KIRCHE UND CHRISTENTUM IM 15. UND 16. JAHRHUNDERT (erste Materialsammlung)

 

Frömmigkeit (Stiftungswesen / Totentanz)

Zauberer, Hexen und ihre Verfolgung           

Macht, Pracht und Religion

Christentum und Kapitalismus

Verweltlichung

Verweltlichte Prälaten im französischen 15. Jahrhundert

Weitere Verbürgerlichung

Wyclif

Hus und die Hussiten

Konzilien und Päpste

Reformationen (Hanseraum / Münster)

Kloster

 

Frömmigkeit

 

Im späten Mittelalter nimmt bei einzelnen das Eintauchen in einen Nebel aus Gefühlsduselei als Mystik überhand. Sofern das nicht gelehrt abgesichert wird, was der Kirche bedrohlich erscheinen muss, schafft das immer neue Möglichkeiten der Verehrung von Heiligkeit. Die mystische Verlobung weiblicher Heiliger mit Jesus, bei der dessen Vorhaut zum Verlobungsring werden kann, wird zum Gegenstand von Gemälden. Die aus den reichsten und mächtigsten Rängen der Genueser Oberschicht entspringende Caterina Fieschi Adorno versteigt sich zu der Äußerung, dass sie für die Liebe zwischen ihr und Gott tausend Welten wegwerfen würde, wenn sie sie denn hätte.

Zwischen 1420 und etwa 1440 entstehen in Genua zwei Hospitaler als fromme Stiftungen, die als Pammatone zusammengefasst werden. 1447 wird Caterina geboren und mit 16 Jahren mit dem schwerreichen und mächtigen Giuliano Adorno verheiratet, einem Lebemann mit Geliebten und einem anerkannten unehelichen Kind.Nach zehn Jahren möglicherweise eher liebloser und unerfreulicher Ehe hat sie 1473 ihr Bekehrungserlebnis und ersetzt die fehlende eheliche Liebe durch die zu ihrem Gott. Sie empfängt nun jeden Tag die Kommunion (den Leib Christi, also Gottes) und übertreibt gnadenlos bei den Fastenzeiten. Um sich zu kasteien, schläft sie so wenig wie möglich, verzichtet sogar auf Obst und isst stattdessen Läuse und andere Ekeltiere. Dafür widmet sie ihr Leben und zunehmend auch ihr Geld den Armen und Kranken. Um 1489 erhält sie die Leitung der weiblichen Abteilungen des Pammatone und lebt auch dort. Indem sie mit dem Dienst an Armen und Kranken den Rahmen der Kirche nicht verlässt, kann sie erst vom "Volk" und dann 1737 ganz offiziell zur Heiligen erklärt werden.

 

Eine Besonderheit im späten Mittelalter ist die Beginenfrömmigkeit, die sich jenseits von Kirche und Kloster mit einer gewissen Autonomie etabliert, die sie sowohl der Kirche wie der weltlichen Obrigkeit verdächtig macht. Sie geht von den Niederlanden aus, wo sich mit Mauern abgegrenzte Beginenhöfe mit einer Anzahl von Hausgemeinschaften etablieren. Sie leben von Handarbeit, leisten karitative Dienste. In Köln soll es in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts 106 Beginenhäuser gegeben haben, in Straßburg 85.

 

 

Eine andere Variante von Frömmigkeit im 15. Jahrhundert sind Andachtsbruderschaften, die weder wirtschaftliche Interessen noch Armenfürsorge betreiben.

 

Neben konsequent durchgehaltener Frömmigkeit weniger gibt es die vor allem durch Prediger angestachelte eruptive städtischer Massen, die sich danach dann wieder beruhigen. Am 3.April 1429 kommt der Franziskaner Richard nach Paris:

Und er wirkte so stark, dass man es kaum glauben mochte, wenn man ihn nicht gesehen hätte, denn sobald er in Paris war, gabe es keinen Tag, an dem er nicht gepredigt hätte. Er predigt eine Woche bei den Innocents: und er begann seine Predigt ungefähr um fünf Uhr am Morgen, und es dauerte bis um zehn oder elf Uhr, und es gab immer einige fünf-oder sechstausend Personen bei seiner Predigt. Und er stand hoch oben auf einem Gerüst, das fast anderthalb Klafter hoch war, mit dem Rücken nach den Charniers, gegenüber der Charonnerie, in der Nähe vom Totentanz (Danse Macabre). (Journal, S.253)

Dann bei Boulogne-la-Petite: Und wahrlich, als die Leute von Paris an diesem Tag von der Predigt zurück kamen, waren sie so zur Frömmigkeit bewegt und bekehrt, dass ihr in weniger als drei Stunden oder vier wohl mehr als hundert Feuer hättet sehen können, darin die Männer Spieltische und Spielbretter verbrannten, Würfel, Karten, Billardkugeln und Queues, Knöchelchen-Spiele (nurelis) und alle Sachen, an denen man sich im geldgierigen Spiel bis zum Fluchen erzürnen kann. Item, die Frauen verbrannten an diesem Tag oder am nächsten all ihren Kopfputz, wie Polsterungen, Leder-, Fischbein- und andere Teile, die sie in ihre Hauben taten, um sie steifer oder nach vorn geneigt zu machen; die Fräulein ließen von ihren Hörnern, ihren Schwänzen und haufenweise Putz. Und wahrlich, zehn Predigten, die er in Paris gehalten hatte, und eine in Boulogne wandten das Volk mehr zur Frömmigkeit als alle Prediger, die seit hundert Jahren in Paris gepredigt hatten. (...) Und zu dieser Zeit ließ er mehrere Alraunen verbrennen, die manche dummen Leute an sicherer Stelle aufbewahrten. Solche Alraune sollen Reichtum bescheren oder bewahren. (Journal, S. 254ff)

 

Dazu gehört der enorme Einfluss Savonarolas in Florenz mit seinen Predigten gegen den irdischen Überfluss. Rabiat wird Savonarola erst 1497, als er bei Papst, Orden und Teilen des Bürgertums auf Ablehnung stieß. Wohl auch, um seine Position durch einen eklatanten Auftritt zu stärken, lässt er Kinder und Jugendliche im Februar durch Florenz ziehen, um heidnische Schriften, unmoralische Gemälde, Schmuck, Spiegel, Spielkarten, und anderen Luxus zu beschlagnahmen. Manche Leute liefern Sachen auch mehr oder weniger freiwillig ab, selbst Sandro Botticelli wirft einige eigene Gemälde in die Flammen des sogenannten 'Fegefeuer der Eitelkeiten' , die an zwei Tagen auf der Piazza della Signoria brennen.

 

So etwas findet aber auch in deutschen Landen statt. Johannes Müllner beschreibt in seinen Annalen ein solches Beispiel für das Auftreten eines Wanderpredigers in Nürnberg:

Dieser Capistranus ist (...) auch gen Nürnberg kommen (...) hat auf einer steinernen Kanzel gepredigt, hat heftig auf den Pracht und Hoffahrt und auf das Spielen gescholten und die Zuhörer vermahnet, alle Schlitten, spitzige Schuh, Wulsthauben, Brettspiel und dergleichen Ding zu verbrennen. Darauf sein an S.Laurenzen Tag auf dem Markt zu Nürnberg verbrennet worden 76 Schlitten, 2.640 Brettspiel, 40 000 Würfel und ein großer Hauf Kartenspiel. (in: Fleischmann, S.77)

Auch in Bamberg überzeugt er einen Teil der Bürger davon, Schmuck, Kosmetika, Kleidung und mehr aus ihren Häusern zu holen und öffentlich zu verbrennen.

 

***Stiftungswesen***

 

Vor allen Stiftungen tauchen seit dem 13. Jahrhundert immer mehr großbürgerliche Testamente auf, in denen für Arme und die für sie bestimmten Einrichtungen gespendet wird. In Regensburger Testamenten des 14. Jahrhunderts geht oft ein Drittel der Hinterlassenschaft an Spitäler und Arme, so an das Katharinenspital, ein Leprosenhaus und an städtische Bruderschaften, aber auch an einzelne Arme. (Dirmeier in: Angerer, S.227f)

 

Das reiche Nürnberg ist ein Musterbeispiel für bürgerliche Stiftungen. Sebald wird erst nach Geschenken nach Rom 1425 heilig gesprochen. Als Lokalheiliger macht er seine Kirche zum ersten Ort für Stiftungen der alten Ratsgeschlechter, die alleine hier "Altäre nebst Pfründen, Glasfenster Marienbilder, Heiligenfiguren und andere Memorabilien" stiften dürfen. (Fleischmann, S.70) Andere Reiche dürfen für andere Kirchen stiften, Künstler wie Adam Kraft und Veit Stoß bekommen so Aufträge, wie letzterer von dem Ratsherrn und Kaufmann Anton Tucher den zum "Englischen Gruß" (der Verkündigung) in der Lorenzkirche.

Ein Zwölfbrüderhaus stiftet der Nürnberger Unternehmer Matthäus Landauer 1501 samt einer großen dreischiffigen Hallenkirche.

1519 stiftet der Nürnberger Kaufmann Jakob Welser den Marienaltar für die Frauenkirche, stimmt dann allerdings 1525 mit für die Einführung der Reformation.

Es geht um erhebliche Summen. Hans Imhoffs Stiftung des 20 Meter hohen Sakramentshauses für St. Lorenz (Adam Kraft) kostet ihn 770 Gulden, mehr als der Preis eines gediegenen großen Hauses. Kraft darf sich immerhin ganz unten als einer von drei Handwerkern (als kniender Träger) verewigen. Sixtus Tuchers Stiftung einer Kaplansstelle für die tägliche Frühmesse am Johannes-Altar der Lorenzkirche beträgt 1560 Gulden. (Fleischmann, S.80)

 

Im 15. Jahrhundert nehmen auch weltliche Schenkungen zu. Sebald Schreyer finanziert den Druck der 1493 erscheinenden Schedelschen Weltchronik mit ihren über 1800 Holzschnitten.

