politischen Geschehen ausgeschlossen. Sie gelten als unwürdig und unfähig zur Partizipation. Dort, wo es Zünften im späten Mittelalter gelingt, zur Teilhabe an der Macht aufzusteigen, werden diese schnell in die obrigkeitsstaatlichen Vorstellungen integriert und tendieren zur Entrechtung ihrer Mitglieder. Dazu gehört, dass sie mit dem Patriziat eine gemeinsame Oligarchie bilden und wie deren Vertreter auf Lebenszeit gewählt werden. In reinen Zunftverfassungen der politischen Stadt werden die Patrizier in einer Zunft zusammengefasst, von der aus sie weiter erhebliche Macht ausüben können.

 

Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass das rein produktive Gewerbe, von kurzen Phasen abgesehen und abgesehen von hochkapitalisierten Ausnahmen, von der politischen Macht ferngehalten bleibt, und das auch dort, wo Zünfte an der Macht partizipieren oder einzelne Handwerker in Räte aufsteigen. Zunftverfassungen der Städte bedeuten also keine Machtübernahme der produktiven Gewerbe, sondern den Übergang reicher und mächtiger Chefs einiger Zünfte in eine elitäre Machtelite. In Straßburg zum Beispiel führt das zu immer wiederkehrenden Konflikten über die Modalitäten des Übergangs in den Kreis der Konstofler (Isenmann, S.280f).

 

Da Räte nicht oder fast nicht bezahlt werden und zudem ein Fernbleiben von Ratssitzungen kaum erlaubt ist, Ratssitzungen in großen Städten am Ende des Mittelalters sogar wie in Nürnberg täglich stattfinden, und die Ratsherren viele darüber hinausgehende Ämter und Aufgaben übernehmen, ist die Beteiligung von Handwerkern und kleineren Kaufleuten kaum möglich. "Als die Handwerker in Rothenburg/Tauber 1450 ihre Ratsmitgliedschaft erzwangen , sahen sie sich bereits nach fünf Wochen genötigt, ihre Ämter niederzulegen, da ihnen die dringend benötigten Einkünfte aus ihrer Erwerbstätigkeit fehlten." (Fuhrmann, S.157)

 

Umgekehrt ist eine patrizische Verfassung nicht mit Behinderung des Handwerks auf der wirtschaftlichen Ebene verbunden. Wenn in Lübeck der Einfluss der Zünfte gering bleibt, heißt das nicht, dass das Handwerk nicht geschützt und gefördert wird. Priorität in der städtischen Politik hat aber die Förderung der Interessen des größeren Handels- und Finanzkapitals. Wichtigstes Mittel dafür ist die Herstellung der Freiheit von Zöllen und Abgaben auf zentralen Handelswegen, wofür sowohl Diplomatie wie militärische Gewalt eingesetzt werden, wie Nürnberg mustergültig zeigt.

 

In das oligarchische Stadtregiment passen die Strukturen der Zünfte gut hinein. Mancherorts wird zwar von der Versammlung der Meister der Zunftmeister und ein ihn begleitender Ausschuss meist für ein Jahr gewählt, aber dieser kontrolliert dann die Finanzen, kommandiert gegebenenfalls in Kriegs- und Feuerwehreinsätzen und ist für Streitschlichtung und Rechtsprechung zuständig, sowohl was die internen Konflikte der Zunft wie die Gewerbegerichtsbarkeit betrifft.

Im 15. Jahrhundert wird in Basel der Zwölferausschuss aus amtierenden und abtretenden Sechsern zu einem sich selbst wählenden Gremium mit praktisch lebenslanger Mitgliedschaft, in dem die jährlich alternierenden Zunftmeister gewählt werden. Auf diese Weise wird die Zunft von einer Zunftoligarchie beherrscht (Isenmann, S.316), die wiederum dem Rat der Stadt unterstellt ist und mit diesem kooperiert.

 

Insofern tendieren sogenannte Zunftverfassungen dazu, sich nicht wesentlich von solchen des großen Kapitals zu unterscheiden oder von betont patrizischem Stadtregiment wie in Nürnberg. Dort gehören bis ins 14. Jahrhundert die meisten Handwerke zu den sogenannten freien Künsten, bis ein Teil von ihnen dann durch den Rat reguliert wird. Gewerbliche Selbstorganisation und Brunderschaften sind verboten.

Daneben entstehen aus manchen von ihnen die geschworenen Handwerke, die sich durch einen vom Rat ausgesuchten und von ihm auf Treue und Gehorsam eingeschworenen Meister auszeichnen, der im Sinne des Rates das jeweilige Handwerk beaufsichtigt.

Eine dritte Gruppe sind rund 30 gesperrte Handwerke, das heißt solche, die als Exporthandwerke für den Großhandel so wichtig sind, dass Gesellen und Meister die Stadt nur mit Erlaubnis des Rates verlassen und keine Produktionsgeheimnisse nach außen tragen dürfen. Dazu gehören die für Nürnberg so wichtigen Metallhandwerke und solche, die Luxusgegenstände herstellen. Sie dürfen keine eigene Kasse und kein eigenes Haus besitzen, Zusammenkünfte müssen vom Rat genehmigt und beaufsicht werden, ebenso wie jeder Briefwechsel.

Solche gesperrte Handwerke werden in Lübeck die Bernstein verarbeitenden Paternostermacher (Rosenkränze) und viele Handwerke in Rothenburg/Tauber.

 

Formalrechtlich ist in vielen großen Städten des Reiches der Rat Haupt und Zentrum der politischen Macht. In ihn gelangt man nur, wenn man Kriterien einer Ratsfähigkeit erlangt. Dazu gehören Besitz, Einkommen und Abkömmlichkeit, was den gemeinen Handwerksmeister explizit oder indirekt ausschließt. Im Norden der deutschen Lande, wo eine Politisierung der Zünfte oft unterbunden wird, sind sie ohnehin nicht ratsfähig. Bremische "Ratsherren mussten für städtische Zwecke ein Pferd im Wert von 3 m (1303/08) bis 15 m (1428)  halten, gegen Zins eine Rente der Stadt einlösen oder dem Rat eine bestimmte Geldsumme leihen (16 m) und zum Mauerbau beitragen (1398: 4 m). Außerdem war Grundbesitz in der Stadt im Wert von 32 m (1330), später (1398, 1428, 1433) im Wert von mindestens 100 m vorausgesetzt." (Isenmann, S.259)

So detailliert ist das nicht überall, aber im Kern gleichen sich darin vor allem die norddeutschen die Verfassungen.

 

Die Obrigkeit (oberkeit) als politische Herrschaft von mächtigen Fraktionen des größeren Kapitals, als Stadtregiment, gliedert sich, nicht ganz anders als in der Nordhälfte Italiens, zunehmend aus dem Geschehen im Stadtrat aus und wird in kleine Ratsausschüsse, "geheime Stuben" und ähnliches verlagert. "Es handelt sich dabei um Gremien, in denen häufig auf Lebenszeit gewählte, geschäftserfahrene Ratsherren finanzwirtschaftliche, militärische und außenpolitische Aufgabenbereiche übernehmen, als Geheimnisträger keiner ständigen Rechenschaftspflicht gegenüber dem Rat unterliegen und wichtige Entscheidungen ohne Befragung von Kleinem Rat oder Großem Rat treffen oder den Rat doch wenigstens präjudizieren." (Isenmann, S.131)

 

In Straßburg regieren so drei "geheime Stuben" im 15. Jahrhundert. Da ist ein auf Lebenszeit besetztes Kollegium der "Dreizehner", welches als "Neuner" zu nächst Kriegführung und Außenpolitik betraf und nun zur zentralen Exekutive wird, die sich aus vier Patriziern (Konstoflern), vier Altammeistern und weiteren vier Zunftangehörigen zusammensetzt, allesamt vom Rat ausgesucht. Kontrolliert wird das ganze Stadtregiment von einem Kollegium der "Fünfzehner" aus fünf Patriziern und zehn Zunftbürgern, die allesamt dem Rat nicht angehören dürfen und neue Mitglieder kooptieren.Zudem besitzen sie die Gesetzgebungsinitiative. Schließlich gibt es noch eine Art Ältestenrat, der gelegentlich zur Beratung vom Großen Rat einberufen wird und dessen Mitglieder den Räten der Dreizehner und Fünfzehner entstammen und ebenfalls lebenslänglich eingesetzt sind. Immerhin gibt es eine Art Gemeindevertretung der Schöffen, wobei 20 Zünfte jeweils 15 Mitglieder entsenden. Sie muss aber vom Großen Rat einberufen werden und entscheidet nur über das, was der Rat ihr vorlegt.

 

Hier werden in manchem Strukturen heutiger Demokratien vorweggenommen, in denen wesentliche Entscheidungen außerhalb der eigentlichen Verfassungsorgane und hinter dem Rücken der Öffentlichkeit stattfinden. Das beste Beispiel dafür heute in der BRD ist, dass die verdeckt stattfindende zigmillionenfache Auffüllung der bundesdeutschen Bevölkerung durch außereuropäische Völkerscharen und die Verwandlung in einen Vielvölkerstaat nie von einer demokratischen Beschlussfassung begleitet war.

 

Nicht vom Rat besetzt, aber von ihm eingesetzt sind dienende Ämter in zunehmender Zahl, an deren Spitze Ratsschreiber stehen, zunächst mit Pfründen versehene Kleriker, dann später recht gut besoldete Notare mit Schreibgehilfen. Sie bieten auch Rechtsberatung, neben besoldeten Rechtsberatern, Konsulenten,  mit akademischer (juristischer) Ausbildung. Darunter stehen Dienstboten im Rathaus, militärisches Personal, Büttel, Henker und Folterknechte, bald auch Lehrer, Stadtärzte, die die Räte zum Beispiel bei Seuchen beraten, Apotheker und städtische Hebammen, Steuereinnehmer, Leute für die Waage, den Zoll und die Münze, für das Bauamt und die Forstverwaltung.

 

Die politische Rechtlosigkeit der underthon und der gemeinen manne, wie der Ulmer Rat um die Mitte des 15. Jahrhunderts die politisch rechtlosen Massen bezeichnet, ist also schon im späten Mittelalter voll ausgebildet. Das ist im ausdrücklichen Interesse der fürstlichen Stadtherren und der Könige, deren Partner die großen Kapitaleigner sind. Da diese Machtcliquen nun auch de facto Herrschaft ausüben, werden sie auch als "Herren" (domini) angeredet. Ihre Macht leiten sie in Reichsstädten vom König ab, darüber hinaus aber wie die von Fürsten von Gott. Die Macht des Patriziats in Nürnberg fasst der Ratskonsulent Dr. Christoph Scheuerl 1516 dann so zusammen: das gemain völklein hat kainen gewalt: es steet inen auch nicht zu, dieweil aller gewalt von gott und das wolregirn gar wenigen und allein denen so vom schöpfer aller ding und der natur mit sonderlicher wayshait begabet sein verlihen hat. (in: Isenmann, S.132) Gott ist inzwischen etwas in die Verfassung verschwunden, aber der Rest ist geblieben und verschärft worden: Im Spätmittelalter werden wenigstens noch Entscheidungen über Krieg und Frieden und finanzielle Mehrbelastungen einer Bürgerversammlung oder wenigstens einem großen Rat zur Abstimmung vorgelegt, während der Bundestag zum Beispiel heute ein schieres Gremium uninformierter Akklamation durch die Regierungsparteien mit Fensterreden für die Massenmedien ist.

 

Der fiktive Vertragscharakter der Stadt als "Gemeinde" entfaltet sich zunächst in einer Vielzahl von separaten gesetzten Rechten und Pflichten, die vom Ende des 13. bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts zunehmend in gesammelter Form aufgeschrieben werden.

Unter dem Einfluss von römischem und kanonischem Recht beginnen in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts professionelle Juristen erst mit der Systematisierung und dann der Reform eines nun vereinheitlichten Stadtrechtes, wie in der Nürnberger Reformation von 1479. Damit setzt so etwas wie modernes Verfassungsdenken ein, welches nun auch die ius magistratus der Oberschicht mehr oder weniger fiktiv zu legitimieren sucht.

In dieser frühen Neuzeit beginnt auch, ursprünglich ausgehend von der altgriechischen politeia über die lateinische politia das Wort policey in den deutschen Sprachraum zu gelangen, als Verwaltung eines Fürstentums oder einer Stadt. Die andere Entlehnung aus polis gelangt erst im 17. Jahrhundert als Politik über das französische politique in den deutschen Sprachraum.

 

Gute policey ist neben der Sicherheit des Marktgeschehens und des städtischen Umfeldes als Rahmenbedingung vor allem die Verlässlichkeit von Maßen, Gewichten und anderen Einheiten der Waren sowie von deren Qualität, für die amtliche und amtlich anerkannte Bedienstete zuständig sind. Manches wie die Waage wird gelegentlich verpachtet. Anderes wird von einer Art städtischer Gewerbeaufsicht kontrolliert, wozu auch die Qualität der Lebensmittel gehört.

In manchen Städten vermittelten städtisch lizensierte Makler (Unterkäufer) zwischen Verkauf und Kauf großer Warenpartien, wobei sie auf Quantität und Qualität zu achten haben.

Gute Polizei ist aber auch städtische Vorratshaltung vor allem von Getreide in Speichern, damit die Basisversorgung in der Stadt und damit der Frieden unter den Konsumenten gesichert ist.

 

Diese Polizeigewalt der Städte im spätmittelalterlichen Sinne, also die Reichweite von "Politik" umfasst den gesamten öffentlichen Raum und macht erst am Eingang der Privathäuser und Wohnungen halt. Zunehmend wird die Sauberkeit von Straßen und Plätzen kontrolliert, Baurecht und Baupolizei werden zumindest für die festeren Häuser der Wohlhabenden in den Kernbereichen der Stadt eingesetzt, um den guten Zustand der Gebäude zu gewährleiten, denn der maist Tail der Menschen, besonder unter den gemainen, wil und muß zu seinem Nutz gezwungen werden. (Windsheimer Reformation). Anders gesagt, der erzwungene Verlust der Eigenverantwortung in Zivilisationen muss auch in der spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Stadt durch ein System von Befehl und Gehorsam erzwungen werden, welches dann bis heute immer weiter verfeinert wird.

Die Detailfreude dieser Polizeigewalt kennt keine Grenzen. Da Luxus im anschwellenden Konsumismus des städtischen Spätmittelalters Konkurrenzverhalten beim Warenkonsum auslösen kann, was bis in Verschuldung und Bankrott führen mag, wird er für alle möglichen bürgerlichen Festlichkeiten wie Taufe, Hochzeit und Trauerfeiern ganz detailliert begrenzt nach Menge und Qualität. Kleiderordnungen sollen übermäßige Ausgaben für Pelze, teure Stoffe und Schmuckbesatz begrenzen.

Da Kleidung und Schmuck gerne als Ausdruck von Macht und Status genutzt werden, wird gelegentlich für einzelne Gruppen ein unterschiedliches Niveau an Prächtigkeit festgelegt. 1462 wird einem Ausgburger Patrizier, weil er städtische Gelder unterschlagen hat, zur Strafe verboten, "Zobel und Marder, Seide und Samt, Schmuck, Gold und Silber, d.h. die sichtbarsten Statussymbole der patrizischen Oberschicht, zu tragen." (Isenmann, S.259)

 

Das Verbot von in die Verschuldung treibenden Glücksspielen treibt diese in den Untergrund oder in von der Stadt konzessionierte Spielhöllen.

Das anarchische Element des Geschlechtstriebes soll auch in der Kleidung eingedämmt werden. Allzu offenherzige Dekolletés bei Frauen, hurenähnliches Schminken und falsche Haarteile, und übermäßig gestaltete Hosenlätze bei Männern oder abartig verlängerte "Schnäbel" von Schnabelschuhen, alles zunehmend beliebt, sollen begrenzt bleiben.

Die Tendenz zum Suff und zu beziehungslosem Geschlechtsverkehr bei Fastnacht/Karneval und anderen Festivitäten wird immer aufs neue bekämpft wie auch solche Tänze und Tanzvergnügen, die dem gegenseitigen sexuellen Aufgeilen Vorschub leisten.

 

Dort, wo Stadträte und städtische Ämter etabliert werden, beginnt das Ringen um die bürgerliche Macht in der Stadt, zunächst von einer Oligarchie bürgerlicher Oberschicht betrieben. Ähnlich wie noch besser dokumentiert in italienischen Städten werden immer neue Versuche unternommen, damit nicht einzelne Geschlechtergruppen die Kontrolle über die Stadt gewinnen. 

In Osnabrück beschließen 1348 die Ratsherren, Schöffen genannt (schepen), folgendes komplizierte Modell: Am 2. Januar müssen sich die Bürger (die einen eigenen Rock besitzen) vor dem Rathaus versammeln. Es herrscht strafbewehrte Anwesenheitspflicht. Die Schöffen würfeln derweil zwei der Ihren als Wahlmänner aus. Diese wiederum wählen sechzehn Wahlmänner aus den verschiedenen Stadtteilen nach festem Schlüssel, die wiederum aus denselben Stadtteilen nach demselben Schlüssel 16 neue Schöffen wählen, die gewissen Minimalqualifikationen genügen sollen.

 

Noch komplizierter wird es dort, wo dann das Handwerk in seinen Meistern mit der städtischen Oberschicht zusammen den Rat zu stellen hat, wie es 1375 nach einem heftigen Aufstand in Nordhausen beschlossen wird.

In Marburg wählen 1428 wählen Zünfte und "Gemeinde" ein Viermänner-Gremium, welches zu den zwölf Schöffen offenbar der patrizischen Geschlechter und dem bisherigen Rat hinzukommt und einen neuen Rat bildet, wobei dann nach dem Tod eines Schöffen dieser jeweils durch einen Ratsherrn ersetzt wird. Die Gemeinde wählt jedes Jahr einen Bürgermeister aus der Reihe der Schöffen, die wiederum einen Unterbürgermeister aus der Reihe der Vier wählen.

1460 legt der Erzbischof von Köln offenbar im Einvernehmen mit den Honoratioren der Stadt fest, dass der Rat nicht mehr jährlich, sondern auf Lebenszeit von der Bürgergemeinde (den gemeynen burgern) gewählt wird, wobei die Schöffen des Erzbischofs dazu gehören. Beim Tode eines der Räte wählt eine von den Bürgern gewählte Gruppe der Vierundzwanzig einen Nachfolger. Schöffen, Ratsleute und genauso viele gewählte Bürger wählen Bürgermeister und Akzisemeister aus dem Kreis der Schöffen und Räte.

 

***Finanzen***

 

Mit der städtischen Selbstverwaltung beginnt auch die Verschriftlichung, zunächst in Ratsbüchern, dann in solchen einzelner Ämter, wie mit den Grundbüchern oder der Buchführung über die Finanzen. Mit der Verbilligung des Papiers durch Papiermühlen beginnen dann im 15. Jahrhundert die zunächst noch moderaten Aktenansammlungen.

 

Die städtischen Einnahmen regelt jeder Rat für seine Stadt. Direkte Vermögenssteuern konnten dabei erheblich sein wie in Nürnberg, oder aber es überwiegen indirekte wie in Köln. Ihren Ursprung haben direkte Steuern in den Abgaben an die jeweiligen Herren, die die Stadt einsammelte und weitergab. Dabei behielt sie Überschüsse, aus denen sich Steuern entwickeln. Dazu werden gelegentliche Steuern - wie schon erwähnt - nach und nach in regelmäßige verwandelt. Die indirekten Steuern (Ungeld) werden vom Stadtherrn erworben und damit begründet, dass man Mauern, Straßen, Brücken damit baut oder erhält. Sie haben teilweise ihren Ursprung in Regalien. Dort, wo Steuern auf Brot, Bier, Wein und Salz einen wesentlichen Teil der Einnahmen ausmachen, geschieht das zu Lasten der Ärmeren, während (eher niedrige) Vermögenssteuern zwischen 1% und 5%  auch die Wohlhabenden (in geringem Umfang) treffen. Steuerehrlichkeit versucht man weiter mit massiven Strafen bei Hinterziehung herzustellen, denn diese Steuern beruhen auf der eidlichen Selbsteinschätzung. 1401 muss im thüringischen Mühlhausen jeder Steuerzahler sin landt, sine zcinsse (...) sin hues, einen hoeff, wingarten, hopffengarten, tyche, boumgarten, holtz, das do wechset, wessenwachs, varende habe und alle sein gut (..) angeben. (in: Mägdefrau, S.172)

 

In vielen Städten stellen auch Rentenverkäufe eine ganz erhebliche Einnahmequelle dar.

 

Jeder Zünftige, ob Bürger oder (oft) nicht, zahlt in Freiburg/Breisgau Vermögenssteuer (Gewerft), Verbrauchssteuern (Ungeld) und gegebenenfalls Zölle.

Wo diese Einnahmen punktuell nicht ausreichen, verschuldet sich die Stadt, indem sie Darlehen bei einzelnen kapitalkräftigen Bürgern oder Bürgerkonsorzien aufnimmt. Daneben wird Geld am Rentenmarkt aufgenommen, eine jährlich gut verzinste Geldanlage auch für Auswärtige und zum Beispiel auch für Adelige. Dabei nehmen Leibrenten zugunsten wiederverkäuflicher Renten ab. In Augsburg "bestimmte der Rat 1457, dass Leibrenten nur noch an Übervierzigjährige verkauft werden sollten; drei Jahre später ordnete Nürnberg an, dass Neuerwerber das 60. Lebensjahr vollendet haben mussten." (Fuhrmann, S.160).

"Die Verzinsung der öffentlichen Anleihen nahm tendenziell ab, jene von Leibrenten sanken von 1340 bis 1500 von durchschnittlich 12 auf 9 Prozent, jene von zeitlich unbefristeten Erbanleihen von 8 auf 5 Prozent." (Ertl, S.117)

 

Der Batzen der städtischen Ausgaben betrifft den Krieg und den Machtausbau der Städte, also den Bau von Befestigungsanlagen, Kosten von Waffen und Rüstung, Söldnern und Kriegen. Einen weiteren größeren Posten liefert oft der Schuildendienst und zudem die Finanzierung von Verwaltung. Ähnlich wie bei Fürsten und Königen fallen dabei Kosten für öffentliche Wohlfahrt im weitesten Sinne extrem gering aus, nicht zuletzt, weil große Teile davon privat finanziert werden.

Verwaltungskosten wiederum haben viel mit den städtischen Finanzen zu tun.

 

***Städtische Wirtschaftspolitik***

 

Die vom Großkapital direkt regierte wie die von Zünften beherrschte "autonome" Stadt btreibt im wirtschaftlichen Interesse und dem der Aufrechterhaltung des inneren Friedens selbst aktive Wirtschaftspolitik. Dabei geht es zunächst um die Gewährleistung der Versorgung der Bevölkerung mit Getreide und Brot, und mit dem Getreide auch der Versorgung mit Bier, dem Ersatz für eher schlechtes (Trink)Wasser.

 

Dazu gehört in großen Städten die Einrichtung von Getreidespeichern für Notzeiten, manchmal auch von Salzspeichern. Des weiteren kaufen Räte bei Getreidemangel in der Ferne (teuer) ein und geben das Getreide dann verbilligt an die Einwohnerschaft ab. In Mangelsituationen werden auch Zölle und Geleitgelder reduziert und manchmal die Einnahmen dann durch erhöhte Verbrauchssteuern ersetzt. Dadurch wiederum kann der Verbrauch (auf das Nötigste) gesenkt werden.

