ERSTE BLÜTEZEIT UND ANFÄNGE DES MODERNEN STAATES (13.Jh.-1350)

 

 

Herrschaft, Macht, Ohnmacht und Legitimation

Kapital und Macht

Machtpolitik (in Arbeit)

Nation: Ein Exkurs

Der deutsche Sonderweg

Feudale Strukturen: Deutsche Lande

Deutsche Fürstentümer

Zentrum der "Nation": Residenz, Hauptstadt und Hof (Fürstliche Nachfrage: Bauten / In den Palästen)

Militär

Währung

Staatshaushalt

Wirtschaftspolitik

Verwaltung

Feudale Strukturen: England

Recht und Gericht

Fazit: Untertänigkeit

 

 

Der Welthandel als direkter und vermittelter abendländischer Handel mit der jeweils bekannten Welt expandiert und kontrahiert seit der römischen Antike auch mit den außerhalb des Abendlandes stattfindenden Entwicklungen. Im 13. Jahrhundert reicht seine Sphäre grundsätzlich von China bis Portugal und von Schottland bis tief hinein ins schwarze Afrika.

Ansätze kapitalistischer Strukturen als Fremdkörper werden dort hinein impliziert, wo es zu Handelskolonialismus kommt. Solcher entwickelt sich im Raum von Palästina und Libanon mit den Kreuzzügen und hält an bis zum Fall Akkons 1291.

 

Expansion als Siedlung findet im Osten durch Deutsche statt. Der in Riga residierende Vizemeister des Deutschen Ordens lockt 1261 Bürger von Lübeck nach Livland mit dem Angebot von Land und mehrjähriger Steuerfreiheit.

 

Die Welt des aufblühenden Kapitalismus ist inzwischen bipolar, mit einem Pol weiter in Norditalien und einem anderen nunmehr in Flandern, zu dem langsam Brabant aufschließt. Beide sind bald stärker urbanisiert als das italienische Gegenstück. Nach und nach wird die Vermittlung über die Champagnemessen überflüssiger, und aus zwei Polen wird diese Welt dann über viele Zentren ausgedehnt, zu denen Süddeutschland und die nördlichen Niederlande gehören werden, dazu Gegenden Spaniens und langsam auch Englands. Transportwege und Handelsniederlassungen vernetzen das lateinische Europa. Die Möglichkeiten zur Anhäufung und Investierung von Kapital wachsen immer weiter an.

 

Wenn hier für das 13. Jahrhundert bis in die Krise im 14. von einer ersten Blütezeit des Kapitalismus gesprochen werden soll, dann beinhaltet das mehreres: Das sicher wichtigste Phänomen ist, dass die Bewegungen des Kapitals nunmehr die feudalen Rechtsstrukturen zur Gänze durchsetzt haben. Die Macht, die von physischer Gewalt ausgeht und auf Verfügung über Großgrundbesitz und den darauf arbeitenden Menschen beruht, ist abhängig von jenen Phänomenen, die Kapital ausmachen. 

Das gilt allerdings viel mehr und auf unterschiedliche Weise für die Nordhälfte Italiens und Flandern als für die übrigen Gebiete des lateinischen Europas. Anders gesagt: Zwischen Pisa, Genua, Mailand und Venedig ist Kapitalismus wesentlich stärker in Blüte als am Rhein oder in Süddeutschland zum Beispiel.

 

Mit den Elementen, aus denen sich in einigen Gegenden früher und in anderen später Staatlichkeit zusammensetzen wird, kommt es zu der für lange Zeit für Europa außerhalb der Stadtstaaten typischen Trennung von wirtschaftlicher und protostaatlicher Macht, wobei letztere immer noch im Besitz einer Familie oder eines Verbundes mehrerer mächtiger ist. In der Rückschau ausgebildeter neuzeitlicher Staatlichkeit schleicht sich dabei über Umwege der altgriechische Begriff von der polis, den polites und der politeia als "Politik" ein, eine an sich eher verunklarende Benennung dessen, was längst staatliche Macht betreibt. In ihm ist die für entstehende europäische Staatlichkeit so typische Trennung von Staatsmacht (als Politik) und Kapital (als Wirtschaft) ausgedrückt, die auf die ebenso typische Trennung von religiösen und weltlichen Angelegenheiten folgt: Beide Sphären sind personell getrennt, aber eng ineinander verstrickt.

 

Das ganze lateinische Abendland umfassende Äußerungen zu den wirtschaftlichen und Machtstrukturen sind durch das späte Mittelalter hindurch nur mehr in beschränktem Umfang möglich. England fällt im frühen und hohen Mittelalter erheblich heraus, Frankreich und die deutschen Landen andererseits wie genauso einmal der Norden und dann der Süden Italiens schlagen spätestens im 11. Jahrhundert unterschiedliche Entwicklungen ein, und dasselbe betrifft auch das christliche Spanien, Skandinavien und Ostmittel- und Osteuropa.

 

Elemente neuer Staatlichkeit entwickelten sich zunächst vor allem in den Städten, in kirchlichen Machtstrukturen, im Süditalien der Normannen, Staufer und frühen Anjou, aber auch in Frankreich, Aragon und England. Es sind Formen der Konzentration der Macht in einer Zentrale, die sich in der Entwicklung zu einer Hauptstadt als Residenz lokalisieren lässt (Palermo, Neapel, Rom/Avignon, Paris, London). Diener der Macht sind immer weniger Adel und ritterliche Ministeriale, sondern Beamte, die zunehmend auch aus dem niederen Adel und dem gehobenen Bürgertum kommen. Ihnen eröffnet sich so neben Handel und Finanzen ein weiterer Karriereweg.

 

Wenn man das Muster entstehender Nationalstaaten anlegt, dann konzentriert sich in Frankreich immer mehr Macht bei der Krone, während England den Weg der Partizipation von Adel und hohem Bürgertum geht, beides aber im Wege von Zentralisierung. Auf der iberischen Halbinsel konkurrieren und kooperieren mehrere Königreiche. Die deutschen Lande und die italienische Halbinsel begeben sich auf keinen Weg, der irgendwann in einen Nationalstaat münden könnte, sondern auf verschiedene Weise in Fürstentümer und Norditalien in Stadtstaaten. Aber überall finden im Kern dieselben Prozesse wie in den großen Reichen statt.

 

Die politische Landkarte verändert sich in dieser Zeit ganz wesentlich. Das ursprünglich arabisch dominierte Großreich des Islam zerfällt in einzelne Machtbereiche und der Islam wird in Spanien massiv zurückgedrängt. Der östliche Mittelmeerraum andererseits wird zunehmend von einem islamisierten zentralasiatischen Turkvolk kontrolliert.

1241 unterliegt der Piastenfürst Heinrich mit deutschen und polnischen Rittern bei Liegnitz einem Mongolenheer. Dieses zieht weiter durch Mähren nach Ungarn, von wo sie dann aber nach Siegen wegen inneren Konflikten im Großreich wieder nach Osten abziehen.

Ab 1260 teilt sich das mongolische Großreich, und von Osteuropa bis Westsibirien dominiert nun das Khanat der Goldenen Horde. Zentrum ist Sarai an der unteren Wolga, wo um 1300 eine Völkervielfalt von rund 100 000 Menschen lebt. Nach dem Ende der Dominanz des Rus-Reiches von Kiew steigen einzelne, den Mongolen tributpflichtige Großfürsten auf, unter denen Iwan I. von Moskau hervorragt. Die Bedeutung von Moskau steigt dabei, als der orthodoxe Metropolit 1326 seinen Siz dorthin verlegt.

Der mongolische Handel reicht auf der einen Seite bis nach China, auf der anderen über das Schwarze Meer bis nach Konstaninopel, Italien und Ägypten. Neben Fellen, Pferden und Getreide werden vor allem Sklaven für das ägyptische Mameluken-Militär exportiert.

 

In Ägypten etabliert sich das Mamelukenreich, welches 1260 die Mongolen besiegt und seitdem von Libyen bis Syrien herrscht. Wesentliche Einnahmequelle ist der Handel mit den westlichen Kaufleuten. Die privilegierten Kaufleute nahmen Waren in Aden und anderswo am Roten Meer entgegen, bringen sie nach Ägypten und verkaufen sie dort an einheimische oder christliche Kaufleute. Langsam nimmt die staatliche Kontrolle dabei weiter zu.

 

Am Ende beginnt mit dem hundertjährigen Krieg jene Zeit, in der sich Frankreich und England geographisch von einander ganz trennen werden und das englische zu einem britannischen Inselreich wird, während Frankreich sich seinen späteren Grenzen im Norden und Westen nähert. Es beginnt zugleich aber die Tendenz, nach Osten bis in das sogenannte römische Reich hinein zu expandieren und seine Fühler immer aggressiver nach Italien hin auszustrecken.

 

Der Versuch der (Personal)Union von deutschen Landen und Norditalien, ja am Ende fast ganz Italiens scheitert mit den letzten Staufern, und damit auch ein solches, eng verbundenes Kaiserreich. Was bleibt ist ein römisches Königreich weit überwiegend deutscher Fürstentümer, dessen Königtum nicht wie in Frankreich und England ganz in Familienbesitz ist, sondern sich Wahlen stellen muss. Die Machtgrundlage ist weniger ein Staatsganzes als die persönliche Hausmacht im eigenen Fürstentum, dort, wo sich vor allem Staatlichkeit entfaltet.

 

Die Nordhälfte Italiens zerfällt in rasch expandierende Stadtstaaten wie Mailand, Venedig oder Florenz, welches sich in Richtung auf ein toskanisches Staatswesen entwickelt. Südlich davon der Kirchenstaat mit Päpsten, die eine längere Zeit in Avignon unter französischer Kontrolle residieren. Und schließlich zwei Reiche im Süden, das von den Anjou begründete und von Neapel aus regierte nördliche Sizilien und Inselsizilien unter Spaniern, zunächst unter dem mächtigsten Fürstentum auf der iberischen Halbinsel, Aragon, welches die Hoheit über Katalonien, Valencia und die Balearen gewinnt. Zweitmächtigster Herrschaftsbereich ist auf der iberischen Halbinsel das vereinigte Königreich von Kastilien und León, welches sich am Ende mit Aragon zum Königreich Spanien vereinigen wird, während sich im Westen ein Königreich Portugal herausschält.

 

Es gibt viele Beweggründe für sich beschleunigende Veränderung im späten Mittelalter. Veränderungen in den feudalen Strukturen, Erblichkeit von Lehen, Schwinden der Ministerialität, Rückgang der militärischen Bedeutung der Vasallität und vieles mehr. Aber der zentrale Motor, der innere Kern der Bewegung ist die Entfaltung und das Aufblühen des Kapitalismus. Das wird zur zentralen Geldquelle für Machtentfaltung von Herrschaft, und diese kommt nicht mehr ohne aus. Kapitalismus liefert den Treibstoff für Macht, auch wenn diese bei Königen oder Fürsten liegt, und Adel und Klerus weiterhin Vorrechte behalten. Aber an den ersten Stellen steigen Bürger in die Regierungsgeschäfte in beratender Funktion und der Exekutive assistierend auf und bald werden immer mehr direkte Vertreter des Kapitals dazu kommen.

 

Herrschaft, Macht, Ohnmacht und Legitimation (derzeit in Arbeit)

 

In der ersten Blütezeit eines Kapitalismus wandelt sich der Begriff von Herrschaft weiter. Vorreiter einer neuen Vorstellung von Macht werden das Papsttum, Kaiser Friedrich II. und die französischen Könige. Mit dem Tod des Staufers gehen solche Vorstellungen auf die deutschen Fürsten über.

 

Für die Propaganda wichtig bleibt die Sakralisierung des Königtums, wie sie vor allem französische Könige vorantreiben, überhaupt aber die Herleitung aller (jeweils sich legitim fühlenden) Macht aus Gottes gnädigem Willen und deren Abstützung durch die Kirche.

Immer mehr aber nimmt eine rationale Begründung von Herrschaft überhand. Ihr Kern ist die Vorstellung von der angeborenen Sündhaftigkeit/Lasterhaftigkeit des Menschen. 1234 schreibt Papst Gregor IX.: Deshalb wurde das Gesetz erlassen, um das schädliche Verlangen durch die Regeln des Rechts zu begrenzen. Um 1250 schreibt der Geistliche und Richter Henry de Bracton: Zu diesem Zweck ist ein König erschaffen und gewählt, dass er allen Menschen Gerechtigkeit erweist (...) denn wenn es niemanden gäbe, der Gerechtigkeit übt, dann würde der Friede leicht vertrieben, und es wäre überflüssig, Gesetze zu erlassen und Gerechtigkeit zu üben, wenn es niemanden gäbe, der die Gesetze schützt. Er ist dazu da, damit alle seine Untertanen ehrenvoll leben können und niemand den anderen schädigt (... in: Kaufhold(1), S.71)

Alfons von Kastilien erklärt in den Partidas, das unterschiedliche Wünsche und damit Interessen zu Konflikten führen, die der Herrscher beizulegen habe, um den Frieden zu erhalten. Die frühere Vorstellung einer Monarchie, die das Einvernehmen mit vielen Großen zu suchen hat, weicht der von einem, der von den vielen immer unbedingteren Gehorsam verlangen kann und soll.

 

Bei Kaiser Friedrich II. heißt das in der Vorrede zum Mainzer Reichslandfrieden von 1235 etwas schärfer so: Dadurch nämlich wird die Macht des Herrschers besonders gestärkt, wenn er bei der Bewahrung des Friedens und der Ausübung der Gerechtigkeit den Schlechten genauso schrecklich ist wie den Friedfertigen willkommen. (so in: Kaufhold(1), S.70)

 

Noch heftiger, aber realistischer, äußert sich der dem König von Böhmen zugeneigte Bischof von Olmütz anlässlich der Wahl Rudolfs von Habsburg: (...) Wollen und Wissen vermögen nichts ohne die entsprechende Fähigkeit, und es erscheint vorteilhafter, dass die Macht eines Einzelnen, auch wenn er damit ein klein wenig boshaft umgehen mag, ertragen wird, um die Boshaftigkeit der anderen einzuschränken, denn ohne Einschränkung werden alle übermütig. Schließlich sind die schweren Zeiten angebrochen, in denen die Menschen, die sich selbst lieben, ihre privaten Angelegenheiten dem Interesse der Allgemeinheit vorziehen, und das gilt für Geistliche wie für Laien. (in: Kaufhold(1), S.70/79)

 

Immerhin gibt der brave Bischof an, dass königliche Willkür eine gewisse Rolle zu spielen hat. Die Kernaussage des späten Mittelalters bezüglich der Monarchien ist, bevor der spätkapitalistische und völlig säkularisierte Optimismus der "Demokraten" überhand nimmt, dass der Mensch schlecht sei und in jedem Reich die Knute eines einzelnen Mächtigen brauche. Große intellektuelle Schärfe wird das mit Thomas Hobbes gewinnen.

 

Frieden heißt natürlich Unterwerfung unter den Herrscher wie in heutigen Demokratien und härteren Diktaturen unter den Staat. Gerechtigkeit ist die Aufrechterhaltung von tradierten Machtstrukturen in möglichst für die sich Unterwerfenden akzeptabler Weise. Recht soll beides herstellen und erfolgreiches Recht ist natürlicherweise immer das des Stärkeren.

Das sind Vorstellungen, in die die Masse der Bevölkerung schon seit unendlich vielen Generationen eingeübt ist, und von denen eben auch ihr Seelenheil abhängt. Da kommen Angst vor weltlicher Strafe und vor der der Höllenqualen zusammen, letztere heute als moralische Diffamierung säkularisiert.

 

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Realität werden solche Vorstellungen ansatzweise in den beiden Sizilien Friedrichs und im Machtzentrum des französischen Königs. Deutlicher noch werden sie mit der neuen Obrigkeit sich verselbständigender Städte insbesondere in der Nordhälfte Italiens und später dann in größeren deutschen Städten zum Beispiel. Da tauchen dann aber auch Vorstellungen moderierender Kollegialität auf.

 

Tatäschlich ist der Zugriff der Könige bzw. Fürsten auf die unterschiedlich mit Rechten versehenen Untertanen solange gering, wie es an einer Hierarchie von Beamteten  von der Zentrale bis in den einzelnen Ort mit einem System von Befehl und Gehorsam fehlt, es also an einem voll ausgebildeten Staatswesen mit einer entsprechend großen Zentrale mangelt. Das alles muss nicht nur durchgesetzt, sondern auch finanziert werden können. Dazu muss ein Rechtssystem als Regelwerk von Machtentfaltung entwickelt werden, welches von einer hierarchisch aufgebauten Justiz durchgesetzt wird, die ihre Zentrale ebenfalls beim König bzw. Fürsten hat. Dazu dient immer mehr das kaiserliche Recht der römischen Spätantike. Schließlich bedarf es dabei eines Gewaltapparates, der der Justiz zur Seite steht.

 

Dagegen steht vor allem zweierlei: Zum einen ist da die Macht der bevorrechtigten Fürsten und Adeligen, die sich der zunehmenden Macht einer Zentrale in den Weg stellen und die gebrochen werden muss. In letzter Konsequenz wird das zum Beispiel in Frankreich erst mit der sogenannten "Revolution" ab 1789 gelingen. In England etabliert sich zunehmende Staatlichkeit durch die sich immer förmlicher etablierende Partnerschaft von König, Baronen und anderen Kräften. In deutschen Landen kommt solches Staatswesen deutlich später und unter den vielen einzelnen Fürsten, von denen es einige schaffen, zu Königen aufzusteigen.

 

Die Macht großer Herrschaften wird zum anderen ziemlich lange noch durch ihre große Fläche gebrochen, wofür das römische (deutsche) Reich das Musterbeispiel ist. Hier dominieren seit den Staufern aus süddeutschen Herrschaften stammende Könige, deren Zugriff auf den Norden immer geringer wird und die überhaupt nur wenig in die diversen Fürstentümer hineinregieren können.

Der Informationsfluss ist langsam und es dauert, bis bewaffnete Kräfte in Bewegung gesetzt und dann an Ort und Stelle gebracht werden können.

