STADT N: DEUTSCHE LANDE / ÜBRIGES EUROPA (1000-1125)

 

Stadtentstehung

Anfänge geistlichen Fürstentums

Bischofsstädte in deutschen Landen (Trier, Köln, Mainz, Worms, Hildesheim, Halberstadt, Würzburg, Augsburg, Regensburg)

Klosterstädte

Pilgerstädte

Städte weltlicher Fürsten (Goslar /  Lüneburg / Lübeck)

 

Bürger und Stadt

Exkurs: Zur Unklarheit im Wort "Bürger".

Von den Gesellschaften zur Gemeinde (Aufgaben / Rechte / Pfarreien)

 

Flandern

Frankreich (Guibert und die Kommune von Laon)

England

Skandinavien und der Osten

 

 

 

Nördlich der Alpen und ebenso nordwestlich wie nordöstlich gibt es eine Trennlinie zwischen als Siedlungen und Siedlungskerne überlebenden Städten des Imperium Romanum und Neugründungen in einer bis dahin städtelosen Welt: Städtelos waren zunächst Irland und Schottland ebenso wie Skandinavien, die deutschen Lande östlich des Rheins und nördlich der Donau und fast der ganze inzwischen slawische Bereich. Sonderfälle sind England, wo es nur sehr geringe Kontinuität gibt, und Flandern samt den nordöstlich davon gelegenen Niederlanden, wo sie komplett abbricht. Ein extremer Sonderfall ist die iberische Halbinsel, wo der christlich verbliebene Norden schon immer fast städtelos gewesen war, während die stadtzentrierte orientalische Kolonisatorenschicht (eine Oasen-Zivilisation) siedlungsmäßig auf dem größten Teil der Halbinsel eine beachtliche Kontinuität von den städtebildenden Phöniziern über Griechen, Römer, Visigoten und dann Araber, Berber und andere Völker aufrecht erhält.

 

Ein riesiger osteuropäischer Raum im Übergang zwischen Stammeskultur und Zivilisation kennt schon länger stadtartige Siedlungen. Adam von Bremen erwähnt zum Beispiel als große Stadt Jumne, das spätere Wollin an der Odermündung, von wo aus man in zwei Wochen nach Nowgorod segelt, das wiederum Handelsverbindung mit Kiew habe, welches an Größe mit Konstantinopel konkurrieren könne, was natürlich absolut übertrieben ist.

 

Fast allen lateinisch-abendländischen Städten gemeinsam ist, dass sie in Laufe der Zeit zu Brutstätten des Kapitalismus werden. Sie unterscheiden sich dabei im wesentlichen aufgrund der jeweils vorhandenen Machtstrukturen und des ökonomischen Umfeldes darin, wie schnell sie diesen Zustand erreichen und in welchem Maße. Nach der Nordhälfte und südlichen Seestädten Italiens und der westlichen Mittelmeerküste bis Barcelona wird Flandern dafür ein frühes Beispiel.

 

 

Stadtentstehung (II, erster Versuch!)

 

Generell lässt sich wohl sagen, dass es (nicht nur) nördlich der Alpen im 6./7. Jahrhundert einen (weiteren) Niedergang schon vorhandener (antiker) Städte gibt. Dafür entstehen im hohen Norden zunächst temporäre Handelsniederlassungen, die in der Karolingerzeit durch Handwerkersiedlungen ergänzt nun dauerhafter werden, aber das zehnte Jahrhundert nicht überleben. Dafür werden nun Bischofs-Orte und Ansiedlungen an Abteien gefördert und es entstehen auch neue Orte rechts des Rheins.

 

Das Land und die Macht teilen sich vor allem geistliche bzw. monastische Herren, die teils in den Orten und teils außerhalb residieren. Diese Grundherren verfügen über Leute, die in unterschiedlicher Rechtsstellung das Land bearbeiten und solche, die für sie handwerklich arbeiten und Handel betreiben. Sie unterstehen dem jeweiligen Hofrecht ihres Herrn, welches im 11. Jahrhundert oft schriftlich fixiert wird.

Die Verwaltung für die Herren leisten vor Ort Dienstleute, Ministeriale. Vögte sind für die Blutsgerichtsbarkeit und das Militär zuständig. Darunter gibt es Schöffengerichte, wobei diese mit Ministerialen/Rittern und herausragenden Bürgern besetzt werden. Wo Herren mit dem Recht für einen Markt, eine Münze oder Zölle privilegiert sind, die sie zu Einnahmen berechtigen, setzen sie Münzer, Zöllner und eine Marktaufsicht ein. Dabei wird dann Grundherrschaft ein Stück weit zu Stadtherrschaft.

 

Unterhalb von Herren und Oberschicht emanzipieren sich Fernhändler und manchmal auch einige Handwerker je nach Möglichkeit ein Stück weit von herrschaftlichen Aufträgen und verselbständigen sich so ein wenig. Dem Handel und Handwerk werden erste Ansätze von Selbstverwaltung zugestanden, die bezahlt werden müssen.

 

Stadtwerdung bedeutet einmal, dass immer mehr Menschen in die Stadt und damit den herrschaftlichen Rechtsrahmen zuwandern. Dazu kommt die Tendenz eines mächtigen Herrn, andere Herren aus der Stadt zu verdrängen. Schließlich wird die Stadt einmal durch Wall und Graben oder eine Mauer vom Land abgegrenzt und erhält dann ein Stadtrecht, welches sich über hergebrachte Hofrechte wölbt.

 

Das alles geschieht nicht in der hier dargebotenen Klarheit und Einheitlichkeit. Als der Kölner Erzbischof 1074 ein Kaufmannsschiff für die Rückfahrt eines bischöflichen Gastes requiriert und entladen lässt, ist er laut H. Planitz der Ansicht, dass die Kaufleute Hörige im Sinne seiner Grundherrschaft seien, während diese sich in der munt des Königs sehen und diesen auch zu ihrem Schutz anrufen, dem dieser aber nicht nachkommen kann. (in: Flink/Jansen, S.10) Tatsächlich ist Grundherrschaft frühestens ein spätmittelalterliches Konzept und im 10./11. Jahrhundert eher ein Flickwerk aus vielen verschiedenen Verfügungsrechten über Land, Menschen und Einrichtungen und nach Herrn vor Ort und in der Zeit verschieden. Konzepte von Historikern setzen sich später darüber, ohne zeitgenössisch so überhaupt gesehen zu werden.

 

 

Anfänge geistlichen Fürstentums

 

Zwei Besonderheiten zeichnen die Bistümer aus: Sie sind unteilbar, da es ohnehin keine Erbfolge gibt, und sie umfassen ein stabiles,vordefiniertes Gebiet, auch wenn dieses ein Flickenteppich von Besitztümern, Herrschaften und Rechten ist. Bischöfe sind dabei nicht nur geistliche Herren, sondern zugleich auch immer weltliche, wie dann auf dem Weg zum sogenannten Wormser Konkordat auch förmlich festgestellt wird.

 

Schon in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts beginnt in deutschen Landen die Strukturierung von Diözesen in neuartige Fürstentümer. Der geistliche Machtbereich wird in Archidiakonate aufgeteilt und die Pfarreien werden ausgebaut. Die Bischöfe operieren mit einer eigenen Ministerialität für Verwaltung und militärische Auseinandersetzungen. Auf Klöster und Kanonikerstifte wird stärker zur Machtausübung zurückgegriffen. Stifte werden reformiert und Mitglieder des Domkapitels werden dort zu Pröpsten hinbestellt. Konflikte sind dabei vorprogrammiert, und nicht nur mit den Menschen vor Ort, sondern mit dem weltlichen Vogt und jenen Herren nebenan, mit denen Bischöfe konkurrieren. 

Ziel ist, wie Ehlers für den Salzburger Erzbischof schreibt, "dass nichts und niemand außerhalb der episkopalen Jurisdiktionsgewalt bleiben sollte, exemte Klöster und Stifte geradezu als systemwidrig erscheinen mussten." (EhlersOtto, S.143) 

Dazu kommt dann, wie beim Freisinger Bischof, das alleinige Münzrecht in der Diözese, das Monopol auf einen Jahrmarkt in der Stadt Freising und das Verbot an andere, neue Märkte zu gründen.

 

Musterbeispiele auf dem Weg zur Territorialisierung sind kurz nach der Mitte des 11. Jahrhunderts die Erzbischöfe Anno von Köln und Adalbert von Hamburg/Bremen, die beide auch die Unmündigkeit Heinrichs IV. für ihre Zwecke ausnutzen.

 

Während das um 1080 entstandene Annolied einen ebenso mächtigen wie würdigen Erzbischof beschreibt, (Am königlichen Hof war seine Macht so groß /Dass alle Reichsfürsten ihre Sitze unter ihm hatten / Im Dienst für Gott verhielt er sich so / Als wäre er ein Engel), heißt es im Sinne seines baldigen Kontrahenten, des Erzbischofs Adalbert von Hamburg/Bremen in der Kirchengeschichte des Adam von Bremen: Der Kölner, den man der Habsucht zieh, verwandte alles, was er zu Hause und bei Hof erraffen konnte, zum Schmuck seiner Kirche. Sie war zuvor schon groß gewesen, er machte sie aber so bedeutend, dass sie über jeden Vergleich mit einer anderen Kirche des Reiches erhaben war. Auch beförderte er seine Verwandten, Freunde und Kappelläne und überhäufte sie alle mit den höchsten Würden und Rängen.

 

Es handelte sich darum, dass der Kölner Kirchenfürst im Streit mit dem ezzonischen Pfalzgrafen dabei war, sich zum einzigen Machtzentrum eines zu schaffenden Territorium zu erheben, in dessen Mittelpunkt die wohl größte Stadt der deutschen Lande lag. Dabei machte er den Adel zu lehnsabhängigen Vasallen, fasste die Pröpste der Stifte in und um Köln zu einem Priorenkollegium zusammen, über das er ebenfalls den Adel kontrollieren konnte und nutzte zudem die Kirchenreform für seine Zwecke. (WeinfurterGeschichte, S. 105ff) Verwandte und Freunde werden überall wo möglich eingesetzt (Adam von Bremen). Dazu gehört sein Bruder Werner, den er in Magdeburg durchsetzt, während er es nicht schafft, seinen Neffen Konrad gegen den Trierer Domklerus einzusetzen, der ermordet und durch einen Nellenburger ersetzt wird.

 

Er war ein typischer Aufsteiger aus einfachen edelfreien Verhältnissen in Schwaben, ging nach Bamberg und Paderborn, gelangte unter Kaiser Heinrich III. in die Hofkapelle und dort in die Kanzlei. 1054 macht Heinrich ihn zum Propst von St. Simon und Juda in Goslar, 1056 wird er Erzbischof von Köln und Erzkanzler für Italien.

 

Ganz ähnlich wie Anno versucht Adalbert, sich ein möglichst geschlossenes Nordsee-Territorium mit Ambitionen darüber hinaus anzueignen, wofür er laut Adam auch viel Geld einsetzt. Ab 1063 stärker an den Hof gelangt, versucht er zu diesem Zweck, sich mit Unterstützung des minderjährigen Heinrichs durchzusetzen. Die langsam Territorien schaffenden Fürsten nutzen die Gunst der Stunde, um das Königtum/Kaisertum zu schwächen. Adalbert gewinnt inzwischen immer mehr die Oberhand bei Hofe, einigt sich dann aber mit Anno.

 

Lampert berichtet: Diese beiden herrschten an Stelle des Königs, von ihnen wurden Bistümer und Abteien, von ihnen wurde alles, was es an kirchlichen, was es an weltlichen Würden gibt, gekauft (...) Gegen Äbte (...) übten sie ihre Raubzüge mit völliger Hemmungslosigkeit (...) Sie machten einen Angriff auf die Klöster und teilten sie unter sich wie Provinzen (...) So nahm der Bremer Erzbischof zwei Abteien in Besitz, Lorsch und Corvey, und behauptete, das sei die Belohnung für seine Ergebenheit und Treue gegenüber dem König. Damit es aber nicht Missgunst unter den übrigen Reichsfürsten erwecke, gab er mit Einwilligung des Königs dem Erzbischof von Köln zwei, Malmedy und Kornelimünster, dem Erzbischof von Mainz eine, Seligenstadt, dem Herzog von Bayern eine, Altaich, und dem Herzog Rudolf von Schwaben eine, Kempten. (zu 1063).

 

1066 wird der König einen Teil der gegen den Widerstand der Klöster und Bischöfe gemachten Übertragungen wieder rückgängig machen.

 

Der geistliche Adels- und Fürstenhof unterscheidet sich dabei in der Lebensführung nicht wesentlich vom weltlichen, werden doch die höheren geistlichen Ämter nach Kirchenreform und Investiturstreit einer immer weitergehenden Verweltlichung ausgesetzt.