"Die Stadt Basel musste im Finanzjahr 1438/39 für die Beschaffung von Getreide eine Schuld von 21 404 Gulden kontrahieren, was der Höhe eines ganzen Jahresbudgets entsprach. Köln stellte 1462 den verantwortlichen Kornherren zur Auffüllung der Getreidevorräte bei niedrigem Preisniveau 13 834 Mark (Rechnungswährung) bereit, die durch den Verkauf von Leibrenten aufgebracht worden waren." (Isenmann, S.388)

 

Ein weiteres obrigkeitliches Mittel ist gelegentlich wie in Nürnberg die allgemeine Festsetzung von (gerechten) Preisen von Brot, Fleisch, Fisch, Bier und Wein aus Versorgungsgründen, wobei Güter, die durch den Fernhandel in die Stadt gelangen, wie Getreide, Vieh, Salz und Gewürze, in der Regel davon ausgenommen sind, um die Versorgung nicht zu behindern. Oft wird auch das Gewicht von Produkten der Nahrungsmittelgewerbe wie Brot festgesetzt, um die Qualität zu garantieren. Das von Zünften regierte Zürich hingegen setzt für Brot und Fisch keine Preisbindung fest.

 

Alle Vorgänge von Kauf und Verkauf in (und vor) der Stadt sind streng reglementiert, um nicht notwendigen und preistreibenden Zwischenhandel zu unterbinden. Im Köln des 15. Jahrhunderts überwachen diese Vorgänge über hundert mehr oder weniger amtliche Personen.

Fremde Händler dürfen nur en gros verkaufen, so lange Städter an den Waren interessiert sind, und dürfen nicht untereinander kaufen und verkaufen. Stapelwaren müssen beim Betreten städtischen Hoheitsgebietes dort angeboten werden, und der Händler darf mit ihnen nur weiterziehen, nachdem die Bedürfnisse der Städter befriedigt sind. Vor den Toren der Stadt Händler abzufangen, um deren Waren dann in der Stadt teurer zu verkaufen, ist streng verboten.

Daneben wird auch von der Obrigkeit insofern rationiert, als Wein und andere wichtige Konsumgüter nur in dem Maße vom Bürger eingekauft werden dürfen, wie er sie auch selber verbraucht. Schierer Zwischenhandel mit dem bloßen Ziel des Gewinns, das heißt der Preiserhöhung ist also in jedem Fall verboten.

 

Daneben erlassen Räte oft auch Höchstlöhne für allgemein als lebenswichtig angesehene Arbeiten wie die der Müller, Bäcker, Bauhandwerker. Als letzteren das in Köln im 14. Jahrhundert zu wenig ist, wird ihnen auch die Abwanderung verboten.

Wo wie in der Textilstadt Ulm Produkte der Barchentweberei das wichtigste Exportgut sind, wird im Sinne der Exporteure (1403) dafür gesorgt, dass die Weber auf dem Lande bleiben und nicht in die Stadt ziehen, damit sie im Krisenfall nicht der Stadt zur Last fallen. Andererseits wird ihnen erlaubt, ohne stärkere Reglementierung ihre Produkte auf dem städtischen Markt abzusetzen. Eigentlich überall wird das Handwerk soweit gefördert, wie das dem Handel dient.

 

Von einem freien Markt kann also schon soweit nicht die Rede sein. Wie die Kirche vertritt auch das Stadtregiment die Lehre vom gerechten Preis, als welcher natürlich auch seine Preisfestsetzungen gelten. Üblicherweise besteht die Kirche darauf, Verfahren wegen Wucher, also die Übertretung eines gerechten Preises, vor ihr Gericht zu bringen, aber seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts gibt es wie zum Beispiel in Köln auch städtische (weltliche) Wucherverbote, die vor städtischen Gerichten abgehandelt werden. Man zahlt dann entweder erhebliche Geldstrafen, oder, wenn man das nicht kann, bezahlt man mit Verbannung.

 

Mit Wechsel- und Rentengeschäften zum Beispiel kann man aber relativ ungeschoren Zins erlangen. Überhaupt ist der gerechte Preis eine ideelle Größe und sehr flexibel handhabbar.

Neben dem ursprünglich kirchlich entwickelten Preis entwickeln Städte im Zuge ihrer Wirtschaftspolitik die genauso vage ideelle Vorstellung vom Gemeinwohl. Tatsächlich bedeutet dies implizit für die städtische Obrigkeit den Zustand inneren Friedens, für Leute wie die Autoren der um 1439 am Oberrhein entstandenen 'Reformatio Sigismundi' inzwischen längst propagandistisch gewordene Gerechtigkeitsvorstellungen.

 

Städte bilden Bündnisse und Vereinigungen wie die Städtehanse, aber darunter herrscht erhebliche Konkurrenz unter ihnen. Als sich vor allem in Süddeutschland im 15. Jahrhundert Barchent zu einem Exporterfolg auf dem damaligen "Weltmarkt" entwickelt, und Augsburg und Ulm davon profitieren, fördert Nürnberg gegen Ende die Ansiedlung von Barchentwebern in der Stadt und schenkt 1488 20 Barchentwebern aus Augsburg, Ulm und zwei anderen Orten Bürgerrecht und Meisterschaft und baut 21 Weberhäuschen, die günstig vermietet werden.

1499 verhandelt Nürnberg mit einem Koblenzer Geschützgießer über dessen Übersiedlung. Grundsätzlich versuchen Städte, talentierte Handwerker abzuwerben und insbesondere dem Export-Handwerk günstige Bedingungen zu bieten. Das ändert aber nichts daran, dass sich große Teile des Handwerks nicht allzu weit vom Existenzminimum entfernen. Gefördert wird, was der Kapitalverwertung dient und gedrückt, wo man dafür niedrige Preise braucht-

 

***Recht***

 

Die fast vollständige Machtübernahme des Kapitals in den Städten geschieht über seine Macht zur willkürlichen Setzung des Rechtes und über die Rechtsprechung. Nicht das adelige Recht der Waffen, sondern die Verfügung der allerdings selbst an die eigenen Gesetze gebundenen Obrigkeit über das Verhalten der Untertanen bei meist nur noch latenter Gewaltandrohung stellt die neue Staatlichkeit her. Dabei überlagert eine immer ausführlichere Rechtsetzung (Willküren) und Rechtsprechung der Stadt die alten stadtherrlichen Privilegien. Dieses sich langsam verändernde Stadtrecht wird meist einmal im Jahr im Zusammenhang verkündet, daneben wird neues Recht in den Kirchen verkündet oder durch Ausrufer auf Straßen und Plätzen.

 

In einer Gerichtsordnung von 1401 verfügt die Gemeinde von Rottweil in Gestalt ihres Rates bereits über die Rechtssprechung todeswürdiger Verbrechen und kann selbst Ratsmitglieder abstellen, die beim Verdacht eines Rechtsbruches Untersuchungen anstellen und so Rechtsfälle als Offizialdelikte behandeln (Hergemöller, S402).

Überhaupt treten nicht selten Ratsherren als Richter auf. Für Nördlingen wird so um 1450 festgelegt: Je ein Viertel aller Ratsherren, denen es rechtmäßig zufällt, soll allmonatlich das Gericht besetzen... (in Hergemöller S.421)

 

Recht wird oft vor der zentralen Kirche oder in deren Vorhalle gesprochen. In Freiburg befinden sich auf ihren Bänken zweimal zwölf Plätze für Schöffen, die dann allerdings wohl nicht mehr genutzt werden. Im Chor des Freiburger Münsters werden vom Stadtherrn und dann vom Schultheißengericht Erb- und Eigentumssachen verhandelt. Letzteres findet auch in der Nähe auf dem Markt statt.

 

Die wichtigsten Rechtsvorschriften betreffen das Eigentum, welches sich am deutlichsten in den immer detaillierteren Regelungen des Erbrechtes fixiert. Gegenüber der Ehefrau als Erbin wird immer wieder das Erbrecht der Kinder hervorgehoben, dass sie nicht antasten darf. Reicht der Besitz der Witwe nicht aus, müssen die Kinder für sie sorgen.

 

In den neuen Städten verschwindet die alte germanische Vorstellung von der Wiederherstellung des Rechtsfriedens durch Bußzahlungen und Wergelder zur Gänze, die neue Staatlichkeit tritt stärker zwischen Täter und Opfer und entrechtet die Opfer zunehmend, ein Vorgang, der bis heute anhalten wird und inzwischen dazu geführt hat, dass in Ländern wie der BRD die meisten Verbrechen und selbst Gewalttaten de facto kaum noch geahndet werden, sofern die Ahndung nicht geldliche Vorteile für den Staat mit sich bringt.

 

Der Schutz des Friedens betrifft die ganze Stadt, besonders aber die Gegend um Rathaus und Marktplatz und wie in Nürnberg auch das Wirtshaus und das Bordell, zudem gibt es den geschützten Raum des Hausfriedens, der nur bei Verfolgung eines Straftäters gebrochen werden darf.

 

Bei Strafverfahren gewinnt die eidliche Zeugenaussage zunehmend an Bedeutung. Weiterhin wird der Eid mit den Fingern am Kreuz bzw. einer Reliquie geleistet. Rechtevertretung durch einen Fürsprecher oder Vorsprecher (Magdeburg) wird üblicher. Dabei bleiben in der Praxis die Ärmeren und Statusniedrigeren in der Stadt eher auf der Strecke, die auch den zunehmenden Spitzfindigkeiten der Prozessführung weniger gewachsen sind, wie zum Beispiel Nikolaus von Kues kritisch feststellt. Auch das wird aber im Kern so bleiben, wenn heute Staatsbürger gegen großes Kapital und Staat zu klagen versuchen.

 

Für manche Fälle bleibt der gerichtliche Zweikampf zunächst noch bestehen: Wird der Beklagte besiegt, gilt er dann als schuldig und wird dem Richter zur Bestrafung übergeben. In der Regel verschwinden allerdings seit dem hohen Mittelalter Gottesurteil und Zweikampf als Konzessionen der alten Stadtherren an die neue Obrigkeit. Darüber hinaus verschwinden auch die Eideshelfer zugunsten echter Zeugen: Das große Kapital an der Macht braucht zwar die Durchsetzung seiner Interessen, aber dazu gehört eine möglichst hohe Rechtssicherheit als Basis jenes Friedens, der seine Entfaltung erst ermöglicht.

 

***Städtische "Wohlfahrt" als Politik***

 

Das Wort social kommt im 18. Jahrhundert aus dem Französischen in die deutsche Sprache und dient seitdem auf vor allem zweierlei Weise der Verunklarung, dem Hauptzweck moderner politischer und oft auch pseudowissenschaftlicher Propaganda: Zum einen wird die bewusste Verunklarung von Wirklichkeit durch den Missbrauch des Wortes Gesellschaft in "gesellschaftlich", hinter dem sich nunmehr der Untertanenverband verbirgt, noch einmal verunklart durch den Einsatz eines Fremdwortes, welches für die meisten Menschen, die weder Latein noch Französisch beherrschen, undurchschaubar bleibt. Zum anderen wird durch sogenannte "linke" oder pseudochristliche Politpropaganda das Wort dann noch einmal moralisiert und erhält nun kurioserweise einen an die alte caritas gemahnenden Unterton.

 

Da hier die Versuche der letzten Jahrhunderte, Sprache bewusst zur Verdummung der Menschen einzusetzen, abgelehnt werden, verzichten wir ganz auf die Verwendung dieses Wortes und damit auch des Kuriosums "Sozialpolitik" und ähnlicher abstruser Wortbildungen. Stattdessen greifen wir auf das spätmittelalterliche Wort Wohlfahrt zurück, welches damals Wohlergehen oder Wohlbefinden meint. Daraus leiten wir einen Begriff der ("öffentlichen") Wohlfahrt als Politikziel ab, welches nun mit der Proletarisierung und zugleich Verarmung immer breiterer Massen im Zuge der Kapitalisierung der Machtstrukturen akut wird.

 

Wohlfahrt als Politikziel beginnt in den spätmittelalterlichen Städten die christlich begründete Caritas abzulösen, und zwar einmal, weil im Zuge einer schleichenden Entsakralisierung der Welt die religiöse Motivation abnimmt, ohne gleich ganz zu verschwinden, und zum anderen, weil ein Massen-Proletariat des 14.-16. Jahrhunderts durch religiös begründete Almosen nicht mehr zu bändigen ist. Wohlfahrt als Politik dient dann nicht mehr dem Seelenheil, sondern der Aufrechterhaltung von Ordnung für möglichst reibungsloses Wirtschaften und dem Vermeiden von Unruhen, die die Machthaber gefährden könnte.

 

Nirgendwo lässt sich diese neue Politik besser erkennen als bei den spätmittelalterlichen Heiliggeist-Spitälern, die zunächst oft den Stiftungen großer Kapitaleigner entstammen, die noch mit dem eigenen Seelenheil begründet werden, und aus denen dann die Vorstellung von öffentlichen Spitälern entsteht. Dabei vereinen diese Einrichtungen späte Aspekte einer Pilgerherberge mit frühen Ansätzen eines Krankenhauses, indem allerdings keine Ärzte agieren, mit Elementen eines Altersheimes und denen eines Waisenhauses.

 

Gestiftete Spitäler finanzieren sich ganz wesentlich über verliehene landwirtschaftliche Besitzungen und daraus folgende Geld- und Zinseinnahmen, über Erträge solcher in Eigenwirtschaft und durch Spenden. Als Altersheim teilt sich das Spital in Pfründe, deren Qualität durch die zu zahlenden Beträge bestimmt wird. In Freiburg im Breisgau gibt es so Armenpfründe zum Preis von 50 Gulden, die ein Alter in einem Gemeinschaftsraum bei kärglicher Beköstigung und Arbeitspflicht (soweit möglich) bedeuten, mittlere Pfründe, die 100-150 Gulden kosten und einen eigenen Raum ermöglichen, sowie Herrenpfründe für 200-250 Gulden, mit denen man zwei Räume und das Essen am Herrentisch des Spitals erkauft. 

 

In vielen Fällen tendiert das spätmittelalterliche Spital zur Verwendung als Altersheim, auch da es so besonders lukrativ wirtschaften und zum Teil bald sogar banknahe Geschäfte tätigen kann. Dabei behält es als Bruderschaft aller Insassen seinen religiös definierten Charakter und seine brutal-autoritären Strukturen, die sich in entsprechenden Hausordnungen niederschlagen.

 

***Schulwesen***

 

Über die städtischen Schulen weiß man Genaueres erst in der beginnenden Neuzeit. Ab den 13. Jahrhundert richten deutsche Städte Schulen ein, in denen zunächst im wesentlichen Latein unterrichtet wird. 1262 machen das die Lübecker, holen sich dafür aber noch die Genehmigung durch den Papst. In deutscher Sprache unterrichten daneben private Wanderlehrer. Die Obrigkeit beginnt dann bald, freiem Unterricht mit Misstrauen zu begegnen, was sich bis heute noch erheblich verstärken wird: Untertänigkeit und Orientierung auf Kapitalverwertung, Arbeit und Konsum als Lernziele sollen schließlich die wachsende Staatlichkeit fördern. Der Rat von Freiburg fordert beispielsweise 1425, dass die Bürger ihre Söhne ab acht Jahren in die rechte Schule schicken sollen. (Freiburg, S. 522) Als flankierende Maßnahme dürfen die Knaben dann auch zusätzlich Deutsch lernen.

 

Im 15. Jahrhundert nehmen die vier bürgerlichen Nürnberger Lateinschulen durchschnittlich etwa 200 Schüler auf, die in einem Raum in drei Klassen aufgeteilt sind. Die Eltern haben Schulgeld und Sachabgaben zu leisten und den Schülern wird als elitärer Gruppe der Umgang mit schulisch Ungebildeten untersagt. Offizielle Umgangssprache in diesen Schulen ist meist Latein, die deutsche Sprache wird nur zeitweilig als Unterrichtssprache erlaubt. In diesen Ganztagesschule wird auch der Einübung des liturgischen Chorgesangs breiter Raum eingeräumt und manchmal wird um 1500 auch ars humanitatis angeboten, die Unterrichtung römischer Klassiker wie der Aeneis.

 

Neben den Lateinschulen gibt es in Lübeck um 1300 bereits für jede der vier Kirchengemeinden eine Elementarschule. Man lernt hier lLesen, Schreiben und Rechnen und manchmal ein bisschen Latein. Für manche Kinder des kaufmännischen Nachwuchses reicht das bereits aus.

 

Diese stark kirchlich beeinflussten Eliteschulen werden in manchen Städten durch deutsche Schreib- und Rechenschulen ergänzt, die von der Stadt konzessionierte private Unternehmungen der Schulmeister sind. Solche Schreib- und Rechenlehrer gelten als Handwerker, die zu Meistern (Magistern) ausgebildet sind.

 

***Kirche***

 

Auch im sogenannten späten Mittelalter bleibt die Kirche mit ihren besonderen Machtvollkommenheiten ein wesentlicher Faktor in den deutschen Städten. Kathedralen, Stifte und Klöster bilden eigene Immunitätsbezirke, die oft extra ummauert sind. Dort gelten niedrigere Abgaben und Abgabenfreiheit gegenüber der Stadt, welche diese Bezirke zu heftigen wirtschaftlichen Konkurrenten machen. Zudem dürfen sie nur vor ein geistliches Gericht gestellt werden.

 

Neben den Bischöfen sind es in Kathedralstädten insbesondere die Domherren, welche über beträchtlichen Besitz und Einkünfte verfügen und selbst aus einflussreichen Familien stammen. Aus ihrem den Laien verborgenen Chor steigen bei der Messe ihre Gesänge auf. Nur halb stehend dürfen sie sich auf ihre Miserikordien niederlassen, Sie sind mit lustigen und sehr weltlichen Schnitzereien versehen, gelegentlich im kirchlichen Sinne unanständig oder sich über die Kirche auch schon mal lustig machend: Ein Fuchs predigt zu Hühnern, bevor er sie verspeist, eine Nonne wird im Schubkarren zur Hölle gefahren (etc. siehe Heers(2), S.103)

 

Den Kanonikern von Langres gehört zeitweilig etwa ein Drittel der ganzen Grafschaft. Solcher Besitz führt zu Konflikten mit den Bauern einerseits, aber auch mit den Bischöfen, die auch ein Machtinteresse daran haben, diese zu reformieren bzw. zu disziplinieren.

 

Die Zisterzienser besitzen in Köln 22 solche Immunitäten für ihre Wirtschaftshöfe. Überall haben sich Bettelorden niedergelassen, die mit der Kirche um die Spendenfreudigkeit der wohlhabenderen Bevölkerung konkurrieren, und die von ihr wie Pfarrkirchen bedacht werden.

Neben der ärgerlichen Konkurrenz auf dem Markt gibt es auch immer wieder Konflikte mit der Stadtgemeinde wegen Verletzung des Zölibats und liederlichem Lebenswandel.

 

Selbst wo es keine Kathedralen gibt, Stifts- und Klosterkirchen, besitzt doch wenigstens eine Pfarrei ihre Pfarrkirche. Diese konnte aber zunächst zu einem von außerhalb kontrollierten Pfarrbezirk gehören, was wiederum dazu führen konnte, dass ein ländlicher Patronatsherr bzw. ein Dorfpfarrer über diese städtische Pfarrkirche Macht ausübte.

Für St.Sebald und St. Lorenz konnte die Stadt Nürnberg schon im 13. Jahrhundert die außerstädtische Kontrolle ablösen, aber nur, um beide Pfarreien dann unter die des Rates zu bringen. Erst Ende des 14. Jahrhunderts erhält Ulm mit seinem Münster eine erste städtische Pfarrkirche. Esslingens Pfarrkirche hingegen bleibt im Besitz des Domkapitels von Speyer, weswegen die Bürger eine Kapelle mit sehr viel Schmuck aufwerten. (Boockmann, S.191)

 

Für die Kirchen werden Altäre gestiftet, in denen sich städtische Wohlhabenheit darstellt. Die Pfründe der niederen Geistlichen, die sie mit Messen zu versorgen haben, sind dabei oft recht gering. Andererseits sind bei wohlhabenderen Kirchen die Stellen des Pfarrers begehrt und geraten unter den Einfluss des Rates und des großen Kapitals.

 

Inzwischen betreibt der Heiliggeist-Orden vielerorts Spitäler, die oft durch Spenden zu erheblichem Reichtum gekommen sind, der sich vor allem in Grundbesitz niederschlägt. Einige Spitäler besaßen so große Teile des städtischen Umlandes. Durch Testamente, Verkauf von Spitalplätzen und Pfründen und den Verkauf ihrer Agrarprodukte verfügen sie über erhebliche Geldmengen, mit denen sie wie eine Bank oder Sparkasse wirtschaften.

 

Fazit: Ämter, Obrigkeit und Untertänigkeit

 

Staatlichkeit im weitesten Wortsinn ist ihrem Wesen nach totalitär und terroristisch. Das heißt zum einen, sie operiert mit Gewalt und wo möglich zumindest mit der Androhung von Gewalt, sie monopolisiert diese und legalisiert sie dabei für ihre Vertreter. Zum anderen neigt sie von vorneherein dazu, Arbeits- und Lebensverhältnisse soweit zu reglementieren, wie es ihren beiden zentralen Zielen dient: Menschen für ihre Gewaltausübung zu rekrutieren und den arbeitenden Menschen soviel wegzunehmen wie möglich und für die Machtausübung nötig.

 

Staatlichkeit in mittelalterlichen Städten entsteht durch die Aneignung von Macht durch die Verbindung von städtischem Reichtum alter Geschlechter und neureichen Großkapitals. Diese besetzen institutionalisierte Machtorgane wie Räte, Ausschüsse und Ämter, eignen sich die Definition von Recht und die Gerichtsbarkeit an und befehligen die Gewaltmittel, vor allem Militär und dann in ersten Ansätzen Vorläufer von Polizei.

 

Die Obrigkeit hat ihre Spitze in Bürgermeister und Rat, aber sie begegnet den Untertanen in immer mehr Ämtern, von denen alle wichtigen aus dem Rat besetzt werden. Hier findet neben der Politik im Detail vor allem die Aufsicht über die Untertanen statt. In Freiburg im Breisgau können Ratsmitglieder für bis zu zwei Ämtern verpflichtet werden. Dazu gehört 1476 die Gerichtsbarkeit der 24 unter dem Schultheißen, ein kleiner Rat für die alltäglichen Ratsgeschäfte, die Finanzverwaltung im Kaufhaus, Baumeister, Feueraufsicht, Armbrustpfleger, das Waldamt mit dem Holzmeister, die Vielfalt der Gewerbeaufsicht (Brot- und Fleischbeschau und, und und. Da ist die Aufsicht über Kirchen und Kapellen, sind die Pfleger für Heiliggeistspital, Armenspital und Gutleuthaus sowie der Pfleger für die Findelkinder. Dazu gehört die Verwaltung der zur Stadt gehörenden Besitzungen im Umland. Nicht aus dem Rat besetzt werden mehrere Schreiber und anderes Personal.

 

Wohlhabenden Ratsmitgliedern können solche Aufgaben schnell lästig werden, wenn man nicht die Ehre des Amtes für wichtig hält, aber andererseits besteht das Wesen der Obrigkeit darin, immer mehr Aufgaben zu übernehmen und so wie eine Krake ihre Arme über die Untertanen auszubreiten. Andererseits, je komplexer städtische Strukturen und städtisches Leben werden, desto mehr erwarten die Untertanen, dass die Obriogkeit sich um die entsprechenden Aufgaben kümmert.