 

***Totentanz***

 

Makaber ist ein Wort, welches erst im 19. Jahrhundert im Französischen allgemeiner auftaucht und vielleicht über das Englische im 20 Jahrhundert ins Deutsche gelangt. Zum ersten Mal vorher taucht es in der Totentanzdichtung 1376/96 in 'de Macabré la danse' auf. Ursprünge des Wortes aus dem Arabischen oder Hebräischen bleiben unklar.

 

Das Makabre ist wie das Groteske ein Spiel mit Ambivalenzen, allemal Ort für Angstlust, genauer noch Lust am Schrecken. Das durch Kultivierung und Zivilisierung ge- und verformte Bewusstsein oszilliert in seiner Unentschiedenheit zwischen Angst bzw. Schrecken und Lust und versucht beide zusammenzubringen.

Beim Makabren geht es spezifisch um die so hergestellte Faszination des Todes. Es taucht im Gefolge der Pest einmal 1376/96 im 'Respit de la Mort' des Kanzlers des Duc d'Anjou Jean Le Febre (Je fie de Macabré la danse) auf,  dann als literarisches Produkt für die szenische Darstellung, und zwar zunächst als Wechselreden zwischen dem Tod und vielen Personen unterschiedlichen Ranges. Frühe Aufführungen sind aus dem Kloster aux Innocents (der von Herodes laut kurioser Legende hingerichteten Kinder) als Chorea Machabaeorum bzw. danse macabre bekannt. Jean Gerson schreibt um 1423 einen solchen Totentanz. In deutschen Landen taucht dann die Übersetzung einer lateinischen Version (Uniblibliothek Heidelberg) auf.

 

Im Gefolge tauchen oft monumentale Wandgemälde in Frankreich (Abtei La Chaise Dieu und Pariser Friedhof Cimetière des Innocents schon um 1425), Deutschland (z.B. Metnitz in Kärnten, Basel, Lübeck) und Italien auf, dort zum Beispiel auf dem Pisaner Campo Santo (1380). An der Kirche der Unschuldigen zu Paris besteht der Tanz aus dem Auftritt von fünfzehn Gestalten, und zwar von Papst und Kaiser bis zu Mönch, Bauer und Kind. Bei La Chaise Dieu in der Auvergne steht darunter: Du selbst bist es.

 

 

Beim Totentanz tanzt zunächst noch der Tote selbst, dann führt der Tod selbst den Tanz an, "grinsend, mit den Schritten eines alten steifen Tanzmeisters, fordert er den Papst, den Kaiser, den Edelmann, den Tagköhner, den Mönch, das kleine Kind, den Narren und alle anderen Berufe und Stände auf, ihm zu folgen." (Huizinga, S.201). Dabei schwingt immer in dieser Zeit die Erinnerung mit, dass alle Menschen nackt geboren werden und am Ende vom Tod wieder gleichgemacht werden, Volksglaube, den die Reichen und Mächtigen natürlich nicht teilen.

 

In den Kreuzgang der Innocents von Paris lassen wohlhabende Bürger und Adelige Beinhäuser für sich in die Bögen des Kreuzgangs einbauen. Zugleich ist das Gelände ein Spielplatz für Jugendliche, Arbeitsplatz für Prostituierte und für Alchemisten.

 

Ursprung ist sicher der Widerspruch zwischen zwei Zwanghaftigkeiten im Menschen: Seinem unwillkürlichen Lebenswillen und der ihm bewussten Unabänderlichkeit des Todes. Im späten Mittelalter scheinen die Häufung von Naturkatastrophen mit vom Menschen durch Globalisierung und Überbevölkerung hervorgerufenen Seuchen und den zunehmenden Greueln der Kriege und allgemeiner Gewalttätigkeit und Grausamkeit die bisherigen Versuche von psycho-mentalen Arrangements mit dem Tod durch sein zunehmend massenhaftes Auftreten bei vielen zu zerbrechen. 

Das Starren auf den deutlich werdenden Widerspruch scheint ein Versuch zu sein, diesen magisch bannen zu wollen. Der bisherige kirchliche Versuch, ihn durch die Begründung des Todes mit der menschlichen Sündhaftigkeit aufzulösen, gerät offensichtlich in eine Krise. Andererseits nehmen seit dem 13. Jahrhundert mit den öffentlichen Bußpredigten von Mönchen der Bettelorden, die mit dem allerhöchsten Gericht nach dem Tod und einem ewigen Leben drohen, neue Versöhnungsversuche zu. 

Ein Bruder Richard predigt denn auch schon 1429 auf dem Friedhof der unschuldigen Kinder in Paris auf einem Gerüst, hinter dem sich die Beinhäuser und die Abbildung des Totentanzes befinden. Fünf-bis sechstausend Menschen sollen sich zwischen fünf und zehn Uhr morgens zu diesen langen Predigten eingefunden haben, die die Obrigkeit dann so beunruhigen, dass sie ihn unter den Klagen der Leute aus der Stadt verbannen.

 

Wo die Grabstellen nicht mehr ausreichen, werden die skelettierten Toten ausgegraben und in Beinhäusern öffentlich ausgestellt. Der Friedhof der unschuldigen Kinder in Paris ist so beliebt, dass für ihn die Oberschicht beaux charniers stiftet. Der Anblick der sorgfältig aufeinandergestapelten Knochen wird auch anderswo zum Ort wohligen Schauderns, und man fragt sich heute, wie die Menschen die ihnen so wichtige Auferstehung des Leibes mit den Massen von Knochen, die dort durch die Jahrhunderte für jeden sichtbar aufgestapelt werden, in Übereinstimmung bringen können. Irgendwie erinnert es an die heute allenthalben vorhandenen "Öko"- und "Bio" - Bekenntnisse all der Menschen, die zugleich von jener Konsumgier besessen sind, die den Lebensraum Erde zugrunde richtet.

 

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In diesen Zusammenhang gehören am Rande auch die Erfindung der Kreuzwege und der Passionsspiele im Mittelalter sowie die Zunahme von Abbildungen von Kreuzigungen mit leidenden Marien und von Pietàs, also Bildern der leidenden Maria. Passion, also psychisches Leiden und solches unter Schmerzen, wird noch betont durch die immer "realistischeren" Darstellungen der Martyrien von Heiligen, deren zweifellos religiöser Inhalt zugleich sadomasochistische Züge hat, da er die faszinierende Lust am Leiden (anderer) fördert und zugleich die (auch) Empathie fördernde Lust am Mitleiden.

 

 

Christentum und Kapitalismus

 

Ohne einen klaren Unterschied zwischen Besitz und Kapital und ohne einen Begriff von Kapitalismus bleibt es Bettelmönchen wie Bernardin von Siena in den ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts und Savonarola in den letzten überlassen, Gier nach Reichtum und Luxuskonsum anzuprangern. Bernardin predigt beispielsweise so:

Der Reiche verteidigt seine Gier, indem er angibt, dass er zwar jetzt genug besitzt, dass er aber im Alter kein Einkommen habe und so könne er den Armen nichts geben. Zuerst, so behauptet der Reiche, müsse er an sich denken und erst dann an seine Mitmenschen. Aber sage mir, was macht der Alte, wenn er einst 100 Jahre alt sein wird und 10 000 Gulden besitzt? Die braucht er gar nicht und sein Sparen ist nichts als Geiz. (in: Ertl, S.12)

 

Zwar geht es hier nicht ausdrücklich um Sparen zwecks Kapitalanhäufung, sondern aus Geiz, der hier kein Charakterfehler ist, sondern ein moralischer Fehler ("Sünde"). Das weist das bereits weit voraus bis auf die moralisierende "Linke" des 20. und 21. Jahrhunderts, die Reichtum entsprechend diffamiert, ohne aber ihn abzulehnen, sobald er einen selbst betrifft.

 

Scharf kritisiert wird von Bernadin von Siena das Feilschen um den Preis der Ware auf dem Markt allgemeiner Gebrauchsgegenstände, wo es, offenbar oft von Seiten des Anbieters, mit halben oder ganzen Lügen verbunden wird, mit Betrug bis hin zu Meineiden.

Dabei benutzt Bernadin selbst die Sprache des Marktes, um Frömmigkeit einzufordern. Die Gläubigen sollen "zu Ostern mit den anderen Gläubigen um die besten Taten und den schnellsten Gang zur Beichte (...) wetteifern, wie dies jene Menschen gewöhnlich tun, die eine Warenmesse besuchten und mit den anderen Besuchern um die besten Einkäufe wetteiferten." (Ertl, S.204)

 

Bußpredigten und Verbrennungsaktionen sind kurze hochemotionalisierte Momente, die aber kaum dauerhafteren Einfluss auf die Masse der Menschen haben, soweit die sich überhaupt kurz einmal beeindrucken lassen. Vielmehr gibt es längst eher Auseinandersetzungen darüber, ob und inwieweit Geschäft und Betrieb überhaupt reguliert werden sollten oder aber im freien Wettwerb den größten Nutzen erzielen.

 

 

Zauberer, Hexen und ihre Verfolgung

 

Magie, ja Zauberei waren von der Kirche seit ihren Anfängen monopolisiert worden. Nur Priester dürfen sie ausüben. Unter dem Einfluss philosophierender Gelehrsamkeit und Vorläufern der Wissenschaften gerät so etwas in den Händen von schlichterem Landvolk immer mehr in den Verdacht, ein Nebenzweig der Ketzerei zu sein. In Gegenden Frankreichs nennt man so etwas nun vauderie, also ursprünglich Waldensertum. Um 1460 erreicht die Verfolgung von Hexen und Zauberern allerdings in Arras, einer Stadt, einen ersten Höhepunkt.