 

Vorreiter wird Frankreich wohl auch deswegen, weil es am Anfang auf ein kleines Zentrum beschränkt wird, dieses leichter unter konzentrierte Macht bringen und diese dann durch die Hinzufügung weiterer Gebiete ausbreiten kann. Dagegen steht einmal ein dezentrales Moment durch die Apanagenregelung für die Prinzen, welches mit Burgund sogar einen fast völlig selbständigen "Staat" hervorbringt, und zum anderen der jahrhundertelange Konflikt mit der englischen Krone, der manchmal die französische Krone fast verschwinden lässt, andererseits aber das Sammeln "französischer" Erde dann wieder zur Stärkung des Königtums benutzt.

 

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Kapital und Macht (in Arbeit)

 

Die Spitzen der politischen Macht in den kapitalistischen Ländern nehmen weiter überwiegend Könige und Fürsten auf althergebrachte Weise ein. In Italien von der Toskana bis zu den Alpen verselbständigen sich Stadtstaaten erst unter Oligarchien des Kapitals und dann teils unter neuen despotischeren Herren. Dasselbe gilt ein Stück weit und de facto mit den Städten der norddeutschen Hanse, die sich königlich-kaiserlichem Einfluss entziehen, aber fürstliche Oberhoheit nie ganz abwerfen können.

Innerhalb der Städte mit hoher Kapitalkonzentration verwalten sich die Vertreter des Kapitals selbst und bilden Obrigkeit über die Masse der Bevölkerung aus. Später werden sie erkennen, dass bei Annäherung der Interessen von politischer Macht und großem Kapital sie am besten mit Lobbyismus am Hofe fahren.

 

Politische Macht und Kapital haben gemeinsam, dass sie beide das von Produzenten arbeitete Gut in Geld verwandelt auf sich konzentrieren. Blütezeit des Kapitals heißt auch, dass dieses dabei in der Summe die herrschaftlichen Potentaten zu überholen beginnt. Es wird heute geschätzt, dass der Umsatz des genuesischen Seehandels 1293 dreimal so viel beträgt wie die Einkünfte des französischen Königs. Laut Giovanni Villani liegt um 1330 der Wert der Stoffe, die unter Aufsicht und Investitionen des Kapitals in Florenz in einem Jahr produziert werden, bei 1 200 000 Goldflorinen, das gemeinsame jährliche Einkommen der Könige von Frankreich und England. Dazu kommt der Kapitalertrag aus dem übrigen Handel und aus Produktion sowie vor allem der aus Finanzgeschäften. 130 Jahr später, 1459, produzieren die drei Firmen, die in Salins (Franch-Comté) angesiedelt sind, nur noch die Hälfte von dem Volumen von hundert Jahre vorher, erwirtschaften aber immer noch einen Gewinn, der den Einnahmen des schwerreichen Herzogs Philipp ("des Guten") in Herzogtum und Grafschaft entspricht (Spufford, S.226).

 

Während der Konsumanteil der Firmen durch mehrere Generationen nur langsam steigt und durch die Einnahmen mehr als gedeckt bleibt, tendieren Fürsten und Könige dazu, ihn mit wenigstens der Hälfte der Einnahmen für ihre Hofhaltung zu verschwenden, während ein Gutteil des Restes in Kriege eingeht und das Übrige in die Verwaltung. Bei den ersten beiden Ausgaben übernehmen sie sich immer wieder, was sie abhängig macht von Kreditgebern des Großkapitals. Da politische Macht zuallererst militärische Macht ist, und das Kapital nur in sehr autonomen Stadtstaaten überhaupt über hinreichend Militär verfügt, zunehmend teuer zu bezahlende Söldner, hängt sein Schicksal oft genug an den Aktivitäten herrschender Dynastien.

Ökonomische und politische Macht sind so zwei verschiedenen Personengruppen zugeteilt, und die Zunahme von Fürstenmacht und Staatlichkeit wird in der frühen Neuzeit die Dominanz der Staaten zunehmen lassen.

 

Die enge Verbindung von Kapital und fürstlicher/königlicher Herrschaft berührt vor allem zwei Sphären, einmal das Verleihen von Geld an die weltlichen wie geistlichen Herren, zum anderen die oft damit verbundene Finanzverwaltung in den Herrschaften.

Das große Kapital verleiht auch Geld an Städte, wie die Peruzzi 1328 an Brügge 20 000 Parisis, aber das meiste Geld fließt an Fürsten und Könige. Seit Edward I. (1272-1307) lassen englische Könige ihre Machtgier von italienischen, insbesondere Florentiner Firmen finanzieren, es geht dabei um Sizilien, Wales, Schottland und Frankreich. Schätzungen des Geldes, welches alleine in den 1340er Jahren bis zu den großen Bankrotten von den Bardi an die Krone fließt, liegen zwischen 535 000 und 900 000 Florin, ein Viertel bis ein Drittel des ganzen liquiden Reichtums von Florenz gemäß dem Kataster von 1427 (Goldthwaite, S.231).

 

Es geht oft nicht um unmittelbaren Gewinn daraus, sondern um mittelbaren durch den Schutz, den Herrscher gewähren, und um lukrative Gegenleistungen: Die Frescobaldi erhalten um 1300 vom König die Bewirtschaftung einer Silbermine und das Eintreiben von Hafenzöllen und unterstellt ihre Aktivitäten direkt der Royal Wardrobe. Bald darauf erhalten die Bardi und Peruzzi das Recht auf das Eintreiben von Geldern von Sheriffs, Bailiffs und anderen Beamten.

Schon früher gelingt es den Bardi, Peruzzi und Acciaiuoli durch die Finanzierung des Zugriffs von Karl von Anjou auf Sizilien Einküfte aus Häfen, der Münze und dem Steuereintreiben zu erhalten und dann überhaupt die königlichen Finanzen zu kontrollieren. (Goldthwaite, S.232)

Herrschaft und Finanz-Kapital können geradezu verschmelzen. 1279 leiht der Handelsbankier Capponi, Florentiner mit Firma in der Lombardei, dem Patriarchen von Aquileia, Raimondo della Torre, eine gewisse Summe, wofür er Pfandrechte auf Forste, Fischerei Zölle, die Münze und andere Einkünfte erhält. Der Händler und Bankier zieht nach Friaul um und steigt zu einer führenden Rolle bei Hofe auf, verhandelt einen Vertrag mit Venedig. Die enge Verbindung zwischen Machthaber und Kapitaleigner endet allerdings mit dem Tod des Fürsten 1299. (Goldthwaite, S.233)

Florentiner Firmen betreiben nicht nur die Münze von Karl von Anjou, schon 1218 übernimmt ein Konsortium von ihnen die Schulden des Bischofs von Volterra und bekommt dafür die Bewirtschaftung der Silberminen von Montieri und die daraus resultierende Münze. (Goldthwaite, S.234) Zusammen mit Firmen aus Genua betreiben sie unter Edward I. Silberminen in Irland. 1300 leihen die Brüder Donati König Wenzeslaus II. von Böhmen Geld und bekommen dafür die Leitung der Minen von Kuttenberg und der königlichen Münze.

 

Der zunehmenden Stabilität von Staaten mit ihren propagandistischen Mitteln und ihrem Militär stehen beim Kapital die Unwägbarkeiten des Marktes gegenüber, zu denen auch die der hohen Herren kommen. Der Markt verändert sich durch Konkurrenz und neue Moden, wie sich bei allen Produkten verfolgen lässt. Produktionsstandorte verkümmern zugunsten anderer, und das Handels- und Finanzkapital zieht dabei weiter. Transportwege verändern sich, lassen Orte aus und erreichen neue.

Die Bewegungen des Kapitals verändern Landschaften und Lebensformen dabei mindestens ebenso wie Heiratspolitik, Verträge und Kriege der hohen Herren. Letztere sind ohnehin auch vom durch Kapitalverwertung generierten Reichtum des Landes abhängig.

 

Für die Bankiers ist der gute persönliche Kontakt bei Hofe zu den Herren, denen Geld verliehen wird, von elementarer Bedeutung. Manche werden dabei zu Höflingen oder geradezu zu Favoriten der Herren wie die Frescobaldi am englischen Hof. Berühmt wird die Karriere von Biche und Mouche am französischen Hof, der Florentiner Brüder Albizzo und Giovanni Paolo de Francesi. Ihre Karriere beginnt bei der Scali-Firma, sie gelangen an den Hof des Herzogs von Brabant und dann an den von Philippe ("dem Schönen"). Sie werden seine Bankiers, mit dem Einsammeln von Abgaben beauftragt und sind auch in diplomatischen Missionen für den König unterwegs. Sie werden zu Rittern geschlagen und überleben die Verfolgung der "Lombarden" 1291. Mit ihrem Geld kaufen sie Land auf, um sich eine kleine eigene Herrschaft in Staggia im Elsatal aufzubauen, geraten aber dann in den Ruin der senesischen Buonsignori-Bank 1303, in die sie französische Gelder angelegt hatten, was zur Verurteilung des einen Bruders in Florenz und zur Konfiszierung ihres Besitzes in Frankreich führt.

Niccolò Acciaiuoli (1310-65) ist Sohn jener Firma, die mit den Bardi und Peruzzi Handel und Finanzen im angevinischen Neapel kontrolliert. Er wird ebenfalls zum Ritter geschlagen und Chef des königlichen Haushaltes. Als seine Firma ein Lehen im Fürstentum Achäa erhält, wird er dort Teil des Adels, sammelt immer mehr Grundbesitz an und wird dann Graf von Melfi und Seneschall. Mit dem Bau der Certosa von Florenz schafft er sich seine eigene Grabkirche dort.

 

Dennoch ist der Kapitaleinsatz bei den Mächtigen mit einer Vielzahl von Risiken verbunden. Oft werden Kriege finanziert, aber die gegnerische Seite reagiert darauf: Edwards III. Krieg gegen die französische Krone um 1330 stört die Verbindungen des florentinischen Kapitals zwischen Nord und Süd, denn der Gegner ist mit genuesischem Kapital ausgestattet.

Ende der 1330er Jahre macht Edward III. Druck auf italienische Firmen , um mher Geld für den Krieg gegen Frankreich zu erhalten. Das Silber-Gold-Verhältnis verschlechtert sich in England, was den Florin abwertet. Um 1340 unterstützen Florentiner Firmen ghibellinische Interessen, wie es zumindest scheint, mit ihrer Finanzierung eines Krieges ihrer Stadt gegen Lucca. König Robert von Neapel ist empört und darauf lösen die Einleger in Neapel ihre Konten bei Florentiner Banken auf. Papst Benedikt XII. wiederum löste seine Finanzen von den Banken aus Florenz. Die Vertreibung des Herzogs von Athen und seiner oligarchischen Anhänger aus der Stadt führt dazu, dass deren Schulden nicht mehr greifbar sind. Das alles trägt zur großen Bankenkrise der Bardi und Peruzzi bei. (Goldthwaite, S.242)

Die Alberti, die keine Regierungen finanzieren, überleben die Bankenkrise, und am Ende auch die Bardi

 

Mit der Nichteinlösung ihrer Schulden schicken englische Könige in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts eine Bank nach der anderen in den Bankrott: 1301 die Luccheser Ricciardi nach der Konfiskation ihres Besitzes 1294 in Frankreich durch Philippe ("den Schönen"), 1302 die Seneser Bonsignori, 1301-02 die Florentiner Mozzi-Bank, 1305 die Pulci und Rimbertini, 1311 die Frescobaldi, 1326 die Scali, 1342-46 die Bardi und Peruzzi.

 

Unübersehbar ist aber, dass dennoch insgesamt der Nutzen offenbar die Kosten übertrifft, denn in dieser Zeit ersetzt eine Bank die vorherige. Zudem handelt es sich wohl weniger um königliche Willkür, es ist vielmehr so, dass die Herrscher tatsächlich nicht zahlen können.

 

Für die Florentiner Firmen ist England in dieser Zeit wichtig, weil sie dort Wolle einkaufen, aber sie können es dort nicht mit Geld tun, welches sie durch den Export von Fertigprodukten hereinbekommen. Sie haben aber von kontinentalen Geschäften her Geld, welches sie den Königen leihen können, und da sie im Gegenzug Pfänder bekommen, die Geld generieren, können sie damit dann die Wolle kaufen. (Goldthwaite, S.237) Und von den Herrschern gibt es Rechtsschutz, Geleit, Lizenzen und Steuervorteile, Schutz auch vor dem Widerwillen einheimischen Kapitals gegen die Konkurrenz der Fremden.

 

Zwar wird die Kirche immer expliziter in ihrer Verurteilung des Wuchers, aber dennoch hat sie großen Anteil an der Anhäufung von Finanzkapital, indem sie das Eintreiben von kirchlichen Abgaben, den Transfer nach Rom und die Deponierung auf Konten italienischen Firmen überträgt, ein offenbar enorm lukratives Geschäft. Mitte des 13. Jahrhunderts sind vor allem Seneser Firmen, aber auch solche aus Lucca, Florenz, Pistoia und Piacenza beteiligt. 

In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts gelingt es den Florentinern, mithilfe ihrer guelfischen Politik die ghibellinischen Seneser abzuhängen. Als Innozenz IV. mit dem Angebot von Sizilien Henry III. dazu bringt, stärkeren kirchlichen Abgaben in seinem Herrschaftsbereich zuzustimmen, gelingt es nach und nach Florentiner Firmen, sowohl im Kontakt mit dem König wie mit den Päpsten in England und von dort aus zunehmend Geschäfte zu machen. Matthaeus Parisiensis wird unentwegt über die Geldgier von Kirche und weltlicher Macht klagen.

Unter Bonifaz VIII. dominieren Florentiner Firmen wie die Pulci, Frescobaldi, Mozzi, Cerchi und Bardi im Umfeld des Papstes, und sie sind mit den Abgabeneintreibungen in wesentlichen Teilen Europas befasst. Neben den Pfändern, die ihnen die englischen Könige für Kredite geben, sind es diese Geschäfte im Auftrag der Päpste, die in England das Geld generieren, mit dem florentinische Händler Wolle einkaufen.

In Avignon sind es dann weit überwiegend Kaufleute und Bankiers aus Florenz, die Päpste und einen großen wohlhabenden Klerus geschäftlich bedienen, bis sie in den Bankkrisen der 40er Jahre kurzzeitig von Lucchesen abgelöst werden.

 

Machtpolitik (in Arbeit)

 

Mehr als je zuvor bestimmen Herrscher über einnahmeträchtige Reiche nun die Geschicke Europas. Da ist an erster Stelle der französische König, dann auch der englische. Dazu kommen der von Aragon und das Reich Karls von Anjou. Mit dem Untergang der Staufer verlieren die römischen (deutschen) Könige ihren Rang und Macht und das Kaisertum seine hergebrachte Bedeutung.

 

In den deutschen Landen gewinnen die Gegenkönige zu den Staufern im wesentlichen Unterstützung durch die geistlichen Fürstentümer, die sich ebenso wie die weltlichen in der weitgehend königslosen Zeit bis zu Rudolf von Habsburg immer weiter verselbständigen. Danach bleibt das "Reich" ein loser Fürstenbund, in dem insbesondere die Fürsten der Niederen Lande im Nordwesten und die bäuerlichen und städtischen Deutschen im äußersten Südwesten immer mehr Eigenleben entwickeln. Der Zugriff der aus dem Süden oder der Mitte stammenden Könige und überhaupt schon alleine ihre Präsenz  bleibt dabei im Norden besonders gering. Nicht ein gemeinsames Deutschland, sondern dynastische Ziele in jenem Gebiet, in dem sie selbst Fürst sind, bleiben ihre Hauptsorge. Die deutschen Lande driften auseinander.

 

Während deutsches Volkstum sich über Sprache und ethnische Vermischung an die Oder, nach Schlesien, ins Baltikum  und ins Deutschordensland vorschiebt, geraten die romanischen Reichsteile im Westen immer mehr in das Augenmerk französischer Könige. 1258/59 verliert zudem die englische Krone bis auf den Südwesten alle ihre französischen Lehen. Unter Heinrich III. steigt das Parlament der Vertreter des Adels, der Ritter und der Städte auf.

Die französische Krone mit ihrer stark vergrößerten und immer zentraler verwalteten Krondomäne sieht sich unter Ludwig IX. nur noch den vier großen Lehnsfürstentümern Bretagne, Flandern, Champagne und Burgund neben den geschrumpften englischen Besitzungen gegenüber. In das deutsche Interregnum hinein ragen seine beiden großen Kreuzzüge.

 

Der jüngste Bruder des französischen Königs, Karl von Anjou, heiratet 1246 die Erbtochter des letzten Grafen der Provence. Von dort aus gewinnt er um 1260 Einfluss im westlichen Piemont. Als in diesem Jahr der staufische Manfred, Herr über die Sizilien, bei Montaperti die guelfischen Florentiner schlägt und von Mittel- nach Norditalien ausgreift, vergibt der aus Troyes stammende Papst Urban IV. Sizilien an Karl. Der besiegt 1266 Manfred bei Benevent und kurz darauf den jungen Konradin bei Tagliacozzo. Dabei greift er auch nach Korfu und auf Gebiete der adriatischen Balkanküste aus.

 

1277 besteigt der aus der Familie der Orsini stammende Papst Nikolaus III. den Papstthron, der das Ausgreifen des Anjou auf Mittel- und Norditalien eindämmen möchte. Mit Martin IV. gelingt es dann Karl, einen Vertreter seiner Interessen durchzusetzen. Angevinische Truppen nehmen nun von der Provence aus das Arelat in Beschlag, während Karl zugleich nach Byzanz ausgreifen möchte. Dem bereitet die Sizilianische Vesper 1282 ein Ende. Fiskalischer Druck, Entzug der Lehen von aufmüpfigen Baronen und die Verlagerung der Hauptstadt von Palermo nach Neapel gehören zu den Ursachen. 

 

König Jayme von Aragon hatte seinen Sohn Pedro (III.) mit der Tochter Manfreds verheiratet. Aragon, Katalonien, die Balearen und Valencia wurden nun zentraler regiert. Nichts naheliegender als das Angebot der aufständischen Sizilianer anzunehmen, mit Sizilien die aragonesische Seemacht auszubauen. Papst Martin fordert darauf den französischen König zum Kreuzzug gegen Aragon auf, der allerdings schnell scheitert. Aragon verbündet sich dabei mit England und dem Sultan von Ägypten, während sich Kastilien auf die französische Seite stellt.