 

Untertänigkeit wird zum einen dadurch erreicht, dass sie als Eid beim Eintritt in die Bürgerschaft beschworen wird, die allerdings in der Regel nur eine Minderheit der städtischen Bevölkerung umfasst, und zudem und noch expliziter als Eid, in dem Bürger wie auch Hintersassen ohne politische Beteilung Jahr für Jahr ihre Untertänigkeit gegenüber den städtischen Machtorganen beschwören. Im Verfassungstext der Stadt Freiburg im Breisgau von 1392 wird so zum Beispiel festgehalten, was schon jahrhundertelang Usus ist: Item man sol alle iar dem burgermeister sweren (...) als bissher gewonlich ist gewesen, daz man im gehorsam sey. (in: Freiburg, S. 565)

 

Gehorsam als Synonym für Unfreiheit gilt für alle Zivilisationen seit der Bronzezeit und wird bis zum heutigen Tag gelten. Ihn zu beschwören ist nur solange nötig, wie er noch nicht (wie heutzutage überall auf der Welt) als selbstverständlich gilt.

Im spätmittelalterlichen Freiburg ist der 24. Juni der Schwörtag, an dem die Zunftmeister alle ihre Zunftmitglieder in den Ratshof bringen, auf dass die Männer dem jeweils neugewählten Bürgermeister Gehorsam schwören, während die Frauen ihn nur geloben müssen. Die Handwerksgesellen haben ihren Schwörtag an einem Sonntag im August. Die Edlen und Müßiggänger müssen ebenfalls bis Ende des 15. Jahrhunderts schwören. Derselbe Gehorsam wird auch in den Satzbriefen pauschalierter Steuersätze impliziert.

 

Unterhalb der Gehorsampflicht gegenüber der städtischen Obrigkeit wird auch der gegenüber dem Zunftmeister beschworen, denn Zünfte sind längst Organisationen zur Einübung von Untertänigkeit.

 

1516 ist das Endergebnis eines Zustandes absoluter Unfreiheit fast aller erreicht, als der Nürnberger Ratsherr Christoph Schwind folgendes formuliert: Das gemeine Volk hat keine Gewalt. Es steht ihm auch nicht zu, da alle Gewalt von Gott und das Wohlregieren nur wenigen und allein denen, die vom Schöpfer aller Ding und Natur mit sonderlicher Weisheit begabt sind, verliehen ist. (in: Schneider-Ferber, S.95)

 

Die Hanse

 

Ganz anders als der Mittelmeerraum mit seinem massiven Konkurrenzkampf zwischen Staatstaaten und Königreichen hat sich im Nord- und Ostseeraum aus dem Verbund von Händlern einer Stadt und eines Handelszieles im 14. Jahrhundert ein machtvoller Städtebund entwickelt, der seine Interessen zur Not auch mit massiver Gewalt verfolgt. Im Westen sind zunächst Brügge und dann zunehmend Antwerpen die zentralen Umschlagplätze, wobei beide als Finanzplätze von italienischem Kapital beherrscht werden. Im Zentrum steht Lübeck, im Osten gewinnen livländische Städte an Bedeutung. Der Handelsraum umfasst Flandern, England, Norddeutschland bis zum Baltikum, Skandinavien und Russland. Lübisches Recht und niederdeutsche Sprache verbinden die Räume ebenso wie ein Netzwerk von Privilegien.

 

Ab 1356 etabliert sich der Hansetag als alle hansischen Städte umfassendes Verhandlungs- und Beschlussgremium. Er besteht aus von den Räten entsandten Ratsherren als deren Vertretern. Das betrifft eine gemeinsame Außen- und Kriegspolitik, wirtschaftliche Angelegenheiten und die Konflikte untereinander. Über Beschlüsse wird nicht abgestimmt im neueren Wortsinn, sondern der jeweils leitende (gastgebende) Bürgermeister fasst erzielte Gemeinsamkeit zusammen, die dann in den jeweiligen Rezess münden.Dabei haben Beschlüsse aber kaum formal bindende Bedeutung. Die Tage finden auch nur sehr unregelmäßig statt und oft auch aus akutem Anlass.

 

Die tatsächliche Dominenz Lübecks (nach seiner inneren "Krise" bis 1416 und der erneuten Einsetzung des vertriebenen Alten Rates) wird 1418 dahingehend fixiert, dass die Stadt zusammen mit den "wendischen" Städten zwischen den Hansetagen sozusagen die Geschäftsführung innehat und zu Tagen einlädt. Die Einladungen gehen an zentrale Städte, die sie dann an regionale Vororte weitergeben und die wiederum an die kleineren Städte.

 

Auf derselben Tagung wird von Lübeck auch das politische Konzept eines zeitlich begrenzten förmlichen Städtebündnisses auf Zeit (Tohopesate, neuhochdeutsch: "Zusammensetzen") entwickelt, welches sich vor allem gegen landesherrliche Übergriffe wenden soll. Es wird allerdings jetzt noch nicht durchgesetzt, sondern zum ersten Mal 1451 mit dem Zusammenschluss von 28 Städten aus den drei Hansedritteln, auf sechs Jahre angelegt. Der Kontext sind Fehden, interne Unruhen in den Städten und Übergriffe der Landesherren wie die Übernahme Berlin-Cöllns durch den Brandenburger Landesfürsten.

Tohopesaten setzen sich dann aber in den Auflösungserscheinungen der Gesamthanse nicht mehr durch und werden durch regionale Bündnisse einzelner Hansestädte mit nichthansischen Nachbarn.

 

Ein Stück weit staatlichen Charakter haben nur jeweils die miteinander verbundenen Städte, nicht das Bündnis selbst, auch wenn es immer wieder einmal kurz fast wie ein Staat auftritt. Tatsächlich ist die Hansestadt die politische Form, die lokales Großkapital annimmt, und die Hanse die Kooperative der großen Handelskapitalien zwischen Zuiderzee und dem Baltikum, so wie sie sich in Städten zusammengeschlossen haben.

 

Während die großen Küstenstädte weiter politisch in den Händen eines Handelspatriziats sind, beginnen mit Braunschweig 1374 kapitalkräftigere Handwerke manchmal in "Schichten" Räte abzusetzen und eigene Vertreter zu fordern, wie auch 1423/25 in der Halberstädter Schicht. Dagegen hat sich schon vor 1360 ein sächsischer Städtebund gebildet, um die patrizische Dominanz zu sichern.

Nachdem Braunschweig 1375 der Verhansung anheimfällt, muss es nach einigen Jahren nachgeben, kehrt aber nicht ganz zur alten Verfassung zurück. (siehe weiter unten).

 

1387 wird der Rat in Anklam in einem Sturm auf das Rathaus ermordet. Auf Veranlassung von Lübeck setzt Stralsund die Aufrührer ab.

Der Stralsunder Karsten Sarnow, Gewandschneider und seit 1380 ihr Altermann, wird 1389 in den Stadtrat gewählt. 1391 gelingt es ihm nach einer erfolgreichen Aktion gegen Seeräuber und der spektakulären Hinrichtung von über 100 von ihnen in der Stadt gegen den Willen des Patriziats Bürgermeister zu werden. Von dort aus versucht er eine stärkere Beteiligung der Ämter (Zünfte) am Stadtregiment zu erzwingen. Außerdem will er eine bessere Rechenschaft über die städtischen Gelder. Eine kleine Opposition setzt sich nach Lübeck ab und betreibt von dort die Verhansung Stralsunds. 1393 ist die Not in der Stadt so groß, dass Sarnow zum Tode verurteilt und auf dem Alten Markt hingerichtet wird.

 

Es handelt sich aber dabei zunehmend um eine Art Zweifrontenkrieg des Handels-Patriziats, da nicht nur das wohlhabendere produktive Gewerbe, sondern auf der anderen Seite auch das landesherrschaftliche Fürstentum seine (politische) Macht bedroht, und das zunehmend mit Erfolg.

 

Ein einschneidendes Ereignis wird die Niederlage des Deutschen Ordens bei Tannenberg, mit der dessen Niedergang einsetzt. Adel, Bischöfe und Städte vertreiben darauf den Orden, dem aber mit dem Thorner Frieden 1411 ein glimpfliches Ergebnis gelingt, worauf er die Bürgermeister von Danzig und Thorn hinrichten lässt.

In den nächsten Jahrzehnten verzettelt sich der Orden in Kriegen gegen den Adel, die Städte, gegen Polen und Litauen. 1440 bilden rund 40 Adelige und 20 Städte einen Bund, erklären 1454 dem Orden den Krieg, besiegen ihn und bieten König Kasimir IV. von Polen die Anerkennung seiner Oberhoheit an. In den folgenden 13 Jahren Krieg wird Westpreußen polnisch und der Orden behält von Königsberg aus nur noch Teile Ostpreußens. Danzig wird dabein immer selbständiger und selbstbewusster.

Das ist auch die Zeit des endgültigen Niedergangs von Nowgorod.

 

In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts setzt dann ein breiter Schwundprozess politischer Macht der großen Kapitalien in vielen Hansestädten ein, die deren De-Facto-Freiheit schwinden lässt.

Mit der Erkenntnis, dass sich nun auch unter fürstlicher Herrschaft in enger Kooperation mit dieser gute Geschäfte machen lassen, schwindet dann überhaupt der politische Freiheitsgedanke großer Handels- und Finanzkapitalien zumehmend.

 

****Lübeck****

 

Das zur Gänze vom Handel beherrschte Lübeck hat eine relativ breite Schicht von Fernkaufleuten, die im gesamten Hanseraum operieren und zudem Einkünfte aus Renten, Krediten und Schiffsanteilen haben. Eine Etage darunter ist Handel angesiedelt, der nur eine Region bearbeitet und sind Schiffsreeder, Großbrauer und reiche Gewandschneider.

 

Im Rat sitzen nur Kaufleute, die sich schon vor der Mitte des 13. Jahrhunderts Nachrücker kooptieren, deren Ratsmitgliedschaft im 14. Jahrhundert auf Lebenszeit erweitert wird. 1379 wird von neun Geschlechtervertretern in einem Vertrag mit dem Katharinenkloster die Zirkelgesellschaft (Cirkelselschop) als Elite der Elite gegründet. Das Kloster gibt ihnen in seiner Kirche eine Kapelle. Vier gewählte Schaffer verwalten die Gesellschaft, die sich durch Kooptation ergänzt und im 15. Jahrhundert 30-50 Mitglieder hat. "Alle großen Familien der Stadt waren in ihr vertreten: 1429 waren unter den 52 Mitgliedern 19 Ratsherren und 3 Bürgermeister; 1483 gehörte ein einziges Ratsmitglied nicht dazu." (Dollinger, S.173)

Man pflegt einen adeligen Lebensstil und lässt sich als "Junker" bezeichnen.

 

1380/84 führt der Kaufmann Hinrich Paternostermaker einen Aufstand der mit ihm verbundenen Knochenhauer gegen den Stadtrat an, der blutig unterdrückt wird. Von um die 50 Aufständischen werden 18 hingerichtet.

 

Der Krieg gegen die Vitalienbrüder und der Bau des Stecknitzkanals verlangen immer höhere Ausgaben. Um 1403 erzwingen Handwerker wegen der hohen Steuern die Bildung eines Ausschusses der Sechzig, der den sich immer noch selbst ergänzenden Rat kontrollieren soll. Er erstellt eine Liste mit Beschwerden. 15 der 23 Räte der alten Geschlechter fliehen und erhalten die Unterstützung von Ruprecht III. von der Pfalz. 1408 setzen die Sechzig einen neuen Rat aus 24 Personen durch, in dem es auch Handwerker gibt. Das Reichshofgericht verlangt, die Emigranten wieder einzusetzen. Darauf zieht der Neue Rat ihre Güter ein.  1410 wird Lübeck vom Reich geächtet.

Die Mehrheit der Hansestädte außer Wismar und Rostock bleibt auf Seiten des patrizischen Rates. Hamburg weist immerhin die Emigranten aus, die nach Lüneburg gehen.

1411 erneuert der gerade gewählte König Sigismund die Reichsacht über die Stadt. Der Neue Rat wendet sich an ihn mit dem Angebot, 6000 Gulden für die Erneuerung der Privilegien zu geben. Sigismund fordert aber 24 000. Man akzeptiert, zahlt aber dann nicht.

Der Dänenkönigs Erich von Pommern wendet sich gegen die Umstürzler und lässt die Lübecker Kaufleute auf Schonen verhaften. Dann wird auch der Druck von Sigismund so groß, dass man 1416 den alten Rat wieder einsetzen muss, der aber nun durch 5 Mitglieder des Neuen Rates ergänzt wird, die aber kaum Einfluss bekommen. Die Ämter müssen einen Treueeid schwören und einer Abgabe zur Tilgung der auf 13 000 Gulden ermäßigten "Schuld" gegen Sigismund zustimmen. Mehrere Aufständische werden hingerichtet.

Danach wird auch in Wismar, Rostock und Hamburg das patrizische Regiment wieder durch Fürsten und Hanse hergestellt.

 

1418 wird unter Lübecker Führung ein Hanse-Statut verabschiedet, welches jeden Aufruhr gegen die patrizische Ordnung gemeinsam unterbinden soll. Unruhestifter und Mitwisser sollen verurteilt und hingerichtet werden. In einigen Hansestädten löst das Unruhen aus. Bremen wird 1427 ausgeschlossen, was zur Ermordung des Bürgermeisters und zur Einsetzung eines neuen Rates führt, was 1433 zurückgenommen wird und zur erneuten Aufnahme in die Hanse führt.

 

Mitte des 15. Jahrhunderts gründet sich aus reichen Fernhändlern, die es nicht in die Zirkelgesellschaft schaffen, die 'Kaufleute-Kompanie' um den künftigen Bürgermeister Hinrich Castorp (Bürgermeister von 1462-88).

Während um 1465 19 von 20 Räten noch aus der Zirkelgesellschaft stammen, sind es nach 1480 nur noch etwa zwei Drittel, ergänzt durch Vertreter der Kaufleute-Kompanie. Vermögende Händler-Familien, die erst in jüngerer Zeit nach Lübeck gezogen waren, versammeln sich in der Greveraden-Kompanie, die unter dem Zirkel und der Kaufleute-Kompanie angesiedelt ist, und die nach 1500 zunehmend mehr Mitglieder im Rat stellen kann.

 

***Wismar***

 

Um 1200 wird aus einem Dorf durch Zuzug norddeutscher Siedler die Handelsstadt Wismar. 1226 übernimmt sie Lübecker Stadtrecht. Es entwickelt sich neben dem Handel beträchtliches Handwerk insbesondere der Wollweber, Schmiede, Schuster und Bäcker, die Zünfte werden aber von vom Rat eingesetzten Werkmeistern geleitet. Um 1322 verschwindet der letzte Handwerker aus dem Rat, den Fernkaufleute, reiche Bierbrauer und Gewandschneider kontrollieren.

 

1390 führen die Vitalienbrüder (Strötebeker & Co) von Wismar und Rostock aus einen Kaperkrieg gegen Königin Margarethe, unter dem aber der reguläre Handel wie der nach Schonen leidet.

 

1410 kommen Sendboten des geächteten Lübeck nach Wismar. Die Wismarer Ratsherren sehen sich bald genötigt, die Wahl eines Hundertmänner-Ausschusses zu akzeptieren, der den Rat wie kürzlich in Lübeck immer stärker kontrolliert. Die verhasste Bierabgabe wird abgeschafft.

Die Herzöge von Mecklenburg kommen, werden aber von einer Menge unter einem Bäcker vertrieben. Unter dem Wollenweber Claus Jesup wird ein neuer Rat etabliert, der den alten an den Rand schiebt.

Nachdem Lübeck den alten Rat 1416 zurückholen muss, sehen sich die Wismarer dazu gezwungen, das ebenfalls zu tun. Alle Veränderungen werden abgeschafft, ebenso wie kurz darauf auch in Rostock.

 

1427 kehrt die geschlagene Flotte zurück. Eine Menge unter Claus Jesup stürmt das Rathaus und fordert die Halbierung der Bierabgabe, die höhere Belastung der Reichen und Aufklärung über die vergangene Kriegspolitik. Der Anführer der Flotte und der Bürgermeister werden gefangen gesetzt. Beiden wird der Prozess gemacht und sie werden öffentlich hingerichtet. Herzogin Katharina von Mecklenburg wird im Januar 1428 genötigt, einen neuen Rat aus 16 Vertretern der alten Geschlechter und 8 des Handwerks einzusetzen. Jesuo wird Bürgermeister.

 

Der Kaperkrieg geht allerdings bis 1435 weiter und schadet der Wirtschaft, selbst die Abgabe auf das Bier muss wieder voll hergestellt werden. 1428 ächtet der König die Stadt, was ihr so schadet, dass sie 1430 den neuen Rat wieder abschafft, den alten wieder einsetzt, wobei einige des neuen in den nunmehr neuen übergehen.

 

In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts verarmt ein immer größerer Teil der Bevölkerung. "Im Jahr 1475 gab es in Wismar 1278 Buden und 177 Kellerbehausungen, während nur 577 Wohnhäuser das Stadtbild prägten." (Schneider-Ferber, S.193)

 

***Köln***

 

Köln hat ähnlich wie Nürnberg eine ausgewogene Struktur aus Handel, Finanzen und Gewerbe. In der Hanse nimmt es eine Sonderrolle ein, da es durch ein streng betriebenes Stapelrecht und seine Ausrichtung auf Antwerpen statt Brügge aus dem Rahmen fällt. Herausragendes Gewerbe bleibt bis in die früheste Neuzeit die Textilproduktion, deren verlegerische Organisation anders als sonst wesentlich von erfolgreichen Handwerkern betrieben wird. Zur Wolle kommt mit Tirtey ein Mischgewebe aus Wolle und Leinen und im fünfzehnten Jahrhundert Barchent. Die Baumwolle dafür kommt aus Brügge. 

Ein bedeutendes Gewerbe ist auch seit dem 14. Jahrhundert die Garnproduktion, insbesondere die von blauem Garn, das bis nach Antwerpen verhandelt wird. Dabei wird auch Roh-Garn zim Beispiel aus Erfurt in Köln weiter veredelt.

 

Unternehmerisch unterstützte Massenproduktion wird von der Stadt durch Qualitätskontrolle und Einteilung in drei Qualitätsstufen sowie feste Maße unterstützt.

Neben diesen Tuchen steigt die Seidenstoffproduktion weiter an, in der Köln im Norden bis durch das 15. Jahrhundert eine Vorrangstellung in der Nordhälfte Europas einnimmt.

 

Ein wesentliches Kölner Handelsgut ist entsprechend auch das von Färbemitteln auf Pflanzenbasis. In Köln wird so Waid aus dem Umland verhandelt und Krapp vom Oberrhein. Im 15. Jahrhundert beginnt dann die Konkurrenz von Färbemitteln aus Afrika und Asien (Indigo-Blau).

 

Fast so wichtig wie die Tuchproduktion ist die von Metallwaren. "Roheisen, Stahl und Halbfabrikate sowie Fertigwaren erwarben die Kölner vornehmlich im Bergischen Land, dem (märkischen) Sauerland, dem Siegerland, der Eifel und dem Hunsrück." (Fuhrmann, S.145)

Solingen liefert Scheren und Messer in hoher Qualität, in Elberfeld und der Umgebung von Remscheid entstehen Sicheln und Sensen, aus Plettenberg kommen Drahte und Schuhschnallen, aus dem Siegerland Nägel und gusseiserne Öfen. Die Stadt Köln selbst konzentriert sich auf Harnische und die Veredelung von Halbfabrikaten. Insgesamt gibt es zeitweise 43 verschiedene spezialisierte Metall-Handwerke.

 

Der Kölner Handel erstreckte sich fast wie der Nürnbergs über einen großen Teil Europas. Mit dem Stapelrecht können die städtischen Einnahmen an indirekten Steuern gesteigert werden. Um es zu umgehen, nehmen manche auswärtige Händler das Bürgerrecht an, und sie werden gegen Ende des 15. Jahrhunderts geradezu dazu gedrängt. Ab 1508 müssen Faktoren auswärtiger Handelshäuser dies sogar tun. Damit fließt weniger Reichtum aus der Stadt ab.

Bis ins fünfzehnte Jahrhundert ist der Handel von Wein aus dem Elsass, vom Mittelrhein und von der Mosel von großer Bedeutung, von Köln geht der Wein dann in die Hansestädte. Im Verlauf des Jahrhunderts geht er dann wegen des Aufschwungs des Bieres als Grundgetränk zurück. Für den Wein bringen Kölner Händler Fisch aus Nord- und Ostsee zurück.

Rinderherden werden von der Ost- und Nordseeküste in das Umland von Köln getrieben, dort noch einmal auf den Weiden gemästet und dann in der Stadt verkauft.

 

Die politische Verfasstheit Kölns beinhaltet wie in vielen anderen großen Städten in deutschen Landen inzwischen die Diktatur einer Fraktion alter Geschlechter des Kapitals. Im 14. Jahrhundert sind es 15 Familien, die "etwa zwei Drittel aller Führungspositionen" besetzen (Fuhrmann). Diese monopolisieren den Engen Rat, dessen 15 Mitglieder, die sich jährlich aus ihren Geschlechtern erneuern. Nach drei Jahren können die Leute auf ihre Posten zurückkehren.

Der Weite Rat seit Anfang des 14. Jahrhunderts mit 82 Mitgliedern rekrutiert sich aus jener wohlhabenden Kaufmannsschaft, die für den Engen Rat nicht zugelassen ist, und die bei großen Geldausgaben der Stadt wenigstens mitbestimmen können.

 

Gegen diese Machtstrukturen schließen sich wohlhabende Kaufleute in Gaffeln zusammen, und Opposition betreiben auch die in der Regel wohlhabenden Goldschmiede und vor allem reiche, als Verleger tätige Weber. Als der Rat sich von Karl IV. einen neuen Rheinzoll zwecks Einnahmesteigerung erbittet, wenden sich die Exporteure und Importeure von Waren dagegen, insbesondere die in der Gaffel vom Eisenmarkt vereinten Fernkaufleute und die Wollenweber. Unter ihrem Druck muss der Zoll zurückgenommen werden, was den an ihm partizipierenden Kaiser empört, der eine Entschädigung von 14 000 Gulden verlangt. Der Ratsherr Rütger Hirzelin vom Grin wird dafür mit der Finanzaufsicht beauftragt und schnell kommt der Verdacht von Korruption auf. Die Zünfte setzen drei Kontrolleure des Kontrolleurs aus ihren Reihen durch. Für 1367 heißt es dann:

 

Und als diese eine Weile beigesessen hatten, so wurden sie gewahr, dass Rütger heimlich das Geld der Stadt oben in seinen Hut und unten in seine Hose warf und steckte mit großen Summen, also, dass ein Beisitzer zu den anderen sprach  und warnte, dass sie sähen, wie Rütger das Geld zu sich nehme. Und das sahen sie und wurden des gewahr und brachten es an den Rat. Und als er heimlich in sein Haus kam, ließ der Rat ihn festnehmenund auf die Schafenpforte in das Gefängnis setzen. Und nachdem er des Verbrechens überführt worden, ließ man ihm gemäß Schöffenurteil sein Haupt abschlagen. (Gerlach von Hauwe, Dat nuwe boich, neuhochdeutsch in: Schneider-Ferber, S.124)

 

Korruptionsverdacht gegenüber der städtischen Obrigkeit durchzieht das ganze späte Mittelalter und dürfte bis heute weithin gerechtfertigt sein. In Köln wird die Stimmung auf der Straße immer aufgeregter. Als den Leuten 1369 die Verurteilung eines Straßenräubers zu lange dauert, drohen sie, das Gefängnis zu erstürmen und bekommen ihn ausgeliefert, so dass der Mob ihn auch ohne Urteil enthaupten kann.