 

Derweil etablieren sich Teile dieser "schwarzen Künste" immer mehr an Fürstenhöfen. Die Astrologie, von der Astronomie noch nicht unterschieden, wird aber nicht dazu gerechnet. Halbwegs anerkannt sind auch jene Alchemisten, deren höchstes Ziel es ist, Gold herzustellen, solange sie dafür nicht den Teufel anrufen. Noch Cagliostro wird im 18.Jahrhundert damit in Kreisen der "feinen Gesellschaft" Eindruck machen. Erst danach wird der faule Zauber ganz an Polit-Demagogen und ihre Versprechungen übergehen.

 

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Macht, Pracht und Religion

 

Ein brutaler Machthaber und geldgieriger Fürst wie der Burgunderherzog Philipp ("der Gute") wird in den Quellen als fromm beschrieben. Huizinga zählt auf:

"Er pflegt noch lange nach der Messe in seinem Betstuhl zu verweilen. Er fastet vier Tage in der Woche bei Wasser und Brot, und außerdem an allen Vigilien Unserer Lieben Frau und der Apostel. Manchmal hat er um vier Uhr nachmittags noch nichts gegessen. Er gibt viele Almosen, und ganz im geheimen. Ebenfalls heimlich ließ er für jeden seiner Leute, der starb, nach einem festen Tarif Seelenmessen lesen: für einen Baron 400 oder 500, für einen Ritter 300, für einen Edelmann 200 und 100 für einen Varlet." (Huizinga, S.251)

 

Solche Äußerungen von lobhudelnden Zeitgenossen sind mit einer gewissen Vorsicht zu genießen und beschreiben gewiss nicht den durchlaufenden Alltag. Aber sie dokumentieren doch zweierlei: Da ist zum einen die von Luther später so abgelehnte Werkgerechtigkeit, die mit Gott einen Handel betreibt wie Kapital auf dem großen Markt, und die allgemein verbreitete und schon lange von der Kirche geförderte Ansicht, dass man sich in den Himmel der Christen mit Geld einkaufen könne.

Eine weitere, schon seit bald tausend Jahren kirchlich vertretene Ansicht ist, dass luxuriöse Pracht zum Lobe des Herrn gottgefällig sei. Von Ludwig von Orléans und Philipp ("dem Kühnen") werden die Kirchen ausgerechnet der Armut und Einfachheit vertretenden Coelestiner und Karthäuser mit besonderer Pracht aufwendig ausgestattet.

 

Das Mittelalter dauert dann auch bis ins 18. Jahrhundert an, und das besonders im katholischen Raum. 1615 schreibt der Mönch und Autor Jeremias Grienewald in seiner Beschreibung von Regensburg über die Schatzkammer von St.Emmeran:

Entgegen hinter diesem Hochaltar ist eine eyserne Thür zum Eingang der Heiligtumbcammer, alda ein unerschätzlicher Schatz von Edelgestain, Gold, Silber, an Creuzen, Stäben, Bildtnussen mit den darin gefassten Heyligthumb vorhanden. (in: Angerer, S.242)

Wundertätige Reliquien in teurem Glitzer eingefasst, einst gefälschte Knochen sogenannter "Heiliger" werden auf Druck von Papst, Rat und Volk auf Prozessionen und an bestimmten Tagen vorgezeigt. Wer den Humbug nicht glaubt, glaubt zumindest an den wirtschaftlichen Erfolg herbeiströmender Massen, die heute mit ihrer "Promi"-Verehrung noch genauso blöde sind wie die Menschen damals.

 

 

Verweltlichung (überarbeiten)

 

Hermann IV. aus dem hessischen Landgrafenhaus wird 1461 mit elf Jahren Domherr zu Mainz. Er studiert im Folgejahr an der Universität Köln, wo er mit 13 Jahren Domherr wird. Mit 15 wird er Propst des Petersstiftes zu Fritzlar und Domscholaster in Worms. Mit 18 Jahren hat er drei weitere Pfründen errungen. 1480 wird er Erzbischof von Köln.

 

Solche Stellenvergaben sind oft nicht mit sonderlichem religiösem Interesse verbunden, was die Kirche des späten Mittelalters dann auch stark prägt: Kirchenämter sind oft schiere Einnahmequellen.

 

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Was glauben die Menschen wirklich im 15./ 16. Jahrhundert? Natürlich jeder irgendwie etwas zumindest ein wenig anderes. Da man gar nicht umhin kommt, ein Christ zu sein, muss man sich über seinen Glauben auch kaum Gedanken machen. Er kann im Alltag ein wenig präsentes Hintergrundphänomen sein. Die Berichte über bei der Messe schwatzende Leute oder über Burschen, die dabei ihre Augen nicht von attraktiver Weiblichkeit lassen können, nehmen nicht ab und bezeugen selbst für diese hochheilige Angelegenheit weniger Interesse als Gewohnheit. Aber wieweit das die Einzelnen betrifft, bleibt unbekannt.

 

Der später heilige Bernhard(in) von Siena klagt, viele Leute glauben an nichts Höheres als das Dach ihres Hauses. Thomas Walsingham meint in denselben Anfängen des 15. Jahrhunderts, dass einige Adelige in England nicht glauben, dass es einen Gott gibt, und sie leugnen das Altarssakrament und die Wiederauferstehung nach dem Tode und betrachteten das Ende eines Menschen nicht anders als den Tod eines Lasttiers.

"Die Kirchen waren leer und die Messen schwach besucht, schrieb Nicolas de Clamanges in seiner großen Abhandlung 'De Ruina et Reparatione Ecclesiae'. Die Jungen gingen ihm zufolge kaum noch in die Kirche außer an Festtagen und auch dann nur, um die angemalten Gesichter, dekolletierten Kleider und aufsehenerregenden Frisuren der Damen zu sehen, gewaltige Türme mit Hörnern und behangen mit Perlen." (Tuchman, S.436f)

 

 

Gesündigt wird weiter reichlich, und es bleibt unklar, in welchem Maße Menschen von der Drohung mit den Höllenstrafen beeindruckt sind. Immerhin kaufen viele Menschen Ablässe mit der Vorstellung, diesen dann wenigstens zum Teil zu entgehen. Auch die Drohung mit sehr irdischen Strafen hält ja nicht alle davon ab, Vergehen und Verbrechen zu begehen, und die Drohung immerhin ist sehr handfest.

Ein klassisches Beispiel ist der manchmal bis tief ins 20. Jahrhundert anhaltende Brauch, dass die Jungfrauen bei der Himmelfahrts- oder Fronleichnams-Prozession voranschreiten sollen, um so ihrem besonderen Stand der Heiligkeit Ausdruck zu verleihen. Dass ein wohl nicht allzu geringer Teil da in Wirklichkeit  nicht mehr hingehört, wird nur deutlich, wenn sie kurz danach uneheliche Kinder zur Welt bringen wie in Meßkirch für 1508 in der Chronik der Grafen von Zimmer beschrieben: hinfüro weder auf den uffahrt oder auch den herrn fornleichnams dag zu ewigen zeiten die jungfrawen nimmer mehr dem sacrament solten vorgeen. Wer weiß, wie viele schon entjungfert sind...

 

Unglauben bezüglich der sexuellen Vorschriften der Kirche dürfte weitverbreitet sein, immerhin eines ihrer Kernthemen, und das dürfte rundherum auch für die Wuchervorschriften gelten, die mit allen Mitteln durch das Mittelalter umgangen werden - bis sie immer sanfter werden.

 

Was glauben eigentlich die falschen Jungfrauen der Prozessionen, wenn sie ihre Kirche und ihren Gott betrügen? Durch das 15./16. Jahrhundert wird häufiger noch als früher wieder und wieder davon berichtet, dass Militärs Kirchen und Klöster komplett plündern. Im Sacco di Roma 1527 rauben die nominell christlichen Söldner des, wie er selbst behauptet, vom christlichen Gott eingesetzten Kaisers nicht zuletzt sämtliche Kirchen und Klöster der Papststadt samt dem Vatikan aus.

 

Geistliches Theaterspielen und das Darstellen insbesondere der Teufelsfiguren, die oft auch als Fastnachtsmasken auftauchen, hat wohl seit dem 14. Jahrhundert zunehmend den Charakter eines Gaudiums. Man kennt die Laiendarsteller aus seiner Umgebung. Wie es da so zugehen kann, ist zum Beispiel für Nördlingen für 1502 dokumentiert: Leonhart Nesselhauff, weiß gerwer, ist in der process (...) in ains teufels gestalt geloffen und hat vor frowen und junkfrowen etwas unloblich mit worten und geperden gehandelt. (wofür er bestraft wird, in: Heinzle, S.236) Für 1507 heißt es daselbst: Daniel Frey, der ledrer, hat in dem vergangen umbganng teufels klaider angehept und getragen. Hat sich gegen den frowen bildern unwesenlich gehalten, ist an si gefallen und an in genollet wie ain hund und auff des pfarrers meurlin gestannden und gegen sein dienerin unzimliche wort gepraucht. (s.o., S.237)

 

Erste Versuche, im früheren 16. Jahrhundert Mädchen für Marien einzusetzen, scheitern an ihrer Attraktivität, - schöne Mädchen werden natürlich gerne vorgezogen. Ein Heinrich Bebel schreibt in seinen Facetien von einer so liebreizenden Magdalena, dass sie beim Osterspiel den am Kreuz hängenden, nur mit einem Lendenschurz bekleideten Darsteller zu einer deutlichen Erektion anreizt: coepit ei virgo virilis (männliche Rute) videntibus circumstantibus omnibus (in: Heinzle, S.230). Das ist vermutlich das Kernerlebnis an diesem frommen Tag gewesen.

