Epochalisierung
400 Jahre sogenanntes Reich der Franken
Das fränkische Reich der Merowinger
Strukturen
Das fränkische Reich der Karolinger
Strukturen
Die Welt als christliches Konstrukt (Zwei Welten (Gott) / Leib - Seele - Geist / Erlösung in die Ewigkeit / Hölle und Teufel / Sünde / Über- und unterirdische Machtkämpfe / Re-Judaisierung: Der Gott des Krieges und des irdischen Erfolgs
Die kirchliche Praxis (Konversion / Glauben / Taufe / Buße / Geschlechtlichkeit / Eucharistie / Heiligkeit / Reliquien )
Dialektik: Die Vernunft in der Unvernünftigkeit
Kloster
Epochalisierung
Geschichte ist ein Kontinuum in Raum und Zeit, und das betrifft besonders deutlich die des griechisch-lateinischen Abendlandes seit ihren frühen städtischen Zivilisationen. Da es hier um die Entstehungsgeschichte des Kapitalismus gehen soll, wird uns nun ausführlicher jenes Kontinuum beschäftigen, welches mit dem Untergang des westlichen Imperium Romanum beginnt und mit dem Untergang der lateinisch-abendländischen Zivilisation zwischen dem 18. und dem 20. Jahrhundert endet.
Über das Griechische, Lateinische und dann das Französische ist das nicht ganz klare Wort Epoche in die deutsche Sprache gekommen, welches so etwas wie längerer Zeitabschnitt meinen und der Vorstellung von Kontinuität eher widerspricht.
Moderne Epochalisierung wurde von später so genannten "Humanisten" des 14.-16. .Jahrhunderts erfunden, die meinten, dass nach der griechisch-römischen Antike ein dunkles Zeitalter völligen Niedergangs eingetreten sei, den sie vor allem an mangelnder Belesenheit und Gelehrsamkeit festmachten. Dieses Mittelalter sei mit ihnen vergangen und werde durch eine neue Zeit abgelöst. Der nunmehr zunehmende Fortschrittsoptimismus, eine Art Grundideologie des Kapitalismus, geht davon aus, dass nun erneut eine Blütezeit der lateinischen Menschheit auf eine angenommene Höhe der Antike hin anhebe.
Wie im Folgenden deutlich werden soll, reihen sich die Nachfolge-Reiche des römischen Imperiums mit deutlichen Veränderungen, aber keiner klaren Bruchlinie in spätantike Entwicklungslinien ein. Vielmehr versuchen die neuen Herren, so viel wie möglich von dem zu erhalten, was sie durch Eroberung gewonnen haben und nun als ihr Erbe betrachten. Wenn ein Venantius Fortunatus um 566 von Ravenna nach Gallien kommt, wird er von den hohen Herren dort willkommen geheißen, und er wird dann in römischer Tradition Lobgedichte auf sie schreiben.
Es ist deshalb wohl sinnvoll, von einer Art Nachantike zu sprechen, die erst dort überall zu Ende geht, wo auch die nachantiken Reiche scheitern, und als letztes das Frankenreich im 9. Jahrhundert, als es nicht einfach nur in mehrere Reiche, sondern noch viel intensiver auseinanderfällt. Damit scheitert auch der vielfach dokumentierte Versuch Karls ("des Großen"), in mancherlei Beziehung noch einmal von Neuem an die Antike anzuknüpfen.
Diese Nachantike ist die eigentliche Mittelzeit des Übergangs von der Antike zu jener Zeit zwischen dem 10. und 18. Jahrhundert, die wir hier als langes Mittelalter bezeichnen. Dieses ist im Kern durch den Aufstieg des Kapitalismus im Rahmen neuer Reiche gekennzeichnet, die sich langsam in sogenannte Nationalstaaten verwandeln.
Symbolisch für eine tatsächliche Neuzeit stehen dann die Daten 1776 und 1789. Das lange Mittelalter wird schrittweise abgelöst durch zunehmende Kapitalkonzentration, den enormen Industrialisierungsschub mit seiner Zerstörung von bäuerlicher Landwirtschaft und produktivem Handwerk, durch das Abdrängen von Monarchie, Adel und Kirche und das Verschwinden der lateinischen Sprache. Kapitalismus zersetzt nun das, was wir als lateinisches Abendland bezeichnet haben, und lässt dann im 20. Jahrhundert nur noch die letzten Trümmer dieser Zivilisation zurück. Aus heutiger Sicht ist wohl die zunehmende Zerstörung des Lebensraumes Erde das wichtigste Ergebnis dieser Neuzeit.
Dabei ist die hier betrachtete Zeit des lateinischen Abendlandes vor allem ein fast anderthalb Jahrtausende umfassendes Kontinuum, in dem die Entwicklungen nach Gegend zeitlich unterschiedlich verlaufen. Epochen sind dabei nur relativ wenig aussagekräftige Hilfskrücken, die vor allem mit den Dienstbereichen akademischer Historiker zu tun haben. Lateinisch ist dieses Abendland dort, wo die Kirchen- und Gelehrtensprache Latein dominiert, womit die Gebiete einer russischen, griechischen und islamischen Einflusssphäre ausgeschlossen sind, in denen in der hier betrachteten Zeit kein Kapitalismus entsteht und sich entwickeln kann. Abendland (Okzident) soll es deswegen heißen, weil es nicht mit einem geographischen Europa identisch ist.
400 Jahre sogenanntes Reich der Franken
Das Reich der Römer verschwindet, nicht zur Gänze, sondern es bleibt - bald zunehmend griechisch geprägt - im Osten bestehen, während sich im Westen zunächst germanisch dominierte Nachfolgereiche darauf etablieren, und deren Herren versuchen, möglichst viel römisches zu erhalten, schon alleine, weil sie selbst nun wenig dagegen zu setzen haben, um ihre Beute nutzbar zu halten. Während das spanische Gotenreich 711 untergeht und ein angelsächsisches Gesamtreich als ein England erst spät entsteht, bilden fränkische Heerführer ein zunächst gallisches Reich nach der Besiegung der südlichen Gotenherrscher, dehnen dieses langsam über das östliche Germanengebiet aus, und erobern dann eher oberflächlich Nord- und Mittelitalien mit dem Anspruch, ganz Italien zu beherrschen.
Immerhin schaffen sie das größte und mächtigste Reich im lateinischen Abendland und ein Muster für andere Königreiche dort. Den entscheidenden Beitrag zu dieser Expansion leisten machtgierige Häuptlinge, aus denen dann Könige werden, und ein sich völkisch definierender kriegerischer Anhang.
In Gallien nördlich der Loire existieren zunächst noch an Rom orientierte Heeresbezirke mit gallorömischen oder fränkischen Führern, und unter letzteren ragen bald Childerich, der 482 stirbt, und sein Sohn Chlodwig heraus. Das Geschlecht führt sich auf einen sagenhaften Merowech zurück und wird später als Merowinger bezeichnet werden.
Chlodwig schafft es mit kriegerischer Gewalt, Mord und Totschlag, dort die Vorherrschaft in einem neuen Königreich zu gewinnen. Nach Siegen über die Thüringer und 506 über die Alemannen wird 507 in einer Entscheidungsschlacht auch das in Südgallien siedelnde Visigotenreich besiegt und bald in Richtung iberischer Halbinsel verdrängt. Mit der Annahme des römischen Christentums und Übernahme seines Kirchenapparates durch Chlodwig wird eine nicht-militärische Klammer für das Reich geschaffen.
Das "fränkische" Reich der Merowinger
Unter den Söhnen wird das Reich in vier und später drei Teile geteilt, die sich als Neustrien, Austrien und seit der Eroberung in den 530er Jahren Burgund stabilisieren werden. 536 erringen sie mit der Provence den Zugang zum Mittelmeer. Die Teilreiche werden aber immer wieder Krieg gegeneinander führen. Nur die Bretonen bilden ein eigenes keltisches Königreich, welches sie gegenüber den Merowingerkönigen weitgehend behaupten.
Rechtsrheinische Gebiete von den Thüringern bis zu den Bayern werden mit wechselndem Erfolg unter Hoheit der Merowingerkönige gebracht und vor allem im Raum des unteren Mainfranken fränkisch besiedelt. Mit den Sachsen und Friesen gibt es immer wieder Kämpfe ohne dauerhafte Erfolge.
Nachdem rechtsrheinische Völkerschaften ohne direkte römische Herrschaft nur etwas unter römischem Einfluss anzivilisiert wurden, geraten sie nun unter stärkeren Einfluss gallorömisch-fränkischer Mischzivilisation mit ihrem spezifischen Christentum, und ihre Strukturen werden sich bis ins 8. Jahrhundert etwas denen von der anderen Rheinseite angleichen. Dazu dient zum Beispiel König Theudeberts Etablierung von Herzogsfamilien wie der Agilolfinger in Bayern in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts. Damit und mit Missionierung wird versucht, Kontrolle über diese Gebiete auszuüben. Derweil dringen Slawen ins östliche Mitteleuropa ein.
558 erbt Chlothar das Gesamtreich für drei Jahre, und nach seinem Tod wird es wieder unter seinen Söhnen aufgeteilt, die bald dann erneut Kriege gegeneinander und gegen interne Aufständische führen. 613 gelingt es einem Chlothar II. mit Unterstützung der Familie der Arnulfinger erneut, mit Gewalt die Alleinherrschaft durchzusetzen. Der hohe Adel und die Hausmeier gewinnen an Einfluss. In den 20er und 30er Jahren werden Arnulfinger und die Familie eines Pippin immer mächtiger und vereinen sich dann durch Heirat miteinander.
In der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts werden diese (nunmehr) Pippiniden auch über das Hausmeieramt insbesondere in Austrasien immer stärker und 687/80 gewinnt ein Pippin ("der Mittlere") de facto die Macht über Austr(as)ien und Neustrien und der Merowingerkönig ist praktisch entmachtet. Von nun an werden die "Franken" von jener Familie beherrscht, die später die der Karolinger genannt werden wird.
Strukturen
Was auf jeden Fall gleich verloren geht, ist antik-römische "Staatlichkeit" mit ihrer Vorstellung der cives als untertäniger Staatsbürger mit gemeinsamem Recht. An ihre Stelle treten persönliche, hierarchische Beziehungen und Abhängigkeiten.
Herrschaft ist dabei das, was die Herren ausmacht, nämlich letztlich über Gewalt vermittelte Macht über Menschen, welche die Herren zumindest zu unterstützen, zu ernähren bzw. zu finanzieren haben. Ähnlich wie bei Wirklichkeit handelt es sich um einen Begriff, der in vielen europäischen Sprachen fehlt, und stattdessen in Formen des Wortes Macht (power, pouvoir, potere, poder) aufgeht. Das macht dort eine entsprechende Differenzierung schwieriger und zeigt, wieweit unterschiedliche Sprachen unterschiedliche Welten konstruieren. Aber noch in mittelalterlichen deutschen Landen ist "Herrschaft" kein abstraktes Konzept, sondern überall an die konkreten Umstände der Verhältnisse von Herren untereinander und zu Knechten gebunden. (GoetzEuropa, S.285f)
Gewalt ist ursprünglich durch seine Möglichkeit ausgezeichnetes Walten. Die Macht der Könige ruht vor allem auf der Gewalt ihrer Waffenträger. Darum ist der Krieg auch konstitutives Element der neuen Zivilisation und begründet mit seinen Beuteperspektiven für die Großen königliche Macht. Die Volksversammlung ist zugleich die Heeresversammlung auf dem Märzfeld (Mars) oder Maifeld (magis campus, großes Feld).
In diesen Zusammenhang gehört der in seinen Ursprüngen dunkle Begriff des Vasallen. Das keltische gwas meinte wohl einen Knecht. "Der die Vasallität begründende Akt, die bis in die Antike zurückgehende Kommendation, bei welcher der >Mann< (homo) die gefalteten Hände in die sie umschließenden Hände des Herrn legte, war ursprünglich ein Verknechtungsritus, der allerdings nicht auf die niederen Schichten begrenzt blieb und im Übrigen auch nicht nur zur Besiegelung eines Vasallitätsverhältnisses diente. Die Vasallen allerdings, da besteht kein Zweifel, rekrutierten sich zunächst nur aus untergeordneten Leuten." (Fleckenstein, S.40)
Solche ursprünglich unfreien und dienstbaren vassi (pueri) können im 7.Jahrhundert auch schon Freie sein, und im 8. Jahrhundert wird das die Regel. (Patzold, S.17) Vasallität wird so zur immer mehr auch militärischen Dienstbarkeit freier Männer, die zunehmend als Reiterei auftreten.
Die Entstehung des Reiches der Merowinger aus Kriegen, die vielen folgenden Kriege nach außen und im Inneren sind nur die oberste Schicht allgemeiner Gewalttätigkeit, wie sie die Quellen (allerdings eher zufällig) wiedergeben. Herrschaft heißt, diese für den eigenen Bereich aus Eigeninteresse möglichst zu unterdrücken, was auch durch harte Strafen geschiehen soll; aber die Herren selbst sind immer wieder Gewalttäter.
An Einzelfällen ist auch dokumentiert, dass es ein hohes Potential an Grausamkeit gibt und ein offenbar geringes Niveau der Empathie.
In unseren Augen ist überhaupt die Nachantike von einem großen "legalen" Spielraum an Grausamkeit in der alltäglichen Machtausübung von Herren geprägt. Diese äußert sich vielfältig: Gottesurteile sind ihrem Wesen nach (nicht nur) in unseren heutigen Augen grausam, dazu kommen Folterqualen mit Aufhängen, intensivem Prügeln bis zum Eitern der Wunden und neuem Prügeln nach deren Schließen. Es wird erwürgt. ge- und verbrannt, Knochen werden gebrochen und aufs Rad geflochten, Pflöcke werden unter die Nägel getrieben. Alles das wird von Gregor von Tours berichtet.
Gemetzel mit den damaligen Hieb- und Stichwaffen lässt das Blut spritzen und das kann nicht selten enthemmen. Königin Brunichilde wird nach ihrer Niederlage mehrere Tage gefoltert und dann mit Haaren, Bein und Arm an ein Pferd gebunden, welches dann losrennt und sie in Stücke reißt, wie die Fredegar-Chronik beschreibt.
Zudem beruht königliche Macht auf der Kooperation mit der Kirche und ihrer (zunächst romanischen) Bischöfe, die in den in langsamem Niedergang befindlichen Städten residieren, schnell bereitwillig mit der neuen zentralen Ordnungsmacht kooperieren und diese dann religiös (als von ihrem Gott gegeben) legitimieren. Für die kirchliche Anerkennung ihrer Macht leisten sie den Schutz der zumindest theoretisch unbewaffneten Kirche und dann auch der Klöster, was sie aber oft vor Ort delegieren müssen.
Dazu wird eine durch Jahrhunderte anhaltende Christianisierung durchgeführt, welche die Unterwerfung unter die machterhaltende Staatsreligion zum Ziel hat. Entsprechend werden auch neue Eroberungen mit Missionierung verbunden. Dabei entsteht eine eigenartige Mischung aus vorchristlichen und ursprünglicher christlichen Elementen, aus Wunderglauben, magischen Riten, einer mit Feen und Dämonen durchsetzten Welt. (siehe weiter unten!)
Des weiteren übernehmen Könige wohl die Masse des römisch-kaiserlichen Großgrundbesitzes wie auch weiteres erbeutetes Land. Aus ihrem Grundbesitz und dem langsam angehäuften Schatz können sie dann Land an treue Gefolgsleute vergeben, die nun in Stadt und Land Herrschaftsfunktionen für den König ausüben.
Schließlich sind die Könige auf die Kooperation mit den landreichen und mächtigen Familien angewiesen, den wie sie kriegerischen Noblen und Vornehmen, die einerseits königliche Einschränkungen ihrer möglichst zu vergrößernden Macht ablehnen, andererseits der Könige aber als Ordnungsfaktor der Einordnung ihrer untergeordneten Herrschaft bedürfen. Da die Merowingerkönige (germanische) Erbteilung ihrer Herrschaft betreiben, wobei aber der Reichszusammenhang gewahrt werden soll, fällt das Reich immer wieder in die Hände mehrerer Söhne, die dann auch gegen einander kämpfen und dafür vornehme Familien mit ihren Kriegern unter sich sammeln. Das Reich, kriegerisch entstanden, wird bis in seine Endphase im 9. Jahrhundert kriegerisch und damit gewalttätig blieben. Erfolgreiche Kriege mit ihrer Erwartung reicher Beute für alle Beteiligten bleiben damit Basis königlicher Herrschaft,; dazu kommen aber immer wieder Kriege im Inneren.
Außen vor bleiben Basken und Bretonen und ziemlich lange auch die Friesen. Nur ansatzweise wird die Nordhälfte Italiens integriert.
Regiert wird von einem königlichen Hof mit einer kleinen Zahl von Ämtern aus, und zwar in der Regel im Zusammenspiel mit den Großen des Reiches. Schon im Verlauf des 6. Jahrhunderts nimmt die Bedeutung von Steuereinnahmen auch mit dem Niedergang der Schriftlichkeit ab. Für Chris Wicksam ist das von zentraler Bedeutung:
"Staaten, die Steuern erheben, sind viel reicher als fast alle, die auf Landbesitz gründen. (...) Steuern erhebende Staaten haben eine weit größere
Kontrolle über ihre Territorien, teils wegen der steten Präsenz von Steuer-Festsetzern und Steuererhebern, teils weil die staatlich Beauftragten (Beamte und Soldaten) ein Gehalt bekommen.
Herrscher können aufhören Gehälter zu bezahlen, und haben darum größere Kontrolle über ihr Personal. Wenn aber Armeen auf Landbesitz basieren, sind sie schwerer zu kontrollieren.
(...)
Der Übergang von Besteuerung zu Landbesitz als Basis des Staates im Westen war das deutlichste Zeichen, dass die nachrömischen Königtümer nicht imstande sein würden, das römische Imperium im Kleinformat wieder herzustellen." (Wickham(3), S.103f)
Da die Ausgaben aber entsprechend niedrig sind, häufen die Merowinger einen großen Staatsschatz an, aus dem sie Gefolgschaft so wie aus ihrem großen Grundbesitz belohnen können.
Regiert wird im Zusammenspiel mit den Großen des Reiches, die bei Hofe anzutreffen sind und bei großen Versammlungen. Rechtsstreitigkeiten werden ebenfalls auf Versammlungen vor Ort gelöst, den placita.
Der Hof findet dort statt, wo der König sich aufhält, wo sich zum Beispiel ein palatium befindet, in neuerem Deutsch eine Pfalz. Der Herrscher unterhält dort eine Kapelle, deren Geistlichkeit auch für schriftliche Urkunden zuständig ist. Daneben entwickeln sich Hofämter, zu denen der Verwalter des königlichen Haushaltes gehört, der maiordomus oder später Hausmeier, dessen Macht im 7. Jahrhundert erheblich zunehmen wird.
Krieger sind die Freien, die zugleich die Herren im Lande sind. Ihre Macht und ihr Wohlstand, relativer Luxus, beruht auf der produktiven Arbeit der großen Masse der Bevölkerung, die auf dem Lande lebt, die Lebensmittel erzeugt und davon an die Herren abgeben muss. Das sind in wohl abnehmendem Maße Sklaven, überwiegend aber in unterschiedlich abgestuften Formen der Abhängigkeit von den Herren angesiedelte Leute.
Im Kern dient das Reich dazu, nach Macht und Reichtum unterschiedenen Herren die Mittel zu geben, von der produktiven Arbeit der großen Mehrheit der Menschen zu leben.
Es gibt in diesem Frankenreich dabei keine rechtliche Aufteilung in Adel und Volk, sondern nur in wehrhafte Freie (mit Grundbesitz) und mehr oder weniger Unfreie in persönlicher Abhängigkeit von ihren Herren. Adel ist etwas, was sich erst viel später herauskristallisieren wird. Freie zeichnen sich neben Grundbesitz durch Heeresfolge und Teilnahme an Gerichtsversammlungen aus; ihre Freiheit in der merowingischen Zivilisation ist aber begrenzt durch die Königsherrschaft und deren Vertreter wie duces und comites, die ebenso wie auch Bischöfe Herrschaftsfunktionen jenseits von Grundherrschaft über die Freien ausüben. Funktion und Besitz unterscheiden unter den Freien, allesamt "Herren", solche mit mehr oder weniger davon. Das zeigt sich mit Funktionen im Machtapparat, aber eben auch mit Statussymbolen wie dem Besitz von Luxus, der den Handel befeuert, wo er nicht aus Geschenken oder Beute besteht.
Eine stabil feste Rangordnung unter den Herren gibt es nur in Kirche und Kloster. Ansonsten gibt es den Status der Nähe zum König oder höheren Herren, und es wird Unterordnung durch das Verhalten sichtbar gemacht. Man kniet vor dem Höherrangigen, im Extremfall wirft man sich vor ihm nieder; wenn der Höherrangige sitzt, muss man eventuell stehen, den Kopf geneigt. Man gibt sich in die Hand eines Herren, indem man seine aneinandergelegten Handflächen von denen des Höheren umfassen lässt.
Der höhere Rang zeigt prächtigere Kleidung und Schmuck, er gibt die prächtigeren Festmähler und die reicheren Geschenke, er ist aber auch militärisch erfolgreicher.
Rechtsnormen setzen der Rest römischen Rechtes und die verschiedenen germanischen Volksrechte, wenig ergänzt durch Dekrete der Könige.
Die für unsere Untersuchung wichtigste Unterscheidung ist aber die in Produzenten und Konsumenten. Herren zeichnen sich dadurch aus, dass sie andere für sich arbeiten lassen können, um von Arbeit und Ertrag einen Teil für sich abzuzweigen. Dafür behaupten sie, die vielen produktiv Arbeitenden zu schützen, die zugleich durch sie bedroht werden. Freie Herren verfügen über genug Land, um viele andere darauf arbeiten zu lassen, und mächtige Herren sind weltliche Große, Bischöfe mit ihrer Geistlichkeit sowie auch Äbte mit ihren Mönchen, die zwar nach der Benediktregel selbst auch arbeiten sollen, aber vor allem von ihnen Abhängige mit produktiver Arbeit beschäftigen.
Im Frankenreich der Merowinger setzt sich so das Phänomen der extrem ungleichen Verteilung des Eigentums insbesondere auch an Grund und Boden aus dem späteren Imperium Romanum fort, welches nun als Großgrundbesitz auf Könige, Kirche, Kloster und altrömische wie fränkische weltliche Große vor allem aufgeteilt ist, neben einer heute unbekannten Zahl persönlich freier Bauern. Die meisten Menschen sind ohne Landbesitz, relativ arm und ohnmächtig.