Als drei Ratsherren 1370 keinen die Bürger befriedigenden Ausgang einer Fehde des Kölner Ritters Edmund Birkelin gegen die Stadt erhandeln können, ziehen die Weber und andere Bürger vor das Rathaus, um die Verhaftung der drei zu erreichen. Der Rat gibt nach und lässt sie verhaften. Am nächsten Tag kommen die Leute zurück und fordern nun die Verhaftung von weiteren acht Ratsherren. Diese suchen darauf Zuflucht in einem Stift.

 

Die bisherigen Erfolge ermutigen die Opposition, weiter zu gehen. Sie fordern nun die Abschaffung der Riecherzeche und den Ausschluss der Schöffen vom Rat und vom Bürgermeisteramt. (Schneider-Ferber, S.128)

Der Enge Rat gibt nach und besetzt den Weiten Rat nun mit nur noch 50 überwiegend zünftigen Vertretern, die allerdings im wesentlichen Kaufleute sind. Ende des 15. Jahrhunderts heißt es in der 'Koelhoff'schen Chronik':

Es war wunderlich und fremd anzusehen, als Köln mit solchen Ratsleuten besetzt war, diese Stadt, die von Anfang ihres Bestehens allzeit regiert war von den fünfzehn adeligen Geschlechtern, die von rittermäßiger Geburt, von altem Adel, mit Schild und Helm niemals im Turnier abgeworfen. An deren Stelle saßen nun die Weber, und sie hatten sich solchen Anhang gesichert, dass sie allweg den größten Teil im Rate für sich hatten. Und darum musste es gehen nach ihrem Willen, und was sie wollten, das geschah. Ihre Gewalt war groß, und sie betrieben viele Dinge, daran Vornehm und Niedrig großen Anstoß nahm. (in: Schneider-Ferber, S.129)

 

Die Riecherzeche wird ihrer Rechte beraubt und auch die Sondergemeinden verlieren ihren politischen Einfluss.

Knapp siebzehn Monate dauert die Macht der Weberanführer, und sie machen sich nicht beliebt dadurch, dass sie die indirekten Steuern auf Tuche durch ein Weinungeld ersetzen, welches viel mehr Leute trifft, aber die Weber begünstigt.. Daneben werden auf Grundbesitz direkte Steuern (Schoß) erhoben. Auch Ärmere können nun das Bürgerrecht erhalten.

 

Als mehrere Weber trotz Verbotes durch den Rat an einer brabantisch-jülischen Fehde teilnehmen und dort reiche Beute machen, werden sie nach ihrer Rückkehr zum Tode verurteilt. Weberkollegen befreien sie mit Gewalt. Das führt zum Widerstand gegen die Macht dieser Zunft. Die in Gaffeln organisierten Kaufleute verbünden sich mit anderen Zünften. Im November 1371 besiegen sie mit Söldnern die Weber und ihre Partei in einer städtischen Schlacht.

Viele Weber sterben im Kampf, andere müssen die Stadt verlassen. Ihre Häuser werden vom Rat eingezogen und die beiden Gewandhäuser der Weber werden zerstört. Weber dürfen zunächst nur noch zwei Webstühle besitzen und in der ganzen Stadt nur 200.

Im Engen Rat dürfen nur noch zwei Schöffen sitzen. "Bereits im folgenden Jahr schrumpfte der Weite Rat auf 31 Köpfe, deren Kompetenzen jetzt vornehmlich in der Kontrolle des Finanzwesens lagen, nur noch einige Goldschmiede vertraten das handwerkliche Element." (Fuhrmann, S.141f) Webern, Schmieden und Schneidern wird nun der Waffenbesitz verboten. Die Zünfte werden politisch entmachtet und stärker vom Rat überwacht, seine Qualitätskontrolle nimmt als Machtmittel zu. Das Weinungeld wird beseitigt und die Tuchakzise wieder eingeführt.

 

1388 zeigte das Kapital noch einmal Einmütigkeit bei der Gründung der Universität. Aber 1391 kulminieren die Geschlechterkämpfe der "Greifen" und der "Freunde" mit der Machtübernahme der Greifen unter Hilger Quattermart von der Stesse. Das Vermögen der Schöffen wird eingezogen und sie werden dem Rat unterstellt. Die Richerzeche wird aufgelöst.

1396 kommt der Gegenschlag der "Freunde" unter unter Konstantin von Lyskirchen, die die Führungsgruppe der Greifen einsperren und sich so arraogant benehmen wie ihre Gegner.  Darauf beendet ein Bündnis aus Kaufleuten und Zünften die Geschlechterherrschaft.Nun werden über hundert Anhänger der "Freunde" eingesperrt.

 

Ein provisorischer Rat setzt eine verfassungsgebende Kommission aus 25 Zunftvertretern  und 13 unzünftigen Bürgern ein. Kurz darauf verkünden Bürgermeister, Rat und Zünfte gemeinsam den Verbundbrief. eine Verfassung, die das politische Köln in 22 Gaffeln einteilt, von denen vier aus Kaufleuten bestehen. Jeder muss wie in Augsburg einer solchen angehören.Wer in eine Gaffel möchte, muss ein Eintrittsgeld zahlen und vorgeschriebene  Rüstung besitzen, womit ein Großteil der Bevölkerung ausgeschlossen ist.

 

Die Gaffeln wählen je nach Größe einen oder zwei Ratsherren, das Wollenamt vier, insgesamt 36 Ratsherren. Dieser Rat kooptiert weitere dreizehn, der Rat besteht dann aus 49 Mitgliedern und wählt zwei Bürgermeister. Die Amtszeit ist ein Jahr, jeweils im Juni und Dezember scheidet die Hälfte aus. Wiederwahl ist erst nach zwei Jahren möglich. Für militärische Unternehmungen und große Ausgaben muss jede der 22 Gaffeln zwei weitere Mitglieder hinzuziehen, die einen Gremium der Vierundvierziger bilden, was die Entscheidung auf 93 Vertreter verteilt.

 

Tatsächlich herrschen weiter Kaufleute, da reine Handwerker selten von ihrem Betrieb abkömmlich sind. 1397 erkennt König Wenzel die Verrfassung gegen eine Geldzahlung der Stadt an.

Darüber hinaus gelingt es nach 1441 einer kleinen Gruppe, erst die Wiederwahl der Bürgermeister nach der Pause von zwei Jahren zu betreiben und schließlich auch die Kooptation neuer Ratsmitglieder.

Es gibt vergebliche Aufstände, auch gegen die Zerrüttung der Finanzen, gegen Unterschlagung, Günstlingswirtschaft und Ämtermissbrauch, aber in die Neuzeit hinein gelingt es einer kleinen Clique von Familien, die Macht in der Stadt zu bewahren.

 

***Braunschweig***

 

Braunschweig hat sich längst aus der Herrschaft der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg gelöst, die ihre Residenz nach Wolfenbüttel verlegen. Praktisch hat sie den Status einer reichsfreien Stadt.

1293 kommt es zu ersten Unruhen der Handwerksgilden, die blutig niedergeworfen werden. Seit 1325 gibt es einen gemeinen (also gemeinsamen) Rat der fünf Weichbilder der Stadt, der von den vornehmen Geschlechtern der Altstadt dominiert wird, die teils aus der Ministerialität stammen, teils aus Familien reicher Fernkaufleute.

 

1360 schließt der Rat einen Bund mit Lüneburg, Hannover, Goslar und anderen Städten, der sich einmal gegen fürstliche Übergriffe, zum anderen aber auch gegen das Aufbegehren der von den politischen Entscheidungen ausgeschlossenen großen Bevölkerungsmehrheit richtet.

Wie andere Städte verschuldet sich auch Braunschweig im Zuge aggressiver Umlandexpansion. Sie erwirbt durch Pfand Burgen und andere befestigte Häuser in der Umgebung, was hohe Schulden bedeutet. 1373 unterliegt die Stadt in einem Krieg mit Magdeburg. Zahlreiche hohe Herren werden gefangen genommen und die Stadt muss ein Lösegeld von 4000 Mark aufbringen, was die Schulden insgesamt auf 10 000 Mark ansteigenlässt. Der Rat verlangt ein Kornungeld, was den Zorn der Handwerker hervorruft.

Gemeine Bürgerschaft und Rat stehen sich gegenüber. Im April 1374 kommt es zu jenen schweren Unruhen, die dann bald als die Große Schicht bezeichnet werden.

 

Nun wohnte zu den 'Sieben Türmen' neben dem Schuhhof der Bürgermeister Tile van dem Damme. Dieses Haus rannten die Schuhmacher und Gerber alsbald grimmig an, und mit ihnen viel Volk von der Gemeinde, welches herzugelaufen kam, stürmten das Haus, legten Feuer darin, schleppten den Hausrat davon, rissen den Frauen und Kinderndie Kleider vom Leibe und stießen sie nackt auf die Straße. Sie rauschten noch anderen durch die Häuser, den Bürgermeistern, den Ratsleuten, den Reichen in allen fünf Weichbildern. Sie schlugen mit Äxten und Schwertern zwei Bürgermeister vor ihren Häusern tot, Brun von Gustedt und Hans von Göttingen, und desgleichen noch einen Ratsmann. Sie zerhieben in etlichen Häusern die Glasfenster, die Tische, die Bänke, die Betten, die Kasten, nahmen daraus, was ihnen gefiel und sich fortbringen ließ. (Hermen Bote in: Schneider-Ferber, S.144/45)

 

Acht Ratsherren und der Bürgermeister sterben, Häuser werden geplündert und zerstört und mächtige Geschlechter aus der Stadt vertrieben. Dort, wo sich derart viel Aggression und Gewalt zeigt, kann man von lange Zeit aufgestauter Wut ausgehen. Die langen Phasen inneren Friedens in den Städten werden mit legalisierter Unterdrückung und politischer Entrechtung der meisten Menschen hergestellt, und diese suchen nach einem Anlass als Ventil, um ihrem Zorn Bahn zu brechen. 

 

Reiche Handwerker bilden einen neuen Rat. Der neue Bürgermeister Tile von Odelem lässt sich im Haus des hingerichteten Bürgermeisters von dem Damme nieder. Derweil wenden sich die vertriebenen alten Räte und die der verbündeten Städte an die Hanse um Unterstützung gegen die Aufrührer. Die Braunschweiger Zünfte wiederum wenden sich an die Zünfte in Lübeck, Hamburg und Lüneburg. In vielen Hansestädten kommtes zu Unruhen und Aufständen. Der Lübecker Detmar schreibt dazu: Das Allerschlimmste war, dass sie an viele Zünfte aller Städte Briefe sandten (...) Mit diesen Sendschreiben reizten sie die Bürger anderer Städte gegen den Rat auf (...) Wegen dieser und anderer Eigenmächtigkeiten wurden sie aus der Hanse der Kaufleute ausgeschlossen, man durfte ihre Waren weder Kaufen noch verkaufen. (in: Schneider-Ferber, S.149)

 

Im Juni 1375 wird Braunschweig auf einem Hansetag in Lübeck nach langen Verhandlungen aus der Hanse ausgeschlossen und durch solche Verhansung einer Blockade ausgesetzt. 1377 interveniert Kaier Karl IV. zugunsten einer Wiederaufnahme der Stadt. Die wirtschaftlichen Folgen in den folgenden fünf Jahren sind verheerend und die Stadt muss sich immer mehr verschulden. Vor allem Hildesheim und Magdeburg durchbrechen allerdings den Handelsboykott teilweise. Schließlich kommt es erneut zu langen Verhandlungen. 

Wesentliche Ergebnisse der Großen Schicht bleiben bestehen, aber für die Brutalität des Aufstandes müssen Gesten der Erniedrigung eingelöst werden. 1380 müssen sich Vertreter des Rates vor dem Lübecker Dom öffentlich demütigen und um Vergebung bitten.  Bezeichnenderweise muss die Stadt als Bußeleistung eine Kapelle bauen und mit Besitz ausstatten, damit dort Messen gefeiert werden können. Genauso bezeichnend ist, dass acht Ratsherren eine Art Buß-Wallfahrt nach Rom unternehmen sollen. Die Kirche und ihre Religion sind längst nicht mehr nur der legitimatorische Rahmen für die traditionelle Macht von Adel und Fürsten, sondern auch für die neue des großen Kapitals.

 

Darauf wird die Stadt wieder in die Hanse aufgenommen.

 

Nach und nach kristallisiert sich eine neue Verfassung heraus, die 1386 dokumentiert ist. Im Gemeinen Rat aus Vertretern der fünf Weichbilder sitzen 78 Ratsherren, die die Gilden bestimmen und 25 Vertreter der Geschlechter, die die Gemeinden wählen.Gildevertreter sind "31 Gewandschneider, Geldwechsler und Goldschmiede und 47 Handwerker." (Dollinger, S.178)

Der Rat tagt drei Jahre lang, wobei ein Drittel für ein Jahr den Sitzenden Rat bildet, der seinen Nachfolger selbst aussucht. Daneben gibt es einen Engen Rat, den sogenannten Küchenrat, in dem 25 Herren langsam alle wichtigen Entscheidungen an sich reißen. Er besteht aus den Bürgermeistern der Weichbilder, den Kämmerern, wobei der Bürgermeister der Altstadt den Vorsitz führt. Hier können die Geschlechter immer mehr Einfluss ausüben, während der andere Rat die Interessen einer neuen Oberschicht vertritt. Letztlich gelingt es, allgemein gesprochen, reichen Familien, das Regiment in der Hand zu behalten.

 

Leipzig (Materialsammlung)

 

Leipzig liegt in der Markgrafschaft Meißen und seit 1439 im Kurfürstentum Sachsen. 

1409 wird die Universität Leipzig gegründet und gehört damit zu den drei ältesten Universitäten in Deutschland.

 

Das Kurfürstentum wird 1485 geteilt und Leipzig gehört nun zum Herzogtum Sachsen, dessen Hauptstadt allerdings Dresden wird.

 

Seit etwa 1470 blüht der Silberbergbau im Erzgebirge auf und damit auch die Stadt. Bedeutend ist ihr Fellhandel die Weiterverarbeitung zu Pelzhalbfabrikaten für die Kürschnerei

Nach Erhebung zur Reichsmessestadt 1497 und Ausdehnung des Stapelrechts auf einen Umkreis von 115 Kilometer zehn Jahre später durch den späteren Kaiser Maximilian I. wird Leipzig zu einer bedeutenden Messestadt insbesondere für den Warenaustausch zwischen Ost- und Westeuropa.

 

 

Erfurt (Materialsammlung)

 

Erfurt ist inzwischen nach Köln, Nürnberg und Magdeburg mit annähernd       20 000 Einwohnern die viertgrößte deutsche Stadt. 1379 wird vom Rat der Stadt die Universität gegründet, die aber erst 1392 den Betrieb aufnimmt. Sie entwickelt sich zu einem Zentrum des sogenannten Humanismus mit Luther als bekanntestem Studenten.

 

1509 und 1510 erhebt sich das Volk gegen die Verschwendungssucht des Rates und gegen den Übermut einiger Universitäts-Doktoren, die innerstädtische Revolte wird als "Das tolle Jahr von Erfurt" bekannt.

 

 

Trier

 

Unterhalb des Erzbischofes und Kurfürsten sind vom Stand her die sich im Domkapitel versammelnden Vertreter der adeligen Familien des Umlandes anzusiedeln. Diese haben es schon seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts verstanden, stadtbürgerliche Vertreter von diesem exklusiven Gremium fernzuhalten, zu dem aber auf dem Lande ansässige Ministeriale aufgenommen werden.

Laut einer Steuerliste von 1363/64 sind darunter die 25 Mitglieder der Jakobsbruderschaft anzusiedeln, fast alles Schöffen und deren Verwandte. Dieses eine Prozent der Steuerpflichtigen bringt fast 20% der gesamten Steuer auf. "Diese Schöffen ministerialischer Herkunft unterschieden sich von ihrer weitgehend agrarisch bestimmten Fundierung mit ausgedehnten Grundherrschaften, die zumeist durch Wehrtürme oder ähnliche Befestigungen gesichert wurden, ihrem ritterlichen Agieren in Stadt und Land mit Fehden und Lehnsbindungen, ihrer Stiftungstätigkeit und dem damit untrennbar verbundenen Streben nach (dem Adel nachempfundener) standesgemäßer Versorgung ihrer nachgeborenen Kinder in den zahlreichen geistlichen Institutionen der Stadt und auswärts her kaum vom edelfreien Adel und vor allem nicht von den landsässigen Ministerialenfamilien, mit denen sie ihre ursprüngliche "unfreie" Herkunft gemeinsam hatten. Diese Zeiten waren längst vorüber, mittlerweile waren viele der stadtsässigen Ministerialen, die "nur noch" als Bürger in den Quellen erscheinen, zumindest von ihrer wirtschaftlichen Potenz her sogar vielen der alten edelfreien Adelsgeschlechter bei weitem überlegen" (...  Burgard in: Anton/Haverkamp, S.320).

 

Reiche Familien besitzen oder haben zu Lehen bis zu 10-20 ha Weinberge, manchmal über 150 Morgen Ackerland, dazu Wiesen und große Forste, dazu Mühlen und Keltern. Innerhalb der Stadt kontrollieren solch reiche Schöffenfamilien ganze Gebäudekomplexe für ihre familia oder sogar ganze Straßenzüge. Rendite fließt auch in Kreditgeschäfte mit dem Landadel. Dazu sind die Überschneidungen zwischen Schöffenfamilien und solchen der 30 Wechslerhaus-Genossen zu berücksichtigen.

 

Wesentliche Aufstiegschancen haben diese Leute durch Einheirat in Adelsgeschlechter, wodurch man sich zum Ritter aufschwingt. Diesem Status nähert man sich schon dadurch, dass man zu den 30 Mitgliedern der gleve gehört, Reitern in voller Rüstung mit Begleitpferd und Begleiter, oder wenigstens zu den 35 des equus, dem einfachen gerüsteten Reiter. Im 14. Jahrhundert wird es für diese Oberschicht immer üblicher, zumindest einen Nachkommen mit einer Familie aus dem Landadel zu verheiraten.

 

Reich kann man im 14. Jahrhundert in Einzelfällen auch als Bürger unterhalb ministerialer Abkunft werden, als Gewandschneider, Weber, Metzger, Händler, wobei die Karriere dann über das Amt des Zunftmeisters zum Beispiel in den Rat der Stadt führen kann und in den nächsten Generationen in das Schöffenamt.

Vorteilhaft für den Aufstieg der bürgerlichen Mittelschichten ist vor allem ein dienstrechtliches Verhältnis zum Erzbischof, aber auch mit den mächtigeren Trierer Stiften und Klöstern oder dem Adel des Umlandes.

 

In der Steuerliste von 1375 gelten knapp 29% der Einwohner als Arme, da sie weniger als ein Pfund zu versteuern haben und darum befreit sind. Bei Burgart sind unter Hinzuziehung anderer Kriterien gut 40% Unterschicht am Rande oder unterhalb des Existenzminimums. Dabei ist der Frauenanteil hier deutlich höher. (in: Anton/Haverkamp, S.352ff)

 

Eine Besonderheit sind die Edelbürger der Stadt, die als Schirmherren vor allem auch für das weitere Umland eingekauft werden. 1364 wird der lothringische Herzog dazu mit 500 Pfund Trierer Währung eingekauft, wo zu im nächsten Jahr 10 000 Mainzer Gulden kommen. 300 Mainzer Gulden gehen zu diesem Zweck 1377 an den Herzog von Luxemburg. "Im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts gab der Rentmeister ein Fünftel seiner jährlichen Ausgaben für Schirmgelder an den Erzbischof von Trier und die Herzöge von Lothringen und Luxemburg aus." (Burgard in: Anton/Haverkamp, S.365)

 Im 14. Jahrhundert gibt es eine städtische Bruderschaft der Armbrustschützen, die zum Beispiel städtische Delegationen begleitet.

 

Unter Erzbischof Kuno von Falkenstein eskalieren die Konflikte zwischen Stadtherr und Bürgerschaft. Der gerade für 750 Trierer Pfund als Schirmherr der Stadt eingekaufte Herzog Wenzel von Luxemburg tritt auf die erzbischöfliche Seite über. Wenige Tage danach schließen sich in der Stadt die Jakobsbrüderschaft und die Bürgerbrüderschaft zusammen. Dann wählt man vier Vertreter, die in den immer noch ausschließlich von Schöffen besetzten Rat gehen sollen. Beide Seiten wollen einen Schiedsspruch Karls IV., der sich Ende 1364 auf die fürstliche Seite stellt.

Januar 1365 treten die Ratsmitglieder in domo consulum dicta reithus dem königlichen Urteil entgegen: Es sind 14 Schöffen, die 4 Vertreter der neuen Jakobsbruderschaft und 10 Zunftvertreter der Weber, Metzger, Bäcker und Gerber. (Burgard in: Anton/ Haverkamp, S.304) Im selben Jahr verzichtet der Erzbischof auf den Schiedsspruch gegen die Anerkennung der kompletten Gerichtsbarkeit des Erzbischofs und eine jährliche Zahlung von 5000 Pfund.

 

1377 kommt es zu neuen schweren Konflikten, die u.a. um den erzbischöflichen Zoll in Pfalzel kreisen, den der Erzbischof aufheben muss. Er zieht daraufhin ganz nach Koblenz um, was den Verlust der Kaufkraft des Hofes für die Stadt bedeutet.

1396 treten die 4 großen mit den 9 kleinen Zünften in ein Bündnis gegen unser herren ein, die Schöffen und Wechslerhausgenossen, welches ihre Vertretung vor Gericht stärken soll. Auch Vertreter der kleinen Zünfte kommen nun in städtische Ämter.

 

1430 findet eine Doppelwahl des neuen Erzbischofs statt, gegen die der Papst als Dritten den Speyrer Bischof Raban setzt. Der eine der beiden so abgelehnten Kandidaten, Ulrich von Manderscheid, will aber nicht klein bei geben und wird in Trier gewählt. Darauf verhängt der Papst das Interdikt über die Stadt und das Erzstift.

Binnen kurzem kommt es zu Konflikten zwischen Ulrich und der Gemeinde, auch deshalb, weil der erstere die gerade erst verrtiebenen Juden zurückholen möchte. Ulrich ist mit dem Grafen von Sponheim verbündet, während die Stadt sich an den Luxemburger und den Lothringer hält.

Die Bürger treten allmählich zu Raban über, während der Manderscheider das städtische Umfeld bedroht. Die kleinen Zünfte setzen die Wahl eines zweiten Bürgermeisters der Zünfte durch, der auch auf zwei Jahre gewählt wird. 1433 hat die Stadt über 500 Soldritter angeworben und sie kann ihre Mauern verteidigen. Ulrich lässt die Stadt erst vom Weißhaus und dann vom Petrisberg mit Steinkugeln beschießen, - ohen Erfolg. Aber die Stadt muss sich in dieser Zeit massiv verschulden.

 

Die Konflikte um Einfluss zwischen den kleinen und großen Zünften nehmen zu. 1434 einigt man sich darauf, dass die großen wie die kleinen Zünfte je sieben Vertreter auswählen und die Jakobsbruderschaft zwei. Diese sechzehn und die Bürgermeister wählen dann vierzehn Ratsmitglieder, die nicht aus ihren Gremien kommen dürfen, und die mit den 14 Schöffen den Rat bilden. Insbesondere Spitzen-Vertreter der vier großen Zünfte fühlen sich nun auch als der alten Oberschicht zugehörig.

Bald wählen die Zünfte ihre Ratsmitglieder aber direkt in den Rat, wobei die großen Zünfte wieder ein kleines Übergewicht erhalten (11 zu 9). Neben dem Schöffenbürgermeister gibt es in den fünziger Jahren nur noch 4 Schöffen. Die Ämter des Rent- und des Baumeisters gehen bald an Zunftvertreter. In den siebziger Jahren stellen die Zünfte 19 Mitglieder. Bei nunmehr 24 Ratsmitgliedern kann der Erzbischof nur noch auf die Ernennung von acht Einfluss nehmen (fünf Schöffen und die Amtsmeister der Metzger, Gerber und Kürschner).