 

Ein bischöflicher Musterfall ist Erzbischof Adalbert von Mainz aus Saarbrücker Grafenhaus, der die Endphase des Investiturstreites dafür nutzt, sowohl für die Familie wie für das Bistum Territorialpolitik zu betreiben. Im Streit mit dem Kaiser um die Burg Trifels wird er 1112 von diesem gefangen genommen, den er selbst als seinen ehemaligen Kanzler eingesetzt hatte. Wir haben sie (die befestigten Orte) ihm leihweise zu treuen Händen überlassen, aber nicht übereignet, aber er nimmt sie in seinen Besitz. Das Erbe unserer Väter, Länder der Kirchen, Besitzungen des Reiches, ja sogar alle linksrheinischen Königsrechte, Rechte der Bistümer und Abteien nimmt er für sich in Anspruch. (in Weinfurter, Geschichte, S.151) 1115 zwingen die Mäinzer Bürger ihn, ihren Bischof wieder freizulassen. Sie stehen allerdings unter der Führung der bischöflichen Verwaltung mit dem Vogt an der Spitze. Kaum ist er wieder frei, tritt er als Führer der antikaiserlichen Opposition auf.

1116-18 ist Heinrich V. zum zweiten Mal in Italien und überlässt die Geschäfte im Norden den Staufern. Mit diesen werden nun Kämpfe um das Gebiet zwischen dem südlichen Hunsrück und dem Elsass ausgetragen. Bis 1117 hat Adalbert sich in seiner Diözese in Zusammenarbeit mit seinen Bürgern gegen Friedrich II. von Schwaben durchgesetzt und betreibt darauf wieder Famlieninteressen im angrenzenden salischen Raum. Im Juli 1118 setzt er mit dem päpstlichen Legaten die Exkommunikation des Kaisers und seines Gegenpapstes durch. In dieser Zeit erobert er dann sogar die staufische Burg Oppenheim. Zum Dank gibt Adalbert seinen Bürgern ein großes Stadtprivileg, etwas, was bislang Königsrecht war. Als Heinrich 1121 gegen Mainz anrückt, sammelt sich ein Heer, um die Stadt und das Erzbistum zu schützen. 1122 befestigt er ohne königliche Einwilligung die Siedlung Aschaffenburg  Als der Kaiser sie darauf angreifen will, halten ihn die päpstlichen Legaten zurück.(Büttner in: Investiturstreit, S.395ff)

 

Bischofsstädte in deutschen Landen

 

Im Grunde verläuft die Entwicklung der Städte nördlich der Alpen in manchem nicht wesentlich anders als in Nord- und Mittelitalien, nur in vielen Regionen deutlich langsamer und eingebettet in Landschaften, die Könige, Herzöge, Grafen und Bischöfe unter ihrer Kontrolle zu halten versuchen. Dazu kommt, dass der Adel nicht so sehr aktiv in den Kapitalismus hineingezogen wird, vielmehr vor ihm aufs Land ausweicht, sofern er dort nicht schon immer war.

 

Da Bischofssitze seit der Spätantike (Synode von Serdica) in dem urbanen Zentrum von civitates zu liegen haben, kontrolliert der Bischof  von einer stadtähnlichen Siedlung aus ein geschlossenes geistliches Territorium, die Diözese, und daneben in dieser und außerhalb von ihr einen oft gewaltigen Flickenteppich an Besitztümern, Grund und Boden und Gebäuden, was Historiker „Hochstift“ nennen. Sein Ziel wird „Territorialisierung“ werden, also das geistliche mit einem möglichst ebenso geschlossenen weltlichen Gebiet in Übereinstimmung zu bringen.

 

Seit die Ottonen Bischofssitze als Pfeiler ihrer Herrschaft unterst,ützen, gewinnen mit ihnen die Städte an Bedeutung. Unter den Saliern nimmt die Bedeutung von Städten als Instrumenten von Herrschaft noch zu. Indem Bischöfe ihre Herrschaft in Stadt und Diözese ausbauen, beginnen ihre Eigeninteressen sich aber im Verlauf des 11. Jahrhunderts zu verselbständigen und zunehmend wie die weltlicher Fürsten gegen den König zu richten. Inzwischen werden Bischöfe, Vasallen des Königs mit allen Verpflichtungen weltlicher Vasallen, immer mehr Herren in ihrem Bistum, was Voraussetzung ist für den Ausbau ihrer Städte. Nicht nur die Münze, sondern auch Zölle und Bergwerke, Forste und Wildbann kommen unter ihre Kontrolle, sowie immer mehr Grafschaftsrechte mit denselben. Daraus, und nicht nur aus den geistlichen Einnahmen, entstehen jene Städte, in denen sich dann nach und nach Kapitalismus einnisten kann.

 

Das 11. Jahrhundert wird die große Zeit der Erbauung von Bischofspalästen. In Bamberg übernimmt der Bischof direkt die Königspfalz, in Freising und vielleicht auch Würzburg wird auf demselben Standort gebaut. Ansonsten entstehen die Bischofspfalzen meist an der Westfront des Domes. Allerdings ist von diesen Bauten heute kaum mehr etwas zu entdecken.

Schon vor 1000 entsteht die Residenz des Bischofs von Lüttich, einige Jahrzehnte später entstehen die von Eichstätt und Halberstadt.

 

Über die Hofhaltung im Inneren der Pfalzen erfahren wir um 1040 für Freising, dass es hier wie bei weltlichen Herren einen Marschalken, einen Kämmerer, den Mundschenk und Truchsess gibt.

 

Neben der Kathedrale und dem Bischofspalast steht das Gebäude des Domkapitels, also jenes Kollegiums, welches schon in fränkischer Zeit für den Bischof die geistlichen und weltlichen Angelegenheiten verwaltet und regelt. In den Institutiones Aquisgranenses (Aachener Regeln) von 816 wird für das Kapitel Wert auf mönchisches Leben inklusive Armut gelegt.

 

Domherren haben spezifische Aufgaben. Den Vorsitz hat von nun an der Propst als Vermögensverwalter, der für das Domkapitel die Aufgaben des Archidiakons übernimmt. Dann kommt der Dekan fürs Geistliche und für die Gerichtsbarkeit, der Scholaster für die Domschule, der Kantor für Musik und Gottesdienst, der Custos für den Domschatz usw.

Erzbischöfe haben zudem Archidiakone für die Verwaltung der großen Bezirke des erzbischöflichen Machtbereichs. Im mittleren achten Jahrhundert sieht die regula canonicorum des Bischofs Chrodegang von Metz vor, dass der Archidiakon bischöfliche Aufgaben für die Diözese übernimmt.

 

Mit dieser ersten Verselbständigung beginnt nun die Ausgrenzung eines selbständigen Kapitelgutes, der mensa capitularis, aus dem Gesamtvermögen des Bistums. Die Verwaltung übernimmt in der Regel der Propst. Unter ihm kann das Kapitel ohne Zustimmung des Bischofs über Eigentum verfügen, über Schenkungen zum Beispiel, und Tauschgeschäfte und Veräußerungen durchführen. Das beginnt bereits im 10. Jahrhundert.

 

Den meist der Oberschicht entspringenden Domherren wurde bei Chrodegang erlaubt, die Nutznießung ihres eingebrachten Vermögens zu haben. Das wird nun zunehmend eingefordert.

Ursprünglich wohnten und lebten Chorherren zusammen nach einem Kanon aus Regeln (als Kanoniker), aber da ein immer größerer Teil von ihnen aus dem Adel kommt, und sie eine adelige Lebensweise vorziehen, erwerben bzw. bauen sie bald große Höfe aus Stein (curiae) beim Dombezirk und leben dort vornehm und mit Dienerschaft.

Um 1113 essen sie in Würzburg immerhin noch zusammen, aber sie leben nun getrennt in ihrem Stadtteil im Dombezirk. (Leng, S.58 – Bild S.35) Als Otto von Freising sein Kapitel 1158 reformieren möchte, scheitert er gegenüber den aristokratischen Domherrn, die keine vita communis mehr möchten (EhlersOtto, S. 148)

 

Nach und nach wird der gesonderte Besitz des Kapitels als praebenda (deutsch: Pfründe) auf die Domherren aufgeteilt. Damit wird das Amt hochgradig lukrativ.

Entsprechend wächst die Bedeutung des meist vorhandenen Rechtes, beim Tod eines Mitgliedes des Kapitels einen Nachfolger zu kooptieren, und so schieben die Kanoniker Kinder aus ihrer Verwandtschaft in die Ausbildung am Dom, um sie dann in ihr eigenes Kapitel aufzunehmen.

 

In Trier lässt sich teilweise noch verfolgen, wie groß die neun Hektar umfassende Domimmunität war, die um 1000 ummauert wird. Sie ist ein eigener Rechtsbezirk und auch ansonsten eine Stadt in der Stadt und sie hat zudem mit der Liebfrauenkirche ihre eigene Pfarrkirche. Im 11. Jahrhundert gehören dazu neben Dom, Pfarrkirche und Bischofspalast auch die bis zu 20m hohen Wohntürme des hohen Domklerus, um den Domfreihof angesiedelt. Das sind Adelige und Ministeriale, ab dem 13. Jahrhundert praktisch nur noch Vertreter des Landadels. Dazu kommt ein Hospital, eine Mühle und Wingerte. Die Verwaltung findet im sogenannten Bruderhof beim Dom statt, hier kommen die Abgaben der Grundherrschaften an und hier finden die Gerichtstage statt. 

Im Dombezirk wohnen neben den erzbischöflichen Ministerialen auch die niederen Dienerschaften der Herren, zudem Bäcker, Müller, Fuhrleute und andere.

 

Wo der Platz im ummauerten Dombezirk nicht reicht, siedeln Domherren bald außerhalb, aber in einem gechlossenen eigenen Viertel. Das geschieht in Würzburg, und in Osnabrück kommt es dabei sogar zu einer gemeinsamen Ummauerung mit der bürgerlichen Marktsiedlung. Anderswo werden die Domherrenbezirke in der alten Domburg zu eigenen Rechtsbezirken. In den nächsten Jahrhunderten werden dann die Domherren-Kurien in Münster und Paderborn soviel Platz einnehmen, dass sie den Bischof mehr oder weniger aus dem Dombezirk verdängen. In Münster siedelt der Bischof seine Ministerialien in seinen festungsartig ausgebauten Wirtschaftshof in der Stadt, den Bispinghof um.

 

Die neuen Kurien bestehen aus Wohn- und Wirtschaftsgebäuden um einen Hof. Dazu gehören Wohnungen für das Gesinde, Stallungen und Scheunen.

 

Nach dem Wormser Konkordat (1122) hat das Domkapitel das Wahlrecht für den Bischof, und es setzt dieses im 12. Jahrhundert auch in der Praxis durch. Dabei kommen immer mehr Adelige aus den eigenen Reihen auf den Bischofsstuhl. Bis tief ins 13. Jahrhundert werden Bischöfe in der Stadt und in ihrem Viertel residieren. Erst mit den dann zunehmenden Konflikten mit der Bürgergemeinde suchen sie sich dann Residenzen außerhalb, wie der Würzburger mit der zur Befestigung ausgebauten Marienburg.

 

Ähnliche geistlich geprägte Stadtviertel entstehen bei anderen Stiften mit ihren Stifts- bzw. Kapitelherren und im Umfeld von Klöstern mit ihren familiae. Regensburg wird so von seinem Dom St.Peter, drei Benediktinerabteien und vier Stiftskirchen dominiert, neben denen es auch zwei Pfalzen gibt.

 

Noch bis zu den Zeichnungen und Gemälden der Dürerzeit stellen sich deutsche Städte als von ihren Kirchtürmen geprägte Stadtlandschaften dar, während sie zumindest in der Nordhälfte Italiens bis ins späte Mittelalter von den Geschlechtertürmen dominiert werden. Dabei entstehen jenseits von Dom, Stift und Kloster mit ihren großen Grundherrschaften und dann auch später den Stadthöfen der Zisterzienserorden zunächst neue Quartiere für Wohnen und Arbeiten und in ihrer Mitte neue Pfarrkirchen. Ist die Kathedrale mit ihrem Bezirk eher adelig geprägt, so werden die Pfarreien der einzelnen Viertel eher bürgerlich dominiert.

 

Einigermaßen vornehme Steinhäuser (Höfe) mit Nebengebäuden bauen sich bald auch die wohlhabenderen Ministerialen, bischöfliche, königliche und manchmal auch andere. Sie sind zunächst noch unfrei, leisten als Ämter bezeichnete Dienste, also Aufgaben der Verwaltung von Machtbefugnissen: Sie regulieren den Markt, betreiben die Münze, die immer deutlicher hier zu einer bischöflichen wird, wirken bei der Rechtsprechung mit und verwalten die bischöflichen Güter. Zudem übernehmen sie militärische Aufgaben, werden also zu (rechtlich unfreien) Kriegern neben dem Adel. Mit Pferd und Waffen werden sie bald zu denen gehören, die man später im deutschen Raum als Ritter bezeichnen wird, und werden so in zunehmende Freiheit aufsteigen. Entsprechend legen sie sich befestigte Häuser zu, Türme, werden in Burgen der Bischöfe eingesetzt und errichten sich dann auch eigene.

Die Spitze der Verwaltung und Gerichtsbarkeit bleibt allerdings vorläufig direkt in der Hand der Bischofskirche, wobei die Vogtei beim Übergang zum 12. Jahrhundert zunehmend durch einen Domherrn als camerarius urbis (Kämmerer) ersetzt wird, der die tatsächliche Arbeit dann an einen ministerialischen Kämmerer delegiert.