Nicht mehr nachzuvollziehen ist, wie Eroberung und frühe Entwicklungen zur Aufteilung von Orten und Gegenden auf unterschiedliche weltliche Besitzer vor sich ging, so dass am Ende an einem Ort mehrere von ihnen Grund besitzen. Als römisches Erbe arbeiten auf den großen Gütern auf dem Lande zunächst Kolonen bzw. Pächter und weiterhin auch Sklaven.
Die große Menge der Menschen, die vor allem bäuerliche Produzenten sind, kann viel Aggressivität im Arbeiten bis zur Erschöpfung loswerden. Wichtigste Gratifikation für ihr Ducken unter die Macht ist deren Versprechen, ihre Ernährung zu sichern und den Geduckten Schutz zu bieten, also einen gewissen inneren Frieden zu sichern. Den Untertanen wird so andererseits, angenehm bequem, ein Teil ihrer Verantwortung für sich selbst abgenommen. Dazu ist allerdings anzumerken, dass Zivilisationen dabei erst die Probleme schaffen, die sie zu lösen vorgeben.
Neben die Indoktrination durch die Kirche tritt die zunehmende Unfähigkeit der illiteraten Bevölkerung, komplexer werdende Machtstrukturen zu durchschauen. Auf der kognitiven Ebene landen die Menschen dadurch bei einem massiven Informationsdefizit, auch weil die Träger übergeordneter Entscheidungen ihre Kenntnisse nur Interesse-gefiltert und in sehr geringem Umfang nach unten weitergeben. Dabei ist die Menge der Kenntnisse der Menschen insgesamt kaum geringer als heute, nur sind damals die Kenntnisse wesentlich selbst gewonnen bzw. unmittelbar tradiert und beschränken sich so auf das eigene Lebensumfeld, auf unmittelbare Erfahrung also, sind nicht auf ein multimediales Weltbild eingerichtet.
Wie eine Gratifikation für Untertänigkeit sehen Menschen in den Zivilisationen auch die Möglichkeit der Identifikation mit den Mächtigen an, ja - die Möglichkeit ihrer Bewunderung und Verehrung. Als Faustregel dafür kann durch die Geschichte (fast?) aller Zivilisationen gelten, dass die Identifikation mit Mächtigen umso größer ist, je despotischer sie herrschen. Auch deshalb sind heutige Demokratien wenig beliebt und sehr instabil.
Da alles das hier aufgeführte selten ganz genügt, um die Untertanen dauerhaft ruhig zu stellen, verlangt es sie nach Ablenkung wie nach Amüsier-Veranstaltungen, nach inszenierter "Unterhaltung", wie sie auch die Kirche und die an sie angelehnten Feste damals bieten, und dazu eben auch die euphorisierende und am Ende betäubende Wirkung von Drogen, von denen auch damals der Alkohol am verbreitetsten ist.
Dies Reich nennt sich zwar nach den Eroberern Francia, aber es ist eine Art Vielvölkerstaat mit dem Lateinischen als gemeinsamer Schriftsprache. Im Norden Galliens sind die Franken eine zunehmend romanisierte kleine Minderheit, und im gallischen Süden verschwinden sie schnell in der romanischen Bevölkerung. Im viel später deutschen Germanien siedeln sich einige Franken am unteren Main an, ansonsten handelt es sich um Stammesgebiete mit eigenem Idiom und langsam wachsenden Selbstverständnis. Im halbwegs dann kontrollierten Teil Italiens gibt es einzelne fränkische und später auch aus anderen Gegenden kommende Amtsträger neben einer kleinen langobardischen Oberschicht, und ansonsten die schon lange romanisierte italische Bevölkerung.
Stämme lassen sich als vorzivilisatorische ideelle Abstammungsgemeinschaften definieren. Mit einem ähnlichen Wirtschaften ausgestattet, besitzen sie einen gemeinsamen Kult oder zumindest ähnliche, und eine gemeinsame Sprache oder sie können sich zumindest sprachlich verständigen. Ihren Ursprung haben sie als ein Phänomen gemeinsamer Kultur.
Mit der Entstehung zivilisierter, also institutioneller Machtstrukturen und den Reichsbildungen gehen sie in ihnen auf die Dauer auf und verschwinden so. Aus Stämmen werden nach und nach Völker, deren Gemeinsamkeit vor allem die gemeinsamen Machthaber sind. Dies wird dann Franzosen, Engländer und andere stärker betreffen als die Deutschen und Italiener.
Dabei ist darauf zu achten, dass die "Stämme", die in das römische Reich einwandern, in ihrer besonderen militärischen Verfasstheit sich bereits von ihren vorzivilisatorischen Ursprüngen unterscheiden. Als Einwanderer werden sie zugleich zu Eroberern, die mit den Reichsbildungen weiter zivilisiert werden, nachdem der Kontakt mit den Römern sie bereits auf den Weg in Zivilisierung gebracht hatte.
Über eines muss man sich klar sein: Stamm und Volk als spezifisch deutsche Wörter sind nicht ganz klar definierbar. Insbesondere der Volksbegriff, seitdem er in der deutschen Sprache auftaucht, unterliegt einem mehrmaligen Bedeutungswandel, ohne dass eine der Bedeutungen dabei ganz verschwindet. Im Mittelalter sinkt er einmal ab zur Benennung der produktiven Gruppen der Bauern und Handwerker, zum anderen steigt er aber dann auch auf zur Bezeichnung der Gruppe aller Untertanen unter einem Fürsten oder König.
Mit dem Gift der politischen Korrektheit der letzten Jahrzehnte wird versucht, beide ganz aus der deutschen Sprache zu tilgen, jedenfalls was Deutsche betrifft,
deren Existenz als indigene Bevölkerung im Vielvölkerstaat BRD von den kapitalgesteuerten Massenmedien und staatlichen Institutionen inzwischen zunehmend geleugnet wird: "Deutsch" ist inzwischen
nur noch, wer sich unter die Verfügungsmacht des Staates BRD begibt, dessen Untertan ist.
Es beginnen mit Chlodwig wenigstens 500 Jahre eines Verwirrspiels der Bezeichnungen von Völkern und Reichen. So nennt zum Beispiel der bretonische Verfasser einer Vita des heiligen Asketen Samson von Dol, den es von Cornwall am Ende in die Bretagne verschlägt, das Frankenreich weiter Romania. (Wickham(3), S.150). Noch im 11./12. Jahrhundert können die deutschen Lande als Francia auftauchen. Als römisches Reich werden sie kein Deutschland werden.
Wie Germanen und Romanen da, wo sie miteinander mündlich kommunizieren, sich einander mitteilen, wird wohl unbekannt bleiben. In Mischgebieten wie in Kreuznach oder Bitburg gibt es zwei Kirchen für die Volksgruppen (Angenendt(2), S.173). Nicht überliefert ist, dass unterschiedliche Sprach-Zugehörigkeit per se zu Konflikten führt, aber sie wird natürlich wahrgenommen. In seinem Testament von 616 verfügt der Bischof Berthram von Le Mans über servi, und zwar tam natione romana quam et barbara, die er freilässt.
Konfliktlinien entstehen aber dort, wo das nordgallische Friesische, das nun auftauchende (keltische) Bretonische und das Baskische offenbar ethnisches Selbstbewusstsein formen, zusammen mit nichtchristlichen Kulten und stärkeren Traditionen.
Da die Germanen keine eigene Schriftlichkeit mitbringen und in Gallien die Schreib- und Lesefähigkeit selbst in den Städten immer mehr zurückgeht, bleibt
das Lateinische als einzige Schriftsprache, welches nicht zuletzt auch die Sprache der Kirche bis ins zwanzigste Jahrhundert sein wird.
Innerhalb einiger Generationen schwindet die civilitas vor allem der kleinen senatorischen Oberschicht großer Latifundienbesitzer, jenes Vorzeigen-Können einer Belesenheit von Vergil und anderen Klassikern samt poliertem Verhaltenskodex, ein Statusbeleg, der ein wenig wieder auftaucht im sogenannten Humanismus und dann in Teilen des wohlbestallteren "Bürgertums" des 19. Jahrhunderts in erneuter Verehrung von "Klassikern" als dem Verteidigen eines gehobenen Status gegen die Massen des neuen Proletariats.
Mit den neuen Strukturen verschwindet dann auch der dreifache Namen. Es bleibt das, was später Vorname sein wird, der Taufname, und in Familien setzt sich zunehmend ein festes Repertoire von ihnen durch, an denen Familienzugehörigkeit ablesbar wird.
Unterhalb schwindet damals dann auch jede Schulbildung und selbst Literalität, da sie nicht mehr finanziert und in agrarisch geprägten Zusammenhängen immer weniger gebraucht werden. Zudem schätzen die neuen Krieger-Grundbesitzer etwas andere Werte als unkriegerische Besitzer riesiger Latifundien zuvor. Die Schreib- und Lesekunst selbst der merowingischen Herrscher geht zurück und ist bei den Karolingern weitgehend verloren. Erst Kaiser Otto III. wird um die Jahrtausendwende wieder schreiben und lesen können. Die Schreib- und Lesekunst beschränkt sich schließlich auf höhere Kreise der Kirche und einen Teil der Mönche, wobei erstere damit auch weltlichen Mächtigen dienen.
Damit schrumpft das ohnehin eher seltene Vermögen eines kritisch-intellektuellen Umgangs mit ansatzweise erfahrbarer Wirklichkeit auf ein Minimum, da die Kenntnisse und Fertigkeiten schwinden. An die Stelle tritt der von der Kirche geforderte Gehorsam, der das Denken in einen engen Rahmen presst, und den die weltliche Macht gerne für sich nutzt.
Die Bevölkerung ist stark verringert. Städte schrumpfen meist ganz erheblich, die öffentlichen Bauten, soweit sie nicht der Verwertung der Steine zum Opfer fallen, werden zweckentfremdet, die Straßen, die Wasserversorgung und Abwasserableitung verschwinden. Nur noch wenige Gebäude der Reichen und Mächtigen sind aus Stein.
Produktives Gewerbe und Handel gehen zusammen zurück. Das Mittelmeer verliert dabei in dem Maße an Bedeutung, in dem die des Nordens steigt. An der Keramik lässt sich erkennen, dass die handwerklichen Fähigkeiten erheblich abnehmen, insbesondere jenseits des Bereichs seltener Luxusprodukten.
Kontinuität herrscht insofern ein wenig weiter, als das römische Vielvölkerreich im Osten weiter existiert und seine Oberhoheit von germanisch dominierten Nachfolgereichen des Westens zunächst anerkannt wird; die frühen germanischen Könige lassen sich von Ostrom als Rechtsnachfolger römischer Herrschaft legitimieren.
Bis zur Pest des 6. Jahrhunderts und dem Aufstieg des Islam bleibt dieses Ostrom eines der wohlhabendsten Gebiete der Welt. Konstantinopel wird bis nach der Schwellenzeit wichtigstes Handelszentrum in Europa bleiben, auch wenn es wirtschaftlich wichtige riesige Gebiete an die Araber bzw. den Islam verliert.
Erste Risse bekommen die fränkischen Beziehung zu Ostrom, als König Theudebert im 6. Jahrhundert mit imperialem Recht konkurriert, indem er Goldmünzen mit seinem Abbild und Namen prägen lässt und damit scharfe oströmische Ablehnung hervorruft. (Wickham(3), S.114)
Übrigens: Während das Merowingerreich mit sich und seinen unmittelbaren Nachbarn beschäftigt ist, finden zwei weitreichende Entwicklungen statt: In weitreichenden Wanderbewegungen nach Westen und Südwesten setzen sich slawische Völkerschaften auf ehedem germanische Gebiete östlich der Elbe und südlich davon bis in den Balkan hinein, und noch weiter entfernt beginnt mit der Durchsetzung einer Mixtur aus panarabischen Idealen und ihrer religiösen Begleitung der Aufstieg des Islam.
Das fränkische Reich der Karolinger
Unter den reichen und mächtigen Familien der Merowingerzeit, die miteinander und mit den Königen konkurrieren, gelingt es derjenigen, die später als Karolinger bezeichnet werden wird, über das mächtige Hausmeier-Amt so weit aufzusteigen, dass sie unter Karl ("Martell") die legitimen Könige beiseite drängen und selbst die Herrschaft übernehmen können. Das zerfallende Reich versucht er in jährlichen Kriegszügen gegen Südgallien, sich verselbständigende Alemannen und Bayern und in der Abwehr eines islamischen Raubzuges bis ins fränkische Kernland 732 zusammen zu halten.
Inzwischen kann Ostrom/Byzanz die formal noch unter seiner Herrschaft stehenden Bischöfe von Rom immer weniger vor den Langobarden schützen und sie wenden sich, wie schon zu Karls Zeiten, um Hilfe an dessen Nachfolger Pippin, der im wesentlichen die Aktivitäten seines Vaters fortsetzt, aber zur Annäherung an Rom bereiter wird, was in einen Bescheid des Papstes mündet, der die Annahme der Königswürde durch Pippin legitimiert, die durch Salbung wie die sagenhafte eines Königs David zusätzliche sakrale Weihe erhält. Es kommt zum Besuch des Papstes bei den Franken und dann zu Kriegszügen Pippins gegen die Langobarden.
Pippins Sohn Karl ("der Große") setzt wie sein Großvater und Vater Alleinherrschaft durch und unterwirft effizienter als sie Aquitanien, mit Heimtücke Bayern und in Jahrzehnte langen brutalen Kriegen Sachsen, wodurch er in Konflikt mit Slawen und Dänen gerät. Er greift sogar im Südwesten etwas auf das islamische Spanien über. Neben Bischöfen und Äbten versucht er sich auf von ihm eingesetzte Grafen und Königsboten zu stützen. Daneben ideologisiert er seine Herrschaft stärker christlich und kontrolliert die Kirche dabei massiver.
773 marschiert er in das Langobardenreich ein, welches wieder einmal das päpstliche Rom bedroht. Weitere "Besuche" in Italien steigern wohl seine Faszination für imperial-antike Überreste und führen wohl auch zu einem etwas erweiterten Geschichts-Bewusstsein. Das alles mündet 800 in seine religiös eingekleidete Kaiserkrönung durch den Papst, die seinem Riesenreich wenigstens nominellen Zusammenhalt gibt. Inzwischen hat "der große" Karl die Fläche des Reiches beim Tode von Karl ("Martell") in etwa verdoppelt. .
Von Aachen als Alterssitz aus und umgeben von belesenen Bischöfen und Äbten versucht er ohne großen Erfolg, die kaiserliche Machtentfaltung in seinem Reich zu intensivieren.
Als Karl sein Ende nahen sieht, sind seine Söhne Karl und Pippin bereits gestorben. Anders als es fränkisches Recht vorsieht, will der Kaiser 812 die Interessen von Pippins Sohn Bernhard gewahrt sehen, und übergibt ihm Italien. Ein Jahr später wird Sohn Ludwig dann in Aachen zum Mitkaiser erhoben.
Chlodwig (Ludwig "der Fromme") konzentriert sich auf die religiöse Durchdringung der Machtstrukturen, schafft sich mit seinem Reformeifer und der Vertreibung bislang einflussreicher Leute vom Hofe Gegner und stärkt zugleich bischöfliches Selbstbewusstsein, welches sich dann auch gegen ihn richten wird. Versuche, das Riesenreich auf seine Söhne als Unterkönige samt einem Mitkaiser als Nachfolger aufzuteilen, führen zunächst zu einer Dreiteilung, bei der Karlsenkel Bernhard übergangen wird. Der wehrt sich und wird mit Blendung und Tod bestraft. Etwas später kommt es zu heftigen Machtkonflikten der Söhne mit dem Kaiser und untereinander, an denen die großen geistlichen und weltlichen Herren teilnehmen. Sie verschärfen sich, als mit einem weiteren Sohn Karl und dann dem Tod von Sohn Pippin neue Machtkämpfe ausbrechen, aus denen die königlich-kaiserliche Macht geschwächt hervorgeht. Kurz darauf verschärft sich die Lage durch Normanneneinfälle im Norden und solche von Sarazenen im Süden.
Nach seinem Tod 840 geht der Reichszusammenhang in Bruderkriegen seiner Nachkommen schnell unter, wobei sich 843 ein westliches, romanisch geprägtes Reich, ein Mittelreich samt Italien und ein germanisch geprägtes Ostreich bilden. Îm Westen ist Karl ("der Kahle") vor allem seit der Mitte des 9. Jahrhunderts mit dem Aufstieg regionaler Fürsten wie einer flämischen Dynastie und den Robertinern in nördlichen Loireraum sowie mit Normannen- und Sarazenen- Einfällen konfrontiert. Im Osten wird die königliche Macht unter Ludwig ("dem Deutschen" 843-876) durch sogenannte Stammesherzogtümer eingeschränkt. Die meiste Zeit verbringt dieser Ludwig damit, Slawen, die sich in den fränkischen Bruderkriegen verselbständigt hatten, wieder tributpflichtig zu machen, einmal die Abodriten im Norden, insbesondere aber die Böhmen und Mähren (Moravier). West und Ostreich gelingt es nach Phasen erheblicher Feindseligkeit derweil, das Mittelreich bis 870 (Vertrag von Meersen) unter sich aufzuteilen.
Das Kaisertum ist nicht mehr mit Hoheit über mehr als zunehmend kleinere Teile Italiens verbunden, es wird marginal und gelangt gegen Ende des 9. Jahrhunderts in die Hände minderer Machthaber. 881 macht der Papst den ostfränkischen Karl III. zum Kaiser, der kurze Zeit Ost- und Westreich vereint, und dann von Arnulf von Kärnten abgelöst wird.
Nachdem West- und Ostgotenreiche, die der Sueben, Vandalen und Langobarden längst untergegangen sind, verschwindet in einem langen Prozess im 9. Jahrhundert auch das Frankenreich. Die westliche Francia entwickelt sich in den nächsten Jahrhunderten zur France, die östliche in die deutschen Lande, die mit Otto I. ("dem Großen") als Kaiser wieder auf Italien zugreifen werden. Ein angelsächsisch-englisches Königreich geht 1066 unter und wird durch ein normannisches ersetzt.
Die aus dem Zusammentreffen germanischer und antik-römischer Elemente entfalteten Kräfte der Reichsbildung schwinden, und auf der Basis der darunter liegenden Verhältnisse entstehen nun neuartige Reiche. Diese Gebilde werden im Laufe der Zeit (neue) Nationen erfinden und zusammen mit neuartigen Ansätzen von Staatlichkeit gewalttätig durchsetzen.
Strukturen
Das gemeinsame Interesse der reichsbildenden Herrenschicht ist weiter die Nutzung der Arbeitskraft der wenigstens 95% der Bevölkerung, die in persönlicher und/bzw. herrschaftlicher Abhängigkeit und Unterwerfung leben. und in zunehmend geringerem Maße auch noch des militärischen Potentials der Freien unter ihnen.
Diese Interessengemeinschaft drückt sich ansatzweise darin aus, dass in den Texten der Zeit das Volk (populus) nur diese kleine Schicht der Oberen oder zumindest nur die persönlich Freien meint.
Das karolingische Großreich, die Francia, schafft weiter kein Reichsvolk, da es nicht die Mittel hat, die Formierung kleinräumigerer Einheiten zu verhindern und dort aktive Traditionen ganz zu zerstören.
Aus den Quellen sind längst die "Römer" (romani) verschwunden. Sie werden überall im Machtbereich "fränkischer" Herrscher nun zu Franken und nicht "fränkisch" sind "Völker" nur dann und dort, wo sie (gerade) nicht unter "fränkischer" Herrschaft stehen, wie Friesland, Burgund oder Provence in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts (zweite Fredegar-Fortsetzung), oder auch schon mal Aquitanien und Vasconien. Dort ist man dann eben kein Franke. Was das aber für die vielleicht 90 Prozent mehr oder weniger massiv Herren untertanen bis versklavten Menschen bedeutet, muss offenbleiben.
Das lateinische Wort für Volk, den populus, taucht in den Texten des Frankenreiches und seiner Nachfolger vor allem dort auf, wo es um von Königen einberufene Versammlungen und offizielle Akte wie Königswahlen geht. Tatsächlich ist hier aber nur ein Ausschnitt der Reichen und Mächtigen versammelt.
Ein anderes Wort dieses Zeitraumes, vulgus, verweist hingegen auf die sich langsam im nächsten Jahrtausend durchsetzende Bedeutung von Volk zunächst als die der nichtadeligen Leute, und noch später der Bauern und der städtischen Unterschichten hin.
In den Annalen von St. Bertin heißt es zum Jahr 859:
Die Dänen verwüsteten das Land hinter der Schelde. Das gemeine Volk (vulgus promiscuum) zwischen Seine und Loire, das sich miteinander verschworen hatte (inter se coniurans) leistete den Dänen, die sich an der Seine festgesetzt hatten, tapferen Widerstand; da aber ihre Verschwörung unvorsichtig betrieben war (incaute sumpta est eorum coniuratio), so wurden sie von unseren Großen ohne Mühe getötet. (Quellen karolReichsgeschichteII, S.99)
Gemeint ist hier, dass die nicht zu kriegerischem Handeln befugten kleinen Leute, die sich nicht die Erlaubnis von oben eingeholt haben, um sich gegen Raub, Vergewaltung, Mord und Zerstörung verteidigen zu dürfen, wo es für sie sonst niemand tut, in den Augen ihrer christlichen Obrigkeit kein Lebensrecht haben, also abgeschlachtet werden dürfen; dies umso mehr, als sie sich zu gemeinsamem Handeln verbündet haben, was spätestens seit Karl ("dem Großen") ihnen wie auch allen anderen verboten ist.
Mit der Teilung des Frankenreichs werden Voraussetzungen dafür geschaffen, dass sich seit dem 10. Jahrhundert neuartige Völker bilden werden. Das weithin romanisch spechende Westfranzien teilt sich immer deutlicher in einen stärker fränkisch beeinflussten Norden mit seiner langue d'oeil, wie sie Sprachwissenschaftler heute nennen, und dem durchgehender romanisch gebliebenen Süden mit der langue d'oc.
Im Ostreich wiederum werden untereinander schwer verständliche germanische Idiome gesprochen oder sich in einem Streifen links des Rheins nun durchsetzen. Im Norden sind Flamen und Friesen nur mühsam zu zivilisieren, also zu christianisieren und in „fränkische“ Machtstrukturen einzugliedern. Stämme der Sachsen, Thüringer, Alemannen und Bayern deutlicher heraus, die zusammen mit einem Streifen links des Rheins und einer stärker fränkisch besiedelten Zone um den Main eine Art deutsche Sprachfamilie bilden werden.Es wird aber noch Jahrhunderte dauern, bis sich ein französisches oder deutsches Volksbewusstsein durchsetzt.
In Italien machen sich romanische Sprachen breit, die erst sehr viel später im Norden und in der Mitte der Halbinsel als italienisch zusammengefasst werden, während der Süden bis ins 19. Jahrhundert eigene Wege mit einem etwas anderen Idiom geht.