 

Inzwischen ist auch ein erhebliches Vermögen Voraussetzung für die Ratsmitgliedschaft. Der Rat schließt sich immer mehr ab, vor allem in der Trinkstubengesellschaft in der Steipe am Markt.(nebenan).

1430 als Dependance des Rathauses in der Tradition der alten Turmhäuser erbaut und nach 1480 umgebaut, wurde das Gebäude im zweiten Weltkrieg zerstört und danach in einer lobenswerten Kraftanstrengung der Stadt originalgetreu rekonstruiert.

 

Auch Zunftvertreter im Rat tendieren immer mehr dazu, auf Lebenszeit in diesem zu verbleiben und weniger betuchte kleine Zünfte lassen sich dabei von Zunftfremden vertreten. Mitgliedern führender Zunftfamilien gelingt zudem der Aufstieg in die Schöffenfamilien.

 

Zu den Armbrustschützen kommen die der Handbüchsen, die sich 1461 ebenfalls in einer Bruderschaft organisieren und Wettschießen, bald auch Schützenfeste abhalten und neben Geschützen immer wichtiger in Fehden werden. Ein Mitglied des Rates taucht nun als städtischer Schützenmeister auf. 1460 kann die Stadt 250 Schützen aufbieten, und dazu rund 600 Bürger mit Streitäxten und Gewehren.  Burgart in: Anton/Haverkamp, S.367f)

 

Seit Mitte des 15. Jahrhunderts planen Erzbischof und bürgerliche Oberschicht eine Universität, die 1473 gegründet wird. Sie wird vom Papst mit Privilegien und Pfründen versehen, die Professoren werden aber nicht solide aus dem städtischen Haushalt besoldet. Größte Fakultät wird die der Artisten, daneben gibt es Juristen, Theologen und Mediziner.

 

Süddeutschland

 

In Süddeutschland bilden Geschlechter einer Stadt Handelsgesellschaften mit zunehmendem Kapitaleinsatz. Die Beziehungen gehen stark nach Italien und Spanien, aber auch nach Flandern und England. "Die Ravensburger Gesellschaft unterhielt im Verlauf ihrer Entwicklung Niederlassungen (Gelieger) in Venedig (nur bis 1474), Mailand, Genua, Genf, Lyon, Avignon (...), Barcelona, Saragossa, Valencia, Brügge (bis 1485) und später Antwerpen (seit 1485), Nürnberg und Wien." (Gilomen, S.111).

 

Deutsche Gesellschaften hatten sich bis zur Abwanderung des Kapitals von Brügge nach Antwerpen Ende des 15. Jahrhunderts von großen Finanzgeschäften ferngehalten, bis sich dann die Hochstetter vor 1486 am Antwerpener Geldmarkt etablieren, und nach ihnen 1494 Jakob Fugger und eine Anzahl Jahre später die Welser. Basis für den Aufstieg solcher Firmen sind allerdings die Erze Sachsens, Mährens, Schlesiens und Tirols.

 

Während Augsburg und Nürnberg unaufhaltsam aufsteigen, sinkt die Bedeutung Regensburgs im 15. Jahrhundert. Schon nach den Unruhen der 1330er Jahre verließen viele Fernkaufleute die Stadt. Zudem diversifizieren sich die Handelswege, und der Transitstandort Regensburg verliert dabei an Bedeutung. Schließlich schadet es der Stadt wohl auch, dass das produzierende Gewerbe immer eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Weiteren Schaden fügen die Hussitenunruhen im frühen 15. Jahrhundert den Handelsbeziehungen nach Böhmen zu, und schließlich ist die Stadt komplett vom Territorium der Wittelsbacher umschlossen, die seine Wege bei fehlender Willfährigkeit nun jederzeit blockieren können.

 

***Würzburg***

 

Kaiser Karl IV. verbietet am 23. September 1357 den Würzburger Rat der Vierundzwanzig und die Zünfte und bestraft die Würzburger Bürger damit, dass sie 10 Jahre lang jährlich 1000 Pfund Heller an den Bischof zahlen sollen. Viele reiche Bürger veranlasst das dazu, in die umliegenden Städte Würzburgs und nach Nürnberg ziehen, um dem zu erwartenden Steuerdruck zu entgehen.

 

1372 werden nach dem Tod des Würzburger Bischofs Albrecht II. von Hohenlohe zugleich der Bamberger Domdekan Withego und Albrecht III. von Heßberg erwählt, der die Zünfte wieder zulässt. Obwohl Withego die Mehrheit des Domkapitels hinter sich hatte, kann er sich gegenüber Albrecht III. nicht durchsetzen und begibt sich nach Avignon zu Papst Gregor XI. In Anwesenheit des Naumburger Bischofs Gerhard von Schwarzburg aus altem Thüringer Adelsgeschlecht, der in seinem Bistum ebenfalls unter Druck steht, wird im Herbst 1372 der Tausch der beiden Bistümer vereinbart. Am 1. Dezember 1372 folgt die Verleihung der Regalien durch Kaiser Karl IV.

 

Das Bistum Würzburg besaß nun zwei Bischöfe. Gerhard muss sich damit nun gegenüber dem Gegenbischof Albrecht III. durchzusetzen und zugleich gegen die Stadt, die ihn ablehnt. Er verlangt den Rücktritt Albrechts von Heßberg und bringt damit die Mehrheit der Bürger Würzburgs gegen sich auf. Er verlangt daraufhin die Einstellung des Rates der Vierundzwanzig, die Abschaffung der Zünfte und die Auslieferung des Stadtschlüssels.

 

Er fällt also verbündet mit dem Stiftsadel in der ländlichen Umgebung der Stadt ein und verwüstet sie, die nunmehr in der Reichsacht ist und vom päpstlichen Bann bedroht. Albrecht von Heßberg flüchtet aus der Stadt.

 

Der Rat der Stadt und die Zünfte beschließen 1373, mit der "Zunfturkunde" eine Art Friedens-Bündnis für die Gemeinde durch die beiden Bürgermeister und 38 Mitglieder des alten und neuen Rats. Darin werden alle 37 Zünfte aufgezählt, von denen erstaunlich viele mit Wein zu tun haben.

 

Die Städter halten die Belagerung nicht durch und ducken sich vor dem Bischof. Papst Gregor bewilligt dem Fürstbischof, die Kosten von vielleicht 140 000 Gulden des Krieges auf die Bürger umzulegen, nachdem er schon sein Amt mit 300 000 Gulden Schulden angetreten hatte. Der Bischof beginnt den Bau einer Zwingburg in den Mauern der Stadt, der Neuenburg.

Nachdem Gerhard 1376 die Stadt voll unter seiner Kontrolle hat, zieht er im Folgejahr mit dem Kaiser gegen den Schwäbischen Bund und belagert die Stadt Ulm, wofür ihm der oberste Potentat 1380 die Reichsstadt Schweinfurt schenkt.

 

1396 schließt Würzburg mit einigen umliegenden Städten einen Friedensschutzverband, um dem Steuerdruck des Fürstbischofs zu entkommen, welcher einige Sondersteuern durchgesetzt hat. Später

Im Oktober 1397 macht König Wenzel Würzburg zur Reichsstadt, im Januar des Folgejahres muss er das unter dem Druck der Fürsten wieder zurücknehmen. Nun

nutzt der Fürstbischof seine neugewonnene Macht, um die Steuern zu erhöhen, was auf den Widerstand von elf fränkischen Städten trifft.

Es kommt zu einem Aufstand, in welchem die Zünfte den Rat der 24 zum Großteil übernehmen; Bürger plünderten Besitztümer Geistlicher und Bischof Gerhard flüchtet auf die Festung Marienberg, welche die Bürger zwei Wochen belagern. Er erwirbt sich die Unterstützung Rothenburgs, dem er Unterstützung gegen den Nürnberger Burggrafen verspricht und sich gegen das reiche Dominikanerinnenkloster dort wendet, welches Topplers Stadtregiment unter seine Kontrolle bringen möchte. 

 

1399 folgt eine weitere Steuererhöhung. Die Würzburger Bürger stehen dagegen bewaffnet auf und der Fürstbischof ruft die fränkische Ritterschaft zu Hilfe. Die Stadt wird belagert und soll ausgehungert werden. Im Januar gelingt es dem Fürsten, durch Verrat in die Stadt einzudringen, und er fordert, den Anführern Arme und Beine zu brechen und sie auf das Rad zu flechten, wenn sie nicht       40 000 Gulden zahlen.

 

Durch die Schlacht von Bergtheim im Jahr 1400 kann der Bischof seine unumschränkte Stadtherrschaft und auch die Hoheit über zehn weitere, mit Würzburg verbündete Städte wiederherstellen. Damit verliert die Stadt Würzburg dauerhaft ihre politische Selbstständigkeit; zudem werden die Zünfte zunächst verboten und deren Mitglieder kirchlich orientierten Bruderschaften zugeordnet.

Die daraus resultierenden finanziellen Belastungen, der wirtschaftliche Niedergang der Stadt und ständige Auseinandersetzungen mit dem Domkapitel um die Steuerpolitik des Stifts brachten dieses aber an den Rand des Ruins. In Anbetracht einer Schuldenlast von 2,5 Mio. Gulden wurde ernsthaft erwogen, das gesamte Stift dem Deutschen Orden zu inkorporieren.

 

Fürstbischof Johann von Egloffstein hatte als Dompropst schon unter Gerhard in der Schlacht von Bergtheim gegen die Bürger gekämpft. Im November 1400 wird er mit Unterstützung durch König Rupprecht zum Bischof gewählt. Nach Einnahme der Stadt erklärt er den Rat und die Zünfte für aufgelöst. Nach sechs Jahren Auseinandersetzungen ist er damit am Ziel.

 

Fürstbischof Johann gründete am 10. Dezember 1402 die Universität Würzburg als Hohe Schule zu Würzburg. 1423 muss der Lehrbetrieb aus Geldmangel und inneren Konflikten erst einmal eingestellt werden. Die Studenten wandern nach Erfurt ab.

 

1406 schätzt der Papst die Schulden des Bischofs auf 2.5 Millionen Gulden ein.

 

1407 verbündet sich der Bischof mit dem Burggrafen von Nürnberg gegen Rothenburg. Im selben Jahr werden außerordentliche Landsteuern auch für Klerus und Adel eingeführt. Das Domkapitel verweigert die Zahlung und 1408 steckt der Bischof 18 Domherren in den Keller seiner Festung, die übrigen verbünden sich in Ochsenfurt mit dem dortigen Adel und er muss alle wieder freilassen. Die Domherren stimmen dann der Besteuerung des Klerus mit Ausnahme von ihnen selbst zu. Aber der fürstliche Haushalt bleibt ruinös.

 

1432 zerstören die Bürger die von Gerhard von Schwarzenburg begonnene und immer noch nicht vollendete Neuenburg in der Stadt im Zuge erheblicher Auseinandersetzungen.

 

***Freiburg***

 

1350 folgt Graf Friedrich auf Konrad. Freiburg verbündet sich zusammen mit anderen Städten mit Habsburg und muss mehrmals dafür in den Krieg ziehen. Auch mit Graf Friedrich kommt es zu Konflikten über dessen finanzielle Forderungen, die immer härter abgelehnt werden.

1358 tritt Graf Egino (Egen) II. gegen den Willen der Stadt die Herrschaft über Freiburg an und erreicht bald auch die Landgrafschaft über den Breisgau. Es kommt in den 60er Jahren zu Konflikten mit der Stadt darüber, dass sie viele Neubürger aufnimmt, die damit ihren Herren entzogen werden. Ein gräflicher Überfall auf die Stadt misslingt. Die Stadt besorgt sich Soldritter und einfache Söldner, erobert 1366 die Grafenburg und zerstört sie. Es kommt zu einem veritablen Krieg mit 50 Soldkriegern, in dem sich Freiburg mit Neuenburg, Basel und Breisach verbündet. Oktober 1367 erleidet die Stadt eine massive militärische Niederlage und im nächsten Jahr kommt es zu einem Waffenstillstand.

 

In einem Vertrag kauft sich die Stadt dann von ihrem Herren frei. Dafür muss sie 25 000 Gulden aufbringen, mit denen der Graf Badenweiler kaufen möchte,

15 000 Silbermark für die Ablösung der Herrschaft über die Stadt mit 1000 Mark jährlicher Verzinsung und 5000 Mark Lösegeld für seine Kriegsgefangenen.

Das kann die Stadt nicht alleine aufbringen und verkauft sich nun an Habsburg unter Albrecht III. und Leopold III., welches dafür 30% aller Gelder (30 000 Gulden) aufbringen muss, was sie in Pfandschaften im Elsass und im Sundgau leistet, die an den Grafen gehen.

Die Habsburger wiederum hatten schon in der ersten Hälfte des Jahrhunderts viele Städte im Großraum wie z.B. auch Breisach unter ihre Kontrolle gebracht. Nach dem Wechsel des Stadtherrn gehen viele mächtige Leute des Grafen zu den Habsburgern über und treten in ihre Dienste. Die Kaufleute des städtischen Patriziats verlassen nach und nach die Stadt und gehen im Landadel auf, wodurch die Stadt "auf das Niveau einer handwerklichen Mittelstadt" zurücksinkt. (Freiburg, S.216) Immer mehr Häuser stehen nun leer. Die Schlacht von Sempach 1386 bedeutet dann einen erneuten heftigen Aderlass an Freiburger Patriziern.

 

Die politische Verfasstheit der Stadt ändert sich 1368 nur wenig. Die Alt-Vierundzwanziger werden auf Lebenszeit gewählt und müssen mindestens 30 Jahre alt sein. Gewählte Ratsmitglieder sind bei schwerer Strafe verpflichtet, ihr Amt anzutreten.

An der Spitze der Ämter, also der Ratsausschüsse, stehen überall Alt-Vierundzwanziger, aus deren Reihen auch der Schultheiß kommt. Sie alleine werden auch mit einem Schilling Pfenniggeld bezahlt. In allen Ämtern gibt es Parität zwischen Edlen, Kaufleuten und Zünftigen. Die meisten Zünftigen sind Zunftmeister.

In den nächsten Jahrzehnten rücken immer mehr Kaufleute in den alten Rat nach, die für die Dauer ihrer Ratszeit als "Edle" aufgestuft werden

 

Bis zu seinem Tod 1385 behält Graf Egen II., der nun auf der Burg Neuenstein in Badenweiler sitzt, den Titel eines Landgrafen vom Breisgau. 1398 erst fallen die Bergrechte (Silberabbau vor allem) an die Habsburger, wohl im Zusammenhang mit der Verpfändung Badenweilers und der Landgrafschaft durch den Grafen.

 

In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts schwindet die Teilnahme Freiburger Bürger am Silberbergbau, der massiv zurückgeht.

 

Nach dem Töten der Juden 1349  gelangen in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts erneut Juden in die Stadt, die dafür ein erhebliches Eintrittsgeld zu bezahlen haben. Sie müssen spätestens ab 1394 Spitzhüte und einfarbige Mäntel tragen. An den Ostertagen gilt für sie eine Ausgangssperre.

1401 kommt es nach neuen Gerüchten von Brunnenvergiftungen zur Vertreibung der Juden. 1411 privilegiert Herzog Friedrich IV. drei Juden, aber 1424 kommt es zu einem Privileg König Sigismunds, welches erneute Vertreibung bei Entschädigung erlaubt. Diesmal gilt sie bis ins 19. Jahrhundert.

 

1379 werden die Habsburgerlande unter zwei Brüdern geteilt, in einmal Ober- und Niederösterreich und zum anderen den ärmeren Rest, der durch eine Ausgleichzahlung ergänzt wird.

 

Die Schwäche der Patrizier nutzen die Zünfte im Januar 1388 für die Ersetzung des zweiteiligen Rates durch einen aus 18 Zunftmeistern des Handwerks, dem der Kaufleute, 19 zusätzlichen (zünftigen) Handwerkern und elf Vertretern der Stadtadeligen und Kaufleute und dem Kaufleute-Zunftmeister. An der Spitze steht ein zweimal besser als der Bürgermeister besoldeter Ammeister. Tatsächlich ist aber eine reichere Handwerker-Elite in den Schlüsselpositionen wie der des Ammeisters.

"Der jährliche Wechsel im Rat erfasst alle Zunftmeister sowie die Hälfte bis zwei Drittel der Geschlechter und der (Zunft)Zusätze, also rund 70 bis 80 Prozent aller Ratsmitglieder. Eine länger als zwei Jahre dauernde stetige Ratsmitgliedschaft lässt sich in keinem Fall beobachten. Die 110 Zunft- und 28 Geschlechterräte stellen den Rat erstmals auf eine breite, sich jährlich weitgehend ändernde personelle Basis. Väter und Söhne oder Bruder gehören ihm nicht mehr gleichzeitig an." (R.Merkel in: Freiburg, S.579)

 

1392 schafft Herzog Leopold IV. das Amt des Ammeisters wieder ab und es gibt einen vom Herzog eingesetzten Schultheißen, dessen Amt ab 1409 allerdings an die Stadt verpfändet ist. Der Rat aus 48 Männern besteht aus je zwölf Adeligen (Edlen) und Kaufleuten, 18 Zunftmeistern und sechs weiteren Sitzen von Handwerkern (Zusätzen). Er soll nur noch auf Rat und im Beisein des Landvogtes und von zwei landesherrlichen Räten eingesetzt werden. Bürgermeister darf nur noch ein Edler werden.

"Die Ratswahlen sollen jährlich stattfinden. Dabei ist vorgesehen, jeweils ein Viertel der Räte, das heißt vier Edle, vier Kaufleute und vier Zünftige für eine zweite Amtsperiode im Rat zu belassen, damit sie die neuen Räte mit den Ratsgeschäften des vergangenen Jahres vertraut machen können. Kein Ratsmitglied darf jedoch länger als zwei Jahre kontinuierlich dem Rat angehören." (Freiburg, S.586)

Im Ratsausschuss für die Blutgerichtsbarkeit, das Schultheißengericht und in der (Finanz)Verwaltung des Kaufhauses besetzen Adel, Kaufleute und Zunftmitglieder jeweils ein Drittel der Sitze.

 

Allerdings schrumpft im 15. Jahrhundert mit der Zahl der Adeligen und Patrizier in der Stadt auch die Möglichkeit, mit ihnen Posten zu besetzen, die darum nun an wohlhabende Handwerker gehen. Schon von den 38 Geschlechtern, "die zwischen 1378 und 1388 im Rat vertreten sind, tritt ein knappes Drittel nach 1392 nicht mehr in Erscheinung." (Freiburg, S.584)

 

Im Zuge des aufblühenden Kapitalismus wird selbst in einer Stadt wie Freiburg, die insbesondere im 15. Jahrhundert immer mehr Reiche wie auch Großkapital - teilweise an das Umland - verliert, die Bindung des Bürgerrechtes an unbelastete städtische Immobilien immer unbrauchbarer, da diese als Sicherheiten für Kredite benötigt werden. 1397 setzen beide Räte nun fest, dass man nun nach einer Einschreibegebühr in ein neuangelegtes von drei Schillingen und vier Pfennigen und - im Regelfall - einem Einkaufsgeld von drei Pfund Pfennig in den Bürgerstand als Bürger aufgenommen wird. Damit kann man theoretisch nun Mitglied im Rat und bei Gericht werden. Das Geld geht an den Amtsherren im Freiburger Kaufhaus. Zudem muss man binnen eines Monats einen Harnisch vorweisen, da man nun zur Bürgermiliz gehört.

Die meisten Zunftmitglieder verzichten darum darauf, Bürger zu werden, es sei denn, sie gehören alten Familien an oder sie wollen ein Amt übernehmen. Alle Einwohner aber haben Abgaben und Zölle zu leisten und militärische Dienste zu übernehmen. Satzbürger können allerdings einen festen Pauschal-Steuersatz leisten, womit man wohlhabenden Zuzug in die Stadt fördern möchte.

 

Nach 1391 versucht Markgraf Bernhard von Baden ein geschlossenes Territorium herzustellen. 1415 gerät Herzog Friedrich mit dem unterlegenen Papst Johannes XXIII. in Reichsacht und Kirchenbann. Bis 1429 erhält Freiburg dadurch mit einigen anderen Städten die Reichsunmittelbarkeit. Nachdem Markgraf Bernhard 1417 Reichslandvogt im Breisgau wird, wird die Lage für Freiburg bedrohlicher. 1422 verbünden sich Freiburg, Breisach und Endingen sowie der pfälzische Kurfürst gegen ihn.  1424 brennen sie Emmendingen nieder.  1427 huldigt Freiburg wieder dem Habsburger.

 

Freiburg wird in die Konflikte Habsburgs mit den Eidgenossen hineingezogen und muss "Aufgebot, Rüstung, Geschütz und Proviant" liefern (Freiburg, S.222).

 

1439 erhält Albrecht VI. die Vorlande (samt Freiburg). 1440 wird Friedrich III. römisch/deutscher König und belehnt Albrecht mit dem Herzogtum Brabant, kümmert sich dann aber kaum noch um den Westen seines Reiches. 1453 soll Albrecht die habsburgischen Vorlande auf Dauer behalten und er macht sich daran, Freiburg zu seiner Residenz auszubauen. 1454 richtet er dort ein großes Fürstenfest aus, an dem auch der Burgunderherzog teilnimmt.

 

Im selben Jahr 1454 schafft Albrecht die Zünfte als politische Körperschaften ab, ebenso ihre Trinkstuben. Nur die adelige zum Ritter und die des Großkapitals zum Gauch bleiben bestehen. Die Stadt wird in Sechstel geteilt, die einem jährlich vom Rat bestimmten Sechstelmeister unterstehen. Jedem Sechstel wird eine Trinkstube unterstellt.

Nur noch je sechs Adelige und sechs Kaufleute bilden mit 12 Vertretern der Einwohnerschaft aus sechs Sechstel-Meistern und sechs Handwerkern und Sonstigen den Rat. Tatsächlich sind aber die meisten Sechstel-Meister alte Zunftmeister, während die Spitzenämter der Stadt an Vertreter der alten Geschlechter fallen.

 

1459 werden zwölf Zünfte wieder zugelassen und ihre Meister kehren in den Rat zurück (nicht nur Adel und Handel, sondern auch das Handwerk war geschrumpft). In ihm gibt es außerdem zehn Edle und zwei Kaufleute, zudem sechs Zusätze, die nach 1460 nur noch aus den Zünften kommen: "Nach und nach ersetzen Zusatzräte aus den Zünften die ausbleibenden Adeligen und Kaufleute im Rat, Gericht und Ämtern, so dass bis 1500 die Handwerker ein deutliches Übergewicht im städtischen Regiment erlangt hatten, das sie nicht mehr einbüßen sollten." (Freiburg, S.231) 1467 wird der letzte Vertreter der Kaufleute aus dem Rat der 30 unter die Edlen aufgenommen und die Kaufleute verschwinden als eigene politische Gruppe. Zugleich schwindet das Interesse der Edlen an Beteiligung am Stadtregiment immer mehr, da sie sich auf ihre Landsitze zurückziehen.

Der Rat wählt jährlich einen neuen Bürgermeister. Ein dauerhaft eingestellter Stadtschreiber ist Leiter der Kanzlei, Berater des Bürgermeisters und Protokollant der Ratssitzungen.

 

Universitäten sind von ihrem Ursprung her klerikale Einrichtungen und daran erinnert auch noch 1457 die Zustimmungsurkunde von Papst Calixtus III. zur Freiburger Universitäts-Gründung. Dabei sind sie schon lange vor allem Instrumente königlicher bzw. fürstlicher Herrschaft geworden und dienen nicht mehr nur der Rekrutierung von Geistlichen, sondern auch von weltlichen Dienern weltlicher Macht, in diesem Fall des Habsburgers Albrechts VI.