 

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Diese toskanische Paradiesdarstellung des 15. Jhs., heute in der Pinakothek in Siena, zeigt einen Garten, in dem auffallend viele attraktive junge Damen der besseren Gesellschaft zusammen mit (einigen Herren) der Geistlichkeit lustwandeln. Hatte Dante für wenige Gebildete kurz nach 1300 zum ersten Mal ein Paradies ausführlich als Gegenwart Gottes beschrieben, was sich zwar in philosophierende Text-Bilder, aber nicht in solche echter Anschaulichkeit verwandeln ließ, so war auch dies Gemälde ein Versuch, das nicht Darstellbare sichtbar zu machen, dem sofort notgedrungen der religiöse Aspekt einigermaßen verloren geht. Dass ein so ästhetisch schönes Paradies keine Maurer, Marktweiber und Schankwirte enthält, liegt nicht nur am Auftraggeber, vermutlich ein reicher Kapitaleigner, dem die Vorstellung, mit seinem Personal und anderer Unterschicht in Ewigkeit zusammen zu sein, sicher zuwider war. Es liegt auch an einer massiven Säkularisierung seit dem Ende des 11. Jahrhunderts in den Städten, die längst mit Eva und Maria zunehmend erotische Attraktivität verband und Kirche/Religion und Alltag längst fast vollständig getrennt hatte.

 

1448 schreibt der klerikale "bourgeois de Paris" in sein Tagebuch:

in der letzten Aprilwoche kam ein Fräulein (Agnes Sorel) nach Paris, von dem man sagte, dass es öffentlich (publiquement) die Geliebte (amie) des Königs von Frankreich sei, ohne Treue und Gesetz und Wahrheit gegenüber der guten Königin, die er geheiratet hatte, und es wurde offenbar, dass sie soviel Staat (grand état) trieb wie eine Gräfin oder Herzogin. (...) Und der König (...) schenkte ihr das Schloss von Beauté (S.437f)

 

Was Huizinga als Vermischung des Erotischen mit dem Religiösen bezeichnet, findet seinen ersten künstlerischen Höhepunkt in der malerischen Darstellung jener jungen königlichen Mätresse Agnes Sorel als Maria mit Jesuskind im Diptychon der Liebfrauenkirche von Melun, In diesem Meisterwerk Jean Fouquets von etwa 1450 zeigt (vermutlich) die maitresse en titre von Charles VII. die eine ihrer mächtigen Brüste entblößt unter dem Vorwand der seit damals häufiger dargestellten Maria lactans, der dem Jesuskind die Brust gebenden jugendlichen Gottesmutter; allerdings ist hier der Mund Gottes weit entfernt von der jungfräulichen Brustwarze und stört den Anblick nicht.

Das gotische Schönheitsideal der extrem engen Taille, der dafür vollen Brüste und der durch Rasur nach oben verlängerten Stirn  ist kombiniert mit einem weniger keusch als kokett geneigten Blick bei mit kosmetischem Rot erotisch teil-ausgemalten Lippen.

Was die Erotisierung des Religiösen des weiteren vorantreibt ist hier die Verwandlung der Engel in allerdings geschlechtloser Nacktheit in Vorformen jener possierlichen Putten, die das Barock dann in noch kindlicherem Format in Scharen bevölkern werden, - auch wenn sie hier noch Flügel haben.

 

Dies Bild einer Madonna lactans, also einer ihr Kind säugenden Maria von etwa 1500 aus der Pinakothek von Siena macht deutlich, wie sehr das Religiöse erotisiert wird. Das entspricht dann der Neigung der sogenannten italienischen Renaissance, Geliebte von Malern und Mätressen von (auch geistlichen) Fürsten und einfachere Prostituierte als Modelle für heilige Gestalten zu benutzen. Besonders beliebt wird es, nach der Eva nun auch die Magdalena mehr oder weniger entblößt darzustellen, als (offiziell) reuige, aber zunehmend erotisierte Hure. Schwule Erotik demonstriert dann der ebenso öffentliche wie nackte David des Michelangelo mit seinem besonders intensiv durchgearbeiteten Hinterteil..

 

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Zwei bedeutende Ungläubige hat das kirchliche "Christentum" schon früh in seine Heilsgeschichte integriert. Der eine ist der "ungläubige Thomas", der nicht an die Auferstehung seines Meisters glauben will, bis er dessen Wunden ertastet hat, ein legendärer früher Empiriker, mag man sagen, der in dieser Geschichte den höheren Wert des Glaubens vor allem Wissen exemplifiziert bekommt, eigentlich wichtigster Heiliger der Kirche.

 

Der zweite ist ein Kuriosum, welches erst im 13./14. Jahrhundert so recht entdeckt wird: Joseph, dem Erzeuger mehrerer Kinder von "seinem angetrauten Weibe Maria', wie das später übersetzt wird, wiederfährt das Erstaunliche, dass seine Frau, darüber hinaus auch noch bald Jungfrau, von ihrem Gott, damals noch Jahwe, in einem phänomenalen Akt derart inseminiert wird, dass sie einen Gottessohn austrägt.

Es ist dann auch ausweichlich, dass Joseph ein wichtiger Heiliger der Christenheit wird, im lateinischen Raum erst nach und nach ab dem 9. Jahrhundert, was wohl damit zu tun hat, dass er in einem außerordnentlich fragwürdigen Verwandtschaftsverhältnis zu seinem merkwürdigen Stiefsohn steht. Um ihm eine gewisse Heiligkeit beizumessen, wird er dann zum Verteidiger der Jungfraulichkeit seiner Frau gemacht (!). 

 

In dem im 13./14. Jahrhundert langsam einsetzenden volkstümlicheren Weihnachtsfest verschwinden in den Darstellungen der himmlische und der irdische Vater in einen, wobei Joseph der immer handfestere wird. Als dann die Darstellungen der evangelischen Weihnachtsgeschichte im frühen Schauspiel, in Skulpuren und Gemälden zunehmen, wird das Problem virulent und immer mehr dadurch gelöst, dass man einen gewissermaßen "ungläubigen" Joseph zu sehen bekommt: Er kann es nicht recht glauben, dass seine längst jungfräulich gewordene Gemahlin, deren Jungfräulichkeit er sorgsam bewacht hat, nun ein Kind bekommt.

In den Darstellungen sitzt oder steht er oft abseits, vom Wunder der heiligen Insemination ausgeschlossen, schließlich ist ihm auch kein Engel erschienen, der ihm das Wunder ankündigt, und was hätte Maria ihm schon sagen können, was seinen jüdisch gefestigten Unglauben an seinem solchen Mysterium überwunden hätte. Der Dichter Eustache Deschamps nennt ihn kurzerhand einen Dumkopf (le rassoté).

 

Andererseits wird das weihnachtliche Geschehen nun zu einem Hauptthema der frommen Malerei, von der Verkündigung bis zu den heiligen drei Magiern oder Königen. Der schlichte Landadelige de la Tour Landry schreibt: Gott wollte dass sie den heiligen Mann Joseph heiratete, der alt und bieder war; denn Gott wollte unter dem Schatten der Ehe geboren werden (soubz umbre de mariage), um dem Gesetz zu gehorchen, das damals galt, um dem Gerede der Leute zu entgehen. (in: Huizinga, S.237) Damit behauptet einer der wenigen Leute, die lesen und schreiben können, immerhin damals, dass (der allmächtige) Gott sich am Gerede der Leute orientierte. Wie vermenschlicht stellten sich wohl die übrigen, falls überhaupt, ihren Gott vor.

 

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Verweltlichung: Durch die Nachantike und dann besonders durch das Mittelalter bestehen zwei Parallelwelten nebeneinander: Die christliche und eine "heidnisch"-antike, Augustinus neben Ovid, Thomas von Aquin neben Vergil, Gott der Allmächtige neben dem Glücksrad der Fortuna, einer heidnischen Göttin. Der niedrige Kleriker des 11./12. Jahrhunderts schreibt an der Antike geschulte Liebeslyrik. Francesco Petrarca liest, wie er schreibt, im Livius, was ihn zur Besteigung des Mont Ventoux inspiriert und gelangt dann oben zu einem ausführlichen Augustinus-Zitat. Der niedere ("christliche") Kleriker des Paris der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts schreibt für 1428 in sein Tagebuch: Fortuna, die niemandem eine sichere Freundin ist (Journal, S.248), also sich als unbeständig wie der christliche Gott in seiner Gunst erweist, die aber die Welt offenbar genauso wie gleichzeitig dieser christliche Gott regiert.

 

Was für den Bauern des Mittelalters weitergeführte vorchristliche Traditionen sind, für den Kapital verwertenden Großbürger der Stadt zur selben Zeit völlig unchristliche Gier, ist für den belesenen Kleriker die Doppelwelt aus heidnisch-antiker und aus christlicher Tradition, die im 14./15. Jahrhundert immer stärker ineinander verschränkt werden.

 

Zum Einzug des englischen Königs in Paris zur Krönung heißt es im 'Journal des Bürgers von Paris': da gab es drei sehr schön aufgestellte Sirenen (...) und darüber war ein Wäldchen, wo es wilde Männer (hommes sauvages) gab, die auf verschiedene Weise ein Getümmel machten (...) vor die Trinité, wo es ein Myterium von Mariä Empfängnis gab (...) und reichten die Gerüste von kurz nach Saint-Sauveur  bis zum Ende der Rue Darnetal... (usw. Journal, S.305)

 

 

Verweltlichte Prälaten im französischen 15. Jahrhundert

 

Seit dem 14. Jahrhundert bewegt sich der französische Klerus immer mehr in Richtung auf eine "gallikanische" Nationalkirche.

1438 Pragmatische Sanktion von Bourges: Der König erhält ein Mitspracherecht bei Bischofswahlen und der Besetzung von Kapiteln der Abteikirchen.

 

Zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert lässt sich (nicht nur) für Frankreich die Fortsetzung und Steigerung jenes Prozesses erkennen, der schon seit dem frühen Mittelalter aus der hohen Geistlichkeit schwerreiche verweltlichte Machthaber macht, auch wenn ihnen die fürstliche Stellung des römisch-deutschen Reiches fehlt. Diese Prälaten leben in Schlössern und Palästen, umgeben von Rittern und Vasallen, gehen wie weltlicher Adel auf die Jagd, führen Krieg und oft ein Leben voller Ausschweifungen auch sexueller Natur, dabei immer auf der Suche nach Möglichkeiten, Macht und Reichtum auszubauen.