England wiederum entsteht aus Christianisierung und der gemeinsamen Kirchenorganisation einerseits und andererseits aus einer Entwicklung, die die angli dauerhaft eben auch durch Expansion eines Königreiches von Wessex aus als pars pro toto (die späteren Engelonde) etabliert. Dabei entsteht mit dem Altenglischen eine erste gemeinsame Sprache.
Damit aber nicht genug, entsteht in der frühen Merowingerzeit durch Einwanderung aus Südwestbritannien eine zunehmend keltisch sprechende Bretagne, die bei nomineller „fränkischer“ Oberhoheit sich allen Eroberungsversuchen entzieht, sich dann aber nach weiterer Anzivilisierung im 9. Jahrhundert in ein weithin eigenständiges „Reich“ verwandelt. Solche Reichsbildung gelingt den westlich der Pyrenäen beheimateten Basken nicht, die aber nur gelegentlich von „fränkischer“ Herrschaft betroffen sind, während die Basken auf der iberischen Seite mit Herrschaften in Pamplona bzw. Navarra sich spanisch orientieren, in ihren Bergregionen aber gegen massive Zivilisierungsversuche standhalten. Noch weiter südwestlich teilen sich zunehmend romanisierte gotische und fränkische Herren die Macht, während in Spanien mit karolingischer Unterstützung Katalonien mit dem Zentrum Barcelona entsteht und sich dann langsam vom „fränkischen“ Einfluss löst, aber mit Aquitanien eine fast gemeinsame romanische Sprache entwickelt.
Wie Leute unterschiedlicher Sprache sich in der Francia unterhielten, wissen wir nicht. In Grenzgebieten mag es eine gewisse Zweisprachigkeit gegeben haben. Die schriftliche Kommunikation der Großmächtigen im Reich findet in einem zunehmend vereinfachten Latein statt.
In den Straßburger Eiden äußerst sich zwar keine Reichsteilung nach Sprachen, aber eine in Reiche, in denen zwei Sprachen dominant sind. Geteilt wird auch nicht exakt nach Sprachgrenzen, neuzeitlich gesprochen, also auch nicht nach Volksgrenzen, aber mit den Grenzen, die gezogen werden, entstehen Ansätze zu Völkern im neuzeitlichen Sinne.
Als die Straßburger Übereinkunft von 842 von beiden Gefolgschaften beschworen werden soll, fallen für das sich aufteilende fränkische Reich die Texte in zwei Sprachen aus: in einen romanischen und einen althochdeutschen Dialekt.
Pro Deo amur et pro christian poblo et nostro commun salvament, d'ist di en avant, in quant Deus savir et podir me dunat, si salvarai eo cist meon fradre Karlo, et in adiudha et in cadhuna cosa, si cum om per dreit son fradra salvar dist, in o quid il mi altresi fazet, et ab Ludher nul plaid numquam prindrai qui meon vol cist meon fradre Karle in damno sit.
In godes minna ind in thes christanes folches ind unser bedhero gehaltnissi fon thesemo dage frammordes so fram so mir got geuuizci indi mahd furgibit so haldih thesan minan bruodher soso man mit rehtu sinan bruodher scal in thiu thaz er mig so sama duo indi mit ludheren in nohheiniu thing ne gegango the minan uillon imo ce scadhen uuerdhen.
(Für die Liebe Gottes und des christlichen Volkes und unser aller Erlösung, von diesem Tage an, soweit mir Gott Wissen und Können gibt, werde ich meinem Bruder Karl beistehen, sowohl in der Hilfeleistung als auch in jeder anderen Angelegenheit, so wie man seinem Bruder beistehen soll, auf dass er mir genauso tue, und ich werde niemals ein Abkommen mit Lothar treffen, das willentlich meinem Bruder Karl zum Schaden sei.)
Klar ist die Schichtung in die, die Eigentum oder Verfügungsmacht an Grund und Boden haben, und die vielen, denen es fehlt. Aber Freie können auch auf Grund und Boden von Herren leben und arbeiten, auch wenn das nicht so häufig ist. Und Freie gibt immer weniger, entweder weil es ihnen günstiger erscheint, sich unter den Schutz eines Herrn zu stellen, wobei Schutz immer auch ein Stück weit Unterwerfung ist, oder aber weil sie von Herren unterworfen werden.
Eine definitive Abschichtung zwischen großen und kleineren Landbesitzern gibt es dabei nicht, aber der Abstand zwischen ihnen wird immer größer. An der Spitze stehen in der Zeit der Karolinger Bischöfe, Äbte reicherer Klöster und weltliche Herren. Die Familie der Karolinger steigt auch deshalb bis zum Königsthron auf, weil sie direkt oder indirekt über enorm große Ländereien verfügt. Dieses Eigentum macht sie wie alle anderen aber erst dadurch so recht zu Herren, dass sie darauf andere arbeiten lassen. Dabei ist produktive Arbeit ehrlos und verächtlich. Große Grundherren verfügen über tausende solche Arbeitskräfte.
Eine allerdings nicht stabile Spitzen-Gruppe unter den großen Herren sind weiter die mit direktem Zugang zum König. Historiker sprechen für die Zeit Karls ("des Großen" von einer Art "Reichsaristokratie" aus etwa vierzig bis fünfzig Familien (Tellenbach).
Da eine Pfalz den König und seinen großen Troß auch jetzt nur kurzzeitig ernähren kann, und außerdem königliche Präsenz in den Reichsteilen vonnöten ist, ist der königliche Hof bis zu Karls ("des Großen") Ausbau von Aachen und dann der frühen Zeit seines Sohnes mit kurzen Pausen stetig unterwegs, auch um durch Präsenz Macht zu demonstrieren und aufrecht zu erhalten. Dabei nutzen herausragende Große seine Ankunft, um sich zum Hof zu begeben. Sie besitzen nicht nur viel Land mit darauf arbeitenden Leuten, sondern damit auch viele Vasallen, aus denen sich das königliche Heer zusammensetzt. Sie haben Recht wie Pflicht, den König zu beraten und militärisch zu unterstützen, - und ohne sie kann er nicht herrschen.
Mit dem königlichen "Hofstaat" zieht auch seine Kapelle vornehmer Geistlicher, denn der Macht begründende und siegverheißende Gott ist auch ein zivilisierender, also der, mit dessen Propagierung sich (zentral gesteuerte) Herrschaft immer weiter ausdehnen bzw. intensivieren lässt. Aus der Kapelle lassen sich zudem weiter schriftbegabte Leute für hohe Ämter bei Hofe ziehen, überhaupt erweitert sich höfisches Leben langsam mit größerem Personal.
Einen klar definierten Adel gibt es weiter nicht, auch wenn herausragende Herren als nobilis oder edel bezeichnet werden. Aber es gibt ein ständiges Ringen um den Ehre bedeutenden Rang unter den höheren Herren, der auch symbolisch dargestellt werden muss. Wie in einem Wolfsrudel bedeutet das immer wieder Kampf und Krieg.
Die Interessengemeinschaft aus solcher "Oberschicht" und dem König besteht darin, dass diese ihn unterstützen, und er dafür ihre Interessen zu wahren hat. Das ist hochgradig konfliktgeladen, da diese hohen Herren immer wieder aneinander geraten und der König dann Frieden stiften muss, was nicht immer zur Zufriedenheit von jedem von ihnen gelingt. Zudem gibt es weiter Interessenkonflikte zwischen den Königen und den Großen im Lande.
Bis etwa zur Kaiserkrönung Karls profitieren diese Großen, Bischöfe, Äbte und mächtigere weltliche Herren von der Beute aus den alljährlichen Kriegszügen, und sind einigermaßen loyal. Gelegentliche, auch gewälttätige Opposition kleinerer Machthaber kann problemlos niedergeschlagen werden. Bis zu Karls Tod hält dann der einigermaßen eingespielte Machtapparat des Herrschers mit Grafen, Bischöfen, Äbten und Königsboten das Reich zusammen, wobei man vermuten kann, dass einige hohe Herren, Bischöfe, Äbte und Grafen vor allem Hoffnungen auf die Zeit nach seinem Tod entwickeln.
Die "Verwaltung" des Riesenreiches geschieht über Delegation. An die Söhne Karls ("des Großen") geht neben Italien und Aquitanien auch ein Dukat Le Mans. Ludwig ("der Fromme") teilt seinen Söhnen Unterkönigtümer zu. Darunter leiten regionale Grafen placita, Versammlungen der Gerichtsbarkeit und der Propagierung königlicher Politik. Grafschaftsversammlungen leisten seit 789 auch den neuartigen Treueeid für Karl, und in ihrem Bereich sind Grafen auch für das Heeresaufgebot zuständig. In dieser hierarchischen Struktur kontrollieren hochgestellte Königsboten (missi), inwieweit königlicher Wille eingelöst wird.
Grafen und Königsboten werden weit ins 9. Jahrhundert hineinreichen, insbesondere dann im karolingischen Ostreich bis gegen sein Ende, aber der Zugriff der Könige auf einzelne Regionen nimmt dabei in dem Maße ab, in dem "Adel" sich entwickelt und aufsteigt und sich dabei Besitzungen und Rechte zum Beispiel auch von Kloster und Kirche aneignet.
Wirtschaftliche Basis der königlichen Machtausübung sind die riesigen Ländereien aus merowingischer und karolingischer Herkunft, in große Domänen und darunter villae aufgeteilt, die weithin autark sein sollen, was Ernährung und Handwerk angeht. Dazu kommt erhebliche Kriegsbeute auch an Land, kommen Tribute Unterworfener, und von ihnen können getreue Große mit beneficia, Wohltaten versorgt werden. Um diese zu behalten und zu vererben ist es nötig, sich den König zu verpflichten, unter anderem durch Königsnähe. Jedes Jahr vor der Heeresversammlung im Frühjahr findet so unter Karl ("dem Großen") eine größere Versammlung bei Hofe unter dem König statt.
Ganz langsam geht das aus dem Militärischen stammende Gefolgschaftsprinzip in ein von Historikern so genanntes Lehnswesen über, wobei die Übergabe (Kommendierung) entweder aus Not heraus geschieht und zu servitium et obsequium, Dienst und Gehorsam führt, oder aber bei Mächtigeren und Wohlhabenderen zu consilium et auxilium, Rat und Hilfe. Dafür, dass der Mann dem Herrn einen solchen Treueid leistet, bietet dieser ihm Schutz, also in letzter Instanz militärische Unterstützung an.
Diesem mündlichen "Vertrag" fehlen genauere Festlegungen, sie unterscheiden sich auch deshalb von der Beauftragung mit einem "Amt", also einer konkreten Aufgabe.
Zu Karl Martell heißt es, es wurde
wegen der drohenden Kriegsnot und des Ansturms der umliegenden Völker ein Teil des Kirchengutes als zinspflichtige Landleihe zur Unterstützung des Heeres auf einige Zeit zurückbehalten. (ut sub precario et censu aliquam partem ecclesialis pecuniae in adiutorum exercitus nostri cum indulgentia Dei aliquanto tempore retineamus) (in: Althoff(5), S.150)
Zumindest unter ihm kommt auf diese Weise zu Geschenk und Beute als Belohnung für den Gefolgsmann nach und nach das Lehen hinzu, welches den Vasallen solider als zuvor an den Herrn binden soll.
Hat schon der große Karl Bischöfe wie Äbte einfach eigenhändig eingesetzt, so beginnt sich unter Ludwig dem Frommen die Vorstellung durchzusetzen, dass auch Abtswürde wie Bischofsamt königliche Benefizien seien, was dazu führt, dass sie ebenfalls den Akt der Kommendation durchlaufen müssen.
"Wie bei der Übertragung eines Beneficiums erhält der Bischof bei seiner Amtseinsetzung ein Symbol seines Amtes; per baculum überträgt der König ihm die Bischofswürde." (Leiverkus in LHL, S.165, es handelt sich um den sogenannten Krummstab).
Entsprechend stellen auch Bischöfe ein militärisches Aufgebot für ihren König.
Das Riesenreich Karls des Großen wird einigermaßen zusammengehalten durch die königliche Instrumentalisierung einer Oberschicht, die einmal als Grafen und dann als vassi regis, königliche Vasallen, den Kern des militärischen Gefolges stellen, und zum anderen Bistümer und große Klöster besetzen. Kontrolliert wird das Ganze von Königsboten, den missi regis aus der edelfreien Oberschicht.
Unter Ludwig ("dem Frommen") beginnt das große Reich mit den Machtkämpfen innerhalb der Königsfamilie auseinanderzufallen. Zu diesen immer wieder aufflammenden Bruderkriegen, die nach dem Tod Ludwigs bis zu den großen Reichsteilungen noch zunehmen, kommen die vielen Bedrohungen von außen: Da sind die Wikinger (korrekt ins Latein der Annalen von St.Bertin als pyratae, also Piraten übersetzt), die die Küsten von Nordsee, Ärmelkanal und Atlantik jahraus, jahrein überfallen und berauben und dabei bis nach Paris und anderswo ins Inland vordringen, bald in Küstennähe sogar überwintern, um erneut auf Raubzug zu gehen. Im Süden dringen immer wieder "Sarazenen" in Italien und der gallischen Mittelmeerküste ein und betreiben dieselbe grausame Piraterie. Im Osten wiederum kommt es immer wieder zu kriegerischen Konflikten mit slawischen Stämmen.
Die Unterkönige und dann Könige der neuen Teilreiche sind derart in ihre Machtkämpfe verstrickt, dass sie keine Mittel finden, um hinreichend gegen die Verheerungen dieser äußeren Feinde vorzugehen und finden die Räuber mit hohen Geldsummen ab, um sie wieder loszuwerden. Es sind regionale, manchmal lokale Herren, manchmal das "Volk" vor Ort, die sich dagegen wehren müssen, womit sie meist überfordert sind. Dabei und in den internen Verheerungen gewinnen hohe geistliche und weltliche Herren gegenüber ihren Herrschern an Macht und Einfluss, und zwar durch Drohung mit Gewalt oder durch Gewalt selbst und nicht zuletzt auch durch königliche Vergaben an sie. Sie teilen sich immer mehr die Macht mit den Königen, wobei sie die Bindung an sie durch eine an Herren darunter ersetzen. Ihre Besitzungen an und ihr Verfügen über Grund und Boden und darauf arbeitende Menschen bleiben dabei weiter über große Regionen hinaus zersplittert, während eine niedere Herrenschicht über regional oder nur lokal ausgebreiteten Grundbesitz verfügt.
Bedeutendere Edle besitzt Vasallen, aus denen sich eine vor allem militärische Gefolgschaft zusammensetzt. Zu den unmittelbaren vassi regis Karls ("d.Gr.") kommen im 9. Jahrhundert zunehmend mehr Vasallen dieser Vasallen, also von Bischöfen und Grafen vor allem, die dabei auch zu Senioren ihrer Mannen werden. Diese Untervasallen betreiben zunächst Bauerngüter, die auch für ihre militärische Ausstattung ausreichen. Wir erkennen so eine Schicht von (bäuerlichen) Freien, liberi, die nicht nobilis sind (Thegan), da keine Königsvasallen, sondern ignobilis (Hildemar), mögen sie auch zu Reichtum gelangen, denn sie stammen von Bauern ab.
Schritt für Schritt ändert sich derweil auch der Charakter der weltlichen Vasallität, indem sie sich mit einem Lehen verbindet. Das Beneficium wird dann zunehmend vom Vater auf den Sohn vererbt, auch wenn es unteilbar bleibt. Damit werden die Herrscher nach und nach den Zugriff auf Krongut und damit auch auf die Treue ihrer Vasallen verlieren. Zum anderen neigen Vasallen im Laufe der Zeit dazu, sich an mehrere Herren zu binden, um möglichst viele Benefizien zu erhalten. Damit zieht bezüglich der Treuepflicht Konfliktpotential auf.
Ein weiteres Problem entsteht dadurch, dass kleinere Vasallen, insbesondere solche ohne Beneficium, durch größere mediatisiert werden, indem sie von diesen selbst in Vasallität gebracht werden. Zwischen König und Vasall kann so ein Herr treten, dessen Eigeninteressen bevorzugt zu beachten sind.
Sich fügen tun alle Freien unter Karl ("dem Großen") mit einem Eid der Untertänigkeit. Eide untereinander werden ihnen dabei immer wieder verboten. Das betrifft große wie kleinere Herren, Kaufleute und Hörige. Die Tatsache, dass dies Verbot immer wiederholt wird, 779, 794, dann unter Ludwig ("dem Frommen") 821, 829, dann wieder 847, und dann unter Karl ("dem Kahlen") 860, zeigt, wie nötig das ist. Reiche sind grundsätzlich hierarchisch gegliedert, genossenschaftliche Organisationen gewinnen erst mit den ersten Anfängen frühest kapitalistischer Strukturen an Bedeutung.
Die Macht von Königen wie aller Herren beruht im Kern weiter auf der Gewalt der Waffen, die aber ideologisch immer mehr abgesichert werden muss, wozu die Kirche zu dienen hat. Sie erklärt entsprechend weiter die Machtverhältnisse als gottgewollt und jeden Widerstand dagegen zur großen Sünde. Im Gegenzug wird sie mit Land und darauf arbeitenden Leuten ausgestattet, bis sie am Ende zusammen mit den Klöstern zum größten Grundbesitzer im Reich wird. Je weiter sich im Zuge von Christianisierung oft von Herren gegründete Pfarrkirchen ins Land hinein schieben, desto regelmäßiger findet auch für die Masse der Produzenten Propaganda statt, deren Niveau allerdings wohl extrem niedrig ist.
Herrschaft ist seit Pippins Königssalbung nach altjüdischen Vorbild (wie schon Isodor von Sevilla meint) stärker sakralisiert, das heißt, die Herrschaft geschieht
"von Gottes Gnaden" und in seinem Auftrag, was auch durch das ganze lange Mittelalter so bleiben wird.
Darum ist es naheliegend und vernünftig, weiter jener Religion samt Kirche zu folgen, die ihre Macht begründen, und Teil der sie tragenden Machtstrukturen ist. Einhard schreibt in seiner Karls-Vita über den "großen" Kaiser:
Der christlichen Religion, zu der er von Jugend an angeleitet wurde, war er mit größter Ehrfurcht und Frömmigkeit zugetan. Darum erbaute er auch das herrliche
Gotteshaus zu Aachen und stattete es mit Gold und Silber, mit Leuchtern und mit ehernen Gittern und Türen aus. (26)
Von der Kirche werden Könige auf legendär alttestamentarische Vorbilder wie Salomo und David orientiert, jene, die einvernehmlich mit ihren Priestern das Gesetz des jüdischen Gottes auf Erden verwirklichten. Dabei bleiben diese Herrscher weiter Herren über ihre Kirche und definieren ähnlich wie schon Kaiser Konstantin, was einheitlicher rechter Glaube zu sein hat. "Irrlehren" wie der in Teilen Spaniens verbreitete Adoptianismus (Jesus als quasi von Gott in Göttlichkeit adoptierter Mensch) werden königlich-kaiserlich verurteilt und bekämpft. Über den von Byzanz ausgehenden Bilderstreit (verehren oder anbeten heiliger Bilder) wird genauso letztlich vom Herrscher entschieden. Wo es ihnen wichtig erscheint, setzen sie Gefolgsleute als Bischöfe und Äbte ein, letztere auch schon mal über mehrere Klöster.
Mag Herrschaft auch noch so religiös verbrämt sein, zeigen tut sie sich auch durch den Luxus, mit dem sie sich kleidet. Karl der Große trägt zu bestimmten Festtagen ein kostbares Königsgewand, während er alltäglich in gewöhnlicher fränkischer Tracht herumgelaufen sein soll. In Einhards Karls-Vita heißt es :
Bei festlichen Gelegenheiten schritt er in einem mit Gold durchwirkten Kleide und mit Edelsteinen besetzten Schuhen einher, den Mantel durch eine Spange zusammengehalten, auf dem Haupte ein aus Gold und Edelsteinen verfertigtes Diadem.
Eine Abbildung zeigt den Karolinger Lothar I. um 840.
"Der goldene Mantel ist mit einer vermutlich kostbaren Fibel verschlossen. Darüber eine ebenfalls goldfarbene Tunika, beides mit Edelsteinen übersät, wie auch die
Krone. Langstab (noch kein Szepter) und Zeremonialschwert sehen ebenfalls goldfarben aus und zahlreiche Edelsteine sind appliziert. Selbst die Schuhe sehen goldfarben aus und das Kissen auf dem
Faltstuhl hat goldene Flecken, während selbst der kleine Teppich zu Füßen des Herrschers nicht nur goldfarben ist, sondern ebenfalls von Edelsteinen geziert." (Laudage in LHL
S.93)
Das alles drückt jenen erfolgreich agierenden Willen zur Macht aus, der sich nicht nur in Gewalttätigkeit und Repression, sondern auch in dem Ausdruck hochwohlgeborener Attraktivität äußert.
Wie sein Palastbau in Aachen und das höfische Leben darin ist das Teil einer Art bescheidener "Romanisierung" als Zivilisierungsschub. Dazu gehört die Förderung lateinischer Textkenntnis und Schriftlichkeit und die Förderung von Unterrichtung einer kleinen, im wesentlichen geistlichen Oberschicht, - auf die römische (Spät)Antike hin orientiert. Dazu holen sich Karl und Ludwig belesene Äbte und Bischöfe an ihren Hof, die sich dafür in königlicher Macht sonnen dürfen und mit entsprechenden Ämtern belohnt werden. Mehr Schriftlichkeit soll mehr Verwaltung der Macht mit sich bringen, vor allem Kanzleien, die aus der Hofkapelle hervorgehen, ohne dass das Macht vorläufig sonderlich stabilisiert.
Solche Romanisierung erreicht aber tatsächlich nur den Hof, wenige Gelehrte und wenige Spitzen von Kirche und Kloster. Mit ihrem Geister- und Wunderglauben sind diese oft zugleich mit der Vorstellungswelt der allermeisten Menschen verbunden, die anderererseits illiterat sind, im Rahmen von Zivilisierung zunehmend getrennt von ihren tradierten Welten und dabei zugleich außerhalb des Blickfeldes der höfischen Welt, solange sie brav für deren Luxus und deren Kriege arbeiten.
Das neunte Jahrhundert versucht insbesondere in Westfranzien die Belesenheit und Verfügbarkeit von Texten aus der Zeit Karls ("des Großen") weiter zu führen und zu erweitern, bevor diese Entwicklung dann in etwa mit dem Tod Karls ("des Kahlen") abbricht. Dabei entfaltet sich weiter die Praxis, Vernunft und Vernunftfeindliches (Religion) so zu vermengen, wie es den Machthabern gefällig ist.
Im Zuge solcher Entwicklungen werden Bischöfe und Äbte mächtiger und selbstbewusster, und sie nehmen im neunten Jahrhundert dann an den zentrifugalen Gruppenbildungen der weltlichen Großen teil, deren Interesse ebenfalls die Abwehr stärkerer königlich-kaiserlicher Machtfülle ist.