Daran ändern auch die Freiheiten von Herrschaft wie von Ansprüchen der jeweiligen Stadt nichts, die sich als Satzungs- und Verwaltungshoheit und eigene Gerichtsbarkeit niederschlagen. Die inneren Freiheiten bedeuten allerdings keine persönliche Freiheit von Forschung und Lehre. Auch Universitäten des 15. Jahrhunderts sind christlich im Sinne der römischen Kirche und vertreten den göttlich vermittelten Machtanspruch der Mächtigen und der ebenso gottgewollten Ohnmacht der Ohnmächtigen. Wenn dann im 20. Jahrhundert der Einfluss der Kirchen schwindet, wird er durch den des großen Kapitals ersetzt.

 

"Albrecht überträgt der künftigen Universität Patronatsrechte für Pfarreien und Altarpfründen in Freiburg, Ehingen an der Donau, Rottenburg am Neckar, Breisach, Winterthur" (etc) "im März und September gewährte er das Patronatsrecht für die Villinger Pfarrkirche beziehungsweise die Hälfte des dort erhobenen Zehnten." 1456 wird daraus Inkorporation, d.h. die Universität wird quasi dort Pfarrer und setzt dafür einen Vikar ein, wodurch sie dann über die Einkünfte aus dem jeweiligen kirchlichen Grundbesitz verfügt. (Freiburg, S.235)

 

Nachdem Albrecht VI. noch die Gründung der Universität mit seinem Namen verbunden hatte, erhält er 1458 Oberösterreich und 1452 Niederösterreich zugesprochen, während Sigismund von Tirol die Vorlande übernimmt. Der aber regiert von Tirol aus, weshalb Freiburg nicht weiter als Residenz ausgebaut wird.

 

Im 15. Jahrhundert wird Freiburg immer mehr von Handwerk geprägt, welches nur noch für den Bedarf der Stadt und des Umlandes produziert. Die Zünfte versuchen immer stärkeren Zunftzwang für ihre Interessen einzusetzen, und beziehen dabei auch immer mehr städtische Armut ein. Die Stadt verarmt dabei auch dadurch, dass Handwerk und Kleinhandel auf die Dörfer und Kleinststädte abwandern. Dorfmärkte verlangen geringere Marktgebühren. Außerhalb der Bannmeile von 10 km kann die Stadt dagegen wenig ausrichten. Schließlich versuchen die Markgrafen von Baden ihren Untertanen immer mehr zu verbieten, Märkte außerhalb des badischen Territoriums zu besuchen. (Freiburg, S.240)

 

Nur Eisen, Stahl, Farbstoffe und Stockfisch kommt noch aus größerer Entfernung auf die seit 1516 drei Jahrmärkte, auf denen auch Tuche, Leder, Luxuswaren und Gewürte gehanelt werden.

 

Neben zünftige Einengung treten kapitalistische Tendenzen in einigen Bereichen des Handwerks. Nachdem Granat, Achat und Bergkristall entdeckt werden, entwickeln sich da herum kapitalintensivere und exportorientierte Unternehmen, die dann sogar Edelsteine aus Idar-Oberstein verarbeiten. Im Bereich der Tuchproduktion wird 1476 der Zunftzwang wieder abgeschafft. "Fortan entwickelte sich die Freiburger Tuchindustrie auf kapitalistischer Basis." (Freiburg, S.242). Andererseits werden nicht nur Kämmer, Krempler und Walker, sondern auch andere ärmere Meister nun proletarisiert.

 

Die Bevölkerung der Stadt entwickelt sich von rund 10 000 Einwohnern um 1345 zu rund 8850 Einwohnern 1390 und zu rund 6100 Einwohnern um 1450.

 

Als Ausgleich versucht die Stadt wo sie kann auf das Umland zuzugreifen. Dazu gehören Ausbürger-Verträge mit Adeligen wie Bauern, die diesen aber kaum mehr bieten als das Recht, sich nun Bürger zu nennen und das, in die Stadt zu siedeln bieten. Die Stadt wiederum gewinnt ihre Steuern und Abgaben. Daneben kauft der Rat Ländereien auf, die als Allmende an Wald und Weide vergeben werden. Schließlich gibt die Stadt erhebliche Summen für den Ankauf ganzer Dörfer und Talgemeinden aus (Betzenhausen, Adelhausen, Kirchzarten etc.) Schließlich werden besonders als Raubritterburgen betrachtete Festungen erobert und zerstört.

 

Im Vertrag vom St. Omer verpfändet der Herzog gegen 50 000 Gulden und militärische Unterstützung gegen die Schweizer die Vorlande. Der Breisgau wird darauf von Ensisheim aus burgundischen Finanzinteressen unterworfen.

1474 verbündet sich Sigismund mit den Schweizern gegen Burgund. Die Reichsstände sichern ihm 80 000 Gulden für die Auslösung der Vorlande zu.

1477 stirbt Karl ("der Kühne") und Erzherzog Maximilian erbt die östlichen Besitzungen.

 

Der wirtschaftliche Niedergang der Stadt und die entsprechende Einnahmen-Problematik führen 1476 zu einer Untersuchung, bei der der Stadtschreiber auf die Reise zu süddeutschen Städten gesandt wird, um deren Strukturen zu erfragen. Es bleibt danach bei einem regressiven Steuertarif, der weiter die Reichen bevorzugt. Der Ratsauschuss stellt in einer Präambel "anhand des bekannten Gleichnisses vom menschlichen Körper das Gemeinwesen  nicht als einen sich gegenseitig  verpflichtenden Verband von Gleichberechtigten, sondern vielmehr als eine gottgewollte, unumwandelbare Hierarchie von Herrshaftsbefähigten und gehorsamen Untertanen dar." (Freiburg, S.255)

Freiburg hat eine Kapitalschuld von 150 000 Gulden, die bei 5% jährlich eine Zinsschuld von 7500 Gulden bedeutet. Versucht wird vor allem, Klöstern und anderen geistlichen Institutionen Privilegien zu nehmen oder abzukaufen. Dabei müssen schon damals Klöster Steuern bezahlen, nur die einzelnen Mönche sind davon frei.

 

Die Geldbedürfnisse Herzog Sigismunds führen nach Sondersteuern 1487 zur Verpfändung der gesamten Vorlande an Bayern. In Meran gelingt es den österreichischen Landständen, den Herzog zu Haushaltskürzungen zu bewegen und sie setzen ein Aufsichtsgremium für die Finanzen ein. Stattdessen verfällt Maximilian auf Zwangsdarlehen. Dieser wird bis ins 16. Jahrhundert bei der Stadt verschuldet sein.

 

1488/89 wird die Wahl des Obristzunftmeisters durch die zwölf Zunftmeister abgeschafft. Er wird nun vom Rat unter Aufsicht der landesherrlichen Räte gewählt. 1490 übernimmt Maximilian die Vorlande und sorgt dafür, dass im Kaufhaus "künftig zwei aus dem Rat und drei aus den Zünften die keine weiteren Ämter tragen, das gemeine Gut verwalten." (Freiburg, S.592) Die sonstige Ratsverfassung lässt er in Kraft, was sie bis 1551 auch bleibt.

Maximilian wird 1493 König und 1508 Kaiser. Er unterstützt Freiburg, hält sich aber lieber in Innsbruck auf, um von dort auch seiner Jagdleidenschaft zu frönen.

 

1497/98 findet in Freiburg die Fortsetzung des Wormser Reichstages statt, was für die Stadt mit vielleicht 6000 Einwohnern zu einer hohen Belastung wird. Die Stadt muss weitere 6000 Leute und rund 2000 Pferde aufnehmen und dem Reichstag auch die Ratstube in der Gerichtslaube zur Verfügung stellen muss. Vor allem die Versorgung mit Brot, Hafer und Brennholz macht Probleme. Teuer sind auch die erheblichen Geschenke, die die Stadt ihren hohen Gästen machen muss. "Sowohl Maximilian als auch seine Gemahlin Bianca Maria Sforza erhielten jeweils einen Wagen mit 30 Säcken Hafer, einen Wagen mit drei Fässern Wein und Fische für sechs bis zehn Gulden in einem kleinen Zuber. Der Königin überreichte man überdies in einem Säcklein 100 Gulden in Gold." (Ulrich Ecker in: Dendorfer/Regnath/Widmann, S.179)

 

1498 marschieren 144 Freiburger für Maximilian gegen Frankreich nach Mömpelgard (Burgund).Im Schweizer (bzw.Schwaben)Krieg 1499 dienen 113 zünftige Freiburger, darunter allerdings nur 14 Meister. Im frühen 16. Jahrhundert dienen Freiburger dann bei Maximilians Italienzügen (insbesondere gegen Venedig).

 

Der Bau des gotischen Westchors des Münsters wurde 1354 begonnen und verlangsamt sich dann erheblich. 1464 überträgt der Erzherzog das Pfarrrecht am Münster an die Universität, die in ihm auch ihre Lehrenden begraben möchte. 1471 wird mit größerem Tempo weitergebaut, wobei der Bau immer wieder mit Ablässen finanziert wird. Der Westchor wird 1513 geweiht und 1536 fertiggestellt. 1513-16 wird der Altaraufbau, ein Werk von Hans Baldung Grien, der dafür nach Freiburg umzieht, fertiggestellt.

1497 beginnt man mit dem Bau des Kornhauses, welches als Fest- und Tanzsaal für den Reichstag dienen soll. Aber es wird erst1504 fertig werden. 1524-32 entsteht ein neues Kaufhaus beim Münster.

 

Seit den 90er Jahren immer wieder Druck der Zünfte um mehr Macht. 1495 werden ihnen mehr protektionistische Maßnahmen zugestanden Nach 1500 kommt es zu einem gewissen Aufschwung von Bevölkerung, Wirtschaft und Haushalt.

 

Die Stadt verhält sich gegenüber ihrem Umland nun immer mehr wie ein Feudalherr. Nachdem der Rat 1494 die Zölle auf Früchte an den Stadttoren verkündet, werden die Zöllner an den Toren beschimpft. Auf der Kirchweih von Ebringen kommt es zu Handgreiflichkeiten gegen Freiburger, bei denen ein Geselle getötet wird. Am nächsten Tag schickt der Rat rund 700 bewaffnete Reiter und Fußsoldaten nach Ebringen, um Bauern als Geiseln gefangen zu nehmen. Die Ebringer fliehen aber allesamt. Es kommt zu einem Gerichtsspruch, der Verständnis für die Landbevölkerung zeigt. Die Stimmung dort aber verweist schon auf den Bauernkrieg.

 

1497 beschließt der Rat die Erneuerung des Stadtrechtes und betraut damit eine Ratskommission. 1520 genehmigt Kaiser Karl V. das neue Recht.

 

***Augsburg***

 

Die neuartige politische Verfasstheit von Städten orientiert sich im wesentlichen am städtischen Erfolg von Kapitalverwertung, auch wenn das damals niemand so formuliert. Das dürfte der wesentliche Grund sein, warum eine kleine Elite die Städte regiert. Dabei gibt es erhebliche lokale Unterschiede: Manchmal werden die Spitzen mächtiger Zünfte wie in Augsburg ins Stadtregiment integriert und damit der Masse der Produzenten entfremdet, manchmal gelingt es dem sich immer aristokratischer gebenden Handels- und Finanzkapital, das Handwerk ganz draußen zu halten, wie in Nürnberg und manchen Hansestädten.

 

Seit Rudolf von Habsburg gelingt es Augsburg, Reichsunmittelbarkeit zu erreichen und damit den Bischof politisch zu entmachten. 1306 wird die Stadt dafür königlich privilegiert, was allerdings eine jährliche Reichssteuer von 400 Pfund Augsburger (Silber)Pfennigen nach sich zieht.

Ein Kleiner Rat aus zwölf Vertretern der vornehmen Familien regiert nun und ergänzt sich selbst durch Kooptation. Ende des 13. Jahrhundert wird dieser gelegentlich verdoppelt. Daneben wird noch ein Großer Rat gebildet, in dem ab 1360 auch schon mal einzelne Handwerker aufgenommen werden. Zwei jährlich wechselnde Stadtpfleger nehmen die Stelle von Bürgermeistern ein. Indirekte Abgaben finanzieren die Stadt, die sich wie andere auch verschuldet, und der Schuldendienst wird über eine Vermögenssteuer bedient.

 

Es bildet sich mit Gerbern, Webern, Schuhmachern, Gewandschneidern und Krämern eine organisierte Handwerker-Elite heraus, die aber von der politischen Macht fast völlig ausgeschlossen ist.

 

Augsburg kämpft wie andere mächtige Städte um den Erhalt und Ausbau der Kontrolle des Umlandes, wobei es dort mit dem Adel und den Fürsten zusammenstößt. Die Kriege müssen finanziert werden, und das geschieht im wesentlichen wie in Italien auf dem Rücken des kleinen Mannes. Befestigungen wie eine Erweiterung der Stadtmauer müssen ebenso bezahlt werden wie Söldner.

Kern der Truppen ist die Infanterie der Handwerker unter Führung der berittenen Herren der vornehmen Familien. Diese ist bei hohen Strafen zur Ausrüstung mit Waffen und Rüstung und zum Kriegseinsatz verpflichtet.

 

Wie anderswo teilt sich inzwischen die Stadt in die Ratsfamilien und die Gemeinde, die in den vierziger Jahren ein gewisses Mitspracherecht bei größeren Ausgaben bekommt. 1352 fliegt eine Gruppe von "Jakobern" auf, die sich in der St.Jakobskapelle heimlich trifft, um die Macht der vornehmen Geschlechter zu brechen. Dann fordern Webergesellen eine eigene Trinkstube, höhere Löhne und Versorgung im Krankheitsfall. Sie werden ausgewiesen.

 

1363 werden darum zusätzliche Verbrauchssteuern auf Bier, Wein und Met erlassen, die von Vertretern von Webern, Bäckern und Metzgern nur unter massiver Strafandrohung durch gesetzt werden können. Herbst 1368 verkündet der Rat Teilnahme an einer neuen Fehde an, deren Kosten wiederum absehbar sind.

 

In einer Nacht im Oktober 1368 besetzen Handwerker in einer kordinierten Aktion die Stadttor, den Perlachplatz und das Rathaus. Am nächsten Morgen fordert eine große Menge die Partizipation des Handwerks an der Macht. (...) da kam ein groß Volk gewappnet auf den Perlach und sprach, sie wollten eine Zunft haben und wollten die haben mit gutem Frieden und sollte niemand fürchten weder Leibes noch Gut, sie wollten nun Recht tun. (Augsburger Chronik, in: SchneiderFerber, S.107)

Eine Delegation erklärt das den beiden Stadtpflegern, die den kleinen und großen Rat zu diesem Zweck einberufen sollen. Im November führen die Verhandlungen zu einem Ersten Zunftbrief mit der Absichtserklärung einer neuen Verfassung.

 

Boten werden in Städte wie Mainz, Konstanz und Ulm gesandt, um sich über die dortigen "Verfassungen" zu erkundigen. Im Dezember wird die neue Ordnung in einem Zweiten Zunftbrief festgehalten. Alle Bürger werden nun Zünften zugeordnet, wobei kleinere Gewerbe sich zusammenschließen müssen. Die Geschlechter sollen in  Kaufleutezünfte, was nicht alle mitmachen. Damit sind die Zünfte nun primär politische Einheiten.

 

"Die 17 Handwerkerzünfte entsandten je nach Größe ein bis zwei Zunftmeister in den Kleinen Rat., insgesamt also 29 Vertreter., die aus den Reihen der Geschlechter 15 Ratgeber hinzuwählten, sodass das regierende Gremium nun 44 Personen umfasste. Alle Ratsämter wie Baumeister, Siegler oder Steuermeister wurden fortan je zur Hälfte von den Zünften und den Geschlechtern besetzt, einschließlich der beiden Bürgermeisterposten, den wichtigsten Ämtern der Stadt. Jedes Jahr (...) wechselten die Amtsträger wie auch die Hälfte der 44 Ratsmitglieder, um neuen Kandidaten Platz zu machen. Die Zunftmeister bildeten überdies gemeinsam mit einem von ihrer Zunft in direkter Wahl bestimmten Zwölferausschuss den Großen Rat, in dem die Patrizier ebenfalls nur eine Minderheit stellten und der bei besonders wichtigen Anlässen mehrmals im Jahr zusammentrat." (Schneider-Ferber, S.109)

 

Wer sich von der alten Elite der neuen Ordnung verweigert, tritt in eine Herrengesellschaft ein, die sich 1383 nach unten abschließt.

 

Die Finanzen der Stadt beruhen nun auf einer Abgabe auf den Besitz, wovon nur das Lebensnotwendigste befreit wird. Da es nicht anders geht, beruht diese Abgabe auf Selbsteinschätzung und damit auf nachbarschaftlicher Kontrolle.

 

Die neue Zusammensetzung der Macht ändert wenig an ihrer Politik. 1372 kommt es zum Krieg mit den bayrischen Herzögen. Die Handwerker und Söldner haben inzwischen einige Feuerbüchsen dabei. Man verwüstet Dörfer und brennt die Stadt Friedberg ab. Neue Ungelder, also Abgaben auf Lebenswichtiges, werden erhoben und wer sich dagegen wendet, wird aus der Stadt ausgewiesen. Zwei Jahr später kommt es zu einem Kompromissfrieden, der die Bürger 47 000 Gulden kostet, von denen 10 000 den Juden abgepresst werden.

 

1396/97 ist die Stadt so verschuldet, dass die Ungelder auf Wein und Bier erhöht werden. Die Weinschenkenzunft wendet sich lautstark dagegen und wird bald danach aufgelöst. Der Bürgermeister dabei ist inzwischen ein Metzgermeister.

 

Die Integration der Spitzen des Handwerks in das Stadtregiment fördert ein allgemeines Kapitalinteresse und ist insofern ein Erfolgsrezept für die Stadt. Mit dem Aufstieg der Barchentproduktion und dem Weg in ein Verlagssystem, also der Verschränkung von Kapital und handwerklicher Produktion, nimmt für mehr Menschen ein gewisser Wohlstand zu, wichtigstes politisches Kriterium für die Betroffenen. Die Bevölkerung wächst rapide mit der Produktion. Zwischen 1385 und 1410 steigt die Barchenterzeugung von 12 000 auf 85 000 Stück. (Schneider-Ferber, S.115) Der Abstand zwischen dem Großkapital aus Handel und Finanzen und den Produzenten nimmt dabei im 15. Jahrhundert immer weiter zu, wofür niemand besser steht als die Familie der Fugger.

 

 

***Nürnberg***

 

Die Einwohnerzahl wächst immer mehr, und so beschließt der Rat den Bau einer neuen Mauer, wodurch die Stadt sich beträchtlich vergrößert. Der Bau mit einer Länge von etwa fünf Kilometern beginnt 1346 und ist gegen Ende des Jahrhunderts beendet. Die neue Mauer ist etwa einen Meter dick und um die acht Meter hoch. Alle fünfzig Meter gibt es einen Turm, es sind über hundert verschiedene. Die nur zwischen Morgengrauen und Nachteinbruch geöffeneten Tore werden von Wächtern auf den zugehörigen Türmen bewacht.

Als Reaktion auf die Hussitengefahr beschließt der Rat 1427 die zusätzliche Errichtung eines Grabens. Alle Bürger über zwölf Jahre werden für die Arbeiten des Grabens und Abtransports für fünf Jahre verpflichtet. Am Ende ist der Graben etwa zwanzig Meter breit und zwölf Meter tief.

 

Die Kriegsfähigkeit der Nürnberger Bürger wird über Viertel beider Stadthälften hergestellt, die Viertelmeister beaufsichtigen. Unter ihnen stehen dann Gassenmeister. Diese müssen regelmäßig "von Haus zu Haus gehen und die Bürger unter Eid befragen, ob sie genug Harnische besaßen und über größere Vorräte an Getreide und Nahrungsmitteln sowie Salz zum konservieren verfügten. Auf diese Weise zählte man im Jahr 1431 insgesamt 2.582 Ringpanzer, Kettenhemden und einige der moderneren Plattenharnische." (Fleischmann, S.44) Eine Elitetruppe sind die Armbrustschützen, die auf einem eigenen Gelände üben und Wettschießen abhalten.

 

Nach dem Erwerb von Gebieten der späteren Oberpfalz, die auch für das Nürnberger Kapital wichtig sind, gewinnt Nürnberg für Kaiser Karl IV. immer mehr an Bedeutung. Er hält sich hier 52 mal auf und beruft hierher auch insgesamt neun Reichstage. Nach dem Judenpogrom von 1349 entsteht an der Stelle der Synagoge zwischen 1352 und 62 die Frauenkirche unter dem Einfluss Karls und unter der Bauleitung von Peter Parler. Auch der 'Bunte Brunnen' dürfte auf seinen Einfluss zurückgehen.

 

1372 und 1396 erwirbt Nürnberg das Forstmeisteramt im Lorenzer Wald und 1385 wird ihr auch das des Sebalder Reichswaldes verpfändet. 1385 gelingt es der Stadt, das Amt des Reichsschultheissen für die enorme Summe von 8000 Gulden zu erwerben und damit die fast vollständige Gerichtshoheit, zu der 1459 noch der Blutbann kommt. Damit liegt die Stadtherrschaft nun umfassend beim Rat.

In einem Krieg mit Herzog Ludwig VII. von Bayern-Ingolstadt wird die Burg des Burggrafen niedergebrannt und nicht mehr wieder aufgebaut. Schon 1415 wird Burggraf Friedrich VI. durch Kaiser Sigismund mit der Mark Brandenburg belehnt, welche nun das ganze Zollernsche Interesse auf sich zieht.

1423 werden die Reichskleinodien, wie sie so schön heißen, nach Nürnberg verlegt, und von nun an einmal im Jahr dort gezeigt, was der Stadt dann viele Besucher zuführt.

 

Der Geldbedarf des neuen Markgrafen führt dazu, dass die Stadt ihm für 120 000 Gulden die Burgruine und die damit verbundenen Rechte abkauft.

Albrecht Achilles von Brandenburg versucht dann Mitte des Jahrhunderts vergeblich, mittels eines verheerenden Krieges mit der Reichsstadt, dort Machtpositionen zurückzugewinnen. In den 1440er Jahren gewinnt ein Schwäbischer Bund noch einmal an Bedeutung, die im Markgrafenkrieg 1448-53 gipfelt. Im Kern geht es um die Überfälle von Markgraf Albrecht Achilles von Brandenburg im Bündnis mit fränkischen Großen auf das Umland von Nürnberg, wobei Fischweiher leergefischt werden, Vieh, Pferde und die Habe der Bauern geraubt und ganze Dörfer abgebrannt werden. Es gelingt, den Zollern zurückzuschlagen. 1450 kommt es zu einem Waffenstillstand und danach zum von Kaiser Friedrich III. vermittelten Frieden.

Die Zollern-Residenz wird nach Ansbach verlegt (und 1603 nach Bayreuth).

 

Im 15. Jahrhundert kann Nürnberg in vielen Bereichen der Produktion, insbesondere dem Metallbereich vom Bergbau bis zum Fertigprodukt, im Bereich technischer Erfindungen und der Bildung mit den bedeutenden norditalienischen Städten gleichziehen und diese dann in der frühen sogenannten "Neuzeit" übertreffen. (siehe Gewerbe 6). Handelsbeziehungen überziehen ganz Europa und lösen sich von der Dominanz von jenen mit Venedig. Das Netz der Handelsrechte weitet sich für Nürnberger Kaufleute im 14. und 15. Jahrhundert immer weiter aus. 1415 privilegiert König Ferdinand I. von Aragon die Nürnberger Kaufleute mit freiem Handel in seinem Reich.

