ANHANG 3: PHÖNIZIEN, JUDÄA UND HELLAS: DEFINITIONEN II

 

Phönizier  (Phönizisches Kapital ohne Kapitalismus)

Judentum: "Israel"

Aristokratische Griechenstädte

Hellenischer Weg in die Polis-Demokratie (Griechisches Erbe? / Griechisches Kapital ohne Kapitalismus)

 

 

Antike leitet sich sprachlich vom lateinischen antiquus ab, welches einfach "alt" bedeutet. Das Wort erscheint im 18. Jahrhundert als Bezeichnung des gleichzeitig im Deutschen aufkommenden "klassischen Altertums", wobei "klassisch" in nun anderer Bedeutung aus dem Griechischen über das Lateinische ins Deutsche und andere Sprachen gelangt. Klassisch wird dabei bald auch sehr normativ als eine Art Qualitätsurteil gebraucht, positiv beim inzwischen ausgestorbenen Bildungsbürgertum, negativ besonders von den ungebildeten Massen, deren Vorstellungen diesbezüglich im 19./20. Jahrhundert zur Gänze von der spätkapitalistischen Amüsierindustrie und deren Verblödungsmacht geprägt sind, und die zumindest im Bereich der Musik deren kunstvollere Formen mit dem Wort abwerten.

 

Wir verzichten hier auf eine Weiterverwendung des Wortes "klassisch" über seinen griechisch-lateinischen Kontext hinaus, und benutzen "Klasse" und "klassifizieren" nur dort, wo der antike Wortsinn halbwegs erhalten bleibt. Alles andere würde nur der üblichen allgemeinen Verunklarung dienen.

Antike wiederum soll - in weitgehender Übereinstimmung mit der Praxis der letzten Jahrhunderte, zeitlich zwischen dem 8. vorchristliche und dem 5. nachchristliche Jahrhundert in etwa eingeordnet werden, wobei dies 5. Jahrhundert zugleich die Nachantike einleiten soll, meist bislang als frühes Mittelalter bezeichnet, die im 9. Jahrhundert mit dem nunmehr aufgezehrten antiken Erbe endet. Die Schwelle zum Mittelalter ist dann zugleich jene, die in den frühen Kapitalismus überleitet.

 

Die zeitliche Einordnung einer Antike begründet sich inhaltlich darin, dass es sich ungeachtet aller Reichsbildungen um eine Zeit ausgesprochen städtebasierter Zivilisationen handelt, angefangen von den Phöniziern über die griechischen poleis bis zu dem städtezentrierten Römerreich. Dabei wird Stadt aber zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Gegenden etwas immer wieder neues bedeuten, bis es den "Römern" gelingt, das für ihr Reich etwas stärker zu vereinheitlichen. Und in diesen neuartigen antiken Städten wird zum ersten Mal wohl in größerem Umfang Kapital entstehen, es also ausgesprochene Kapitaleigner geben.

 

 

Neue Mittelmeerzivilisation: Phönizier

 

Im  Norden treten neue Völkerschaften auf, die als Vorläufer von Kelten und Germanen zusammengefasst werden und weiter südlich als Hellenen, Etrusker, Latiner und andere. Hellenen ist eine Selbstbezeichnung von Stämmen der südlichen Balkan-Halbinsel, die seit dem 8. Jahrhundert überliefert ist und sich auf eine einigermaßen gemeinsame Sprache und gemeinsamen Götterkult bezieht.

 

 In der zweiten Hälfte des 10.Jahrhunderts beherrschen libyische Herrscher Ägypten und unternehmen einen Feldzug nach Palästina. Nach ihnen übernehmen in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts solche des nubischen Reiches von Kusch immer größere Teile Ägyptens.

An der südlichen Küste Kanaans waren am Ende der späten Bronzezeit Askalon und Ekron zerstört worden. Mit offenbar neuer Bevölkerung tauchen sie zusammen mit Aschod, Gat und Gaza wieder auf, und ihre Einwohner werden später in jüdischen Texten als Philister bezeichnet. In einer Fünf-Städte-Koalition bilden sie selbständige Stadtstaaten, die von Handel wie Ackerbau existieren und erst durch die Eroberungen von Pharao Scheschonk um 925 geschwächt werden.

 

Nach der letzten Jahrtausendwende vor unserer Zeitrechnung setzt sich langsam im vorderen Orient und Europa das härtere Eisen gegenüber der Bronze durch. Im Mittelmeerraum werden mit eisernen Werkzeugen und Waffen neue  Zivilisationen entstehen. Hänge lassen sich nun besser terrassieren, Wälder schneller roden und Bewässerungskanäle leichter bauen. Menschen verwandeln ihre Umgebung in immer schnellerem Tempo und führen zunehmend Krieg gegen ihre natürlichen Lebensgrundlagen wie schon lange gegeneinander.

 

In Hellas beginnt die Eisenzeit nach 1000. In Ägypten taucht Eisen verbreitet im 7. Jahrhundert auf. In dieser Zeit wird es von assyrischen Herrschern erobert, bevor eine neue Dynastie von Sais aus dort herrscht.  Seit Psammetich I. lassen sich in Naukratis im Nildelta ionische Siedler und ägäische Söldner in ägyptischen Diensten nieder, ergänzt durch Zyprer und Phönizier. Sie bringen Olivenöl, Wein und vor allem Silber aus Griechenland und liefern den Griechen dafür Getreide.

 

Im östlichen Mittelmeerraum entstehen immer mehr Städte, in denen sich zu Herrschern samt einer aristokratischen Oberschicht Handwerker und Händler gesellen, deren Bedeutung zunimmt. Es sind Produktions-, Handels, - und Kultzentren, die versuchen, immer größere Kontrolle über ihr Umland zu erhalten.

Je größer die Städte, desto intensiver der Handel, der sich insgesamt längst über Zwischenhandel über den ganzen Mittelmeerraum ausgebreitet hat und bis ins Innere Afrikas und Asiens reicht. Handels- und auch schon Finanzkapital gewinnen immer mehr an Bedeutung.

 

Unter diesen Leuten taucht nun in der Levante, nördlich von den Philistern, ein frühes "Handelsvolk" auf, wie Max Weber es nennt, und welches die Griechen wegen eines ihrer wichtigsten Handelsgüter Purpurleute nennen werden, die Phönizier. Volk heißt aber hier nicht unbedingt ethnische Gemeinsamkeit.

Daneben etablieren sich aramäisch-syrische Städte wie Damaskus und Aleppo (Halab), wobei erstere Stadt im 9. Jahrhundert zur regionalen Hegemonialmacht wird, bevor sie im 8. Jahrhundert die Assyrer tributpflichtig macht. Nördlich von unseren Phöniziern entstehen wie um Karkemisch erneut kleinere hethitische ("König")Reiche.

 

Die Phönizier haben ihre wichtigsten Städte wie Tyros und Sidon an der Küste zwischen Libanon und Palästina. Diese wie zum Beispiel das seit etwa 2900 Zedernholz an die Pharaonen liefernde Byblos haben offenbar den Übergang von der Bronze- zur Eisenzeit um 1200-1000 relativ bruchlos und ohne größere Zerstörungen gemeistert. Aber der Zusammenbruch vieler Palastherrschaften bzw. deren Schwächung anderswo lässt den Fernhandel über die Ägäis schwinden und verringert den nach Ägypten erheblich.

Was bleibt, ist der Zedernholz-, und überhaupt Holzexport, der für den Herrscher einer Stadt wie Byblos einträglicher wird, sobald sie sich stärker aus dem ägyptischen Machtbereich entfernt. Laut dem ägyptischen 'Bericht des Wenamun' (um 1075) gibt es nun Gold, Silber, Tuche, Papyrus, Taue und Lebensmittel als Gegenleistung. Offenbar hat der Stadtherrscher die Verfügung über Arbeiter, die für das Fällen der Bäume und den Transport der Stämme zuständig sind. Die Entwaldung dort schreitet voran.

 

Der allgemeine Niedergang des Fernhandels wird zudem etwas kompensiert durch die dortige Kontinuität technischer Fertigkeiten wie der inzwischen alphabetischen Schrift und des Handwerks. Dabei gibt es neben Holz nur wenige Rohstoffe, nämlich Ton (für Keramik) und daneben Sand (für Glas) und Purpurschnecken für das Färben elitärer Textilien dank der Küstenlage.

 

Dabei scheinen zumindest Töpfer gelegentlich relativ früh dem Dunstkreis des Palastes zu entkommen und privatwirtschaftlich zu arbeiten. (Sommer(2), S.83) Bedeutend ist auch die Produktion kunstvoll verzierter Metallgefäße, von Elfenbeinschnitzereien und Glasfiguren auf der Basis von Sand. Glas hatten schon die Ägypter hergestellt, den Phöniziern von Tyros und Sidon gelingt es, dieses durchsichtig zu machen. Absolutes Luxusgut wird die Purpurfarbe, mühsam gewonnen aus einem Drüsensekret der Purpurschnecke, wobei zahlreiche Schnecken für nur ein Gramm Farbstoff herhalten müssen, welches entsprechend mit zehn bis zwanzig Gramm Gold aufgewogen werden muss. Verkauft werden auch damit gefärbte Luxustextilien. So werden Handelsstädte auch zu Gewerbestädten, deren Produkte nun in einen von Privatkapital betriebenen Markt gehen.

 

Mit den Phöniziern entsteht eine Schrift auf Basis eines Alphabetes, die leichter schreib- und lesbar ist. Am Anfang steht eine altkanaanäische Konsonantenschrift als Weiterentwicklung der mesopotamischen Silbenschrift. Um 1000 taucht in Byblos eine erste Alphabet-Inschrift auf. (Sommer(2), S.4f) Die phönizische Schrift werden die Griechen übernehmen, im Mythos vom Phönizier Kadmos, und von ihnen die Etrusker, immer leicht abgewandelt, am Ende die Römer, von denen wir, ein großer Teil Europas. sie wiederum heute haben. Die modernere Schrift und die zunehmenden Rechenkünste dienen der Verwaltung großer Besitzungen und dem Handel.

 

Zunächst ist der phönizische Handel "noch immer verwalteter Handel zwischen zwei Palastzentren" (Sommer(2), S.102), aber im 10. Jahrhundert "konstituierte sich die Ökonomie als autonomer Teilbereich, erkennbar daran, dass ökonomisch zweckrationales Handeln (...) nun politische Entscheidungen determinierte.(...) Die Verselbständigung des Ökonomischen, der Bruch mit den Normen des Gabentausches, war folglich die epochale Errungenschaft Phöniziens in der frühen Eisenzeit." (Sommer(2), S.233)

Spätestens im 9. Jahrhundert tauchen privat und auf eigene Rechnung operierende Kaufleute auf, wie sie schon die 'Odyssee' zeigt, und mit ihnen Marktwirtschaft im Fernhandel zur See. Damit verbunden dürften wohl Veränderungen in den Eigentums-Vorstellungen sein.

 

Die Bevölkerung phönizischer Städte, insbesondere von Tyros, nimmt durch Zuwanderung zu, und Tyros dominiert bald die übrigen, insbesondere auch Sidon.

Im nächsten Schritt lassen sich einige Händler auf Zypern nieder. Ihnen folgen Handwerker an den Küsten des Mittelmeeres. Phönizier bauen inzwischen die effektivsten Handelsschiffe, die von Privatleuten eingesetzt werden.

 

Die Ausbreitung der Phönizier geht über Zypern, also Kition mit seinem Astartetempel, Vorläufer des Aphroditekultes, und mit seiner Handwerkerniederlassung dann bis nach Hellas, wo sich im 8. Jahrhundert schreibkundige phönizische Handwerker nachweisen lassen. Der Handel auch mit Edelmetall, Sklaven und Luxusgütern nimmt zu.

In Nordafrika siedeln sich vermutlich zunächst nur kleine phönizische Gruppen von Händlern und Handwerkern an, die wohl erhebliche Attraktivität auf die dortigen Stammesgesellschaften ausüben. Aus dem Inneren Afrika bringen die Garamanten und andere nun Sklaven, Elefanten,, Elfenbein, Straußenfedern, Felle, Edelsteine und Gold an die Küste, die phönizische Händler dann über das Mittelmeer weiter verhandeln. Auf diese Weise wird das wohl von Tyros aus gegründete Karthago im 8. Jahrhundert zu einer "Großstadt" von mindestens 25 ha (Sommer(2), S.127).

In Sardinien entstehen vor allem wegen der Blei- und Zinnvorkommen Handelsniederlassungen bei Nuraghen-Siedlungen, die schon in der späten Bronzezeit Kontakte zur Ägäis und zu Zypern pflegten. Etrusker liefern Erze und kaufen den phönizischen Händlern ihre Luxusgüter ab. An der andalusischen Küste und insbesondere am Unterlauf des Guadalquivir formen Phönizier eine städtische Kultur mit einem Hinterland von Stammesgesellschaften, nicht zuletzt wegen der reichen Silbervorkommen, und gründen dann schließlich Gades (Cádiz).

 

Spätestens im Verlauf des 6. Jahrhunderts löst sich Karthago ganz von Tyros und hat nun die Kontrolle über die phönizischen Tochterstädte im Westteil des Mittelmeeres. Wichtigste Importware ist wohl Metall, Silber aus Südspanien, wo Neu-Karthago (Cartagena) gegründet wird, und aus Sardinien und dem Etruskerland. Gold kommt aus Schwarzafrika, Zinn zum Teil aus Galizien.

Selbst produzieren die Karthager in großem Umfang Weizen, außerdem Wein, Oliven usw., und exportieren außerdem Fisch. An handwerklichen Produkten werden im wesentlichen Textilien, Gold- und Silberhandwerk, Glas- und Elfenbeinwaren exportiert.

 

Bald folgen den Phöniziern die ersten Griechenstädte als Konkurrenz, nach 700  Phokaia, welches um 600 Marsilia, das heutige Marseille gründet. Nördlich der griechischen Sphäre entwickeln in Italien Etrusker eine Art Städtebünde und verbünden sich schließlich mit den Phöniziern gegen Massilia.

 

Nach und nach besiedeln Griechen die Küsten Siziliens, Süditaliens und eines künftigen Gallien, wobei sie im späteren Katalonien mit Emporion (Ampurias) eine weitere große Stadt bauen. Damit werden Phönizier und Hellenen Konkurrenten, und erstere beginnen die letzteren aus Sizilien zu verdrängen. Dabei fängt Karthago an, sich als Schutzmacht für phönizische Städte anzubieten.

Nördlich der griechischen Sphäre entwickeln in Italien Etrusker eine Art Städtebünde und verbünden sich schließlich mit den Phöniziern gegen die Phokäer von Massilia.

 

Tyros ist mit Israel und dann auch mit Juda verbündet, und es profitiert wie diese vom Niedergang der Philisterstädte, von denen Ende des 9. Jahrhunderts nur noch Gaza bedeutend ist. Aber mit dem Aufstieg der phönizischen Städte einher gehen neuassyrische Beutezüge bis zur Levante und im 8. Jahrhundert dann deren Integration in ihren Hoheitsbereich, die um 730 wohl abgeschlossen ist. Für Herrscher und Oberschicht Assyriens bedeutet das hohe Tribute in Gold und günstigen Import von Edelmetallen, Eisen, Elfenbein, Wolle, Luxusprodukte und Tiere aus Byblos und Tyros.

Ein Resultat assyrischer Dominanz ist, dass die von Tyros über die übrigen phönizischen Städte schwindet, welche sich dafür mit Assyrien verbünden. Es kommt zu Konflikten zwischen Tyros und Sidon, die sich vielleicht abwechselnd gegen bzw. mit Assyrien verbünden. All das behindert aber phönizischen Handel nur punktuell und Integration in den assyrischen Handelsraum hat auch seine wirtschaftlichen Vorteile.

In der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts sinkt der assyrische Einfluss und endet mit dem Aufstieg des neubabylonischen Chaldäerreiches seit 625. Nebukadnezar II. siegt dann 605 bei Karkemisch über die Ägypter, 588 fällt Jerusalem und 572 Tyros. Nicht nur judäische, sondern wohl auch phönizische Eliten werden deportiert.

 

Wenige Jahrzehnte später beginnen die persischen Achämenidenherrscher mit ihrem Siegeszug, unterwerfen das neubabylonische Reich und dann auch Palästina samt den Phöniziern. Diese behalten ihre Freiräume für ihre Handelsaktivitäten nicht zuletzt auch deswegen, weil sie nun im Kriegsfall den Kern der persischen Flotte stellen.

Während persische Herrscher mithilfe ostphönizischer Schiffe in kriegerische Auseinandersetzungen mit Kern-Hellas verwickelt sind, beginnen solche auch auf Sizilien, wo reiche griechische Städte mit hunderttausenden von Einwohnern und karthagisches Militär aus multiethnischen Söldnerscharen gegeneinander kämpfen.

Während unter den Alexandernachfolgern die ostphönizischen Stadtstaaten immer stärker hellenisiert werden, beginnen nach 265 die verlustreichen Kriege Roms gegen die "Punier", die hundert Jahre später mit der Zerstörung Karthagos als punischer Stadt enden.

 

***Kapital ohne Kapitalismus***

 

Anders als Hellas oder Rom entwickeln sich die städtischen Strukturen in Phönizien nicht durch eine agrarisch fundierte Aristokratie, sondern durch eine Händlerelite, die nicht mehr primär von Palast und Tempel beauftragt wird, sondern selbst die Initiative ergreift. Die spätestens nach 1000 wieder wachsenden Städte benötigen nur geringes Umland, da ihre im Handel und daneben auch im produktiven Gewerbe erwirtschafteten Gewinne reichen, um Lebensmittel zum Beispiel aus dem palästinensischen Hinterland einzukaufen. Israel wird so zur "Kornkammer von Tyros" (Sommer(2), S.199). Andererseits zwingt das geringe Umland umgekehrt auch, sein Heil im Handel zu suchen.

Dabei eignen sich Händler aus ihren Gewinnen Landgüter an, die wohl im wesentlichen von Sklaven bearbeitet werden. 

 

Während Herrschaft von Juda versucht, mittels einer einheitlichen Religion, die auf einen hauptstädtischen Tempel konzentriert ist, aus den Untertanen ein "Volk" zu erschaffen, und während griechische Poleis sich ethnisch definieren und Ausländer minderberechtigt abgrenzen, sind phönizische Stadt"staaten" wie Tyros-Sidon nicht ethnisch einheitlich, insbesondere unterscheiden sich die Menschen in Stadt und Umland, - anders als in der eisenzeitlichen griechischen Polis.