 

Ministeriale bekommen für ihre Dienste Grundbesitz und andere Einnahmequellen verliehen, die an Person und Amt gebunden sind, aber nach und nach erblich werden, zum Beispiel, indem die Söhne zur Schule geschickt und dann als Nachfolger durchgesetzt werden. Solche Ministeriale können im Laufe der Zeit in den Adel aufsteigen, sie können aber auch als Unternehmer mit dem Großbürgertum verschmelzen und so später einen Teil des Patriziates des späten Mittelalters bilden, nachdem sie schon im 12. Jahrhundert des öfteren den alten Adel an Reichtum übertreffen.

 

Die übrigen Gebäude sind wie überall bis nach 1100 im wesentlichen aus Holz (Fachwerk etc), mit Holz oder Stroh gedeckt, selten mit Glasfenstern versehen und genauso selten mit einer anderen Wärmequelle als dem offenen Herd. Darin leben in ihren Vierteln die Handwerker und kleinen Händler, oft zur Miete, und dort wohnt oft in Einzimmer-Behausungen die Lohnarbeit.

 

Zunehmend zusammen mit den Spitzen der Kaufmannschaft betreiben Ministeriale die Verwaltung der Städte im Auftrag des Stadtherren und steigen oft im Zuge der Kommunalisierung an die Spitze eines neuen Bürgertums auf, welche sich schnell von den übrigen, zusammen mit den reichsten unter ihnen, als Meliorat und später Patriziat abzusetzen versucht.

 

Der Einsatz von Ministerialen schiebt eine ganze Schicht zwischen Adel und „einfachem Volk“, mediatisiert also Formen von Herrschaft. In den Bistümern bedeutet das, dass Geistliche (und Mönche) von der Verwaltung des weltlichen Machtbereiches abgezogen werden können. Und bei Ausübung zunehmender Zwangsgewalt können Ministeriale nun auf ihre Auftraggeber verweisen.

 

Adam von Bremen kann denn auch recht polemisch über Bischof Adalbert von Hamburg-Bremen schreiben: Daher ließ er bei jeder Gelegenheit, wenn sich einer von ihnen vergangen hatte, den Schuldigen sofort einsperren oder seinen gesamten Besitz einziehen, und lachend versicherte er, leibliches Elend sei heilsam für die Seele, Güterverlust reinige von Vergehen. So kam es, dass auch seine obersten Verwalter, denen er selbst seine Stellvertretung anvertraut hatte, maßlos rafften und plagten.

 

Immer wieder wird erwähnt, dass sowohl adelige Vögte wie Ministeriale von den von ihnen kontrollierten Bauern erhöhte Abgaben und Dienstleistungen erlangen, worauf dann manchmal die eigentlichen Herren dieser Landleute einschreiten müssen, um den Frieden zu wahren. Oft waren wohl (wenn auch natürlich dann nicht dokumentiert) der Willkür Tür und Tor geöffnet.

 

Ein spezifisches Phänomen nördlich der Alpen ist nicht nur das langsame Verschwinden des Adels aus der bischöflichen Verwaltung, wo er durch Ministerialen ersetzt wird, so wie in Norditalien durch die untere Vavassoren-Schicht, sondern überhaupt seine Tendenz, sich aus den Städten zurückzuziehen.

 

Als neue Siedler treten nun zunehmend Juden auf, die zum Teil bewusst von Bischöfen als Finanzleute in die Städte gezogen werden, und tendenziell eigene Gassen und dann auch Viertel bewohnen.

Ein Musterbeispiel dafür ist die Judenstadt, die der Bischof von Speyer 1084 gründet. "Das ist wohl die erste Gründung einer deutschen Stadtgemeinde, die alle Elemente enthält: Befreiter Bodenbesitz, privilegiertes Recht, Anerkennung von eigenem Recht und Gericht unter einem Rabbi, dem archisynagogus. Während ein stadtherrlicher Beamter, der tribunus urbis, dem Gericht über die Bürger vorsitzt, erhält bei den Juden ihr religiöser Gemeindevorsteher diese Funktion (...) nur der Bischof selbst als Stadtherr ist Appellationsinstanz. (Dilcher in: Frühgeschichte, S.42)

Juden betreiben damals vor allem Handel und Kreditgeschäfte und gehören mit zu den Spitzen der Kreise, die Kapital anhäufen.

 

Ehemalige Römerstädte erben oft Reste der antiken Ummauerung.

Die steinerne Ummauerung der Stadt erhöht nicht nur ihre Wehrhaftigkeit, sondern schließt sie auch sinnlich wahrnehmbar nach außen ab und fördert das Gemeinschaftsgefühl im Inneren. Um 1080  umgibt Bischof Burchard von Basel das Doppelareal von Münsterhügel (Bischof, Domklerus und Adel) und Gewerbesiedlung (Handwerker und Händler) im Birsigtal mit einer Mauer, um es im Konflikt zwischen Kaiser und Papst auf kaiserlicher Seite wehrhaft zu machen. Der Einschluss des "bürgerlichen" Suburbiums erst macht Basel sichtbar zu einer Stadt. Die Seelsorge für die Untertanen in zwei Pfarreien untersteht dem nun von Cluny reformierten Kloster St.Alban.

 

Konstanz besteht im 11. Jahrhundert aus dem Domhügel mit dem Marienmünster, der Bischofspfalz, "sowie weiteren Baulichkeiten des Bischofs und des Domkapitels, das Ganze umgeben von den wehrhaften Häusern und Wohntürmen der bischöflichen Ministerialen" (H.Maurer in: Investiturstreit, S.364). Während dieser Bereich burgartig ummauert ist, sind zwei weitere Siedlungen unbewehrt: Die Niederburg mit ihrem Weberhandwerk im Norden, und ihm Süden der Markt mit seinen (zum Teil Fern)Kaufleuten und der Pfarrei St.Stephan. Die wichtigsten Handelsbeziehungen reichen dabei nach Italien. Dennoch wird das Ganze erst im 12. Jahrhundert durch eine gemeinsame Mauer als mittelalterliche Stadt sichtbar.

 

1106 wird die Ummauerung ihrer Stadt durch Kölner Bürger eigenständig erweitert, was der Bischof nach Zahlung einer erheblichen Summe Geldes nachträglich genehmigt.

 

Stadt bedeutet dabei nicht nur die durch die gemeinsame Mauer sichtbare Einheit von Machthabern, Handel und Handwerk, die sich manchmal erst im späteren Mittelalter stärker vollzieht, sondern auch die durch Zuwanderung mögliche Tendenz, aus Gärten und anderen landwirtschaftlich genutzten oder "öden" Flächen in den Städten Bauland zu machen, was der Grundstücksspekulation Auftrieb gibt, und wodurch unbewegliche Güter in der Stadt immer wichtiger für Kapitalbildung werden.

Bis zum Ende des Mittelalters führt das früher oder später zu geschlossenen Bebauungen, dem Zusammenwachsen verschiedener durch Grünflächen getrennter Stadtkerne.

 

Der städtische Bauboom beginnt in Köln, Mainz, Metz, Lüttich und Konstanz schon vor der Jahrtausendwende, in Würzburg und Worms etwa um sie herum, in Hildesheim und Paderborn kurz danach, in Münster und Osnabrück um die Mitte des 11. Jahrhunderts. (KellerBegrenzung, S.66)

 

Ein frühes Dokument des Aufschwungs einer Bischofsstadt ist um 1016 das Lob des Wormser Domscholasters Hermann für seinen Bischof Burkhard: Mochten auch mehrere Männer wunderbarer Heiligkeit ihm auf dem Wormser Stuhl vorangegangen sein, so war im Vergleich zu seinem Pflanzen und Aufbauen diese Kirche in geistlichen und weltlichen Dingen vor ihm sozusagen gestaltlos. Dies bezeugen Klerus und Volk, in väterlicher Liebe erzogen, bezeugt die verschönerte und vergrößerte Stadt, bezeugt das mit Gütern und viel Besitz reich gemachte Bistum, bezeugen die Klöster und Stifte, die er äußerst dürftig vorfand und mit Schenkungen überreich ausstattete, oder gänzlich neu errichtete. (…) Strahlend von allen Gütern hinterließ er selig die Wormser Kirche im Mittagsglanz. (deutsch in KellerBegrenzung, S.121)

 

Schön, groß und reich zu sein zeichnet nun Bischofsstädte aus - und nicht nur sie. Über ein Jahrhundert später schwärmt Otto von Freising vom dicht bebauten und bevölkerten Mainz mit seinen wirtschaftlichen Grundlagen wie Wein, überhaupt ist das Rheintal hier in frumento et vino optima (regio) (Gesta Friderici, I,13 u. II,48)

 

Neben dem geistlichen und/oder weltlichen Sitz der Macht braucht eine Stadt die sie versorgende Handwerkerschaft und Händler, und erst die Summe aus diesen Komponenten macht eine Stadt aus. Schon seit dem 10. Jahrhundert wachsen Städte darum nicht nur durch das Anwachsen des unmittelbaren Personals der Macht, sondern auch durch eine steigende Zahl von Handwerkern und Händlern, die bis auf einzelne Fernhändler der familia von Bischof, Stift, Kloster oder weltlichen Großen zugeordnet sind.

 

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Städte wachsen nur über die Zuwanderung vom Lande. Die Abwanderung in die Stadt macht dabei aus Handwerkern, die bislang oft zugleich Boden bearbeiteten, solche, die sich nun auf ihr Handwerk konzentrieren. Der Markt erlaubt es ihnen dann, die Herstellung von Rohstoffen von der von Zwischen- und Fertigprodukten abzutrennen. Die Spezialisierung, also Arbeitsteilung, erlaubt technische Verbesserungen. Die Einwanderung in die Städte macht zudem aus Leuten, die Land bearbeiteten, Lohnarbeiter, vor allem auch Tagelöhner, und noch darunter liegende städtische Armut.

 

Die Abwanderung aus Grundherrschaft und familia eines Herrn bedarf eigentlich dessen Genehmigung. Erfolgt sie fluchtartig, so kann der Herr ihn zunächst zurück reklamieren, wobei sich dann nach und nach eine alte Verjährungsformel auch hierfür durchsetzt: "Nach Jahr und Tag" macht Stadtluft frei, was man allerdings nicht missverstehen darf: Frei ist man danach nur von den Forderungen des alten Herrn, während man sich im 11. Jahrhundert sofort dann unter die etwas anders geartete Macht eines neuen begibt. Mehr Freiheit wird es in Zukunft nur für den Markt, den Warenverkehr und die Entfaltung von Kapital geben.

 

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Stefan Weinfurter betont besonders die Rolle bischöflicher Großbauten, die Menschen in die Stadt zieht und ganze Stadtlandschaften schafft. Als Beispiel erwähnt er den hochadeligen Bischof Meinwerk von Paderborn (1009-1036):

„Als er sein Bistum übernahm, war ihm der gerade im Aufbau begriffene Dom nicht prächtig genug, und er ließ unverzüglich, nur drei Tage nach seiner Ankunft in Paderborn, alles wieder abreißen und ein noch viel prächtigeres Werk beginnen. (…) Dazu kam eine neue große Kaiserpfalz nördlich des Domes mit einer kunstvollen Bartholomäus-Kapelle, die von griechischen Bauleuten errichtet wurde. Auf der Südseite entstand ein neuer Bischofspalast mit steinernen Mauern und besonders hohen Türmen. Westlich der Pfalz wurde das große Abdinghof-Kloster angelegt, im Osten das Busdorf-Stift.“ (WGeschichte, S.59)

Für die Versorgung der Klöster und Stifte entstehen Handwerkerviertel und das Händlerviertel mit Markt wird vergrößert. „Aus der alten Domburg wurde nun eine durch Klöster und Stiftskirchen ausgedehnte und nach einer weit ausgreifenden Idee prachtvoll gestaltete Bischofsstadt, geradezu eine >Bischofsresidenz<.“ (WGeschichte, S. 61)

 

Adam von Bremen berichtet um 1075 von den Plänen seines Erzbischofs Adalbert, einen neuen Dom nach dem Vorbild der großen Kathedrale von Benevent zu bauen. Dabei reißt er zahlreiche ältere Bauten ab, um Steine zu gewinnen.

„Sobald wie möglich wollte er alles Abgerissene neu und schöner wieder aufbauen lassen; das Domkapitel sollte auch Speisesaal, Schlafraum, Keller und Werkstätten ganz aus Stein erhalten – wenn nur jetzt das Wichtigste, der Dombau, rasch voranschritt. Nicht selten wurde selbst kostbares liturgisches Gerät für die Baufinanzierung zerstört.“

In einer Hungernot sind dann keine Mittel für die Versorgung der Armen mehr da. (KellerBegrenzung S.64)

 

Die Arbeitskräfte kommen zunächst meist aus den Reihen der bischöflichen Hörigen, die von ihren Höfen abgezogen und an den Baustellen versammelt werden. Der Verfasser der Eichstätter Bischofsgeschichte schreibt um 1075 über den Abbruch alter Bauten und die Erbauung neuer und klagte dabei über die Folgen. Die Bevölkerung müsse bis zur Erschöpfung an solchen Projekten arbeiten, könne die Felder nicht mehr bestellen und verarme bis zur bittersten Not. Dabei müssen sie auch ihre Abgaben und Dienste weiter entrichten. (cap.29)

 

Ein weiteres Mittel, um die Einkünfte für den Stadtausbau zu steigern, ist die generelle Aneignung des Zehnten auch dort, wo er bislang von lokalen Eigenkirchen bzw. von Klöstern eingezogen wurde, wie es von den Erzbischöfen von Mainz und Osnabrück zum Beispiel dokumentiert ist. Wo das nicht anders gelingt, werden gelegentlich Urkunden gefälscht.