1285 stirbt Karl von Anjou und sein Nachfolger Karl II. muss sich mit dem Fürstentum Neapel begnügen. Zugleich tritt Philipp ("der Schöne") die Herrschaft über Frankreich an. Dieser wendet den französischen Expansionsdrang ganz nach Osten, nach Burgund, und nach dem Erwerb der Champagne durch Heirat nach Lothringen und nach Flandern, welches 1298 im römischen Frieden an seine Krone fällt.

 

Während Papst Bonifaz VIII. im Konflikt mit Philipp um 1300 beginnt, wie schon Vorgänger seit Gregor VII. die Hoheit der Kirche über alle weltliche Macht herauszustellen, integriert Philipp die französische Kirche in einzelnen Schritten in seinen Staatsapparat. Der Absolutismus des Papstes führt ihn zudem in Konflikte mit Kardinälen insbesondere aus dem Hause Colonna.

Während die Flamen von einem Aufstand in Brügge aus 1302 ein französisches Heer bei Kortrijk (Courtrai) schlagen, und die Engländer einige Besitzungen zurückbekommen, anerkennen die Anjou von Neapel die aragonesische Herrschaft über Inselsizilien und strecken zugleich die Hände nach der ungarischen Königskrone aus. 1303 dann kommt es zum Eklat des Überfalls von Anagni, von dem sich Bonifaz nicht mehr erholt. Der übernächste Nachfolger wird dann von Philipp dazu veranlasst, sich 1308 ganz in Avignon niederzulassen.

 

Während in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts schwache deutsche Könige der französischen Expansion im Westen wenig entgegenzusetzen haben und ihren Einfluss in Italien weiter verlieren, wo sie die ghibellinische "Partei" in der Person von Heinrich VII. und Ludwig dem Bayern enttäuschen, wird unter Edward I. Wales zur Gänze der englischen Krone eingeordnet und es beginnt zunehmende Anglisierung. Ähnliche Versuche gegenüber Schottland unter ihm und dem zweiten Edward sind nur zeitweilig von Erfolg gekrönt und münden in schottische Bündnisse mit Frankreich.

Während die Zentralisierung im französischen Staat voranschreitet, gelangen die beiden Edwards zu einem ausgewogenen Miteinander mit dem Parlament, welches am Ende das uneingeschränkte Recht der Steuerbewilligung innehat und zunehmend regelmäßig nun in Westminster tagt. Zwar endet die Herrschaft des zweiten Edward in der Absetzung und Gefangennahme durch die eigene Gemahlin samt nachfolgender Ermordung, aber die Verhältnisse stabilisieren sich wieder unter einem dritten Edward. 

 

1328 stirbt die direkte Linie der Kapetinger aus und ein Sohn des Bruders von Philipp ("dem Schönen") besteigt den Thron, obwohl auch der englische König Ansprüche anmelden kann. Aber er akzeptiert zunächst den Franzosen als seinen Lehnsherrn.

Es ist vor allem die französische Drohung, Flandern mit seinem profranzösischen Grafen zu übernehmen, welche den englischen König veranlasst, die flämischen Städte zu erpressen, indem er den Wollexport und damit ihre wesentliche Existenzgrundlage sperrt. Als diese bereit sind, sich ihm anzuschließen, erklärt er sich mit erheblicher Verspätung zum französischen König, denn Flandern ist überwiegend französisches Lehen. Damit ist der Kriegsfall gegeben.

 

Englische Siege in Frankreich und über den schottischen Robert Bruce führen bis zur Gefangennahme des französischen Königs Jean II ("le Bon). Während Jeans Sohn Charles die Regentschaft führt, kommt es zur ländlichen Jacquerie und zum Aufstand Pariser Großkapitals unter Étienne Marcel. Beides bricht wieder zusammen. 1369 im Frieden von Brétigny verfügt England souverän über ein Viertel des französischen  Herrschaftsraumes.

 

Fast ganz abseits von diesem Geschehen entwickeln sich in Skandinavien erste Ansätze in Richtung Staatlichkeit, die besonders in Dänemark ins vierzehnte Jahrhundert hinein weit gedeihen. Dänemark ist das kleinste der Königreiche, besitzt aber mehr Bevölkerung als Norwegen und Schweden zusammen und erzwingt durch den Besitz von Schonen, Halland und Blekingen Schwedens Expansionsdrang nach Osten, der zur Eroberung Finnlands führt.

Die Verbindung zum skandinavischen Geschehen von Westen und Süden stellt die Hanse her, die in immer stärkere Konflikte mit Dänemark gerät. Mitte des 14. Jahrhunderts gelingt es Waldemar IV. von Dänemark, auch durch die Geldmittel aus dem Verkauf von Estland an den Deutschen Orden ein zentralistischeres Regiment durchzusetzen.

 

 

Nation: Ein Exkurs

 

Die Wahrnehmung von Fremdheit verstärkt sich im kriegerischen Aufeinandertreffen, aber auch im kriegerischen Zusammengehen wie in den Kreuzzügen. Ein Wahrnehmen von Volkszugehörigkeit entsteht aber auch durch Mobilität. An den entstehenden hohen Schulen treffen Vertreter von Völkern aufeinander, die sich selbst zunehmend so so verstehen. An Universitäten werden Studienten dann manchmal in "Nationen" organisiert. Der zunehmende Handel bewegt Kaufleute und später dann deren Agenten durch die "Länder" mit ihren "Völkern", der entstehende Kapitalismus überwindet von Anfang an Grenzen. Pilgerscharen kommen durch fremde Gegenden,  Mönche und Klerus überwinden bis in die Stauferzeit Grenzen: Kirche, dissidente christliche Strömungen und Mönchsorden orientieren sich nicht an den Einteilungen des Abendlandes in Machtsphären. Aber inzwischen sind die Dinge im Fluss. Mit einem deutschen Ritterorden und den spanischen wird Zuordnung zu eingegrenzten Machtsphären deutlich wie mit der Zerstörung des europaweit agierenden Templerordens durch den französischen König unter Zuhilfenahme des Papsttums.

 

Die oft propagandistisch gestifteten Verwirrungen um den Volksbegriff von seiten der Mächtigen und seine ethnischen, sozialen und frühstaatlichen Ausprägungen werden zunehmend katastrophale Auswirkungen haben. Mit den neuen Zivilisierungen in Europa beginnt ein von oben verordnetes Newspeak, welches die Umdeutung von Begrifflichkeiten bis in ihr Gegenteil betreiben wird. Sachsen wird dann da liegen, wo es zuvor nie war, Franken wird an den Main verschoben und Francien/Frankreich entsteht von dort aus, wo es in der alten Bedeutung wenig Franken gegeben hatte. So werden aus Sachsen am Ende Niedersachsen, während Thüringen für lange Zeit in "sächsischen" Fürstentümern aufgeht und fast verschwindet.

 

 

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Nation geht wie Natur auf dasselbe Tätigkeitswort zurück, welches „gebären, erzeugen“ meint. Geboren ist dabei „natus“, und die natio ist so der Verbund der gemeinsam Geborenen, das, was die Germanen als Sippe und Stamm bezeichneten, die Kelten als Clan. Als die nordamerikanischen Indianer notgedrungen Englisch lernen müssen, nennen sie ihre Stämme auch nations. Solche Nationen haben fiktive Stammväter und/oder ein gemeinsames Totem bw. einen gemeinsamen Kult.

 

In die deutsche Sprache kommt die Nation im 16. Jahrhundert, und zwar aus Frankreich. Inzwischen gibt es im Abendland kaum noch Nationen im alten Wortsinn, die Stämme sind in die Untertänigkeit hinein zerstört. Aber mit England, Frankreich und Spanien gibt es inzwischen drei Nationen neuen Typs, alle drei verschieden erfunden, aber das gemeinsame Wort Nation bedeutet ohnehin etwas völlig anderes als früher einmal.

 

In England taucht die nacioun im 14. Jahrhundert auf.  Erst mit dem Ende des Bürgerkrieges zwischen York und Lancaster durch den Aufstieg der Tudors ist die „Nation“ als geschlossener Herrschaftsbereich des englischen Königs halbwegs stabil.  Dem Aufstieg des englischen Nationalismus (deutsches Wort seit dem 18. Jahrhundert) kommt entgegen, daß die gemeinsame Sprache aus angelsächsischen und altfranzösischen Elementen sich ohne viel Grausamkeit durchgesetzt hat.

 

Spanien geht aus der Reconquista hervor, der Rückeroberung der iberischen Halbinsel von den muslimischen Herrschaften. Die spanische Krone entsteht in der ehelichen Vereinigung der Häuser Kastilien und Aragon. Das Castellano wird sich als spanische Sprache durchsetzen, Vertreibungen von Mauren und Juden geben den Anschein völkischer Einheit. In Spanien werden aber die Eigenheiten der einzelnen Regionen weniger ausgelöscht als zum Beispiel in Frankreich.

 

Dieses nun geht aus der Teilung des Frankenreiches hervor. West-Francien schrumpft unter den ersten Kapetingern bis auf Paris und seine Umgebung zusammen, die Isle de France. Frankreich geht dann aus den riesigen Eroberungen und Erwerbungen der französischen Krone hervor, bei der alle nicht "französischen Sprachen" in ländliche Nischen abgedrängt werden.

Die Sprachgrenze wird dabei zu einem hemmenden Element für Mobilität, im 14. Jahrhundert wandern kaum noch Leute aus dem französischsprachigen Westen nach Trier ein.

 

Die Deutschen und die Italiener sind beide Erben des Römischen Reiches, die dann Erben des zweiten "römischen" Reiches Karls des Großen werden. Petrarca schreibt das erste ‚Italia’-Gedicht, das sich gegen die nördlichen Barbaren richtet, die lutherische Reformation ist durchsetzt mit heftigen Attacken auf alles Welsche. Dieses Wort meinte erst die Kelten (welsh) und später die Romanen, die die Kelten romanisiert hatten.

Inzwischen heißt der Nachfolger des zweiten römischen Reiches ‚Heiliges Römisches Reich deutscher Nation’ und ist keine Nation im neueren Wortsinn, schon gar kein Nationalstaat, sondern ist auf die Herrscher bezogen „deutscher Herkunft“. Die französische Revolution wird dann zum Geburtshelfer einer neuen deutschen „Nation“, Napoleon mit seiner Unterdrückungs- und Ausplünderungspolitik hilft, den deutschen Nationalismus als „politischen“ zu erfinden.

 

Der dritte Napoleon wird der Geburtshelfer der italienischen Nation. Dafür, dass der piemontesische König von Sardinien „ihm“ Nizza und Umgebung „schenkt“, unterstützt er die Unterwerfung Mittel- und Süditaliens unter die piemontesische Krone. Als Ergebnis bezahlt das Königreich beider Sizilien mit hundert Jahren Niedergang und der Überantwortung an kriminelle Vereinigungen mit regionalemn Traditionen.

 

Kurz gesagt, die Nation ist einerseits die ins Ideale verkommene Sehnsucht des kleinen Mannes nach Größe, Vervielfältigung, der sich Demagogen seit langem bedienen. Andererseits wird sie der Binnenmarkt als Startrampe für die koloniale und postkoloniale Ausplünderung der Welt. 1789 wird sie in den Texten der Abenteurer, Phantasten und Karrrieristen des absterbenden Adels und des karrieristischen Teils des Dritten Standes zum Agenten der Geschichte. Niemand kann das säkulartheologischer formulieren als der Hocharistokrat Lafayette, der sie gerne als Einheit, Rechtschaffenheit, Fleiß und Genügsamkeit definiert, als union, probité, industrie, frugalité. Das ist, wie leicht sichtbar wird, auch Rousseau,  wenn auch aristokratisch garniert mit honneur und gloire. Das muß man auch nicht einzeln als Zitat belegen, denn Lafayettes Texte schwelgen in diesem Vokabular nationaler Wohlanständigkeit.

 

Während Lafayette mehr der Mann des Schlachtenlärms, der Paraden und der Theatralik ist, dessen Text gerne auf Ernsthaftigkeit verzichtet, formuliert der an die Göttin Vernunft glaubende Abbé Sieyès die Vernunft in seinem wenige Monate vor dem Mai 89 veröffentlichten Programm für diesen Mai doppelt und vom rhetorischen Pathos des dogmatischen Propagandisten getragen: Seine Nation besteht einmal aus den von den französischen Königen zusammengerafften Provinzen und Völkerschaften (schreibt er als Patriot nicht so, er meint aber genau dieses Territorium), zum anderen ist sie identisch mit dem dritten Stand, denen, die seiner Ansicht nach für Wohlstand und Reichtum (in) der Nation zuständig sind. Auf die Frage seines Pamphletes, was der dritte Stand sei, antwortet er nämlich mit: Alles. Die Privilegierten, die nicht zur Nation gehören (Adel und Klerus), sind nicht einmal 2% der Bevölkerung, übrigens eine Quote ähnlich der der Juden im Deutschland von 1933.

Was ist danach eine Nation? Eine Körperschaft von Assoziierten, die unter einem gemeinsamen Gesetz leben und von derselben Gesetzgebung vertreten werden. (Un corps d’associés vivant sous une loi commune et représenté par la même législature.) Der vernunftgemäße Staat, der sich jetzt Nation nennt, ist nichts anderes als eine Firma bürgerlichen Rechts, deren Produkt nach US-Vorbild propagandistisch das Glück der Bürger (citoyens) ist. Wer auf diese Weise nicht glücklich sein möchte, muß entsprechend auswandern oder seiner Verfolgung gewärtig sein. Die Seele des Staatsbürgers, der sein Glück will, brennt fürs Vaterland (L’âme brule pour une patrie.). Das ist dann auch nicht verwunderlich, verzehrt sich doch die Seele des guten Gesetzgebers für das Glück seiner „Bürger“, wie die Untertanen nun heißen. Die wahnwitzige Konstruktion der volonté générale des Rousseauschen Gesellschaftsvertrages, des allgemeinen Willens, wird allerdings bei Sieyès herabgemildert zum intérêt général, jenem „allgemeinen Interesse“, welches in unserer BRD noch mehr abgemildert, aber immer noch bedrohlich genug als Gemeinwohl auftaucht.

 

Festzuhalten bleibt, dass die neue Nation, die in der ersten französischen Verfassung von 1789/90 auftaucht, nicht identisch ist mit dem Staat, und auch nicht identisch wird mit der Bevölkerung dieses Staates, die als peuple auftritt, als Volk neuen Typs, sie wird nun ganz und gar zu einer Schimäre, die sich nur in ihren Inszenierungen zeigt, aber in Schüben allgemeinen Enthusiasmus hervorrufen kann.

 

Was nun aber ist der Staat, falls er nicht identisch ist mit der Nation? Er, der état, state, stato, ist jener Zustand, in dem die Macht institutionalisiert und legalisiert ins Verhältnis zur verfassungsmäßig hergestellten Ohnmacht tritt. Bis ins 18. Jahrhundert aber ist der état in Frankreich das, was in Deutschland „Stand“ hieß. Die Stände in ihrem Verhältnis zueinander sind die „Ordnung“, der ordre, den Ludwig XVI. im Mai 1789 gegen die sich bildende Nationalversammlung aufrechtzuerhalten sucht.

Das Wort Staat taucht gegen Ende des Mittelalters auf, meint aber erst seit dem 17. Jahrhundert gelegentlich im Deutschen das, was wir noch heute darunter verstehen möchten. Wie viele Wörter, in denen Entwicklung in einen Zustand gerinnen soll, bleibt es von großer Unklarheit, bis es langsam in dem neuzeitlichen Macht-, Gewalt- und Verwaltungsapparat deutlicher wird und sich von dem Wort Hofstaat löst. Im Mittelalter ist es wohl am besten, überall dort von Elementen (künftiger) Staatlichkeit zu reden, solange "Staat" noch keine Konsistenz erreicht hat und militärische Gewalt, Finanzen, Verwaltung und Gesetzgebung noch nicht zusammen von einem Zentrum ausgehen.

 

Die vor allem lateinisch formulierte Theorie geht der Praxis überall voraus: Dazu entwickelt sie die Vorstellung eines Gemeinwohls, mit dem der Fürst konfrontiert sein sollte. In der Praxis sind aber deutsche Fürsten durch das Mittelalter zur Gänze auf das Wohl ihrer Familien bzw. Dynastien bedacht, und römisch-deutsche Könige/Kaiser viel zu ohnmächtig, um Elemente von Staatlichkeit aufzubauen. In Frankreich und England zum Beispiel ist da die Entwicklung bereits weiter fortgeschritten.

 

Der deutsche Sonderweg

 

Die entstehenden Nationen werden im wesentlichen gemeinsame Märkte mit einer starken Machtzentrale. Sie entstehen nicht durch "Nationalismus", der erst ihr Resultat ist, sondern durch die Ausweitung von zentraler Herrschermacht. Ein solcher Herrscher fehlt in deutschen Landen von Anfang an. Seit den Eroberungszügen Ottos "des Großen" in Italien ist klar, dass es keinen deutschen König geben wird, sondern nur einen römischen. Indem die deutschen Lande zwingend mit Italien verbunden werden, wird dieses römische Königtum mit einem ebenso römischen Kaisertum verbunden. Dieses Kaisertum, eine historische Kuriosität, die sich im Laufe der Zeit in ein regnum teutonicorum mit einem römischen König, ein regnum von Italien und eines von Burgund aufteilt, enthält einen nie zur Gänze bzw. substantiell eingelösten europäischen Machtanspruch, der wesentlich dazu beiträgt, dass nie eine deutsche Nation als Staatsgebilde entstehen wird.

 

Das Musterbild von Nationenbildung stellt Frankreich dar, welches ausgehend von der Île de France um Paris durch kriegerische und friedliche Annektionen und folgende Beseitigung regionaler Eigenheiten entsteht. Verwandt damit ist die Entstehung des spanischen Königreiches vor allem durch Heiratsverbindungen, in denen am Ende immer mehr Gebiete unter kastilische Vorherrschaft geraten. Die englische Nation wiederum entsteht auch über den Verlust kontinentaler Gebiete für die Krone. Italien schafft es halbwegs im 19. Jahrhundert durch die Annektion der Südhälfte der Halbinsel, während ein nominelles Deutschland derweil nichts anderes ist als ein erweitertes Preußen, dessen Unheilsweg wieder eng mit dem noch kurioseren neuen Kaisertitel bis 1918 zusammenhängt, von wo an die endgültige Zerschlagung deutscher Lande einsetzt.