Die Stadt ist durch einen städtischen Kult, einen diesen beaufsichtigten König und eigene Gesetze samt einer gewissen Beamtenschaft definiert, nicht aber durch einen gemeinsamen Ethnos. Anders als beim Zusammenwachsen der Poleis (synoikismos) erben phönizische Städte ihre spätbronzezeitlichen Vorläufer, und Bürger sind nur eine städtische Elite ohne die Bevölkerung im Umland. Gemeinsam mit den Poleis ist die Vorstellung von der Stadt als Bürgerverband. (Sommer). Leider weiß man heute nur wenig darüber, wie dieser Stadtverband merkantiler Interessen funktionierte.

 

 

Ähnlich wie in Hellas wird der Herrscher ("König") immer mehr auf kultische und repräsentative Aufgaben zurückgedrängt. Nominell bleibt er Herr der Kriegsflotte, des wohl wichtigsten phönizischen Militärs. Vor allem ist er Identifikationsfigur und zentrales Moment des Zusammenhaltes. Wo er zurücktritt, nehmen  "zeitlich begrenzt und kollegial amtierende Wahl- oder Losbeamte" ihren Platz ein, die an Gesetze gebunden sind (Sommer(2), S.211). In Karthago, von wo dazu am ehesten (dank späterer griechischer und römischer Texte) etwas bekannt wird, sind das zwei jeweils jährlich neu gewählte Sufeten, manchmal als eine Art Konsuln beschrieben. Ihnen gegenüber steht wohl eine Art Volksversammlung.

 

Der hellenische Aristokrat ist Großgrundbesitzer und Krieger, die phönizische Oberschicht besteht aus "in eigener Verantwortung und auf eigene Rechnung wirtschaftende(n) Fernhandelskaufleute(n)" (Sommer(2), S.220), und bei ihnen erlangen militärische Belange abgesehen von einer Flotte nur geringe Bedeutung. Reiche Kapitaleigner können für ihr Gemeinwesen Söldner anmieten. Die Städte akzeptieren auch Tributzahlungen an Oberherren, wie die von Tyros an die Assyrer, solange diese ihre Geschäfte nicht stören.

 

Bei Jesaja heißt es entsprechend in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts in judäischer Perspektive zu Tyros, dass seine Kaufleute wie Fürsten auftraten und seine Händler die vornehmsten Herren der Erde waren." (23,8) In diesen Stadtstaaten untergeordnet bleiben die Handwerker, die keine Bürger sind, also keine politikoi, wie die griechischsprachige Quelle sagt.

 

Um 600 schreibt Ezechiel wohl von Babylon aus über Tyros/Sidon:

Alle Schiffe des Meeres kamen zu dir, um mit dir Handel zu treiben (...) wegen der Größe deines Reichtums; Silber, Eisen, Zinn und Blei gaben sie dir zum Austausch. (...) Sklaven und eherne Geräte tauschten sie bei dir ein. Aus Armenien kommen Pferde, aus Arabien kommen Elfenbein und Ebenholz. Edom in Syrien liefert Edelsteine, Stoffe Korallen und Rubine. Juda und das Land Israel kauften bei dir ein (...) Weizen, Wachs und Honig und Öl und Balsam brachten sie dir zum Tausch (usw. usf. Ezechiel 27, 9ff)

 

Das Besondere der neuen kapitalkräftigen Eliten phönizischer Städte wird, dass sie sich durch selbst erwirtschafteten Reichtum, und nicht mehr religiös legitimieren. Politische Interessen sind denn auch Handelsinteressen. Es gibt keine Trennung zwischen Staat und Kult, aber Melkart ist so wenig Herr seiner Stadt wie Athene Herrin in der ihrigen: Beide sind vor allem Identifikationskerne.

 

In der Spätzeit phönizischer Selbstverwaltung ist zumindest für Karthago erkennbar, dass es stärkere staatliche Lenkung gibt, auch wenn das Staatsgebilde weiter in der Hand einer reichen Oligarchie bleibt. Dazu gehört ein größerer Einfluss auf die Landbewirtschaftung und die Ausbeutung der iberischen Erzminen.

 

Sombart erklärte, Luxus habe Kapitalismus erzeugt, tatsächlich erzeugt er aber zunächst nur Kapital, und die Existenz von Kapital macht noch keinen Kapitalismus. Symptomatisch dafür ist, dass man erst im vierten Jahrhundert beginnt, eigene Münzen zu prägen.

 

 

Judentum: "Israel" und Religion

 

Die Geschichte der Hebräer/Juden in Palästina bis zu ihrem Ende unter Vespasian/Titus würde für unsere Untersuchung der Entstehung des Kapitalismus keine Rolle spielen, wenn nicht aus ihr das Christentum hervorgegangen wäre und in ihm als Umfeld eben das, was hier als Kapitalismus bezeichnet werden soll.

 

Für den Fortgang unserer Geschichte konzentrieren wir uns also weiter auf Völkerschaften im Nahen Osten (Orient), die der semitischen Sprachfamilie angehören. In der späten Bronzezeit existieren im Raume Kanaans von Ägypten aus kontrollierte Stadtstaaten. Manche Archäologen meinen, dass nach der Zerstörung Kanaans im 12. Jahrhundert dort drei Volksgruppen identifizierbar seien: Philister, Phönizier und entfernte Vorfahren der Hebräer. Daneben gibt es vor allem Aramäer mit dem Zentrum Damaskus, und daneben Nabatäer.

 

Hier soll es nun um einen Teil jenes Raumes gehen, dessen Name bei Herodot als Palästina auftaucht, allerdings nicht jene Leute bezeichnet, um die es hier gehen soll, sondern die benachbarten Philister, von denen er sich ableitet. Diese Benennung wird tradiert, bis sie in Nachfolge der römischen Provinz Judäa im 2. Jahrhundert n.d.Zt. als syria palaestina wieder auftaucht.

Eine definitive Benennung dieses Raumes fehlt, aber eben auch eine solche der dortigen Bevölkerung. Dass es uns hier um die "Juden" als Vorläufer der Christen gehen soll, macht es uns auch nicht leichter, denn dieses Wort taucht erst sehr spät, in der Zeit auf, als persische Herrscher den Raum besetzt halten. Sie nennen die Leute aus Juda (jehuda) wohl zum ersten Mal Juden. Wir werden hier damit jene Leute benennen, die zwischen dem 7. und etwa dem 3. Jahrhundert in Texten, deren endredigierte Exemplare wir heute noch besitzen, und welche die Christen im sogenannten "Alten Testament" der "Bibel" übernehmen, aus einem tendenziell wohl monotheistischen Jahwekult eine Religion entwickeln, deren Kernstücke ein Geschichtsmythos und propagandistisch verfälschende Geschichtsschreibung sind.

 

Damit bezeichnen wir mit "Juden" kein Volk im Sinne eines (griechischen) ethnos, sondern eine Religionsgemeinschaft, die sich in Zukunft nie wirklich auf ein bestimmtes Terrain eingrenzen lässt. Tatsächlich entstehen in der späten Bronzezeit um kleine Städte herum Herrschaften, vor allem Hazor und Gath, auch unbedeutendere wie Jerusalem und Sichem. Im Großraum wichtiger sind Gaza und Megiddo wegen ihrer Bedeutung für den Handel insbesondere der ägyptischen Pharaonen.

 

Mit dem Ende der Bronzezeit verfallen viele Städte, und dort, wo an der Küste sich Philister ansiedeln, entstehen neue und bedeutende Handelsstädte, die sich nun unabhängig von Ägypten entfalten: Gaza, Aschdod, Gath und Ekron.

 

In einen der nun offeneren Räume im Binnenland siedeln eine bäuerliche Bevölkerung mit gewissen Gemeinsamkeiten. Vorstädtische Siedlungen werden auch von Viehzüchter-Nomaden versorgt. Moses, Josua, David und Salomo entstammen vermutlich propagandistisch gefärbten Legenden, aber im 10. Jahrhundert bildet sich wohl nördlich des späteren Juda und deutlich südlich vom See Genezaret aus einem kleinen Stadtstaat um Tirza mit Israel und seiner Hauptstadt Samaria samt relativ mächtiger Palastanlage ein größeres Herrschaftsgebiet heraus, in dem neben Israeliten des Berglandes auch verschiedene andere kanaanäische Völkerschaften mit verschiedenen lokalen und regionalen Tempel-Kulten leben. Speiseöl, Wein, Kriegspferde für Streitwagen und Kupfer dienen als Handelsware. (Finkelstein, S.152ff) In diesem Israel konkurriert ein Jahwekult mit dem vieler anderer Götter.

 

Um 890 verheiratet ein Herrscher von Tyros seine Tochter Isebel mit Ahab von Israel. Insbesondere in der neuen Hauptstadt Samaria breitet sich nun phönizischer Einfluss aus. Die Empörung bei den Jahwe-Anhängern drückt ein Text aus, der einem Elija zugeschrieben wird: 

Auf der Flur von Jesreel sollen die Hunde das Fleisch Isebels fressen, und es soll Isebels Leiche wie Mist auf dem Felde liegen, so dass man nicht wird sagen können: das ist Isebel.

 

Das führt um die Jahrhundertmitte dann zum erfolgreichen Aufstand von Jehu, mit dem der Jahwekult an Einfluss gewinnt. Andererseits müssen sich diese israelischen Herrscher immer wieder der Assyrer erwehren.

 

Im 9. Jahrhundert kommt irgendwann südlich als kleinere Herrschaft Juda erst in und dann um ein noch kleines Jerusalem auf, vermutlich in Konkurrenz zum nördlichen Nachbarn, während dieser  bereits deutlich größer und mächtiger ist und inzwischen eine Schriftsprache besitzt. "Für das Jahr 738 ist erstmals ein >König von Juda< belegt und nicht mehr ein >König vom Hause Davids<, wie auf der Tel-Dan-Stele." (Schipper, S.45)

Vermutlich unter dem Einfluss des Omridenreiches kommt auch der Jahwekult stärker in das Südreich, was belegbar ist, denn seit der Mitte des 8. Jahrhunderts taucht in Juda Schriftlichkeit auf.

 

Ein gemeinsames Reich beider wird es nicht geben und dementsprechend auch keine darauf folgende Reichsteilung. Es gibt erheblichen Handel im Großraum, mit Kupfer, Keramik und manchem anderen, aber Jerusalem scheint daran wenig beteiligt zu sein, während Israel wirtschaftlichen Anschluss an den Fernhandel und an das dortige Niveau der gewerblichen Produktion gewinnt (Schipper, S.38).

 

733 zieht der Assyrer Tiglatpileser III. gegen Damaskus und Gaza, die er einnimmt. Danach wird Israel unterworfen, Teile der samarischen Oberschicht werden deportiert. Unter Hosea besteht Israel als tributpflichtiger Vasallenstaat.

722-20 wird Samaria nach Verweigerung der Tributzahlung von den Assyrern ganz erobert. Israel verschwindet für immer von der Landkarte, ist jetzt die assyrische Provinz Samerina und wird nur in den von den Judäern verachteten Samaritern überleben. Jedes spätere "Israel" beruht von nun auf Geschichtsfälschung, deren erste es wird, dass dieser Name von der Jerusalemer Herrschaft auf ihr Reich übertragen wird.

 

Teile der israelischen Bevölkerung werden in ferne Gegenden wie nach Assur deportiert und durch Menschen (Araber?) aus dem assyrischen Reich ersetzt (Frahm, S.203f). Teile der Bevölkerung fliehen hinüber nach Juda, welches nun auch durch den Bevölkerungszuwachs aufsteigt, wiewohl es erst einmal assyrischer Vasallenstaat wird.

Diese (ehedem) Israeliten bringen wohl Material für völkische und staatliche Gründungsmythen nach Juda mit sowie die Erinnerung an Macht und Reichtum Israels, - nicht zuletzt aber ihren Gott Jahwe. Das alles versuchen die Mächtigen Judas nun in einen eigenen völkischen und staatlichen Mythos zu integrieren, was dadurch gelingen wird, dass ein eigenständiges Israel als Nordreich ersetzt wird durch den Mythos eines alten gemeinsamen Königreiches (Groß)Israel, von welchem das Nordreich sich abgespalten und dabei religiös in Sünde gelebt habe, so dass Gott, ob nun El oder Jahwe, seinen Untergang verfügt habe.

 

Juda profitiert offenbar von seinem Vasallenstatus und von Assyrien. Seine Schriftlichkeit nimmt zu und Städte gewinnen an Bedeutung. Vermutlich nimmt unter König Hiskia die Konzentration des Jahwekultes auf Jerusalem zu, was heißt, dass dann wohl andernorts seine Kultstätten geschlossen werden. Eine Inschrift von etwa 700 aus der Nähe von Lachisch verkündet: Jahwe ist der Gott des ganzen Landes, die Berge Judas gehören dem Gott Jerusalems (und nicht mehr den anderen Göttern dort). Jahwe dient nun wohl vor allem als Stadtgott von Jerusalem. (in: Schipper, S.57)

 

Kurz vor 700 befindet sich Juda in zwei Koalitionen gegen die Assyrer, deren Aufstände Sanherib niederschlägt. Eine Belagerung Jerusalems mit seinen inzwischen vielleicht 10-20 000 Einwohnern führt aber nicht zur Einnahme der Stadt. Immerhin werden wohl nun auch einige Judäer deportiert.

664 sind auch Truppen Judas unter seinem König Manasse an der Eroberung Thebens und damit eines Teils Ägyptens beteiligt. Juda wird zu einem wichtigen Getreidelieferanten im (neu)assyrischen Reich und lässt sich wohl auch von assyrischen Kulten beeinflussen.

 

Als Assyrien sich bis nach Ägypten ausdehnt, nutzen die chaldäischen Herrscher Babylons das seit 625, um ihrerseits die Assyrer in ihrem Kernland anzugreifen. Gleichzeitig beginnt mit Psammetich I. die Eroberung Südägyptens für seine Dynastie und das Verdrängen der Assyrer aus dem Norden und dann mit griechischen Söldnern aus den Gebieten der Philister und der Judäer. In der späteren Regierung des Josia (639-609) steht Juda bereits unter ägyptischem Einfluss, aber die Pharaonen sind mehr an den Handelsstätten an der Küste interessiert.

 

Josia nutzt aber zunächst das Machtvakuum, um offenbar von der Restauration eines legendären "Königreiches Davids" zu träumen. Er macht sich dazu daran, mit der Priesterschaft seines inzwischen zentralen Tempelkultes in Jerusalem seinen wachsenden Machtbereich von kanaanäischen und assyrischen Kulten zu reinigen und den Jahwekult ganz auf Jerusalem zu konzentrieren.

Zudem beginnt er wohl damit, eine etwas disparate Tradition aus Geschichten und Erzählungen so zu redigieren, dass daraus ein Begründungszusammenhang für seinen Machtanspruch und den seiner Priester hervorgeht. Jedenfalls ist das etwa so aus den altjüdischen Texten abzulesen. Am Ende wird er scheitern und von Pharao Necho getötet werden.

 

Das, was man aus dem Buch der Könige (2, 22-23) erschließen kann, ist wohl eher Ergebnis einer langen Entwicklung: Die wohl immer noch rudimentäre Monarchie dieses Josias, dessen Amt in indoeuropäische Sprachen viel später als „König“ oder ähnliches übersetzt wird, wird mit der Idee eines Gottes versehen, wobei Monarchie und Monotheismus, ein Tempelkult und eine dazugehörige Priesterschaft ziemlich deckungsgleich werden. Derweil gibt es damals viele Götter, aber der Reichsgedanke dieses Königs geht von der Idee aus, dass die Dreieinigkeit von Gott, Tempel und Monarch ein Erfolgsbündnis sein müsse. Eine Art idealiter geschlossener Untertanenverband würde vor allen dreien zugleich den Nacken beugen.

 

Völlig neuartig ist, dass nun ein Gott (in der herrschaftlichen Fiktion) als Gesetzgeber auftritt, der Moses  als Herr seines "Volkes" von Gläubigen (wie der Erzengel Gabriel dem Mohammed) seine Gesetze diktiert.

 

Es gilt also nun, andere Völker mit ihren "falschen" Göttern abzuwehren oder zu unterwerfen, aber die Kraft dazu sollte nur aus einem "Volk" kommen, welches in das Bündnis mit dem eigenen Gott eintritt, der vor allem ein Kriegsgott ist, der Schlachtenglück gewährt. Und Juda ist klein, winzig im Vergleich mit den Reichen von Ägypten, Babylon. Assur und anderen. Also (er)findet man seinen eigenen Gott, wie einige frühe Kulturen ein Totemtier hatten. Wenn man sich ihm, seinem Tempel und seinem Häuptling unterwirft, würde man siegen, andernfalls elendiglich zugrunde gehen.

 

Das Verheerende am derartig Religion begründenden Monotheismus ist die Lösung eines ganzen "überirdischen" Komplexes vom Bereich des Irdischen: Während Kulte ursprünglich etwas mit der Versöhnung mit Naturkräften zu tun haben und selbst in ausgebildeten Zivilisationen mit ihrem Gewaltapparat noch etwas davon überlebt, löst sich ein nicht mehr auf Naturkraft bezogener alleiniger Gott davon - überleben kann er dabei nur im Bündnis mit einem zivilisierten, sehr irdischen Gewaltapparat. Mit der Lösung eines überirdischen Raumes aus dem Irdischen entsteht Naturfeindlichkeit, die im jüdischen Text in der vieldeutigen Aufforderung Gottes an seine Gläubigen kulminiert, sich die Erde untertan zu machen.

 

Mit dem Ende von Israel beginnt wohl in Juda der Prozess der Umdichtung von Geschichte in einen propagandistischen Mythos und die dazugehörige Erfindung einer Religion, aber wohl  in den Jahrzehnten vor 600 vor unserer Zeitrechnung lässt der „König“ Josia seine Priester Texte (er)finden, die genau zu dieser Absicht passen. Vermutlich werden dabei Traditionen zwischen Mesopotamien und dem Sinai, vielleicht mit ägyptischen Einflüssen versehen, so redigiert, dass sie einen einigermaßen konsistenten Zusammenhang ergeben.

 

Viele Völker pflegten in zivilisiertem Zustand so wie die Juden die Erinnerung an eine graue Vorzeit paradiesischer Zustände. Da ist hier nun ein Gott, der die Welt erschafft, und in ihr eben das Paradies mit dem ersten Menschenpaar. Das Paradies war eines der Mühelosigkeit, in der man sich das Obst vom Baum pflückte und es sich ansonsten einfach gut gehen ließ. Wie das dann aussah, war weder den vielleicht mesopotamischen Erfindern der Geschichte wie den jüdischen Redakteuren bekannt, da es so etwas zu ihrer Zeit nicht ("mehr") gab. Das Menschenpaar (oder wenigstens Adam) aber war nach dem Ebenbild dieses Gottes geschaffen worden, der in einer anderen paradiesischen Zone lebt, weitab und doch immer nah. Gottgleichheit heißt Unsterblichkeit, und das wiederum heißt Ewigkeit, eine Welt außerhalb der Zeit. Das ist aber auch eine Welt jenseits des Raumes, denn das Paradies hatte zunächst keine klaren geographischen Grenzen, es war alles, was für Menschen war.