 

Andererseits berichtet ein Mönch von St.Trond/Truiden bei Lüttich, der selbst den Neubau der Klosterkirche kritisch betrachtet, von der Begeisterung der Leute, die mitarbeiten müssen. Das ist nicht verwunderlich, ist doch die Identifikation mit der Macht und ihrem Protz und Prunk typisch für die Massen aller Zivilisationen, und in den Städten wird dies Phänomen sich selbst als Masse erlebender Menschen nun immer deutlicher.

 

Ein anderes Beispiel ist der Pilgerort St.Trond, und der Zustrom von Pilgern ist eine enorme Geldeinnahme über die Spenden, die dann in Bauten investiert werden können. Aber weder diese Summen noch die Einnahmen aus der großen Grundherrschaft reichen, so dass Teile aus dem Kirchenschatz eingeschmolzen und verkauft werden müssen.  (KellerBegrenzung S.65/121f)

 

Andererseits sind Steigerung der Nahrungsproduktion, Bauboom, Konzentrierung von mehr Handwerk (auch Bauhandwerk) auf die Städte, Zunahme des Handels und der Geld- bzw. Marktwirtschaft Phänomene, in denen ein neuartiges Fortschrittsempfinden entsteht, welches parallel zum langsamen Auslaufen der bisherigen, christlich begründeten Weltuntergangsvorstellungen aufkommt.

 

Bischofsstädte bedienen mit ihren Handwerker- und Händlersiedlungen die Bedürfnisse des Klerus. Sie wachsen mit der bischöflichen Bautätigkeit, die auch Klöster und Stifte ansiedelt, die wiederum Handwerker und Händler anziehen. Stolz erklärt der Speyrer Bischof Rüdiger Hutzmann in einer Urkunde von 1084, (cum) ex Spirensi villa urbem facerem, er habe aus einer Ansiedlung mit dem neuen Judenviertel eine Stadt gemacht (in: Hergemöller, S.108).  Die bischöfliche Machtsteigerung wird dabei von Königen gefördert, um mit den Bischöfen mächtige Stützen der Macht zu erhalten.

Bischofsstädte werden so die frühesten Residenzstädte, deren Vergrößerung Macht und Ansehen der Bischöfe steigert, nicht zuletzt ihre Wirtschaftskraft. Mit dem Aufblühen der Märkte werden dann auch die Klöster in die Städte gezogen, wo sie Stadthöfe als Dependancen errichten.

Mit den mehr werdenden Regalien, die Bischöfe verwalten, ihren "Residenzen" und den darum gebauten Städten werden diese aber den Königen ähnlicher werdende Fürsten in ihrem "Reich". Aus Stützen der Macht werden sie dabei Leute, die an ihr stärker partizipieren wollen und das auch baulich demonstrieren. Hatte doch der ("römische") König abgesehen von seinen Pfalzen und daraus erwachsenden, in der Entwicklung nachhinkenden städtischen Orten selbst nichts entsprechendes vorzuweisen.

 

***Trier***

 

Direkt neben dem befestigten Domareal gründet der Erzbischof von Trier 958 den Hauptmarkt, und dem Grundriss der dann davon ausgehenden Straßen kann man noch heute nachgehen. Der rechtwinklige Grundriss der geplanten Römerstadt verschwindet nach und nach. Grundbesitzer errichten mehr und mehr Häuser, die sie vermieten. Irgendwann im 11. Jahrhundert kommen drei Jahrmärkte auf.

Weber siedeln sich an dem umgeleiteten Olewig-Bach an, wo heute noch die Straße Weberbach ist.

 

Der 1008 gewählte Erzbischof Adalbero muss als Vertreter des Hauses Luxemburg, welches Trier in seinen Machtbereich eingliedern möchte, gegen Militär von Kaiser Heinrich II. kämpfen, der seinen Kandidaten Megingaud durchsetzen möchte. Dieser lebt aber bis zu seinem Tod 1015 in der königlichen Burg Koblenz.

 

1016-47 übt Erzbischof Poppo, ein Babenberger, die Herrschaft in Trier aus. Ihn unterstützt Heinrich II. mit der Übertragung des Krongutes Koblenz, Sprungbrett für spätere Ostausdehnung des Erzbistums. Zölle und Münzen werden immer wichtigere Einnahmequellen des Prälaten.

 

 

Erzbischof Poppo pilgert mit dem aus Sizilien stammenden Simeon ins "heilige Land" und kehrt mit ihm zurück. Simeon lässt sich nun im Ostturm der Porta Nigra, des monumentalen Römertores, als Einsiedler nieder und wird nach seinem Tod dort bestattet. Um 1035 erwirkt der fromme Stadtherr die Heiligsprechung durch Papst Benedikt IX., verwandelt das Tor in eine Doppelkirche mit Unterkirche für die Laien und Oberkirche für die Stiftsherren, denn er errichtet daneben ein Kanonikerstift, das Simeonsstift für die Geistlichen, die den Gottesdienst verrichten. (Hier eine Zeichnung der Kirche aus dem 18. Jh.) 1142 erhält das Stift die Koblenzer Zolleinkünfte. Stiftsherren dienen wie in anderen Städten auch der erzbischöflichen Verwaltung.

Der Umbai des Domes von einer römischen zu einer romanischen Kirche wird fortgeführt.

 

Während das Erzbistum im seinem Einflussbereich versucht, seine Macht auszubauen, wird es weiter immer wieder von Luxemburg bedroht. St. Eucharius/Matthias unter der gräflich-luxemburgischen Vogtei besitzt offenbar eigenen Markt, Marktzoll und Münze. St.Maximin wiederum besitzt Wochenmarkt, Zoll und Münze in Wasserbillig.

 

Die erzbischöflichen Ministerialen gewinnen wirtschaftliches Gewicht durch zunehmenden Grundbesitz und militärisches Gewicht zudem. Als der Kölner Erzbischof Anno II. seinen Kandidaten als Nachfolger von Erzbischof Eberhard nach Trier schickt, wird er von Trierer Ministerialen unterwegs ermordet, da sie zu großen Kölner Einfluss befürchten.

Die Trierer sind zwar relativ wenig in den sogenannten Investiturstreit verwickelt, aber die unruhigen Zeiten stärken die militärische Bedeutung der erzbischöflichen Dienstmannen, die zunehmend Lehnsbesitz und rechtliche Privilegien ansammeln können. Die einflussreichsten werden die Familien von der Brücke (de Ponte), vom Palast (de Palatio) und von Oeren (de Horreo, den antiken Getreidespeichern), die alle ihre Behausungen in antiken Großbauten haben.

 

Anfang des 12. Jahrhunderts werden die neuen südlichen Siedlungen mit einer neuen Stadtmauer befestigt, die an die Römermauer auf der anderen Seite anschließt. Die Stadtmauer wird ein Kennzeichen der hochmittelalterlichen Stadt, die immer eine Festung ist. Dabei treten nach den Ministerialen zum ersten Mal cives (1122) auf, die sich nach und nach zu einer Art "Wehrgemeinschaft" formieren. (Anton/Haverkamp, S.237)

 

***Köln***

 

Mit den enormen Zerstörungen durch die Normannen 881 verliert Köln endgültig den Rest seiner antiken Gestalt. Im 10. Jahrhundert wächst es durch die Angliederung einer Rheinvorstadt um ein Viertel an. Ein großer Teil der Einwohnerschaft sind Mitglieder der kirchlichen familia, wobei zwei Gruppen in einem besonderen Verhältnis zur Bischofskirche stehen und in ihrer Nähe wohnen: Einmal die unfreien Dienstleute, Ministerialen, und zum anderen die unter besonderem Schutz des Bischofs stehenden ebenfalls unfreien Juden. Die Unfreiheit beider äußert sich darin, dass sie dem Bischof keinen Hofzins auf ihr Wohngebäude zahlen müssen. Einen solchen wiederum müssen, wenn auch in erträglichem Umfang, die Kaufleute der Rheinvorstadt und die sich aus dem Hofrecht der kirchlichen Herren emanzipierenden Handwerker zahlen: Er ist Ausweis einer gewissen Gewerbefreiheit (Erkens in: Frühgeschichte, S.176)

 

Der Bischof ist wie auch anderswo Gerichtsherr, erhält Bann - und Zollabgaben und besitzt das Münzrecht. Neben diesen Regalien ist im 11. Jahrhundert die bischöfliche Marktaufsicht wichtig, die der Herr natürlich delegiert. Immerhin hat der wichtige Handelsort Köln im 11. Jahrhundert bereits zu Ostern, im Sommer und im Herbst jeweils eine große Messe.

Die inzwischen wohl größte deutsche Stadt ist einmal ein Produktionszentrum für Tuche geworden, für Glas, Töpferwaren und Goldschmiedearbeiten, die auch exportiert werden, nicht zuletzt auch für Waffen, aber vor allem ist es ein Handelszentrum für Salz, Metalle und Gewürze, Wein, Getreide, Sklaven und manches andere. Wolle kommt aus England, aus vielen Quellen kommen Lebensmittel (Getreide, Käse, Fisch).

 

Zusammengehalten wird die Stadt durch die erzbischöfliche hohe geistliche und weltliche Gerichtsbarkeit, die von einem edelfreien Burggrafen und seinem Stellvertreter, dem Greven ausgeübt wird, neben dem ein der Ministerialität entstammender Stadtvogt steht. Sie richten zu zweit und manchmal auch zusammen mit ihren Stellvertretern. 1103 wird dann für die Gesamtgemeinde ein Schöffenkollegium zum ersten Mal erwähnt, welches vermutlich schon viel früher entstanden ist.

Alleine sitzt der Burggraf nur dreimal im Jahr dem echten Ding (in Köln: Wizzigding) vor, welches nach dem Verlust der Kriminaljustiz an die gebotenen Dinge zur "Bürgerschaftsversammlung für kommunale Angelegenheiten" wird (U.Lewald in: Investiturstreit, S.376).

Die Zölle lässt der Stadtherr von Ministerialen einziehen, ebenso von ihnen die Markt- und Gewerbeaufsicht durchführen und die Einkünfte beaufsichtigen. Eine Elite unter ihnen sind die Münzerhausgenossen.

 

In Köln werden vier Pfarreien ab 1080 in den Quellen dokumentiert und wohl teilweise aus ihnen gehen dann Anfang des 12. Jahrhunderts die Kölner "Sondergemeinden" hervor. St. Martin ist die Kaufmannspfarrei, deren Mitglieder weitgehend mit denen der Kaufmannsgilde identisch sind.

Bei dem starken Wachstum von Stadt und Einwohnerschaft verlagert sich die  Aufgabe der Kriminaljustiz auf die entstehenden Sondergemeinden. Zu sieben von ihnen in der Altstadt im 12. Jahrhundert kommen die der Immunitäten der großen Kölner Stifter sowie die Vorstädte Oversburg und Niederich, die erst 1106 in die Mauererweiterung einbezogen werden.

In den beiden letzteren gibt es dann dreimal im Jahr das echte Ding mit eigenem Grafen und Vogt (ein Doppelrichtertum von comes et advocatus nostrum, wie es um 1110 im Niedericher Wiestum heißt) und als Besonderheit mit zwölf Schöffen, Geburen, die auf Lebenszeit eingesetzt werden und Senatoren heißen. Geburen (d.h. cives) besitzen zumindest in Niederich ein Haus (domus) und das Erbrecht darauf. Sie sind verpflichtet, beim Burgericht anzutreten und verlieren das Recht, in der communio als cives verzeichnet zu sein, wenn sie vor die curia des Erzbischofs gehen. (Dilcher in: Schwineköper, S.84)

 

Dort wählen die bald in Bruderschaften bzw. Korporationen organisierten Honoratioren in Geburshäusern auf ein Jahr Vorsteher, „Meister“, die nach ihrem Rücktritt in einem Gremium erfahrener Honoratioren aufgehen. Für Niederich sind solche magistri civium um 1100 erwähnt, in den übrigen Pfarreien erst nach 1130. Nach Ablauf ihrer Amtszeit schließen sie sich zu einem Gremium von officiati zusammen, einer Art Hororatioren-Vorstand der Sondergemeinden.

 

In Köln tauchen denn auch früher als anderswo im deutschen Raum schriftliche Dokumente bürgerlichen Ursprungs auf, denn auf den echten Dingen werden nicht zuletzt Liegenschaftsangelegenheiten verhandelt: Es sind Grundbücher und damit Bürgerlisten der Kirchspiele, Urkunden über Immobiliengeschäfte und bald auch Erbangelegenheiten. Diese Dokumente werden in Truhen aufbewahrt und heißen darum Schreinskarten. Die erste überlieferte stammt wohl aus dem 2. Jahrzehnt des 12. Jahrhunderts. Anzunehmen ist, dass hier eben der Wert von Immobilien so hoch ist, dass man sich der Eigentumsverhältnisse schriftlich versichern möchte.