 

Dass es keine deutschen, sondern römische Könige in deutschen Landen gibt, hat mit der Bindung an den Kaisertitel und damit an das Papsttum zu tun. der römische König ist der alleinige Anwärter auf den Kaisertitel, der ihm durch die Päpste übertragen wird. Deshalb ist bis zum Ende der Stauferzeit die Verfügung über möglichst viel Italien unabdingbar. Damit ist es zu Ende, seit es eine Vielzahl italienischer Stadtstaaten gibt und Italien insgesamt zur französischen und spanischen Interessensphäre wird.

 

Mit dem Ende der staufischen Kaiser setzt sich gegenüber der bisherigen und nicht klar geordneten Mischung aus Erb- und Wahlkönigtum die reine Herrschaft aufgrund einer Wahl durch, die von den Päpsten zwecks Schwächung des Reiches zugunsten ihrer Macht längst bevorzugt wurde. Das hatte zwei zentrale Folgen: Zum einen kristallisiert sich ein Wahlkollegium von sieben Kurfürsten heraus, wobei es aber noch dauert, bis sich innerhalb desselben das Mehrheitsprinzipg durchsetzt, um Doppelwahlen auszuschließen. Das wird endgültig erst 1356 in der Goldenen Bulle Karls IV. festgelegt.

Zum anderen schwächt aber gerade das Wahlprinzip dann die päpstliche Rolle, denn diese Wahlen tendieren dazu, stärker zu legitimieren als die päpstliche Approbation. Römische Könige operieren auch ohne päpstliche Initiation wie Kaiser, da sie ohnehin zu solchen auserkoren sind. Aber erst nach 1530 werden dann römische Kaiserkrönungen zur Gänze überflüssig und hinfällig.

 

Die quasi-kaiserliche Rolle römischer Könige lenkt nicht nur enorme Energien aus deutschen Landen weg, was mit dazu führt, dass die Entfaltung des Kapitalismus in deutschen Landen weithin länger dauert als in Italien und Frankreich, sondern sie schwächt auch die Bedeutung deutscher Lande für das Gesamtreich. Zusammen mit dem Wechsel der jeweils gewählten Dynastien für das Königtum führt das zu einem Machtverlust des Königtums, während dasselbe in Frankreich, England und Kastilien zum Beispiel kontinuierlich an Macht gewinnt. Das römische regnum teutonicorum zerfällt so in Fürstentümer, die jene Rolle von Staatsbildung übernehmen, die anderswo Könige innehaben. Dadurch entsteht kein deutsches Staatswesen, sondern es entstehen viele verschiedene, was diese in der Neuzeit aber nicht freiheitlicher, sondern mindestens ebenso despotisch macht. Das heißt, in deutschen Landen fehlen den "römischen" Königen die Instrumentarien für die Ausbildung von Nationalstaatlichkeit.

 

Neben die Bindung des Königtums ans Kaisertum, an Rom und an die Fürsten tritt noch eine deutsche Besonderheit, nämlich die starke Eigentumsbildung im deutschen Adel, die diesen und dann vor allem die Fürsten zuungunsten des Königtums stärkt gegenüber zum Beispiel Frankreich, wo aller Grund und Boden feudal, also lehnsrechtlich gebunden ist und sich so auf den König beziehen lässt. Die ersatzweise versuchten feudalen Bindungen über das rechtliche Verhältnis von Fürsten und König hinaus bleiben auf jenem personalisierten und wenig staatlichen Niveau stehen, welches bis zum Ende des ersten Reiches 1806 mittelalterlichen bzw. folkloristischen Charakter behält.

 

In der Zeit zwischen dem sogenannten Interregnum und dem Ende der ersten Blütezeit des Kapitalismus führt die dank Wahlprinzip existierende Ungewissheit über die Nachfolge die Könige dazu, stark zwischen dem (schwachen) Königtum und dem wichtigen Ausbau der eigenen Landesherrschaft zu unterscheiden. Diese wird darum an die Söhne oder andere Mitglieder der Familie abgegeben. Erst seit Karl IV. beginnen Könige, ihre eigene Landesherrschaft in den Ausbau von Königsmacht einzubringen. Das ist kein Zufall, denn Karl (eigentlich Wenzel) war in Paris erzogen worden und machte erhebliche Erfahrungen in Italien. Mit der Eingliederung von Brandenburg, Schlesien und der Niederlausitz stärkt er sein Königreich Böhmen, aber er erkauft das auch mit dem Verlust von Reichsrechten und mit Gebietskonzessionen an Frankreich, in denen jene Entwicklung deutlich wird, in der im Westen Gebiete  verloren gehen, nachdem sich die deutschen Lande nach Osten deutlich erweitert hatten.

 

Die Machtmittel neben der Hausmacht sind für die Könige gering. Das Lehnswesen bietet nur ein bescheidenes Instrumentarium. Prälaten der Kirchen können oft nur im Einvernehmen mit den Päpsten besetzt werden, aber in diesem Einvernehmen ist dann immerhin das Vergeben von Pfründen möglich. Das königliche Hofgericht, später zum Kammergericht weiterentwickelt, dient zwar weiterhin königlicher Rechtsprechung, aber in aller Rgel findet selbst die Blutgerichtsbarkeit inzwischen unter der Aufsicht der Fürsten bzw. der Städte statt. Königliche Urteile sind aber darauf angewiesen, dass sie in den Fürstentümern vollstreckt werden, und der königliche Fiskal des späten Mittelalters wird auch nur geringe Reichweite haben.

Selbst die Friedenswahrung gerät mehr und mehr in die Hände der Landesherren. Zwar wird das Fehdewesen insoweit wenigstens formal zurückgedrängt, als es rechtmäßig nur dort noch angewandt werden darf, wo rechtliche Mittel verwehrt werden, aber erst im sogenannten "Ewigen Landfrieden" des Wormser Reichstages von 1495 wird es endgültig kriminalisiert, was wohl den Fürsten mehr hilft als den Königen.

Die militärischen Grundlagen königlicher Macht schwinden im späten Mittelalter ebenfalls immer mehr. Zwar sind die Kronvasallen zur (mit ihnen verabredeten) Heerfolge verpflichtet, aber die Könige verpflichten sich zugleich immer mehr, diese mitzufinanzieren. Zudem können Vasallen und auch Reichsstädte  ihre Verpflichtung immer mehr durch Geldzahlungen ablösen, was andererseits den Königen entgegenkommt, da sie anteilig immer weniger der ritterlichen Panzerreiter und immer mehr besoldeter Fußsoldaten bedürfen.

 

Die Macht des Königs beruht zunehmend auf Geld, und das musste vor allem aus dem Reichskammergut kommen, welches im Verlauf des späten Mittelalters immer mehr entfremdet oder für politische Zwecke abgegeben wird. Die Reste gehen dann oft für nicht wieder zurückgewonnene Verpfändungen drauf, so dass es am Ende unserer Zeit hier kaum noch eine Rolle spielt. Eine zentrale Verwaltung der Einnahmen oder wenigstens eine Auflistung des Gutes findet dabei kaum statt. Die zweite Einkunftsquelle, die Regalien, sind weithin auf die Landesherrschaften übergegangen, da sie mit ihnen verliehen werden, und so bleibt im wesentlichen die Judensteuer übrig.

Und so werden bei jeder Gelegenheit wenigstens Gebühren erhoben und es werden für jedes Entgegenkommen "Geschenke" erwartet. Daneben bleiben noch Gerichtsgebühren. Während die Einnahmen französischer und englischer Könige sich systematisch steigern lassen, sinken die der deutschen Könige im Verlaufe des späten Mittelalters, insbesondere seit der Mitte des 14. Jahrhunderts, immer mehr gegen Null. Die Folge ist, dass sich das Reich nur noch Könige mit starker Hausmacht leisten kann, und nur diese sich noch den Königstitel.

 

Was schon unter den Sachsenkaisern deutlich war, verschärfte sich unter den Saliern und Staufern und wurde bis tief ins Spätmittelalter noch deutlicher: Das Reich zerfällt derweil nicht nur in immer mehr Fürstentümer, sondern auch in Großregionen, die sich aufgrund ihrer unterschiedlichen Interessen auseinander entwickeln. Dabei ist der hanseatische Norden dem Zugriff der Könige weitgehend entzogen und führt ein Eigenleben, während die Rheinschiene und insbesondere Süddeutschland bis auf den Südwesten königsnäher ist. Das verschiebt sich natürlich stets dann etwas, wenn ein neuer König aus einem anderen Fürstengeschlecht an die Macht kommt.

 

Eine fatale Entwicklung wird aber auch dadurch eingeleitet, dass die schwache Königsmacht durch Sakralisierung ähnlich wie die der deutschen Fürsten immer mehr überhöht wird. Das sacrum imperium wird dabei immer stärker von einer sacra maiestas "regiert", was der Empfang des reisenden Königs durch Priester, Kerzen, Weihrauch und Tragekreuz deutlich machen soll. Der König erscheint beim sogenannten Weihnachtsdienst "im geistlichen Gewande mit Pluviale und Stola, die Krone auf dem Haupt, umgeben von den Fürsten des Reiches, von denen einer das blanke Reichsschwert als Symbol kaiserlicher Herrschaftsgewalt über dem Haupt des Vortragenden gezückt hielt." (Krieger, S.8) Aus solcher Symbolik, an der es auch anderen Königreichen nicht mangelt, wird ein Bild hergestellt, welches sich gegen Ende des 15. Jahrhunderts nach einem kurzen Aufflackern von Nationalbewusstsein bei einigen deutschen Humanisten zu dem "Heiligen Römischen Reich deutscher Nation" verdichten wird, und zwar mit unheilvollen Fernwirkungen im 19. Jahrhundert.

 

Während sich die Vorstellung von einem Staat (ohne den Begriff) noch am ehesten in italienischen Stadtstaaten herausbildet, fehlt sie weitgehend in den Königreichen. In Frankreich vor allem, aber auch in England entwickeln sich aber Formen, in denen sich nach und nach Staatlichkeit etabliert. Im römischen Reich der Deutschen fehlen diese, weswegen die Identifikation der Untertanen mit dem königlichen  Monarchen als gemeinsames "Volk" in einer gemeinsamen "Nation" nicht stattfindet.

Das spezifisch deutsche und relativ mehrdeutige Wort "Reich" für regnum und imperium wird so eher Ausdruck für zentrifugale Tendenzen insbesondere im Westen und dort von Süden bis nach Norden. Was bleibt ist die Gemeinsamkeit einer überall allerdings stark dialektal eingefärbten Sprache, die sich aber vor allem aufgrund der Stärke des französischen Königtums auf einen deutlichen Rückzug begibt. Was dabei im Laufe der Jahrhunderte im Westen verloren geht, wird im Osten mit der nunmehr eher friedlichen Integration von Slawen dazu gewonnen.

Statt eines nicht entstehenden Deutschlands gibt es also ein Reich, welches aus dem römischen König unterstehendem und stetig abnehmendem Reichsgut und vor allem den dem König unterstehenden Fürstentümern besteht. Da das so ist, wird es seit den späteren Staufern nötig, klarer zu bestimmen, wer ein Fürst ist. Damit werden rund 90 geistliche und zunächst nur 13 weltliche Herren mit ihren großen Herrschaftsräumen und ihrer Gerichtshoheit zu Fürsten und unter ihnen kristallisieren sich dann noch einmal die Kurfürsten mit ihren Sonderrechten heraus. Klarer definiert wird Fürstentum aber nicht, was bedeutet, dass es zwischen Fürst und Fürst erhebliche Unterschiede gibt.

 

Sprachlich führt der deutsche Sonderweg dazu, dass es bis ins 16. Jahrhundert keinen Begriff von einem "Deutschland" gibt wie von einem England oder einer France, und stattdessen weiterhin von "deutschen Landen" die Rede ist. Diese Lande sind im Bewusstsein der Leute kaum mit den jeweils aktuellen Fürstentümern gleichgesetzt, sondern eher mit ethnisch definierten Regionen. Darin drückt sich nicht fehlende ethnische Einheitlichkeit aus, wie sie in Frankreich viel deutlicher ist, sondern fehlende Königsmacht und entsprechende Vereinheitlichung. Dabei wird bis in die Neuzeit hinein das Wort "Land" mit einer Vielzahl von Bedeutungen besetzt, die erst kontextuell deutlich werden (siehe auch unter Großkapitel 'Helden').

Wenn dann mit dem 16. Jahrhundert eine Art "Reichsverfassung" etabliert ist, beginnt jene Willkür der Zuordnung von Menschen zu "Ländern" neuer Art, die nun Leute nördlich von Böhmen einem Sachsen zuordnet, welches es nie gab, und die eigentlichen Sachsen langsam in "Niedersachsen" verwandelt. Der Name "Franken" wandert den Main hinauf und bezeichnet Leute, die nie zu einem Stammesverband von Franken gehört hatten. Des weiteren wird sich ein "Hessen" entwickeln, welches nie volkssprachlich bzw. ethnisch zusammengehörte.

 

Feudale Strukturen: Deutschland

 

Das römisch/deutsche Königreich schichtet sich unterhalb des Königs immer deutlicher auf in den Fürsten"stand", den der Grafen und ebenbürtigen freien Herren von erheblichem Grundbesitz samt Herrschaftsrechten und einer unveräußerlichen Stammburg. Dort, wohin der königliche Zugriff weiterhin reicht, werden sie häufiger mit königlichen Ämtern versehen.

Noch bis um 1400 hat ein Drittel des Reiches Gebieter im edelfreien und gräflichen Rang, die großen Einfluss im Reichsdienst und in der Reichskirche haben. Im 13. Jahrhundert ist der Hochadel aber schon deutlicher in Fürsten und übrigen Hochadel aufgespalten, was zu manchmal erfolgreichen Versuchen führt, selbst in den Fürstenrang aufzusteigen (Henneberger, Nassauer, Mecklenburger, Luxemburger etc.). In recht vielen Gebieten sinkt aber die Bedeutung und Herrenmacht dieses mittleren Adels durch erhebliche Erbteilungen. Am Ende des Mittelalters sind dann die Grafen zum Beispiel, was die Machtstrukturen angeht, in die relative Bedeutungslosigkeit abgesunken.

Darunter bildet sich eine niederadelige Ritterschaft mitsamt ihrer häufiger auch nicht mehr zum Ritter geschlagenen Nachkommenschaft, wobei einige von ihnen dann zu Freiherren aufgewertet werden.

Zu diesem Schema kommen dann noch jene Reichsstädte, denen es gelingt, sich gewisse Freiheiten gegen Könige zu bewahren, die versuchen, die Spielräume der Städte möglichst einzuschränken, die sie gerade nicht besonders benötigen.

 

Die neuartigen staatlichen Anfänge sind der (Rechts)Form nach feudal und zugleich von modernisierten römischen Rechtsvorstellungen durchsetzt. Das verdeckt, dass sie dem Inhalt nach immer kapitalistischer werden. Dieser wenig reflektierten Verschleierungsabsicht dienen einmal teure fürstliche Pracht und Dekor und zum anderen der Kult der Ritterlichkeit, die beide schieren Glanz der Oberfläche bieten.

 

Zur Oberfläche gehört auch, dass alles (jenseits des allodialen Eigentums) mit feudalen (Lehns-) Beziehungen strukturiert wird - die Machthaber und Herrenschichten können ihre Herrschaftspositionen nicht (wie heutzutage) aus dem Marktgeschehen legitimieren. Es muss von Gott herkommen, der die Macht der Machthaber legitimiert und zu besseren Menschen gemacht hat, den Fürsten und Aristokraten.

 

Die Wirklichkeit des 13. und insbesondere des 14. Jahrhunderts besteht darin, dass Lehen einen in Geld rechenbaren "Marktwert" haben, und dass Lehen über Finanzoperationen konstruiert werden. So wird 1278 ein Graf Friedrich Burgmann des Pfalzgrafen bei Rhein und erhält ein Rentenlehen von 300 Mark, mit denen er ein Eigengut kauft. Dafür besetzt er die Burg Alzey mit einem Ritter, der dort die Interessen des Pfalzgrafen wahrnimmt. (Spieß, S.110f) Ein Graf Dietrich wird 1288 für 400 kölnische Mark Lehnsmann des Grafen von Kleve. Dafür kauft er Güter, die er dann vom Klever Grafen zu Lehen nimmt. Das alles anlässlich und für einen Klever Krieg, in dem zwölf Ritter, zwölf Knappen und sechs Bogenschützen vom Lehnsmann eingesetzt werden sollen. Das Lehnswesen ist also die Rechtsform, das Geld der Mittler. Noch deutlicher wird das bei beutellehen bzw. Geldlehen. König Karl IV. hat so als Graf von Luxemburg 1349 einen Grafen von Katzenelnbogen ze manne gewunnen (...) um thusend pfunt haller. Sobald das Geld vollständig bezahlt ist, sol er uns uff sein eygenn gute, daz von (n)iemand zu elhn rut, hundert pfunt haller gelts jerlicher gulte beweisen odir thusent pfunde heller wert eigens guts da mit koufen (..., in: Spieß, S.125)

Deutlich wird das auch beim Pfandlehen, Das Lehen dient beim letzteren als Sicherheit für einen Kredit und erlischt mit der Rückzahlung. Es handelt sich dabei auch um eine Möglichkeit, die Wucherverbote elegant zu umgehen.

 

Auf dieser Basis ist es dann nur folgerichtig, wenn im 14. und 15. Jahrhundert Bürger und Bauern manchmal Lehnsmannen werden können. Ein frühes Beispiel ist die kollektive Privilegierung der burgern von Spire (Speyer) durch König Ludwig, daz sie lehenbere mogent sin unde urteil sprechen mogent mit den rittern allenthalben (..., in: Spieß, S.118). Klar, dass sie dadurch auch rechtlich auf eine Stufe mit den Rittern treten.