 

Zeitlose Ewigkeit hieß, dass es keinen Bedarf an Fortpflanzung gab, fehlender Raum hieß, dass überall alles war, was der Mensch brauchte. Was dann geschah, war, dass eine ebenso kluge wie böse Schlange der Eva Unzufriedenheit einflüsterte; sie wollte nun mehr als nur alles dies Paradiesische. Sie wollte die Frucht eines Baumes naschen, die ihr Erkenntnis geben sollte, wie sie paradiesischer Unschuld nicht angemessen war – sie widersetzte sich Gottes Willen. Es wird nicht gesagt, was es da zu erkennen gab, aber sie übertrat ein göttliches Gebot, ein Tabu. Vielleicht war das etwas so ähnliches, wie wenn Laien in den den Priesterautoren vorbehaltenen Opfer-Raum im Tempel geschaut hätten und dabei etwas gesehen hätten, was ihnen verschlossen bleiben sollte.

 

Vom Althebräischen über das Griechische und Lateinische zum Neuhochdeutschen: Im Garten Eden der Genesis gibt es zwei besondere Bäume: einmal τὸ ξύλον τοῦ εἰδέναι γνωστὸν καλοῦ καὶ πονηροῦ, lateinisch lignum sapientiae boni et mali, also den Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen, und dann το Δέντρο της Ζωής, lignum vitae, also den Baum des Lebens.

Leben ließe sich mit Einklang mit der Natur verstehen, Erkenntnis mit Kultur bzw. Zivilisation, dem partiellen Austritt aus ihr. Aber das sind hochmoderne Gedanken, formuliert in einer fast altrömischen Begrifflichkeit.

 

Warum Eva dann Adam dazu verführt, das Gleiche zu tun, lässt sich mit den Augen jüdischer Priesterautoren, einer wohl sehr eng gestrickten Gruppe von Männern, nur durch die Minderwertigkeit der Frau erklären. Das bringt aber ein erstes sexuelles Moment in diese Geschichte, denn in den Augen patriarchalisch strukturierter Männer wie solcher Priester ist die sexuelle Attraktivität der Frau der Grund für das männliche Begehren, welches dazu neigt, für wichtiger gehalten zu werden als göttliche Botschaften und von Priestern geleitete Opferkulte, was am Ende sogar weibliche Götter und Priesterinnen bedeuten kann.

 

Jedenfalls bricht auch Adam das göttliche Verbot, und damit ist es aus mit den paradiesischen Zuständen. Gott schickt recht kriegerische Engel, die die beiden aus dem Paradies vertreiben, dessen Eingänge nun verschlossen sind. Jetzt verschränken sich längst verschiedenste Vorstellungen zu einem Komplex: Außerhalb des Paradieses entstehen Raum und Zeit: Es gibt eine weitere Welt, in der die Einheit von Mensch und Natur/Gott zerbrochen ist. Die Menschen müssen jetzt produktive Arbeit leisten und sich im Schweiße ihres Angesichtes ihre Nahrungsmittel als Ackerbauern und Viehzüchter selbst herstellen. Die Frau muss in Schmerzen gebären, der alltägliche Geschlechtstrieb taucht auf.

 

Insofern lässt sich eine Erinnerung an die neolithische (jungsteinzeitliche) Umwälzung vermuten, in der aus Leuten, die als Jäger und Sammler sich nahmen, was sie vorfanden und unmittelbar benötigten, Leute wurden, die nun produktiv sein müssen. Produktive Arbeit mit ihrer Mühsal und ihren Zwängen ließ sich aber leicht als Strafe Gottes interpretieren. Sie wird allerdings zugleich Voraussetzung für Tempel und Priesterschaft, die aus der irgendwann erfolgreichen Produktion eines gewissen Überflusses heraus entstehen, indem sie von den nun möglichen Abgaben existieren können.

 

Frauen müssen sich der Ungemach von Schwangerschaft und Gebären stellen, Männer der härterer Arbeit. Religion und Priester vermitteln zwischen Gott und den Menschen, die nicht mehr Gottes Ebenbild sind, und die nun, aus dem Paradies vertrieben, sterblich, "zeitlich" werden.

Der Tod aber macht die Fortpflanzung nötig, und diese funktioniert nur über das geschlechtliche Begehren. Damit kommt ein zweites sexuelles Element in die Geschichte, den Mythos genauer gesagt, und indem es der Frau die Schwangerschaft und die bei Menschen recht anstrengende Geburt beschert, ist das alleine schon eine Strafe Gottes, abgesehen von all dem Unheil und der Unordnung, welche Geschlechtlichkeit sonst noch mit sich bringt.

 

Diese beiden sexuellen Aspekte finden mit dem Tabubruch gegenüber Gott in dem Moment der Scham zusammen. Im sexuellen Begehren wird die paradiesische Nacktheit zum Problem. Der Mensch schämt sich also zugleich des fehlenden Gehorsams gegenüber Gott (bzw. seinen Priestern) und einer Geschlechtlichkeit, die ihn als Getriebenen und seiner Souveränität Beraubten auszeichnet: Darum das Feigenblatt.

 

Was den Schriftkundigen unter den Tempelpriestern so alles durch den Kopf ging, als sie ihre Version von Paradies und Sündenfall aufschrieben, ist nicht mehr feststellbar, war es vermutlich schon damals nicht. Aber der Kern dieser Paradiesgeschichte wird zur Basis für alles, was da folgt auf dem langen Weg in den Kapitalismus. Der der Ebenbildlichkeit Gottes durch diesen beraubte Mensch trägt jede Menge Unheil in die Welt, angefangen bem Brudermord. Ein wenig scheint dann aber der Gott, der sich schließlich als der des Reiches von Juda offenbaren wird, seine große Strenge zu bereuen, und er beginnt, ausgewählten Leuten eine Art Bündnis anzubieten: Ich unterstütze euch, wenn ihr mich unterstützt. Dafür verzichtet er sogar auf die Opferung des erstgeborenen Sohnes und bescheidet sich mit dem Tieropfer, welches Tempelpriester durch Geldabgaben der Gläubigen an sie finanzieren. Daraus wird das auserwählte Volk, welches dieser Gott unter der Führerschaft eines Moses in ein Land führt, wo Milch und Hönig fließen sollen, also schon wenigstens fast wieder ein Paradies.

 

Das ist zwar historisch durch nichts zu untermauern, aber eine schöne Geschichte für Machthaber in Jerusalem, die nun auf grandiose militärische Erfolge bei der Eroberung großer Landstriche mit Hilfe ihres Kriegsgottes Jahwe zurückblicken können, alles wohl weitgehend erfunden, aber eine gute Tradition für damals übliche Gewaltherrscher.

 

Nun bauen die Priester-Autoren aber, etwas näher an ihre eigene Gegenwart heranrückend, lauter neue Sündenfälle in ihre Geschichten ein, die erklären sollen, warum das Volk Gottes immer wieder militärisch scheitert und die israelitischen Konkurrenten gar ganz untergingen. Es geht um immer wieder neue Vertragsbrüche mit dem eigenen Gott und das Übergehen in die Gefolgschaft anderer und offensichtlich für manche attraktiverer Götter (und Göttinnen). Es geht dabei offenbar auch um unziemliche Lebenslust und ein Lotterleben, in dem Frauen und unordentliche sexuelle Aktivitäten eine große Rolle spielen sollen, aber da es sich um Propaganda handelt, wissen wir nichts genaues. Jedenfalls ist die jüdische Geschichte dabei keine rechte Erfolgsgeschichte und endet mit Hellenisierung der Oberschicht und dann Unterwerfung unter römische Machthaber bei eigenen Unterkönigen, die sich mühsam durchlavieren müssen.

 

Judentum ist einmal in dem zentralen Tempelkult als eigentlichem Kern gegeben, und damit in dem Tieropfer, welches wie auch in anderen Reichen den jeweils eigenen Gott als Unterwerfungsgeste gnädig stimmen soll. Zum anderen besteht es in einem Sammelsurium an Vorschriften, deren wesentliche Aufgabe wohl ist, einheitliche Untertanen für Häuptling/"König" und Tempelpriesterschaft zu schaffen, sie also von anderen Völkern abzugrenzen. Man könnte auch sagen, das sie hier ein gemeinsames "Volks"bewusstsein überhaupt erst herstellen. Es gibt zum Beispiel jede Menge detaillierter Essensvorschriften, die damals wohl teils mehr und teils weniger plausibel waren, und einen wöchentlichen religiösen Feiertag, an dem fast alles Leben erlahmen soll. Dazu jene gottgebenen Gebote, die auf den einen Gott verpflichten und ansonsten das Zusammenleben so regeln, wie es in allen frühen Zivilisationen üblich ist. Dazu kommen weitere die Leute verbindende Eigenheiten wie gemeinsame Festtage und Pilgerreisen samt Opfergaben zum Tempel nach Jerusalem.

 

Was die Juden neben dem Monotheismus von anderen Kulturen und Zivilisationen grundlegend unterscheidet, ist die grandiose Idee, sie am Zeugungsorgan des Mannes zu markieren, was die jüdische Frau darauf hinweist, dass sie den politisch-religiös korrekten Mann für den Koitus bzw. die Ehe und Fortpflanzung vor sich hat. Damit werden Menschen als Volk physisch als eine Einheit jener Menschen markiert, die ihren Gott ausschließlich für sich haben, und damit als seine Auserwählten deutlich bessere und erfolgreichere Menschen sind, wenn sie nur der Priesterschaft und dem damit verbündeten König untertan bleiben. Juden werden so die Erfinder einer neuen Form völkischen Bewusstseins, welches sich über seinen Körper ausweisen kann, wiewohl Judentum ein Kult samt Ritualen und nie ein abgeschlossener Ethnos ist, was es dennoch immer wieder zu sein behauptet, - und was Ideologe Hitler dann verrückterweise übernehmen wird.

 

Vermutlich entsteht das Judentum derjenigen alttestamentarischen Texte, welche eine auf Jahwe beruhende Frühgeschichte und eine frühe jüdische Geschichte zusammen-fabuliert, in einem viel längeren Zeitraum, der nach dem Ende Israels beginnt. Vielleicht ist unter Josia überhaupt nur der Kult des Jerusalemer Jahwetempels von den Einflüssen störender anderer Kulte gereinigt worden.

 

Mit seinem ausführlichen "National"mythos, dem Monotheismus und der Konzentration auf den einen Kultort Jerusalem, der bis auf seinen Tempel und eine dazu gehörende Priester- bzw. Schreiberelite immer noch eher unbedeutend ist, wird aber das geschaffen, was wir sinnvollerweise und zwecks gedanklicher Klarheit als (erste) Religion bezeichnen können.

Als antik-römische religio bedeutet sie zunächst nur die Beachtung von Vorzeichen und kultischem Regelwerk und später dann die Beachtung des Tempelkultes. Im 4. Jahrhundert (n.d.Zt.) wird aus religio für Christen die Summe ihres Glaubens. Ins Deutsche gelangt das Wort schließlich als Religion im 16. Jahrhundert, worauf dann neue Definitionsversuche beginnen.

 

Hier soll das Wort von dem Begriff Kult unterschieden werden, was auch deshalb naheliegt, da es sich um Wörter mit durchaus verschiedenen Wurzeln handelt. Kult als cultus deorum bezeichnet schon bei den antiken Römern (meist rituelle) Handlungen, in denen Götter verehrt bzw. angerufen werden. Religion kann zwar in der Regel auch Formen des Kultes verlangen, beinhaltet aber vor allem in ausführlichen Texten niedergelegte Glaubensinhalte, die in ihrem Kern von Kulten unabhängig sind. So entsteht die jüdische Religion zwar aus dem Opferkult im Jahwetempel, kann aber nach der letzten Zerstörung des Tempels auch ganz ohne diesen auskommen. Sie ist einmal geglaubter Geschichtsmythos und zum anderen ein extrem ausführliches Gesetzeswerk,

Im Christentum taucht das kultische Element zwar als Ensemble magischer Rituale auf, aber nicht diese, sondern der Glaube an die Erlöserfunktion Jesu, in seinem legendären Predigerdasein ausgeführt, trägt das ganze Glaubensgebäude. Am radikalsten wird das Luther vermitteln. Der Kern des Islam wiederum kennt den Kult kaum, er taucht weithin nur als regional vermittelter folkloristischer Zusatz auf. Dafür beruft sich der Islam auf die historische (religiös vermittelte) Mission der Araber, so wie das Judentum auf die seine.

 

 

Juda ist unter ägyptischer Hoheit. Gegen Ende des 7. Jahrhunderts gelingt es Herrschern von Babylon, das Assyrerreich zu vernichten. 605 besiegt Nebukadnezar das ägyptische Heer bei Karkemisch am Euphrat. 597/87 wird Jerusalem geplündert. Der dortige Kleinkönig wird zusammen mit Teilen der Oberschicht Jerusalems nach Babylon verschleppt. Nach einem Aufstand wird auch ein Teil der Stadt und vielleicht der Tempel zerstört. Als Fazit lässt sich sagen, dass Israel nur kurz und dann Juda fast nie wirklich unabhängige Reiche sind, sondern meist Spielball der großen Despotien. (Schipper)

 

Den Judäern geht es in Babylonien so gut, dass manche ihrer Nachfahren später gar nicht mehr "zurückkehren" wollen. In diesem Exil verändert sich die jüdische Religion zumindest unter denen etwas, die unter persischer Hoheit zurückkehren werden (Esra, Nehemia).

 

550 löst sich der vergleichsweise tolerante persische Despot Kyros II. von den Medern und schafft ein großes Perserreich. Juda wird die persische Provinz Jehud unter einem persischen Satrapen. Sie hat mit ihren rund 50x50 km Fläche und wenigen größeren Ortschaften vermutlich nur noch zwischen 10 000 und 30 000 Einwohner. (Schipper, S.78)

Wirtschaftlich geht es der kleinen Provinz wohl recht gut. 520 kommt es unter den Persern zu einem Tempelneubau in Jerusalem. Offenbar will man der machtpolitisch und wirtschaftlich eher unbedeutenden Satrapie als Dank für ihre Unterwerfung entgegenkommen.

 

Inzwischen tauchen Juden (Jahwe-Anhänger) nicht nur in Jehud und in Mesopotamien auf, sondern auch auf der Insel Elephantine und auf dem Berg Garizim bei Sichem auf.

 

Wohl erst 450 kommt es zur Kanonisierung der Tora und damit zur Einführung des wöchentlichen Sabbat, der Beschneidung der männlichen Nachkommen, der Ablehnung der Ehe mit Andersgläubigen und zu einem unbedingten Monotheismus. (Schipper, S.92) Zugleich kommt es auch zum Ausschluss der Samarit(an)er aus dem Judentum. Die unheilvolle Arroganz von Religion, wie sie hier definiert wird, und die mit Esra und Nehemia nun "völkisch" wird, nimmt ihren Lauf und wird dann später unter temporärer Abschwächung des völkischen Aspektes von Christen und viel später vom Islam übernommen.

 

Inzwischen ist Jerusalem immerhin wohl wieder auf 500 bis 1000 Einwohner angewachsen sein. Spätestens nun wird deutlich, warum die "Juden", wie sie nun heißen, die Judäer also, die inzwischen Israel für sich vereinnahmt haben, eine heroische Landnahme und großartige Könige in ihren Nationalmythos aufnehmen: Das soll ganz offenbar die Tatsache kompensieren, das Juda im Raum Palästinas und darüber hinaus eine fast völlig unbedeutende Rolle neben seinen mächtigeren Nachbarn spielt, was auch so bleiben wird.

 

Der Makedonenherrscher Alexander besiegt Hellas und dann um 333 das Perserreich und regiert überall mit der brutalen Gewalt eines orientalischen Despoten. Nachdem er sich zum persischen Großkönig gemacht hat, zieht er mit militärischer Gewalt über Palästina nach Ägypten, wo er sich zum Pharao erklärt. Mit der Gründung der griechisch-ägyptischen Stadt Alexandria finden sich dort auch samarische und judäische Juden ein, die sich zur wohl größten jüdischen Gemeinde der Antike entwickeln.

 

Nach 333 kommt es unter den Ptolemäern, den Erben Alexanders ("des Großen) zu erheblichem Einfluss des Hellenismus und zunehmender Verbreitung von Juden über die damals bekannte Welt, auch durch militärische Maßnahmen der Ptolemäer forciert. Im 3. Jahrhundert wird dort eine Kompilation jüdischer Schriften der letzten Jahrhunderte ins Griechische übersetzt (Septuaginta), die dann später als "Altes Testament" dem christlichen neuen vorangestellt werden wird.

 

Judäa, wie es nun griechisch heißt, gerät unter ptolemäische Herrschaft und hellenistischen Einfluss. Das Amt des Hohepriesters gewinnt immer mehr politische Bedeutung. Als die Hellenisierung im 2. Jahrhundert von den Ptolemäern forciert wird, kommt es zum von den Makkabäern angeführten Aufstand. 142  wird das Judenland unabhängig unter den Hasmonäern, denen es gelingt, sogar einen Mittelmeerhafen zu erobern. Tatsächlich handelt es sich bei ihnen um eine hellenisierte Familie. Galiläa wird annektiert. Jerusalem wird zur Residenzstadt mit Palästen und großen Stadtmauern ausgebaut und wächst auf 8000 Einwohner an. Weitere Gebiete werden erobert, und wer sich der Judaisierung und Zwangsbeschneidung widersetzt, soll vertrieben worden sein.

 

In der Jerusalemer Oberschicht kommt es zur Spaltung zwischen den "frommen" Pharisäern und den mit Teilen der Tempelpriesterschaft verbündeten Sadduzäern. Dazu kommen schließlich noch die Gruppen der Essener und der Gemeinde von Qumran. Letztere beteiligt sich nicht politisch, wendet sich sogar scharf gegen die verschiedenen politischen Vertreter. Stattdessen wird ein straff hierarchisch organisiertes Gemeinschaftsleben angestrebt, welches über die Regeln der Tora hinausgeht mit einem starken gut-böse-Dualismus und dem Gefühl, in einer Endzeit zu leben. Einiges gemahnt bereits an den Jesus der Evangelien.