Entsprechend geht von Nürnberg ein ganzes Netz von Transportwegen in alle Richtungen aus.

 

 

Der kontinuierliche Aufstieg Nürnbergs zu einer der führenden Städte Europas liegt wohl vornehmlich daran, dass es ähnlich wie Venedig, Mailand oder später Florenz konsequent vom Großkapital geführt und auf dessen Interessen orientiert wird. Zwar kommt es 1348-49 im Zuge des Thronstreits zwischen Wittelsbach und Luxemburg in einem aufflauff kurz zu einem Stadtrat mit einem großen Anteil von Handwerk und erstarkenden Zünften, nachdem der alte Rat sich von den Wittelsbachern ab- und den Luxemburgern  zugewandt hat und man sich gegenüber der zunehmenden venezianischen Konkurrenz ungeschützt fühlt, der wird aber bereits ein Jahr später von Karl IV. wieder beseitigt, nachdem beim Herannahen seines Heeres bereits viele geflüchtet sind. 200 Personen werden nun verbannt. Zugleich werden damit auch die Zünfte beseitigt bzw. wieder auf reine Berufsvereinigungen zurückgestutzt.

 

Das Handwerk wird durchaus gefördert, aber zugleich (und auch deswegen) immer mehr reglementiert. In diesem Zusammenhang entstehen 1363 die Meisterbücher, in denen mehr als 1200 Meister aus 50 verschiedenen Gewerben erfasst sind. (Anfang des 16. Jahrhunderts werden es weit über 2000 Meister sein) Die städtische Politik ist darauf aus, in der Stadt die handwerklichen Kleinbetriebe zu schützen und dafür den Einstieg einzelner Meister in das Verlagssystem zu unterdrücken.

 

Die Tatsache, dass das Handwerk in Nürnberg ökonomisch eine wichtige Rolle spielt, während es politisch außen vor bleibt, hat wohl auch etwas damit zu tun, dass das Handels- und Finanzkapital ganz erheblich selbst in die gewerbliche Produktion investiert. Möglicherweise führt die Errichtung einer Augsburger Zunftherrschaft 1368 dazu, dass der Rat aus 34 Patrizierfamilien 1370 acht Handwerkervertreter (Ratsfreunde vom Handwerk) kooptiert, die nicht mitentscheiden dürfen, aber auf diese Weise informiert sind. Diese "kleine Handwerkeraristokratie" soll wohl auch einen Puffer zu den politisch nicht vertretenen produktiv Arbeitenden herstellen.

Zugleich wird der Rat um acht Patrizier vermehrt, die Alten Genannten. Als Kern-Exekutive fungiert das rein patrizische Kollegium der sieben Älteren Herren, an deren Spitze wiederum die beiden Losunger (Finanzverwalter) und der dritte Ältere Herr.

 

Unter den im Inneren Rat vertretenen Handwerksherren sind "seit 1370 immer wieder Mitglieder europaweit agierender Familienhandelsgesellschaften zu finden (...), wie - als Ratsfreunde aus dem Metzgerhandwerk - die Vieh-, Getreide- und Lederhändler Schlaudersbach oder die Viehhändler Fütterer, die als einzige Ausnahme aus dem Kreis der Handwerkerschaft im 16. Jahrhundert den Aufstieg ins Patriziat schafften, oder die Getreide-, Bier- und Lederhändler sowie Mühlenunternehmer Dürr aus dem Bierbrauerhandwerk." (Diefenbacher in: Kaufhold/Reininghaus, S.214)

 

 

Das Handwerk wird in drei Großgruppen aufgeteilt. Die geschworenen Handwerke dürfen sich vom Rat Ordnungen genehmigen lassen. Eine Sonderrolle darin nehmen einmal die geschenkten Handwerke ein, also solche, die eigene Trinkstuben haben dürfen, die Wanderzwang haben und dafür Unterstützung bekommen; und dann die gesperrten Handwerke, (Brillen, Kompass- und Trompetenmacher, Drahtzieher und Messingschläger, Goldschläger und Silberspinner), die nur Bürgersöhnen vorbehalten sind, "und denen wohl aus Gründen des Geheimnisschutzes das Wandern oder der Fortzug verboten war." Unter dieser Gruppe gibt es die eher rechtlosen vereidigten Handwerke und die ebenfalls der Zulassung unterliegenden freien Künste.

 

Aufsicht und Polizei über das produktive Gewerbe ist seit 1470 das Rugamt, welches Ratsentscheidungen in Handwerksangelegenheiten und Handwerksordnungen vorbereitet und manche sonst zünftige Aufgaben wie Qualitätskontrolle und Schutzfunktionen übernimmt. Dazu kommt die Kontrolle über unzulässige handwerkseigene Versammlungen, Trinkstuben, Gerichtsurteile, auswärtige Kontakte der regionalen Handwerkervereinigungen, und selbst die Entfaltung von gewerblichen (religiösen) Bruderschaften wird verhindert. (Schulz, S.177, Diefenbacher in: Kaufhold/Reininghaus, S.216) Die Rugherren entstammen dem Patriziat und werden von einem Schreiber und weiterem Personal unterstützt.

 

 

Für die Zeit um 1400 listet Fleischmann die wichtigsten Handwerksbetriebe auf: Den größten Anteil stellen in 21 Handwerken 353 Meisterbetriebe des Metallgewerbes dar, welches extrem diversifiziert ist. So gibt es Nadler, Nagler, Pfannenschmiede, Schwertfeger, Goldschmiede und viele, viele andere.

Fast so spezialisiert sind die 333 Meisterbetriebe der Lederer, und etwas weniger die der 200 Meister des Textilbereiches. Um 1500 ist Nürnberg dann alleine in seiner Kernstadt mit über 9000 Stück Tuch (200 km Gesamtlänge) größtes Tuchzentrum Süddeutschlands.

Erst danach kommt (wieder um 1400) der Lebensmittelbereich mit 75 Bäckern, 71 Fleischern/Metzgern und 20 Fischern. Aber eine solche Ladendichte ist sechshundert Jahre später in Mitteleuropa unvorstellbar. Das produktive Handwerk ist ohnehin inzwischen verschwunden.

 

Im 15. Jahrhundert wird die politische Verfasstheit Nürnbergs immer deutlicher zur Diktatur einer Elite-Gruppe des Kapitals, den alten Geschlechtern, die sich sowohl vom sonstigen Kapital wie von der übrigen Bevölkerung immer mehr abschließt. Der kleine Rat ergänzt sich immer mehr selbst beim Tod eines Mitgliedes, was noch als Wahl gilt. Dieser Vorgang ist geheim und sein Ergebnis wird am Osterdienstag bekanntgegeben, allerdings nur dem Großen Rat.

Die Finanzen werden von den drei Losungern gehalten, insbesondere von den zweien aus den alten Geschlechtern, während der Vertreter des Handwerks am Rande bleibt. 1516 erklärt dazu Christoph Scheuerl d.Ä.: Welcher nun von diesen zwei Losungern als erster das Amt besetzt, der ist im ganzen Rat der Vornehmste und der Oberste, von jedermann geachtet. (in: Fuhrmann, S.136)

Ihre Rechnungen werden von der Gruppe der sieben "Älteren Herren" geprüft, die im 15. Jahrhundert zusammen mit den beiden Geschlechter-Losungern das später "Geheimer Rat" genannte Gremium bilden, welches alle Entscheidungen des Rates vorberät. Damit verbunden sind die drei Obersten Hauptleute, für die innere und äußere Sicherheit zuständig. Deren Erster steigt in den Kreis der Älteren Herren auf, bis die Ämter von Losungern und Hauptleuten miteinander verschmelzen. Neuartig ist, dass die obersten Ämter nun besoldet werden und die Bürgermeister Sitzungsgelder erhalten.

 

Letztlich sind es etwa dreißig Familien, die die Politik der Stadt zum Teil auch aus dem Hintergrund bestimmen.

 

Unter den vielen Unternehmer-Familien, die um 1500 über ein Vermögen von

30 000 bis 100 000 Gulden verfügen, gehören nur wenige jenem die Stadtpolitik beherrschenden Patriziat an, welches sich 1521 im Tanzstatut abschließt, also im Zugang zum Geschlechtertanz. Es ist also anzunehmen, dass die Diktatur der alten Kapitalisten-Familien die Interessen des übrigen Großkapitals einschließen, denn sie kann ohne große Konflikte etabliert werden.

 

Einen letzten bedeutenden Schritt in der Verselbständigung der Stadt bietet die von Papst Sixtus IV. unterschriebene Aufwertung der beiden Stadtpfarreien zu Probsteien, wodurch sie sich stärker aus dem (geistlichen) Einflussbereich der Bistümer Bamberg und Eichstätt lösen können.

 

Nürnberg wird wohl das Musterbeispiel einer frühen deutschen Renaissancestadt mit Namen wie Willibald Pirckheimer und Albrecht Dürer, die zugleich eine durch und durch spätmittelalterliche Stadt noch für Jahrhunderte bleiben wird. An Bewunderern mangelt es nicht, von berühmten Italienern über den Astronomen Johannes Müller ("Regiomontanus"), der von Nürnberg als quasi centrum Europae schreibt, bis zu Johannes Cochlaeus und seinem Norinberga centrum Europe simul atque Germanie.

Regiomontanus will nach Nürnberg ziehen, weil die Stadt mit Wissenschaftlern Europas gut vernetzt sei, weil hier die versierten Handwerker für eine eigene Druckerei zu finden seien, die spezielle Lettern für seine astronomischen Texte herstellen könnten. Für die Bebilderung steht ihm mit Michael Wolgemut der Lehrer Dürers zur Verfügung.

 

In der 1458 fertiggestellen Weltbeschreibung des Aeneas Sylvius Piccolomini, des späteren Papstes Pius II. heißt es: Wieviel Bürgerhäuser findet man dort, die der Könige würdig wären! Das schmeichelt zwar der Stadt erheblich, ist aber dennoch bezeichnend. Weiterhin heißt es:

Die Stadt ist stark bevölkert, hat heilige und profane Bauten, die in majestätischer Pracht emporstreben. Durch starke Mauern, tiefe Gräben, zahlreiche und hohe Türme ist sie vortrefflich befestigt; aber sie liegt auf unfruchtbarem und sandigem Boden. Aus diesem Grunde zählen die Bürger meistens auch zu den Handwerkern und Kaufleuten, die, mit Flandern und Venedig Handel treibend, das gesamte Deutschland mit Waren versorgen. (in: Kaufhold/Reinighaus, S.211) Die Einwohnerzahl Mitte des Jahrhunderts wird auf etwas über 20 000 Einwohner geschätzt.

 

In der 1493 in Nürnberg fertiggestellten Schedelschen Weltchronik ist die Stadt bekannt als ein berúmbts gewershaws teúscher land. Wegen des unfruchtbaren Bodens gibt es alda ein arbaitsams emsigs volck, dann alle die, die gemaynen volcks sind, entweders fast sinnreich wercklewt, erfinder und maister mancherlay wunderwirdiger subtiler arbait und kunst zum geprauch menschlicher notdurft und zierde dienstlich, oder aber gar anschlagig kaflewt unnd gewerb treyber.

Das gemeine Volk sind die unteradligen und nicht zu den Patriziern gehörenden Städter; unklar bleibt, mit welcher Deutlichkeit notwendige Arbeit und zierende Kunst unterschieden werden. Inzwischen ist die Einwohnerzahl (1487) auf wenigstens 28 000 angestiegen und etwa 54 000 im zur Stadt gehörenden Umland.

 

Unter Markgraf Friedrich d.Ä. von Brandenburg-Ansbach und Kulmbach (1486-1515) nimmt die Bedrohung der Stadt durch die Zollern wieder zu. Dieser beansprucht das ganze Gebiet außerhalb der Stadtmauern für seine Landeshoheit und umgibt die Stadt mit Zollstätten. Zudem entzieht er den Nürnberg Kaufleuten das Geleit. Damit sind sie auch dem Raubrittertum ausgesetzt.

1502 dringen Nürnberger berittene Trupps bis weit in Ansbacher Gebiet ein und zerstören dort zwei Raubritter-Burgen. Bei der Affalterbacher Kirchweih im Lorenzer Wald treffen 2000 Nürnberg Bewaffnete auf markgräfliche Truppen von 7000 Mann und unterliegen.

Die Bedrohung vergeht mit dem Landshuter Erbfolgekrieg, in dem der Markgraf in Bayern gegen die Pfälzer vorgeht, während die Nürnberger östlich der Stadt niederbayrische und pfälzische Besitzungen erobern, die ihnen 1505 König Maximilian I. bestätigt, während der Markgraf wenige Erfolge vorweisen kann. Damit besitzt Nürnberg nun das größte städtische Territorium im Reich. Der Markgraf wird 1515 nach heilloser Verschuldung von Sohn Kasimir eingesperrt.

 

***Bamberg***

 

Neben dem Domstift haben auch zahlreiche andere Stifte Immunität, sind also von Steuern und Abgaben (Zöllen) ausgenommen. Das führt dazu, dass entsprechend der Steuerdruck auf die übrige Stadt wächst. Die vorher wesentlich auf Grundbesitz basierenden Immunitäten wenden sich immer mehr Gewerbe und Handel zu. Wer davon profitieren möchte, wandert dort ein. Auf den dortigen Märkten werden die dort erzeugten Güter angeboten, Der Markt der Bürgerstadt profitiert andererseits von der königlichen Verleihung eines Jahrmarktes und konzentriert sich auf Fernhandelsgüter.

 

Die Konkurrenz der Märkte führt aber zu Konflikten. Dieser spitzt sich 1430-40 im sogenannten "Immunitätsstreit" als Kampf gegen die fürstbischöfliche Macht zu. Dazu kommt, das die Hussiten bis Bamberg vorrücken. Das Domkapitel flieht mit dem Domschatz auf eine Burg und der Bischof nach Kärnten. Die wohlhabenden Bürger fliehen nach Forchheim und Nürnberg. Die Hussiten nahmen Bamberg jedoch nicht ein. Als sie Scheßlitz erobert hatten, plünderten die in Bamberg verbliebenen Handwerker, Tagelöhner und Bauern erst die Weinkeller und dann die Bürgerhäuser und Klöster.Danach vergleichen sich der Markgraf von Brandenburg und der Hussitenführer. Bamberg zahlte 12.000 Gulden Lösegeld, um der Brandschatzung zu entgehen. Danach geht der Immunitätsstreit nachteilig für die Bürger aus.

 

***Regensburg***

 

Überfälle von Räuberbanden und Landadel schädigen den Handel. Ein C.Th.Gemeiner schreibt zu 1371: Alle Handtierungen und Gewerbe lagen darnieder und zu 1374: Zu Wasser und zu Land kamen die Kaufleute zu unbeschreiblichem Schaden (...) Die Angriffe, Beschädigungen und widerrechtlichen Arreste sind nicht zu zählen. (in: Angerer, S.150) Derweil nimmt das städtische Defizit zu, was zu Abgabenerhöhungen führt.

1387 schließen sich zur Kontrolle der Oberpfälzer Montanindustrie 77 Hammerherren mit 72 Hammerwerken zur Großen Hammereinung zusammen, wozu nur ganz wenige Regensburger Firmen gehören. (Fischer in: Angerer, S.150)

In dieser Zeit steigt die Runtingerfamilie auf, die Handel mit der Besetzung städtischer Ämter verbindet. Man kombiniert den Import von Baumwolle aus Venedig mit der Produktion von Barchent im Verlagssystem, stellt aber fest, dass der Handel mit Baumwolle aus Venedig über Saumtierpfade der Alpen und der Verkauf des Fertigprodukts gewinnträchtiger ist als die Produktion.

 

1381 tritt Regensburg dem Schwäbischen Städtebund bei. Es war durch die Herzöge in seiner Umlandpolitik behindert und durch Drangsalierung von Händlern geschädigt worden. In der Folge nehmen die Überfälle auf Kaufleute durch Leute der Herzöge zu. Der Rat übt Druck auf die Bevölkerung aus, den anstehenden Krieg zu unterstützen.

1388 belagern die bayrischen Herzöge Regensburg, dem es gelingt, bei einem Ausfall die bayrischen Truppen zu schlagen. Der Krieg ist aber wegen Ausgaben und fehlenden Einnahmen sehr kostspielig, weswegen man dann einen Sonderfrieden schließt. Es schließen sich allerdings nun Fehden mit Adel des Umlandes an.

 

Die Hussitenkriege und eine Handelssperre Venedigs verschlechtern die Situation des Regensburger Handels. Wie man an den Krediten für die Fürsten ablesen kann, nimmt die Kapitalkraft Regensburger Großbürger immer mehr ab, Schon seit dem späten 14. Jahrhundert reicht die Kapitalkraft einzelner Familien nicht mehr und es werden Gesellschaften aus mehreren Geschlechtern gebildet. Im Verlauf des 15. Jahrhunderts verlieren aber auch diese an Kapitalkraft, bis sie auch an Einfluss im Rat verlieren.

 

1430 wird das Bürgermeisteramt durch das eines Kämmerers ersetzt, der vorher nur für die Finanzen zuständig war. Die Amtszeit variiert im Laufe der Zeit.

 

In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts gelingt es den Bürgern aufgrund der häufigen Misswirtschaft der Bischöfe, diesen zahlreiche Rechte abzukaufen. 1441 kauft die Stadt dann noch die an die Tunauer verpfändeten Rechte zu kaufen. Da das ohne bischöfliche Zustimmung geschieht, wendet sich Bischof Friedrich II. (1437-49) an den Papst und verlässt im Protest die Stadt. Kaiser Friedrich III. unterstützt die Stadt, als der Bischof den Blutbann nicht verleihen will. Der Bischof klagt nun gegen den Verlust seiner Rechte, bis er 1449 stirbt. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts geht der Streit um den offenbar zunehmenden geistlichen (privilegierten) Bier- und Weinausschank, was 1484 durch den päpstlichen Legaten geschlichtet wird.

 

Anfang des 15. Jahrhunderts floriert noch der Handel mit Böhmen und insbesondere Prag, wohin Waren aus Italien und eigene Textilien geliefert werden, gegen Wachs, Felle, Edelmetalle und Kupfer. Von Böhmen geht es auch weiter nach Schlesien. Aber dann richten die Hussitenunruhen und Handelsblockaden hier schwere Schäden an. Mitte des Jahrhunderts haben die Nürnberger dort die Regensburger überholt. 1418 bis 1433 kommt die Handelsblockade Kaiser Sigismunds über Venedig dazu. Danach erholt sich der Handel für diese Gegenden nur noch schwach. Der Radius des Fernhandels geht insgesamt zurück und die Barchentproduktion in der Stadt vermindert sich mangels Handels-Nachfrage erheblich. Die alten Geschlechter ziehen sich vom Handel zurück.

 

1476 geht der Rat gegen die Juden vor, um von eigener Misswirtschaft abzulenken. Er muss dafür 8000 Gulden an den Kaiser zahlen.

1484 fordert Kaiser Friedrich III. erhebliche Summen von der Stadt für Krieg gegen die Ungarn, zu denen die Stadt aber sich nicht verpflichtet fühlt. Die 6000 Gulden überfordern offenbar bereits die Stadt, in der sich probayrische Stimmung breit macht.

Derweil versucht Herzog Albrecht von Bayern-München seinen Herrschaftsraum zu erweitern, um als Konkurrenz zu Habsburg auftreten zu können. Dazu gehört, dass er den Regensburger Handel behindert und seine Leute auf wichtige Posten schleust.

 

Die Verarmung der Stadt führt offenbar 1486 dazu, dass sie Herzog Albrecht IV. von Oberbayern (München) den Rückkauf zentraler an die Stadt verpfändeter Rechte anbietet, für die die Stadt einst über 12 000 Gulden bezahlt hatte. Dafür bedroht er die Stadt mit dem Bankrott und auch ein Aufstand von Handwerkern hilft dagegen nichts.

Damit ist der Herzog praktisch Stadtherr, zieht in die Stadt ein und lässt sich huldigen. Nikolaus Braun (in: Angerer, S.107ff) bezweifelt allerdings finanzielle Not als Hauptursache: Die Finanznot der Stadt sei nicht überdurchschnittlich gewesen.

 

In dieser Zeit wird Kaiser Friedrich vom Ungarn Matthias Corvinus aus Österreich vertrieben. Sohn Maximilian kann sich in Burgund kaum gegen den französischen König behaupten und wird dann in Brügge gefangen genommen.

Aber das Blatt wendet sich. Der Kaiser erbündet sich mit den Tiroler Landständen und fördert 1488 einen gegen Bayern gerichteten Schwäbischen Bund. Nach dem Tod von Matthias Corvinus kann Maximilian Österriech zurück erobern. Der Kaiser eröffnet nun ein Rechtsverfahren gegen Regensburg, welches 1481 in Reichsacht gerät.

 

Aber 1492 verdrängt Kaiser Friedrich III. den Herzog nach einem Schiedsspruch wieder aus der Stadt. Sie ist nun Reichsstadt unter direkter kaiserlicher Herrschaft und hat damit ihre "Freiheit" verloren.Im Straubinger Vertrag verzichtet der Herzog 1496 auf die Stadt.

Über dem Rat herrscht seit 1499 ein Reichshauptmann. Dieser hat bürgermeisterliche Funktionen und Strafbefugnis bei Verstößen gegen die Regimentsordnung. Er ist direkt dem Kaiser verantwortlich. Die wirtschaftliche Situation bessert sich aber kaum, und 1512/13 kommt es zu einem Aufstand gegen Teile des Rates und den Reichshauptmann. Diesen schlägt Kaiser Maximilian nieder und verstärkt 1514 in einer neuen Regimentsordnung die Position des Rates gegenüber den Bürgern.

1519 werden die Juden als Sündenbock für Probleme der Stadt  vertrieben. Die Stadt besitzt eingeschränkte Selbstverwaltung, kann sich aber vom Kaiser nicht lösen, da die Alternative die Wittelsbacher wären.

 

 

***Der Schwäbische Städtebund***

 

Städtebünde sind seit dem Rheinischen von 1254 Ausdruck städtischer Autonomie und großbürgerlichen Selbstbewusstseins. 1349 verbünden sich 25 schwäbische Reichsstädte auf vier Jahre, um gegen die Verpfändungspolitik Karls IV. gewappnet zu sein. 1371 wird ein neuer Bund von 31 Städten gegründet, welcher allerdings 1376 die Verpfändung ihres Mitgliedes Donauwörth nicht verhindern kann. Überhaupt sind es vor allem kleinere Städte, die der Kaiser ungeniert verpfändet, um seine Macht, Pracht und Herrlichkeit zu finanzieren, wie zum Beispiel Boppard, Dinkelsbühl, Nördlingen, Friedberg und Goslar. Untertanen sind eben grundsätzlich zuallerst einmal Finanzquellen für die Mächtigen und sind dies ja bis heute geblieben.

 

Als Karl erhebliche Gelder braucht, um seinen Sohn Wenzel 1373 durch eine über eine über das übliche hinausgehende Bestechung der Wähler zum König wählen zu lassen, beginnt er mit der Einforderung bislang unerhörter Summen von Reichsstädten wie Ulm (40 000 Gulden), Augsburg (36 000) und Nürnberg (20 000). Dann werden viele süddeutsche kleinere Städte verpfändet. Und so

vereinigen sich zunächst 14, bald 18 Städte unter Führung Ulms, die erklären, ihre reichsstädtischen Freiheiten verteidigen zu wollen und solange dem gerade gewählten Wenzel nicht zu huldigen, bis er die Unveräußerlichkeit der Städte versprochen hat. Karl IV., der das Geld braucht,  verhängt im Herbst 1376 über sie die Reichsacht und erklärt ihnen den Reichskrieg.