 

Auf der Ebene der Krone in deutschen Landen sieht das so aus, dass diese immer größere Teile des Reiches in eine Art Reichslehnverband eingliedert, was gemeinhin als Vorgang der Feudalisierung benannt wird, was aber nur die Rechtsformen beschreibt. "Als treibende Kraft dieser Entwicklung ist zunächst das Königtum anzusehen, das vor allem auf dem Weg über die Fürstenerhebungen, aber auch durch eine zeitweise gezielte Vasallitätspolitik sowie endlich auch durch die konsequente Ausgestaltung und Weiterentwicklung des Lehnbriefformulars, nicht nur im Bereich der geistlichen und weltlichen Fürstentümer, sondern auch anderer, teilweise auf allodialer Grundlage beruhender Gebietsherrschaften, den Prozess der Feudalisierung zu Gunsten des Reiches wesentlich gefördert hat." (K.-F. Krieger in: Spieß, S.173)

 

Tatsächlich nähert sich das deutsche Lehnsrecht aber im späten Mittelalter immer mehr "dem Allodialrecht der jeweiligen Region" an, wodurch der Heimfall des Lehens an den König immer seltener wird. (Krieger, S.17)

 

Allerdings entspricht der Form königlicher Herrschaft nicht mehr die Substanz, wie Krieger (in: Spieß, S.175) im Anschluss feststellt: "Wenn man davon ausgeht, dass der Begriff "Herrschaft" wesensnotwendig ein gewisses Mindestmaß an Intensität der beiderseitigen Beziehungen voraussetzt, wird man (...) dem Königtum echte Lehnsherrschaft nur noch über die in den mittel- und süddeutschen Kernlanden des Reiches angesessenen Kronvasallen bescheinigen können. In den vom Itinerar des mittelalterlichen Reisekönigtums grundsätzlich nicht mehr berührten Teilen des Reiches - wie etwa in Nord- oder Nordwestdeutschland - erschöpfte sich die königliche Lehnshoheit dagegen regelmäßig in einem bloßen Herrschaftsanspruch, der sich nur noch sporadisch in der Form realer Lehnsherrschaft verwirklichen ließ."

 

Die neuen Reichsfürsten sind im späten Mittelalter dann vor allem dort zu lokalisieren, wo nicht nur die größte Zersplitterung des Reiches (notwendigerweise) die Folge ist, sondern wo sich auch die größte Königsferne erweist (SteffenSchlinker, Peter Moraw).

 

In den entstehenden "Territorien" nun wird der Übergang vom lehnsrechtlich strukturierten Herrschaftsraum zum Landesstaat zunächst noch auch mit Mitteln des Lehnswesens wie der Herstellung der Landsässigkeit des Adels und einheitlicherer Gerichtshoheit vorangetrieben. Dagegen stehen dann aber die implizit angestrebten Ziele: "Eine moderne Verwaltung und Gerichtsbarkeit, ein Steuerwesen nebst der für die Durchführung notwendigen Finanzverwaltung und ein effektiv einzusetzendes Militär." (Diestelkamp)

 

Deutsche Fürstentümer

 

Zwei Entwicklungen vor allem führen dazu, dass nach der Stauferzeit kein deutscher Nationalstaat wie in England oder Frankreich entstehen wird. Einmal ist das ein Vorgang der immer weitergehenden Zersplitterung in immer kleinere "Territorien" von Grafen und Fürsten, zum anderen die Tendenz großer, die kleinen zu schlucken, um dadurch mächtiger zu werden - ohne dass eines dabei zunächst übermächtig wird.

Musterbeispiel für die Tendenz zur Zersplitterung ist der Versuch des Kölner Erzbischofs, aus seinem hochrangigen Amt, seinem Reichtum und und den vielen Besitzungen seiner Kirche eine Landesherrschaft für seine Diözese zu zimmern. Er scheitert dabei immer wieder an seiner Stadt und den größeren und kleineren Herren, die er sich unterwerfen möchte, und denen er in der Schlacht von Worringen 1288 unterliegt. Das Ergebnis ist ein Flickenteppich kleiner und kleinster selbständiger Gebilde, die allesamt nach größtmöglicher Selbständigkeit trachten.

 

Im Kern bereits neuzeitlichen Macht-Strukturen werden vor allem in den Städten vorgebildet. Diese Städte werden dabei nicht nur von Fürsten und Grafen gefördert, sondern als ein wesentliches Mittel der Entwicklung hin zu Territorien bis Ende des 13. Jahrhunderts systematisch neugegründet. Drei süddeutsche Beispiele dazu: Tübingen, Würtemberg und Habsburg.

Der Pfalzgraf von Tübingen, längst stets von außen bedroht, fördert seit dem Interregnum seine namensgebende Hauptstadt, die mit Schultheiß, Rat Gericht ausgestattet, im 13. Jahrhundert bereits erheblich erweitert wird. Mit Wein- und Getreidehandel, Tuch- und Ledergewerbe ist sie bedeutende Basis seiner Einnahmen. Gegen Böblingen, das eine Seitenlinie seines Hauses gründet, gründet der Pfalzgraf um 1260 Sindelfingen, und in etwa derselben Zeit wird der Marktort Blaubeuren, auf Boden des Klosters, dessen Vogt er ist, zu einer vollausgebildeten Stadt.

Gegen die Territorialbildung Tübingens wenden sich nicht zuletzt die Grafen von Wirtemberg, die nach Leonberg auch das altstaufische Waiblingen, wohl als Herrschaftszentrum, übernehmen und ihm Stadtrecht verleihen, welches aber bald von dem durch Heirat gewonnenen, bislang badischen Stuttgart abgelöst wird. Diese Territorialisierung durch Städtepolitik wird im 14. Jahrhundert dann noch intensiviert, was zur Schwächung von Tübingen führt, welches 1342 von Würtemberg übernommen werden kann.

Dabei gründen die Würtemberger in späten Mittelalter nur sieben Städte, erwerben aber schon im 13. Jahrhundert drei durch Kauf, im 14. Jahrhundert dann 47 und weitere zehn im 15. Jahrhundert. (Schubert, S.21) Damit wird deutlich, welchen Geldbedarf solche Grafen haben, wenn sie sich auf den Weg machen wollen, Fürsten zu werden. Dabei spielt personelle Kontinuität eine wichtige Rolle: Eberhard II. ("der Greiner") regiert von 1344 bis 92.

Ähnlich geht Rudolf von Habsburg vor, der neben eigenen Gründungen unter anderem Winterthur, Freiburg/Uechtland und Ensisheim im Sundgau an sich bringen kann.

 

Deutschen Fürsten fehlt aber oft der Sinn für Territorialbildung, wie ihn französische Könige repräsentieren. Den Beispielen für den engen schwäbisch-alemannischen Raum stehen viele andere entgegen, die Ernst Schubert dazu veranlassen, vor allem von einer "Kommerzialisierung der Landesherrschaft" zu sprechen. Als Beispiel führt er das Landbuch der Mark Brandenburg Karls IV. (1373-75) mit seiner Aufzählung der Werte, die dieses Gebiet repräsentiert, an.  Land und Leute haben einen Marktwert, denn man kann sie verpfänden und verkaufen. Im Extremfall wird dann schon einmal Thüringen komplett von einem König Adolf von Nassau (1292) gekauft.

 

Ein großflächiger Herrschaftsraum steht den Wittelsbachern mit Bayern zur Verfügung. 1214 verleiht Friedrich II. ihnen auch noch die statusmäßig bedeutsame Pfalzgrafschaft bei Rhein. Die Nähe zu den Staufern wird 1246 durch die Heirat von Konrad IV. mit der Wittelbacher-Tochter betont, aus der Konradin hervorgeht.

Inzwischen ist eine angemessene Versorgung der männlichen Fürstenkinder mit Status und Macht üblich geworden. Als Herzog Otto II. 1253 stirbt, erhalten beide Söhne gemeinsam Bayern und die Pfalz. Da zwei Brüder umso uneiniger sein können, je mehr Macht sie teilen, teilen sie lieber ihr Fürstentum in zwei auf: Heinrich erhält jenen Teil Bayern, der später Niederbayern heißen wird, Ludwig bekommt das später so genannte Oberbayern und die Pfalz.

Neben dem Schwinden der Primogenitur wird bei deutschen Fürsten die Beherrschung großer Räume auch dadurch erschwert, dass sie zunehmend eine Zentrale mit personell sich ausweitenden Ämtern verlangt, die Geld kostet, und eine absteigende Ämterhierarchie bis vor Ort. Die fürstlichen Familien müssen also Reichtümer ansammeln, die Hofhaltung, Verwaltung und militärische Gewalt finanzieren können.

 

Wenn hier für das späte deutsche Mittelalter von entstehenden "Territorien" gesprochen wird, handelt es sich nicht um geschlossene Flächenstaaten neuzeitlichen Typs. Schon das Wort ist eher neuzeitlich. Abgeleitet ist es von terra, welches im späten Mittelalter sehr unterschiedliche kleine Gebiete meint und darum sich so wenig verallgemeinern lässt wie das deutsche lant mit seiner Vielzahl von Bedeutungen. Land ist darum außerhalb des Deutschordenslandes nirgendwo mit Fürstentum identisch. "Land ist für die Zeitgenossen nicht herrschaftlich orientiert, geschweige denn geprägt. >Land< bestimmt noch im Spätmittelalter die lantsit, die Verhaltensnormen, in denen sich Menschen gemeinsamer Herkunft wiedererkennen. Das eben meint die vielgebrauchte mittelalterliche Paarformel >Land und Leute<." (Schubert, S.61) Menschen nehmen durchaus wahr, dass große Fürstentümer wie Österreich durch die Fürsten aus unterschiedlichen Volksgruppen mit ihren verschiedenen Volkssitten von der Haartracht über die Musik bis zum Tanz zusammengesetzt werden.

 

Während Großbürger als Agenten von Kapital auftreten, gieren Fürsten schlichtweg nach Geld. Viel davon wird im höfischen Konsum verbrannt, anderes dient dem Erhalt und der Vergrößerung von Macht. Der Konsum, der einen großen Teil der Ausgaben ausmacht, hat - neuzeitlich gesprochen - standesgemäß zu sein. Das beginnt bei großzügiger Ernährung des Hofes, und geht bis zur prunkvollen Neueinkleidung bei öffentlichen Anlässen. Da Fürsten oft knapp an Bargeld sind, sorgen die Amtsleute unterwegs für angemessene Verköstigung aus ihren (fürstlichen) Einkünften. Da manche Fürsten regulär knapp bei Kasse sind, verschulden sie sich bei jeder Gelegenheit. "1342 kann der Herzog von Jülich seine Schneiderrechnung nicht ganz bezahlen." (Schubert, S.36)

 

Herrschaftsrechte über Dörfer, Städte, ganze Grafschaften werden verpfändet, damit man Kredite beim großen Kapital bekommt, und das betreiben Fürsten genauso wie einfacher Landadel. Das wird so gehen bis im 15. Jahrhundert dieses Kapital entdeckt, dass die Verpfändung von Herrschaftsrechten ein ungewisses Geschäft ist, und sich auf den Kauf beschränkt. Ihre Kreditwürdigkeit sichern sich die Fürsten dann durch die Einführung von Landessteuern, was allerdings ihre Verschuldung kaum verringert.

 

Erste Grundlage der Fürstentümer wie aller Adelsherrschaften ist Grundherrschaft, aber in spätmittelalterlichen Fürstentümern erwachsen daraus oft nur noch geringe Einnahmen über die unmittelbare Versorgung mit Naturalien hinaus. Für Österreich macht das Kammergut überhaupt nur noch 15% des Herrschaftsgebietes aus, für Kleve immerhin erwachsen daraus noch 30% der Einnahmen. (Schubert, S.62f) Dennoch werden im 14. Jahrhundert zunehmend mehr fürstliche Urbare angelegt, die vor allem bei Teilungen der Fürstentümer deren Wert je nach Gegend berechnen helfen, denn (Erb)Teilungen finden nach Einkünften und nicht nach Flächen statt.

Oft sind schon alleine die Zölle wichtiger als das Einkommen aus Grundherrschaften. Der Mainzer Erzbischof gewinnt um 1400 alleine aus seinem Rheinzoll bei Oberlahnstein so viel Einnahmen "wie aus den dreißig Städten seines Stifts." (s.o.)

 

Die rechtliche Trennlinie, "die Fürsten von den Nicht-Fürsten trennte, erzeugte keine spezifische soziale Gruppe, abgesehen davon, dass der fürstliche Adel seit dem 13. Jh. sich durch weitere rechtliche, soziale und symbolische Privilegien von der übrigen Adelswelt zu separieren versuchte." (Fuhrmann in Dirlmeier, S. 210) Deutlicher wird das aber erst im 14. Jahrhundert.

 

Fürstentümer sind ein Familienbesitz, der das Vermögen darstellt, an möglichst viel Geld zu gelangen. Die Vorstellung von einem festen Territorium oder gar Staatsgebiet fehlt dabei ohnehin solange, wie es noch Erbteilungen gibt. Dabei gibt es solche wie die welfische von von 1267/69 in den braunschweigischen und lüneburgischen Zweig, die von Dauer sind, und solche wie beim Hause Hessen oder Habsburg, wo das Aussterben von Linien am Ende des Mittelalters wieder zum Zusammenwachsen führen.

1356 bestimmt die Goldene Bulle, dass wenigstens die Kurfürstentümer (sozusagen aus verfassungsrechtlichen Gründen) nicht mehr geteilt werden dürfen. Wo es die Situation in der Familie erlaubt, werden dann im 15. Jahrhundert Hausgesetze zur Unteilbarkeit der Fürstentümer erlassen, wie in Würtemberg 1361, Baden 1380, Brandenburg 1473. Manchmal gelöingt es auch Ständen, mit ihrem Druck wie in in der Grafschaft Mark, in Brabant oder Schleswig/Holstein solches durchzusetzen.

 

Fürstentümer entstehen durch die Gewalttätigkeit mächtiger Familien, durch Annektion, aber auch durch Kauf, durch Heirat und gelingende Vererbung. Sie bilden aber kein einheitlich geschlossenes Territorium, sind vielmehr, wenn sie so groß sind wie Brandenburg, ein bunter Teppich aus "Ländern", die Rechtsräume sind, oder wie das Bayern der Wittelsbacher, wo es sich um nahe beieinander liegende unterschiedliche Herrschaftsrechte handelt. Der Weg in geschlossenere Territorien über größere Gebiete kann dabei über das Aussterben hochadeliger Familien unterhalb der Fürsten geschehen: "Von 33 Herrenfamilien im österreichischen Raum um 1200 blühten um 1400 nur noch dreizehn und um 1450 allein noch neun." (Schubert, S.3). Nur das außerhalb des Reiches gelegene Deutschordensland Preußen gewinnt ein einigermaßen geschlossenes Territorium.

Nicht einmal Hohl,- Gewichts, - Längen und Flächenmaße sind innerhalb eines Fürstentums einheitlich und schwanken manchmal schon von Dorf zu Dorf, können aber weiter duodezimal umgerechnet werden.

 

Das dem slawischen entnommene Lehnwort "Grenze" spielt im späten Mittelalter noch keine Rolle, halbwegs solide und dauerhafte Grenzen besitzen auch nur die geistlichen Fürstentümer, in denen die Kirchenfürsten zwar Gut verpfänden, aber nicht ganz aus der Hand geben dürfen und deren Fürstentümer zudem unteilbar sind.

 

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Der wichtigste Weg in Staatlichkeit geht über die Ablösung lehnsrechtlich-vasallitisch definierter Dienste für Herrn durch die Ämter, die nach 1300 manchmal auch schon volkssprachlich so heißen. "Im Vergleich zu älteren Raumeinheiten handelt es sich um einen kleineren Bezirk, bisweilen nur drei bis vier Kirchspiele umfassend, in dem die landesherrlichen Abgaben erhoben, im Namen des Fürsten Recht gesprochen, die Polizeigewalt ausgeübt und die bäuerliche Heerfolge eingefordert wird." (Schubert, S.15)

 

Die Dienste, die Ministeriale leisteten, waren längst an das Erbrecht eines Niederadels gebunden, der ständisch gedachten Ritterschaft. Das Amt mit seinem begrenzten Bezirk, dem districtus, löst sich aus ständischen Strukturen, auch wenn es Nachkommen aus alten Ministerialenfamilien und niederer Adel sind, also Leute mit kriegerischen Traditionen, die die Amtmänner werden, zu denen oft auch eine Burg und ihre Mannschaft gehört. Klar am Amt ist sehr schnell der Amtsbezirk, den es umfasst, und aus dem Kirche, Kloser und Adel ausgegliedert sind, aber erst im 15. Jahrhundert werden die Bestallungsurkunden detaillierter.

Wenige Gehilfen unterstehen im späten Mittelalter dem Ammann. Da sind die Büttel oder Schergen mit ihrer Polizeigewalt, während er in den Gerichten auf die Mitwirkung der gewählen Schöffen angewiesen ist. "Für die alltäglichen Geschäfte wird der Kastner, der Kellner oder, wie er am Niederrhein heißt, der Schlüter zum wichtigsten Mann. Er führt die Rechnungen, er hat die Aufsicht über die herrschaftlichen Eigengüter, über das, was später >Domäne< heißt, er organisiert die bäuerlichen Dienste, die Scharwerkspflichten, die Hand- und Spanndienste, er treibt Grundrenten und Steuern ein." (Schubert, S.18) Da er lesen und schreiben muss, ist er in der Regel nicht adelig.