 

63 erobert Pompeius Palästina. Im Jahr 40 wird Herodes zu einer Art abhängigem König von Judäa ernannt. Er veranlasst viele neue Bauten, darunter die Vergrößerung des Jerusalemer Tempelbezirkes : "Das Heiligtum wurde so zum Handels- und Marktplatz der Stadt." (Schipper, S.116) Auf Herodes folgen seine Söhne. 66-70 nach der Zeitrechnung münden Massenproteste im Aufstand, den Vespasian im Auftrag von Kaiser Nero und dann Titus im Auftrag von Kaiser Vespasian niederschlagen lassen. Der Tempel wird geplündert und vollständig zerstört. Judäa wrd zur syria palaestina.

 

Das Judentum wird mit der dauerhaften Zerstörung seines Tempels unter römischer Herrschaft seinen Charakter etwas ändern. Als älteste (monotheistische) Religion wird es aber der Vorläufer für Christentum und den unter anderem aus beiden erwachsenden Islam werden. Zwar ist es aus einem Tempelkult samt Priesterschaft und deren Bündnis mit einem Machthaber hervorgegangen, aber das kultische Moment ist bald schwächer als das System von Vorstellungen und Vorschriften, aus denen das erwächst, was hier Religion genannt werden soll. Das erweist sich im problemlosen und fast bruchlosen Überleben der Religion nach dem Verlust von Kultort und Kult.

 

 

Aristokratische Griechenstädte

 

Die Palastherrschaften der späten hellenischen Bronzezeit verschwinden zur Gänze und mit ihnen die Schrift. Überall kommen agrarisch geprägte Siedlungen auf, in denen sich dann im Verlauf von einigen Generationen wieder eine Aristokratie von Großbauern an die Spitze setzt, und neues kriegerisches Häuptlingstum entsteht.

In Hellas beginnt die Eisenzeit um 1000. Nach und nach entsteht hier eine Reihe neuer und voneinander unabhängiger zunächst noch kleiner Städte (poleis). Seit dem 8. Jahrhundert beginnen aristokratische Anführer mit der Gründung neuer Städte entlang der Küsten zwischen Italien und Kleinasien. Die extrem gewalttätige und männerdominierte antike griechische Welt formiert sich, in der Waffenschmiede eine herausragende Rolle spielen und sich die Bilderwelt wie das Epos um Kampf und Krieg und Heldentum drehen. Der überregionale Handel nimmt ab, verschwindet aber nicht. Das extrem gegliederte und gebirgige Hellas bleibt auf Warenaustausch angewiesen, - neben Raubzügen an benachbarte Küsten, wo Gefangene Lösegeld einbringen oder als Sklaven verkauft werden.

 

Ansonsten nehmen zwischen 1000 und 800 unsere heutigen Kenntnisse von Hellas erheblich ab und werden auch in den Jahrhunderten danach vor allem durch Texte von Homer und Hesiod und archäologische Ergebnisse gestützt.

 

Vielleicht schon im 9. Jahrhundert gründen Leute aus Euböa an der Orontesmündung in Syrien einen Handsstützpunkt (Al Mina). Waren aus Ägypten und dann auch von Zypern gelangen in den griechischen Raum und beflügeln Luxuskonsum und beeinflussen Lebensart einer entstehenden Aristokratie.

Vermutlich an Orten oder einem Ort, an dem Phönizier und Griechen dauerhafter miteinander verkehren, verwandeln Griechen im 8. Jahrhundert die phönizische Konsonantenschrift in ein Alphabet, in dem auch die Vokale ausgeschrieben werden. Erhalten sind kurze Inschriften auf Keramik, "Namen ihrer Besitzer, Weihinschriften, zuweilen auch Verse, die sich um Trinken, Tanzen und Sex drehen," zum Beispiel um die griechische Oberschicht-Pädophilie (Stein-Hölkeskamp, S.55). Aber noch bis ins 5. Jahrhundert bleiben die hellenischen Poleis im wesentlichen mündlich vermittelte Gesellschaften.

 

 

Um 700 werden dann wohl zum ersten Mal die Texte eines "Homer" aufgeschrieben, die Verhältnisse des vorigen Jahrhunderts spiegeln. In den Poleis herrscht ein Häuptling mit einer "adeligen" Ratsversammlung, die manchmal vor der "Volks"versammlung agieren, welche zunächst keine Entscheidungsbefugnis hat, sich aber äußert und mit Zurufen die eine oder die andere Partei begünstigt (Bringmann(2), S.96) Besagter Häuptling (basileus), in heutigen Texten oft als König bezeichnet, ist Heerführer und für den zentralen Kult der Polis und seinen Tempel zuständig.

Schon im 8. Jahrhundert entsteht ein Interesse von Aristokraten an Genealogien, wie sie dann in der 'Ilias' auftauchen, und an der sagenhaften Vergangenheit der späten Bronzezeit mit ihren "Helden". Große Tempel tauchen nun auf und die olympischen Spiele scheinen an Bedeutung zu gewinnen.

 

Schließlich beeinflusst der nahe Orient die hellenische Oberschicht immer stärker. Kunsthandwerk aus Phönizien mit seiner Ikonographie löst um 700 den geometrisch-ornamentalen Stil ab, beeinflusst nun die sich in zahlreichen poleis entwickelnde aristokratische Vorstellungswelt.

Die aristoi verstehen sich als die Besseren, die sich immer mehr vom laos, dem einfachen Volk abheben. Sie lassen auf ihren großen Gütern mit dem besseren Land andere für sich arbeiten, Männer draußen und Frauen im Haus. Daneben besitzen sie ein Gefolge, welches mit ihnen in überschaubare kriegerische Unternehmungen, Raubzüge vor allem zieht, und welches durch den Reichtum des adeligen Herrn an diesen gebunden wird. Solchen Reichtum demonstrieren sie mit großen Viehherden und einem großen Megaron als zentralem Raum mit möglichst prächtiger Ausstattung. Adeliger Lebensstil heißt Müßiggang, Jagd, Pferdezucht, Körperertüchtigung durch Sport als Vorbereitung für kriegerische Gewalt mit Faustkampf, Ringen, Laufen, Speerwerfen und Wagenrennen, zudem demonstrativ prächtige Gastmäler und Rituale des Schenkens und der Gegengeschenke, die Bündnisse schaffen. Schließlich haben diese führenden Herrenmenschen auch herausragende Bedeutung für die Kulte der Stammesgötter, für die sie Feste ausrichten.

 

Aristokratisch ist auch die Verachtung von Händlern und produktiver Arbeit der Bauern und Handwerker (der Banausen). Schatzbildung und nicht Kapitalanhäufung ist Lebensziel, und dazu gehört auch, dass erhebliche "Wertsachen" als Grabbeigaben in der Erde verschwinden. Aristokratisch ist kalkulierte Verschwendung für die eigene Statusbildung.

 

Jenseits der mächtigen Herren lebt die Masse der Griechen als Selbstversorger-Kleinbauern in jener Hausgemeinschaft, die sie oikos nennen. Hier wird fast alles selbst hergestellt, was die Menschen täglich brauchen: Nahrung, Kleidung, Schuhe. Tauschgeschäfte gibt es nur selten. Entsprechend bedeutet Ökonomie die Lehre von dieser Hauswirtschaft, die sich dann aber auch auf die aristokratischer Häuser auf Agrarbasis übertragen lässt.

Als im 16./17. Jahrhundert die Ökonomie in der deutschen Sprache auftaucht, meint sie denn auch zunächst einmal Hauswirtschaft und ein Ökonom ist ein Landwirt oder der Verwalter einer landwirtschaftlichen Einheit. Im weiteren bekommt "Ökonomie" dann die Funktion aller substantiell unverständlichen Fremdwörter der nicht immer bewussten Verunklarung, und dann Definitionen, die dem Wort seine Substanz nehmen im Gerede über "Wirtschaft" ohne klarzumachen, was das nun sein soll.

Der (deutsche) Wirt wiederum ist zunächst unter anderem jemand, der andere bewirtet. Daraus leitet sich Wirtschaft als Gasthaus ab sowie als Hauswirtschaft, Erst im Spätkapitalismus der großen Industrialisierungswelle wird Wirtschaft zum synonymen Nebelwort für Ökonomie, welches nicht mehr hinterfragt wird, zu einem merkwürdig beliebigen Sammelwort eben.

 

 

Hunderte Orte mit Mauern, Türmen und Toren entstehen inzwischen als poleis, kleine "Städte", oft mit höchstens 1000 Einwohnern und höchstens 100 Quadratkilometern Gebiet. Viel größer sind nur Athen (als Attika mit 2500 Quadratmetern) und Sparta. Im Fall von Athen handelt es sich zunächst um eine Ansammlung attischer Dörfer, wobei sich dann ein städtisches Zentrum mit seiner Wasserversorgung um eine größere Agora mit ihren öffentlichen Gebäuden konzentriert. Auf dieser Agora finden neben der Volksversammlung auch Feste, Sportveranstaltungen ("Spiele") und andere kultische Veranstaltungen statt.

Dort, in der Stadt als Zentrum der Polis, konzentrieren sich auch Reiche und Mächtige, zu denen dann noch Handwerker und Händler kommen. Einen Stadtbegriff wie den des lateinischen Mittelalters deutscher Sprache wird man damals nicht entwickeln: Zur Stadt gehört von vorneherein agrarisches Umland und Stadt wie Umland werden von mächtigen Grundbesitzern dominiert.

 

In der Polis stehen oben einer oder mehrere "Könige" (basileis) mit einem Führungsanspruch in Zusammenarbeit mit einigen Reichen und Mächtigen. Dem Basileos steht auch die Durchführung des obersten Kultes zu. Unter ihm existiert eine Art Ältestenrat und auf der agora als öffentlichem Platz die Versammlung des Volkes, vor dem und durch welches beraten und beschlossen wird. Auf dieser Agora finden außerdem Feste, Sportveranstaltungen ("Spiele") und andere kultische Veranstaltungen statt.

 

Das Verhältnis zwischen Fürst und Adel ist durch Auseinandersetzungen über die Machtverhältnisse geprägt und Fürsten sind so nicht orientalische Despoten, eher phönizischen Stadtherren ähnlich.

Solche idealtypische Verhältnisse werden in 'Ilias' und 'Odyssee' beschrieben, die offenbar Unterhaltung und Selbstbestätigung für Aristokraten in den Poleis von Hellas liefern.

 

 

Etwas anders wohl als die Phönizier, die im südlichen und nordwestlichen Mittelmeerraum Handelsstützpunkte eher friedlich zu neuen Städten weiter entwickeln, ist die griechische Siedlungsbewegung im Mittelmeerraum seit dem 8. Jahrhundert wohl sehr stark aus aristokratischen Raubzügen und Piraterie hervorgegangen, wobei die Erkundung des Raumes durch Handel ebenfalls eine Rolle spielte. Grund dürfte aber bei beiden das geringe Umland der Ausgangs-Städte, Bevölkerungszunahme und der Mangel an Rohstoffen, vor allem an Metallen, gewesen sein, die erst Handel und dann Landnahme hervorrufen. Die vermutlich erste griechische Ansiedlung auf Ischia (Pithekoussai) ist so auf die Erzvorkommen von Elba und dem etruskischen Festland ausgerichtet.

 

Offensichtlich hat in der Zeit des 9. und 8. Jahrhunderts die Bevölkerung erheblich zugenommen (Bringmann(2), S.121). Wohl weniger ökologisch als ökonomisch gedacht, heißt es in den 'Zyprien' um 600:

Es gab eine Zeit, dass unzählige Stämme der Menschen umherirrend / Zu Land die Fläche des breiten Erdenrundes schrecklich beschwertem. / Als Zeus das erkannte, erfasste ihn Mitleid, und tief in seinem Herzen / Beschloss er, von Menschen die allnährende Erde zu entlasten. / Indem er den gewaltigen Streit des Krieges um Troia erregte, / Damit die Schwere des Todes sie leere; die Helden vor Troia / erschlugen einander: so erfüllte sich der Wille des Zeus. (in: Bringmann(2), S.120)

 

Es folgen andere zu Städten anwachsende Siedlungen mit dem nordostafrikanischen Kyrene, mit Orten in Sizilien, Süditalien, und nach Westen über Massilia (Marseille, um 600) bis Emporion (Ampurias) im heutigen Katalonien. Sobald diese Orte stark genug sind, gehen sie von friedlicherem Auftreten zur Unterdrückung der heimischen Landbevölkerung über. Teile der Mittelmeerküste werden so hellenisiert und dem griechischen Handel stärker erschlossen. So wie Karthago bald seine Mutterstadt Tyros überflügelt, werden auch Neapolis (Neapel), Taras (Tarent), Syrakus und manch andere neue Orte die Städte im griechischen Kernland an Größe, Macht und Reichtum überflügeln.

 

Von Kolonisierung kann man hier reden, wenn man den colon als bäuerlichen Siedler versteht und die Kolonie als Siedlung auf fremdem Gebiet, nicht aber im Sinne staatlicher Annektion von Gebieten, denn die neuen Städte sind selbständig und die Poleis, aus denen sie kommen, von geringer Staatlichkeit.

 

Hellenisierung läuft im Laufe der Zeit vor allem mit Gewalt, Unterdrückung, Versklavung und Vertreibung höchstens anzivilisierter Volksstämme ab. Wie selbstverständlich solche Gewalt ist, zeigt eine (fiktive) Passage in der 'Odyssee' als Beispiel für viele:

Aber vom Übermut und ihrer Begierde getrieben,, / Plünderten sie alsbald der Ägypter schöne Gefilde, / Führten die Weiber gefangen fort und die kleinen Kinder, / Und erschlugen die Männer (..., XIV).

Syrakus beispielsweise oder Kyrene unterwerfen die heimische Bevölkerung und beuten ihre Arbeitskraft aus. Zum anderen beeinflussen die hellenischen Tochterstädte allerdings ihre Umgebung auf die Dauer auch mit Hilfe ihres höheren Grades an Zivilisierung, was wohl vor allem heißt, der Attraktivität des höheren Konsumniveaus der Reicheren und Mächtigeren dort.

 

Das nordafrikanische Kyrene und Städte auf Sizilien und Süditalien überflügeln nach und nach die "Mutterstädte" an Bevölkerung und Reichtum. Berühmt wird der luxuriöse Reichtum (der Reichen!) in Sybaris; die Größe von Taras (Tarent), Neapolis und mancher Stadt auf Sizilien übertrifft die der Städte im griechischen Kernland bald bei weitem.

Den Kern der städtischen Bevölkerung bilden zunächst Händler und Handwerker, bis dann immer mehr Ackerbauern dazu kommen und den Einheimischen ihr Land wegnehmen.

Es entsteht ein riesiger hellenischer Raum, mit Emporion (Ampurias) an der heute katalanischen Küste, auf das Zentrum Massalia (Marseilles) ausgerichtet, welches Rhone-aufwärts das Keltengebiet beeinflusst, über den Süden Italiens und Sizilien bis hinüber in die libysche Kyrenaika und dann auch weit hinein in das Schwarzmeergebiet mit seinen Getreideanbau-Gebieten.

 

Währenddessen konstituiert sich zwischen dem späteren Böhmen, Süddeutschland über die Schweiz bis nach Frankreich hinein ein zunehmend anzivilisierter keltischer Raum. Bei Kalten handelt es sich um eine sprachverwandte Gruppe von Völkern, die sich besonders durch Fortschritte in der Metallverarbeitung auszeichnen. Keltische Fürsten machen sich zu Herren von kleinen Stämmen, die in - römisch ausgedrückt - civitates zusammenleben, mit einem - ebenfalls römisch ausgedrückten - oppidum als befestigtem Hauptort. Es handelt sich dabei um Kriegergesellschaften von erheblicher Militanz. Am Übergang von Stammeskultur zu Zivilisation geraten sie von Städten am Mittelmeer wie Massilia aus früh unter griechischen Einfluss.

 

Um 500 ist der Mittelmeerraum im wesentlichen auf verschiedene städtische Zivilisationen aufgeteilt, vor allem die hellenische und phönizische, daneben auf kleinerem Raum die etruskische, und damit ist auch absehbar, dass die vor allem im Hinterland übrig bleibenden Stammeskulturen dort auf die Dauer der Zerstörung geweiht sind.

 

 

In Hellas mit seiner grundsätzlich gemeinsamen Sprache, Schrift und Götterwelt gibt es schließlich hunderte von meist kleinen poleis, als deren Besonderheiten vor allem neuartige Machtstrukturen zu gelten haben, die an Gemeindebildung noch über die phönizischer Städte hinausgehen: Tempel sind nun "Orte eines genuin öffentlichen Kultes der Götter der ganzen Polis und daher monumentale Bezugspunkte der religiösen Identität ihrer Bürgerschaft insgesamt." (Stein-Hölkeskamp, S.124) Diese Bürgerschaft wird so zur Kultgemeinschaft. Zugleich werden damit auch die Toten in Nekropolen außerhalb der Kernstadt verwiesen.

 

Damit entfällt nicht nur eine elementare Grundlage für Despotie, sondern es entsteht eine ganz neue Öffentlichkeit, deren Ort in der Stadt die agora ist, Versammlungsort der (männlichen) Bürgerschaft, Markt und Ort der Begegnung überhaupt. Die Bedeutung dieses zentralen Platzes wird dann im Laufe der Zeit noch durch die Ansiedlung von weiteren Tempeln und anderen öffentlichen Gebäuden unterstrichen.

 

Bürgerschaft als Personenverband äußert sich seit dem 7. Jahrhundert in der Verlagerung der kriegerischen Auseinandersetzung von Adeligen mit ihrem Gefolge auf einen Hoplitenverband, in dem jene Bauern als schwerbewaffneten Fußsoldaten immer größeren Raum einnehmen, die sich die erhebliche Bewaffnung und Rüstung leisten können: Helm, Brustpanzer, Beinschienen und Schild.

 

Man kämpft nun Phalanx gegen Phalanx in einer Art Bürgerheer. "Wer das Feld behauptete, war Sieger, ihm fiel die Beute zu, eine Verfolgung des Gegners über das Schlachtfeld hinaus fand nicht statt, und in diesem einen Treffen bestand in der Regel schon der ganze Krieg." (Meier, S. 130)

 

Bürgerschaft bedeutet ganz wesentlich auch die breite Schicht freier Bauern, die regulär weder dem Adel noch der Gemeinde abgabepflichtig sind. Frei sind auch Handwerker und Händler, letztere richtiggehende Unternehmer.