 

Der König zieht mit einem Heer gegen Ulm, kann die stark befestigte Stadt aber nicht einnehmen, allerdings wenigstens das Umland verwüsten und über die Bauern herfallen. Nachdem er gescheitert ist, zieht er ab und überlässt die Stadt den Grausamkeiten des Grafen von Württemberg, Eberhard ("dem Greiner").

Mai 1377 kann ein städtisches Heer das von Sohn Ulrich von Württemberg bei Reutlingen schlagen. Die Reichsacht wird aufgehoben, die Städte huldigen Wenzel unter der Bedingung, nicht verpfändet zu werden.

 

1377 hat der Schwäbische Städtebund 27 Städte, 1385 sind es 40 Mitglieder und er verbündet sich mit der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Mindestens einmal im Jahr findet eine Bundesversammlung mit je einem bzw. zwei Ratsherrn jeder Stadt statt. Es gilt das Mehrheitsprinzip und das des Stellens von Truppen nach Steueraufkommen.

Parallel dazu gibt es seit 1381 einen neuen Rheinischen Städtebund gegen ritterliche Übergriffe und Gewaltakte, der sich mit dem schwäbischen verbündet.

 

Gegen die Städte bilden Ritter und Fürsten Rittergesellschaften, 1372 die schwäbische Gesellschaft von der Krone, und andere folgen. Diese entwickeln ein kriegerisches Raubritter-Unwesen gegen die Bürger.

Bis 1385 treten Regensburg, Nürnberg, Basel und andere dem Städtebund bei.

 

1388 kommt es zum ersten großen Städtekrieg nach Übergriffen der bayrischen Herzöge und der Gefangennahme des Salzburger Erzbischofs Pilgrim. Vor Augsburg sammeln sich süddeutsche und rheinische Aufgebote der Städte und verheeren Bayern (und umgekehrt). Der Augsburger Bischof befehdet die eigene Stadt, was die Bürger mit Zerstörungen an bischöflichen Gebäuden beantworten.

Schwabenland ward so verheeret, dass kaum ein Dorf war, welches nicht gebrannt oder geschatzt worden wäre. Besonders die Württemberger taten den Reichsstädten großen Schimpf und Schaden. Sie hieben das Getreide mit den Schwertern nieder, pflügten die Wiesen und Äcker um und säten Senf hinein; denn Senf hat die Eigenschaft, dass er, einmal gesät, immer wieder wächst und nicht beseitigt werden kann. Sie schnitten auch die Reben ab und schlugen die Fruchtbäume um. So wurden in dem Krieg 1500 Dörfer berheert und gegen 1400 Menschen gefangen und erschlagen. (Jakob Twinger von Königshofen in: Schneider-Ferber, S.171f)

 

Es handelt sich auf beiden Seiten um Verwüstungskrieg ohne entscheidende Schlacht.

 

Noch 1388 versammeln die Städte erneut ein Heer bei Ulm, um gegen den Grafen von Württemberg und seine vielen Verbündeten, zu denen auch Bauern gehören, vorzugehen. Nun unterliegt ein städtisches Heer dem des Grafen Eberhart von Württemberg bei Döffingen in der Nähe von Stuttgart. Die Städter haben sehr viele Tote zu beklagen. Kurz darauf, im November 1388,  besiegt Pfalzgraf Rudolf das Heer des Rheinischen Bundes bei Worms.

 

Im Reichslandfrieden von Eger vom Mai 1389 benachteiligt König Wenzel die Städte.

 

 

Bergbaustädte

 

Wohl nirgendwo im späten Mittelalter lässt sich entfesselter Kapitalismus besser beobachten als in den Bergbaustädten, insbesondere solchen, die auf Edelmetallfunden beruhen. Danach kommt es besonders im östlichen Mitteleuropa zu einer Wanderbewegung sowohl von professionellen Bergleuten wie von ganz Unerfahrenen, die der Lockruf des Silbers und des Goldes bewegt. Bergleute, die zu den neuen Fundstätten in Böhmen (Joachimsthal), der Slowakei (Iglau / Kremnitz), in Ungarn (Kuttenberg) oder dem nördlichen Balkan strömen, kommen oft aus dem deutschen Raum.

Nach ersten Silberfunden wachsen kleine Weiler in kurzer Zeit zu mittelgroßen Städten an. Zwischen 1160 und 1220 verdreifacht sich so die ummauerte Fläche von Freiberg, und zehn Jahre nach der der Entdeckung von Silber bei Joachimsthal ist der Ort von 1050 auf 14 072 Einwohner angewachsen (Spufford, S.274f). Nicht viel langsamer veröden solche Städte aber auch oft wieder, wenn die Mine ausgebeutet ist. Die Holzhäuser der Arbeiter werden verlassen und verfallen, nur die Steinhäuser des Kapitals bleiben manchmal museal erhalten und künden bis heute von den Gewinnen, die aus dem Bergbau vor Ort gezogen wurden.

 

Bis tief ins 15. Jahrhundert wird in Kremnitz der eigentliche Bergbau noch von rund 800 überwiegend mehr oder weniger selbständigen Bergleuten betrieben, zu denen 1442 rund 400 Schmelzer kommen, die gegen Lohn in den kapitalbetriebenen Schmelzereien arbeiten, deren Besitzer die reiche bürgerliche Oberschicht bilden. (Spufford, S.272) Kremnitz besitzt auch seit 1329 eine Münze, deren Münzer aus Kuttenberg kommen.Sie ist zweite Stütze des Reichtums dieses Großbürgertums und prägt zunächst Fioren, dann Dukaten, immer Goldmünzen. Gegen Ende des 14. Jahrhunderts gibt es ein Krankenhaus und eine Schule. 1405 darf die städtische Oberschicht ihre Stadt selbst verwalten und baut sich ein Rathaus.

 

Bevor sich ein Gewinn zeigt, müssen zwei Abgaben in Rechnung gestellt werden: Wer immer das Erz abbaut, muss an den Besitzer Pacht zahlen. Zudem verlangen die Inhaber des Bergregals ein Fünftel bis ein Zehntel des Gewinnes für sich.

 

Die Reichtümer, die in manchen Edelmetall-Bergbaustädten zu Tage treten, ziehen nicht nur den Handel mit Luxusgütern für die Oberschicht in die Stadt und eine gehobene Grundversorgung für die Bergleute und eine bescheidenere für die Lohnarbeit an, wozu auch die Erweiterung der Nahrungsmittelproduktion im Umland gehört, sondern auch einen speziellen Rattenschwanz von Leuten, die das relativ schnell erworbene Geld für sich einsacken. Das sind nicht nur Prostituierte und professionelle Spieler, sondern auch Ladenbesitzer, die ihre Waren hier zu überhöhten Preisen loswerden können.

Andererseits kann eine längere Zeit erfolgreiche Bergbaustadt den Wohlstand einer ganzen Region fördern. Zusammen mit den anderen "niederungarischen" Bergstädten wie Schemnitz schafft es Kremnitz, die Kaufkraft bis tief nach Ungarn hinein zu steigern, wodurch Buda zu einem bedeutenden Handelszentrum wird. Aber am Ende fließen Gold und Silber hier gegen die entsprechenden Konsumgüter im wesentlichen nach Venedig ab.

 

Bis ins 14, Jahrhundert können selbständige Bergleute in Mitteleuropa über ihr Gold oder Silber noch frei verfügen. Dann beginnen aber Versuche von fürstlicher Seite, sie zumindest auf die Abgabe eines Teiles für die Münzen zu verpflichten, was ihnen im 15. Jahrhundert dann vielfach gelingt.

 

In vielen Bergbaustädten gibt es Münzen, die dort ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor sind. Der Fürst stellt dabei das immobile Kapital zur Verfügung und verpachtet den Betrieb dann an große Firmen, deren Hauptsitz auch ganz weit weg angesiedelt sein kann. Die Arbeit leisten weiter erbrechtlich privilegierte  Münzerhaus-Genossenschaften und vor allem deren Gehilfen, zusammen manchmal inzwischen mehrere hundert Leute.

 

England

 

Ein Teil der englischen Städte wird von den Epidemien der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts massiv getroffen. Um 1300 wird für London von einer Einwohnerschaft von 80 000 ausgegangen, 1377 sind davon rund 50 000 übrig geblieben, die bis 1520 dann auf etwa 60 000 anwachsen. Boston, Lincoln und York verlieren durch die Pest die Hälfte ihrer Bevölkerung. In Winchester gibt es um 1300 an Pfarrkirchen 54,  um 1400 sind es 33, und um 1500 werden nur noch 26 benutzt.

Häuser werden zu Ruinen, neue Räume in Städten werden wieder zu Gärten. Aber insgesamt erholt sich die städtische Bevölkerung wieder bis ins frühe 16. Jahrhundert und macht dann wieder etwa 20% der Gesamtbevölkerung aus.

 

Manche Städte überleben die Pestzeit ziemlich gut, indem sie auf die zunehmend florierende Tuchproduktion setzen. Salisbury mit seinen vielen Webern und Walkern (insgesamt wohl beschäftigt das Textilgewerbe ein Viertel der arbeitenden Bevölkerung) erlebt dadurch keine Einbußen, Exeter kann deshalb seine Einwohnerschaft zwischen 1377 und 1524 mehr als verdoppeln und Worcester steigert seine Einwohnerschaft ebenfalls in dieser Zeit wegen der Textilproduktion. Hier sind dann im 16. Jahrhundert rund 40% der arbeitenden Bevölkerung beschäftigt. (Dyer, S.321) Einzelne Leute können auch in solchen Städten unternehmerische Karrieren machen und gelgentlich so reich werden, dass sie in kleineren Städten ein Drittel der städtischen Steuern zahlen. Andere kleinere Städte wie Stroud in Gloucestershire werden nun erst gegründet und wachsen dann ohne baroniale oder königliche Privilegien aufgrund ihrer textilen Wirtschaftskraft.

 

Seitdem Edward III. 1349 die 'Ordinance of Labourers' erlässt, die anderthalb Jahre später vom Parlament in ein 'Stature' umgewandelt wird, sollen arbeitsfähigen Bettlern keine Almosen mehr gegeben werden. Dazu passt, dass die Londoner Aldermänner in ihrer Stadt eine nachtaktive Unterwelt entdecken, die arbeitsscheu, sexuell freizügig und latent gewaltbereit sein soll (Rexroth in: Oexle, S.264f). Schon jetzt setzt der Kampf gegen die arbeitsfähigen Bettler ein, die auch den wirklich Bedürftigen schaden.

1381 wird der Kleiderhändler John Northampton Bürgermeister von London und wettert gegen solche Müßiggänger, Kinder und Gehilfen von Handwerkern, die stehlen und das Diebesgut dann in Alkohol und Huren umsetzen. Dichter William Langland schließt sich an.

Seit 1414 unterhalten Londoner Zünfte von Einzelnen gestiftete Armenhäuser für unverschuldet in Not geratene Leute, nicht aber notorisch Betrunkene, Gefräßige, Kneipengänger, Unzucht Betreibende. (Rexroth in: Oexle, S.279)

 

Dort, wo Städte nach der Pest wieder wachsen oder überhaupt properieren, sind es vor allem die nun höheren Löhne, die Leute anziehen.  Baufacharbeiter können im 15. Jahrhundert 6 Pennies am Tag verdienen und mancher ständig beschäftigte Zimmermann bringt es auf 6 Pfund im Jahr.

 

Um 1483 belegt ein Bericht des italienischen Mönchs Dominic Mancini, der sich vor allem mit der "Usurpation" der Macht durch Richard III. beschäftigt, wie sehr sich London wieder zur Handelsmetropole entwickelt hat:

Am Ufer der Themse befinden sich riesige Lagerhallen für Importgüter, unzählige Kräne von beeindruckender Größe zum Entladen der Waren von den Schiffen. Vom Viertel im Osten, angrenzend an den Tower, führen drei gepflasterte Straßen zum anderen Viertel in Richtung der Mauern im Westen: Sie verlaufen fast gerade und sind die belebtesten Straßen in der Stadt. Die am nächsten beim Fluss gelegene Straße unterhalb der anderen ist verschiedenen Grundversorgungswaren in flüssigem und festem Zustand vorbehalten - Mineralien, Weine, Honiog, Pech, Wachs, Flachs, Gewänder, Zwirn, Getreide, Fisch und anderen eher schäbigen Waren. In der zwischen den anderen beiden verlaufenden Straße findet man kaum etwas anderes zum Kauf als Tuchsorten. Und in der dritten Straße, die eben ist und die Stadtmitte berührt, dreht sich der Handelsverkehr um kostbarere Güter wie Gold- und Silberbecherpokale, gefärbte Stoffe, verschiedene Seiden, Teppiche, Tapisserien und viele weitere exotische Handelswaren. (in: Spufford, S.101 mit Quellenangabe)

 

Frankreich

 

Nach der Niederlage von Poitiers und der Gefangennahme des Königs übernimmt 1356 der prévôt des marchands und Tuchhändler Étienne Marcel die Führung einer Reformbewegung, die ihre Wurzeln in den Generalständen hatte. Eine Menschenmenge dringt schließlich mit dem Schlachtruf "Gent" in die Gemächer des Dauphin ein und ermordet zwei seiner Vertrauten. Er darf dann in den Louvre umziehen. Als Marcel sich kurz mit der Jacquerie zusammentut, wenden sich Kreise des Großbürgertums gegen ihn und ermorden ihn.

 

Wenige Hauptstraßen sind Mitte des 14. Jahrhunderts gepflastert und breit genug, dass zwei Wagen aneinander vorbei kommen. Die übrigen Straßen sind eng, schlammig, übelriechend, mit einem Abwasserkanal in der Mitte. Sie verstopfen leicht, wenn zu viele bepackte Maultiere und menschliche Träger zusammen kommen.

Immer mehr hochadelige Grundbesitzer haben aufgrund der Kommerzialisierung der Landwirtschaft inzwischen ihre Wohnsitze von den großen Landgütern nach Paris erlegt, wo sie sich Stadtpaläste (hôtels) errichten lassen.

 

1383 kommt es zum Aufstand der Maillotins wegen der Wiedereinführung indirekter Steuern, den die drei regierenden Herzöge niederschlagen, wonach sie den Verband der Marchands beseitigen und das Amt des Prévôts abschaffen. Bis 1412, unter den Bourgignons, wird dann das alte bürgerliche Regiment wieder hergestellt.

 

Bei den ab 1412 gewählten Prévôts des marchands und Schöffen findet man noch eine Mehrheit von Händler und Handwerkern: Kurzwarenhändler, Pelzhändler, Geldwechsler. Zwischen 1412 und 1420 sind einige Fleischer dabei. Ab 1445 wird die Vogtei der Händler hingegen von königlichen Beamten, Juristen oder Finanziers ausgefüllt, die bis in die 1450er Jahre in der Maison aux Piliers residieren.

 

1436 geht die kleine englische Garnison unter dem Aufstand der Pariser unter und 1437 marschiert Charles VII. ein, ohne aber nun dauerhaft dort zu residieren. Ständeversammlungen finden in Tours oder Orléans statt.

 

Auch die übrigen französischen Städte werden durch den Hundertjährigen Krieg geschädigt und verlieren ihre internationalen Handelsverbindungen.

 

Eine Sonderentwicklung macht Paris zwischen 1422 und 1575 durch, als es seinen Charakter als königliche Residenz verliert. Diese geht von Bourges dann auf die Schlösser im Loiretal über, zunächst Tours, dann Chinon, Langeais und Plessis, es folgen Gien, Amboise und schließlich Blois.

Mit der Abwanderung der Residenz verliert Paris zunächst die Fürstenhöfe dort, denn die Fürsten ziehen sich zunächst auf ihre heimatlichen Residenzen zurück, der Burgunder nach Brüssel, die Anjou nach Tarascon in der Grafschaft Provence, die Navarra nach Olite, die Bretonen nach Rennes. Mit den Fürsten verschwinden dann auch fast alle Bischöfe und Äbte aus der Stadt, die Universität verliert ihre internationale Bedeutung.

In der Folge ziehen stattliche Teile des Handwerks und Handels weg, am Ende hat sich die Pariser Bevölkerung halbiert. Deutlich wird, wie die Konzentration des Reichtums in den Händen politischer Macht zur Konzentration des Kapitals an diesen Orten führt. Wenn der Fluss des Geldes von den Produzenten zu den Machthabern vor Ort nicht mehr stattfindet, leidet der Rückfluss großer Teile dieses Geldes an das große Kapital.

 

 

Niederlande

 

Der Genter Hauptmann Jacob von Artevelde, starker Mann in Flandern, suchte das Bündnis mit England und wird 1345 ermordet. Die Familie wird von Graf Ludwig II. von Male des Landes verwiesen. Sie geht nach England. 1360 kehrt Philipp von Artefelde zurück.

 

1379 gibt es in Gent Empörung, als der Graf für ein Turnier eine Sondersteuer erhebt. Die Stadt will keine Steuern für die Narreteien von Fürsten und den Unterhalt von Schauspielern und Clowns zahlen. (in: Tuchman, S.313) Der Graf einigt sich nun erst mal mit Brügge unter für die Stadt vorteilhaften Bedingungen über die Steuer und verspricht einen Kanal für die Stadt bis zum Meer. Da bricht in Gent ein Aufstand los, der ganz Flandern erreicht, allerdings vom Grafen im Bündnis mit König Charles V. außer in Gent niedergeschlagen werden kann.

 

1381 wird Philipp van Artevelde von den Gentern zum Kapitän und Rawaert von Flandern gewählt. Die wichtigsten Anstifter am Mord seines Vaters lässt er hinrichten. Es kommt zum Krieg mit dem Grafen. Nach anfänglichen Erfolgen unterliegt die Stadt 1382 in der Schlacht bei Roosebeke gegen Franzosen und Burgunder, in der Philipp stirbt.

 

Man darf sich die flämischen Vertreter der großen Familien nicht als sehr bürgerlich in ihrem Auftreten vorstellen: "Philipp von Artevelde trieb einen fürstlichen Aufwand, er ließ alle Tage vor seinem Hotel die Spielleute blasen, wenn er zu Tisch ging; er ließ sich aus silbernem Geschirr bedienen, als ob er der Graf von Flandern wäre, ging in Scharlach und 'menu vair' wie ein Herzog von Brabant oder Graf von Hennegau, ritt aus wie ein Fürst und ließ das entrollte Fähnlichen vor sich hertragen mit seinem Wabben von Zobel mit drei silbernen Hüten." (schreibt Froissart, in: Huizinga, S. 126f)

 

Seit 1384 sind die Herzöge von Burgund zugleich Grafen von Flandern. 1437 scheitert eine Revolte Brügges gegen die Zentralisierungsbestrebungen der Burgunder, die Stadt wird zwar flämischer Vorort, aber verliert ihre Privilegien. 1453 unterliegt Gent nach langen Kämpfen und verliert Teile seiner Autonomie.

 

In den niederen Landen verläuft die Verstädterung schneller als irgendwo sonst nördlich der Alpen. Um 1300 leben rund 20% der Einwohner in Städten, 1450 sind es rund ein Drittel und in Holland um 1500 sogar etwa 45 Prozent.

 

Zwischen etwa 1390 und 1460 verteuert sich aufgrund der Abnahme der Bevölkerung die städtische Arbeitskraft erheblich, danach lässt das Bevölkerungswachstum die Löhne sinken.

Anders als in anderen Gegenden Europas wird die Steuerfreiheit von Adel, Klerus und Klöstern hier erheblich eingeschränkt.

 

Um 1400-1420 kaufen sich Venezianer, Genuesen und Florentiner an jenem Platz ein, an dem bislang die ter Beurze-Familie residierte und machen ihn zum Börsenplatz, auch wenn es dort weiter kein eigentliches Börsengebäude gibt.

 

Im 15. Jahrhundert verlagert sich der Schwerpunkt kapitalistischer Fortentwicklung nach Norden, zum einen nach Antwerpen und zum anderen nach Holland. Auf den Rückgang flämischer Tuchproduktion reagiert Flandern mit einem Einfuhrverbot für englische Tuche, die nun über Antwerpen auf den Kontinent gelangen. Der Zwin versandet, und damit wird Sluis für größere Schiffe unerreichbar.

 

 

Holländer dringen in den Getreidehandel des Hansebereiches ein und schmälern die Bedeutung des Brügger Hansekontors. In Gent kann die Krise der Tuchproduktion durch Brauer, Fischhändler, Fleischer sowie die Schiffahrt nur teilweise kompensiert werden. Weber verbünden sich gegen die Walker mit der kaufmännischen Oberschicht, es kommt zu Unruhen.

 

Spanien

 

Neben den im Welthandel über drei Kontinente dominierenden italienischen und flämischen bzw. niederländischen Städten behauptet sich in der zweiten Hälfte des 14. und ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts Barcelona. Neben dem katalanischen Hauptort schwingen sich auch Valencia und Palma de Mallorca zu Finanzplätzen mit einem Geldmarkt für Kredite auf.

In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts schwindet aber außerhalb Kataloniens bereits der Einfluss der städtischen Oberschicht auf die Verwaltung der Stadt mit zum Beispiel in Kastilien der Einsetzung lebenslanger königlicher Regidores, die wiederum zusammen mit Bürgermeistern die Beamten der Stadt einsetzen und selbst die Finanzen verwalten. Inzwischen (1325) werden auch Bündnisse zwischen Städten verboten. Mit der zusätzlichen Einsetzung königlicher Corregidores wird dann die städtische Selbstverwaltung zur Gänze erstickt. In derselben Zeit setzt die kastilische Krone eine allgemeine Umsatzsteuer durch, die gerade auch städtische Konsumenten trifft, die sie durch den Preisaufschlag bezahlen müssen. Diese alcabala trägt erheblich dazu bei, dass sich die königlichen Einnahmen zwischen etwa 1300 und der Mitte des Jahrhunderts verdreifachen.

 

In Barcelona vertieft sich der Gegensatz zwischen der kleinen Herrenschicht mit ihrem Landbesitz und ihrem Finanzkapital, die die Politik der Stadt kontrollieren und sich in der Biga organisieren, und der in der Busca vereinten Kaufleute, und Handwerker mit Schwerpunkt auf die Textilproduktion. Der im Kern wirtschaftliche Konflikt wird dadurch entschieden, dass der in Italien abwesende König sich auf die Seite der Busca schlägt, um so auch die Cortes und die Generalität zu spalten und zu schwächen. Er setzt schließlich 1453 als Statthalter für Katalonien einen Vertreter des niederen Adels ein, der wiederum als consellers in den Stadtrat gegen den Widerstand des Patriziats gemäßigte Vertreter der Busca lanciert. Diese wiederum setzen dann eine protektionistische Politik für ihre Textilwirtschaft durch.

 

Dieselbe Unterstützung städtischen Bürgertums als Bündnispartner setzt Alfonso auch auf Mallorca durch, wo die wohlhabenderen Städter nicht nur ihre Stadt, sondern auch das Land mit seinen kleineren Orten kontrollieren. Diese Auswärtigen, forans, versuchen gegen die zunehmenden Belastungen durch immer höhere Abgaben und politische Entrechtung zu rebellieren, also Palma de Mallorca einzunehmen, Dagegen schickt der König italienische Söldner, die saccomani, die die Rebellion blutig unterdrücken und danach harte Strafen einfordern.

 

In den kriegerischen Ereignissen zwischen 1462-72 kommt es dann zum Niedergang Barcelonas, der erst durch die Industrialisierung im 19. Jahrhundert wieder etwas überwunden wird.