 

Der Theologe und Kanzler der Sorbonne, Jean Gerson (1363-1429) schreibt: Wo findet man heute noch einen Bischof, der sein Amt nicht durch Ehrgeiz und Habgier erlangt hat? Entweder der Geistliche Nicolas de Clemanges (1360 bis um 1440) oder ein Zeitgenosse schreibt in 'De corrupto Ecclesiae statu':

Wenn in unseren Tagen jemand das Hirtenamt übernimmt und sich der Seelsorge weiht, dann ist mit keinem Wort vom Dienst an Gott und der Erbauung und dem Seelenheil der Gläubigen die Rede; das einzige, was zählt, ist die Höhe der Einkünfte.

1438 schreibt der Autor des Pariser Journals:

an solchem Tod verschied der Bischof von Paris, namens Herr Jacques, ein sehr prächtiger (pompeux), geldgieriger (convoiteux) Mann, weltlicher (mondain) als sein Stand es erforderte, und er verschied am 2. Tag des November im Jahr 1438 (Journal, S.383)

 

Entsprechend sind solche Prälaten oft mehr Politiker als Geistliche, und geben die geistlichen Aufgaben an Untergebene ab. Ein Musterbeispiel ist der Gegenspieler von Gilles de Rais, Jean de Malestroit, der als jüngster Sohn der bretonischen Adelsfamilie Geistlicher wird. 1375 geboren, ist er 1405 bereits Bischof von Saint-Brieuc und häuft immer mehr geistliche wie weltliche Ämter an. Im selben Jahr gelangt er in den Großen und Geheimen Rat des bretonischen Herzogs und reüssiert immer mehr mit Geldgeschäften. "1406 ist er Generalgouverneur der Finanzen der Bretagne, 1408 erster Präsident des Rechnungshofes, einige Monate später Kanzler und seit 1409 Schatzmeister und General-Steuereinnehmer." (Reliquet, S.135) Im weiteren leitet er die bretonische Schaukel-Außenpolitik und wird 1419 Bischof von Nantes. An Finanzen kann er nun mit den reicheren Fürsten in Frankreich mithalten.

Er ist nur einer von vielen. Ludwig von Luxemburg ist erst Bischof von Thérouanne, das er aber kaum aufsucht, da er seine Residenz in Paris hat, wird dann Erzbischof von Rouen und später von Ely in England. Zugleich ist er zunächst burgundischer Kanzler und häuft durch englische Gelder immer mehr Reichtum an.

Jacques Jouvenel des Ursins wird mit 26 Jahren Ratgeber des Königs im parlement, 1441 erhält er die Pfründe eines Archidiakons von Paris, 1443 wird er als Kanoniker Schatzmeister der Sainte Chapelle, 1444 Erzbischof von Reims und 1445 geistlicher Präsident des königlichen Rechnungshofes.

 

Diese Vermischung  von klerikaler Prachtentfaltung, Habgier und politischer Macht adeliger Prälaten klagt der fromme Bauernsohn Jean Gerson (Charlier), der durch seine erhebliche Bildung eine dem konziliaren Gedanken verpflichtete Karriere macht, immer wieder an:

Was soll dieser üppige fürstliche Glanz? Was gewinnt die Kirche an dem überflüssigen Prunk der Prälaten und Kardinäle, der sie fast vergessen lässt, dass sie Menschen sind? und was ist das für ein Zustand, dass einer 200 Pfründen hat und der andere gar 300? Daher kommt es doch, nicht wahr, dass der Gottesdienst vernachlässigt wird, dass die Kirchen verarmen, dass es ihnen an würdigen Männern und Lehrern gebricht, und dass den Gläubigen ein schlechtes Beispiel gegeben wird ... Warum müssen die Kanoniker der Kathedralen gestiefelt und gespornt einhergehen und im kurzen Gewand; warum haben sie den Priesterhabit abgelegt und kleiden sich wie Soldaten, schwingen den Wirfspieß und üben sich im Waffenhandwerk? Denn auch die Bischöfe ziehen das Chorhemdn aus, vergessen ihre Bücher und greifen zu den Waffen; sie ziehen in die Schlacht wie weltliche Herren ... Macht doch die Augen auf und schaut hin, ob nicht die Nonnenklöster den Häusern der Kurtisanen gleichen und die heiligen Stifte der Chorherren den geschäftigen Märkten, ob nicht die Kathedralen zu Räuber- und Mörderhöhlen geworden sind! Haben nicht manche Priester unter dem Vorwand, es sei zu ihrer Bedienung, die Gewohnheit angenommen, sich Konkubinen zu halten? (in: Reliquet, S.145)

Das alles ist nicht völlig neu zu Gersons Zeit, aber doch neu in seinem Ausmaß

 

Weitere Verbürgerlichung

 

Ein gutes Beispiel für die Verschränkung von sehr Irdischem und Sakralem bietet Nürnberg ab 1424, als die von Karl IV. als heiligtum bezeichneten Reichskleinodien nach Nürnberg überführt werden. Johannes Müllner beschreibt das in seinen Nürnberger Annalen so: Die ganze Clerisei und Ordensleut oder Brüderschaften, nachmals der Rat und die ganze Bürgerschaft, Manns- und Weibspersonen, sein in einer stattlichen Proceßion ordentlich zum Frawenthor bis weit für das Hohe Gericht hinaus, diesem so hochgehaltenen Heiltumb entgegengangen, welches man auf einem Wagen geführet, auf welchem hinden und vornenetliche junge Knaben als Engel bekleidet gesessen, haben brennende Wachskerzen in den Händen getragen. (II)

Nach den österlichen Festen gewinnt die Stadt so ein weiteres als heiltum tag. Ein Geistlicher ruft die Einzelteile aus und damit verbundene Ablässe. Für danach wird eine zweiwöchige Messe etabliert, damit auch so die Geschäfte florieren.

 

Der sogenannte Ablass ist eigentlich der Loskauf von kirchlichen Sündenbußen, die wiederum die Strafqualen nach dem Tod (hoffentlich) reduzieren sollen. Da unter den von der Kirche verblödeten Massen viele das darauf verkürzen, dass ihnen mit Ablass Höllenstrafen direkt erlassen werden, ist die Kirche im 15. Jahrhundert längst bereit, sich auf den durch sie vermittelten Handel mit dem Richtergott einzulassen.

Zu 1430 berichtet der Autor des Pariser Tagebuches: Papst Martin V. verkündet, wieviele Buße einem für Kirchenbesuch und Fasten jeweils erlassen wird: hundert Tage Buße und mehr jeweils. (S.288ff) So wurden dann die vorgenannten Ablässe (pardons) bekannt gemacht, zuerst in der Kirche St.Augustin in Paris (...) am 25.Tag des Juni 1431. (Journal, S.291)

 

Vorhäute des "Herrn" gab es viele, eine davon trug die hl. Katharina von Siena als Ring an einem Finger. Eine andere Vorhaut des Herrn wird 1444 nach Paris gebracht und die Überbringer sagten,

dass alle, die einen von den (Ablass)Briefen nehmen würden, welche sie ausgeben würden, denen wäre in der Stunde des Todes alle Strafe und Schuld vergeben, wenn sie wirklich beichteten und bereuten; und sehr teuer kostete ein solcher Brief (Journal, S.422)

Kein Wunder, dass dieser Ablass sehr teuer ist, denn mit ihm kann man nicht nur bis zur Todesstunde weiter sündigen und wird dann nach kurzer Beichte und Reue sowohl der Hölle wie dem Fegefeuer entzogen, sondern man ist - konsequenterweise - sofort im Paradies.

 

Der Ablassverkauf erreicht um 1500 seinen Höhepunkt. Berühmt wird der Ablassprediger Johann Tetzel (1465-1519), der seine Ablassbriefe wie ein Marktschreier verkauft und das Geld in seinem "Tetzelkasten" sammelt. Auf ihm ist ein Teufel abgebildet, der die Sünder in der Hölle quält. Daneben steht: Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Feuer springt.

Mit Hilfe der neuen Drucktechnik können Ablassbriefe nun massenhaft gedruckt werde. "Auf diesen Einblattdrucken mussten nur noch Name, Datum und Unterschrift des Sünders eingetragen werden." (Ertl, S.206)

 

 

Wyclif

 

Wyclif macht kirchliche Karriere auf der Basis von Pfründen und an der Universität Oxford und entwickelt seine Kritik nur langsam. Er ist königsnah und wird unterstützt von John of Gaunt. Er vertritt die Unterordnung der Kirche unter den weltlichen Herrscher. Für den englischen König vertritt er gegenüber dem Papst die weitere Aussetzung der jährlichen englischen Zahlungen an Rom.

 

Zu seinen wesentlichen Positionen gehört: Alles ist Gott; jedes Wesen ist überall, da jedes Wesen Gott ist. (...) Alles, was geschieht, geschieht mit absoluter Notwendigkeit, auch das Böse geschieht mit Notwendigkeit, und Gottes Freiheit besteht darin, daß er das Notwendige will. (...) Denn jeder Mensch, der verdammt sein soll, soll durch seine eigene Schuld verdammt sein, und jeder Mensch, der gerettet sein soll, soll durch sein eigenes Verdient gerettet sein.

 

In 'De Civilio Dominio' fordert er im Kern die Enteignung des weltlichen Besitzes der Kirche, der etwa ein Drittel des Landes gehört, und den Ausschluss der Geistlichen von der Regierung. Zudem gibt es Kritik an der Immunität der Kirche. Die Eucharistie ist fragwürdig wie das Zölibat, die Beichte, Heiligen- und Reliquien-Verehrung und ähnliches. Wichtig sei allein der Glaube.