 

Sodann äußert sich Bürgerschaft in festlichen Prozessionen zu Heiligtümern, von Priestern und gewählten Beamten angeführt, die mit Tieropfern enden, an deren Konsum die Gemeinde beteiligt wird, oder in solchen, in denen Kultbilder umhergetragen werden, manchmal um sie zu waschen und neu einzukleiden. Wie in den früheren Despotien und wie in der späteren christlichen "Volksfrömmigkeit" wird die Anwesenheit des Gottes in seiner Statue angenommen.

 

Zum anderen ist die Bürgerschaft "politische" Gemeinschaft, die ihre eigenen Angelegenheiten öffentlich berät. Bürger ist man auch, indem man als Mann einer der städtischen Einheiten lokaler oder ideell verwandtschaftlicher Natur (Phylen, Phratrien usw.) angehört. In Athen wird man nach der Geburt in solcher Phratrie vorgestellt und hier stellt auch der Bräutigam seine Braut vor. Man hat damit seinen eigenen Kult, leistet sich Rechtsbeistand und sonstige Unterstützung. Vorsteher und Priester der Phratrie sind (natürlich) die Reichsten und Vornehmsten, die wohl auch schon früh die Feste finanzieren. und massiven Einfluss auf die ärmere Mehrheit ausüben.

 

Öffentlichkeit wird dadurch erleichtert, dass vieles "draußen" stattfindet, insbesondere die Versammlungen der Bürger, vielleicht aus der Heeresversammlung hervorgegangen, über denen Archonten, Beamte aus den Reihen der Reichen und Mächtigen, das Geschehen lenken, und die nur eine beschränkte Zeit Dienst tun.

 

Nach und nach gelingt es dem "Adel", das erbliche Königtum des basileus durch ein zeitlich immer begrenzteres zu ersetzen, und um 700 verliert es herrscherliche Funktionen, bleibt aber für die ältesten Kulte zuständig und richtet weiter in Mordprozessen. Die basileis werden so im Ergebnis zu hohen Beamten, wobei ihre wesentlichen Herrschaftsfunktionen auf eine Art Adelsrat (den Areopag) übergehen, in dem in der Regel die hohen Beamten am Ende ihrer Karriere landen.

 

Höchster Beamter in Athen ist schließlich nicht mehr der basileus, sondern der archon eponymos, der dem Jahr den Namen gibt. Weitere acht Archonten sind für den Befehl im Krieg und für die Rechtsprechung zuständig. Seit 594 sind für sie mindestens 500 jährlich erwirtschaftete Scheffel Getreide Voraussetzung. Inzwischen werden sie von der Bürgerversammlung gewählt, die auch Gerichtshof und Gesetzgeber wird. Damit ist jener Weg eingeschlagen, der über die Isonomie in die Demokratie führen wird.

 

Das sogenannte archaische Hellas ist vor allem eine Welt von ihren Grund besitzenden freien Bauern, von denen ein Teil sogar etwas Überschüsse auf einen Markt bringen kann, und von denen ein kleiner Teil aristokratische Großgrundbesitzer sind, die andere für die Arbeit beschäftigen. Zu der Hauswirtschaft, der Ökonomie, gehört neben stark geschlechtlich definierter Arbeitsteilung der Hofinhaber freies Gesinde und gehören Sklaven, wenn man sich den Preis für einen von ihnen in der Höhe von dem für ein Gespann Ochsen leisten kann.

Hat solch ein Bauer die auf etwa 5 Hektar geschätzte Größe eines Betriebes inne, gehört er zu den Hopliten, schwerbewaffneten Fußsoldaten der Phalanx.

 

 

Aristokratie ist kein klar abgegrenzter Begriff und existiert in Hellas erst Ende des 5. Jahrhunderts (v.d.Zt.) als Herrschaft (enkrateia / kratos) der Besten, und zwar im Gegensatz zu dem nun ebenfalls gängigen Begriff Demokratie. In der deutschen Sprache taucht der Aristokrat erst im 16. Jahrhundert neben dem Wort für den Adel auf, für welchen das antike Hellas keine direkte Entsprechung hat.

 

Nach antik-hellenischer Auffassung ist Reichtum auf der Basis großen Grundbesitzes eine Voraussetzung für die "Besten", welche sich in entsprechend luxuriösem und vor allem müßigem Lebensstil darstellen, den auch größere Beiträge für die Gemeinde offenbaren, und zum anderen in einer kämpferisch-kriegerischen ("agonalen") Haltung, die sich in Athletentum äußert, was wir sinnvoller Weise mit Wettkämpfer und nicht missverständlich mit Sportler bezeichnen sollten, da es sich bei letzterem schon längst im späten Kapitalismus um Teil eines hochkapitalisierten Amüsiergewerbes handelt, nachdem Sport vorher das adelige Vergnügen der Jagd vor allem seit dem späten Mittelalter bedeutete. Die Art der (nur von Männern) betriebenen antik-griechischen Wettkämpfe weist dabei darauf hin, dass sie allesamt auf kriegerische Aktivitäten vorbereiten sollen, - so wie Sportveranstaltungen des späten Kapitalismus zum Amüsement auch das Phänomen eines Ersatzes für kriegerische Aggression bis in die Sprache hinein bieten.

Wettkampf (agon) in der eigenen Polis wird ergänzt durch den bei zentralen hellenischen (Adels)Spielen wie denen von Olympia und wie im lateinischen Mittelalter durch Verbrüderungen, Gastfreundschaften zwischen Aristokraten verschiedener Poleis. Man braucht wohl kaum darauf hinzuweisen, dass die hochkommerzialisierten Olympiaden des spätesten Kapitalismus, Teil einer gigantischen Amüsierindustrie, mit antik-griechischen Vorbildern längst nichts mehr zu tun haben.

 

Wettbewerb und Konkurrenzkampf beschreiben das Leben der "Besten" in der Polis bis hin zu bürgerkriegsartigen Konflikten zwischen Adelsfraktionen, welche mit der wohl schrittweisen Entmachtung des basileus noch zunehmen. Daneben charakterisiert die Wettkampfneigung hin zu kriegerischer Auseinandersetzung das Dasein der Poleis untereinander. Erobern, töten und versklaven gehören bald ebenso dazu wie bedenkenloses Exekutieren der Todesstrafe auch für Menschenmassen. Solche Gewalt bewegt von etwa 650 bis 500 zum Beispiel die Entwicklung in Athen und sie wird Kennzeichen des Verhältnisses griechischer Stadtstaaten bis zu ihrer Unterwerfung unter die römische Knute werden, einen inzwischen noch höher militarisierten und womöglich noch brutaleren Machtapparat.

Neben Raub- und Beutezügen betreiben manchmal vor allem jüngere "Adelige" auch Handel mit Überschüssen von ihren Ländereien gegen Luxusgüter, aber im wesentlichen sind mindergeachtete professionelle Händler dafür zuständig.

Gelegentlich gelingt es einer der vornehmen Familien, die Oberhand soweit zu gewinnen, dass sie eine Tyrannis errichten kann, die manchmal von breiten Teilen der Bevölkerung unterstützt wird, da sie Arbeit und Brot bei Bauprogrammen oder ähnlichem versprechen und die Konflikte unter mächtigen Familien unterdrückt.

 

Was die Polis-Oberschicht auf der anderen Seite auszeichnet, ist ähnlich wie später in "römischen" Städten die Bereitschaft, in erheblichem Umfang materiell zum städtischen Leben wie zum Krieg beizutragen, was Griechen damals Leiturgien nennen. So werden Kultgebäude und deren Ausschmückung, Feste, Wettkämpfe, Schiffe und ihre Ausstattung sowie vieles mehr von "Aristokraten" wie selbstverständlich gestiftet, betrachten sie doch die Polis als ihre ureigenste Sache.

 

 

Ein Sonderfall in Hellas wird Sparta. Im 10. Jahrhundert wandern Dorer im mittleren Eurotastal auf der Peloponnes ein, wo sie mehrere Dörfer unter zwei aus zwei Familien stammenden "Königen" (basileis) und einem Adelsrat (Gerusia) bilden, darunter eine Volksversammlung. Volk sind die Spartiaten, denen es gelingt, den Süden der Peloponnes zu erobern und die Unterworfenen (Heloten) einzelnen Kriegern als Arbeitssklaven auf deren Landlos zuzuordnen.

 

Um sie in Schach zu halten, müssen die Herren ihr Leben ganz auf Kriegsdienst als Hoplit in der Phalanx ausrichten. Die Grausamkeit dieses Militärs, welches sich eben zugleich als "Volk" versteht, äußert sich zum Beispiel darin, dass der junge Spartiat nach einer durchmilitarisierten Erziehung als Beweis seines Erwachsenenstatus einen Heloten rituell erjagen (töten) muss. Die Bedeutung dieses Militärs führt bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts zur Einschränkung der allerdings hier weiter erblichen Königsmacht und der Aufwertung der Volksversammlung (apella) dieser Krieger, die schließlich Gerusia und fünf Aufseher (Ephoren) wählen.

 

Vor dem Aufstieg Athens im Zuge der Perserkriege beherrschen die Spartiaten als einzige ein vergleichsweise riesiges Herrschaftsgebiet, dessen Einfluss sich als von den Historikern so genannter "Peloponnesischer Bund"  über große Teile der Halbinsel erstreckt. Da sie die Entwicklung von Polis-Zivilisationen nicht prägen werden, sei hier aber nicht näher darauf eingegangen.

 

 

Der hellenische Weg in die Demokratie: Athen

 

Vom alltäglichen Leben in der attischen Polis erfahren wir fast nur insoweit, als es die reichen Müßiggänger betrifft. Zu ihrem Müßiggang gehört die private Geselligkeit abends und die öffentliche vormittags auf der Agora, Herstellung von Öffentlichkeit, die noch keinen Warencharakter hat, aber diejenigen ausschließt, die tags arbeiten müssen und nachts zu den Symposien keinen Zugang bekommen.

 

Ein Spezifikum griechischer "Edler" ist die massive Reduzierung der Frauen auf das Haus und ihre starke Abwertung zum Beispiel im Erbrecht. Zu ihrem männlichen Körper"kult" mit seiner Nacktheit passt eine unübersehbare Tendenz in die Homo-Erotik und oft auch in die Pädophilie mit heranwachsenden Knaben, neben dem Wein und den Liedern, die Jugend, Jagd, Krieg und Wettkampf preisen, Teil der Gastmähler (Symposien).

Sind nicht die schönen Knaben auch Götter für uns, wird Anakreon in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts singen. Der der kleinen Oberschicht angehörende Reformer Solon schreibt nach seinem Engagement für die Polis: Nun sind die Werke erwünscht mir der Kyprisgeborenen, des Bakchos / Und der Musen, die frei machen der Männer Gemüt. Es geht dabei also um Wein (Bakchos), Weib (Aphrodite) und Gesang (Musen) auf hohem Konsumniveau, wobei das Weib auch durch Mann oder Knaben ergänzt werden kann: Die Arbeit der einen ist der Müßiggang und Luxus der anderen, so wie in allen Zivilisationen.

 

Griechische Frauen stehen ihr Leben lang unter der Vormundschaft erst des Vaters, dann des Ehemanns und gegebenfalls nach dessen Tod unter der des ältesten Sohnes. Idealtypisch, und wo genug Wohlstand vorhanden, ist die Frau für den Haushalt zuständig, für die Kinderaufzucht, die Beaufsichtigung von Gesinde und Sklaven wo vorhanden. Freie Zeit wird mit Tätigkeiten wie Spinnen und Weben gefüllt. 

Extreme Ungleichheit: Männer dürfen Ehebrecher, die sie mit ihrer Frau erwischen, sofort töten. Umgekehrt ist zumindest von der kleinen Oberschicht bekannt, dass hier (Ehe)Männer ein vielfältiges außereheliches Sexualleben führen. Die Reicheren pflegen in ihren Gastmählern Hetairen für erotische Anregungen oder aber sexuelle Dienste zu bezahlen, Prostitution (von Frauen für Männer) ist so üblich wie homoerotische Beziehungen und wohl auch ganz beziehungsloser Koitus. Knaben werden mit Geschenken und psychisch vermittelten Bindungen in mehr oder weniger sexuelle Beziehungen zu denjenigen Männern gebracht, deren Reichtum und aristokratische Lebensart ihnen solches ermöglicht.

Nach 520 treten auf Vasenmalerei immer drastischere sexuelle Szenen auf: "Drastischere Wiedergaben etwa all dessen, was Männer überkommt, wenn sie zu viel getrunken haben, vor allem aber die genaue Zeichnung von vielgestaltigen erotischen Annäherungen, teilweise einem (...) voyeuristisch beobachteten Zusammensein zwischen Männern und Hetären; zu zweit und zu mehreren" (...  Meier, S.260)

 

Ursprung dieser weiten sexuellen Spielräume der Männer ist wohl der Polis-Kern einer rein maskulinen Kriegerwelt, in Sparta noch viel ausgeprägter als in Athen. Die auf Kriegertum orientierte exklusive Männerwelt mit ihrem Athletentum und ihrer Gewalttätigkeit erhält als extremen Gegenpart eben eine lustvolle Genusssphäre aus Alkohol, offener Erotik und sexueller Libertinage.

 

 

Im Konflikt der Adelsparteien gelingt es gelegentlich einer der vornehmen Familien in Athen, aus den Sphären eben, von denen wir am ehesten etwas erfahren, die Oberhand soweit zu gewinnen, dass sie eine Tyrannis errichten kann. In Korinth schafft es die Familie der Kypseliden sogar, eine Tyrannis über drei Generationen inne zu haben. Oft bleiben die Institutionen der Polis dabei intakt, die Tyrannen besetzen davon nur eine Schlüsselposition wie den eponymen Archon in Athen.

Vorteil einer Tyrannis für die arbeitende Bevölkerung ist das Fernbleiben von Gewalt in der Polis, da Tyrannen die Konflikte unter mächtigen Familien zugunsten eines von oben erzwungenen Friedens unterdrücken, und indem sie oft auch "Wirtschaftsförderung" durch Förderung des Handels und der öffentlichen Bautätigkeit betreiben.  Für den "Adel" andererseits bedeutet es eine gewisse Einschränkung ihrer Macht, weswegen wohl alleine sie mit einem Freiheitsbegriff dagegen antreten.

 

Die wohl im wesentlichen aristokratische Gewalttätigkeit in der attischen Polis hat offenbar um 621 ähnlich wie in anderen hellenischen Poleis ein solches Ausmaß angenommen, dass ein Mann namens Drakon mit der Kodifizierung des Rechtes beauftragt wird. Um die Blutrache einzudämmen, darf sie nun nur noch durch ein Gericht legitimiert stattfinden, wofür das der 51 Epheten geschaffen wird, die nun auf neuartige Weise, mittels Stimmsteinen, abstimmen.

Wie grausam solche aristokratischen Parteienkämpfe sein können, wird aus dem Milet des 6. Jahrhunderts berichtet:

"Als die aufständische Unterschicht einmal die Oberhand gewonnen hatte, vertrieb sie die Reichen und ließ deren Kinder auf den Tennen durch Rinder zerstrampeln. Nachdem die Reichen ihre Rückkehr erzwungen hatten, bestrichen sie alle Gegner, derer sie habhaft werden konnten, samt den Kindern mit Pech und zündeten sie an." (Meier, S.53) Die sogenannte Antike ist nicht zuletzt eine Aneinanderreihung extremer Greueltaten.

 

 

Die bäuerlichen Betriebe streben zunächst nach Autarkie und stellen ihre Gerätschaften weithin selbst her, was nur wenig spezialisiertes Handwerk zulässt.

Der Prozess der Zivilisierung hat um 600 die erheblich angewachsene attische Bevölkerung in eine Mehrheit Ärmerer, der Theten oder Knechte, in eine Gruppe von Zeugiten, die Besitzer eines Ochsengespannes oder ähnlicher Werte sind, und die vornehmen und arbeitsscheuen Pferdebesitzer, die hippeis, gespalten. Dem entspricht ihre militärische Einteilung in Reiter, Hopliten und Leichtbewaffnete bzw. Wehrunfähige.

Die Tendenz geht inzwischen zu mehr Besitz bei wenigen und immer höherer Verschuldung bei vielen bis hin in die Schuldsklaverei. "Um 600 v.Chr. gibt das detaillierte Nachbarschaftsrecht der solonischen Gesetze zu erkennen, dass es Streit um jeden Quadratzentimer Boden gibt" (Bringmann(2), S.125).

"Altersschwachen Eltern wurde die Nahrung verweigert, unverheiratete Schwestern und Töchter, die nicht verheiratet werden konnten, wurden in ein Bordell vermietet, oder man nahm die eigene Schwester zur Frau, damit nicht zusätzlich eine Frau aus fremder Familie ernährt werden musste." Das Heiratsalter geht hoch und die homosexuellen Beziehungen nehmen zu. (Bringmann(2), S.126)

 

Neben den Konflikten von Adelsfamilien untereinander kommt es jetzt zu Unruhen aufgrund der Verarmung von vielen durch Überbevölkerung und Realteilung nach hellenischem Recht. Um nicht zu verhungern nehmen verarmende Bauern Kredite bei reichen Grundbesitzern auf und verschulden sich dabei immer mehr, wodurch sie am Ende in der Schuldsklaverei landen können. Damit wird auch die Kriegsfähigkeit der Polis-Gemeinde stärker gefährdet, wenn sie sich nun nur noch wenige Hopliten leisten kann.

 

Mit Solons Beauftragung zur Friedensstiftung und Durchsetzung eines Schuldenerlasses zu Ungunsten der reichen Gläubiger wird das Gemeindeinteresse nun an einem Punkt über das individuelle der Wohlhabenden gestellt, die das alles dann ja wohl bezahlen müssen. Damit soll sicher auch verhindert werden, dass ein Tyrann sich mit Unterstützung der Armen oder unter Verweis auf sie erheben kann.

In Zukunft soll ein Bauer bei Verschuldung nicht mehr mit seiner Person haften müssen. Die Ernährung der Polis soll vorläufig dadurch gesichert werden, dass keine Nahrungsmittel außer dem Olivenöl mehr ausgeführt werden dürfen. Der Grunderwerb soll begrenzt werden (Meier). Umfangreiche Gesetze sollen Konflikte unter den ärmeren Bauern verhindern.