Nachdem die lange Zeit der großen kriegerischen Eroberungen im frühen neunten Jahrhundert vorbei ist, betrachten viele weltliche und geistliche Große, also kriegerische Großgrundbesitzer mit bewaffnetem Gefolge, jede Machterweiterung der Könige/Kaiser mit Misstrauen und kämpfen bei Gelegenheit dagegen an. Bei den Reichsteilungen Ludwigs („des Frommen“) unter seine Söhne neigen sie dazu, denjenigen bei ihren Machtkämpfen zu folgen, die ihnen die meisten Vorteile bieten.
Weltliche Herren mit Titeln wie Grafen oder Herzöge, mächtige Bischöfe und Äbte erweisen sich als stärker als die dennoch geduldete jeweilige Zentralgewalt mit ihren geringen Möglichkeiten, und nur im durch das 10. Jahrhundert von einer sächsischen Familie nun beherrschten Ostreich und im angelsächsischen England entwickelt sich überhaupt eine neue nennenswerte Zentralgewalt, während das Westreich in Fürstentümer zerfällt und nördlich vom Papststaat neben Tuszien Stadtstaaten am Anfang ihrer Entwicklung stehen.
Den Herrschern fehlen die Machtmittel, und das ist vor allem ein professionelles und von ihnen bezahltes Heer und eine die Reiche durchdringende Verwaltung. Stattdessen sind sie auf Krieger angewiesen, die sich aus ihrem Eigentum versorgen und entsprechend selbständig sind. Sie sind auf Bischöfe und Äbte angewiesen, die immer reicher und mächtiger werden und auch mit der zunehmenden Christianisierung des Königtums diesem immer selbstbewusster entgegentreten können. Könige besitzen kein adäquates Steuersystem und sind so auf ihr Eigentum und das Wohlwollen solcher militärischer Gefolgschaft angewiesen. Die Korruption, als das Eigeninteresse Beauftragter der Könige, von Grafen und Königsboten, können sie kaum kontrollieren. Eine wirksame Verwaltung ist das nicht, und die weithin fehlende Schriftlichkeit außer bei Bischöfen und Äbten verbunden mit den weiten Wegen zu Pferde wirkt entsprechend. Eine sich aus der Hofkapelle entwickelnde kleine Kanzlei stellt zwar zunehmend mehr Urkunden aus, die aber wenig königlichen Willen durchsetzen. Auf ein „Volk“ jenseits der kleinen Herrenschicht haben sie kaum Einfluss, und dieses hat ohnehin keine Macht.
Das Recht ist in allen Zivilisationen an Macht und Stärke gebunden, mit denen definiert wird, was Gerechtigkeit sei. Fränkische Könige sind oberste Richter-Instanz.
Recht taucht in den inzwischen verschriftlichten tradierten Volksrechten auf und seltener in den Verordnungen der Herrscher. Rechtsprechung ist ihrem Wesen nach nicht einfach Diktat von oben,
sondern soll möglichst konsensual der Friedensstiftung als Wiederherstellung der von den Mächtigen gewünschten Ordnung dienen. Deshalb werden, soweit möglich, außergerichtliche Einigungen
vorgezogen, für die oft auch Vermittler wichtig werden. Die Rechtsfindung mit Eiden und Gottesurteilen ist ohnehin nicht mit späteren Standarden zu vergleichen. Andererseits gilt für hinreichend
mächtige Freie das Fehderecht, wenn sie sich begründet ungerecht behandelt sehen und ihnen kein Mächtigerer hilft.
Auch unter den Karolingern bleibt das Frankenreich von Gewalttätigkeit oft grausamster Art geprägt.
Dazu gehört der Krieg der wohlhabenderen Freien zu Pferde sowie der übrigen Freien als Infanterie ist nicht ständig überall, aber jedes Sommer-Halbjahr irgendwo, entweder an den Außengrenzen oder im Reich selbst. Schwerter, Lanzen, Äxte, Keulen und Pfeil und Bogen dienen der Metzelei, dem Töten und Verwüsten. Dabei nimmt der Anteil freier Bauern im Heer immer mehr ab und der von teilweise mit Benefizien versehenen Vasallen (immer mehr zu Pferde) zu. Teilnehmer erwarten von ihrem Kriegsdienst nicht zuletzt auch Beute, was ihr räuberisch-brutales Verhalten bestimmt.
Dabei wird die antik-römische Barbaren-Vorstellung nun auf die "Ungläubigen" übertragen und die Minder-Zivilisierten werden nicht selten als "Wilde" oder gar "Tiere" angesehen, was sich dann bis ins 19. Jahrhundert halten wird.
Was den mehr oder weniger unfreien Produzenten an Gewalttätigkeit verboten ist und kriminalisiert wird, ist Lebenselixir einer beutegierigen und ruhmsüchtigen Herrenschicht, welches sie auch im Inneren als Fehderecht ausleben kann. Selbst Bischöfe und Äbte ziehen in den Krieg, nehmen entweder selbst Waffen in die Hand oder delegieren (eher) den direkten Waffengebrauch. Vor und nach dem Krieg wird von hohen Herren in großem Maßstab gejagt, eine Art Krieg gegen größere Mit-Lebewesen, was den Produzenten ebenfalls immer mehr erschwert wird, die das zur Ernährung brauchen könnten.
Man lebt in einer Welt, in der Friedfertigkeit sich für die Machthaber nicht auszahlt. Immerhin ist der Islam ebenfalls aggressiv, von der iberischen Halbinsel aus, an der nördlichen Mittelmeerküste und gegen Byzanz. Sachsen und Westslawen geben sich nichts in gegenseitigen Beutezügen, die Sachsen und „Franken“ führen vor der Eroberung der ersteren wiederkehrende Raubzüge gegeneinander.
Sengen und verwüsten (Reichsannalen) sind die beiden zentralen Tätigkeiten der fränkischen Heere durch wenigstens zwei Jahrzehnte gegen die Sachsen, und so heißen sie auch in den offiziellen Texten der Franken Jahr für Jahr.
Der König säte Verzweiflung unter vielen Sachsen und zerstörte ihr Gebiet (...) Er verwüstete alles, brennend und plündernd, tötete eine große Zahl Sachsen, die versuchten, Widerstand zu leisten, und kehrte mit einer riesigen Beute zurück (...) Hass gegen das verruchte Volk (..). Er ordnete an, dass alles durch das Feuer und das Eisen zerstört werden sollte (...) im Verlauf von 25 Tagen durchquerte er das Land, es verbrennend und zerstörend. Riesige Beute und zahllose Gefangene, Männer, Frauen und Kinder, wurden mitgenommen (usw.usf. Eine längere Aufzählung gibt es bei Minois, Charlemagne, S.180)
Die militarisierte Minderheit aus Herren darf kämpfen und geradezu fröhliches Heldentum im Verletzen, Zerstückeln und Vergewaltigen ableisten, die auch dafür arbeitenden Volksmassen sind keine elementar anderen Menschen und bescheiden sich notgedrungen mit kleiner dimensionierter unerlaubter Räuberei, mit Totschlag und was sonst noch so gerade anliegt – und werden, wo erwischt, dafür bestraft. Menschen sind von vorneherein selten friedfertig, aber die rund 95% Hersteller von Nahrungsmitteln und anderen Gütern sind nicht nur dazu gezwungen, sich unter Druck von oben mehr im Frieden einzuüben, sondern sie haben auch unmittelbar mehr davon.
Die Herrenmenschen üben genauso auch Gewalt gegeneinander. Bei soviel Gefahren soll Macht dem Schutz der vielen relativ Ohnmächtigen dienen. Also: Die Gewalttätigkeit der Herren gegeneinander kann (auch) dazu dienen, die Untergebenen vor dieser zu schützen. Und so widmet sich Karl in seinen Kapitularien auch dem Schutz der Armen und Schwachen, obwohl das noch unter seinen Nachfolgern wenig effektiv bleibt.
Solchen Schutz gewähren propagandistisch noch lauthalser Bischöfe und Äbte, wobei es bei Armenspeisungen und ähnlichem sehr überschaubaren Umfangs bleibt, die im übrigen letztlich auch aus den Leistungen der einigermaßen friedlich arbeitenden Menschen herrühren. Tatsächlich sind die meisten Menschen bei Hungersnöten, Seuchen und anderen Katastrophen weitgehend sich selbst überlassen und werden von der Geistlichkeit damit getröstet, dass es sich um Strafen ihres Gottes handelt.
Machthaber in Zivilisationen schaffen die Probleme, mit deren Bewältigung sie sich dann rechtfertigen. Sie leben von der Arbeit ohnmächtiger Massen, die sie dann aus Eigeninteresse zugleich machtvoll schützen müssen. Sie praktizieren Gewalt, sind aber am Frieden dort interessiert, wo für sie gearbeitet wird.
Die Welt als christliches Konstrukt
Das durch das Mittelalter anhaltende (römisch-katholische) Christentum ist seit dem 18. Jahrhundert immer mehr zurückgegangen und seit den Reformationen den Protestanten zunehmend und heute den meisten Menschen im (inzwischen mehr oder weniger) deutschsprachigen Raum unbekannt. Grundzüge des nachantiken Christentums sind aber eine Voraussetzung zum Verständnis dieser Zeit und sollen darum hier summarisch zusammengefasst werden.
*** Zwei Welten***
Sowohl frühe Kulturen wie die meisten antiken Zivilisationen konstruierten nur eine Welt. In Kulturen ist das wenig Erklärliche nicht "übernatürlich", sondern Teil ihrer erfahrbaren Wirklichkeit, mit der sie in Kulten kommunizieren.
In der antiken Welt leben die Götter oft auf Bergen, manchmal abgeschieden von den Menschen, begeben sich aber immer wieder auch zu ihnen herunter, kopulieren bei Griechen und Römern auch schon mal mit attraktiven Menschen und sind in ihren Abbildern in Kultstätten mehr oder weniger anwesend.
Als Erben der Kulturen, aus denen sie hervorgegangen sind, bilden Götter, die sich von Menschen vor allem durch ihre Unsterblichkeit auszeichnen, erlebbare Kräfte der Natur wie der unbelebten Welt ab. Das ändert sich im Judentum und dem daraus hervorgegangenen und sich bald in manchem immer mehr diesem wieder annähernden Christentum (und später auch in dem aus beiden hervorgegangenen Islam).
Der Gott der Juden und insbesondere auch der Christen existiert außerhalb der von ihm geschaffenen Welt, bei den Christen laut kirchlicher Doktrin in einer letztlich immateriellen Sphäre, die ermöglicht, dass "er" geschlechtslos, nicht nur unsterblich, also ewig ist, sondern auch, so er möchte, überall zugleich, zudem allwissend und allmächtig.
Bei beiden, Juden wie Christen (und später dem Islam), ist er nur zuständig für die, die an ihn glauben, er ist mit ihnen ein Bündnis eingegangen, in dem er die Gläubigen unterstützt und die Ungläubigen bestraft, und zudem sowohl Juden wie Christen eine schlussendliche "Erlösung" von Ungemach und Leid verspricht, die bei Juden eher eine irdische Komponente enthält, während sie bei Christen mit dem Ende der bekannten Welt die Gläubigen in sein Reich erlöst und sie damit so unsterblich macht, wie er selbst ist.
Solche Religion beschäftigt sich mit dem, was es in keiner Wirklichkeit gibt und wovon man ernstlich keine Kenntnis haben kann. Sie schließt die Lücken des Nichtwissens durch Erfindungen, von denen man hofft, dass sie eine gewisse Plausibilität deshalb haben, weil sie auf Fragen zumindest einzelner Menschen eine Antwort geben. Sowohl das Judentum der Priester, das Christentum der Kirche wie der Islam des Koran beruhen auf der für wahr erklärten Behauptung, dass sich am Anfang ein Gott Einzelnen geoffenbart habe, die das dann aufschrieben.
Solche Religionen behaupten, dass es eine Welt jenseits der Wirklichen gäbe, beherrscht von einem Gott, insbesondere bei Christentum und Islam auch von einem etwas irdischeren Teufel, und von allen möglichen Dämonen und Geistern, die immerhin man auch sinnlich wahrnehmen könne. Beide haben also imaginierte bipolare Welten, die volkstümlich im Deutschen als Himmel und Erde/Hölle bezeichnet werden.
In diesem Konstrukt wird Wirklichkeit als stark vom Bösen beherrschte Natur definiert, weswegen die imaginierten Welten gerne als übernatürlich bezeichnet werden.
Zeitliche Welt als saeculum im Gegensatz zu himmlischen Sphären wird dann noch einmal in eine "weltliche" und eine "geistliche" Sphäre der priesterlichen Magier unterschieden.
Im Zentrum der irdischen Weltzeit steht die Geburt Jesu und seine Kreuzigung und Auferstehung, auch wenn man erst im sechsten Jahrhundert beginnt, die Jahre danach
zu zählen. Letzte der Epochen, in die man die Weltzeit einteilt, ist die antik-römische, welche das Frankenreich und dann auch das ostfränkische "römische" Reich fortführen, und die in durchaus
absehbarer Zeit im Weltenende untergehen wird.
***Gott***
Die Christen erben zunächst den jüdischen Gott, der sich bei Juden durch seine Strenge und Härte auszeichnet, und überhaupt nur mit ihnen verbündet ist. In den Evangelien bezeichnet Jesus ihn als seinen Vater und macht ihn so zu einem entsprechend väterlichen Gott, allerdings nur für seine, nämlich Jesu Anhänger. Im Vaterunser-Gebet ist er in zwei evangelischen Versionen überliefert.
Mit der frühchristlichen Annahme einer wie auch immer wortwörtlichen Sohnschaft Jesu teilt sich die christliche Gottesvorstellung in zwei Personen auf, was insofern bereits Probleme aufwirft, als das mit dem vorgegebenen Monotheismus mühsam in Übereinstimmung gebracht werden muss. Dazu kommt dann noch der Heilige Geist (pneuma hagion), der rund hundert Mal in den Evangelien auftaucht, und den die Oberen der Kirche dann ebenfalls qua Inspiration personalisieren. Dieser aber ist für die Kirche deshalb wichtig, weil er die heiligen Texte erst sakrosankt macht und dann deren Obere zu weiteren religiösen Überzeugungen inspiriert.
Der spiritus sanctus der Westkirche wird die Kirche schon alleine deshalb entzweien, weil Uneinigkeit darüber bestehen wird, ob er nur von Gottvater oder aber auch von Gottsohn ausgeht. Schwieriger wird durch die gesamte Nachantike die Frage bleiben, was die Sohnschaft eines Gottes eigentlich bedeuten könne, ist er doch auf Erden ganz Mensch, aber zugleich auch (irgendwie) Gott selbst. Das beginnt ganz früh mit Erklärungsversuchen, wie ein Gott in einer sehr irdischen Frau einen Sohn zeugen kann, wiewohl das antik-griechischem und antik-römischem Vorstellungsgut durchaus nahe kommt.
Dann wird weiter das Problem der zwei "Naturen", eher Wesenheiten Jesu als Christus in der Debatte bleiben, die sich dann mit dem Problem der Dreifaltigkeit des Einen verbindet: Er ist Mensch und Gott. Dabei bekämpfen sich frühe Cheftheoretiker der Christenheit so erbittert bis gewalttätig, dass schon Kaiser Konstantin als Herr von Konzilien, also Versammlungen der vornehmen Kirchenoberen eingreifen und durchgreifen muss, und noch Karl ("der Große") Machtworte sprechen wird. Inzwischen hat sich aber insbesondere in der späten Karolingerzeit eine zunehmende Abwertung des Menschen Jesus zugunsten des göttlichen Christus durchgesetzt, die sich zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert in den romanischen Christusbildern des Königs Christus, des triumphierenden Herrschers analog zu den irdischen Königs- und Kaiserdarstellungen wiederfinden wird. Menschlicher sind dann die Heiligen, denen sich die Gläubigen längst immer mehr zuwenden.
Der christliche Gott ist ewig, allwissend und allmächtig, er setzt sich soweit aus lauter Abstraktionen zusammen. Andererseits wird er nicht nur als Vater vermenschlicht, sondern auch als Partner der Gläubigen wie ein Mensch gesehen: Man kann ihn bitten, anflehen, mit ihm Tauschgeschäfte eingehen: wenn ich dies mache. gibst du mir jenes, er straft wie ein Mensch, er zürnt wie einer usw.
Als Allmächtiger hat er nicht nur die Kirche eingesetzt und die Menschheit in wenige Herren und viele Knechte eingeteilt, sondern auch in wenige Reiche und gar viele Arme.
Die Präsenz Gottes und eine nur sehr lückenhaft rationale Justiz machen es möglich, dass Eide und Gottesurteile die Rechtsprechung beherrschen. Der Meineid gilt nicht nur als schwere Sünde und Verbrechen, sondern wird entsprechend auch von Gott bestraft werden; im Gottesurteil wird gehofft, dass Gott selbst Recht spricht, wiewohl es zugleich Hilflosigkeit in der Urteilsfindung ausdrückt. "Die Religion dringt wieder in Gebiete vor, die in der antike bereits entsakralisiert und >rationalisiert< worden waren." (Angenendt(2), S.184)
Was die allermeisten nunmehr zwangsweise Gläubigen von alledem halten, bleibt unbekannt. Zu vermuten ist, dass sie das Gottes-Problem einfach von sich fernhalten, wird es ihnen ohnehin als solches nicht nahegebracht und mit jener Aura der Selbstverständlichkeit umgeben, die der Schutzschirm jeder Form von Gläubigkeit ist.
***Leib - Seele - Geist***
Die Wörter Materie und Substanz repräsentieren den Wunsch der Menschen, die wirkliche Bewegung in Raum und Zeit in feststehende "Realität" zu verwandeln und somit alltagstauglich zu machen, sozusagen "handgreiflich". Nur mit diesem Denkmodell kann als Gegensatz auch "Immaterielles" gedacht werden, welches dann im Denken noch beständiger wird.
Die Trennung in Materielles (Irdisches) und Immaterielles (geoffenbartes Geistiges), an sich als reiner Denkvorgang zu erkennen, macht das Christentum aus und zudem abendländische Philossophie bis zu ihrem gemeinsamen Untergang im 18./19. Jahrhundert. Heiligen lässt sich dabei nur der "Geist", wiewohl (tatsächlich) immer den Köpfen von Menschen entsprungen, und zwar als der, mit dem "Gott" Menschen "inspiriert", denen er ihn also wörtlich "einhaucht". Als Ort dieses "Inspirierens" dient (verständlicherweise) nicht der Verstand, sondern eine schwer lokalisierbare Instanz im Menschen, welche von Christen als Seele bezeichnet wird. Dieser immaterielle, spirituelle Ort muss möglichst "rein" (von Sünde bzw. Begierde) gehalten werden, da er im Idealfall ins ebenfalls immaterielle Himmelreich eingehen soll.
1115 schreibt der Mönch Guibert (Wibert) von Nogent in seinem 'De vita sua': Ubi enim carni jam nullatenus spiritus reluctatur, et infelicis animae substantia voluptatum dispendio profligatur. Also: Wenn der Geist nicht mehr gegen das Fleisch kämpft, wird die Substanz der Seele durch die Gelüste zerstört. (I,1)
Carne - spiritus - anima (Fleisch-Geist-Seele) bedeutet hier eine sehr christliche Aufspaltung des Menschen in drei Teile, von denen nach theologischer Ansicht die Seele unsterblich sein soll. Mit Fleisch ist wie schon im frühen Christentum der Körper/Leib gemeint, und zwar in lebendiger, also belebter (animierter) Form. Das belebende Element war bei den Hellenen die psyché gewesen, während bei den Lateinern der Leib "animiert" wird. Anima ( wie Psyche) ist darum nur sehr notdürftig neuhochdeutsch in "Seele" zu übertragen.
Daraus entsteht die Vorstellung, dass das Leben und womöglich die Seele via spiritus dem Körper ein- und ausgehaucht wird.
Nun soll im christlichen Sinne der Geist gegen die Übermacht des belebten Körpers kämpfen, hier gegen das, was ihn besonders intensiv belebt, nämlich seine voluptas. Diese meint in der Antike die Lust und das daraus resultierende Wohlbefinden und wird unter christlichem Einfluss immer mehr in Richtung sexuelle Lust/Begehren reduziert. Die Zähmung menschlicher Triebhaftigkeit bedeutet offiziell für Christen vor allem die grundsätzliche Abwendung von Formen sehr irdischer Lust. Dass das nur von sehr wenigen überhaupt so praktiziert wird, ist offensichtlich.
Der Geist ist aber nicht nur germanisch, sondern auch christlich-lateinisch eine ausgesprochen unheimliche Größe, wenn er nicht (sehr menschliche) Verstandestätigkeit benennt, sondern als heiliger Geist (spiritus sanctus) auch von Gottvater ausgeht und so Teil einer göttlichen Dreifaltigkeit ist. Da er die erlauchten Häupter der christkatholischen Kirche unentwegt inspiriert, also ihnen korrekte Glaubensinhalte einhaucht (spirare), muss er magische Qualitäten haben, was es möglich machen wird, ihn auch von dem abzulösen, was vorchristliche Menschen der Antike schlicht und einfach als "Denken" erschließen können.
Wenn man notdürftig den Geist als Funktion des Verstandes verstehen kann, ist die christliche Seele als anima eine Erfindung der Kirche, die derzeit auch mit ihr untergeht und ersetzt wird durch jene, die schon im alten Hellas als psyché existierte, also Lebendigkeit als ein bewusster wie unbewusster (hirngesteuerter) Innenraum des Menschen - unter der Maßgabe, dass der Mensch eine Einheit bildet, die nur gedanklich für bestimmte Zwecke aufgespalten werden sollte.
Die unheilvolle christliche Zergliederung des Menschen besagt also, dass der unsterbliche eigentliche Mensch aus seiner "Seele"/anima besteht, deren Fähigkeit, in irgendeinem Himmel nach dem Tode weiter zu "existieren", wie auch immer, korrumpiert wird, wenn er nicht mit der Willenskraft seiner christlichen Einsicht irdisches Begehren seines Körpers (carne - Fleisch) möglichst niederkämpft.
Was wohl fast alle kirchengläubige Laien zumindest darunter verstanden, war nicht das unattraktive Weiter-Existieren einer körperlosen "Seele", sondern ein angenehmes leibhaftiges Weiterleben in irgendeinem Himmelreich in der Nähe Gottes und seiner Engelsscharen.
Das "Fleisch" bzw. den Leib niederkämpfen ist Aufgabe nicht nur christlicher Askese, aus dem griechischen askesis für Übung abgeleitet. Das leisten schon frühe Eremiten in der ägyptischen Wüste, die möglichst wenig essen, sich minimal bekleiden, es an Hygiene im heutigen Wortsinn mangeln lassen und ihren Körper als Ort der Gelüste, insbesondere der geschlechtlichen, geißeln. Ihre Erben werden jene Mönche, die sich in klösterlichen Gemeinschaften von der "Welt" abschließen. Parallel dazu sollen Priester zwar in der Welt und für sie da sein, aber andererseits ebenfalls sexuell enthaltsam sein und möglichst in ähnlichen Gemeinschaften wie Mönche leben.