 

Zum direkten Gegenüber der Ämter werden westlich der Elbe und bis in den Alpenraum die längst auch dörflichen Gemeinden. Überhaupt ist städtische und ländliche Gemeindebildung Voraussetzung für Territorialisierung. Im 13. Jahrhundert erst beginnen sich hohe und niedere Gerichtsbarkeit, beide nunmehr fürstlich, klarer zu trennen. Dabei ist der Zugriff auf die Untertanen weniger durch das am Hofe angesiedelte Hochgericht, sondern vor allem durch die niedere Gerichtsbarkeit der Ämter gewährleistet. Erst im 15. Jahrhundert wird dann eine Zwischeninstanz von Oberhöfen eingerichtet, mit Appelationsmöglichkeiten von unten nach oben. Damit wird die Gerichtsbarkeit deutlicher auf einen Herrschaftsraum und eine Zentrale hin ausgerichtet

 

Über den Ämtern steht der fürstliche Rat der consiliarii, aus der familia hervorgehend. Als Erbe feudaler Strukturen sind sie zur Treue verpflichtet, aber noch keine willfährigen Beamte. Inzwischen hat sich daneben die Kanzlei von der Kapelle gelöst, die sich von einer gelegentlichen Schreibkammer in eine feste Institution verwandelt. Mitte des 14. Jahrhunderts verfügt der Kölner Erzbischof über 12 geschworene Kleriker für ein solches Amt. Immer mehr der Vorsteher von Schreibkammern sind dabei Juristen, die dabei oft mit kirchlichen Pfründen versehen werden.

Die Verschriftlichung rechtswirksamer Vorgänge wird die Regel. "Kurfürst Balduin von Trier (1307-1354) hatte alle Rechtstitel seines Erzbistums sammeln, ordnen und in drei Exemplaren abschreiben lassen. Eines verblieb im bischöflichen Archiv, das zweite wurde dem Domkapitel übergeben und das drittebildete das Reiseexemplar des Bischofs" (... Schubert, S.29f) In dem Maße, in dem Schriftlichkeit und Archivierung selbstverständlich werden, nimmt die Bedeutung der Kanzlei gegenüber dem Rat zu. Aber erst in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts beginnt Papier das Pergament abzulösen, was dann zu den neuzeitlichen Aktenbergen führen wird.

Schon vor dem Einzug des Papiers in die entstehende Verwaltung beginnt aber die Volkssprache das amtliche Latein zurückzudrängen. "Nach zögernden Anfängen bis 1290 ist in der oberbayerischen Kanzlei zwischen 1294 und 1314 bereits die Hälfte aller Herzogsurkunden in deutsch ausgefertigt. (...) Mit anwachsender Tendenz waren zwischen 1320 und 1353 insgesamt 58% der Trierer Urkunden auf deutsch ausgefertigt worden." (Schubert, S.31)

 

 

Nach dem deutschen Sonderweg können wir uns nun den Zentren jener werdenden Staatswesen zuwenden, die mit den neuartigen Nationen entstehen.

 

Zentrum der "Nation": Residenz, Hauptstadt und Hof (in Arbeit)

 

Die Konzentration der Macht auf den König führt im 12./13. Jahrhundert zur Hauptstadtbildung von Paris. Hier entsteht die Universität. Um 1200 siedelt sich fest die Chambre des Comptes und die Chancellerie an, um 1250 das königliche parlement als oberster Gerichtshof. Im Gefolge entstehen Stadtsitze geistlicher und weltlicher Großer. Paris wird zur Festungsstadt. (Sohn)

1328 soll Paris bereits rund 200 000 Einwohner haben. Mitte des 14. Jahrhunderts beginnt eine umfangreiche Mauererweiterung, die erst nach 1400 abgeschlossen wird. Unter Charles V. (1364-80) wird die Burg des Louvre "in ein wohnliches Palais verändert." (Sohn, S.94)

 

Bild: Oktober im Stundenbuch des Duc de Berry.

 

Als Residenz und Hauptstadt mit ihrer Konzentration der Macht auf einen Ort wird dieser auch für die hohen Herren "in der Provinz" attraktiv. Erster ist Abt Suger von St.Denis, der Mitte des 12. Jahrhunderts für sich und seine Nachfolger für 1000 solidi ein Stadthaus (domus) kauft, quoniam, cum frequenter interessemus negociis regni, nos et equos nostros, sed et successores nostros ibidem honestius hospitari dignum duximus. (in: Sohn, S.98) Anfang des 13. Jahrhunderts lässt der Erzbischof von Reims seinen domus in der Nähe des Louvre erbauen. Es folgen dann im weiteren 13. Jahrhunderts die Häuser und später eher Paläste anderer geistlicher und weltlicher Potentaten.

 

Im 14. Jahrhundert wird die Konzentration der königlichen Verwaltung in Westminster abgeschlossen. Seit 1361 ist hier auch die Great Wardrobe dauerhaft ansässig, die für die Anschaffungen des Hofes und des Militärs zuständig ist. Westminster und London beginnen dadurch zusammen zu wachsen, dass sich zwischen beiden zunächst Stadthäuser von Bischöfen und Äbten, dann aber auch von weltlichem Adel mit seinen zahlreichen Bediensteten ansiedeln. (siehe Großkapitel Stadt 6).

 

Die Hauptstadtfunktion Londons führte schon im hohen Mittelalter immer einmal wieder zu Spannungen mit den Königen, die die städtischen Freiheiten im Konfliktfall schon einmal außer Kraft setzen. 1392 geschieht das noch einmal unter Richard II., der dann 10 000 Pfund für eine neue Privilegierung verlangt. Danach bleiben die Freiheiten dann aber bis in die frühe Neuzeit bestehen.

 

Mit der Hauptstadtbildung in Frankreich und England halten sich hohe Herren  häufiger und länger an königlichen Höfen bzw. in ihrer Nähe auf, bis sie ihre Residenzen wie ein Großteil der Fürsten des entstehenden Frankreichs ganz in die Nähe des Königs in dessen Residenz in der Kapitale Paris verlegen. Dass es dabei um die Nähe zum hauptstädtischen Königshof geht, erweist sich daran, dass das Verlassen der Hauptstadt durch Könige zum Ende des Mittelalters auch die Abwanderung der Fürstenhöfe aus der Kapitale zurück in die Provinz bedeuten wird.

 

Es entsteht dabei ein vielfaches Nachfragephänomen auf dem hauptstädtischen Markt, welches die Luxusbedürfnisse des königlichen Hofes und im Gefolge des dort und in der Nähe versammelten Hochadels betrifft, aber auch die staatlichen Bedürfnisse nicht zuletzt militärischer Natur. Die in Hauptstädten und Residenzorten zunehmende Bevölkerung bedeutet dann auch Nachfrage nach Massenwaren in einer zunehmend arbeitsteiligen Welt. An erster Stelle steht dabei der Bedarf an Nahrungsmitteln, insbesondere an Getreide für die städtischen Massen. Aber auch die durch Gärung keimfreier gemachten leicht alkoholischen Ersatzgetränke für in der Regel verdrecktes Wasser in und um die Städte werden immer wichtiger, sowie der Import von Rohstoffen und Halbfabrikaten für das teilweise stärker kapitalkonzentrierte Handwerk mit seiner Tendenz zur Lohnarbeit.

 

Der in den Hauptstädten, zu denen auch die Hauptorte norditalienischer Contados gehören, versammelte Reichtum von Königen bzw. Fürsten, Adel und mehr oder weniger bürgerlichen Kapitaleignern zieht nicht nur immer mehr Menschen an, sondern durch seine Nachfrage auch den Handel.

Spufford hat versucht, die Einkünfte der königlichen, fürstlichen und städtischen Herren in florentinische Gulden in dieser ersten Blütezeit des Kapitals umzurechnen, um sie vergleichbar zu machen. Die Höhe des Reichtums hängt dabei an dem Stand der Kapitalisierung der Wirtschaft, der Rücksichtslosigkeit in der Raffgier der Herren und der Größe des "Staats"gebietes.

 

An der Spitze existieren dabei die Mailänder Visconti und, gelegentlich vielleicht noch vor ihnen, die della Scala von Verona, "die in den dreißiger Jahren des 14. Jhs. nicht weniger als 13 Stadtstaaten kontrollierten." (Spufford, S.49). Giovanni Villani schätzt für Mastino della Scala jährliche Einnahmen von 700 000 Florinen. Florenz, welches damals noch ein kleineres Staatsgebiet beherrscht, soll 1343 etwa 314 000 Florins eingenommen haben. Einen Spitzenplatz in der Konzentration des Reichtums erreicht im späten Mittelalter auch Venedig.

Philipp VI. von Frankreich kann 1329 rund 786 000 Goldgulden einnehmen, Robert von Neapel etwa 600 000, und um dieselben Zeit Edward II. von England rund 550 000. (Alles nach Spufford).

Zwischen Frankreich und dem römisch-deutschen Reich erreichen die Grafschaften Flandern und Holland und das Herzogtum Brabant einen mittleren Platz, vergleichbar den ärmeren Königreichen im Osten. Zurück liegen deutsche Fürstentümer, und die Könige hier sind nicht viel wohlhabender als das Fürstentum, aus dem sie stammen. Immerhin im mittleren Bereich ähnlich wie die reiche Stadt Florenz ist das päpstliche Fürstentum von Avignon mit wenig über 300 000 Florinen anzusiedelnden jährlichen Einnahmen.

 

Was die fürstliche Residenz für eine Stadt in der Frühblüte des Kapitalismus bedeutet, lässt sich an zwei Beispielen schlagartig erkennen. Ein erstes ist mit dem Umzug der Päpste nach Avignon im frühen 14. Jahrhundert. Zuvor lebten in Avignon rund 5000 eher durchschnittlich zahlungskräftige Menschen, zehn Jahre nach der Ankunft des Papstes sind es etwa 40 000. Sechshundert davon gehören zum päpstlichen Haushalt, rund 1000 zu dem der Kardinäle. Rund 2000 weitere Geistliche siedeln sich an, die hier die Einkünfte aus ihren Pfründen ausgeben. Es folgen über tausend italienische Handwerker, die nicht nur, aber vor allem auch Luxusgüter für die Kirchenleute herstellen. Dazu kommen immer mehr Läden. Die hier gegründete Hochschule der Kurie zieht über tausend Studenten an. Immer mehr Notare und Rechtsanwälte lassen sich nieder, ebenso Ärzte und Apotheker. Schließlich folgt das übliche Amüsiergewerbe von Bänkelsängern bis zur inzwischen breit etablierten Prostitution. Das Geld, welches die Papstkirche oder weltliche Fürsten einsammeln, will schließlich wieder ausgegeben werden.

 

Darunter dann der Anteil der Armen und Gescheiterten, der für manche Großstädte auf ein Viertel der Bevölkerung geschätzt wird. Diese Leute hoffen, dass vom Reichtum der Mächtigen am Ende auch ein Brosamen für sie abfällt.

 

***Fürstliche Nachfrage: Bauten***

 

Neben der Kriegsführung und der Verwaltung werden große Teile der königlichen bzw. fürstlichen Einnahmen in repräsentative Prachtbauten gesteckt. Anteilig fließt weniger Geld als heutzutage von der Bevölkerung ab in die Höhen herrschaftlicher Macht, was wohl primär daran liegt, dass dort nicht viel mehr zu holen ist, Aber für einen Bauern oder Handwerker um 1300 sind es kaum bezifferbare enorme Reichtümer, die sich die hohen Herren aneignen. Sie mögen für die Masse der Menschen nicht in Zahlen auszudrücken sein, aber sie werden ganz bewusst sichtbar gemacht. 

In der ersten Blütezeit des Kapitals verwandeln sich die ersten festungsartigen Burgen in mehreren Schritten in Schlösser, aus dem Kastell wird das château bzw. castle. Im 13./14. Jahrhundert bedeutet Schloss für den deutschen Raum noch Burg, der festungsartig verschlossene Ort, was auf die Rückständigkeit fürstlich-königlicher Machtentfaltung dort verweist. Erst im 15./16. Jahrhundert wird das deutsche Schloss zu dem, was wir dann  seit dem 17. Jahrhundert auch als Palast bezeichnen.

Der Palast wiederum taucht nach seiner Rolle als römisches palatium im Mittelalter im altfranzösischen als palais auf, als repräsentatives Zentrum einer Burg, und wird von dort als mittelhochdeutscher Palas entlehnt. Es taucht dann unter den Bedingungen barocker Pracht unter französischem Einfluss in deutschen Landen erneut als Entlehnung wieder auf, nun unter der noch heutigen Bedeutung von Palais.

 

Der Übergang ist fließend und wird zuerst innen durch immer prächtigere Ausgestaltung sichtbar. Bodiam Castle vom Ende des 14. Jahrhunderts ist außen noch eine wehrhafte, aber im Vergleich zu früheren Zeiten bereits riesenhafte  Burg einer südenglischen Adelsfamilie. Ähnlich wehrhaft und groß sind châteaux französischen Fürsten, wie man sie noch auf Gemälden betrachten kann.

Den äußerlichen Übergang von der Burg zum Schloss bedingt die sichere Kontrolle über ein größeres Territorium. Als der englische Henry III. die Burg von Westminster ansatzweise in einen Palast umwandelt, verfügt er mit dem 'Tower of London' zugleich über eine uneinnehmbare Festung. In etwa dieser Zeit zieht Louis IX. ("der Heilige") aus der Turmburg des Louvre in ein neu erbautes komfortableres Schloss auf der Seineinsel um, von dem noch die prachtvoll-gotische Sainte Chapelle erhalten ist.

 

In derselben Zeit errichten vornehm-reiche alte Geschlechter und wohlhabende Kapitaleigner in den Städten auch der deutschen Lande Steinhäuser mit immer prächtigeren Fassaden, die in der Nordhälfte Italiens dazu tendieren, immer schlossartigere Ausmaße anzunehmen. Einige der Ratshäuser hier beginnen, Schlössern immer ähnlicher zu werden. In der Nordhälfte Italiens wie etwas später in Süddeutschland gehen die mächtigen Geschlechter der Städte, teilweise durch Verordnungen gezwungen, dazu über, ihre Türme zu schleifen und deren Stümpfe durch Anbauten zu ergänzen, um dann manchmal beide Komplexe in kleine Paläste zu verwandeln. 

Genauso von der Sicherheit der festungsartig ummauerten Städte profitieren die Stadtpaläste ländlicher Fürsten bzw. Magnaten und wohlhabender Bischöfe in den Metropolen Paris und London vor allem, die versuchen, großbürgerliche Pracht noch deutlich zu übertreffen. Dasselbe gilt für den wohlhabenderen Landadel in den nord- und mittelitalienischen Flächenstaaten, der sich zumindest eine Dependance in der jeweiligen Hauptstadt einrichtet. In Rom und dann in Avignon siedeln sich die Kardinäle mit ihren Palästen rund um den jeweiligen Papstpalast an.

 

Waren frühere Burgen rein funktionale und eher schmuckarme Bauwerke gewesen, so bekommen die zunächst noch festungsartigen Schlossburgen nun auch äußerlich dekorativen Charakter über den wehrhaften hinaus mit zusätzlichen Türmen und Türmchen, mehr und größeren Fenstern und mit mehr Schmuck versehenen Portalen.

Die Größe der Gebäude verweist auf Macht und Reichtum, aber sie wird auch zunehmend bedingt durch die Aufnahme von immer mehr Verwaltung im weitesten Sinne: Schlösser des späteren Mittelalters sind Regierungssitze. Im zentralen Schloss, welches die französischen Könige zwischen Louis "le Saint" und Philippe IV. bewohnten, werden zunächst Hofkanzlei, Finanzverwaltung und die Spitze der Justiz mit den parlements untergebracht, dazu kommt am Ende noch das Schatzamt nach der Vernichtung der Templer.

 

Mit der zunehmenden Bedeutung immer schneller wechselnder Moden, welche zunehmend alle Lebensbereiche durchdringen, ein Phänomen des aufblühenden Kapitalismus, geraten auch die Bauten der Reichen und Mächtigen unter ihren Einfluss. Wo der Dynastie das Geld und die Macht erhalten bleiben, beginnt nach dem manchmal Jahrzehnte ausfüllenden Erstbau eine zuweilen bis ins 18. Jahrhundert anhaltende Serie von modischen Umbauten und manchmal auch des Umzugs in Neubauten. Dabei nimmt eine veritable "Bauwut" von Königen und Fürsten immer weiter zu.

Der französische König Jean II. findet den Stadtpalast auf der Seineinsel nicht mehr schick und komfortabel genug, lässt seine Verwaltung dort und zieht in das Hôtel de Nesle um, residiert aber meist in einem von ihm umgebauten Château bei Vaudreuil in der Champagne. Sein Sohn wiederum, Charles V. lässt den Louvre für sich umbauen und zudem für sich neue Schlösser bei Vincennes errichten. Noch später werden die Könige sich nur noch wenig in Paris blicken lassen und es kommt zu der Serie von Schlössern im Loiretal.

Auf diese Weise profitiert die Bauwirtschaft nicht nur vom Bau der Gebäude, sondern dauerhaft von den modisch inspirierten Umbauten: Prächtige Gebäude werden so fast zu Dauerbaustellen.

 

Eine weitere Serie von Großbauten, die sich zum Teil bis zur Fertigstellung über Jahrhunderte hinziehen, sind die großen Kirchenbauten, in denen sich gotisches Stilempfinden besonders frei niederschlagen kann. Romanische Kirchen gelten nun nicht nur als zu klein, sondern auch als unmodern, werden abgerissen oder wenigstens im Chor modernisiert. Die Könige schreiten wie schon im 11. und 12. Jahrhundert voran, vor allen anderen die französischen mit dem Neubau von St. Denis und später die englischen mit dem von Westminster Abbey. Als Grablegen für ganze Dynastien von Machthabern dienen sie so wie im kleineren Maßstab die Kirchen der nur regional einflussreichen adeligen Herren. In den Städten entstehen an der Stelle der romanischen im Zusammenspiel von hohen Herren und Bürgertum die größeren gotischen Kathedralen.

 

Wenn die Bewegungen des Kapitals notwendig zweckrational sind, ist das Geldausgeben, der anschwellende und immer verschwenderische Konsumismus der hohen Herrschaften, auf den ersten Blick weit davon entfernt. Aber abgesehen davon, dass er sich immer mehr als primärer Daseinszweck von Macht erweist, so wie er im zwanzigsten Jahrhundert für den Massenkonsumenten sinnstiftend wirkt, hat er zwei wesentliche Funktionen: Zum einen ist er friedfertiger Ausdruck des Konkurrenzgehabes von Machthabern neben dessen kriegerischer Variante, und zum anderen werden die Untertanen durch die sichtbare Prachtentfaltung zur Identifikation mit "ihrem" Machthaber eingeladen.