Sie betreffen "heimliches Verrücken von Grenzsteinen, Beackern und Bebauen eines fremden Grundstückes, widerrechtliches Abweiden, Aneignung fremder Bienenschwärme, Schädigung des Nachbarn durch Feldfeuer, Einhaltung von Grenzabständen, Recht zur Wasserentnahme, Regenwasserschäden, Brunnenverunreinigung und Wegerechr beim Einbringen der Ernte." (Bringmann(2), S,216)

 

Der Entwicklung einer wachsenden Schere zwischen arm und reich zollt Solon auch Rechnung, indem er über die Reiter die Fünfhundertscheffler als Superreiche setzt, für die er die Archontenämter reserviert, bis sie bald danach auch für die hippeis (Reiter/Ritter), die Dreihundertscheffler geöffnet werden. Darunter bilden die Zeugiten die Hopliten-Phalanx. Die ärmeren Theten bleiben von allen Ämtern ausgeschlossen, besitzen aber weiter Stimmrecht in der ekklesia und dienen als Leichtbewaffnete. Mit der Bindung von Ämtern an den Zensus werden sie wenigstens der traditionellen Zugehörigkeit zu mächtigen Familien entzogen.

 

Vor allem setzt mit den solonischen Reformen ein rationalerer Diskurs um das Gemeinwesen ein, in dem die Götter nicht mehr Ursache eines (damals) drohenden Unterganges der Stadt sind, sondern menschliche Unvernunft, die immer hemmungslosere Gier nach Reichtum. In einem solonischen Text heißt es denn auch: Habt ihr jetzt Trübsal zu leiden durch Schlechtigkeit eures Verhaltens, / Führt auf die Götter nicht davon das Schicksal zurück. (in: Bringmann(2), S.229)

 

Erfolgreiche Zivilisationen müssen sich nach einiger Zeit mit dem Problem der Bevölkerungsvermehrung bis hin zur Überbevölkerung befassen. Letztere ist erreicht, wenn das Land die Bevölkerung nicht mehr direkt ernähren kann. Im sechsten Jahrhundert ist es auch in Athen so weit, und es braucht nun Produktion für den Export und dann Import von Nahrungsmitteln, das heißt mehr Handel. Entsprechend aggressiv wird der Expansionsdrang Athens, welches Stützpunkte auf dem Weg ins Schwarze Meer sucht, was nur mit kriegerischer Gewalt geht. Auf der anderen Seite soll Salamis für den Weg nach Westen erobert werden. Beides geht dann der Tyrann Peisistratos an.

 

 

Um 560 eskaliert in Athen offenbar ein Machtkonflikt zwischen drei "Adels"gruppen, aus dem zunächst Peisistratos wohl mit Unterstützung ärmerer Bauern als Sieger hervorgeht, bevor er von seinen Gegnern Lykurg und dem Alkmeoniden Megakles gestürzt wird. Nachdem er kurz erneut an die Macht kommt, muss er fliehen und sammelt Reichtümer aus der Ausbeutung von Edelmetallvorkommen im Pangaiongebirge, was ihm die Möglichkeit gewährt, Söldner anzuwerben. Der gewalttätige Charakter der griechischen Zivilisation hatte schon seit längerem dazu geführt, dass sich Söldnertum hier ausgebreitet hatte, von dem auch ägyptische Pharaonen profitierten. Reiche Magnaten in Hellas bedienen sich längst ebenfalls dieser Leute, die in organisierter Form für Geld kämpfen und töten.

 

Es gelingt ihm dann 546, bis zu seinem Tod 528 eine dauerhaftere Tyrannis zu errichten, wobei die Gesetze und Institutionen von Athen erhalten bleiben, er allerdings über die Personen der Archontenämter bestimmt. Die Häupter der Familie der Alkmeoniden werden verbannt. Zustimmung erhält er wohl, weil er eine innere Friedenszeit gewährt, Bauten initiiert, die Wasserversorgung verbessert, und sicher auch über die Ausweitung des religiös fundierten Unterhaltungsprogramms mit seinen Festtagen: Panathenäen, andere Prozessionen, Einführung der Großen Dionysien mit ihren Theater-Wettbewerben. "Das schuf eine Gemeinsamkeit, ein Gegengewicht gegen viele von der Aristokratie beherrschte Lokalkulte." (Meier, S.92)

 

Nach seinem Tod nehmen seine Söhne seine Position ein, bis der eine in einer homoerotischen Verwicklung ermordet wird, was seine Mörder bald zu Freiheitshelden macht, und der andere auf Betreiben des Kleisthenes aus der reichen Alkmeonidenfamilie von einer spartanischen Expedition 510 vertrieben wird. Wie sehr Geld nun eine Rolle spielt, erweist sich daran, dass große Zuwendungen dieser Familie an das Heiligtum von Delphi dort für die antityrannische Fraktion günstige Orakelsprüche erzielen.

 

Die Beseitigung des Tyrannen entspricht vor allem den Interessen der reichen Oberschicht und das Ergebnis ist, dass die Kämpfe der Adelsfraktionen nun unbehindert erneut aufflackern.

Die zwei wichtigsten Adelsgruppen werden vom Alkmeoniden Kleisthenes und von Isagoras angeführt. Nachdem Isagoras bei der Archonten-Wahl gewinnt, gelingt es Kleisthenes, wie Herodot das ausdrückt, den demos mit Versprechungen, wohl seiner Phylenreform, auf seine Seite zu ziehen, also vor allem jenes Drittel der attischen Bürgerschaft, welches wohl öfter wegen der Stadtnähe in der Volksversammlung auftaucht. Isagoras kann sich spartanische militärische Unterstützung sichern und es tobt offenbar mehrere Jahre ein Bürgerkrieg, in dem er wohl eine Oligarchie durchsetzen möchte. Am Ende kann er selbst fliehen, während viele seiner Anhänger hingerichtet werden.

 

Der attische Demos bestand bislang aus unterschiedlich großen lokalen Bürgerschaften, die eigene Kulte mit ihren Festen haben, und einer Art Gemeindeversammlung. Hier werden die Bürgerlisten geführt.

Diese werden nun "als lokale Selbstverwaltungseinheiten mit eigenen Versammlungen, eigenen Gemeindekassen und Finanzbeamten, eigenen Kulten und Priestern und einem jährlich neu zu wählenden Vorsteher (demarchos)" konstituiert. Hier werden bald "die Kandidaten für die Besetzung der höchsten Ämter der Polis und später auch die Richter für die zentralen Gerichtshöfe bestellt." (Stein-Hölkeskamp, S.270f)

Diese Demen werden nun 30 "Dritteln", Trittyen zugeordnet, von denen jeweils 10 zu einer der drei Landschaften Attikas gehören, die vielleicht nun genauer abgegrenzt werden. Daraus wiederum werden 10 Phylen so gebildet, dass ihnen Bürger aus allen drei Landschaften angehören. Jede Phyle stellt dann etwa 1000 schwerbewaffnete Hopliten und einige Reiterkrieger, jeweils angeführt von einem jährlich neu gewählten Strategen.

Zudem ist jede Phyle mit 50 ausgelosten bouleutai aus Kandidatenlisten ihrer Demen in einem neuen Rat der Fünfhundert, der die Arbeit der Volksversammlung (ekklesia) vorzubereiten hat, für jeweils ein Jahr vertreten. Da diese ständig wechseln, haben relativ viele Athener die Möglichkeit, dort einmal zu agieren. Ein Zehntel der Räte aus jeweils einer Phyle ist für ein Zehntel des Jahres geschäftsführend in Athen präsent.

 

"Die regionalen Machtbasen der großen Adelsgeschlechter wurden zerschlagen und die Bürgerschaft neu gemischt. Ein Adeliger hatte nun, anders als Peisistratos, keine Chance mehr, auf seine regionale Gefolgschaft gestützt, die Macht zu ergreifen oder seine Wahl zum eponymen Archonten durchzusetzen. Er konnte dies um so weniger, als mit der Schöpfung des Rates der Fünfhundert (fünfzig Ratsherren aus jeder Phyle) die Volksversammlung einen geschäftsführenden Ausschuss erhielt, der (...) den Widerstand der Mehrheit des Volkes zu organisieren in der Lage war.(...) An die Stelle von Wettbewerb um die Errichtung einer Tyrannis trat die institutionell gesicherte Befugnis der mit einem geschäftsführenden Ausschuss versehenen Versammlung des Gesamtvolkes, die Magistrate zu wählen und Beschlüsse mit bindender Kraft zu fassen." (Bringmann(2), S.242) 

 

Damit und mit der zumindest gleichmäßigeren Verteilung der Ämter über ganz Attika wird Athen auf den Weg von einer Adels-Gesellschaft zu einer "Bürger"-Gemeinde gebracht. Dabei sind Adel und Bürger etwas anderes als das, was sich im lateinischen Mittelalter entwickeln wird, die Politen sind eher Staatsbürger als dass sie mittelalterliche Bürgerlichkeit bedeuten. Andererseits passt ein moderner, nachmittelalterlicher Staatsbegriff auch nicht auf die sich entwickelnde Gemeinde als Personenverband der Bürger politischen Rechtes (ohne fremde Zugewanderte, Sklaven und Frauen).

 

Die Strukturreform der Bürgerschaft lässt die alten Ämter bestehen, sowohl das Archontat wie den Areopag, ergänzt sie nun nur durch die zehn Strategen der Phylenaufgebote. Der Bedeutung der Volksversammlung wird Rechnung getragen durch den Bau der Pnyx oberhalb der Agora als neuer Versammlungsort für circa 6000 Menschen.

 

Das, was nun Isonomie, in etwa "Rechtsgleichheit", genannt wird, ist für Kleisthenes und seine Familie Mittel im Machtkampf mit Isagoras. Die Ausweitung der Möglichkeiten der Partizipation von immer weiteren Kreisen am "politischen" Geschehen in der Polis wird dann um 450/430 an einen Punkt führen, an dem das Wort Demokratie - nicht zuletzt als Schimpfwort - erfunden werden wird. Dabei ist darauf zu verweisen, dass solche Demokratien im antiken Hellas ohnehin eher die Ausnahme als die Regel bleiben werden.

 

Voraussetzung für diese Entwicklung ist der Aufstieg Athens zu einer Hegemonialmacht im Raum der Ägäis. Dafür muss man noch einmal etwas früher ansetzen, beim Reich lydischer Herren in Kleinasien, die immer wieder versuchen, die ionischen Städte dort zu Tributzahlungen zu zwingen. Schon im 7. Jahrhundert gibt es dort Münzen, im 6. sogar beidseitige.

 

Zwischen 559 und 530 erobert ein aufstrebendes Perserreich das Lyderreich in Anatolien. Ab 547 kontrollieren die persischen Herrscher vermittels Satrapen und Tyrannen vor Ort die kleinasiatischen Griechenstädte, die Tribute zahlen und Heereskontingente stellen müssen, ansonsten aber ihre inneren Angelegenheiten selbst regeln können. 

Am Ende unterwerfen sich auch östliche ionische Ägäis-Inseln den persischen Herrschern. 539 wird Babylonien besiegt und 525 wird auch Ägypten erobert. In dem relativ toleranten Großreich können die jüdischen Exilanten, soweit sie noch möchten, aus Babylon zurückkehren.

Um 520 reicht die Herrschaft des Dareios von der Ägäis bis Afghanistan und vom Schwarzen Meer über Thrakien bis über ganz Ägypten und bald dann auch bis an den Indus und in die Kyrenaika.

 

500/ 499 entwickelt sich unter den ionischen Städten eine Aufstandsbewegung, die mit der Absetzung der Tyrannen beginnt und welche vor allem von Athen unterstützt wird. 494 scheitert sie in der Seeschlacht von Lade. Nach der Eroberung von Milet werden dort die Frauen und Kinder versklavt und die überlebenden Männer an die Tigrismündung deportiert. Das ist allerdings nicht härter als Griechenstädte oft selbst miteinander umgehen. Und der Perserherrscher verzichtet bald auf die Etablierung von Tyrannen und lässt Isonomie in den rückeroberten griechischen Poleis zu.

 

Themistokles setzt die Befestigung des Hafens von Athen durch. Da viele festlands- und inselgriechische Städte sich weigern, sich dem Persermonarchen zu unterwerfen, lässt dieser einen großen Eroberungszug durchführen, der gegen  Eretria mit nun erheblicher Brutalität erfolgreich ist. Zwischen 490 und 479 kommt es dann zu den bekannten erfolgreichen Abwehrschlachten unter Sparta und insbesondere Athen (Miltiades, Themistokles), wobei die Stadt Athen, die mehrmals verwüstet wird, besondere Opfer leistet.

482 beschließt die athenische Volksversammlung wohl auf Betreiben des Themistokles die fast Verdreifachung der Kriegsflotte, was mit Erträgen aus dem Silberabbau des Laureion-Gebirges finanziert werden soll. Die Erfolge dieser Flotte gegen die Perser verändern auch die innergriechischen Machtverhältnisse.

 

Während die Spartaner sich wieder auf ihre peloponnesischen Interessen konzentrieren, bieten sich die Athener als Führungsmacht im weiteren Kampf gegen die Perser an und schaffen zahlreiche bilaterale Bündnisse mit weit verstreuten Poleis, die sich im Laufe der Zeit auf rund 200 steigern. Offizielles Ziel ist die Befreiung der griechischen Poleis in Kleinasien. Um 477 wird daraus der von Historikern später so genannte attisch-delische Seebund mit einer Bundesversammlung auf Delos. Mit deren Hilfe werden Siege gegen persisches Militär und eine deutliche Ausweitung des athenischen Machtbereichs erreicht. Da die meisten Bündner keine Schiffe, sondern Geld (und Hopliten) stellen, welches von Athen verwaltet wird, sind sie bald der Hegemonialmacht ausgeliefert, die immer reicher und mächtiger wird und die verbündeten Poleis für ihre Interessen stärker als Sparta seine peloponnesischen Bundesgenossen instrumentalisiert. Erste Verbündete der Perser und Gegner Athens werden besiegt, und die Bevölkerung wird versklavt. 479 fällt Naxos ab und wird erobert, - und wie Thukydides schreibt, "unterjocht". Rund zehn Jahre später gehen die Perserkriege zu Ende, was Athen nicht daran hindert, die "Bundesgenossen" weiter unter ihrer Knute zu halten.

 

Das was Historiker heute als "Demokratisierung" Athens bezeichnen, ist ein Prozess über ein halbes Jahrhundert, den letztlich die zu Untergebenen absteigenden ionischen Städte bezahlen müssen, so wie "Demokratie" als politische Form eines hohen Niveaus an Warenkonsum im 20. Jahrhundert durch die postkolonialen Niedriglohn-Länder finanziert werden wird.

 

Dieser Prozess der "Demokratisierung" im 5. Jahrhundert hat bis zum Ende des Perikles weiterhin vor allem mit Machtkonflikten unterschiedlicher Adelsgruppen zu tun, wie mit dem zwischen Kimon, der sich wohl auf den immer noch wichtigen Areopag stützt, und den antispartanischen Ephialtes und Perikles, was in der Entmachtung des Areopags durch einen Beschluss der Volksversammlung kulminiert.

Schon vorher war den Archonten (die nachher den Areopag bilden) viel Einfluss entzogen worden, indem man sie nun nicht mehr wählt und nur noch auf ein Jahr beruft. Zudem können sie nun aus dem Kreis aller derer ausgelost werden, die sich das Amt leisten können. Damit wird nicht zuletzt dem eponymen (das Jahr benennenden) Archontat seine bisherige Bedeutung genommen, mit der es Peisistratos, Miltiades und Themistokles besetzt hatten. Demokratisierung bleibt wesentlich ein Mittel im Parteienstreit der Oberschicht Athens.

 

"Künftig sollte also ein jährlich zu hundert Prozent auszuwechselnder Rat aus Männern primär der Mittelschicht und daneben Volksversammlung und -gericht die allein wichtigen Entscheidungsorgane sein. Keine Autorität sollte mehr in den Beratungen von Rat und Volksversammlung die Richtung vorgeben. Auch waren die Beamten künftig dem Volk, nicht mehr dem Areopag gegenüber rechenschaftspflichtig" (..., Meier, S.339, man muss natürlich Volk hier überall durch Bürger ersetzen, denn die große Mehrheit der Bevölkerung Athens hat dabei nichts zu sagen).

 

Diese Abwertung der Magistrate gilt nur für das neue Amt der Strategen und das alte des Schatzmeisters des Athene-Heiligtums nicht, wobei erstere insbesondere dann großes Renomée gewinnen, wenn sie in kriegerischen Aktionen erfolgreich sind.

 

Bei vielleicht 35 000 Polit-Bürgern unter vielleicht 250 000 Einwohnern können sehr viele durch mehrstufige Losverfahren in die vielen, manchmal mit hunderten von Menschen besetzten Gerichtshöfe berufen werden, die, nachdem für die Sitzungen Diäten eingeführt sind, auch für die ärmere Mehrheit attraktiv werden. Aber hier wie auch in der Volksversammlung können rhetorisch geschickte Demagogen die unzulängliche Qualifikation des "Volkes" für wichtige Entscheidungen ausnutzen.

 

Demokratie heißt schon damals nicht, dass "das Volk herrscht", eine ohnehin skurrile Vorstellung, es herrscht auch nicht jene Minderheit der attischen Bevölkerung, die das Bürgerrecht besitzt, von dem Frauen, zudem im 5. Jahrhundert rund 40 000 Fremde und etwa 100 000 Sklaven ausgeschlossen sind, sondern die Herrschaft geht von den Politen nur aus und landet bis in den peloponnesischen Krieg hinein im wesentlichen in den Händen weniger reicher und mächtiger Familien mit aristokratischem Lebensstil.

Diese Familien sind allerdings auch zu jener Großzügigkeit praktisch verpflichtet, mit der sie einen erheblichen finanziellen Beitrag für das Gemeinwesen leisten: Zum Beispiel die Finanzierung der eigenen Olympioniken, der Theateraufführungen, also von Wettkämpfen, deren Preise entsprechend auch an die Finanziers vergeben werden, und die Ausstattung samt Kommando eines Kriegsschiffes.

 

Die Beteiligung an der Polis und der ekklesia ("Volks"versammlung) nimmt in dem Maße ab, in dem arbeitende Bevölkerung von der Kernstadt mit ihren Institutionen entfernt lebt, und auch in dem Maße, in dem Leute sich eher um ihren Bauernhof oder ihr Handwerk kümmern, als sich Zeit für Politik zu nehmen. Erstaunlich ist dennoch das hohe Engagement vieler Bürger, heutzutage unvorstellbar.