Ein wenig Askese sollen aber auch die Menschen "in der Welt" leisten, durch Fasten samt sexueller Enthaltsamkeit zum Teil über mehrere Wochen und vor dem Einnehmen der Kommunion. Überhaupt sollen sie ihre Begierden zügeln, was aber tatsächlich vor allem für die gilt, die ganz unten von einem Herrn abhängig sind.
***Erlösung in die Ewigkeit***
Gott ist vor allem ewig. Der Tod aber ist neben dem Schmerz der Urquell aller menschlichen Angst. Seine Endgültigkeit irgendwie zu leugnen ist wohl schon ein frühes Unterfangen der Menschheit gewesen. Juden verbrennen ihre Toten nicht, weil sie glauben, wenn der Tag der Erlösung käme, und zwar nur für sie, würde der Messias sie aufwecken, und sie würden dann in einem exklusiven Paradies für Juden wieder irgendwie leibhaftig zum Leben erwachen.
Der evangelische Jesus erklärt nicht wortwörtlich, er sei dieser Messias, aber seine Anhänger halten ihn irgendwann dafür. Nur ist er nicht mehr für jeden Juden zuständig, sondern nur noch für die, die so leben wie er, nachdem er dank des Täufers seine Mission entdeckt hat. Und sein väterlicher Gott würde, so sagt der Jesus der Jerusalemer Passion, dafür sorgen, dass sein Tod mit einem gewaltigen Donnerschlag diese Welt für seine Jünger ganz schnell in das paradiesische Jenseits verwandeln würde.
Das geschieht nicht, und er kommt nicht wieder, wie seine Anhänger zunächst dachten, um dies sein Werk zu vollenden. So bleibt nichts anderes, als auf Erden lebenslang auszuharren, so zu leben, wie Jesus das wollte, und das ewige Leben auf die Zeit nach dem Tod zu verlegen.
Der Gott der Evangelisten ist bereits im Ansatz ein Richtergott. Er würde wissen, wer für sein Himmelreich tauglich sei, und er würde alle anderen Leute seinem kontrapunktischen Kollegen, dem Teufel überlassen. Zu diesem Gerichtstag kommt es aber eigentlich erst mit dem vom christlichen Gott inszenierten Weltuntergang, denn Voraussetzung für das Jenseits für alle Gläubigen ist das Ende des Diesseits. Wann das sein würde, wird zwar immer mal wieder vermutet, aber Genaues weiß man nicht, auch wenn Gelehrte versuchten, ein genaues Datum zu berechnen.
Immerhin kommt man selbst auf höherer Ebene schon früh zu der erfreulichen Annahme, dass besonders Fromme es schon früher schaffen könnten, sozusagen vorgezogen würden, weil Gott sie besonders liebe so wie Jesus seinen Jünger Johannes. Heilige wandern nun ohne Umwege zu Gott, weswegen ihr Leichnam manchmal auch nicht verwest.
Der evangelische Jesus hatte zwar, selbst auferstanden, wie da nach seinem Tod behauptet wird, nicht von der Auferstehung der Menschen geredet, sondern von seiner Rückkehr in Kürze, mit der für die, die ihm bis dahin gefolgt waren, das Reich Gottes anbrechen würde, vielleicht ganz in jüdischem Sinne in dieser Welt und keiner anderen. Die Rede von der menschlichen Auferstehung von den Toten konnte erst einsetzen, als er nicht wiederkam. Nur darum entsteht die Kirche mit ihren magischen Mitteln und all das, was sich daraus ergeben wird.
Für die Missionierung wird die Erwartung des allgemeinen Welten-Gerichtes als Weltuntergang tendenziell ersetzt durch die bald nach dem individuellen Tod einsetzende Gerichtsbarkeit für den jeweiligen Verstorbenen, was dem Drohcharakter der christlichen Botschaft auf den Einzelnen erheblichen Nachdruck verleiht.
Den schon über Generationen bekehrten Christen wird durch die Heilsmittel der Kirche die Perspektive gewährt, nach Ableistung der Sündenstrafen an der Ewigkeit Gottes teilhaben zu können. Auf höchstem theologischen Niveau ist dafür allerdings nur die Seele geeignet, denn Gott dort ist eine Art Geistwesen und nicht der physisch vorstellbare ältere Herr des Volksglaubens. Entsprechend ist der körperliche Mensch der Verwesung anheimgegeben und je frömmer der Christ, desto mehr soll er ihm Verachtung entgegenbringen und als Mann vor allem sich nicht von weiblichen Reizen täuschen lassen.
Für die meisten Menschen ist allerdings das Angebot ewigen Lebens als körperloser Seele wenig attraktiv, und so duldet die Kirche und fördert dann auch, dass der Volksglaube wie auch der hoher Geistlicher die Vorstellung einer Auferstehung des Leibes wie beim Gottessohn vorzieht, und zwar im optimalen Zustand jugendlicher Kraft und Schönheit.
Der evangelische Jesus hatte schließlich, behauptet die Kirche, die Auferstehung des Leibes versprochen und auch selbst vorgemacht. Den Laien, also fast allen, kann man aber bald kein ewiges Leben als Kranker, Zerstückelter oder gebrechlicher Greis als Angebot für den Glaubenswechsel und die Unterwerfung unter Kirche und weltliche Macht machen.
Neben diese Vorstellung von einer leiblichen Auferstehung tritt nach und nach, wie schon das 'Muspilli' zeigt, die von einer Unsterblichkeit dessen, was die Griechen psyche nannten, die Römer anima, und was dann in germanischen Sprachen als Seele übersetzt wird. Diese entweicht mit dem Tod aus dem Körper und landet entweder bei Gott oder allen Teufeln. Der Körper ist dann als toter „entseelt“, ein Ausdruck, der sich gehalten hat. Die Seele wird für immateriell gehalten (quasi) wie der Atemhauch, ist aber zugleich durchaus glücks-und leidensfähig. Allerdings ist der Gedanke von der Unsterblichkeit der Seele weder vorstellbar noch darstellbar und darum eher ungeeignet bei der Propagierung des Christentums.
Die Dualität von Leib und Seele/Geist wird konstitutiv für das Christentum der Gebildeten, während sie für germanische Völkerschaften zunächst nicht einmal sprachlich darstellbar war. Zudem sind die Höllenqualen, mit denen der neue Gott beim Auslaufen der Antike zunehmend droht, für die zu Missionierenden als körperliche Torturen wesentlich überzeugender als irgendeine Seelenpein.
Gott und sein Reich sind jenseits von Zeit und Raum und damit menschlichem Vorstellungsvermögen eigentlich nicht zugänglich. Im Grunde gilt das auch für die Hölle, die aber nach der Antike an Format und Anschaulichkeit immer mehr zunimmt, da sehr alltägliche Folterqualen nicht nur die Phantasie beschäftigen. Ewige Seligkeit hingegen ist nicht vorstellbar. Sie ist auf Erden nicht zu haben, und wenn man sich dann aus dem irdischen Leben dafür das herauspickt, was einem besonders gefällt, nimmt die Kirche das hin.
Was für (ein wenig) philosophisch geschulte Theologen eine jenseitige Welt der Vergeistigung und der unirdischen Abstraktionen ist, was immer das sein mag, stellt die Kirche der Masse der Christen relativ bald als paradiesische Zustände in einem einladend paradiesisch ausgestalteten Himmel vor, also das absolut gesetzte Gegenteil der irdischen Welt, die für die meisten damals nicht zuletzt Mühsal und Arbeit, Kummer und Leid bedeutet.
In der vom Anfang des 9. Jahrhunderts stammenden Trierer bebilderten Handschrift der Apokalypse, also der Offenbarung des Johannes, thront Christus als richtender Gott, assistiert von einigen Engeln, und unter ihm werden die gerade Auferstandenen als recht jung, gesund und munter abgebildet, natürlich nackt wie im ersten Paradies.
Darunter, neben dem Engel, der die für das Himmelreich Untauglichen dem bzw. einem Teufel übergibt, wird gezeigt, wie einfach der Zustand der gerade Auferstandenen aufzupolieren ist: Ein Engel befiehlt einem kopflosen und auch sonst in schlechtem Zustand befindlichen Auferstandenen, sich in die angemessene körperliche Verfassung derer über ihm zu begeben, in der alleine man vor Gott zu treten hat.
Das ist die großartige Einladung der Kirche: Der Tod ist nun nur noch der Übergang in eine zweite Welt phantastischer Wunscherfüllung und nicht mehr das Ende, - eher der eigentliche Anfang. All das ist zwar widersprüchlich und inkonsistent, unter anderem weil man eigentlich für all diese Annehmlichkeiten auf die Wiederkunft Jesu warten muss, der der erfahrbaren Welt ein Ende macht, mit dem auch alle nicht für ein himmlisches Leben vorgesehenen Menschen in irgendeinem Orkus verschwinden. Und dann ist da noch ein zweites Problem, denn es gibt ein doppeltes Jenseits neben dem einen erfahrbaren irdischen: Zum Himmel gesellt sich die Hölle und laut Paulus und den Evangelien ist letztere für die meisten da.
Wo immer Menschen die Wunschvorstellung von einer leiblichen Auferstehung mit möglichst optimalem Körper haben, muss es ihnen schwergefallen sein, auf Grabbeigaben zu verzichten, und die letzten tun dies im Frankenreich erst im 7./8. Jahrhundert, offenbar getröstet durch die Vorstellung, dass in himinam alles im Überfluss vorhanden sei.
Damit der Übergang in dieses himmlische Paradies möglichst ohne (großen) Umweg erreicht wird, ist zunehmend neben der Anwesenheit der Verwandten die priesterliche Begleitung vonnöten, denn gute Engel und böse Dämonen werden bald um die arme Seele kämpfen, und dabei helfen ihr Gebete und das Begießen mit heiligem Öl, welches immer magischere Kraft gewinnt. Wichtig ist auch eine letzte (und nun möglichst offenherzige) Beichte samt aufrichtiger Reue und zuvor ein Testament, in dem man Kirche und Kloster und damit auch die Armen bedenkt.
Wer einflussreich genug ist, kann auch, wenn er den Tod nahen sieht, für die letzten Tage oder Wochen ins Kloster gehen, um seine Chancen hinsichtlich einer himmlischen Zukunft als Kurzzeitmönch noch zu verbessern.
Der Hölle verfallen sind allerdings alle Selbst"mörder", denn der Suizid gilt als
Todsünde und nimmt einem die Möglichkeit des Begräbnisses in "geweihter Erde", schließt einen also auch postmortal aus der Gemeinde aus. Spätestens im 10. Jahrhundert werden nämlich nicht nur Kirchen, sondern auch dazu gehörende Friedhöfe geweiht.
*** Hölle und Teufel***
In der antiken Welt der Römer verschwindet für Gläubige das, was vom Menschen nach dem Tod übrigbleibt, in der Schattenwelt des infernus, wörtlich der Unterwelt. Im germanischen Raum ist das hel oder hella, in späterem Deutsch Hölle, oder italienisch inferno zum Beispiel.
Tatsächlich entsteht die Hölle aus dem Hades/Tartarus der römischen bzw. griechischen Antike und hat mit dem evangelischen Jesus und seinen jüdischen Vorgaben nichts zu tun. Christlich gewendet wird daraus im 6./7. Jahrhundert der (wohl riesige) unterirdische Folterkeller, in den alle die Toten gelangen, die entweder zu viel gesündigt oder aber nicht genügend die von Gott der Kirche verliehenen Heilsmittel genutzt haben. Damit werden aus den zwei Welten dann eben doch drei.
Chef im (christlichen) Höllenreich ist der Teufel. Als Satanas ist er bei Juden der „Widersacher“ Gottes gewesen, sein Gegenspieler, und bei den zu bekehrenden Griechen wird diese Vorstellung recht wörtlich in den diabolos übersetzt und in seinen Verballhornungen wird dieses Wort dann für die Germanenmission übernommen. Neben guten Feen kennt der Volksglaube aber auch böse Dämonen, und Christen sehen überall tausend Teufel am Werk, ist die Welt des evangelischen Jesus wie seiner jüdischen Zeitgenossen doch schon von teuflischen Dämonen durchsetzt, die niemand so wie er austreiben kann.
Abgeleitet wird die christliche Teufelsvorstellung aus der jüdischen Paradiesgeschichte, in der (der jüdische) Gott mit Adam und Eva zwei Menschen "nach seinem Ebenbild" schafft, was immer das bedeuten mag. Jedenfalls sind sie zugleich Mann und Frau und doch ohne Geschlechtstrieb, da noch unsterblich. Der böse Widersacher Gottes, später auch als aus dem Himmel gefallener Engel des göttlichen Hofstaates beschrieben, verdirbt die Unschuld der Menschen, indem er Eva dazu verführt, Adam zu verführen, die Frucht vom Baum der Erkenntnis zu pflücken bzw. zu essen, mit der das Böse selbst in die Welt kommt.
Die Paradiesgeschichte als bildhafte Vorstellung des Austritts des Menschen aus der paradiesisch vorgestellten Natur und Eintritt in die Mühen der Kultur bzw. Zivilisation bestimmt diesen Punkt als den des Beginns eines sich selbst reflektierenden Denkens, also den der Textproduktion.
Die dazu gehörige sexuelle Komponente besagt, dass in/mit dem Bösen ein Begehren in die Welt kommt, welches sich praktisch dazu fügt, dass die Menschen als Strafe Gottes ihre Unsterblichkeit verlieren und nun zur Fortpflanzung gezwungen sind, welche bekanntlich nun durch Lustgefühle motiviert wird.
Der Koitus ist für die jüdischen Priester-Redakteure dieser Geschichte noch keine Sünde, da ihrer Ansicht nach das (jüdische) Volk Gottes sich (in dessen Auftrag) fleißig zu vermehren hat; ihr Augenmerk liegt auf der Erkenntnis als Unterscheidung zwischen gut und böse, die sich Menschen unbefugt angeeignet haben, obwohl sie inzwischen jüdisches Priestermonopol sein soll. Die Verbindung von Geschlechtstrieb, sexueller Lust und Sünde entwickeln erst frühe Kirchenlehrer.
Die von Jesus angebotene Rückkehr ins Paradies und nun eher in den "Himmel" bedeutet erneute Unsterblichkeit und damit das Ende sexuellen Begehrens. Die Vorbereitung darauf auf Erden gelingt um so besser, je mehr man dies Begehren unterdrückt und wenigstens nicht auslebt.
Dabei geht es um die menschliche Besonderheit, dass die Fortpflanzung mit einem besonders ausgeprägten Lustempfinden gekoppelt ist, welches schon das Begehren zu einem von ausgiebiger Schmerz-Lust-Erfahrung machen kann, die von der kirchlich geforderten Hinwendung zu Gott ablenkt, indem sie die Menschen auf sehr Irdisches konzentriert.
Als erste und zentrale Sünde setzt sich also bald die sexuelle Unzucht (fornicatio) durch, wobei man das deutsche Wort auch mit Disziplinlosigkeit umschreiben könnte. Damit wird der Teufel in hohem Maße zum Vertreter des sexuellen Begehrens, was sich volkstümlich in seinem animalischen Pferdefuß und seinen ebenso animalischen Ausdünstungen niederschlägt.
Hier verbinden sich nun Eva als
Verführerin des Mannes und der Teufel, der sich ihrer bedient. Am männlichen Begehren ist die Frau schuld, „weil“ sie es, so heißt es, im Mann entzündet. Die Frau, die das forciert, ist mit dem
Teufel im Bunde. Damit wird das Teufelsbild aber im Laufe der Zeit zunehmend schwanken zwischen dem abstoßend hässlichen und dem attraktiv-charmanten Bösen. Nur in letzterer Rolle taugt der
Teufel ja als Verführer insbesondere der Frau, die dann den Mann verführt. Damit wird ein jüdisches Frauenbild zu einem christlichen.
Denn der Teufel, meist in der Mehrzahl, ist nicht erst für die Hölle zuständig, sondern bereits auf Erden ähnlich allgegenwärtig wie Gott, ist doch die Erde sein eigentliches Reich, so wie das Paradies das Reich Gottes ist. Nur so ist verständlich, warum der evangelische Jesus versprochen hatte, seine Wiederkehr mit der Zerstörung der irdischen Teufelswelt zu verbinden.
Sehr präsent werden die Teufel in den (von Kirchenleuten verfassten) Texten aber erst mit dem langsamen Einstieg ins Mittelalter im 9./10. Jahrhundert.
Seitdem ist der Teufel überall, was daran liegt, dass er zwar wie Gott nur einer ist, aber zugleich nicht nur in dreierlei Gestalt, sondern in unzähligen Exemplaren auftritt. Die Vorstellung vom Regiment des Teufels und den Höllenqualen setzt sich, wenn man allem, was überliefert ist, glauben kann, langsam immer mehr durch und wird von Königen und Bauern offenbar gleichermaßen „geglaubt“.
Zu den kirchenchristlichen Vorstellungen gehört auch, dass man nicht nur vom heiligen Geist inspiriert, sondern auch vom bösen Geist besessen sein kann, weswegen zu den niederen Ämtern in den Kirchen auch nach Möglichkeit wenigstens ein Teufelsaustreiber, Exorzist, gehört. Dieser liest dann rettende Formeln vor, manchmal wohl von anderen Ritualen begleitet.
Der Teufel des Mittelalters hat dann eine Doppelgestalt: Einmal ist er auf Erden der Verführer, der Anbieter zahlloser Verlockungen. Andererseits ist er aber auch in der Hölle der grausame Folterer und Sadist.
Den härtesten Kampf gegen den teuflischen Verführer liefern Mönche seit den frühen Eremiten in der Nacht, wenn erotische Träume von Samenergüssen begleitet werden. In den Bußbüchern zwischen 600 und 1000 beziehen sich fast die Hälfte aller Verbote und Bestimmungen auf Sexuelles.
Die Hölle, die sich Menschen in den christianisierten Machtstrukturen tatsächlich schaffen, wird so transponiert in eine Welt sadistisch quäll-lustiger Teufel, denen keine Folter und keine Form der Peinigung fremd ist, und kaum versteckt tauchen da immer Anteile sexueller Aggression oder masochistischer Sehnsucht auf.
Den besten Weg an der Hölle vorbei direkt ins Himmelreich demonstrieren jene mittelalterlich ausgeformten, legendär-antiken Märtyrerheiligen, fromme Glaubenszeugen, die diese Qualen bereits auf Erden hinter sich bringen: Von Pfeilen durchbohrt, verbrannt, zerschnitten, mit abgezogener Haut, abgeschnittenen Brüsten oder was immer sonst eine durch Verdrängung unbewältigte Sexualität an Phantasien und realen Praktiken zustande bringt. Eine Alternative der nicht in die Hölle Verfolgten wird Selbstkasteiung, jener Teil der Askese, der nichts anderes als selbst zugefügte Qual ist, die in eine Lust verwandelt werden soll.
***Sünde***
Vorläufer einer christlichen Sündenvorstellung ist die jüdische vom Verstoß gegen die lange "mosaische" Gebots- und Verbotsliste. Im Christentum taucht dann davon nur noch ein Teil wieder auf. Es gibt spezifisch religiöse Sünden wie Gotteslästerung oder "unkeusche Gedanken", aber andererseits ist im Kern auch alles Sünde, was jenseits davon als Verbrechen gilt. Damit werden Missetaten, die sich gegen Elementaria des Zusammenlebens richten, wie sie alle Kulturen definieren, oder solche, die von Machthabern aus Eigeninteresse definiert werden, einer rationalen Auseinander-Setzung entzogen, denn sie sind nun Gottes Gebote, und weder mehr einfach Sitte und Brauch, noch einfach nur von Mächtigen durchgesetzt.
Der christliche Katalog der Laster bzw. in der kirchlichen Version, der Sünden, wird zugleich zu einem menschlicher Gelüste: Neben der sexuellen Lust gehört dazu jene Begierde, die als Völlerei abqualifiziert werden kann (Jesus hat wohl frugal geschmaust), als Besitzgier (Jesus hat Armut gepredigt), als Eitelkeit (Jesus wählt einen Esel statt eines Pferdes zum Ritt nach Jerusalem), als Stolz (dem Jesus als Gegenstück die Demut und Bescheidenheit vorlebte) usw.
Diese Laster bzw. Sünden im Katalog der Kirche sind die Mittel, mit denen der Teufel die Menschen im Irdischen gefangen halten und von der irdischen Pilgerschaft zu Gott abhalten möchte. Für die christliche Priesterschaft sind sie das Fundament ihrer Existenzberechtigung: Nachdem die Kindstaufe den Säugling formell und mit höchst magischen Mitteln dem Teufel entreißt und der Kirche zuführt, ermöglicht sie den Willigen mit Predigt und Zauberkräften den Weg zu Gott. Da dieser mit ständigen höchst natürlichen und zutiefst menschlichen Versuchungen gepflastert ist, bedarf es lebenslang stetig weiterer magischer Mittel der dafür Beamteten, um den Zugriff des Teufels abzuwehren bzw. zu kompensieren.
Die Menschen leben stärker als je zuvor im inneren Zwiespalt, müssen den aber für die Bewältigung ihres mühsamen Alltages immer neu wieder aufheben. Bis ins hohe Mittelalter werden sie lernen, einmal zwischen dem, was sie sollen, und dem, was sie tun, zu trennen, und zum anderen diese Spaltung möglichst häufig zu ignorieren. Sie werden das in der Regel wohl weniger als Lüge betrachten, sondern als einzig praktikablen Weg ihrer Lebensführung.
Fast alle sind allerdings sowieso inzwischen fast durchgehend von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang damit beschäftigt, ihren Lebensunterhalt, also ihr Überleben und den Luxus der Herren durch Bearbeitung des Landes und durch Viehzucht zu sichern. Vor allem daran hat sich weiterhin ihre religiöse Vorstellungswelt zu orientieren.
***Über- und unterirdische Machtkämpfe***
Das Eingreifen Gottes, welches Menschen der Nachantike und des Mittelalters immer wieder herbeibitten, als Hilfe gegen Dürre oder Überschwemmung, gegen Heuschrecken und Krankheiten, dürfte tatsächlich eine zwiespältige Angelegenheit geblieben sein, und wird in dem Wort "Wunder" auch als Ausnahmephänomen wahrgenommen.