 

Ab 1381 beginnt seine kirchliche Verfolgung als Ketzer mit einem Konzil von zwölf Doktoren der Universität Oxford, die einen Teil seiner Ansichten für unorthodox und viele andere für ketzerisch erklären. Er muss nun schweigen. Aber er kann weiter Pfarrer bleiben

Um 1382 kommt es zur Bibelübersetzung in die Volkssprache in seinem Umfeld und unter seinem Einfluss. Er stirbt 1384 und seine Ansichten leben ansatzweise bei den Lollarden weiter, die trotz Unterdrückung im Untergrund überleben.

 

 

Hus und die Hussiten

 

Johannes/Jan Hus (um 1370-1415), Sohn eines Fuhrmannes, studiert und lehrt dann an der Prager Universität. Er ist Priester und predigt in der tschechischen Sprache. Böhmische Studenten bringen aus Oxford das Gedankengut Wiclifs mit, welches Hus teilweise aufnimmt. Er spricht gegen die Verweltlichung der Kirche und ihre Besitzungen, insbesondere auch gegen die päpstliche Finanzpolitik und erkennt als einzige Glaubensautorität die Bibel, die frühen Konzilien und die Kirchenväter an. Damit ist er eher anti-intellektuell und auch nicht gerade duldsam.

Ab 1402 predigt er an der im reformerischen Geiste errichteten Bethelehemskapelle in Prag vor bis zu 3000 Menschen. Seine von Wiclif geprägten Ansichten werden bei Anhängern mit tschechischem Nationalismus verbunden, während die "Konservativen", im wesentlichen Nominalisten, Deutsche sind.

König Wenzel unterstützt ihn zunächst. Im Kuttenberger Dekret von 1409 erhalten die böhmischen Studenten ein Übergewicht in den Gremien der Universität. Darauf ziehen die deutschen Magister und Studenten fort, vor allem nach Leipzig, wo bald (noch 1409) eine neue Universität entsteht. An der Prager Universität wird Hus zunächst neuer Rektor.

 

Wichtigster Verfolgungsgrund für Hus wird sein Bestehen auf den Lehren Wyclifs. 1408 wird ihm das Predigen verboten. Ab 1410 wird er verfolgt, gebannt und dann exkommuniziert. Es kommt zu Konflikten zwischen Tschechen und Deutschen in Prag. Hus flieht auf Burgen auf dem Lande und predigt dort der Landbevölkerung.

1412 schreibt er sein Hauptwerk, den 'Tractatus de ecclesia':

Wenn der Christ wirklich erkennt, dass ein päpstliches Gebot dem Gebot oder dem Rat Christi widerspricht, oder der Kirche zum Schaden gereicht, so soll er ihm kühn entgegentreten, auf dass er nicht durch Zustimmung Teilnehmer an einem Verbrechen wird. (...) Daher kann man feststellen, dass sich gegen einen vom rechten Weg abweichenden Papst auflehnen dem Herrn Christus gehorchen ist, was besonders bei den Einsetzungen zutrifft, die den Eindruck päpstlicher Begünstigungen machen. (so in: Keupp/Schwarz, S.66)

 

Der Konflikt zwischen Hussiten und Katholiken ist zunehmend auch ein ethnischer zwischen Tschechen und Deutschen. 1413 verschwinden die Studienzweige der Theologie und Medizin von der Prager Universität, die nun nur noch die von Wiclif-Anhängern besetzte Artistenfakultät enthält.

 

Trotz der Zusicherung von freiem Geleit wird Hus auf dem Konstanzer Konzil eingekerkert, verurteilt und verbrannt. Menschen schließen sich in Böhmen um den "Laienkelch" zu Gemeinden zusammen, der 1415 in Konstanz von der Kirche offiziell verboten wird. Im ersten Prager Fenstersturz von 1419 stürmen Hussiten das Neustädter Rathaus in Prag, um Glaubensgenossen zu befreien, und ermorden nach dem Sturz aus einem Fenster mit dem Bürgermeister zehn andere Ratsherren und Amtsleute. Danach teilt sich die Beqwegung in einen tschechisch-nationalistischen Flügel der Prager tschechischen Oberschicht, und einen internationalen kleinerer Leute, in dem auch Deutsche akzeptiert sind. Der gründet die Stadt Tabor.

Die Hussiten bilden eine Art Ständerepublik mit einem zwanzigköpfigen Direktorium.

Damit beginnen die Hussitenkriege, die bis 1433/36 andauern, und erst mit dem Basler Konzil 1436 zu ihrem Ende und zurück zur Monarchie finden. In ihnen wie in den eidgenössischen Kriegen siegen unteradelige Heere.

 

1420 siegen die Hussiten über ein Ritterheer unter Sigismund. Sie unternehmen nun Expeditionen bis nach Ungarn, Bayern und Preußen. Dabei entwickeln sie den Kampf aus Wagenburgen und werden mit zunehmendem Gebrauch von Handfeuerwaffen immer schlagräftiger.

Nach dem Ende der Kriege erkennen die Böhmen ihn als König an.

Nach militärischen Erfolgen gehen die Hussiten zu einer Art räuberischen Überfällen in Schlesien, Mähren, Sachsen und Franken über, wo sie offenbar Angst und Schrecken verbreiten.

 

 

Konzilien und Päpste

 

In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts kommt es nicht nur zum päpstlichen Schisma, sondern auch durch Langenstein und Konrad von Gelnhausen, dann auch durch Jean Gerson und Francesco Zabarella zur Auffassung, das im Konfliktfall ein allgemeines Konzil der Kirche über Kardinälen und Päpsten stehe.

 

Um 1406 erklären sich französische Synoden in der Papstfrage für neutral. 1407 wird mit dem Duc d'Orléans der Unterstützer des avignonesischen Papstes Benedikt XIII. ermordet.

 

13 Kardinale rufen schließlich zwecks Beendigung des Schismas zum Konzil in Pisa auf, welches 1409 stattfindet. Es erscheinen fast hundert Erzbischöfe und Bischöfe und viele andere Geistliche. Die beiden Päpste sollen kommen, tun dies aber nicht und werden darauf von der Gerichtsversammlung, wie sie sich selbst nennt, abgesetzt. Man wählt einen gebildeten Kreter, dem Galeazzo Visconti eine glänzende Karriere bereitet hatte, die ihn bis zum Mailänder Erzbischofs-Stuhl brachte: Alexander V.  Der stirbt nach einem Gastmahl, welches Baldassare Cossa für ihn ausgerichtet hat. Dieser wiederum, aus einer Familie aus Procida im Golf von Neapel stammend, die wohl durch Piraterie reich wurde, bleibt eine schillernde Figur. Aber er hat in Pisa den größten Anhang und wird nun zum Papst gewählt: Johannes XXIII. (bis 1415). Nun gibt es drei Päpste.

 

***Konzil von Konstanz***

 

Ein neues Konzil wird ins Auge gefasst. Rom fällt aus, weil König Ladislaus von Neapel die Stadt bedroht und 1413 dann sogar teilweise plündern lässt. Schließlich setzt König Sigismund Konstanz durch.

Im Oktober 1414 zieht Cossa/Johannes mit 600 Begleitern, darunter sein Kanzler Leonardi Bruni und Poggio Bracciolini, mit besonders theatralischem Pomp in Konstanz ein. Allein an Geistlichkeit sind "um die 30 Kardinäle, drei Patriarchen, 33 Erzbischöfe, 300 Doktoren der Theologie, 5000 Mönche und ungefähr 16 000 Priester" anwesend (Keupp/Schwarz, S.38)

Am 3. Oktober gelangt auch Johannes Hus, dem vom König freies Geleit zugesichert worden war, nach Konstanz, und nur wenige Wochen später setzen Kardinäle seine Festnahme durch. Er wird nun wegen Ketzerei förmlich angeklagt.

Zur Weihnachtsfeier kommt Sigismund mit großem Gefolge dazu, um im letzten Moment noch den königlichen Weihnachtsdienst mit dem Vers "Es ging ein Gebot aus..." vorzutragen.

 

Anfang 1415 wird Abstimmung nicht mehr nach Köpfen, sondern nach "Nationen" durchgesetzt, wobei zur Germanica auch Skandinavien, Litauen, Polen, Kroatien, Ungarn und Böhmen gehören, während die anderen Nationen in etwa den entstehenden Nationalstaaten entsprechen.

 

Die Schriften Wyclifs werden als häretisch verurteilt und er wird am 4.Mai 1415 zum Ketzer erklärt. Man fordert, dass seine Gebeine ausgegraben und verbrannt werden sollen, was 1428 tatsächlich geschehen wird.

Inzwischen hat es Versuche gegeben, Hus zum Widerruf zu bewegen, was er ablehnt. Im Juli wird er zum Verbrennen samt seinen Schriften verurteilt und auf dem Scheiterhaufen bei lebendigem Leibe verbrannt. Seine Knochen werden zerbrochen, zermahlen und in den Rhein geworfen. Kurz darauf wird der hochgebildete Hieronymus von Prag entsprechend verurteilt und genauso verbrannt. Poggio Bracciolini schreibt an Leonardo Bruni: So beeindruckend war sein Auftreten (beim Prozess), dass man sich doch sehr wundert, dass ein Mann von so edlem und ausgezeichnetem Geist sich in Ketzerei verirrt haben soll. (in: Keupp/Schwarz, S.75)

 

Derweil wird Johannes XXIII. mit der Drohung, einen Text über seine sittlichen Verfehlungen und seinen Handel mit Kirchenämtern zu veröffentlichen, im Februar 1415 zur Abdankung erpresst. Er flieht aber dann mit Hilfe des Herzogs von Tirol in Verkleidung nach Schaffhausen und nimmt seine Abdankung zurück.

 

Nachdem Jean Gerson schon eine entsprechende Predigt gehalten hatte, wird im April mit dem Dekret 'Haec Sancta' erklärt, dass dies Konzil von Christus unmittelbare Vollmacht habe und darum auch Päpste seinen Beschlüssen unterworfen seien.