Immerhin eines ist eine enorme und für heutige Bewohner der BRD zum Beispiel kaum vorstellbare Leistung: Nicht nur 50 ein Zehnteljahr nahe der Agora zusammenlebende Prytanen, sondern 500 Ratsmänner und gar mehrere tausend Bürger der Volksversammlung schaffen die Disziplin, zusammen einigermaßen friedlich zu beratschlagen, aufeinander zu hören und beschlussfähig zu bleiben. Und ein zweites fällt auf: Es muss unter den vielen, die in Ämter und Gerichte gelost oder in der großen Versammlung anwesend sind, ein gewisses Maß an Kenntnissen und Fähigkeiten vorhanden sein, damit der ganze Apparat überhaupt einigermaßen funktioniert. All das wird für die meisten nicht durch Schulen, Bücher oder andere Medien gewährt, sondern in der Familie und der wirklichen (nicht medialen) Öffentlichkeit vermittelt: "Nicht nur, dass jeder für nahezu jedes Amt geeignet sein sollte, er musste es sogar auf Anhieb sein." (Meier, S.485)

 

Tatsächlich wird das Wesen der attischen Demokratie des 5. Jahrhunderts vor allem daran deutlich, dass sie von einzelnen Protagonisten der reichen und mächtigen Oberschicht eingeführt wurde, und zwar um zwei Dinge vor allem miteinander zu verbinden: Nicht mehr die Waffen, sondern die Volksversammlung und andere Institutionen sollten die Konflikte zwischen "Adels"fraktionen entscheiden, diese sollen sozusagen politisiert werden, und zugleich sind Institutionen von überwiegend wohl an Kenntnissen und Urteilsvermögen armen Politen durch rhetorische Mittel und Korrumpierung leicht für professionellere Politiker und andere Demagogen beeinflussbar, die bis in den peloponnesischen Krieg hinein dann auch die Oberhand behalten. Entsprechend kritisch sieht Thukydides den Einfluss "der Masse" bzw. "des Volkes".

Die klassisch aristokratische Position vertritt der sogenannte Pseudo-Xenophon:

Es gilt aber wirklich für jedes Land, dass das bessere Element Gegner der Volksherrschaft ist; denn bei den Besseren ist Zuchtlosigkeit und Ungerechtigkeit am geringsten, gewissenhafter Eifer für das Gute und Edle am größten, beim Volke aber Mangel an Bildung und Selbstzucht am größten und Gemeinheit; denn die Armut verleitet sie viel eher zur Schlechtigkeit wie auch der Mangel an Erziehung und Bildung - seinerseits bedingt dadurch, dass es manchen Leuten an Bildung gebricht. (Athenaion Politeia)

 

 

All das wird zusammen mit den Poleis verschwinden und schon in Rom als Stadt und Reich wird solche Partizipation der produktiven Sektoren der Bevölkerung nicht mehr stattfinden. Sie wird historisch einzigartig bleiben, aber den Rahmen für eine Diskurs-Zivilisation schaffen, in der Philosophieren nie dagewesene Räume und Horizonte herstellt und in seinen Texten immerhin Gedankengänge für die wenigen möglich macht, die ihnen bis heute folgen wollen und können. Im lateinischen Abendland aufgehoben, wird sie beteiligt sein am Weg in den Kapitalismus, dessen befreiende Wirkung (ein Teil ihrer Ambivalenz) bis nach den Amerikas, Australien und anderen Gegenden der Erde reicht und zeitlich bis in das 18./19. Jahrhundert, um spätestens im 20. dann fast zur Gänze unterzugehen.

 

Das Wort Demokratie taucht in der politischen Propaganda des 18./19. Jahrhunderts wieder auf, ohne dass man damals viel von der Funktionsweise des attischen "Vorbildes" weiß. An die Stelle wirklicher Partizipation tritt nun die fast absolute Unterwerfung der Untertanen unter ein Staatswesen, wobei ihnen "politisch" nur die gelegentliche Abgabe von Zetteln bleibt, auf denen man ankreuzen kann, welche Anführer diverser politischer Organisationen für einige Zeit die "politische" Macht ausüben sollen.

 

Erst im 17./18. Jahrhundert taucht die "Politik" in der deutschen Sprache auf und

das Wort erhält auch erst jetzt die Bedeutung, die hierarchisch definierten Entscheidungen im Staat durch professionalisierte Staatsmänner zu bezeichnen. Es ist aus dem Französischen entlehnt, welches es aus dem Griechischen (ta politiká) übernommen hat. Politik im antiken Hellas meinte hingegen das Verwalten der gemeinstädtischen Angelegenheiten durch nicht professionalisierte Bürger.

In der attischen Polis zum Beispiel, wie Christian Meier schreibt, "nimmt Solon den Bezirk des Politischen heraus aus der ihn umgebenden Natur, in der Zeus jetzt nach andern Gesetzen Wetter macht. (...) So begegnet hier erstmals der Gedanke der Verantwortung der Bürger für die Stadt." (Meier, S.73) Diese ist dem Staats"bürger" heutiger "Demokratien" zur Gänze genommen und durch Untertänigkeit fast vollständig ersetzt.

 

Politik einfach, wie das oft geschieht, mit Machtausübung gleichzusetzen nähme dem Wort seine eigentliche Bedeutung, vielmehr wird das Politische erst in den attischen Poleis, und nicht nur von seiner sprachlichen Wurzel her, entwickelt. Es macht hier Sinn, indem sich Gemeinde von persönlicher Herrschaft löst und überhaupt so erst entsteht. Das funktioniert nur in überschaubaren Gemeinden, Städten vor allem, wie schon Aristoteles feststellt, und nur dort, wo persönliche Herrschaft nicht durch Staatlichkeit abgelöst wird. Der professionalisierte sogenannte "Politiker" von heute, der in einem Staatsapparat manövriert, ist hingegen etwas anderes.

 

 

Einen Staatsbegriff wie den der letzten abendländischen Jahrhunderte kennen die antiken Griechen so wenig wie die Römer, denn das ist ein wesentlich neueres Konzept.

Nach dem Mittelalter hatte sich aus dem lateinischen status der italienische stato entwickelt, eine Form verfasster Macht. Der französische état bezeichnete dann zusätzlich den Haushalt des Machthabers und seine Hofhaltung. Erst mit der gedanklichen Lösung des auf Macht beruhenden Gebildes von der Person des Herrschers bzw. seiner Dynastie entsteht die vor allem politisch verstandene Staatlichkeit als eigenständige Vorstellung. Im später von Historikern so bezeichneten Nationalstaat entwickeln Hobbes und Locke zwei sehr unterschiedliche Vorstellungen solcher (moderner) Staatlichkeit, eine realistische und eine idealistische, um das vereinfacht so zu sagen. Die letztere, besser geeignet zum Verschleiern sowohl der Machtverhältnisse wie insbesondere der Unterordnung unter Kapitalinteresse, wird sich durchsetzen.

 

Polis ist die Stadt als Gemeinde, was etwas völlig anderes als Gemeinde heute meint. Politeia ist die Summe dessen, womit Polis-Bürger ihre Gemeinde betreiben, die aktive Bürgerschaft, abstrakt betrachtet ihre Verfasstheit oder Verfassung. In etwa meinen die antiken Römer das mit den aber anders gedachten res publica, den öffentlichen Angelegenheiten. Ein Staat, der den Bürgern als Apparat, gar als bürokratischer wie heutzutage, gegenübertritt, ist damit ganz und gar nicht nicht gemeint, auch wenn die attische Politeia Zwangsmittel gegen die besitzt, die als Ungläubige angesehen werden wie Sokrates, oder welche anderweitig Gesetzen nicht gehorchen.

 

Um 330 heißt es in der 'Athenaion Politeia' des Aristoteles:

Daraus geht nun klar hervor, dass die Polis zu den von Natur aus bestehenden Dingen gehört und dass der Mensch von Natur aus ein zóon politikón ist (...) Denn das ist im Gegensatz zu den anderen Lebewesen den Menschen eigentümlich, dass nur sie allein über die Wahrnehmung des Guten und des Schlechten, des Gerechten und des Ungerechten und anderer solcher Begriffe verfügt. Doch die Gemeinschaft mit diesen Begriffen schafft oikos und politeia.

Wiewohl immer noch gerne von den entsprechenden Leuten zitiert, ist "der Mensch" von Natur aus kein politisches (Polis bildendes), sondern von Kultur aus ein Gemeinschaft und Gesellschaften bildendes Wesen, also etwas ganz anderes. Und es ist natürlich Unfug, vom abstrakten Pseudo-Begriff moralisierender Art auf eine entsprechende Wirklichkeit irgendwo zu schließen, sind solche "Begriffe" doch nur dazu da, Wahrnehmen und Begreifen zu behindern.

 

Der Sonderfall der "demokratischen" Polis des 5./4. Jahrhunderts beruht, wie Aristoteles feststellt, in der Überschaubarkeit der Stadt. Mitte des 5. Jahrhunderts ist die attische Politeia der Verband von etwa 40 000 (männlichen) "Bürgern", wie sie hier notdürftig mit einem mittelalterlichen bzw. recht andersartigen neuzeitlichen Wort bezeichnet werden sollen. Etwa ein Drittel von ihnen lebt in dem zentralen Stadtkern, der Rest auf dem Land. Wiewohl alle Bürger sich beteiligen können, sind doch alltäglich nur vielleicht 5000-10 000 beteiligt.

 

Mit Familien, 15 000 "Fremden" (Metöken) und deren Familien und vielleicht   40 000 Sklaven könnten in der Stadt aber an die 140 000 Menschen gelebt haben, was nur auf engem Raum und in beengten Verhältnissen möglich ist. Zusammen mit Tieren, Dreck und Lärm dürfte oberflächlich manches an spätmittelalterliche Städte im lateinischen Abendland erinnert haben. 

Hier sind Handwerk und Läden, Badehäuser und Bordelle, Gymnasien und Palästren, die Agora mit den kultischen und politischen Gebäuden und die Akropolis mit den hohen Heiligtümern. Zusätzlich zu den Vergnügungen der Wohlhabenden gibt es ein immer umfangreicheres Festprogramm für alle, welches Kult und Unterhaltung für die ganze Gemeinde verbindet und deren Zusammenhalt stärkt. Zentral sind die Panathenäen, die Dionysien mit ihrem Theaterprogramm, zahlreiche Opferkulte und Prozessionen, die eleusinischen Feiern.

 

*****

 

Das attische Hegemonialreich konkurriert unter den "Demokraten" immer mehr mit dem spartanischen, während es zugleich fast imperiale Gewaltpolitik betreibt. Konflikte um Argos, Korinth und Megara fordern ebenso wie kriegerische Konflikte anderswo immer mehr Menschenleben und destabilisieren den Großraum. Schließlich baut Athen die langen Mauern zu seinen Häfen.

Das Archontat wird auch den weniger wohlhabenden Zeugiten zugänglich. Der Rat der 500, einige Ämter und die zahlreichen Geschworenen erhalten inzwischen Diäten, Gelder, die den Lebensunterhalt für den Tag decken. Bald danach wird Ägina erobert und in den Seebund gezwungen, dessen Kasse nun von Delos nach Athen verlegt wird. 449 kommt es zum Kalliasfrieden mit den Persern. Unter Perikles wird der Seebund immer ungenierter athenischen Interessen untergeordnet. Athen knüpft mit der 12 Meter hohen vergoldeten Athenestatue im neu aus kostbarem Marmor erbauten Parthenon an die Verachtung jeden menschlichen Maßes in den orientalischen Despotien an. 446 wird ein Frieden mit Sparta geschlossen, der einen kommenden Krieg nur noch verschiebt.

 

Der Weg Athens in den sogenannten peloponnesischen Krieg zwischen 431 und 404 hat viel damit zu tun, dass der sogenannte attische Seebund, also die athenische Hegemonie, nur erhalten bleibt, wenn Athen direkt und indirekt diese Vormachtstellung auch gegen Sparta behauptet, welches sich genau durch sie bedroht fühlt.

Dabei belegen die Griechen weiter, dass die Verehrung, die man ihrer antiken Version seit Winckelmann ("edle Einfalt, stille Größe" usw.) entgegen bringt, mehr einem Missverstehen ihrer plastischen Kunstwerke als irgendeiner Wirklichkeit jenseits davon geschuldet ist.

Griechisches Militär beraubt griechische Städte, mordet massenhaft Zivilbevölkerung dort, verstümmelt Menschen und verkauft sie massenhaft in die Sklaverei. Ländereien werden verwüstet, Ernten werden geraubt, es wird fleißig gebrandschatzt und sicherlich auch vergewaltigt, auch wenn damals dazu meist in den Texten der Vornehmen geschwiegen wird. Das zivilisierte Raubtier Mensch beweist auch hier seine Grauenhaftigkeit, sobald es dazu die Erlaubnis und die Gelegenheit bekommt.

 

So brach in ständigem Aufruhr viel Schweres über die Städte herein, wie es zwar geschieht und immer wieder sein wird, solange Menschenwesen sich gleichbleibt, aber doch schlimmer oder harmloser und in immer wieder anderen Formen, wie es jeweils der Wechsel der Umstände mit sich bringt. Denn im Frieden und Wohlstand ist die Denkart der Menschen und der ganzen Völker besser, weil keine aufgezwungenen Notwendigkeiten sie bedrängen; aber der Krieg, der das leichte Leben des Alltags aufhebt, ist ein gewalttätiger Lehrer und stimmt die Leidenschaft der Menge nach dem Augenblick

So formuliert Thukydides (3,82) in der Übersetzung von Landmann angesichts der kriegerischen Ereignisse in Kerkyra. In seinem 'Peloponnesischen Krieg' wird immer wieder auf die Natur des Menschen rekurriert, und nicht nur im Dialog mit den Meliern wird von den Athenern klargemacht, dass sie ihrem Wesen nach gewalttätig sei: Der Mensch tut, soweit er die Macht dazu hat, das, was er für sich für nützlich hält, und selbst die Götter funktionieren nur so.

 

Das heißt dann auch in obigem Ausschnitt, es geht den Menschen im Frieden als Abwesenheit von Krieg besser, aber dieser Frieden ist nur dort naturgegeben, wo die Aggressivität des Menschen/ der Völker erst einmal für eine Weile erschöpft ist. Denn im allgemeinen heißt der Mensch lieber ein Bösewicht, aber gescheit, als ein Dummkopf, wenn auch anständig; des einen schämt er, mit dem anderen brüstet er sich. (2,83)

 

Gegenüber der Phalanx der Hopliten gewinnen die Reiterei und die leichtbewaffneten Bogenschützen an Bedeutung. 421 wird ein Frieden geschlossen. Es folgen Alkibiades, die immer stärkere Hereinnahme Persiens in den Konflikt durch Sparta und das sizilische Abenteuer ab 415. Am Ende siegt die Vormacht Sparta über die attische Konkurrenz.

 

Die Gewalt regiert auch im vierten Jahrhundert, in dem zunächst Sparta, Athen und die persischen Großkönige die Hauptakteure sind, zu denen sich dann vorübergehend Theben gesellt und später Mausolos von Halikarnassos. Der fast permanente Kriegszustand in der Poliswelt bleibt bestehen bis sie untergeht.

 

338 siegt der Makedonenherrscher Philipp II. über die griechischen Poleis, deren Vasallenstatus er für einen Krieg gegen das Perserreich nutzen möchte. Das Ganze endet in der despotischen Monarchie des später so genannten "großen" Alexander, eines monomanischen, nach Weltherrschaft strebenden Machtmenschen.

Was folgt, wird seit dem 19. Jahrhundert oft als Hellenismus bezeichnet, die Zeit von despotischen Herrschaften in großen und dann auch kleineren Reichen, die nach und nach von Rom erobert werden, welches andererseits durch Lebensformen und Wertvorstellungen dieser griechischen Epoche nicht wenig überfremdet wird und so einiges davon in Nachantike und Mittelalter transportiert.

Im sogenannten Hellenismus durchdringen sich gegenseitig Europäisches und Asiatisches bis hin nach Indien. Ein Koiné-Griechisch hält sich noch lange in Kleinasien und Syrien und ist die Sprache frühchristlicher Texte, die durch das Gemeingriechisch schnelle Verbreitung finden.

 

Die auf der Alexander-Nachfolge beruhenden Herrscher führen Elemente orientalischer Despotie mit Herrscherkult und mit einem entsprechenden Beamtenapparat in ihren Reichen ein. Grundlage herrscherlicher Macht sind riesige Heere aus Hopliten und Reiterei. Außerhalb von Hellas kontrolliert bald eine winzige griehische Oberschicht wie Kolonialherren die einheimische Bevölkerung, was zu einer starken Hellenisierung der Wohlhabenderen führt, wie beispielsweise aus Judäa überliefert.

Insbesondere das ägyptische Ptolemäerreich schafft eine durchorganisierte Landwirtschaft, die es zur reichsten Herrschaft ihrer Zeit und dann zu einer wichtigen Beute Roms macht. Ein herrschaftlich kontrolliertes Finanz- und Bankwesen entsteht und ein umfangreicher "Staats"-Haushalt.

 

Die Poleis geraten nach und nach immer mehr unter den Einfluss aristokratischer Oligarchien, was oft mit einer ökonomischen Blütezeit verbunden ist.

Tendentiell treten nun Frauen etwas stärker im öffentlichen Leben auf als in den früheren Poleis. Synkretistische Götter tauchen auf, schließlich verfällt an vielen Stellen der frühere Götterkult von Hellas und neuere Erlösungs"religionen" mit ihren Mysterien treten auf.

Mit Museion und Bibliothek wird Alexandria ein Ort des Aufblühens von Vorformen der Wissenschaften. Im Hellenismus entstehen die Schulen der Stoa und des Epikur.

 

 

***Griechisches Erbe?***

 

Als Vorgeschichte des Kapitalismus taugt die griechische Antike nur über Umwege: Einmal über die Hellenisierung der reichsbildenden Römer der späteren res publica, sicher die direkteste Brücke ins (lateinische) Mittelalter, dann über die Hellenisierung der Judäer und der Juden außerhalb Palästinas, die Auswirkungen auf die Entstehung des Christentums haben wird, welches wiederum eine der Rahmenbedingungen für Kapitalismus wird, schließlich in eher geringem Maße über griechischen Einfluss auf den östlichen Mittelmeerraum bis in sein Hinterland und bis ins entstehende Gallien hinein.

 

Das sich im hellenistisch durchsetzten Raum etablierende Christentum wird sich massiv von stark hedonistischen Tendenzen im Geschlechtsleben der wohlhabenderen Griechen absetzen. Die von heute aus so gesehene massive Abwertung der Frau in der frühen kirchenchristlichen Religion ist so nicht nur jüdisches, sondern auch griechisches (und dann ein Stück weit römisches) Erbe.