Vermutet wird, dass diese ganze Entwicklung in St. Martin zwischen Römermauer und Rhein einsetzte, weil hier in der Nähe des Heumarktes ein Großteil der Kaufleute  wohnt.

 

****

 

Außer durch den Stadtherrn, seine Machtvollkommenheiten und seine Hochgerichtsbarkeit ist die Gesamt-Stadt noch nicht als Gemeinde verbunden und die Bürger verstehen sich offenbar auch noch nicht als "politische" Gemeinschaft. Das ändert sich wohl auch nicht durch einen Aufruhr, der aus gegebenem Anlass gegen den Bischof ausbricht, der offenbar zur Zeit der Ostermesse den Marktfrieden stört. "Informiert" sind wir darüber dank Lampert von Hersfeld, der deutlich mit dem Erzbischof sympathisiert.

 

1074 ist der Bischof von Münster zur Feier des Osterfestes Gast beim Erzbischof Anno von Köln. Für die Rückreise seines Gastes beschlagnahmt er durch seine Dienstleute (Ministerialen, bei Lampert, der einzigen Quelle: qui archiepiscopi domestica negocia curabant) ein bereits zu einer Handelsreise ausgerüstetes Schiff eines reichen Kaufmanns für eigene Zwecke und beginnt, sämtliche Waren ausladen zu lassen. Das wird, wohl nicht aufgrund von Widerrechtlichkeit, sondern wegen der Art des Auftretens der Ministerialen, als Willkürakt aufgefasst. Laut Lampert von Hersfeld findet der Sohn des betroffenen, der bürgerlichen Oberschicht (den primores civitatis) angehörenden Kaufmanns genug Unterstützung bei seinen Knechten und jungen Leuten der Stadt, um den Übergriff mit Gewalt zu verhindern. Nun kommt der Vogt mit seiner Mannschaft, um die Anordnung seines geistlichen Herrn durchzusetzen. Es kommt zum Handgemenge. Schließlich kehrt erst einmal Ruhe ein und das Schiff bleibt in der Hand seines Eigners.

 

Es gelingt dem jungen Bürgersmann, seine Freunde zum Aufstand (vielleicht auch) nach dem Wormser Vorbild aufzurufen, an den sich weite Kreise der Bevölkerung, der vulgus intemperans anschließen. Lampert, für den Bischof Partei ergreifend, schreibt:

Die Vornehmen schmieden läppische Pläne; unbeherrscht und umsturzlüstern tobt das Volk. Als wäre man vom Teufel besessen, ruft man in der ganzen Stadt nach den Waffen.

 

Der Erzbischof und sein Gast sind beim Essen, als die Aufständischen anrücken.

Als nun nach dem Mittag, als sich der Tag schon zum Abend wendete, zum Zorn - wie Öl zum Feuer - die Trunkenheit hinzukam, stürzten sie aus allen Teilen der Stadt zum Hof des Bischofs und greifen ihn, der an einem belebten Platz mit dem Bischof von Münster speist, an, schleudern Geschosse, werfen Steine, töten einige, die ihm beistehen, schlagen und verwunden die übrigen und treiben sie in die Flucht. (Lampert)

 

Beide retten sich in den Dom. Die ersten erzbischöflichen Bediensteten, die sich wohl in den Weg stellen, werden erschlagen. Der Palast, die Schatzkammer und der Weinkeller werden geplündert, dann wird der Dom belagert. Die Bischöfe fliehen durch einen Geheimgang aus der Stadt. Die offenbar inzwischen gut bewaffneten Aufständischen besetzen die Mauern, es kommt erneut zu Toten, und sie schicken dann Boten zum König um Hilfe.

Von Neuß aus organisiert der Erzbischof seine bewaffnete Rückkehr. Das bäuerliche Umland ist über die städtischen Untaten entsetzt. Als der Bischof dann nach vier Tagen mit einem Heer aus seinem Machtbereich gegen die Stadt marschiert, müssen die Kölner Bürger sich vor der Übermacht ergeben. Barfuß und im Büßerhemd ziehen sie dem geistlichen Machthaber entgegen. Danach entlässt der Erzbischof sein aus dem erzbischöflichen Terrritorium rekrutiertes Heer und fühlt sich wieder mit seiner städtischen Hausmacht sicher.

 

Laut Lampert fliehen 600 Kaufleuten (mercatores opulentissimi) aus der Stadt, eine sicher zu hoch gegriffene Zahl. Einige Anführer werden geblendet, andere gestäupt und geschoren, einige zu Stockschlägen verurteilt, andere zu hohen Geldstrafen.

Der Besitz der Kaufleute wird nun geplündert, wer sich wehrt, brutal bestraft:

So wurde die Stadt, noch vor kurzem die volksreichste und nächst Mainz der Haupt- und Vorort aller rheinischen Städte, plötzlich fast völlig verödet. Wo bisher die Straßen die dichten Scharen von Fußgängern kaum fassen konnten, zeigt sich jetzt nur selten ein Mensch, und schauriges Schweigen herrscht an all den Stätten der Lust und des Genusses. (Lampert zu 1074)

 

Die Härte des Bischofs rührt wohl daher, dass er sich seine Rechte, so wie er sie in seiner Willkür sieht, nicht gewaltsam nehmen lässt, schon gar nicht beim Besuch eines Standesgenossen. Vielmehr wird die Übertragung von Aufgaben und Rechten an Bürger weiter seiner Gnade unterliegen und von seinen Interessen bestimmt bleiben.

Immerhin scheinen die Kölner Bürger sich unterwürfig genug erwiesen zu haben, denn im folgenden Jahr gibt ihr Oberhaupt ihnen die kirchliche Gemeinschaft und sämtliche Güter zurück. Als er kurz darauf stirbt, kommt es zu einer achttägigen Stationsprozession von Kirche zu Kirche, es sind mindestens zwölf, und zwar offenbar unter großer Beteiligung der Bevölkerung. (Goez, S.131)

 

Klar ist, dass der Aufruhr situativ bedingt war und ohne darüber hinausgehendes Konzept bleibt. Zudem haben sich offenbar die Ministaeialen noch nicht hinreichend aus den hof- und dienstrechtlichen Bindungen an den Erzbischof gelöst, um zu Bündnispartnern der Bürger werden zu können. Ein großes Manko für uns heute ist allerdings, dass es nur die eine bürgerfeindliche Quelle gibt.

 

Für das frühe Kaufmannskapital ist die Lage schwierig. Ein großer Teil der gehandelten Waren sind Luxusgüter, die den wohlhabenderen Teil der Geistlichkeit wie der weltlichen Ministerialität bedienen. Die sehr weltliche aggressive Machtpolitik der Bischöfe zwischen Brun und dem zweiten Anno zieht Wohlstand in die Spitzen der Stadt, der dem Handel förderlich ist. Andererseits sind die Grenzen zwischen dem Recht der Herren und dem des Kapitals und des Handwerks, wie man oben sehen kann, nicht hinreichend klar und akzeptabel gezogen. Was der eine für sein Vorrecht hält, ist dem anderen Willkür. Der Kaufmannssohn beklagt, Anno habe oft ungerechte Befehle gegeben, Unschuldigen oft das Ihre weggenommen und noch angesehene Bürger mit den unverschämtesten Worten angegangen (Lampert). Aber zumindest in Lamperts Bericht taucht noch keine Vorstellung klarerer Verrechtlichung auf, wie sie im nächsten Jahrhundert Thema werden wird.

Das Problem ist, dass Handel und Handwerk eine Situation finden müssen, in der sie sich immer besser entfalten können. Letztlich brauchen sie dafür ein neues Einvernehmen mit dem Herrn der Stadt und seiner Entourage und das wird etwas bisher nicht Dagewesenes sein müssen. Mit dem sehr machtbewussten Anno II. wird das nicht gelingen. Aber die Bischöfe deutscher Städte werden dazulernen.

 

****

 

Über dreißig Jahre später sieht die Lage bereits anders aus. Im Frühjahr 1106 ergreifen die Kölner Bürger Partei für den flüchtigen Heinrich IV., lassen ihn in die Stadt und schwören ihm Treue. Als er Richtung Lüttich weiterflieht, scheitert die Verfolgung durch seinen Sohn, der muss umkehren und die Kölner lassen ihn nun nicht in die Stadt, worauf er sich nach Mainz zurückziehen muss. Dann kommt sein Vater zurück nach Köln, der Bischof wird vertrieben und der Kaiser leitet möglicherweise die verbesserte Befestigung der Stadt, wobei die Vorstädte Oversburg, Niederich und St.Apostoln in den Mauerring einbezogen werden.

Man muss "der gemeinsamen Arbeit an der Stadtbefestigung eine hohe Bedeutung für das Zusammenwachsen der Bürgerschaft beimessen, erforderte sie doch eine gesamtstädtische Initiative zur Finanzierung und Koordinierung der Bauarbeiten wie auch zur Einhebung und Verwaltung der für den bevorstehenden Kampf ausgeschriebenen Kriegssteuern, der bella stipendia." (Erkens in: Frühgeschichte, S.185) Zudem sperren die Bürger den Rhein mit ihren Schiffen und schließen laut einer Quelle eine coniurata conspiratio mit den Lütticher Bürgern (Translatio trium virginum)

 

Als Heinrich V. im Juli mit einem großen Heer anrückt, muss er zur Belagerung übergehen, die er nach gut drei Wochen aufzugeben gezwungen ist. Erst nach dem Tode Heinrichs IV. gibt Köln auf, lässt den Erzbischof wieder in die Stadt und bezahlt an den fünften Heinrich eine Art Strafe von 5.000 Mark.

1114 fallen sie von Heinrich V. wieder ab und verschwören sich mit dem Erzbischof und einigen niederrheinischen Großen gegen ihn. Der belagert Köln erneut, scheitert dann aber an einer Truppe Kölner Bogenschützen. 1119 wiederum öffnen sie ihm die Tore gegen den Willen des Erzbischofs und werden dafür mit dem Interdikt belegt.

In etwa dieser Zeit wohl (um 1115/20) benutzen sie das erste Siegel für eine deutsche Stadt, welches wohl das Schöffenkollegium aufbewahrt, und erweisen sich damit als eine Gemeinde, die eigene rechtlich relevante Dokumente aufsetzen und besiegeln kann, wenn auch wohl erst einmal nur im Auftrag des Stadtherrn.

 

***Mainz***

 

Unter den Saliern halten sich die Könige nirgendwo mehr als in Mainz auf. Der dortige Erzbischof behält das Erststimmrecht bei dern Königswahl.

Willigis lässt bis 1009 einen neuen Dom bauen, der aber kurz darauf in Flammen aufgeht. Kurz darauf beginnt ein Neubau. 1036 wird der Dom geweiht.

Bedeutende Leiter der Domschule werden Ekkehard von St.Gallen und der Lütticher Goswin.

 

In lateinischen Quellen heißt der Stadtvogt von Mainz selten advocatus, sondern meist comes (Graf). 1213 taucht er zum ersten Mal als burgravius (Burggraf) auf, wobei Burg Stadt meint. In der Vita des Erzbischofs Bardo ist von einem comes Erkenbald die Rede, der offenbar seine Macht zum Quälen eines städtischen Richters (iudex), eines weiteren (tribunus plebis) und eines Bürgers (civis)  missbraucht, was sein Amtslehen gefährdet. Solche Amtslehen aber tendieren dazu, die Erblichkeit dieser hohen Vögte zu befördern. Seine Nachfolger entstammen dann auch alle derselben vornehmen Verwandtschaft.

Dem Stiftsvogt werden aber zunehmend innere Immunitäten, Muntate, wie sie später heißen, entzogen, die die internen Bereiche von zahlreichen städtischen Stiften mit ihren Dienstleuten umfassen. was die Stellung des Burggrafen im 12. Jahrhundert beschädigen wird.

Neben den Vögten tauchen seit dem späten 10. Jahrhundert Kämmerer auf (magistri camerae) als primas civitatis, welche die erzbischöfliche Verwaltung in der Stadt leiten.

 

Das Handelszentrum Mainz ist weiter schlecht dokumentiert. So wird das Mainzer Marktrecht zwar Vorbild für Städte von Sachsen bis an den Oberrhein, aber inhaltlich ist von ihm nichts bekannt. Der Markt in der Stadt liegt wohl zwischen Dom und Rhein. Kaufleute steigen in richterliche Funktionen auf. Der Mainzer Pfennig gilt in enger begrenztem Umfeld, wobei der Erzbischof dafür sorgt, dass in Bingen, am unteren Main und der Wetterau keine eigenen Münzen mehr geschlagen werden.

Seit dem 10. Jahrhundert dürfte es eine größere jüdische Kolonie geben, die offenbar ein religiös-gelehrtes Zentrum wird. Um 1100 soll es mehr als 550 Juden in der Stadt geben (Falck, S.118) Mainzer Juden treiben Handel mit Ungarn und Köln.