Mit dem göttlichen Reich des Übernatürlichen wird nicht nur in Kirchenräumen kommuniziert und dabei Magie der Priester zelebriert, die Menschen insbesondere auf dem Lande scheinen alltäglich mit ihm in Kontakt zu stehen, wobei es auch Experten jenseits der Kirche zu geben scheint. Beide, Kirche und Volk, vereinigen sich in Prozessionen, die um gutes Wetter für die Ernten, Rettung vor Heuschreckenplagen oder Sieg in Schlachten und Kriegen bitten. Ablehnend ist die Kirche, wenn es um Vernichtung der Nebenbuhlerin oder des bösen Nachbarn, um Fruchtbarkeit der Frauen auf unkirchlichen Wegen oder die Verehrung guter Feen geht. Kirche und Laien sind aber zusammen bei wundertätigen Reliquien und Heiligen, in der Verwandlung von Wein in Blut oder Wasser in Weihwasser im Kirchenraum, in der Austreibung von Teufeln und in der Weihung von Kirchen und zunehmend der Weihung von Königen.
Wir haben also die auf menschlicher Triebhaftigkeit und Aggressivität beruhenden Macht-Kämpfe an der Oberfläche des menschlichen Lebens und die zwischen den göttlichen Mächten, in den Priestern handfest dargestellt, und den teuflischen, die die Menschen immer wieder befallen. Jenseits der Konfrontation mit der Kirche wird sich im Laufe der Zeit dabei eine bei den Menschen nur sporadisch auftretende Instanz in den Menschen herausbilden, die viel später im Deutschen (christliches) Gewissen heißen wird. In ihm ist der Sündenkatalog internalisiert, und dort findet bei den Frömmeren der Kampf zwischen Begehren und Verbot statt, verstärkt durch das, was dem Ohnmächtigeren durch die Mächtigeren auferlegt wird.
***Re-Judaisierung: Der Gott des Krieges und des irdischen Erfolges***
Wie schon Paulus-Briefe bezeugen, sind die christlichen Gemeinden, die sich vor allem im östlichen Teil des Reiches bilden, auf dem Weg in den griechischen und dann auch den lateinischen Alltag: Ein kirchengesteuertes Christentum muss alltagstauglich werden, sich also in die Machtstrukturen, Arbeits- und Lebensgewohnheiten integrieren, wenn auch nicht ganz so wie das vorausgehende Judentum, aber eben doch recht ähnlich.
Zu den vielen eher seltsamen Forderungen Jesu gehört die, die andere Wange hinzuhalten, nachdem man auf die eine geschlagen wurde. Diese völlig widernatürliche und
psychisch unerträgliche Unterwerfung unter die Gewalt des anderen, eine Opferbereitschaft, die als Friedfertigkeit verstanden wird, ist im historisch (wenig) dokumentierten Christentum der ersten
Jahrhunderte bald fast vollständig verschwunden. Ganz im Gegenteil: Christen tauchen auch in den brutalen und grausamen Amüsierveranstaltungen der Kaiserzeit auf, und es wird immer
selbstverständlicher, dass sie auch Soldaten werden.
Mit der Legende von Konstantins Sieg über seine Gegner in entscheidender Schlacht "im Zeichen des Kreuzes" ist der jesuanische Gott dann endgültig in den jüdischen Kriegsgott, den Gott des Waffen- und Schlachtenglücks rückverwandelt, nur dass dieser inzwischen den Juden durch die Christen quasi weggenommen und aus dem Opferkult der Tempelpriester eine Priesterschaft geworden ist, die über andere magische Zaubermittel verfügt.
Schon zum jüdischen Kriegergott gehörten altjüdische Engel als seine Krieger, seit sie Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben haben und mit Gewalt eine Rückkehr verhindern.
Die Rückkehr des jüdischen Kriegsgottes in die christliche Sphäre, die selbst den Feindesliebe predigenden Jesus als triumphierenden Christus zu einem Erzkrieger macht und den Papst mit Moses gleichsetzt, spricht nun Bände über das, was mit dem armen Jesus in den Händen der Kirche geschehen ist.
Das zeigt sich in der Beteiligung von Bischöfen und Äbten als oft bewaffneten Führern ihrer Heeresverbände in den Kriegen, wie sie besonders Karl ("der Große") anfordern wird. Noch im 10. Jahrhundert werden geistliche Herren die meisten königlich-kaiserlichen Heeresverbände anführen.
Widersprüchlich ist aber auch der christlich eingefärbte kriegerische Adel, in dem Stolz und christliche Demut kaum miteinander in Einklang zu bringen sind. Jedoch, durch das ganze Mittelalter hindurch werden nicht nur überzählige Kinder adeliger Familien ins Kloster gesteckt, ohne sie zu fragen, sondern es gibt immer wieder auch einige, die den Anforderungen aristokratischer Lebensführung aus eigenen Stücken entfliehen, das Schwert sogar wortwörtlich begraben wie der Heilige Galgano, oder früher Kapitalverwertung entkommen wie der Francesco von Assisi. Dazu kommen dann ältere Semester, die der eitlen Mühen dieser Welt überdrüssig werden und gegen eine Schenkung um Eintritt in ein Kloster bitten. Der berühmteste von ihnen wird wohl Kaiser Karl V. werden.
Und so wird das Mittelalter zwischen Aktivität, der vita activa, und kontemplativer Ruhe schwanken, aber geprägt wird es von Gewaltätigkeit, die legal ist als Fehde und Krieg, und illegal dort, wo sie die Machthaber verbieten, nämlich bei den jeweiligen Untertanen.
Von der evangelischen Feindesliebe, ohnehin nicht lebbar, bleibt also nichts übrig, aber auch ansonsten bleibt natürlicherweise von der Nächstenliebe nicht viel erhalten. Sie wird zur caritas, die auf das Almosen-Geben für Arme und Kranke reduziert wird, immerhin eine Neuerung gegenüber einer eher erbarmungslosen Antike. In der Nachantike wird daraus einmal eine eher schon eigennützige Bußleistung derer, die entsprechende Einkünfte oder Vermögen haben, und die Kirche fördert, dass sie solche Almosen empfängt, um sie dann mehr oder weniger weiter zu verteilen.
Die Praxis
***Konversion***
Die christliche Kirche ist spätestens seit dem 4. Jahrhundert in die Hände einer reichen und mächtigen Oberschicht gelangt, welche insbesondere das Bischofsamt nun als alternativen Karriereweg betrachtet und nicht immer unbedingt einer "geistlichen" Berufung folgt.
Um 400 beginnt von mehr oder weniger christianisierten Städten aus die Christianisierung des gallorömischen Landes mit dem Bau von Bethäusern und Kirchen durch Bischöfe und weltliche Herren. Inzwischen sind die rund 115 gallischen civitates allesamt Bischofsitze. Dabei gibt es am Ende des West-Imperiums bereits mehr Geistliche als weltliche Verwaltungsbeamte und um 500 sind die Bischofskirchen oft bereits größter Grundbesitzer.
Nachdem das Königtum sich von der reinen Heerführerschaft durch Ansiedlung und Reichsbildung löst, ist die römische Westkirche hier zunächst die einzige Institution, die dem Ganzen nichtmilitärische Struktur bietet. Chlodwig lässt sich davon überzeugen, dass es der Verschmelzung der großen alteingesessenen Mehrheit mit der dünnen fränkischen Einwandererschicht zu einem Reichsvolk dienlich sei, die seit den späten Kaisern zum Bündnis mit der weltlichen Macht bereite römisch/katholische Kirche zur Staatskirche zu machen. Mit den Eroberungsversuchen über germanische Nachbarn im Norden und vor allem Osten kann nun Missionierung als Teil der Unterwerfung einsetzen.
Als Chlodwig die Spitzen seines Gefolges soweit hat, dass sie die Konversion mit ihrem Anführer bejahen, ist nirgendwo dokumentiert, dass sie viel anderes vom Christentum erwarten als einen den Sieg bringenderen Schlachtengott. Als dann das "Volk" dazu gebracht wird, sich der neuen Religion anzuschließen, lässt sich vermuten, dass es zunächst kaum Missionierung gibt, sondern auch hierin Gehorsam gegenüber den Oberen und brav sich taufen zu lassen.
Die nunmehr bald überall analphabetischen und auf dem Lande oft noch kaum christianisierten Bevölkerungen treffen bei und nach ihrer Missionierung bald auf selbst kaum lesekundige Priester vor Ort und insbesondere auf dem Lande, und insbesondere die ungefähr 90% von Landbewirtschaftung lebenden Bauern erfahren von ihren Priestern oft wenig Christliches außer dem in seiner Substanz für sie unverständlichen Glaubensbekenntnis und dem Vaterunser. Erst im Mittelalter werden einzelne lesebegabte Interessierte in den wieder auflebenden Städten erste Inhalte der evangelisch- jesuanischen Botschaften neu entdecken, was sie dann nicht selten zu Häretikern bzw. Ketzern macht, die zu verfolgen und dann bald auch umzubringen sind.
***Kirche***
Die perönliche Konversion ändert sich massiv, als Christentum zur Staatsreligion im römischen Reich wird, und die Verfolgung und Zerstörung der antiken Kulte einsetzt. Nun wird es opportun und schließlich, spätestens unter den Nachfolgereichen, überlebens-notwendig, zumindest als Mitläufer aufzutreten. Ausgenommen sind die Juden, aus deren Reihen die neue Religion einst hervorgegangen war.
Da christliche Machthaber in den neuen Reichen, insbesondere im Frankenreich, von ihren Untertanen Zugehörigkeit zur Kirche, dem Partner ihres Machtapparats verlangen, unterstützen sie Mission, welche erst die eigenen Untertanen und dann anzivilisierte Nachbarvölker in Vorstellungen und Strukturen unterrichtet, die ihrer Machtausübung nützen. In kriegerischen Eroberungen gehen von nun an Unterwerfung und Missionierung Hand in Hand. Wer sich gegen Christianisierung wehrt, wird mit Gewalt zum Glauben gebracht oder stirbt.
Die oströmisch-kaiserliche Kirche beginnt langsam ein Eigenleben und de facto zerfällt sie nun im Westen in Kirchen der jeweiligen Reiche. Nicht nur im Reich der Franken teilt sie sich weiter in die Bistümer als Erben der alten civitates, wobei die Bischöfe sich gelegentlich - auch auf Wunsch der Herrscher - in Reichssynoden treffen, um gemeinsame Beschlüsse nach königlichen Vorlagen zu fassen.
Die Bischöfe stellen ein erhebliches Element von Kontinuität von der Spätantike zur merowingischen Nachantike dar. In ihrem Amt führen sie die Einheit der civitates als Diözese fort, während diese ansonsten auf die Reststadt reduziert sind und durch Gaue bzw. pagi ersetzt werden. Im römischen Kaiserreich konstituiert, beruhen Diözesen weiter auf römischen Recht. Darüber hinaus erweitern sie schon aus der späten Kaiserzeit bestehende Funktionen in ihrem Kernort und teilen sich nun dort die Stadtherrschaft mit den Grafen, wobei sie zunehmend Grundbesitz anhäufen. Entsprechend werden sie oft von den Königen bestimmt.
Bischöfe weihen Priester, legen Inhalte der Religion aus und verändern sie dabei, und sie vereinen in ihrem Bereich Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung.
Diese Bischofskirche verbindet "geistliche" Macht mit der weltlichen eines großen Grundherren mit seiner abhängigen Bevölkerung und mit Ansätzen von Herrschaft über die mehr oder weniger verfallenden Städte zunächst in Konkurrenz mit einem Grafen"amt". Im Frankenreich fungieren Bischöfe oft "als (nicht mehr nur kirchliche Vertreter) ihrer Städte am Königshof und vermittelten zwischen König und >civitas<. Das Bischofsamt wurde dadurch in die Reichsverwaltung eingegliedert." (GoetzEuropa, S.221)
Dabei hält die gallische Bischofskirche kaum Kontakt zum Papsttum, welches spätestens im 5. Jahrhundert eine Art Vorrangstellung über (nicht nur) die Westkirche einfordert. Deshalb kann so etwas wie eine gallische "Landeskirche" (Angenendt) entstehen.
Noch in der späteren Merowingerzeit bildet sich im Verbund von geistlicher und weltlicher Macht die Pflicht des Gläubigen zur Zahlung einer decima, eines Kirchenzehnten heraus, einer damals allgemeinen Einkommenssteuer, die immer mehr auf alle weltlichen Einkünfte ausgedehnt wird. Da Bischöfe davon aus jeder Pfarrei ein Drittel ungefähr einbehalten, haben sie ein ganz besonderes Einkommen neben dem aus den eigenen Grundherrschaften in ihrer Diözese und darüber hinaus, und neben den Einnahmen aus bis ins hohe Mittelalter steigenden Rechten und vor allem aus Schenkungen von Laien.
***Glauben***
Vor allen Zivilisationen ist Glauben der gefühlten Unerträglichkeit des Nichtwissens wie der dessen geschuldet, was man wissen kann und nicht wissen möchte. Menschen stopfen die Lücken ihres Wissens und erleichtern das schwer erträgliche Gewusste mittels Spekulierens und Fabulierens, und da das Geglaubte per se keine Substanz in der Wirklichkeit hat, muss es umso intensiver immer wieder eingeprägt und aufrechterhalten werden. In Zivilisationen wiederum wird tradierter Glaubensinhalt im Sinne der Machthaber umgeformt und von ihnen als Teil ihrer Machtausübung aufoktoyiert.
Die nachantiken und mittelalterlichen Zivilisationen beruhen wie alle auf Kombinationen von Gewalt und Gläubigkeit, wobei letztere dazu dient, erstere in die Latenz zu bringen, also idealiter in eine schiere und möglichst im Hintergrund lauernde Drohgebärde zu verwandeln. Neben vielem anderem, was der eine oder andere mal hier und mal da glaubt, ist er mit Ausnahme der Juden und ihrem Sonderstatus dazu verpflichtet, ja gezwungen, zumindest so zu tun, als ob er an ein wie auch immer geartetes Christentum glaube. Und ähnlich wie heute alle auf die jeweilige Verfassung verpflichtet werden und sie dabei kaum kennen und verstehen, und das auch gar nicht erwartet wird, so ist den meisten frühmittelalterlichen Christen durch alle Schichten ihre heilige Schrift nicht durch Lektüre vertraut, und der Kern der evangelisch-jesuanischen Botschaft wird ihnen auch weitgehend vorenthalten. Zudem sind ihnen die theologischen Spekulationen seit der Spätantike unverständlich, wie übrigens auch vermutlich fast der gesamten niederen Geistlichkeit. Kurz gesagt: Was zu glauben ist, wird von oben verordnet und so formuliert, dass es den jeweils herrschenden Machtstrukturen dienlich ist und den Menschen einigermaßen eingängig erscheint, ganz so, wie das heute politische Ersatzreligionen tun.
So eingerichtet, hat Glauben immerhin den angenehmen Vorteil, einmal mühsames Selbstdenken zu ersparen und sich mehr oder weniger gemütlich im von Mächtigeren Vorgegebenen einrichten zu können, andererseits aber auch den, sich Diffamierung, Verfolgung und auf dem Weg ins "hohe Mittelalter" dann auch Folter und Tod zu ersparen. In diesem Sinne ist das Mittelalter christlich, auch wenn vieles von dem, was da gelehrt und zelebriert wird, für den Ungläubigen absurd wirkt und klingt.
Kulte und selbst frühe Götterwelten sind von ihren Ursprüngen her an Naturgewalten gebunden und haben so eine gewisse, nachvollziehbare Plausibilität. Diese verschwindet ganz grundlegend schon im römischen Christentum: Jesus bricht sein Versprechen und kehrt nicht wieder, wofür die Christen mit Formen von Wundern und Magie entschädigt werden, die dem common sense von Menschen, so vorhanden, flagrant widersprechen, oder anders ausgedrückt, aller seiner Erfahrung. Im 10. Jahrhundert beginnt das völlig Unwahrscheinliche immer größeren Raum einzunehmen, um dann ab dem 11. Jahrhundert zunehmend in Dogmen gefasst zu werden, wofür die Transsubstantiation als Musterbeispiel herhalten kann, also die magische Verwandlung schieren Weines in das Blut des Erlösers und von Brot in sein Fleisch, die der Gläubige sich dann beide einzuverleiben hat.
Historiker schreiben bis heute von einer "Christianisierung" im nunmehr "christlichen Abendland" eines Mittelalters, ohne etwas anders dabei belegen zu können als eine Zwangsmitgliedschaft in einer kirchlichen Organisation und braves oder auch nur notgedrungenes Nachplappern geforderter Minimalbekenntnisse.
Was die Laien und insbesondere die produktiv tätigen Menschen tatsächlich glauben, lässt sich nur vermuten, obwohl es für die Entstehungszeit des Kapitalismus mindestens so wichtig wird wie das, was sie glauben sollen.
Fasziniert sind die Leute wohl eher von den magischen Aspekten des frühmittelalterlichen Christentums, die immer weiter ausgebaut werden, als vom evangelischen Jesus, von dem sie vermutlich nicht viel mehr erfahren, als dass sein Ende ein triumphaler Tod war, der ihn längst bis an ferne Ende der Welt den Menschen entrückt hat.
Christen sind dazu angehalten, andauernd das schier Unglaubliche zu glauben, zum Beispiel auch, dass eine Jungfrau einen (Gottes)Sohn gebären kann, das dreierlei Verschiedenes in einer "Person" ein einheitliches Eines sein kann, dass manchmal Blinde wieder sehen können, wenn sie sich in die Nähe eines Gefäßes mit besonderen Knochen begeben, dass das Eintauchen in vom Priester magisch verzaubertes Wasser einen Menschen irgendwelchen Teufeln entreißen kann, dass das Spenden von Gold und Silber an eine Kirche oder ein Kloster einen beschleunigten Weg zu einem Gott ermöglichen kann, der seinen Sohn geschickt hatte, um Armut als irdisches Ideal vorzuleben. Ja, man kann die Anwesenheit eines Teufels daran erkennen, dass man ihn wie einen Hund bellen oder wie ein Schwein grunzen hört. Vertreiben kann man ihn dann, indem man das Areal mit Weihwasser besprengt. Und vieles mehr...
Das ist wichtig, denn der Glaube an das Unglaubliche formt die Welt mit, die sich im 10./11. Jahrhundert dahin aufmacht, Kapitalismus entstehen zu lassen.
Was mittelalterliche Menschen tatsächlich glauben, hängt auh von ihrem Zugang zu Kirche ab, der erst im Verlauf des Mittelalters nach und nach die Menschen auf dem Lande erreicht. Verlangt wird von ihnen im Kern nur der Glaube an die magischen Kräfte der Kirche und das zunächst wenige, was gerade vor Ort ein Geistlicher imstande ist, ihnen als Glauben vorzusetzen.
***Taufe***
Wer sich mit dem Teufel in dieser Zeit und mit seiner Macht und Allgegenwart beschäftigt, kommt nicht um die gleichzeitige Ausdeutung der Taufe herum, die in dieser Form in der römischen Kirche Bestand haben wird: Es handelt sich um den rituellen Vorgang, in dem durch den Priester mithilfe des Taufpaten das Kind dem Teufel entrissen und in die Hand der allein rettenden Kirche gegeben wird. Solange es noch wesentlich die Erwachsenentaufe gibt, steht der Täufling in einem Wasserbecken und bekennt mehrmals seinen Glauben, wobei er dann untergetaucht wird.
Eines der frühesten althochdeutschen Zeugnisse, ein Taufgelöbnis, dokumentiert das exorzistische Element. Erst wird dreimal dem Teufel widersagt und dann wird in einzelnen Erklärungen das Glaubensbekenntnis aufgesagt. Die ersten Sätze lauten in heutigem Deutsch:
Widersagst du dem Teufel? (Forsahhistu unholdun?) - Ich widersage. / Widersagst du den Werken und allen Wünschen des Teufels? - Ich widersage. / Widersagst du allen Blutopfern, die von den Heiden dargebracht werden, und allen Abgöttern und Götzenbildern, die sie als Gottheiten verehren? - Ich widersage. (E. von Steinmeyer (Hrsg), Die kleineren althochdeutschen Sprachdenkmäler, Berlin 1971 (1916), S.23ff)
Wehe dem Kind, das vor der Taufe oder Nottaufe stirbt. Es kann nicht auf dem Kirchhof beerdigt werden, da dort nur die mit einer gewissen Aussicht auf die Himmelfahrt Platz bekommen, also nicht die Ungetauften und auch keine schweren Sünder.
Zunächst ist in der antiken Kirche für die Taufe eine mehrjährige Katechumenzeit notwendig, aber diese schrumpft dann immer weiter zusammen. Den extremen Verzicht darauf bilden nachantike Zwangstaufen, die ohne jede religiöse Vorbereitung vollzogen werden.
Zur unter den fränkischen Herrschern oft geringen religiösen Bildung der Priester passt es, dass bald die Kindertaufe zum Regelfall wird. Ersatzweise für die Kleinen müssen nun Paten oft nur minimale Glaubensinhalte vorweisen und stellvertretend für die (wehrlosen) Kinder bekennen.
Die klassische
Teufelsaustreibung ist also die Taufe, aber Exorzismus ist das Mittel, mit dem jedem auch in späterem Alter der Teufel ausgetrieben werden kann, so er von einem Besitz ergriffen hat. Da das
öfter passiert, ist die Zahl der Exorzisten, damals meist Teil der niederen Geistlichkeit, entsprechend groß.
***Buße***
Da der Teufel in dieser Welt nach dem Willen Gottes (?) und der Menschen herrscht, ist jeder ein Sünder. Die Germanen kannten keine Unterscheidung religiös oder weltlich definierter Vergehen, ihre Vorstellungswelt war tradierte Alltagskultur gewesen, eine Einheit. Die vorchristlichen Römer kannten keine Sünde, sondern nur Verstöße gegen die hergebrachten Kulte und auf der anderen Seite Rechtsverletzungen. Das Christentum ist von außen aufgesetzt. Die wichtigste Neuerung, die mühsam im Laufe von Jahrhunderten durchgesetzt werden muss, ist ein Bewusstsein von der eigenen (und allgemein-menschlichen) Sündhaftigkeit, der nicht einmal Päpste und allerfrömmste Kaiser entkommen, von denen immerhin einige auf mittelalterlichen Gemälden in der Hölle landen. Das heißt, man kann sich rein weltlicher Vergehen etwas leichter enthalten, der Sünde aber eben nicht.
Die germanischen Volksrechte kannten als Strafe vor allem Geldzahlungen, im Verlauf fränkischer Herrschaft wird dieses Recht durch Grausamkeiten angereichtert: Todesstrafe auf immer mehr Missetaten bis hin zum Majestätsverbrechen bei Karl dem Großen, aber auch Handabhacken, Blenden etc.