Johannes wird der Prozess gemacht, er wird für drei Jahre in der Veste Mannheim inhaftiert und kann sich 1419 gegen ein hohes Lösegeld freikaufen.

 

Danach tritt Gregor VII. in einem umständlichen Verfahren zurück, in dem das Konzil auch neu einberufen werden muss. Schließlich reist Sigismund nach Perpignan an den Hof des Papstes Benedikt XIII. Der lehnt eine Abdankung ab und verschwindet nach Peniscola. 1416 kündigen Aragón, Kastilien und Navarra ihm die Gefolgschaft.

 

1417 wird in dem Dekret 'Frequenz' die Bedeutung und regelmäßige Wiederkehr von Konzilien festgeschrieben. Es geht dabei mehr um die Machtfrage in der Kirche, also die Beugung des Papstes unter das Konzil, als um inhaltliche Reformen. Dann wird Oddo Colonna zum neuen Papst gewählt: Martin V.

 

1431-48 tagt ein Konzil wenige erfolglose Monate in Siena, 1431-48 ein langes in Basel, welches Vertreter von Fürsten, Städten und Universitäten zulässt und damit mehr außerkirchliche Öffentlichkeit zulässt.

1439 wird der fromme Laie Herzog Amadeus VIII. von Savoyen zum Papst Felix V. gewählt. Er resigniert zehn Jahre später.

Am Ende bleibt aber nicht das Konzil, sondern der Papst oberste Entscheidungsinstanz.

 

 

Reformationen

 

Die Vielfalt der Reformationen seit Wiclif und Hus zeigt, dass sie allesamt weder gänzlich paulinisch noch evangelisch sind. Gemeinsam ist den meisten der erklärte persönliche Aspekt des Glaubens, aber in der Praxis erfolgreicher Reformationen bleibt davon gelegentlich nur wenig übrig.

Ein weiterer gemeinsamer Aspekt ist, dass die Protagonisten der Reformationen ein relativ hohes Bildungsniveau besitzen, und dass die Inhalte auf dem Weg zu den Unbeleseneren sich deutlich verdünnen.

 

Luthers Text 'Von der Freyheyt eyniß Christen menschen' (1520) formuliert gegen die römische Kirche und ihre Vorstellung von irdischen Leistungen, die das "Himmelreich" ermöglichen sollen, als Gegenposition die Vorstellung von einem (fallweise) gnädigen Christengott, dessen Gnade man vor allem durch den Glauben erringen kann. Freiheit ist also eine innere Einstellung, die vom "Gewissen" geleitet wird. Wirkliche Freiheit im alltäglichen Leben wird dabei rigoros abgelehnt und soll durch Fürsten mit aller Grausamkeit unmöglich gemacht werden.

Damit unterstützt er de facto jene Tendenz größerer Kapitaleigner, sich als Geschäftspartner immer absoluterer (totalitärer) Herrscher zu verstehen, an die das "politische" (weltliche) Geschäft abzugeben ist. Er verstärkt des weiteren die Tendenz eines staatstragenden Bürgertums, sich in die Bereiche gehobenen Amüsiergewerbes, die nun so genannte "Kultur", zurückzuziehen, Das heißt, dass man die (nun auch aktuell und jeweils politisch) korrekte Gesinnung pflegt und ihre gewaltsame Durchsetzung begrüßt. Das wird in den europäischen Gesinnungsterror seit 1789 münden, der inzwischen fast in der gesamten Menschheit alltäglich geworden ist.

 

 

 

Eine der bedeutendsten Thesen Max Webers dreht sich um das enge Verhältnis von Protestantismus und Kapitalismus. Tatsächlich sind es protestantische Länder wie England oder die Niederlande, die den Kapitalismus nun besonders vorantreiben. Mindestens so interessant ist es aber zu fragen, wieweit der Kapitalismus die Reformationen vorangetrieben hat. Und da kommt man zu einem differenzierteren Bild.

 

Auf jeden Fall sind hochkapitalistische Städte nicht immer Nutznießer der Reformation, wie Nürnberg beweist, welches laut Reichsmatrikel von 1521 noch eine der reichsten Städte Mitteleuropas ist. Nachdem der Rat 1525 diese einführt, gerät die Stadt in Distanz zum spanisch-katholischen Kaiser und damit auch stärker ins machtpolitische und wirtschaftliche Abseits. Aber dabei geht es mehr um Machtpolitik als um Religion.

 

 

Generell kann man wohl sagen, dass die Zweckrationalität des Kapitalismus im protestantischen 16. Jahrhundert stärker auf die allgemeine Lebenswirklichkeit durchschlägt. Feste werden stärker reglementiert und die Fastnachterei wird immer mehr zurückgedrängt und dann partiell abgeschafft. Unmittelbar nach Einführung der Reformation werden in Nürnberg fast alle arbeitsfreien (Fest)Tage abgeschafft, da sie Fuellerey, Zorn, Unkeusch,Eebruch, Hadder, Verwundung, Todtschlag, Unfried und andere offentliche suendtliche Laster fördern (in: Fleischmann, S.118)

 

Kurz darauf kommen die ersten ausführlichen städtischen Polizeiordnungen auf, wobei Policey noch die gute öffentliche Ordnung meint, die streng hierarchisch gegliedert ist und vor allem Unterordnung meint. Ihre Werte formuliert eine Kleiderordnung Ende des 15. Jahrhunderts in Nürnberg:

Nachdem, als menigclich unverporgen ist, der allmechtig got von anbegynn nyt allayn auf erden, sonder auch im hymel, unnd inn dem paradeiß das lasster der hoffart und übermut gehasset und schwerlich gestrafft, dienmut, gehorsamkayt, zucht und erbere gute sythen loblich erhöhet und belonet hat, auch auß hoffart und ungehorsam manigem reychen fürstenthumben und commonen grosse schaden, abnemen und verderben entstannden und geflossen sein, als das an vil ennden vor augen lygt. (in: Fleischmann, S.123)

 

ff

 

Die siegreichen Reformationen, welche Fürsten übernehmen, stärken deren Macht erheblich, da die ferne römische Kirche nun durch eine auf das Land bezogene und dem Fürstentum eingeordnete protestantische ersetzt wird. Da die Fürsten den nun illegalisierten Besitz und Reichtum der römischen Kirche auf ihrem Gebiet "einziehen", nehmen sie erheblich an Macht zu, vielleicht nirgendwo deutlicher als in Schweden. Andererseits schwindet damit zunächst dort die erhebliche Marktmacht der Kirche. 

 

Nachdem die Reformationen sich über große Teile Europas ausgebreitet haben, werden sie teilweise von Königen und Fürsten unterdrückt, was zu Fluchtbewegungen in übrigbleibende protestantische Gebiete führt, an denen vor allem Gewerbetreibende beteiligt sind. Französische, italienische und flämische Flüchtlinge finden in Schweizerischen Städten wie besonders Genf, aber auch Zürich und anderswo als Kaufleute und Unternehmer Aufnahme, wo sie immer kapitalkräftigere Textilfirmen errichten, die schon mal bis zu tausend Spinnerinnen beschäftigen sollen (Schulz, S.230).

Eine weitere Welle vornehmlich von Handwerkern flieht nach England und den norddeutschen Landen und führt dort eine "marktorientierte unternehmerische Wirtschaftsgesinnung" ein (Schulz, S.232), was neben den konfessionellen Unterschieden zwischen den Protestanten zu Konflikten führt.

 

***Hanseraum***

 

Im Hanseraum neigen die Ämter (Zünfte) eher der lutherischen Reformation zu und die Patrizier, die ihre Macht bedroht sehen, wenden sich zunächst gegen sie, da sie ihre Macht bedroht sehen, lenken dann aber ein.

Die hochdeutsch und lateinisch verfassten Texte der Reformation erreichen zunächst nur wenige belesene Kreise des nördlichen Bürgertums. Es sind darum vor allem Theologen, welche es über Predigten verbreiten. In einem zweiten Schritt werden Texte dann bis nach England und Skandinavien von Hanse-Kaufleuten verbreitet.

 

Der pommersche Lehrer Bugenhagen hört von Luther und zieht darauf nach Wittenberg, wo ihn Luther 1525 als Stadtpfarrer empfiehlt. 1528 geht er nach Braunschweg, dann nach Hamburg und schließlich nach Lübeck, wo er überall eine protestantische Gemeindeordnung begründet.

 

Im Januar beschließt ein Hansetag in Lübeck Maßnahmen gegen die Reformierer, die aber nur in Hamburg, Lüneburg und Rostock vorläufigen Erfolg haben.

Noch 1525 beschließt ein weiterer Hansetag in derselben Stadt, dass die Städte befugt seien, ihre religiösen Angelegenheiten selbst zu regeln. In Preußen wird im selben Jahr schon der Ordensstaat säkularisiert.In Lübeck versuchen Gewerbetreibende, die Reformation mit politischer Partizipation zu verbinden, vertreiben die Katholischen im Rat, bis Bugenhagen dann dort mit seiner Kirchenordnung die Verhältnisse stabilisierte. 1528 wird in Hamburg nach einer öffentlichen Disputation die Reformation von der Obrigkeit durchgesetzt und 1529 durch die Kirchenordnung Bugenhagens stabilisiert.

In Livland holt man bewusst lutherische Prediger ins Land, die eine obrigkeits-orientierte Reformation betreiben.

In Danzig versucht der polnische König die römische Religion gewaltsam durchzusetzen, gibt aber 1557 gegen die Zahlung von 100 000 Gulden nach. In Köln und Westfalen wird die Reformation relativ bald unterdrückt, während sie sich in den wendischen Städten durchsetzen kann.

 

Tetxe der Reformation führen in Litauen zum ersten gedruckten Buch in litauischer Sprache und ebenso in der finnischen.