 

Für Paulus ist das Thema seiner Briefe an hellenische und hellenisierte Gemeinden nicht zuletzt, dass erotisierter Alltag und sexuelle Libertinage die Konzentration auf die innere Vorbereitung für die Wiederkehr des "Herrn" verhindern. Die offizielle Kirche auf dem langen Weg in das Zeitalter der Entstehung von Kapitalismus wird von teils pathologischer Sexualfeindlichkeit geprägt sein und das wird seine Rolle bei der Entstehung von Kapitalismus spielen: Die entsprechende Zivilisation wird auch von den Ambivalenzen menschlicher Geschlechtlichkeit getrieben werden, bis sie diese im 20. Jahrhundert als zentrale Triebfeder für alles durchsetzenden Konsumismus begreift.

 

 

Wiewohl jenes Philosophieren, eine griechische Erfindung des 6. Jahrhunderts, welches bis in die sogenannte "Aufklärung" reichen und in deren Kritik ihren Abschluss finden wird, schon seit jeher nur extrem wenigen Menschen zugänglich und von Interesse ist, wird  es doch dadurch die Entwicklung hin zum Kapitalismus beeinflussen, dass es in banalisierter Form Eingang in das Christentum findet und zudem von diesem durch die Zeiten in banalisierter Form tradiert wird.

Es ist kein Zufall, dass Philosophie gleichzeitig mit Mathematik und dem Nachdenken über das einher geht, was Natur als physis ausmacht, und dass all das in Handelsstädten aufblüht, in denen sich Spielräume des Lebens und Denkens etwas aus den Klammern des Kultes und der Sphäre des Glaubens lösen. Die Weisheit der Philosophen ist allerdings eine unwissenschaftliche Sphäre auch und insbesondere, nachdem sie dem Erfahrungswissen traditioneller Kulturen entzogen ist. Aber mit ihr werden Spielräume geöffnet. wie schon früher mit Hesiods Frage danach, wie sich ein gerechter Gott rechtfertigen lässt, der Unrecht zulässt.

Ein ansatzweise auf Vernunftgebrauch und Erfahrung basierendes Weltbild hebt an. Dazu gehört auch ein sich vom reinen Handelsinteresse lösendes Interesse an Geographie und der Versuch, Natur als physis mit immer neuen Theorien, durch ihr immanente Gesetze letztlich, zu "verstehen", in denen die Götter und alles Übernatürliche außen vor bleiben.

 

Wer ausdrücklich die offizielle Polisreligion respektiert, darf seit dem späten 7. Jahrhundert nun in einer Nische weniger Gelehrter wie Xenophanes schreiben:

Aber wenn Hände hätten die Rinder oder die Löwen / Malen könnten mit Händen und Werke bilden wie Menschen, / Würden die Pferde Pferden, die Rinder Rindern entsprechend / Malen der Götter Figuren und würden die Leiber gestalten / Solcher Art, wie sie selber geformt sind.

Oder noch schärfer: Alles haben Homer und Hesiod von den Göttern behauptet, / Was nur irgend bei uns, den Menschen, als Schimpf und Schande gilt: / Stehlen und Buhlschaft und einer den andern Betrügen. (Fragment 15 / 11)

 

Wenige Generationen später wird Protagoras öffentlich formulieren, dass man weder wissen könne, ob es Götter gebe noch wie sie wären, denn niemand könne über sie etwas wahrnehmen. Diese vollständige Hereinnahme der Erkenntnis in den einzelnen Menschen, wenn auch nur in ganz wenige, findet ihren Gipfel in dem Satz, dass der Mensch das Maß aller Dinge sei und insbesondere dabei urteilen könne, was wie sei und was nicht sei. Die Entlassung der Menschen aus dem Diktat der Priester und weltlichen Machthaber wird allerdings bis heute von den meisten Menschen nicht als Angebot angenommen werden.

 

Solch kluge Auseinandersetzung mit mythisch aufgeladenen Kulten wie seit den sogenannten Vorsokratikern ist wohl nur wenigen Menschen gegeben und hat auch nichts mit bequemem Atheismus unserer Gegenwart zu tun. Aber so etwas wird sich nun ganz am Rande und in kleinsten Nischen in abendländisches Gedankengut einschleichen, und zwar genauso wie die Vorstellung des Heraklit, dass es anders als auf dem Wege des Irrtums keinen menschlichen Zugriff auf eine fixierte Wirklichkeit gibt oder wie Parmendides das formuliert: Wissenschaft gibt es nur in mathematisierter Form, alles andere ist Meinung, doxa (mehr oder minder begründeter Form, wie man hinzufügen mag.)

 

Immerhin ist mit Heraklit das zu denken möglich geworden, was sich bis heute kaum jemand zu denken getraut, was aber die kritische Grundierung dieses Textes hier sein soll: Dass es nämlich zwei Arten von Geschichte gibt, einmal die Abfolge alles Geschehenden in Raum und Zeit, die hier Wirklichkeit heißen soll, und die niemandem zugänglich ist, und zum anderen jene Geschichte, die wie auch hier eine Art hochproblematischer Re-Konstruktionsversuch von Wirklichkeit ist, und die hier Welt heißen soll. Dabei ist allerdings immer zu bedenken, dass "Welt" für Menschen, zumindest soweit aus Zivilisationen bekannt, meist ein völlig ahistorisches Konstrukt aus vor allem visuellen und überhaupt sinnlichen Eindrücken und propagandistisch eingehämmerten Deutungsmustern ist, also eine mit Raffinement verbundene Verbindung aus angenehmer Lüge und tröstlichem Selbstbetrug. Anders wäre die Geschichte zumindest der letzten 10-12 000 Jahre so nicht möglich gewesen.

 

 

Im Umfeld des hellenischen Vernunfteinsatzes kommt nun mit Herodot eine neuartige Geschichtsschreibung auf, die sich im Einklang mit den Machtstrukturen allerdings weitgehend kritischer Nachdenklichkeit verweigert, wie sich bei ihm sehr deutlich nachlesen lässt:

Dies ist des Halikarnassiers Herodot Darlegung seiner Erkundung, damit weder das von Menschen Geschehene mit der Zeit verblasse noch große und bewundernswerte Taten, die entweder Griechen oder Barbaren verrichtet haben, ihres Ruhmes verlustig gehen, vor allem aber, aus welcher Ursache sie gegeneinander Krieg führten. (Vorrede zu seinen Historien)

 

Das ist unübersehbar die Geschichte weniger Mächtiger, die sich in ihr selbst bespiegeln und rechtfertigen. Daran wird sich auch nichts ändern, wenn Geschichtsschreibung mit Thukydides Generationen später kurz kritischer, nachdenklicher werden wird. Ein anderer Blick auf die Geschichte damals wird heute darunter leiden, dass ihm aus diesem Grunde die Quellen fehlen.

 

Dazu passt schließlich, dass die Machtelite Athens ihre brutale Hegemonialpolitik im 5. Jahrhundert nicht mehr religiös, sondern brachial-aufgeklärt fast wie ein Macchiavelli formuliert: denn ihr wisst so gut wie wir, dass nach menschlicher Berechnung das Gerechte nur Anerkennung bei gleicher Nötigung findet, doch der Überlegene durchsetzt, was er kann, und der Schwächere es hinzunehmen hat. (So laut Thukydides V,89 gegenüber den Meliern). Das bis heute dem entsprechende, entartete Säugetier Mensch wird sich genau diese ihre Praxis bis heute weglügen, um sich nicht mit ihr auseinandersetzen zu müssen.

 

Solcher Ansatz zu kritischem Vernunftgebrauch (des die Welt durchwaltenden nous) entsteht als spezifisch europäisches Phänomen wohl im wesentlichen deshalb, weil hier in Hellas der Kult und der damit dann verbundene, von Poeten entwickelte, Mythos nicht zentrales Machtinstrument einer Elite oder eines Despoten ist und auch nicht ständig von Tyrannen eingesetzt wird. Entsprechend weniger mächtig als im Orient sind denn auch die Priester, zuständig nur für die Durchführung der Opfer und nicht für die ideologische Durchformung von Poleis, so dass sich so nach und nach Einzelne von Kult und Mythos lösen und ihren Verstand freier gebrauchen können.

Über die spätere Hellenisierung der Oberschicht des römischen Imperium wird daraus das Nebeneinander von Religion (Kirche) und Herrschaft (Königtum, Adel) im Mittelalter werden, Voraussetzung für eine zweite Blüte vernunftgemäßen Denkens bei wenigen Gelehrten und von kritischer Auseinandersetzung damit dann bei noch viel wenigeren.

 

Zu betonen ist, was Historiker in der Regel ignorieren: Fast alle diese intellektuellen Errungenschaften betreffen zu dieser Zeit und zu allen Zeiten später nur einen winzigen Teil der Bevölkerung. Und entsprechend werden Historiker seit der griechischen Antike auch nur die Geschichte einer ganz kleinen (Macht)Elite aufschreiben und die produktiv arbeitenden Massen als Arbeitsvieh und Kanonenfutter, anachronistisch ausgedrückt, kaum wahrnehmen. Unübersehbar ist in den Texten meist die - gelegentlich sogar begeisterte - Identifizierung der Autoren mit den jeweiligen Machthabern, Helden ihrer Texte.

 

Zwischen Herodot und dem einsam herausragenden Thukydides entwickelt sich eine zunehmend weniger dem Hörensagen gehorchende und kritischere, analytischere griechische Geschichtsschreibung. Erst relativ spät beginnen dann einzelne Römer die eigene Geschichte aufzuschreiben, nämlich seit den punischen Kriegen, und darin werden römisches Machtstreben und die Interessen der Reichen und Mächtigen ungeniert propagiert. Mit den Bürgerkriegen kommt mehr oder weniger ideologisch verbrämte Parteinahme für einzelne Machtfraktionen hinzu. Das Entsetzliche an dieser Geschichtsschreibung ist aber vor allem, dass sie im wesentlichen von Kriegen und Greueltaten handelt, von Gewalttätern vor allem, von denen ein Teil auch noch gefeiert wird. Die allermeisten Menschen tauchen nur summarisch als das massenhafte Menschen-Material dieser Halunken auf und wir erfahren nicht einmal exemplarisch etwas von ihrem Leben. 

 

Das wird seit Livius 'Ab urbe condita', welches schon ins Prinzipat mündet, über Tacitus bis zu den letzten weströmischen antiken Autoren nicht besser. Tiberius lässt sogar ein prorepublikanisches Geschichtswerk verbrennen und bekommt dafür von Velleius Paterculus eines, welches ihn lobt.

Die Identifikation mit dem eigenen Imperium und den oder ausgewählten Reichen und Mächtigen bleibt durchgehender Standard. Autoren wie Sueton oder Sallust werden dann nicht nur stilistische Vorbilder für mittelalterliche Geschichtsschreibung, in der die eigenen Herrscher und Machthaber meist mit Lobhudelei versehen und ihre Gegner diffamiert werden. Ganz offen sagt das zum Beispiel einer der Gebildeteren, Otto von Freising in seinen 'Gesta Frederici', also dem Tatenbericht Kaiser Friedrichs I.: Die Absicht (intentio) aller, die vor uns Geschichte (res gestas) geschrieben haben, war es, so meine ich, die glänzenden Taten tapferer Männer (virorum fortium clara facta) zu preisen (... OttoGesta, S.114). Und er wird genau das für seinen Kaiser und Verwandten tun. Da es sich seit dem Ende des weströmischen Imperiums für rund tausend Jahre um geistliche Autoren handelt, Bischöfe, Mönche, Äbte, kommt zur weltlichen nun die kirchlich-religiöse Propaganda hinzu.

 

Das sich in Hellas zum ersten Mal formulierende zivilisierte Abendland zeigt sich aber wohl nirgends so in seiner ganzen Neuartigkeit und Größe wie in der attischen Tragödie, die für rund hundert Jahre in zumindest einem wesentlichen Punkt ein gedankliches Niveau wie nie mehr danach erreicht und dabei ein großes städtisches Publikum und viele Akteure einbezieht: Im Gegenüber von Chor und individuellen Schauspielern können unterschiedliche Positionen gleichgewichtig und gleichwertig aufeinandertreffen, - und damit das Wesen einer "tragischen" Situation ausmachen, wie man das später nennen wird, ohne es noch ganz zu verstehen. Die Höhe dieses Niveaus bei Aischylos und Sophokles hindert die Athener aber nicht daran, unentwegt Unheil über andere auszugießen und sich selbst auch immer wieder in solches hinein zu manövrieren.

 

 

Keinerlei Einfluss wird die "politische" Verfasstheit der polis, werden also ihre realen Machtstrukturen mit ihren Entwicklungen bis in die römische Hegemonie haben, und schon gar nicht das, was im Athen des 5. Jahrhunderts schließlich als demokrateia bezeichnet wird.

Bis in die letzten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts ist das Wort in der europäischen Alltagssprache nicht angekommen, und es taucht auch danach zunächst eher das Wort Republik auf, welches mit der antiken res publica allerdings kaum mehr etwas zu tun hat. Was dann im 19./20. Jahrhundert sich selbst als demokratisch bezeichnet, hat mit dem antiken Wort nichts mehr gemein und bezeichnet immer totalitärere Regime, in denen die Untertanen extrem selten an einer anderen Entscheidung beteiligt werden als den seltenen sogenannten "Wahlen", in denen vor-ausgesuchte Einzelne bzw. vor allem Organisationen pauschal zu akklamieren sind. Totalitär meint das uneingeschränkte Zugriffsrecht des Staates auf alle Lebensbereiche des Menschen, seit dem Ende des 18. Jahrhunderts als wesentlicher Aspekt von Staatlichkeit zunehmend durchgesetzt, während die modernen Demokratien sich in punkto Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichung in gewissem und gewiss meist unbefriedigendem Umfang und in Sachen Meinungsfreiheit mit mehr oder weniger deutlichen Einschränkungen von terroristischeren Machtapparaten wie wiederum der hellenischen Demokratie unterscheiden.

 

 

***Griechisches Kapital ohne Kapitalismus***

 

Zunächst war der Handel in der Ägäis wohl wesentlich in phönizischer Hand. Nach und nach treten Hellenen hinzu, die Rohstoffe für die Waffenproduktion nach Athen und anderen Orten bringen, welche in zunächst ebenso geringem Maße handwerkliche Produkte ausführen. Je mehr die Bevölkerung ansteigt, desto mehr Lebensmittel müssen eingeführt werden.

 

Selbst für Athen im 5. Jahrhundert ist heute nicht viel zu Produktion, Handel und Finanzen bekannt, so dass die ansatzweise schon für phönizische Städte zu stellende Frage, warum sich in ihnen kein Kapitalismus entwickelt, nicht einfach zu beantworten ist. Immerhin nehmen bei stark steigender Bevölkerung im 5. Jahrhundert Handel und Gewerbe (und Unternehmertum) wohl erheblich zu. Athen wird zur wichtigsten Handelsstadt Griechenlands. Zum produzierenden Gewerbe gehören der Schiffsbau, die Waffenproduktion und die Keramik, von der erhebliche Mengen exportiert werden. Es gibt ein überliefertes Beispiel eines Handwerksbetriebes, welcher 120 Sklaven beschäftigt, manche werden immerhin 20 Arbeitskräfte oder mehr besessen haben.

 

Münzgeld, Drachmen tauchen in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts auf. Ihr Wert ist sehr hoch und je nach Polis verschieden, was sie zunächst für den Handel eher untauglich machen. Münzgeld dient aber der Berechnung der Einteilung in Vermögensklassen als Einheit und dann auch als Einheit bei der Zumessung von Strafen seit den solonischen Gesetzen.

Deutlich bedeutsamer wird Geldwirtschaft in Athen erst durch den Geldzufluss der "Bündner" des 5. Jahrhunderts, die damit die sich entfaltende Demokratie finanzieren, das Bauprogramm, welches heute noch den Tourismus dort beflügelt, und den Flottenbau, der Lohnarbeit und Handel fördert.

 

Überwiegend führt all das aber wohl nicht zu Kapital- sondern zu Schatzbildung, die als öffentliche in nicht geringem Umfang in Tempeln aufgehoben ist. Diese dient, wie Thukydides betont (Im Kriege kommt es hauptsächlich auf Klugheit und Geld an... 2,13), der Machtpolitik der Stadt und einzelner Mächtiger und ist ansonsten der Wirtschaft entzogen. Was die Reichen an Einkommen zusammenraffen, dient aristokratischer Lebensführung, also dem Konsum, und den Leiturgien, mit denen die Reichen und Mächtigen zur Gestaltung des Gemeinwesens so beitragen, dass es vor allem ihre Gemeinde ist. Dazu gehört die gewiss nicht geringe Summe für die Ausstattung einer Tragödie; manche können auch ein ganzes Kriegsschiff bauen lassen und zweihundert Mann Besatzung finanzieren.

 

Eingeführt werden mit dem Bevölkerungswachstum erhebliche Mengen an Lebensmitteln, insbesondere Weizen aus der Schwarzmeer-Region. Dennoch bleibt die athenische Oberschicht stark von einem Selbstbild als Großgrundbesitzer geprägt, der zahlreiche Sklaven auf seinen Gütern unter oft schlimmen Bedingungen arbeiten lässt. Das ändert sich auch nicht, wenn einige von ihnen in Anteile an den Silberbergwerken auf dem Laureion oder anderswo investieren, oder wie Miltiades, der Feldherr von Marathon, durch Heirat an thrakische Goldbergwerke kommen, von denen noch Sohn Kimon seine Machtstellung finanziert. Ein Nikias generiert in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts seinen Reichtum unter anderem durch die Verpachtung von 1000 Bergwerkssklaven im Laureion-Gebiet. Andere werden über Kreditwirtschaft größere Finanziers.

 

Aber im Kern bleiben hellenische Poleis mit ihrem integrierten Umland "Grundbesitzer-Gesellschaften", keine Polis ist "auf Dauer wirklich als Handelsstadt zu verstehen" (Meier, S.142), und zwar wohl noch weniger als Karthago&Co.

 

Wesentlich anders als im 10.-12. Jahrhundert unserer Zeitrechnung im lateinischen Abendland ist die Tatsache, dass zum Beispiel im 5. attischen Jahrhundert fast ein Drittel der Bevölkerung Sklaven sind, die keinen selbstbestimmten Anteil am Markt haben, den sie eben nicht mit Angebot und Nachfrage vergrößern können. Besonders in den für Athen so wichtigen Bergwerken wie beim Laureion, wo neben Silber Zink und Blei abgebaut werden, werden sie in extrem engen Stollen zu Arbeit im Liegen verdammt. Wie Arbeits-Tiere werden sie wohl auch in der großflächigeren Landwirtschaft eingesetzt.

 

Dasselbe dürfte auch für einen Großteil der Bauern (Theten) gelten, die nicht weit über Subsistenzniveau heraus kommen. Für die kleine Oberschicht hingegen gilt, dass wie im lateinischen Mittelalter zunächst der Bedarf an Luxusgütern über einen Markt gedeckt wird.