Die Geldstrafenkataloge der Germanen finden nun bald eine Analogie in den Bußkatalogen für die Sünden. Vor der Busse steht die Beichte, das Bekennen der Sünde, welches ursprünglich öffentlich und persönlich und keine rein kirchliche Angelegenheit ist. Es kommt dafür in der Merowingerzeit zunächst zur Versammlung ganzer Ortschaften und zu großen Bittprozessionen. Genauso ist es in den Klöstern, in denen die Brüder sich untereinander die Beichte abnehmen. Dann wird zunächst eingeführt, dass Todsünden Priestern (heimlich) gebeichtet werden müssen, aber dann schließlich alle anderen auch.
Seit der Spätantike ist es üblich, dass Menschen, denen eine Kirchenbuße auferlegt wird, zu Anfang der Fastenzeit ein Bußgewand anziehen und mit Asche bestreut werden. In der Kirche Galliens werden sie wie Adam und Eva aus dem Paradies aus der Kirche vertrieben. Am Gründonnerstag dann dürfen sie wieder die Kommunion empfangen. Während dieser Brauch um das Ende des 10. Jahrhunderts verloren geht, setzt sich die Aschenbestreuung aller Gläubigen durch, nachdem zunächst einzelne sie aus Solidarität mit den Büßern auf sich genommen hatten.
In den germanischen Nachfolgereichen steht es sehr lange eher schlecht um die Reue, da ähnlich wie in den Volksrechten Buße als Kompensation für Übeltat betrachtet wird. Man fastet so und so lange, betet so und so viele Gebete, tritt eine Pilgerschaft an usw. Man leistet also etwas für die Vergebung der Sünde. Mit den irischen Mönchen kommen dann ganze Bußbücher auf, in denen Sünde und Buß-Strafe detailliert gegenüber gestellt werden. Dabei kann gelegentlich Buße auch mit Geld als frommem Werk (zum Beispiel als Almosen) abgeleistet werden. Die Idee der Reue und Besserung gerät dabei ganz in den Hintergrund.
Diese Entwicklung führt dazu, dass ein Grundherr schon einmal seine Sklaven für sich, also an seiner Stelle, fasten lässt und schließlich dazu, dass auch Angehörige oder Verbrüderte im Gebet für jemanden quasi Bußleistungen abliefern und solches nach dem Tod des Betreffenden fortsetzen.
Im Grunde genommen wird dabei, besonders auch unter dem Einfluss Columbans, immer deutlicher die Vorstellung vertreten, dass jede Sünde eine entsprechende Buße als Äquivalent hat und darum durch Buße auch vergeben werden kann, - so wie es heute in Europa kurioserweise heißt, dass dem Verbrecher nach "Verbüßen" der Gefängnisstrafe kein Makel bleibt, er hat - was auch immer - abgebüßt. Dass all das nun rein gar nichts mehr mit dem evangelischen Jesus zu tun hat, ist offensichtlich, besonders auch, wenn man bedenkt, in welchem Umfang die Reue hinter der Buße zurücktritt.
In Bußbüchern gibt es das körperliche Kasteien (zum Beispiel mit Rutenschlägen), das zusätzliche Fasten, das Pilgern als Buße, das öftere Aufsagen von Gebeten oder ähnliches. Vermutlich hatte nie zuvor eine Institution mit ihren Beamten eine solch konsequente und intime Kontrolle und Machtausübung über Menschen gehabt.
Die förmliche Verbindung von Beichte und Bußeröffnung bei Todsünden findet vor allem am „Aschermittwoch“ in der Kirche statt: „In einen Sack gekleidet, mit bloßen Füßen und niedergeschlagenen Augen, trat der Sünder vor den Bischof, der ihm Asche aufs Haupt streute, das Büßerhemd überwarf und das Strafmaß eröffnete, bevor er ihn feierlich aus der Kirche weisen ließ." (Riché, Welt der Karolinger, S.285)
Der große Theologe und Patriarch von Aquileia zur Zeit (des "großen") Karls, Paulinus, gibt genau an, wie die Buße eines Aristokraten aussieht, der seine Frau wegen des Verdachts auf Ehebruch getötet hatte:
Du darfst künftig keinen Wein und kein Bier trinken, außer an Ostern und Weihnachten darfst du auch kein Fleisch essen, du musst bei Wasser und Brot fasten. Du hast deine Zeit mit Fasten, Nachtwachen, Gebeten und Almosengeben zu verbringen. Es ist dir verboten, jemals Waffen zu tragen oder einen Kampf anzunehmen. Du darfst dich nicht wieder verheiraten, dir keine Konkubine nehmen und keine Unzucht treiben. Künftig wirst du kein Bad mehr nehmen und an keinem Gastmahl mehr teilnehmen. An der Kirche hast du dich, abgesondert von den übrigen, noch außerhalb der Vorhalle aufzuhalten. Empfiehl dich dem Gebet derer, die hinein- und hinausgehen... (In: Riché, Welt der Karolinger, S.285)
***Geschlechtlichkeit***
Das Christentum der ersten Jahrhunderte geht von der Askese zur Bejahung von Ehe und Familie über, und diese werden dann in den neuen Reichen noch etwas durch germanische Vorstellungen ergänzt. Tatsächlich dienen sie der praktischen Bewältigung des Alltags, was wohl viele Menschen derzeit im totalitären Versorgungsstaat BRD mit seiner von Kapital und Staat geförderten sexuellen Verwahrlosung kaum noch nachvollziehen können.
Macht setzt nicht nur Recht und formuliert Moral als Herrschaftsinstrument, sie alleine kann beide zugleich straflos mit Füßen treten. Auch nur ansatzweise christliche Sexualmoral gilt schon damals nicht für die, welche Massen untertäniger Menschen für sich einspannen können und sich darum an die von ihnen mitvertretenen Regeln selbst nicht halten müssen. In dynastisch orientierten Herrscherfamilien wie den Merowingern und den Karolingern gibt es neben der wegen dynastischer Interessen ausgesuchten Ehefrau in der Regel Nebenfrauen auf Zeit, eben solange, wie sie sich appetitanregend halten können. Daneben ist zu vermuten, dass der Gelegenheitsfick gegenüber Mädchen und Frauen in schwacher Machtposition je nach Persönlichkeitsstruktur der Machthaber so üblich sein dürfte, dass er nicht erwähnenswert wird. Erst unter den Karolingern werden die illegitimen Söhne von der Nachfolge ausgeschlossen.
Die nicht angeheirateten Bettgefährtinnen Karls ("des Großen") gehörten sicher zur Normalausstattung eines mächtigen Großkriegers, und seinen Töchtern verbietet er die Ehe wohl nur, damit sich keine hohen Untertanen dadurch zu großmächtig fühlen können. Ihre sexuellen Bedürfnisse dürfen sie als Töchter des Großpotentaten aber offenbar unehelich und relativ hof-öffentlich nach gusto ausleben und entsprechend uneheliche Kinder bekommen.
Ludwig ("der Fromme") ist unter den Mächtigen offenbar eher eine Ausnahme, was Monogamie im Erwachsenenalter betrifft. Aber als er mit sechzehn zum ersten Mal heiratet, hat er bereits von Konkubinen eine Tochter und einen Sohn und der Astronomus bescheinigt ihm eine gewisse sexuelle Heißblütigkeit in jungen Jahren.
In seiner Zeit beschuldigen Machthaber, die ihre Ehefrauen los werden wollen, diese des Ehebruchs, der Sodomie und was ihnen sonst so einfällt und gehen wohl davon aus, dass das alles nicht ganz unplausibel klingt.
Wie es unter den Mächtigen so zugeht, berichten die Annalen von St.Bertin für 869: Karls ("des Kahlen") Frau Irmintrud war fern vom König im Kloster gestorben,
und alsbald (exsequente) schickt er den Boso (...) an dessen Mutter und deren Schwester Theutberga, die Witwe König Lothars, ließ sich Richildis, die Schwester dieses Boso, zuführen und nahm sie zur Beischläferin (in concubinam accepit): um deswillen gab er diesem Boso die Abtei des heiligen Mauritius nebst anderen Lehen und begab sich selbst, jene concubina mit sich führend, eilends auf den Weg nach der Pfalz zu Aachen (...) (in: QuellenkarolReichsgeschichteII, S.205) Im folgenden Jahr wird er seine Konkubine dann heiraten.
Nur selten hört man von Übergriffen der Mächtigen auf Mädchen und Frauen, die offenbar zu gewöhnlich sind, um einer Erwähnung wert zu sein. 882 zieht König Ludwig von Westfranzien gegen die Normannen, und vermutlich wäre Folgendes nie aufgeschrieben worden, wenn er nicht dabei tödlich verletzt worden wäre:
Aber jung wie der König eben war (quia iuvenes errat !), verfolgte er ein Mädchen, die Tochter eines gewissen Germund; und da diese sich in das väterliche Haus flüchtete, setzte ihr der König zu Pferde im Scherz (!) dahin nach, wobei er sich am Türstürz die Schultern und und am Sattel seines Pferdes die Brust aufrieb und eine heftige Quetschung erlitt. (Annales Verdastini in: QuellenkarolReichsgeschichteII, S.303)
Zwischen Mägden und ihren wohlhabenderen Herren dürften sexuelle Übergriffe, darunter wohl auch eher Einvernehmlicheres, häufiger gewesen sein, und selbst rohe Vergewaltigungen sind wohl nicht selten. Im Prümer Urbar tauchen unter den servi non casati zahlreiche Frauen auf, die unverheiratet sind, aber mehrere Kinder haben, - ohne das über die Erzeuger ein Wort verloren wird.
So etwas wird damals in aller Regel nicht geahndet, es gehört wohl bis ins späte Mittelalter zumindest dazu und diese Situation soll sich ja auch bis ins 19. Jahrhundert nur wenig ändern: Handelt es sich nicht um den Arbeitgeber selbst, dann eben um seine Söhne.
Wenn man den Annalen des 9./10. Jahrhunderts folgt, dann sind Heerzüge und Kriege neben anderen Greueltaten immer von Vergewaltigungen der weiblichen Bevölkerung begleitet. Die "heidnischen" Wikinger (pyrates) oder Nordmänner oder Dänen, wie auch immer sie genannt werden, ergänzen das durch Versklavung ihrer Opfer.
Aber christliche Heere scheinen nicht viel besser zu sein. Kriege sind Verwüstungszüge, die Heere müssen sich vor Ort versorgen und ihre Aggressionen loswerden. Machthörige Chronisten berichten davon nur, wenn es ihnen opportun erscheint.
Als Kaiser Ludwig 864 in Rom ist, verprügeln seine Leute Priester Der Kaiser verließ nach wenigen Tagen Rom,, nachdem von seiner Begleitung viele Räubereien verübt, Häuser zerstört, Nonnen und andere Frauen geschändet, Männer getötet und Kirchen geplündert worden waren. (Annales Bertiniani in: QuellenkarolReichsgeschichteII)
Was all das angeht, was doch so wichtige Dinge im Leben der Menschen sind, so können wir über die mehr als 90% produktiv arbeitender Bevölkerung viel weniger Aussagen machen. Hier geht es auch im Verhältnis der Geschlechter um die Not Wendendes; Ehe, Familie und Verwandtschaft sind lebensnotwendig und auf das wenige Wichtige konzentriert.
Einen Hinweis geben vielleicht fränkische Synoden der Mitte des achten Jahrhunderts, in denen Fälle einer gerechtfertigten Scheidung erwähnt werden, nämlich "dass ein Mann mit der künftigen Schwiegertochter verkehrte oder mit einer fremden Frau und zugleich deren Tochter Ehebruch trieb, dass ein Ehepartner beim Eheabschluss seinen unfreien Rechtsstand verheimlichte" (usw., Angenendt(2), S.290). Das sind wohl keine ganz seltenen Fälle, gibt aber keine wirkliche Auskunft über den Alltag.
Das Christentum spricht grundsätzlich beiden Geschlechtern die Fähigkeit zur Heiligkeit zu. In dieser Ausnahmesituation werden also Mann und Frau „gleichgestellt“.
Die Ehe wird unter den Eltern ausgehandelt, und die Eheschließung findet dann in zwei Etappen statt. Zunächst kommt die Verlobung mit einer Gabe des Bräutigams (dos), die der möglichen späteren Witwenversorgung dient. Zudem erhält die Verlobte einen Ring von ihm, und das Ganze wird in ein Fest eingebettet.
Dann kommt die eigentliche Hochzeit, für die die Brauteltern der Tochter eine "Mitgift" geben und der Ehemann ihr nach der Hochzeitsnacht die Morgengabe überreicht.
***Eucharistie***
Nach der Taufe ist die Eucharistie (seit dem zweiten Jahrhundert griechisch für: Danksagung) das zweite zunehmend mit magischen Vorstellungen besetzte Sakrament, also die zweite "heilige" Kulthandlung. In ihrem Kern steht ursprünglich ein Gedächtnismahl, welches an das letzte Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern vor seinem Tod erinnern soll, als Jesus Brot und Wein als Erinnerungszeichen an ihn benennt. Daraus entwickelt sich in den ersten Jahrhunderten ein besonderer Gottesdienst aus Lesung, Predigt, Fürbittengebet, Friedenskuss und Mahl, der dann im 5. Jahrhundert als missa bezeichnet wird.
Dabei eignet sich nun der Priester die von der Gemeinde gespendeten ("geopferten") Brote und den Wein an, die sie ihm zum Altar bringen, vergibt diese in der Kommunion an die Gläubigen und behält den Rest für die Armen.
Zwischen dem zweiten und fünften Jahrhundert setzt sich die Vorstellung durch, das Brot und Wein für das Blut und den Leib Jesu stehen.
Diese "Transsubstantiation" macht dann auf dem Weg ins Mittelalter jene Wandlung durch, mit der der Priester, wie es heißt, tatsächlich Brot und Wein in Leib und Blut Jesu verwandelt, welche der Christ sich dann einverleibt und so in communio (Gemeinschaft) mit Jesus tritt, ein Prozess, der im 11. Jahrhundert zu heftigem Streit zwischen philosophisch angehauchten Theologen und der kirchlichen Orthodoxie führen wird.
***Heiligkeit***
Das Wort heilig bzw. sanctus spielt für den in griechischer Sprache propagierten Jesus der Evangelien keine Rolle: Ihm zu folgen heiligt nicht, sondern rettet. Heiligkeit gerät ins Christentum erst, als der Retter nicht wie versprochen wiederkommt.
Da ist zum einen die Selbstheiligung durch ein Jesus in Armut und massive Reduzierung allen Begehrens imitierendes Leben, welches Eremiten zum Beispiel als "heilig" erscheinen lässt, und dazu gehören auch die nach Bedürfnislosigkeit strebenden Jungfrauen. Den Schein, Nimbus der Heiligkeit gewinnen als erstes die Märtyrer, also die in den Tod gehenden Glaubenszeugen der Antike. Das beginnt Mitte des zweiten Jahrhunderts mit Versammlungen an den Gräbern am Todestag der Glaubenszeugen. Seit dem vierten Jahrhundert entstehen dann über Mäyrtrergräbern große Basiliken. Ende dieses Jahrhunderts beginnen mit Ambrosius von Mailand die Translationen, Übertragungen der Heiligen aus den außerstädtischen Gräbern in innerstädtische Kirchen.
Mit Martin von Tours und dann auch besonders angesehenen Päpsten muss man nicht mehr den Märtyrertod sterben, um heilig zu erscheinen. Es genügt, bei entsprechend frommem Lebenswandel der Kirche besonders förderlich bzw. besonders populär zu sein. Nun beweist sich Heiligkeit zunehmend an den Wundern, die Heilige veranstalten, und die dann auch von ihren Überresten ausgehen.
Eine besondere Rolle spielen Mönche und Nonnen, die weggesperrt von der "Welt". dem saeculum, kollektiv nach Heiligkeit streben, ohne dass jeder von ihnen gleich in den wachsenden Katalog von Heiligen aufgenommen wird. Aber gemeinsam wird all denen, die nach allgemeiner Meinung besondere Heiligkeit betreiben, dass sie sofort in den Himmel, also die ewige Seligkeit gelangen und nicht wie alle anderen bis zum Tag des Jüngsten Gerichtes warten müssen. In der Nähe Gottes und engelsähnlich haben sie entweder direkten Kontakt zu Gott oder aber zu dessen Entourage, den Erzengeln und Aposteln. Damit kann man sie als seine Fürsprecher in allerlei Not anrufen und sich ihrer Wunderkraft mit Hilfe ihrer Reliquien bedienen. Man macht sie zu Paten bzw. Patronen von Kirchen, die so nach ihnen benannt werden, was damit legitimiert wird, dass man Reliquien, Überreste von ihnen in den Altar oder unter ihn in die Krypta einbaut. Die Macht der Kirche ist eine ihrer Verfügung über magische Mittel, über "Wunder", Mirakel.
Heilig wird jemand lange nicht durch Verordnung, wie seit dem hohen Mittelalter durch "Kanonisierung", sondern durch das hohe Ansehen, welches durch Propaganda hergestellt wird bzw. sich einfach durch Verehrung einstellt. Seit den Kirchenvätern wird Heiligkeit als Ausnahmefall propagiert, "indem jede Kirche einem oder mehreren Heiligen geweiht wurde und die Reliquien wundertätiger Heiliger >sammelte<." (GoetzEuropa, S.242) Dazu passt, dass dann sehr lange die meisten Heiligen, die nicht mehr Märtyrer sind, aus dem Kreis der kirchlichen Amtsträger stammt, wozu wieder passt, dass nur rund 15% weiblich sind.
Propaganda heißt vor allem Legendenbildung und die darauf folgende Aufzeichnung der Wunderbarkeit des bzw. der Heiligen. Heiligkeit wird zu einem wesentlichen Teil nachantiker und mittelalterlicher Textproduktion. Das wird im Laufe der Zeit immer mehr ein Problem für die Kirche dort, wo heiligendes Leben offensichtlich nicht mehr der magischen Heilmittel der Kirche bedarf, wie bei auf Messfeier, Beichte und ähnliches verzichtenden Eremiten. Deshalb wird Heiligkeit immer mehr als ein Ausnahmephänomen propagiert, welches sich dem Regelwerk braver Normalchristen entziehen darf.
Dieser Ausnahmecharakter von Heiligkeit hat viele Funktionen. Durch Heilige erhält die Kirche magische Wundermittel in die Hand, die die Besonderheit dieser Leute betonen. Die Ausnahme darf die Regel bestätigen, dass Christen große Sünder sind und sein dürfen und dennoch mit kirchlicher Hilfe, aber auch nur durch sie, die ewige Seligkeit erlangen und der Hölle damit (früher oder später) entrinnen.
Für den Normal-Christen sind Heilige, die einmal Menschen wie sie waren, mehr unmittelbare Ansprechpartner als der trinitarische und für sie fast unnahbare Gott. Dazu gehören auch die Apostel und Maria, die erst später zur Himmelskönigin gekrönt wird, aber sie sind in ihrer Nähe zu Gott doch den Gläubigen schon weiter entfernt. In der frommen Praxis frühmittelalterlicher Christen rückt dann Heiligenverehrung mehr noch als die Dreifaltigkeit in die Nähe von Vielgötterei: Mit ihren verschiedenen Zuständigkeiten erinnern Heilige "im Himmel" immer mehr an die der antiken Götter, die für Naturphänomene, Handel, Krieg und Frieden oder das Glück einer Stadt zuständig waren und entsprechende Kulte hatten.
***Reliquien***
Im Unterschied zu Judentum und Islam gewinnt das magische Moment im römischen Christentum immer mehr an Bedeutung, was sich dann noch einmal im Prozess der Germanisierung verstärkt. Sakralisierung der Kirche, Einführung von Sakramenten und magischen Handlungen bestimmen immer mehr den kirchlichen Raum und gehen bei der Laienschar dann Verbindungen mit Elementen früherer Naturkulte ein.
Mit den Heiligen, zunächst jenen Märtyrern, die kaiserlicher Macht getrotzt hatten und dafür starben, bekommt das Heilige, inzwischen zwar weitgehend in den Himmel entschwebt, schließlich fast ganz und gar menschliche Gestalt.
386 lässt der Mailänder Bischof Ambrosius die Gebeine der Märtyrer Gervasius und Protasius ausgraben und in seine neue Basilika bringen, also vom Friedhof in die städtische Kirche. Mit dieser Translation beginnt der Heiligenkult in Gestalt ihrer fetischisierten Überreste (Reliquien) und dann auch eine Zunahme des Wunderglaubens. Dieser Bischof selbst wird ebenfalls zum Heiligen wie so mancher nach ihm.
Heiliges gewinnt magische Kraft, und die Heiligen, über deren mutmaßlichen Überresten, lateinisch reliquiae, Kirchen gebaut werden, die so an der zu Knochen zerfallenen Heiligkeit Anteil bekommen, werden nicht nur Namenspatrone der Kirchen, sondern sie sind Vermittler zu Gott selbst. Man kann sich so direkt an sie wenden, und der Volksglauben spricht ihnen dann jene speziellen Ressorts zu, in denen sie in Anspruch genommen werden können.
Während der von antiken Philosophen beeindruckte Augustinus noch vom Tod des Leibes und der Auferstehung der Seele sprach, sprechen sich volkstümliche Wunschvorstellung und sich damit verbunden fühlende Lehrmeinung bald für die Auferstehung des Leibes aus. Heilige sind so einmal leibhaftig im Himmel beim leibhaftigen Gott Christus, und die Kraft, die sie dort entfalten, findet sich bald auch in ihren Überresten wieder.
Ein dazu gehörender Aspekt ist die spezifische christliche Wundergläubigkeit, die an die Wundertaten Jesu anknüpfen kann. Die Fähigkeit Wunder zu vollbringen, spektakuläre Magie, wird nun auf alles Heilige, insbesondere aber die Überreste der Heiligen selbst übertragen. Im Umkehrschluss ist eine Reliquie dann echt, wenn sie Wunder vollbringt. Natürlich ist es theologisch gesehen Gott, der das bewirkt, aber das gilt nicht für die Anschauung der meisten Menschen.
Dabei gibt es bald sogar magische Übertragung der Wunderkraft durch Kontakt des Heiligen mit dem Gegenstand, wodurch Splitter des „heiligen“ Kreuzes, oder Reste vom Gewand des Gottessohnes oder gar seine Windeln aus Säuglingstagen magische Kraft bekommen. Entsprechend werden Berührungsreliquien auch dadurch produziert, dass man ein Tuch für eine Nacht auf ein Märtyrergrab legt, und dieses so magische Kraft gewinnt.
Hat sich eine Kirche oder ein Kloster in den Besitz besonders attraktiver Reliquien gebracht, so werden sie zu einem Wallfahrtsort. Pilger erhoffen sich dort Heilung von Gebrechen und andere Wunscherfüllung. Für Kirche oder Kloster und den sich so entwickelnden Ort wird das zu einer erheblichen Einnahmequelle. Herbergswesen, Gaststätten, Tavernen, Handwerk und Handel beginnen zu florieren. Ein Musterbeispiel wird mit dem beginnenden Mittelalter das Jakobsheiligtum von Santiago de Compostela.