 

 

***Münster***

 

Glauben heißt Nichtwissen nicht ertragen können. Im religiösen Raum heißt es zudem, eine anthropozentrische Version von Sinnhaftigkeit zu etablieren, also eine, die den logischen Strukturen des menschlichen Verstandes folgt: Über den Tod hinausgehende Zielorientierung menschlichen Lebens, Sinnhaftigkeit menschlichen Handelns über alle Erfahrung hinaus, Begründungs-Zusammenhänge jenseits aller Natur für Machtentfaltung.

Die Reformationen seit Wiclif und Hus sind als städtische Phänomene literater Eliten genau dort einzuordnen: Im Kern sind sie Erneuerung von Rechtfertigungs-Strategien politischer Macht als Flankierung wirtschaftlicher strebender Gruppen.

In Münster kontrolliert seit dem 13. Jahrhundert ein Rat aus von den Vollbürgern gewählten Erbmännern die Stadt, der innerhalb und außerhalb von ihr Land besitzt und Renten kassiert. Daneben existieren seit derselben Zeit 17 Zünfte der Handwerker und Kaufleute mit je zwei Gildemeistern an der Spitze, die sich 1410 zu einer Gesamtgilde zusammenschließen und über sich zwei Overluden haben.

Nach und nach gelangen führende Personen dieser Gilden in den Rat, während die Erbmänner sich mit dem Landadel versippen und nach einem ländlichen "Ritter"dasein streben. Die meisten der inzwischen etwa 9000 Einwohner stehen aber als Gemeinheit (Gemeinde) außerhalb des Gefüges von Rat und Gilden, da sie entweder nur Bruderschaften angehören oder überhaupt nicht organisiert sind. Das gilt für Zimmerleute, Tuchscherer, Weber wie für Färber, Apotheker und Weinhändler und andere.

 

Neben diesem Konfliktpotential steht das von Kirche und Klöstern und auf der anderen Seite der Laienwelt. Die Kirche ist weiter großer Grundbesitzer und die Klöster sind darüber hinaus teilweise gewerbliche Konkurrenz, tragen aber nichts zum Steueraufkommen der Stadt bei. 1525 formiert sich eine Handwerkermenge gegen diese Privilegien, stürmt ein Nonnenkloster und verlangt die Auslieferung der klösterlichen Webstühle und Werkzeuge. Der Gesamtverband der Gilden schließt sich an und fordert "die Besteuerung des Klerus, die Aufhebung der geistlichen Gerichtsbarkeit, das Verbot der Klosterarbeit, Aufhebung des Kirchenbanns, Mitsprache bei der Bestellung von Kaplänen und die Einhaltung des Zölibats." (Schneider-Ferber, S.211)

Nachdem der Bauernaufstand niedergeschlagen ist, nimmt der Bischof die erzwungenen Zugeständnisse 1526 wieder zurück.

 

1531 finanzieren Kaufleute eine Reise Bernhard Rothmanns in Zentren der Revormation, nach Marburg, Wittenberg und Straßburg. Danach predigt er am Mauritzstift lutherischen Protestantismus. Als der Bischof ihm das Predigen untersagt, tritt die Gesamtgilde unter der zunehmenden Führerschaft des reichen Tuchhändlers Knipperdolling für ihn beim Rat ein. Knipperdolling war schon länger Gegner des Bischofs. Im Febraur 1532 gelingt es der Opposition, die Lambertikirche zu stürmen und dort Rothmann als Prediger einzusetzen. Nun werden katholische Prediger auch aus anderen Pfarrkirchen vertrieben. Die Gilden bilden einen 70-köpfigen Ausschuss, der die Reformation vorantreibt.

 

1533 nehmen städtische Truppen in Telgte Domherren, Patrizier und probischöfliche Räte gefangen. 1533 wird im Vertrag von Dülmen eine Teilung der Stadt in katholische Domkirche und protestantische Pfarrkirchen etabliert. Bei den bald folgenden Ratswahlen sind noch ein Erbmann und sechs alte Geschlechter vertreten, dafür aber 17 Vertreter der Gilden.

 

Inzwischen war das Täufertum aus Südwestdeutschland bis nach Münster gelangt und hat Rothmann beeinflusst: Pfarrerwahl durch die Gemeinde, Ablehnung von Kriegsdienst und des Eides sowie die Ablehnung der Kindertaufe. Dazu kommen Endzeitgedanken von der Nähe des Jüngsten Gerichtes.

Jetzt wendet sich der protestantische Rat ebenfalls gegen Rothmann, dessen Täufertum durch Flüchtlinge aus anderen Städten verstärkt wird, zu denen Jan Bockelson aus Leiden stammt, der sich mit Knipperdolling anfreundet. Viele Münsteraner Erwachsene lassen sich heimlich taufen.

Knipperdolling und Bockelson ziehen predigend durch die Straßen und wenden sich gegen Reichtum und Besitz. Die Reichen legten all ihr Geld zu den Füßen Rothmanns nieder, zerrissen und verbrannten alle Schuldverschreibungen, die sie besaßen, und erließen ihren Schuldnern ihre ganze Schuld, erinnert sich Kerrsenbroich in seiner 'Narratio historica Anabaptistici furoris Monasterium' (Schneider-Ferber, S.222), auch wenn dann sicher nicht alle tun.

 

Januar 1534 verkündet der Rat Glaubensfreiheit. Als das Gerücht umgeht, der Bischof marschiere gegen die Stadt, fliehen die einen und die anderen bekehren sich zu den Täufern. Ein neuer Rat erhält eine klare Mehrheit für die Wiedertäufer.  Nun kommt auch Jan Matthys aus Haarlem und zuletzt aus Straßburg hinzu und die Stimmung radikalisiert sich. In einem Bildersturm werden Dom und Kirchen vom alten Kirchenschmuck "gesäubert" und dann auch von individuellen Plünderern verkauft. Etwa 2000 Menschen, die sich nicht erneut taufen lassen wollen, werden aus der Stadt vertrieben. Etwa ebenso viele sind inzwischen eingewandert. Das Stadtarchiv wird zerstört und Bücher werden verbrannt.

 

Um die Stadt in der Belagerung zu ernähren, wird Gütergemeinschaft und Naturaltausch eingeführt. Nach dem Tod von Jan Mathys setzt Jan Bockelson ("van Leyden") einen Rat der Zwölf Ältesten mit 50% eingewanderten radikalen Täufern ein. Ein alttestamentarischer Fundamentalismus führt bis zu einer patriarchalischen Polygamie. Ein Aufstand von rund 200 Bürgern gegen die Täuferdiktatur wird brutal niedergeschlagen.

 

Schließlich gelingt es Jan Bockeson, sich zum König (von Zion) mit großem Hofstaat und 16 Frauen ausrufen zu lassen, während die Massen nun hungern. Nach sechzehn Monaten Belagerung gelingt es einem Söldnerheer, die Stadt einzunehmen. Wehrfähige Männer werden erschlagen, die Führungsfiguren der Täufer werden gefangen genommen, mit glühenden Eisenzangen gefoltert, getötet und dann in Eisenkäfigen oben an der Lambertikirche aufgehängt.

 

Der Bischof vertreibt den Protestantismus und verbietet die Gilden. Erst 1353 wird die Dreiheit aus Rat, Ämtern (Gilden) und Gemeinde wieder hergestellt. 1555 erlaubt der Augsburger Religionsfriede dann das Nebeneinander von Katholiken und Protestanten.

 

Kloster

 

Die Klosterreformen führen im hohen Mittelalter zu neuen Orden, deren ursprünglicher Reformeifer aber im Laufe der Zeit schwindet. Von den alten benediktinischen Klöstern berichten die Quellen einen allgemeinen Niedergang.

 

Ein Musterbeispiel ist das Kloster Bursfelde bei Hannoversch-Münden. Die Mönche führten ein zunehmend weltliches Leben, sie teilten den Klosterbesitz unter sich auf und hielten sich Mätressen. Die Klosterkirche diente sogar zeitweise als Warenlager für durchziehende Händler. Nachdem der Abt des Klosters Clus dort 1430 mit Reformen beginnt, wird er drei Jahre später auch Abt von Bursfelde, trifft dann mit dem Reformabt von St. Matthias in Trier zusammen und reformiert beide Klöster nach diesem Vorbild, wozu auch die wirtschaftliche Sanierung gehört, aber auch eine mit der Devotio moderna verwandte christozentrische Frömmigkeit.

 

Immer mehr Klöster schließen sich dem in einer Bursfelder Kongregation zusammen, die unter anderem auch die Mitspracherechte der Mönche insbesondere in wirtschaftlichen Fragen stärkt und die Abhängigkeit von Bischof und Landesherr verringert. 1446 erkennt das Konzil von Basel die Kongregation an. In den nächsten Jahrzehnten treten auch bedeutende Klöster wie Maria Laach oder Corvey bei. 1500 gibt es 79 Mitgliedsklöster. Mit der großen Reformation tritt dann in Norddeutschland der Niedergang ein.

 

Am Ende des 15. Jahrhunderts berichtet Johannes Trithemius (1462-1516), Humanist und ab 1483 Abt von Sponheim, von einem nicht zuletzt durch den Reichtum eines Teils der Klöster verursachten Verfall der klösterlichen Disziplin. Zunächst reformiert er dort die Klosterdisziplin und saniert die dortige Wirtschaft. Der so erworbene Ruf macht ihn dann zum Visitator der umliegenden Schwesterklöster und dann zum Mitpräsidenten des Generalkapitels der Bursfelder Kongregation, für die er 1497 'De triplici regione claustralium et spirituali exercitio monacorum' schreibt.

Neben seiner Reformtätigkeit ragt seine Gelehrsamkeit heraus, die entsprechende Besucher wie Reuchlin und Celtis anzieht und Unruhe ins Kloster trägt, was ihn von dort vertreibt, worauf er im Schottenkloster St. Jakob in Würzburg eine neue Stellung gewinnt.