 

Ende 1076 wird Erzbischof Siegfried von Mainz Gegner Heinrichs IV. Im März 1077 krönt er Rudolf von Rheinfelden.

Bei darauf stattfindenden Spielen empören sich laut Brunos 'Sachsenkrieg' die Bürger (urbani) und einer provoziert Streit mit einem der Höflinge und eine Ohrfeige. Da aber stürzten sich die Bürger, die sich zu diesem Zweck schon in einem Hinterhalt gesammelt hatten, auf die unbewaffneten Höflinge (curiales) , verwundeten viele von ihnen schwer und töteten sogar einige. (...) Die Höflinge und das ganze Heer zogen sich im Martinsdom zusammen, berieten und bewaffneten sich, machten dann plötzlich einen Ausfall und töteten oder fingen alle Bürger, außer jenen (...) die flohen. Am nächsten Morgen aber kamen alle Vornehmen der Stadt zum König, boten ihm (...) jede Genugtuung an (...) und schworen ihm unverbrüchliche Treue. (cap.92 in: QuellenHeinrich, S.335f) Bischof und Gegenkönig verlassen dennoch die Stadt und kehren nicht mehr zurück.

 

Kaiser Heinrich IV. hält sich unter den ihm treuen Nachfolgern Siegfrieds dann oft in Mainz auf.

1096 gelingt es Kreuzfahrern, in die verschlossene Stadt einzudringen und ein Gemetzel unter den Juden anzurichten. Neue wandern aber bald wieder ein. Als Heinrich IV. die Rolle des Erzbischofs Ruthard untersuchen lässt, verlässt dieser 1098 die Stadt, und der Kaiser übt nun die direkte Stadtherrschaft aus.

1105 gelingt es Heinrich V., die Stadt zu übernehmen und Bischof Ruthard kann zurückkehren. 1111 setzt er seinen Kanzler Adalbert als Erzbischof ein, der sich bald im Bündnis mit Sachsen gegen den Kaiser wendet. 1112 fällt er in die Hände Heinrichs und wird drei Jahre gefangen gehalten. Als der Kaiser sich dann 1115 in der Stadt aufhält, setzen die "Bürger" seine Rückkehr durch.  Zum Dank privilegiert Adalbert die Bürger 1118mit dem Recht, nur noch das städtische Gericht besuchen zu müssen. Er wird sich bald wieder gegen Heinrich wenden und es kommt zu neuen Kämpfen um die Stadt, die erst 1122 zu Ende gehen.

 

***Worms, Bischof und Kaiser***

 

Zwischen 979 (Otto II.) und und 1014 (Heinrich II.) verfügen die Kaiser mehrmals die Abschaffung der gerichtlichen und militärischen Präsenz der Konradiner-Grafen aus der Stadt. Mit der Hochgerichtsbarkeit erhält der bischöfliche Stadtherr Kompetenz über alle Einwohner. In der Gerichtsgemeinde, in der alle concives zusammentreten, versammeln sich diejenigen, die ein Stück Grund in der Stadt vom Bischof in Erbzinsleihe haben.Damit tritt eine Gemeinschaft von „Bürgern“ hervor, in der die familia bzw. societas der dem Bischof persönlich untergebenen Leute nur einen (großen) Teil darstellen.

 

In der 'Lex familie Wormatiensis ecclesie', offiziell von clerus, milites und totius familiae beschlossen, wird eine bischöfliche "Familie" dargestellt. Sie umfasst die Städter und die ländlichen gebure, bei beide noch concives sind. Von Geburt sind sie entweder Fiskalinen oder Dagewarden. Die Fiskalinen setzen sich wohl aus ehemaligen Königsleuten und Zensualen zusammen, die miteinander verschmelzen. Sie können ihr Land vererben und mit Sklaven (mancipia) bewirtschaften. Aus ihnen kommen auch die ministri oder ministeriali und die Vertreter der Hofämter. Sie können sich aber von solchen Diensten freikaufen, müssen aber auf jeden Fall am Schöffengericht des placitum teilnehmen.

Daneben gibt es die Dagewarden, die zu Arbeitsdiensten verpflichtet sind.

 

Die Stadt ist "ein lokal hervorgehobener Rechtsbereich: Der erhöhte Stadtfriede fordert bei Totschlag, Verletzung, Waffenzücken höhere Bußen (...) Der Besitz eines Hausgrundstückes in der Stadt verleiht dem Inhaber überdies eine starke Absicherung gegen überfällige Zins- und Abgabenforderungen des Bischofs. Sicher ist es nicht nur Zufall, dass in dieser Bestimmung statt des sonstigen lex erit familie steht: lex erit concivibus; hier deutet sich schon die Bedeutung civis = Stadtbewohner, Bürger an. (Dilcher in: Schwineköper, S.82)

 

Die sich mit einer Mauer umgebenden und vom Umland derart abtrennenden Stadtgemeinden entstehen in der Regel aus der „Mitverwaltung“ (Pitz) derjenigen Angelegenheiten, die aus den Vorrechten des jeweiligen Stadtherrn abgeleitet sind. In der Regel entsteht die städtische Gemeinde also in Zusammenarbeit mit ihrem Herrn und nicht gegen ihn. Tatsächlich wird Herrschaft nun dadurch erleichtert, dass das entstehende "Bürgertum" sich tatkräftig in sie einordnet. Wenn sich, wie oben schon erwähnt, der Bischof von Lüttich vor 1066 in Huy finanziell durch Mauer- und Kirchbau übernimmt und ihm die Kaufleute der Stadt anbieten, dafür seine Schulden zu übernehmen, dass er ihrer Schwurgemeinschaft dafür Teile der städtischen Verwaltung überlässt, muss er notgedrungen darauf eingehen. Indem Stadtherren, Fürsten und Könige dann in Urkunden Bürgern als Gemeinschaft gegenübertreten, beginnen sie diese auch anzuerkennen, und zwar über die Verleihung einzelner Rechte hinaus, - was Hergemöller als "epochalen Wandel" bezeichnet (S.10).

 

Ausnahmen gibt es in Sonderfällen wie der übermäßigen Bedrückung des Stadtvolkes mit Abgaben oder jener Wechselfälle der Geschichte, wie sie 1073 zur Vertreibung des Wormser Bischofs und seines kriegerischen Gefolges aus der Stadt führen. Im Sommer hatte Heinrich IV. eine Niederlage gegen die Sachsen erlitten. Die rheinischen Bischöfe wollen einen Gegenkönig wählen, und die Wormser benutzen offenbar die Gelegenheit, mit ihrem Bischof Adalbert abzurechnen. Dabei geht es allerdings um seine Person und seine Position im Kampf zwischen Kaiser und Papst und nicht um das Wesen der Stadtherrschaft als solcher, die zunächst unangetastet bleiben wird.

Der Wormser Bischof hatte zuvor die von der Familie der Salier gehaltenen gräflichen Rechte an sich gerissen und so bereits Partei in den großen Konflikten im Reich ergriffen. Die Stadt ist allerdings noch weit von einer rechtlichen Gemeindebildung entfernt, weiter in die familiae mehrerer Herren geteilt, besitzt aber offenbar eine auch in Fernhandel engagierte Kaufmannschaft

 

Der konservative Kleriker Lamprecht von Hersfeld, der Heinrich III. im Unterschied zu seinem Nachfolger als vorbildlichen König schätzt und später von dem Kölner Aufstand gegen den von ihm verehrten Erzbischof Anno zurückblickt, ist über den Wormser Aufstand so empört wie Guibert von Nogent gegenüber dem von Laon.

Laut Lampert bildeten die Bürger eine Schwurgemeinschaft (coniuratio) und vertreiben die Krieger des Bischofs (milites episcopi) mit Waffengewalt aus der Stadt. Bischof Adalbert muss fliehen. Als der König  cum magna pompa in die Stadt einziehen kann, kommen ihm die nicht näher bezeichneten Bürger mit ihren Waffen entgegen:

...Sie kommen ihm bewaffnet und gerüstet entgegen, nicht um Gewalt zu gebrauchen, sondern damit er beim Anblick ihrer Menge, ihrer Rüstung (armorum apparatu) der großen Zahl kampfbereiter junger Männer in seiner Not erkenne, wie große Hoffnung er auf sie setzen könne. Bereitwillig geloben sie ihm Beistand, schwören ihm Treue, erbieten sich, jeder nach bestem Vermögen (ex sua re familiari) zu den Kosten der Kriegsführung beizutragen, und versichern ihm, Zeit ihres Lebens treu ergeben für seine Ehre (pro honore eius) kämpfen zu wollen (se militaturos). So hatte nun der König eine sehr stark befestigte Stadt (civitate munitissima potitus) in Händen, und sie war seitdem sein Hauptquartier, sie war die Schutzwehr seines Thrones, sie war für ihn, wie auch die Entscheidung fallen würde, ein sicherer Zufluchtsort, denn sie war stark bevölkert, sie war wegen der Stärke ihrer Mauern (murorum firmitate) uneinnehmbar, sie war infolge der Fruchtbarkeit der Umgebung außerordentlich reich und aufs Beste mit allen für einen Krieg notwendigen Vorräten versorgt. (Annales 1073)

 

An der Spitze steht wohl die reiche Oberschicht der Kaufleute, die beginnt, sich von der übrigen Bevölkerung noch stärker abzugrenzen, und die aus ihrem wirtschaftlichen Erfolg ein neues Selbstbewusstsein gewinnt. Interessant ist dabei das Phänomen einer durch Ummauerung zur Festung gewordenen Stadt, aber mehr noch die offensichtlich vorhandene massive Bewaffnung der Bürger. Unübersehbar ist die wirtschaftliche und militärische Bedeutung, die Lamprecht einer solchen Stadt bereits beimisst, - und man ist geneigt, auch von ihrer machtpolitischen Bedeutung und der ihrer Bürgerschaft, was immer damit auch genau benannt sein mag.

 

Für die Unterstützung bedankt sich Heinrich IV. mit Zollprivilegien (auch für die Juden)  an den königlichen Zollstationen Frankfurt, Boppard, Hammerstein, Dortmund, Goslar und Enger:

 

 

...sie, von denen wir wissen, dass sie in der ganz großen Erschütterung des Reiches mit ganz großer und besonderer Treue zu uns gehalten haben, obgleich wir sie weder durch ein mündliches, noch durch ein in einem Brief von uns selbst oder einem Boten vermerktes, noch überhaupt irgendein Wort zu dieser so hervorragenden Treue gewonnen hatten. … Denn die Abgaben, die man in deutscher Sprache als „Zoll“ bezeichnet, welche die Juden und die anderen Wormser in allen Zollstätten,die der königlichen Gewalt zugehören (…), bei der Durchreise zu zahlen verpflichtet waren, haben wir den Wormsern erlassen. (in: Engel/Jacob, S. 19ff)

 

 

Das ist eine erhebliche Neuheit in der deutschen Stadtgeschichte.

 

Die Stadt wiederum bedankt sich damit, dass sie den Bischof weitgehend aus der Stadt ausgeschlossen hält, wodurch der König und danach auch sein Sohn die meiste Zeit (bis 1115) direkte Stadtherren sind. Die Abwesenheit eines Bischofs oder auch Erzbischofs scheint wie in Norditalien für das geistliche wie weltliche Leben in der Stadt problemlos zu sein.

 

1114 bestimmt Heinrich V. auf Bitten der Bürger, "dass künstig kein Vogt ihre Ehen scheiden oder eine Todfallabgabe erheben durfte und selbst beim Fehlen unmittelbarer Nachkommen die nächsten Erben ihr Vermögen erhalten sollten." (Esders, S.107)

 

***Hildesheim***

 

Außerhalb des ehemaligen Raumes des Imperium Romanum sind Bischofsstädte Neugründungen und diesen kann bereits eine Ansiedlung vorausgehen wie die Kaufmannssiedlung, aus der die Bischofsstadt Hildesheim hervorgehen wird. Am Hellweg gelegen und geschützt durch Flussläufe war bereits im 7. Jahrhundert eine Ansiedlung entlang eines Straßenmarktes entstanden. Diese Siedlung wird so bedeutend, dass um 815 der Bischofssitz von Elze dorthin verlegt wird, auf einen Hügel in der Nähe. 852 beginnt der Dombau, bei dem bereits ein zweiter Siedlungskern entsteht, der die bischöflichen Interessen bedient.

 

Die Bischofskirche gewinnt schnell solchen Reichtum an Grundbesitz, dass sie Anfang des 10. Jahrhunderts den Besitz zwischen Bischof und Domkapitel teilt.

Noch vor der Jahrtausendwende erhält die Kaufmannssiedlung beim Alten Markt das Marktrecht und bald danach seine Marktkirche St.Andreas. Diese ist eine eigene Kirche der Kaufleute, so wie es solche auch in Münster, Paderborn, Minden, Magdeburg und Braunschweig gegebn wird, die zunächst alle keine allgemeinen Pfarrkirchen sein dürften.

Inzwischen wird unter Bischof Bernward der Dombezirk mit Mauern, Türmen und zwei Toren umgeben. Er lässt St. Michael erbauen, weitere Klöster siedeln sich an.