 

Zudem: Die zunehmende Luxus-Bauerei der Mächtigen und Reichen beschäftigt vor Ort eine große Anzahl von Arbeitern und spezialisierten Handwerkern, die zwar niedrige Bezahlung erhalten, aber in der Masse die Nachfrage vor Ort nach notwendigen Waren wie Lebensmitteln und Bekleidung erhöhen. Zudem wird die Nachfrage nach Steinen mit dem Weg vom Steinbruch über den Transport bis zum Verbauen nach Bearbeitung durch Steinmetze genauso erhöht wie die nach Holz aus den Wäldern und seiner Bearbeitung. Schließlich kommt dazu die Dekoration und Möblierung der Räume, die noch modeabhängiger ist als das Bauwerk selbst. Der Konsum der wenigen im späten Mittelalter wird so Vorläufer des modeabhängigen Massenkonsums im zwanzigsten Jahrhundert, wobei schon damals Geschmack und Geschmacklosigkeiten nahe beieinander liegen.

 

****In den Palästen****

 

Dass Eitelkeit vor Bequemlichkeit geht, kann man an den gotischen Schuhmoden sehen. In den Palästen wird jedenfalls mit Dekor geprotzt, soweit die Einnahmen reichen, und zunehmend auch darüber hinaus. Die auf wenige konzentrierten Reichtümer haben ursprünglich für die Entwicklung des Kapitalismus eine größere Bedeutung als der Massenkonsum und sie bleiben durch das Mittelalter ein bestimmender Faktor: Dort, wo der Reichtum der Wenigen schwindet, gerät die ganze Wirtschaft in eine Rezession.

 

Wichtigste Dekorationsstücke sind Tapisserien, textile Wandbehänge, auf denen in Serien von fünf oder mehr antike und mittelalterliche Geschichten dargestellt werden, in Schlafzimmern vor allem erotische Erzählungen. Selte sind religiöse Themen, die Religion wird aus dem allgemeinen Wohnbereich herausgehalten. Eine erhaltene Ausnahme sind die Wandteppiche, die in Paris um 1380 für den Palast des Herzogs von Anjou in seiner Hauptstadt Angers hergestellt werden. Auf einer Gesamtlänge von fast 150 Metern bei einer Höhe von sechs Metern werden Ereignisse aus der Apokalypse dargestellt, bei näherem Hinsehen aber wohl vor allem wegen ihres (phantasievollen) Unterhaltungswertes. Die große Pariser Firma hat dabei wohl für viele Jahre Arbeit und lukrative Kapitalverwertung.

 

Tapisserien als protziges Interieur gibt es bis ins 18. Jahrhundert, billiger sind seit dem hohen Mittelalter ebenfalls immer üblicher werdende Fresken als Wandbemalung, die auch ebenfalls günstiger wieder nach der neuesten Mode übermalt werden können. Sie geben in weniger dauerhafter Form dieselben Helden- und Liebesgeschichten wieder, Versuche, die eigene Wirklichkeit idealisiert zu übertünchen.

 

Eher noch etwas später beginnt die Mode, sich orientalische Teppiche zum Beispiel aus Persien und von Turkvölkern zuzulegen. Erst im ausgehenden Mittelalter werden Imitate auch in den Niederlanden hergestellt.

 

Die Möblierung stellt die Räume noch nicht zu wie in bäuerlichen und bürgerlichen Wohnstuben des 19. Jahrhunderts. Aber es gibt kunsthandwerklich verzierte und bemalte Truhen, Tische und Bänke. Sie werden im wesentlichen in solchen Städten selbst hergestellt.

 

Unverzichtbar in "besseren" Haushalten ist eine Unmenge von Kerzen, die ebenfalls in den Städten selbst als schnell verderbliches Gut unentwegt produziert werden. Keine Stadt mit einer auch nur kleinen reichen Oberschicht ohne eine Anzahl Kerzenmacher. Der Rohstoff Bienenwachs kommt dabei oft aus weiten Fernen: Brügge ist ein Umschlagplatz für Wachs aus dem ganzen Osteuropa.

 

Die Hälfte der Ausgaben der Reichen für Ernährung fällt auf Fleisch und Fisch (bis hin zu Kaviar im späten Mittelalter), ein weiterer Großteil auf Gewürze und exotische Früchte wie die damals noch säuerlichen Apfelsinensorten aus Sevilla. Natürlich trinken sie auch die süßeren und teureren Weine aus dem Mittelmeerraum wie Malvasier, und sobald die Venezianer auf ihren griechischen Besitzungen Zuckerrohr anbauen, gehört (Rohr)Zucker auch dazu.

 

Selten benutzt wird das Tafelsilber à la mode, welches bei Gastmählern zur Ansicht in der Nähe des Esstischs aufgebaut wird, eher schon Majolika aus Valencia oder Faenza oder kunstvolle Trinkgläser und Kannen, die dem Orient abgeschaut wurden.

 

Militär

 

Erste Grundlage der Macht ist wie in allen Zivilisationen militärische Gewalt. Sie wird in immer stärkerem Maße nicht mehr nur von "feudalen" Ritterheeren, sondern zunehmend von Söldnern bzw. Soldaten ausgeübt. Damit wird in einem ersten Schritt der Weg hin zum Gewaltmonopol der Könige und Fürsten beschritten. Dieser wird dabei auch durch Rechtsprechung und Gesetzgebung abgesichert. Auf diesen Weg macht sich Philipp der Schöne, französischer König, der seine Auffassung von königlichem Recht dann auch mit Waffengewalt gegen aufsässige Untertanen durchsetzt.

 

Schon die Staufer mussten nicht nur für Söldner zahlen, sondern auch den nach Lehnsrecht schuldigen Kriegsdienst des Adels mit Geldzahlungen subventionieren. Mit dem Interregnum verlieren sich solche Verpflichtungen und Rudolf von Habsburg ist darum bereits auf besoldete Ritter und Infanterie angewiesen, geldliche Einnahmen begründen also bereits die königliche Macht.

 

In den englischen Armeen des 13. Jahrhunderts spielen über feudale Pflichten gewonnene Ritter nur noch eine untergeordnete Rolle, das erbliche Lehen als Quasi-Eigentum verpflichtet nicht mehr zum unmittelbaren militärischen Beistand der Personen, da dieser immer mehr durch Geld abgelöst wird. Schon im 12. Jahrhundert sind große Teile des königlichen Heeres in England flämische, brabantische und andere Söldner, und Kriege werden im 13. Jahrhundert immer weniger eine Frage ritterlicher Heldentaten und immer mehr eine des Geldes. Dass die englische Krone ihre kontinentalen Besitzungen (bis auf die Gascogne) nicht mehr zurückerobern kann, liegt vor allem daran, dass die französische doppelt bis dreimal so hohe Einkünfte hat. Fußsoldaten aus der ländlichen Unterschicht sind für die englischen Könige billiger zu haben, aber sie sind seit 1066 oft nicht mehr hinreichend kampfentscheidend, was sich erst mit der Einführung von Schießpulver und Artillerie wieder ändern wird.

 

Philipp d.Schöne wird ansatzweise aus den neuen Verhältnissen lernen. Bei Kortrijk wird ein französisches Ritterheer 1302 vom städtischen Aufgebot geschlagen, und der König muss zurück nach Frankreich.

Kern des königlichen Heeres bleibt zunächst noch die zur Heeresfolge verpflichtete Ritterschaft, wobei ein Teil aus Kostengründen auf die Ritterweihe verzichtet und mit derselben Bewaffnung als serjeants dient. Beide benötigen für den Krieg valets, Knappen und Schildträger. Rund zweihundert zentrale Städte, bonnes villes, stellen ebenfalls serjeants und Kriegsmaterial.

Da immer mehr Ritter der Heeresfolge fernbleiben und auch die Städte ihre Mannen gerne durch Geld ablösen, ist der König immer mehr auf vorwiegend berittene Söldner angewiesen, die auch schneller aufgeboten werden können. Generalunternehmer werben sie auf eigene Kosten und bieten sie dann als Geschäft dem König an.

Ritter und Söldner kämpfen dann unter einem königlichen connétable in einem Heer nebeneinander. Entsprechend werden Ritter zunehmend durch Geldlehen bezahlt. Geld bestimmt nun zum guten Tei den Kriegserfolg, was bis heute und überall so geblieben ist. „Für den Adel hat das nachteilige Folgen, denn im Kriegsfalle führte der Herr nicht mehr das Aufgebot seiner Grundherrschaft, sondern stieß als Einzelperson zum königlichen Heer und musste es dem connétable und seinen Beauftragten überlassen, in welcher Funktion sie ihn einsetzten.“ (Ehlers, S.185)

 

Mit der zurückgehenden militärischen Bedeutung nimmt der Anteil der Ritter unter dem Adel im späten Mittelalter deutlich ab. "Um 1300 waren nur 33 Prozenmt aller französischen Adeligen Ritter - 200 Jahre später gerade noch 5 Prozent." (Dirlmeier, S.81) Burgen als militärische Stützpunkte werden in dieser Entwicklung beim wohlhabenderen Adel komfortabler und verwandeln sich im 14. Jahrhundert in Schlösser, châteaux, in denen Prunk und Protz und zunehmend damit einhergehende Geschmacklosigkeit Einzug halten.

 

In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts setzt Alfonso XI von Kastilien eine feste Summe von 1100 Maravedíes für jeden Ritter, zu Fuß gehenden Lanzenträger und Armbrustschützen fest, die der höhere Adel bereitstellt (Manzano, S.570) Rittertum und Söldnertum gehen ineinander über.

 

Mit der sinkenden militärischen Rolle des Adels schwindet auch die Bedeutung religiös begründeter Ritterorden. In ihre Stelle treten im 14. Jahrhundert sehr weltliche Ritterorden, mit denen Könige ihren Adel an sich binden wollen. Ein erstes Muster liefert Edward III. 1348 mit dem order of the garter, dem Hosenbandorden.

Parallel zu Einungen und Bündnissen von Städten bilden sich Adelsgesellschaften und Ritterbünde, die ihre Privilegien gegenüber Städten wie gegen Fürsten auszuweiten und zumindest zu verteidigen suchen. Sie treffen sich regelmäßig in vornehmen Gasthäusern in Städten, bei denen sie in Turnieren ihr militärisches Selbstverständnis um so mehr feiern, je mehr seine Bedeutung zurückgeht. Dabei vollzieht sich die Entwicklung von blutigen Krawallkämpfen zum sportiven und ungefährlicheren Amüsement mit zunehmend stumpfen Waffen, welches auch die Amüsierlust eines städtischen Publikums befriedigt, Vorläufer einer zentralen Sparte heutiger Amüsierindustrie, mit denen eine proletarisierte Bevölkerung ruhiggestellt wird.

Die Mehrheit des Adels ist aber aufgrund fehlender Mittel von alledem eher ausgeschlossen. Das Bild eines ritterlichen Spätmittelalters geht weit an der Realität vorbei, auch wenn es in literarischen und bildlichen Quellen weithin überwiegt.

 

Währung

 

Geld ist bereits im 13. Jahrhundert das zentrale Herrschaftsinstrument. Mit ihm werden nicht nur die Kriege geführt, sondern auch die Maßnahmen der Repression im Inneren, gemeinhin als Verwaltung bezeichnet. Immer mehr Geld wird aber durch Kapital generiert. Die Konsequenz ist, dass Eigentümer von größerem Kapital bereits im 12. Jahrhundert ihre Interessen in vielen Städten und in italienischen Stadt"staaten" organisiert und privilegiert vertreten können, und zudem bis ins 13. Jahrhundert in die sich ständisch gliedernden Vertretungen einzelner Reiche aufgenommen werden. Die Kreditfinanzierung fürstlicher Haushalte macht diese von denen abhängig, die als Bürgerliche höchstens Beraterfunktionen einnehmen können.

 

Ein Aspekt von Staatlichkeit ist eine einheitliche Währung für das Reich. Das wird wie schon seit Jahrhunderten am konsequentesten in England durchgesetzt, wo überall dasselbe Geld gilt und ausländische Währungen nicht benutzt werden dürfen, was das Geldwechseln zu einem lukrativen Geschäft macht. Der Silberpfennig wird weiter aus 240 Pfund Silber geschlagen, was ihn allerdings einmal für hohe Geldbeträge ungeeignet macht, 100 Pfund bedeuten 24 000 Münzen, andererseits aber auch für kleine alltägliche Einkäufe, ein Brot oder ein Glas Ale, zu groß ist. Ende des 13. Jahrhunderts wird darum dazu übergegangen, auch Münzen von einem halfpenny oder einem farthing herzustellen. Andererseits hatte der englische Markt den Vorteil, dass es abgesehen von der allgemeinen Inflation und den Unruhezeiten im 13. Jahrhundert keine vom König betriebene Geldverschlechterung wie auf dem Kontinent gibt.

 

Mit der Durchsetzung zunehmend minderwertiger königlicher Münzen unter dem französischen Philipp dem Schönen verlieren die des Adels und der Bischöfe, die einst ihr Münzrecht durch die Vergabe königlicher Privilegien erhielten und damit ihre wirtschaftliche Stärke begründet hatten, an Bedeutung. In einigen Provinzen formiert sich dann am Ende dagegen bewaffneter Widerstand.

 

"Staats"haushalt

 

Wichtigste Aufgabe von Königen und souveränen Fürsten wird die Konzentration von möglichst viel Einnahmen in ihrer Hand für Hofhaltung, Verwaltung und Krieg.

 

Unter Philipp dem Schönen wird die chambre des comptes zum Instrument einer geordneteren Haushaltsführung. Geld nicht zuletzt für den Krieg gewinnt der französische König im 13./14, Jahrhundert einmal ganz herkömmlich aus den königlichen Eigengütern und den Lehen mit ihren Herrenrechten. Erste allgemeine Steuern gibt es mit der centième von 1295 und der cinquantième von 1296. Um 1300 verzichten dann aber die Könige wegen des Widerstandes für eine Weile auf allgemeine Besteuerung. Dazu kommt die aide als außergewöhnliche Abgabe besonders für den Krieg, die sich in eine Kopfsteuer verwandelt, die taille, von der wegen ihres Kriegsdienstes die Adeligen und jene Bürger, die ebenfalls für den König in den Krieg ziehen, befreit sind. Schließlich werden auch königliche Verbrauchssteuern immer wichtiger, wie die auf Salz (gabelle), und eine Handelssteuer (traite). Da Adel und bürgerliche Militärs von der Kopfsteuer befreit sind, ist es wichtig, die Kriege auch über besondere Abgaben des Adels und der Geistlichkeit zu finanzieren, was zu den Konflikten mit Papst Bonfaz führt.

Neue Münzen werden minderwertiger, was Einnahmen bringt, und diese werden mit offener Gewalt durchgesetzt.

 

Nachdem auf den Champagnemessen italienische Bankiers auftauchen, werden sie auch die Finanzfachleuten der französischen Krone, und gewinnen Einfluss auf die Krone und die Erhebung von Steuern und Abgaben. 1292/93 laufen "zwei Drittel aller Ausgaben der Staatskasse durch ihre Hände" (Ehlers, S.195) 1305 sind die Münzen von Paris, Troyes und Tournai an die Florentiner Peruzzi verpachtet.

 

Derweil beginnt wegen der Sondersteuern, die Philipp dem französischen Klerus auferlegt, der Konflikt mit Papst Bonifaz VIII, der so etwas 1296 von seiner Zustimmung abhängig macht, was Philipp mit einer Handelssperre gegen Italien beantwortet. Der Papst gibt darauf nach, auch weil er französische Unterstützung gegen die Colonna braucht.

 

Besonderes Interesse erregte bei dem Zusammenraffen von Geld durch die Krone der Templerorden, der es zu Reichtum und Burgen gebracht hatte und weiterhin nur dem Papst unterstand. Der Staatsschatz wird 1295 den Templern genommen und im Louvre untergebracht. Eine vorwiegend von Bürgerlichen geleitete chambre des comptes bekommt bald die Aufsicht über die königlichen Einnahmen.

In Propaganda-Aktionen wird der Orden diffamiert und 1307 ist es dann soweit: Alle Templer werden verhaftet und gefoltert. Obwohl Teile der Kirche sich gegen diese Brutalität wenden, stimmt der Papst dem Ganzen zu, weil er an das Ordensvermögen gelangen möchte. Zahlreiche Templer werden öffentlich verbrannt, 54 in Sens, die obersten Führungspersonen 1314 in Paris. Der König vergibt das Templervermögen an die Johanniter und holt es sich dann fast vollständig mit einem Trick wieder zurück.

 

Dieselbe Brutalität beweist Philipp mit der 1306 vorgenommenen Ausweisung von über 100.000 Juden aus Frankreich und der damit einhergehenden Enteignung ihres Vermögens. Erst Philipps Sohn gewährte ihnen die Rückkehr. Gleiches geschieht 1309 bis 1311 mit den „Lombarden“, das heißt den italienischen Kaufleuten und Bankiers.

Alle diese Maßnahmen führen aber nicht weiter, als dass am Ende seiner Regierung das Staatswesen doch wieder mit leeren Kassen dasteht. Dazu tragen unter anderem die Konflikte um Flandern und um Guyenne bei.

 

 

Die Haushaltsführung deutscher Könige und Landesfürsten hinkt an Kompetenz bis ans Ende des Mittelalters weit hinter der fortgeschrittener größerer Städte und der Frankreichs und Englands hinterher, weswegen diese solange aus finanzieller Kompetenz heraus Selbständigkeit entwickeln können, bis die Fürsten nachgezogen haben und diese wieder beschneiden.

 

Der Haushalt Rudolfs von Habsburg beruht in erheblichem Umfang auf der Besteuerung der Reichsstädte, denen nach dem Interregnum wieder jährlich eine feste Summe abgezogen wird.  Diese Summe muss jedesmal neu wieder mit den einzelnen Städten ausgehandelt werden, und die ebenso mächtige wie kleine städtische Oberschicht bestimmt dann die Verteilung der Abgaben der Einzelnen Haushalte so, dass sie selbst weitgehend verschont bleibt, was man als Umkehrung des Gedankens der Steuerprogression in ihr Gegenteil bezeichnen könnte (Horst Rabe). 