Das Heilige, der Heilige oder wenigstens irgend etwas von ihm und das zugehörige Kirchengebäude verschmelzen zu einer Einheit, in der Wunderbares möglich wird. In dieser Einheit ist Nähe zu Gottes Allmacht, die alles kann, was er will und manches, was man sich wünscht. Und hier ist der Kern praktizierten Christentums zu sehen, welches sich damit unendlich weit von den jesuanischen Vorstellungen entfernt hat.
Kirche hebelt so im Vorgriff auf das Himmelreich die „natürlichen“ Gesetze von Raum und Zeit aus, erfüllt damit eine mächtige menschliche Welt der Vorstellungen. Das wird allerdings nicht nur forciert, sondern auch abgefedert durch den Aufstieg einer nicht weniger wundersamen Warenwelt, deren Faszination immer mehr mit der des Mirakulösen mithalten kann.
Aufgabe von wundertätigen Reliquien ist es über das Mirakel hinaus, Orte erst so recht und gewissermaßen durch Übertragung zu heiligen. Sie leisten das vor allem für und zugleich in Kirchen. Deren magische Qualitäten werden möglichst schon vor der Weihung, selbst ein magischer Akt, durch das Anbringen von Reliquien in oder unter dem Altar bzw. mehreren Altären, in der Krypta oder sogar in den Säulen des Kirchenschiffes erreicht. Wichtig ist es dabei vor allem, Reliquien desjenigen Heiligen, dem die Kirche geweiht ist, unterzubringen.
Dialektik: Die Vernunft in der Unvernunft
Das Christentum der gelehrteren Kreise hat spätestens seit den Kirchenvätern ein Stück weit das Erbe der antiken Philosophen angetreten, insbesondere das der (Neo)Platoniker. Zwar schwindet in der Nachantike jedes Schulwesen jenseits von Klöstern, welches dann in der Schwelle zum Mittelalter auf Kathedralschulen übergeht, aber die antike Schul-Vorstellung von den sieben freien Künsten, artes liberales, mit Grammatik, Rhetorik und Dialektik als Grundlagen überlebt in kleinsten Kreisen.
Ursprünglich ist Dialektik als Kunst der Unterredung, insbesondere von Rede und Gegenrede gedacht, und wird zu einer Diskurslehre, in der auch der nicht unmittelbar diskursive Text unter anderem auf (grammatisch richtigen) überzeugenden (logischen) Schlussfolgerungen zu beruhen hat.
Das Kirchen-Christentum übernimmt nun das dialektische Instrumentarium, um dessen Sinn allerdings dem Unsinn christlicher Überzeugungen überzustülpen. Anders gesagt: Auf dem Fundament unabänderlicher Glaubenswahrheiten wird dann doch mit Vernunftgründen aufgebaut. So kann Hrabanus Maurus schreiben: Wenn es keine Auferstehung der Toten gibt, ist auch Christus nicht auferstanden. Christus ist aber auferstanden, also gibt es eine Auferstehung der Toten. (De clericorum institutione III,20)
Diese nur im gelehrten Christentum so vorhandene bzw. erlaubte Neigung zum Argumentierungen in der Religion kann gelegentlich außerhalb von dieser auch ohne religiösen Unfug überleben. In dem, was später als Scholastik auftreten wird, als geschultes Denken, wird das die Grundlagen dafür liefern, dass dann abendländisches Philosophieren bis dahin gelangen wird, der Religion den Garaus zu machen und dabei selbst unterzugehen. Allerdings sind Philosophen des 18. Jahrhunderts nur die Begleitmusik für den Übergang von christlicher Religiosität in polit-ideologische.
Das Überleben von logisch argumentierendem Denken in der Religion hat aber als Voraussetzung die Trennung zwischen einer weltlichen und einer "geistlichen" Machtsphäre, die letztlich selbst bei Karl ("dem Großen") respektiert wird, auch wenn er sich in manchem bald als eine Art Kirchenherr aufführt. Anders als im theokratischen Byzanz und im Islam, der die Nachkommen Mohammeds als Kalifen anerkennt, kann so im früheren 12. Jahrhundert ein Abaelard Einfluss ausüben, soweit er nicht die Macht der Kirche bedroht, und werden dann ganze theologische Großgebilde von Vernunftgründen durchsetzt, wie bei Thomas von Aquin.
In dieser in geistliche und weltliche Sphäre geteilten Welt, wiewohl auch die weltliche sich (kirchen)christlich gibt, in der vernünftiges Argumentieren also einen Platz hat, kann sich aus zweckrationalem Handeln von Händlern und Handwerkern jener bürgerliche Freiraum Stadt entwickeln, der das lateinische Abendland so stark bestimmen wird und der erst mit den großen Industriestädten des 19. Jahrhunderts und dann dem Konsumismus der Globalisierung des 20./21. Jahrhunderts untergehen wird. Kein Wunder, dass in dieser Endzeit des Abendlandes Marx/Engels und selbsternannte Marxisten Missbrauch mit dem Wort Dialektik treiben werden, in dem sie erneut Glaubenssätze zum Fundament ihrer "Lehre" machen. Aber viele derzeitige "Demokraten" in den absterbenden "westlichen Demokratien" gehen inzwischen noch viel rabiater vor, indem sie neben der Vernunft auch jegliche Erfahrung aus ihrer demagogischen Verhetzung der Menschen streichen.
Die Trennung in weltliche und geistliche Sphäre, weder vom Judentum noch vom Islam vollzogen, verbunden mit dem nie ganz untergehenden philosophischen Erbe der Antike, wird wesentliche Besonderheit des lateinischen Abendlandes des langen Mittelalters werden. Darin entstehen die Freiräume, in denen die bürgerlichen Räume von Handel, Finanzen und Handwerk sich so entfalten können, dass daraus Kapitalismus entstehen wird.
Kloster
Schon früh entstand in Ägypten und dem Nahen Osten ein Eremitentum, welches versuchte, in Weltverneinung und Leibfeindlichkeit einer so definierten Nachfolge Jesu nahezukommen. Diese monachi, nach Heiligkeit strebende Alleinlebende, werden auch dann noch Mönche genannt, als sie beginnen, sich bald in Klöstern zusammen- und so von der "Welt" im claustrum und insbesondere dann der Klausur -abzuschließen.
Ein fränkisches Kloster gründet der "heilige" Martin in Ligugé 361 und 375 das monasterium maius (Marmoutier) bei Tours. Ein recht belesener Johannes Cassianus besucht erst Klöster in Palästina und Ägypten und gründet dann 415 St. Victor bei Massilia (Marseille). Bei diesen und weiteren Klostergründungen des 5. Jahrhunderts setzen dann Bischöfe und weltliche Herren eine Einordnung in den fränkischen Machtapparat durch.
Während die einfachen Priester sich in Belesenheit und Horizont sowie im Lebenswandel oft kaum von den laikalen Gemeindemitgliedern unterscheiden, und die Bischöfe sich in der Verwaltung ihrer Bistümer und Güter in manchem kaum von hohen weltlichen Herren, wird im 6. Jahrhundert "Gallien westlich der Maas und südlich von Somme und Mosel zu einer >Klosterlandschaft<. (...) Gegen Ende des 6. Jahrhunderts gibt es im Frankenreich rund 220, ein Jahrhundert später rund 550 Klöster." (GoetzEuropa, S.233)
Das Kloster dient der Heiligung der Insassen durch Reduzierung auf Mittel der schieren Subsistenz, die hier aber eher gesichert ist, der Unterdrückung sexueller Regungen, der Konzentration auf das Gebet, das Singen von Psalmen und der Lektüre heiliger Schriften, - und das mit den Grundhaltungen der Demut, des Gehorsams und der größtmöglichen Schweigsamkeit untereinander. Damit soll der eigene Wille zurückgedrängt, die eigene Individualität reduziert und sollen Formen individuellen Begehrens unterdrückt werden.
Solche nach Heiligkeit strebende Männer- und auch Frauengemeinschaften mit den Kennzeichen der Ablehnung von Individualbesitz und ausgelebter Geschlechtlichkeit funktionieren aber überhaupt nur nach einem extrem strengen Regelwerk und unter der fast uneingeschränkten Befehlsgewalt eines Chefs, des Abtes, mehr noch als die über Befehl und Gehorsam hierarchisch organisierte Kirche.
In der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts schafft ein Benedikt eine Klosterregel, die auf mehreren vorherigen fußt und bis ins frühe neunte Jahrhundert immer mehr Einfluss gewinnen wird.
Die Idealvorstellung des benediktinischen Klosters nach seinem Regelwerk ist jene Autarkie, die es aus der Welt herausheben soll. In seinen Mauern ist man Gott nah und zumindest den (asexuellen) Engeln ähnlich, was außerhalb kaum möglich sein kann. Die Klosterpforte mit einem bewährten Mönch als Pförtner soll vor allem die Welt draußen halten. Gästen soll die Klausur, der engere Klosterbereich, verschlossen bleiben. Mönche wiederum sollen in der stabilitas loci nicht außerhalb des claustrum wohnen oder sich aufhalten. Aber Benedikt legt im Unterschied zu früheren Formen von askesis (Askese als Lebensform) Wert auf Hygiene und zudem auf landwirtschaftliche und handwerkliche Arbeit der Insassen. Dazu gehört die Arbeitsdisziplin. Otiositas inimica est animae, Müßiggang ist der Feind der Seele, heißt es schon in den Benediktregeln (48)
. ...deshalb sollen die Brüder zu bestimmten Zeiten mit Handarbeit, zu bestimmten Zeiten mit heiliger Lesung beschäftigt sein. Und weiter: Wenn aber örtliche Umstände oder die Armut es erfordern, dass sie sich selbst mit der Erntearbeit abgeben, sollen sie sich nicht betrüben, denn sie sind dann wahrhaftig Mönche, wenn sie von ihrer Hände Arbeit leben...
Der wache Tag ist in bald sechs Blöcke à drei Stunden eingeteilt, und zusammen mit zwei weiteren Terminen sind damit auch die Zeiten für die Stundengebete gegeben. Dabei soll in einer Woche der gesamte Psalter aus 150 Psalmen gesungen werden. Mit der Messe wird ein Kirchengebäude und ein (von auswärts kommender) Priester notwendig, und das Kloster so an die Kirchenorganisation angebunden.
Dem Abt als geistlichem wie weltlichem Herrn und den Älteren ist bedingungsloser Gehorsam zu leisten. Er kann sich aber entscheiden, im Kapitelsaal, wo jeweils ein Kapitel der Klosterordnung am Anfang vorgelesen wird, seine Untergebenen anzuhören. Einzelne Beauftragte versorgen den Vorratskeller und die Abgaben der abhängigen Bsuern auf klösterlichen Besitzungen, die Bibliothek, die Pforte und die Kranken in ihrer Abteilung.
Armut, also Besitzlosigkeit des Einzelnen wird dadurch ermöglicht, dass ihm alles absolut Lebensnotwendige bis zu einfacher Kleidung und Nahrung vom Abt zugeteilt wird.
Unter dem Abt gibt es bei Benedikt eine Rangordnung nach Ordenseintritt, mit Grußpflicht der Jüngeren und Sitzplatz-Räumen für Ältere.
Dort, wo das Prinzip durchgehalten wird, dass ein Mönch ohne besondere Erlaubnis oder besonderen Auftrag nicht aus den Klostermauern heraus darf, ist er lebenslang eingesperrt, was einmal seinen Erfahrungshorizont massiv einschränkt, zum anderen nach Kompensationen geradezu schreit. Was aber alltäglich vor allem nach Kompensation verlangt, ist das Verbot des Auslebens des Geschlechtstriebes.
Während die Kirche neben Schenkungen vor allem von Grundbesitz und darauf arbeitenden Menschen gelegentlich mit dem Zehnten eine Form von Finanzierung durch eine Art Steuer erreicht, sind die Klöster ganz auf Schenkungen angewiesen, die im Verlauf des Merowingerreiches in dem Maße zunehmen, als Klöster durch Reformen auch für die kriegerische und viel Grund besitzende Oberschicht attraktiver werden.
Da die kriegerische Oberschicht in vielerlei Hinsicht wenig christlich lebt, bedenkt sie Klöster mit Schenkungen, damit diese auch für sie beten. Zudem verbindet sie sich mit ihnen, indem sie sonst weniger gut unterbringbare Familienmitglieder dorthin abschiebt. Dabei wird es üblicher, schon Kinder dorthin zu schicken, die dadurch rein klösterlich erzogen werden.
Kurz vor 600 gelangen irische Wandermönche mit und nach Columban ins Frankenreich. Dieser übt enormen Einfluss auf die größeren fränkischen Herren aus. „Er verkörperte eine Form strengen und furchtlosen Christentums, die weder Ausdruck gallorömischer Kultur noch von den Bischöfen geschaffen war. Darüber hinaus wurde sie von einem Heiligen propagiert, der sich nicht von der Welt abwandte, sondern enge Beziehungen zu den mächtigen Familien des gesamten nördlichen Frankenreiches unterhielt.“ (Geary, S.173)
Columbans Klöster zeichnen sich u.a. durch enorme Strenge aus. Die meisten der zweihundert Mönche von Luxeuil entstammen den vornehmsten Familien Franziens, und das Kloster zeichnet sich durch ein religiöses Heldentum büßerischer Askese aus. Dabei wird es zur Kadettenanstalt für zukünftige Inhaber reicher Bistümer des 7. Jahrhunderts wie Eligius, der ebenso reich wie heilig wird, oder Wandregesil, der St.Wandrille gründen wird.
Zunächst treten Mitglieder von Familien der fränkischen Oberschicht in Klostergründungen Columbans ein, bald beginnt aber eine für über tausend Jahre wichtige Neuerung: Die großen Familien gründen auf ihrem Besitz „eigene“ solche Klöster, in die vor allem Familienmitglieder eintreten, die auch die Spitze der Klosterhierarchie einnehmen. "Die vom fränkischen Adel gegründeten Klöster standen im Einklang mit dessen vornehmem Status. Es waren große Klöster mit reich geschmückten Kirchen, in denen adelige Männer und Frauen ihren gewohnten Lebensstil trotz aller Hingabe an Gott beibehalten konnten." (Geary(1), S.157). Wichtig wird, dass die Klöster wirtschaftlich unabhängig werden sollen.
Diese fränkischen "Adelsklöster", die später die Regel des Columban mit der des Benedikt verbinden und dabei den asketischen Aspekt wieder weiter zurückdrängen, werden zu regionalen Kult-Zentren, die zugleich adelige Familienzentren sind.
Die (weltlichen) Reichen und Mächtigen, allesamt Krieger, geben christlichen Institutionen insbesondere seit dem 7. Jahrhundert gerne viel. Einmal können sie so Kirchen und Klöster eng an sich binden oder sogar unter ihre Aufsicht und ihren Schutz stellen. Des weiteren bekommen sie die Möglichkeit, ähnlich wie Klerus und Mönche in größtmöglicher Nähe zu den Überresten von Heiligen bestattet zu werden, in denen göttliche Wunderkraft aufbewahrt ist, was für den Zugang zum Himmelreich von Vorteil sein soll. Zudem kann man größere Geschenke mit der Verpflichtung von Geistlichkeit und Klosterinsassen verbinden, regelmäßig für das Seelenheil insbesondere der verstorbenen Familienmitglieder zu beten und so die Vermeidung von Höllenqualen zu erreichen, die bei dem Lebenswandel der Laien eigentlich naheliegend sind.
Das wiederum zieht Vorteile nach sich: Eine Kirche, ein Kloster können so später zum Zentrum ihrer Familien werden, zum Versammlungsort und Identifikationspunkt. Es gibt keine Familiennahmen und vorläufig auch keine Burgen, nach denen man sich hätte benennen können, und die den Zusammenhalt und die Traditionsbildung gefördert hätten. Das tut nun bald das Totengedächtnis in Kirche und Kloster, die memoria.
Neben und nach dem jüngeren Columban ziehen zahlreiche weitere Iren durch Mitteleuropa. Ein Kilian missioniert vor allem in der Gegend um Würzburg, bis er sich wegen Ablehnung der Ehe des fränkischen Herzogs mit seiner Schwägerin dessen Zorn zuzieht und dafür sterben muss.
Im Merowingerreich erhalten einige Bischofskirchen und Klöster eine gewisse Immunität, die den Zugang der weltlichen Gewalt verbietet, so dass diese öffentliche Aufgaben wie Steuern und Militärdienst intern abwickeln.
Das Klosterwesen beginnt zu florieren, und manche Kloster werden reicher und reicher, denn der Bedarf an klösterlicher Gebetsarbeit und an Messen für die sündigen Familienmitglieder draußen steigt mit ihrem wohl zunehmenden Sündenbewusstsein.
Einmal werden Klöster im 7. Jahrhundert so zu Herrschaftselementen der Könige und des Hochadels wie der Pippin-Familie. Andererseits werden sie der Begehrlichkeit von Bischöfen ausgesetzt, der sie bei Gründung zunächst gelegentlich durch Exemtion entzogen sind.
Im 8. Jahrhundert greift das Klosterwesen nach dem Einfluss der angelsächsischen Mission auf die ostrheinischen Gebiete über. Überall handelt es sich vor allem dort entsprechend dem Eigenkirchenwesen um Eigenklöster adeliger Gründerfamlien, die manchmal selbst den Abt stellen oder aber bestimmen. Eigenkirchen besitzen aber auch die Bischöfe, die versuchen, immer mehr Klöster unter ihre Kontrolle zu bekommen.
Die von adeligen Familien gestifteten und ausgestatteten Klöster sind eine Art Pfalzort, wo der Herr, wann immer er möchte, Unterkunft findet und bewirtet wird. Sie dienen auch seinem Seelenheil. Er verfügt über das Klostergut, das durch zahlreiche Schenkungen anderer bald weit über die ursprüngliche Stiftungsschenkung seitens des Gründers hinauswächst. Der Adel schickt Kinder aus seiner Familie als Oblaten ins eigene Kloster, und dort wird ihnen ein Leben bei nur wenig und leichter Arbeit und zunehmend mehr das Erlernen von Lesen und Schreiben geboten. Solche Schenkungen sind oft auch Prekarien, die dem Schenkenden gegen eine Zinsleistung an das Kloster die Nutzung auf Lebenszeit sichern.
So manches Kloster liegt zwar außerhalb der Stadtmauern, aber in Stadtnähe. Ansonsten wird die Anbindung an Verkehrswege und/oder Wasser gesucht, was wiederum eine relative Einsamkeit dann verhindert, wenn dort auch Siedlungskerne für später städtische Ortschaften entstehen.
Große Einrichtungen wie Fulda haben im 9. Jahrhundert über 300 Mönche, St.Gallen etwas über 100. Rund 100 Mönche werden es am Anfang auch in Cluny sein. Frauenklöster gibt es deutlich weniger und sie sind auch erheblich kleiner.
Erwirtschaften müssen die Klöster grundlegend Ernährung und Kleidung der Mönche, bauliche Verbesserungen, Aufnahme von Pilgern und anderen Gästen sowie die nicht unbeträchtliche Armenfürsorge und schließlich auch die Pflicht zu Kriegsdiensten. Dafür stehen die Einnahmen aus der Grundherrschaft sowohl an Naturalien, Diensten und Geld zur Verfügung.
Darum beginnen Klöster relativ früh mit der Effizienzsteigerung ihrer Wirtschaft. Dazu gehören Versuche, den aufgrund regional verschiedener Schenkungen entstehenden Streubesitz zu arrondieren oder wenigstens schriftlich festzuhalten. Naturalien von entfernten Gütern werden dabei häufiger vor Ort auf dem Markt verkauft. Früher noch als Bischöfe oder gar weltliche Grundherren wird dabei eine Art unternehmerisches Verhalten an den Tag gelegt.
Zur Effizienzsteigerung gehört auch die seit der Karolingerzeit dokumentierte Bedrückung der armen Unfreien (pauperi homines) durch die Äbte, die opressio, wie es auch in den königlich/kaiserlichen Dokumenten heißt, oft mit dem Ziel, sie in die klösterliche familia mit ihrer Grundherrschaft zu zwingen.
Kontrolle über wichtige Klöster begleitet den Aufstieg der Karolinger. Unter ihnen werden zunehmend Klöster unter Reichsschutz gestellt und mit Immunität versehen. Dafür müssen sie den Königen dienen. Wie dies aussieht, zeigt sich am Reichskloster des heiligen Dionysius (St.Denis bei Paris) zum Beispiel 867:
Der Abt, ein Enkel des "großen" Karl, stirbt und König Karl behielt die Abtswürde in diesem Kloster für sich, indem er bestimmte, dass nach seinen Richtlinien die Angelegenheiten des Klosters und die Güterverwaltung durch Probst, Dekan und Schatzmeister geführt, die Besorgung der Militärangelegenheiten (militiae curam) von dem Hausmeier übernommen würde. (in: QuellenkarolReichsgeschichteII, S.165)
Das Christentum ist in hohem Maße eine Schriftreligion. Da sind die "heiligen" Schriften des Alten und Neuen Testamentes sowie der Kirchenväter und die vielen kirchlichen Beschlüsse über Religion und Kirche danach. Da ist das liturgische Schriftgut. Klöster besitzen darum Bibliotheken, die in der früheren Nachantike auch antike Texte heidnischer Autoren aufbewahren, an denen das Interesse dann in der späten Karolingerzeit teilweise nachlässt.
Inzwischen ist man längst von den Schriftrollen aus Papyrus abgekommen und bildet aus in Lagen zusammengefalteten Pergamentblättern Bücher, in denen man von Textstelle zu Textstelle blättern kann. Für ein Buch (Codex) vom Umfang der Bibel sind allerdings die Häute von rund 400 Schafen oder Ziegen nötig, und zwar unter der Voraussetzung, dass darin erfahrene Schlachter den Tieren die Haut so abziehen, dass sie möglichst fehlerfrei bleibt. Vor allem Schafzucht ist alleine schon deshalb für Klöster wichtig.
Danach entfleischen und enthaaren Gerber die Häute, weichen sie mehrmals ein, glätten sie und spannen sie dann auf. Schließlich gelangen sie zu den Mönchen, die sie beschneiden und falten.
Jetzt ist der Schreiber dran, der feine Linien zieht, der nun mit Feder, Anspitzmesser und Tintenhörnchen ans Werk gehen kann. Die Tinten werden wie alles andere meist von Mönchen aus Pflanzenstoffen selbst hergestellt, nur das Rot der Purpurschnecke und das Blau aus zerstoßenem Lapislazuli muss auf großen Märkten für viel Geld von Fernhändlern erworben werden.
Meist entscheidet wohl der Bibliothekar zusammen mit dem Abt, welche Bücher kopiert werden, und Kopieren ist dann die mühsame Arbeit der Skriptoren, die kaum eigene Werke schreiben. Voraussetzung für das Kopieren ist natürlich, dass man Vorlagen aus anderen Klöstern geliehen bekommt.