 

Die Kaufsmannssiedlung um St.Andreas wächst deutlich abgesetzt von Domburg und dem Michaeliskloster. Wohl Mitte des 11. Jahrhunderts wird die Marktsiedlung wohl mit einer Mauer umgeben. Mit ihrer Entwicklung drängt sie die Domburg an den Rand der Stadt.

Im kriegerischen Konflikt vom Bischof mit dem Markgrafen von Meißen wird ersterer gefangen genommen und bietet die Übergabe der Stadt gegen seine Freilassung an. Die Einwohner wehren allerdings diese ab und warten dabei bis zum Entsatz durch ein kaiserliches Heer.

 

***Halberstadt***

 

Die Bischöfe fördern weiter das Wirtschaftsleben ihrer Stadt. Burchard II. setzt bei Heinrich IV. eine Bestätigung aller Rechte durch und der fügt für die Halverstendenses negotiatores Zollbefreiung auf allen königlichen Märkten hinzu. Ein für den Marktort zuständiger tribunus plebis taucht auf, eine Art Stadtschultheiß.

In einer Urkunde des Bischofs sollen huius mercati honorem atque iura mercatorum gemehrt werden. (Schulze in: Schwineköper, S.395). Es enthält die Befreiung vom bischöflichen Sendgericht und Schutz des Erbrechts von Töchtern.

1105 erhalten die incolae loci nostri, cives videlicet forenses vom Bischof die Kontrolle über den Fleischverkauf und die Aufsicht über Maße und Gewichte und eine Marktgerichtsbarkeit. Bis zum Aufkommen einer Ratsverfassung (vielleicht in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts)gibt es noch die Bürgerversammlung (burmal bzw. burding).

1241 wird ein Ratshaus erwähnt. Inzwischen gibt es Handwerkerinnungen und eine Kaufleute-Gilde (koplude-innunge).

 

***Würzburg***

 

In Bischofsstädten ist die städtische Entwicklung eng verbunden mit der der Diözese, und dort, wo Bischöfe sich darüber hinaus engagieren, mit dem Reich und seinen übrigen Fürsten. Als Beispiel mag Würzburg im 11. Jahrhundert dienen, eine reiche und mächtige Diözese, in der es dem Bischof, wie eine Quelle behauptet, gelungen sein soll, bereits alle Grafschaften zu kontrollieren.

 

Städte entstehen nicht nur an einem Ort und in ihren Mauern, sondern als Teil sehr komplexer regionaler und überregionaler Machtgeflechte, in deutschen Landen noch komplizierterer als anderswo. Als Beispiel mag Würzburg gelten, wie es Rainer Leng so eindrücklich schildert (S.86-139). Im schrittweisen Loslösungsprozess der Bürgergemeinde aus der bischöflichen Stadtherrschaft darf zunächst einmal nicht vergessen werden, dass es „seine“ Stadt bleibt und dabei nach und nach zu der eines geistlichen Reichsfürsten wird.

 

Als seine Stadt ist sie der Hauptort seiner klar definierten Diözese. Zugleich ist sie aber Residenzort über seinen weltlichen Besitz, den Historiker heute als sein Hochstift bezeichnen. Als das Bistum von einem Vorfahren Karls ("des Großen") gegründet wurde, hatte es zunächst den Zehnten aus Königsgütern erhalten, die weit über die Bistumsgrenzen hinausreichten. Durch Schenkungen kamen in den nächsten Jahrhunderten zahllose Güter im ganzen Raum deutscher Lande dazugekommen, in denen er sich von Verwaltern als Grundherr und Gerichtsherr vertreten ließ. Im späten Mittelalter wird der Bischof also über rund 2000 einzelne Besitzungen, Rechtstitel und Einnahmequellen verfügen, von denen der größere Teil allerdings in seiner Diözese und davon wieder ein stattlicher Teil rund um Würzburg liegt.

 

Er ist so der mächtigste Herrscher in seinem Bistum, aber beileibe nicht der einzige. Da reicht die Grafschaft Henneberg in sein Bistum hinein, während der Bischof in der Gegend von Meinigen Enklaven im Henneberger Hoheitsgebiet besitzt. Da ist die staufische Reichsstadt Schweinfurt mit ihrem Umland. Im Osten sind Sachsen, Bamberg und Nürnberg, im Süden Besitzungen derer von Hohenlohe, von Reichsstädten wie Rothenburg, im Westen sitzen die Herren von Wertheim und Rieneck auf ihren Burgen. Zwischen rund 40 bischöflichen Amtsburgen in der Diözese sind die Burgen anderer, kleinerer und kleinster Herren angesiedelt. Einige der Bischöfe versuchen, Besitz im fernen Norden oder in den Alpen gegen solchen in der Nähe einzutauschen, aber es wird nicht gelingen, ein solide zusammenhängendes Territorium zu erringen, was kleinere Herren für ihre Bereiche ebenfalls langsam versuchen. Der „fränkische“ Herzogstitel hilft dabei auch nur wenig.

 

1045 wird Adalbero Bischof, zeichnet sich durch reichliche Bautätigkeit aus, und engagiert sich dann während der Minderjährigkeit Heinrichs IV. bei Hofe. Im Sachsenkrieg beteiligt er sich mit seinem Aufgebot und ist auch persönlich zur Stelle.

Soweit sind die Bürger noch nicht sehr betroffen. Als Heinrich aber dann in Worms dafür sorgt, dass Adalberos Name trotz seiner Kritik am dortigen Beschluss 1076 unter das Dokument gerät, welches Papst Gregor den Gehorsam aufkündigt, ist der Bischof empört und distanziert sich. Er tritt auf die Seite jener Fürstenopposition, welche Rudolf von Rheinfelden wählt und begleitet ihn dann zur Krönung nach Mainz und dann bis nach Sachsen.

Als der Bischof dann in seine Kathedralstadt zurückkehren will, lassen ihn die Bürger nicht hinein. Zusammen mit Rudolf wird die Stadt vergeblich belagert. 1080 ist Adalbero einer der wenigen deutschen Bischöfe, die die zweite Bannung Heinrichs begrüßen. Nicht viel später ernennt Heinrich einen neuen Bischof. Unter dem zweiten Gegenkönig Hermann von Salm wird die Stadt erneut belagert, diesmal erfolgreich, der Bischof kann kurz in "seine" Stadt einziehen, um dann aber vom Kaiser erneut vertrieben zu werden und nun endgültig ins Exil zu gehen.

Es ist nicht nur der Bischof, der die Stadt in gewaltsame Auseinandersetzungen hineinzieht, es sind auch die Bürger selbst, die diese mit Waffengewalt in Beschlag nehmen, nicht um die Machtverhältnisse umzustürzen, sondern um ihre internen Interessen mit dem dafür besten Bündnispartner durchzusetzen. 

 

1105 kann Kaiser Heinrich IV. zum letzten Mal einen eigenen Kandidaten für den Bischofsstuhl durchsetzen, und zwar gegen einen anderen vom aufständischen Sohn bestimmten Anwärter. Als dieser 1121 stirbt, kommt es zum Konflikt. Der fünfte Heinrich setzt auf Gebhard von Henneberg, der gerade in Paris studierte. Aber dessen mächtige Familie stellt schon seit längerem den Würzburger Burggrafen mit seinen militärischen und gerichtlichen Zuständigkeiten. Dagegen steht das Domkapitel mit seinen Adelsfamilien, die keine Vorherrschaft eines aus ihren Reihen wollen. Und dagegen steht die aufstrebende Familie der Staufer, die einen anderen Kandidaten unterstützt, ebenso wie der mächtige Erzbischof von Mainz. Zwischen Domkapitel und dem Henneberger kommt es zum blutigen Kampf, es brennt in der Stadt und kommt zu Verwüstungen außerhalb. Irgendwann nach 1125 muss Gebhard fliehen. Ein neuer Bischof, Embricho, wird einhellig gewählt und unterstützt. Seitdem die landwirtschaftlich begüterten Domherren im 11. Jahrhundert das gemeinsame Leben aufgeben, siedeln sie sich in großzügigen Höfen im östlichen Stadtbereich an, während im Westen die arbeitende Bevölkerung dicht gedrängt zusammenwohnt.

 

 

***Augsburg und die Konflikte um Kaiser und Papst***

 

Das antike Augsburg lebt als nachantiker und frühmittelalterlicher Bischofsort fort. Nach der Schlacht auf dem Lechfeld 955 wird Bischof Ulrich unter anderem mit dem Recht der Münzprägung belohnt. Die zunehmend bedeutendere Handelsstadt ist wie andere Bischofsstädte Teil jener Adelsfraktionen und Herrschaftsverbände, von denen königliche Macht abhängt.

1025 während des Italienzuges von König Konrad II. schließt sich der Welfe dem Aufstand des Schwabenherzoges Ernst an. Dazu heißt es bei Wipo in dem Tatenbericht über den König:

Ein gewisser Graf Welf in Schwaben, reich an Gütern und waffenstark, und Bischof Bruno von Augsburg hatten sich gegenseitig bekämpft und viel Übles durch Plündern und Brandschatzen im Reich angerichtet. Endlich drang der Graf in Augsburg ein, plünderte das Schatzhaus des Bischofs und verwüstete die ganze Stadt. Auf Druck des Kaisers erstattete er dem Bischof später alles zurück und entschädigte ihn. (in Schneidmüller, S.122)

 

Das aber ist harmlos im Vergleich zu dem, was die Zeit seit 1075 mit ihren Konflikten für eine Stadt wie Augsburg bedeutet. Ende 1074 fordert Papst Gregor Erzbischof Siegfried von Mainz auf, mit einigen seiner womöglich kritikwürdigen Bischöfe, über die er Untersuchungen anzustellen hatte, nach Rom zum Rapport antreten. Darunter ist Bischof Embriko von Augsburg. Der Rombesuch wird wohl nicht angetreten, und Embriko bleibt treu an der Seite Heinrichs.

 

Alles beginnt dann mit dem Einzug von Rudolf von Rheinfelden samt progregorianischen Bischöfen und Kardinallegaten im Sommer 1077. Bischof Embriko muss die Schuld seiner Kaisertreue bekennen, wird kurzerhand abgesetzt und darf nur provisorisch sein Amt weiter ausüben. Direkt danach stirbt er und es kommt zu einer Doppelwahl: Ein Wigolt wird von Teilen des Klerus und der bischöflichen militia zum Bischof gemacht, kurz darauf dann ein "schismatischer" Siegfried (II.), ein königlicher Kapellan.

1083 gelingt es dem Stauferherzog Friedrich von Schwaben mit Siegfried und dem Grafen die Welfenburg Siebnach zu zerstören. Wigolt kann sich gegenüber dem populus nicht durchsetzen und muss nach Füssen fliehen, wo er herstammt.

 

Anfang 1084 gelingt es dem bayrischen Herzog Welf IV. von der gregorianischen Partei, die Stadt unter Begleitung Wigolts mit einer List einzunehmen, die Stadt auszuplündern und zu verwüsten, wovon auch die Domkanoniker nicht ausgenommen werden, während Wigolt, nun im Amt, im Schutz des welfischen Heeres laut 'Annales Augustani' den Domschatz beraubt und unter seinen Anhängern verteilt. Siegfried kann fliehen. Erst als Heinrich IV. aus Italien zurückkehrt und sich auf dem anderen Lechufer niederlässt, flüchten die Besatzer. Bischof Siegfried wird wieder eingesetzt.

April 1088 gelingt es Welf IV. erneut, die Stadt einzunehmen, und nicht nur ihre (Stadt)Mauern zu zerstören, zu plündern und zu rauben. Wigolt taucht erneut dort auf und verschwindet dann wieder, um im selben Jahr zu sterben, während Bischof Siegfried von Welf in Ravensburg gefangengesetzt wird. Nachdem mehrere Versuche vom Welfen, vom Schwaben und vom Zähringer scheitern, antikaiserliche Bischöfe einzusetzen, die bald sterben, kann sich Siegfried 1090 mit Zahlung eines großen Lösegeldes freikaufen und nach Augsburg zurückkehren. 1092 gelingt es  der Bürgermiliz, einen weiteren bayrischen Angriff auf die Stadt zurückzuschlagen. 1094 versucht ein Abt von Kempten beim vom Vater abgefallenen Sohn Konrad in Italien das Bistum zu erlangen, stirbt aber dann.

Ende 1096 stirbt Siegfried und Heinrich IV. setzt den hochadeligen Herrmann aus dem Haus Cham-Vohburg ein, der offenbar mit der Waffengewalt seines Bruders der Stadt aufgedrängt wird. Ab 1100 schafft dieser Bischof Hermann die Aussöhnung mit Papst Paschalis II. und mit seinem Komkapitel. Ab 1106 gibt es neue Konflikte mit dem Papst, und dann besonders mit Gelasius II., der ihn bannt, weil er den Gegenpapst Gregor VIII. unterstützt. Erst nach der Anerkennung des Wormser "Konkordates" auf dem Laterankonzil kommt es zur Aussöhnung mit Calixtus II. (Alles nach Kreizer in: Kaufhold, S.7ff)

 

***Regensburg***

 

Regensburg ist Zentralort eines Bistums, aber keine typische Bischofsstadt, da die Macht hier geteilt ist zwischen den konkurrierenden Mächten von König, Herzog und Bischof, wobei selbst die Burggrafen Herrschaftsfunktionen haben.