Für Rudolf wäre eine direkte Besteuerung der einzelnen Bürger nach Vermögen günstiger gewesen, aber der Versuch, das 1284 für das ganze Reich einzuführen, kommt es zu massiven Unruhen und einem Bündnis der Städte der Wetterau gegen den König. Ein Jahr später muss er um des Friedens willen nachgeben.

 

Eine besondere Rolle durch Reichtum und Lage nimmt Lübeck ein, wo der König schon 1181 die stadtherrlichen Rechte erbt. Das Rektorenamt als Herrenrecht über die Stadt vergibt er an norddeutsche Landesherren, die mit ihren Einkünften aus der Stadt wiederum Forderungen an den König eintreiben. Die Tatsache, dass Stadt und landesherrlicher Rektor unterschiedliche "Außenpolitik" betreiben, kann dabei zu massiven Interessenkonflikten führen. Wirklich "frei" sind "freie Reichsstädte" darum nicht.

Im 13. Jahrhundert werden die Einkünfte aus dem Rektorat pauschaliert und als feste Beträge abgegeben, deren Eintreiben nun der Stadt unterliegt.  Dieser Vorgang ist 1282 abgeschlossen, als die Rektoren des Reiches alle stadtherrlichen Einkünfte gegen eine jährliche Pauschale von 750 lübischen Mark an die Stadt abtreten. Schon 1274 hatten die Lübecker gegenüber Rudolf von Habsburg ein Mitspracherecht bei der Besetzung der Rektorenstelle durchgesetzt.

 

Der Finanzbedarf deutscher Landesherren, die weiterhin direkte Steuern nur in Sonderfällen wie Krieg oder herrschaftliche Hochzeit und nur mit Zustimmung der Ständevertretungen durchsetzen können, führt zu dauernder Verschuldung, die durch Verpfändung ganzer Städte und Ländereien gedeckt werden muss, aber auch durch Kredite, die Städte wiederum geben oder einzelne Finanziers. (ff)

 

 

Wirtschaftspolitik

 

Es ist der steigende Finanzbedarf der regierenden Fürsten und Könige, der so etwas wie bewusste Wirtschaftspolitik generiert, das heißt vor allem Förderung von Kapital, dessen Kredite und Abgaben samt denen, die daraus indirekt entstehen, zunehmend das Einkommen aus Grundherrschaft ablösen. Von solcher Wirtschaftspolitik zu sprechen ist allerdings nur sinnvoll, wenn man sich dabei von neuzeitlichen Vorstellungen löst.

 

Im 13. Jahrhundert beginnt so etwas wie bewusste Wirtschaftspolitik nicht nur von italienischen Städtstaaten, sondern auch von Herrschern wie den Aragonesen und später den Kastiliern, deren erste Regungen allesamt Privilegierungen sind. So wird zum Beispiel die Universitat dels prohoms de la ribera, also die Vereinigung der unternehmerischen Hafenanrainer von Barcelona, 1258 von Jaime I von Aragón, mit der Regelung aller internen Angelegenheiten einschließlich (see)rechtlicher Konflikte betraut, was 1347 im auf dem Gewohnheitsrecht von Barcelona beruhenden Consolat de Mar mündet, den der Stadtrat wählt und der detailliert alle kaufmännischen Probleme und Konflikte regelt einschließlich der Angelegenheiten von Schiffseignern und Besatzungen (bis hin zur Mäuseplage auf Schiffen und dem Einsatz von Schiffskatzen).

Ähnlich wie Barcelona schon früher wird das kastilische Sevilla mit königlicher Förderung zu einem zentralen Seehandelsort mit seiner großen Werft und dem Handelshafen. Alleine eine Art von Hafenzoll, die almorjarifazgos, bringen dem König Mitte des 14. Jahrhunderts fast 450 000 Maravedíes ein, eine Summe, die dann immer weiter steigen wird.

Wirtschaftspolitik ist sehr deutlich die Förderung der transhumanten Schafzucht und ihrer Wollproduktion, der auch wegen ihres Exportvolumens insbesondere nach Einführung der Merinowolle eine hohe Bedeutung zukommt.

 

Anfänge von Wirtschaftspolitik sind die Reaktion darauf, dass der aufblühende Kapitalismus wichtigste Basis der Einkünfte von königlicher Herrschaft wird. Wenn dann im 14. Jahrhundert beispielsweise alleine die Exportzölle ein Drittel der Einnahmen der englischen Krone ausmachen, wird das deutlich.

1285 ruft König Edward I. ein Handelsgericht ins Leben, ...

"das sich aus ausländischen Kaufleuten zusammensetzte, die in diesem Gericht die eigenen Handelsstreitigkeiten beilegen sollten. Wenige Jahre später erließ der König eine >Carta Mercatoria<, in der er die Beziehungen mit der Hanse und anderen ausländischen Kaufleuten regelte und ihnen eine schnelle Gerichtsbarkeit nach dem Kaufmannsrecht garantierte." (Ertl, S.156)

 

Edward I. verfügt 1303, das nicht-englische Händler höhere Zölle als Einheimische bezahlen, um den englischen Handel zu fördern.

 

Wie stark politisch in die Wirtschaft eingegriffen wird, zeigt die bewusste Förderung einer englischen Tuchproduktion, die England von einem Exportland für (wertvolle) Rohstoffe zu einem für Fertigprodukte macht. Erst damit wird England zu einer Handelsmacht.

1331 beginnt die englische Krone, flämische Weber anzuwerben, die ihr Können und ihre Fertigkeiten dem englischen Handwerk nahebringen sollen. Nach und nach wird England so zu einem Exportland nicht nur von Rohstoff, sondern auch von Fertigprodukten. Aber es bleibt bis ins 16. Jahrhundert bei eher geringen Exportmengen von allerdings bald hoher Qualität. 1396 dürfen fremde Händler In London Tuche nur noch zentral in der Blackwell Hall verkaufen.

 

In der Wollembargo-Politik der englischen Krone gegenüber Flandern, Teil des englisch-französischen Konfliktes, wird umgekehrt auch deutlich, das Wirtschaftspolitik sich auch in die Instrumentalisierung von Wirtschaft für machtpolitische Ziele umkehren kann.

 

Da der Haushalt der deutschen Könige nach dem Interregnum sich neben den Einnahmen aus dem ureigenen Herrschaftsgebiet immer mehr aus den Reichsstädten auffüllt, werden diese wirtschaftlich gefördert. "Das begann gleich 1273 mit der Aufhebung aller seit den Zeiten Friedrichs II neu eingerichteten Zöllen auf dem Rhein und setzte sich in seinen Landfriedensbemühungen wie in den mannigfachen Privilegierungen vieler einzelner Städte fort." (H.Rabe in: Beiträge 2, S,8)

 

Verwaltung

 

Die Gewalt, aus der die neue Staatsmacht entsteht, erfordert immer größere Finanzmittel. Diese stammen langsam immer weniger aus dem persönlichen (Grund)Besitz der Machthaber und den Abgaben, die im wesentlichen auf Landwirtschaft beruhen. Stattdessen werden zunehmend Handel und Finanzgeschäfte abgeschöpft, darüber hinaus nichtagrarische Produktion. Besonderer Finanzbedarf wird durch Kredite wie auch dem Sonderfall von Verpfändungen und durch Sonderabgaben und selbst Formen eklatanten Raubes gedeckt. Formen solcher neuer Staatlichkeit werden dabei vom Aufblühen des Kapitalismus abhängig, sei es, dass Herrscher von den Krediten toskanischer oder lombardischer Finanziers abhängig werden, sei es, dass deutsche Könige nur noch durch erhebliche Geldzuwendungen die Möglichkeit bekommen, überhaupt gewählt zu werden, und dies nur als Beispiele. Zur Kreditfinanzierung der Haushalte italienischer Stadtstaaten kommt so das Schuldenmachen persönlich herrschender Machthaber.

 

Immer ausgeklügeltere Verwaltung der Staatsfinanzen als Kerngeschäft neuer Staatlichkeit und überhaupt das Regieren mit Beamten und Gerichten verlangen ausführlichere Schriftlichkeit, ein umfangreiches Aktenwesen, und nicht zuletzt Heerscharen von Juristen. War um 1100 eine Welt allgemeiner Gelehrsamkeit im Aufbruch, haben sich bald Juristen in Italien, dem Languedoc und Katalonien davon gelöst und eine neue Welle von Gründungen hoher Schulen in Gang gesetzt, in denen vor allem das Personal der Macht ausgebildet werden soll. Dieses, auf römisches Recht konzentriert, löst sich inhaltlich aus den Zwängen, die Kirche ausübt.

 

Unter Philipp dem Schönen (1268-1314) findet deutlicher als anderswo der Weg des mittelalterlichen Herrschers zum Souverän mit sogenannten frühabsolutistischen Zügen statt. Der conseil des Königs, sein engster Beraterkreis, und die königliche Verwaltung werden immer deutlicher getrennt.

Im königlichen Rat werden Juristen und Finanzfachleute immer einflussreicher, und das ungeachtet ihrer ständischen Herkunft. Darunter ragen Pierre Flote, der Legist Guillaume de Nogaret (1260-1313) und Enguerrand de Marigny heraus. Entscheidungen dieses Rates werden zunehmend von einem seiner Vertreter öffentlich verkündet und begründet.

 

Sechs weltliche und sechs geistliche Pairs (pares) standen seit einiger Zeit über diesem System. Sie werden nach und nach vor allem durch Mitglieder der königlichen Familie ersetzt, die damit ihre Apanage erhalten, wörtlich ihre Versorgung mit Brot.

Sie und vom König berufene Räte, bald auch darunter Vertreter aus den Städten, treten nun im conseil zusammen. In besonderen Fällen, die besonders Steuern und Abgaben betreffen, tritt ein erheblich erweiterter Rat zusammen, der nun als états (status) bezeichnet wird, als eine Art Generalstände also, zusammen. Sie tagen und beschließen getrennt, erklären ihre Beschlüsse dann aber gemeinsam. Das Königreich findet neben der Person des Königs nun in einer gewissen Repräsentanz seine Gemeinsamkeit.

 

Die römisch-deutschen Könige haben immer weniger zu verwalten. Zunächst wird nach dem Interregnum versucht, das wenige königliche Gut in Landvogteien zusammenzufassen, aber im Laufe des 14. Jahrhunderts werden immer mehr davon verpfändet und kehren nicht mehr in königliche Hand zurück. Selbst niederste königliche Ämter wie die von Burggrafen oder Forstämtern erleiden dasselbe Schicksal. Und was bis tief ins 14. Jahrhundert völlig fehlt, ist die Schaffung eines königlichen Archivs. Erst dann gibt es überhaupt Regesten des ausgehenden Schriftverkehrs.

Was bleibt, ist der königliche Hof mit Kanzlei und Gericht, einem festangestellten kleinen königlichen Rat und den zwei zentralen Ämtern des Marschalls und des Kämmerers. Mitregieren tun in sie betreffenden Angelegenheiten die Kurfürsten, dies aber nun aus eigenem Recht. Daneben findet Meinungsbildung und Entscheidungsfindung bis tief ins 14. Jahrhundert noch auf Hoftagen statt.

 

Feudale Strukturen: England

 

Wie sehr feudale Strukturen nur noch bloße Rechtsformen sind, auf die manchmal und bei Gelegenheit zurückgegriffen wird, zeigt sich nirgendwo deutlicher als in England, wo die königlichen Finanzen immer stärker von Handels- und Finanzkapital abhängen, und wo die Beziehungen zwischen Bauern und Herren zunehmend kommerzialisiert werden so wie auch die zwischen tenants und wiederum ihren Lords. Land ist immer mehr eine Ware auf einem Markt der Immobilien wie die Häuser darauf, und wie selbst Burgen. Letztlich ist fast alles käuflich, inklusive von Rechten und oft auch Gerichtsurteilen und vielen Ämtern.

(ff)

 

Recht und Gericht

 

Recht und Gericht werden mehr als vorher noch Instrumente frühstaatlicher Machtausübung. Diese Verrechtlichung ebnet mehr als manches andere der ersten Blüte des Kapitalismus den Weg.

 

Überall bedeutet mehr Staatlichkeit wie in Frankreich oder England mehr Konzentration des Rechtes in fürstlich/königlicher Hand, und zwar sowohl der Rechtssprechung wie der Gesetzgebung, an der in England das Parlament partizipiert und Frankreich und in deutschen Landen ständische Versammlungen.

Philipp der Schöne bricht am rüdesten mit althe rgebrachten Rechtsauffassungen oder Traditionen des Gewohnheitsrechts. Das gelegentlich frühabsolutistisch genannte Regime wird dabei von Legisten und ihre Auffassungen von römischem Recht vertreten, die der König mit der Gründung der Universitäten von Montpellier (1289) und Orléans (1312) fördert. In den königlichen Räten tauchen neben Baronen und hohen Geistlichen immer mehr Juristen auf.

Die parlements der Regionen werden von beratenden zu Recht sprechenden Einrichtungen, in die der König seine Richter schickt. Ein königliches parlement wird im Konflikt mit dem Papsttum 1302 auch mit bürgerlichen Vertretern (des "dritten Standes") besetzt, welches sich jetzt langsam in états généraux verwandelt. Diese bekommen aber nicht die starke Rolle wie die cortes von Aragón und die Könige kommen auch in Steuerfragen nicht in so große Abhängigkeit von ihnen.

 

Das parlement wird nun immer spezifischer von einer allgemeinen Versammlung zum obersten Gerichtshof, zu dem ein Instanzenweg hinführt. Ein Untersuchungsgericht, chambre des enquêtes, bildet sich daraus, eine grande chambre für die Prozessführung und eine chambre de requêtes für Eingaben an die Krone.

Nebeneinander existieren nun die Entscheidungen des Parlements, die Gesetzgebung des Königs und die immer noch weite Bereiche des Alltags regelnden Gewohnheitsrechte.

 

Im 13. Jahrhundert versucht der kastilische König Alfonso der Weise die im 'Libro de los Fueros de Castilla' gesammelten örtlichen "Gesetze" durch ein 'Fuero Real' zu ersetzen, welches dann mit den 'Siete Partidas' noch stärker die königliche Gesetzgebung betont. Alfonso XI muss dann aufgrund der allgemeinen Schwächung der königlichen Macht (siehe Anh.6) etwas stärker zurückweichen, versucht aber das Prinzip durchzuhalten, welches unter den Trastámara-Königen dauerhaft durchgesetzt wird.

 

Es gibt zwar im römisch/deutschen Königreich weiterhin königliche Rechtsprechung, aber es entwickelt sich kein gemeinsames Recht für das gesamte Reich, da dieses sich nicht daran orientiert. Das bedeutet unter anderem allgemeine Rechtsunsicherheit, die dazu tendiert, Gewalttätigkeit unter den Herren zu fördern, und eine fehlende allgemeine Friedenssicherung nach sich zieht.

 

 

Fazit: Untertänigkeit

 

Untertänigkeit in einem weiten Sinne ist Wesen aller Zivilisationen und bestimmt im frühen Mittelalter das Verhältnis zwischen Herr und Knecht auf dem Lande und in der Stadt. Eingeübt wird diese Untertänigkeit schon in der Familie, wo der Ehemann Herr über seine Frau und der Vater Herr über seine Kinder ist.

Dabei bleibt Untertänigkeit aber außerhalb der Familie immer ein besonderer Fall, der auch individuell ausgehandelt werden kann und wird. Das ändert sich überall dort, wo Gesellschaften und ständische Einrichtungen ähnliche Kollektivität entwickeln wie klösterliche Gemeinschaften, Stifte oder Domkapitel. 

Im späten Mittelalter setzt dann in kleinen, einzelnen Schritten ein Prozess der Verallgemeinerung von Untertänigkeit ein, der erst in den Verfassungen von 1776 und 1789 und denen, die darauf folgen, seinen Abschluss findet. Bis dahin findet Untertänigkeit noch vor allem unter den Bedingungen ständischer Gliederung statt, das heißt auch unter feudalen Rechtsformen und manchmal regionalen Besonderheiten.

Die Übersetzung des lateinischen subditus in das spätmittelalterliche deutsche untertan führt zunächst einmal nur zu dessen Gebrauch in speziellen einzelnen Fällen, ebenso wie die spätmittelalterliche oberecheit, die ihren ersten Ort vor allem in Städten hat.

 

Vollständige Untertänigkeit in den modernen Verfassungen besagt den Ausschluss aller von vorneherein gegebenen Rechte und ihre komplette Verwandlung in Gnadenakte von oben, die jederzeit teilweise oder zur Gänze wieder aufgehoben werden können. Den Weg dahin beschreiben Königreiche, Fürstentümer und Stadtstaaten seit dem 13. Jahrhundert.

 

Mit konzentrierter und intensivierter königlicher Gerichtsbarkeit und Verwaltung, der über Geld vermittelten königlichen Armee und der (fast) allgemeinen Besteuerung werden die Franzosen zu Untertanen ihres Königs und zunehmend zugleich zu denen eines vom König geführten und repräsentierten Staates.

Die Konzentration aller zu Untertanen werdenden Menschen im Reich des Königs betrifft alle Partikulargewalten, Fürsten, Adel, Städte, aber auch die Ritterorden.

Mit dem flächendeckenden Massenmorden gegen die Katharern und der enormen Grausamkeit, mit der gegen die Templer vorgegangen wird, wird schlaglichtartig deutlich, dass der entstehende neue Staat nicht nur mit Verwaltungsakten, Gerichtsurteilen, Heiratspolitik und normalen Kriegen sich entfaltet, sondern zudem mit außerordentlicher Brutalität, die bereits die Schrecken der Neuzeit ankündigt.

 

Etwas anders als in England, wo der allgemeine Treueid gegenüber dem König bereits eine gewisse Untertänigkeit demonstriert und als in Frankreich, wo eine zunehmend alles durchdringende Verwaltung dem König direkten Zugriff auf nunmehr Untertanen gestattet, hat der römisch/deutsche König direkten Zugriff nur auf seine direkten Vasallen, und das auch nur, soweit seine Macht gerade reicht. Untertänigkeit wird deshalb vor allem in den Städten eingeübt, wo in deutschen Landen das Konzept von Obrigkeit entsteht, während die Landesfürsten nur langsam ein ähnliches Instrumentarium entwickeln.