Ende des 10. Jahrhunderts tauchen dort Juden auf, die auch Bauerngüter besitzen und im 11. Jahrhundert gibt es ein Judenviertel. Regensburger Juden betreiben Pelzhandel mit Kiew und Russland, wobei Karawanen mit christlichen Angestellten über Ungarn ziehen. (Schott in: Angerer, S.255) Spätestens im 12. Jahrhundert werden sie dann auch große Kreditgeber.

 

Wie sein Vorgänger wird auch Bischof Gebhard II. 1023 vom König eingesetzt. Dessen Nachfolger Gebhard III. (1036-60) versucht "seine" Äbte für Emmeran durchzusetzen und ist überhaupt ein ausgesprochener Machtpolitiker. Dagegen wendet sich der Mönch Otloh, der um 1049 die letztlich erfundene 'Translatio s.Dionysii Areopagitae' verfasst. Er unterscheidet "bereits eine Altstadt und eine Neustadt mit drei Bezirken für König (im Osten um das Niedermünster), Klerus (im Zentrum um Dom und Obermünster) und Kaufleute (nördlich von St.Emmeran, das jetzt ummauert wurde.(...) In der Stadt gab es außerdem zahlreiche Höfe auswärtiger Bischöfe und Klöster." (Goetz, S.210)

 

Um 1048 kann der Bischof eine Vakanz des Herzogs nutzen und die Münzprägung übernehmen und sich dann mit kaiserlichen Prägungen teilen.

 

1061 wird mit Otto ein konsequenter Parteigänger Heinrich IV. eingesetzt, der sehr aktiv an den Machtkämpfen im Reich teilnimmt. Er empfängt im Kampf gegen den Markgrafen von Meißen eine tödliche Wunde. Auch seine Nachfolger bleiben bis 1126 königstreu. Um 1100 teilen sich denn auch Kaiser und Bischof in die Münze, wobei die Pfennige nun immer regionaler werden.

 

Klosterstädte

 

Klosterstädte unterscheiden sich von Bischofsstädten durch die nicht per se gegebene weltliche Macht und durch den besonderen Schutz, dessen sie durch Vogteien bedürfen.Dennoch sind Klöster oft mächtige Gründer und Förderer von Städten, die ihrer Versorgung dienen und aus denen sie erhebliche Einkünfte als Herren ziehen.

Am Frauenkloster Essen, im 9. Jahrhundert gestiftet, wird es wohl bereits im 10. Jahrhundert einen Markt gegeben haben wie bei vielen Klöstern. König Heinrich III. privilegiert 1041 ausdrücklich einen solchen. Den Äbtissinnen gelingt es aber bis Mitte des 13. Jahrhunderts, als ein Mauerbau zusammen mit den Bürgern und Ministerialen beschlossen wird, den Ort ohne stadtgemeindlichen Charakter unter ihrer Kontrolle zu behalten. Und auch danach werden klösterliche Grundherrschaft und Stadt "eng verzahnt" bleiben (Th.Schilp).

 

Bereits Ludwig der Fromme stiftet das Kloster Corvey, dem er 833 auch die Einkünfte aus einer Münze verleiht, wohl um ihm damit Voraussetzungen für die Einrichtung eines Marktes zu geben. Aus ihm vielleicht geht Höxter in der Nähe hervor. Wie bei Essen und anderen Klosterstädte geht es um die Verbindung finanzieller Interessen der Äbte mit möglichst geringfügigen Mitwirkungsrechten der Bürger. Und so erfahren wir dann 1115 aus einer Urkunde das Abtes, nihil utilitatis considerans esse in foro, quod adiacet ponti in Hugseli (in: Konsumentenstadt, S.97). Daraus folgert er, nun feste Abgaben von den Marktständen dort einzuziehen, die dafür aber weiterhin verkauft, vermietet oder verpfändet werden können. Immerhin sind bei diesem Beschluss cunctis Hugseliensibus concivibus anwesend (s.o., S.98) und waren wohl auch irgendwie beteiligt.

 

Eine klassische Klosterstadt wird Gandersheim. Nach der Gründung des Kanonissenstiftes im 9. Jahrhundert entwickelt sich wohl vor allem im 10. eine Siedlung von habitatores dort, die 990 von Kaiser Otto III Münz-, Markt- und Zollrechte bekommt. Dort gibt es Kaufleute, insbesondere auch Fernhändler, Fleischer und Frauen, die Bier verkaufen. Den Markt kontrolliert auch im nächsten Jahrhundert die Äbtissin selbst. Alles bleibt auf die Bedürfnisse des Klosters nach Versorgung und vor allem nach Einkünften zugeschnitten. Im 11. Jahrhundert ist von einem oppidum die Rede im 12. von einer civitas, aber eigentliche Gemeindebildung erfolgt erst viel später. (alles nach Sven Rabeler in: Konsumentenstadt, S.98ff)

 

Schaffhausen entstand um die Jahrtausendwende an einer Furt des Rheines als kleine Handelsstation. 1045 erhält Graf Eberhard von Nellenburg das Münzrecht für Scafhusun. Mit der Gründung des Allerheiligenklosters 1049 durch die Nellenburger beginnt es erheblich zu wachsen. Der Sohn des Klostergründers schenkt 1080 die Stadt samt Markt- und Münzrecht und macht so den Abt zum Stadtherrn. Mitte des 12. Jahrhunderts gibt es in den Mauern bereits 112 bebaute Hofstätten, neun Bier- und zwei Weinschenken, und die Stadt hat wohl damals bereits mit dem Kloster rund tausend Einwohner (KellerBegrenzung, S.254). 1190 werden Stadt und Kloster reichsunmittelbar.

 

Um 826 gründet Bischof Radolf von Verona eine nach ihm benannte Cella, die dann mit Reliquien insbesondere des Apostels Markus ausgestattet und so zum Pilgerort wird. 1100 gründet der Abt von der Reichenau auf seinem Gebiet des Stiftes Ratolfiscella zusammen mit dem dortigen Vogt, dem dortigen Meier (villicus) und den Stiftsherren das Forum in villa Ratolfi, also auf dem Boden der dortigen Ansiedlung. Dort gibt es gegen eine Abgabe an den Meier das freie Eigentumsrecht über Immobilien und iusticia et libertas der Stadt Konstanz. Hörige des Stiftes sollen auf ihrer Scholle bleiben, wenn sie aber erst einmal Eigentum in der neuen Stadt erworben haben, sind sie dem städtischen Recht unterworfen. Da den Hörigen durch die Gründung die Nutzung von Wald und Allmende-Weide (ligna et pascua) eingeschränkt worden ist, wird ihnen das Recht auf Handel in der Stadt verliehen. Die Vogteirechte gehen an Reichenauer Ministeriale, die zusammen mit Meier und Schultheiß für die Gerichtsbarkeit in der Stadt und die Abgaben der nun verkleinerten Villifikation zustänbdig sind.

Bald wird die Stadt ummauert und mit Tortürmen versehen. Eigentliche Stadtrechte gibt es erst nach erneuter direkter Unterstellung unter den Reichenauer Abt 1267. Aufgrund der massiven Verschuldung der Abtei gelangt Radolfzell Ende des Jahrhunderts an die Habsburger.

 

Schon 944 wird für Cluny ein burgum erwähnt, welches neben dem castrum der Abtei seinen eigenen Frieden besitzt. Herzog Wilhelm von der Normandie vergibt seinem Kloster Bec licentiam burgum faciendi circa ipsum monasterium. (in: Frühgeschichte, S.7). In Beaupreau dürfen die Mönche von Saint Serge von Angers einen bourg errichten, der so groß sein darf wie sie es schaffen (Frühgeschichte, S.131).

 

Um 1070 bietet Raoul von Fougères den Mönchen von Marmoutier an, bei seinem castrum ein Priorat anzulegen, die Lage wegen ihrer angenehmen Schönheit. Dort dürfen sie Kirche und Wohngebäude anlegen und er fügt die Erlaubnis hinzu, einen burgus am Kopfende der Brücke über den besagten Fluss zu gründen. (…) Ich gewähre den Mönchen für das ganze Jahr den Zehnten auf alle Waren, die man dort auf den Markt kommen sieht und die Hälfte von der Messe, die jedes Jahr an der besagten Burg in der Oktave von Pfingsten stattfindet. (in Audebert/Treffort, S.112)

Hier entsteht ein Ort mit städtischen Qualitäten gemeinsam durch einen Burgherrn und ein Kloster, - und direkt neben beiden.

 

Zu erwähnen wäre vielleicht noch, dass manche Leute die einzigen vielleicht stadtähnlichen Ortschaften in Irland als Klosterstädte bezeichnen. Es handelt sich dabei um Ansiedlungen von Kaufleuten und Handwerkern um ein Kloster, bei denen es manchmal im 12. Jahrhundert auch einen Markt gegeben haben soll. Tatsächlich aber entstehen richtige Städte in Irland erst im Zuge der anglonormannischen Eroberung.

 

Pilgerstädte

 

Das klassische Beispiel ist Santiago de Compostela: Lokale und regionale Interessen verbanden sich im 9. Jahrhundert mit dem Wunsch eines Königs von Asturien, einen zentralen Heiligen samt Heiligtum für den Abwehrkampf gegen die Mauren zu gewinnen. Entsprechend „fand“ man „am Ende der Welt“, wohin die Leiche des Apostel Jakobus nach populären Legenden gelangt sein soll, die heiligen Überreste und baute ihr eine Kirche.

 

Noch im 10. Jahrhundert zunächst überwiegend ein innerspanisches Heiligtum, entwickelte sich der kleine Ort im Zuge des Aufschwungs des Pilgerwesens im 11. Jahrhundert zur Stadt, die Reichtum über die Gaben der Pilger anhäufte. Dazu kam das Beherbungswesen, die Gastronomie und der Verkauf von Devotionalien, zu denen nicht zuletzt die unter anderem für manchen auch wohlschmeckende Jakobsmuschel als Pilgerabzeichen gehörte.

 

Die Fälschungen, aus denen heraus Santiago de Compostela erfunden wird, finden auch für schon bestehende Bischofsstädte statt. Im zehnten Jahrhundert scheint es zu einem Aufschwung des Pilgerns nach Limoges zum heiligen Martial gekommen zu sein. Die Bischöfe unterstützen eine Legendenbildung, die einen Bischof des 3.Jahrhunderts in einen Apostel Aquitaniens umdichten. Mit dem Neubau einer Klosterkirche durch Abt Odalrich wird diese Legendenbildung verstärkt, was die Pilgerströme verstärkt. Der sehr belesene Mönch Ademar von Chabannes kommt zu Studienzwecken aus dem Kloster St. Eparchius in Angoulême und unterstützt das mit Texten und der Musik zu einem Text, der angeblich von Martial stammen soll. Schließlich siedelt er mehrmals eine ganze Weile ganz in das Kloster mit der neuen Kirche um und schreibt Fälschungen, um Martial zu einem Zeitgenossen und Apostel Jesu zu machen, zu einem Juden übrigens obendrein. 1031 erkennt ein Papst die Apostel-Haftigkeit Martials an, wenigstens in einem von Ademar gefälschten Brief.

 

Limoges erlebt einen erheblichen Aufschwung, und Martial mit seinen Reliquien wird zum Zentrum einer regionalen Friedensbewegung. Das Kloster wird Mitte des 11. Jahrhunderts von den Cluniaszensern übernommen, die gegen Ende desselben die „Apostolizität“ anerkennen. Zu den Pilgerströmen nach Limogen kommen nun die Neubauten von Martialskirchen in vielen Regionen Aquitaniens. (nach: Richard Landes, Relics, Apocalypse, and the Deceits of History: Ademar of Chabannes, 989-1034. Cambridge HUP, 1995). 

Eine alte Pilgerstadt ist auch Tours mit seinem Heiligen Martin. Nicht überall entwickeln sich dann aber Städte, das abgelegene Conques mit seiner heiligen Fides führt nur zur Ansammlung weniger Häuser, wie auch das Rocamadour mit seiner schwarzen Jungfrau.

 

Wieder anders war der Aufstieg von Sint Truiden/Saint Trond. Hier gründete der wegen seiner Heiligkeit berühmte (St)Trudo um die Mitte des 7. Jahrhunderts ein Kloster. Der große Reichtum, den Scharen von Pilgern dem Kloster einbrachte, verhalf einer zunächst kleinen Siedlung daneben zum Aufstieg. Im 11. Jahrhundert wurde eine große Abteikirche gebaut, um dem großen Pilgerstrom gerecht zu werden.

 

Keller schreibt: "Die Klostersiedlung von St.Trond soll wie eine belagerte Stadt ausgesehen haben, weil sich an allen Zugangswegen schon weit vor dem Ort Zelte, Laubhütten und andere provisorische Unterkünfte drängten. Die Kaufleute konnten mit Tragtieren, Karren und Wagen kaum herbeischaffen, was zur Versorgung solcher Menschenmengen notwendig war.“ (Begrenzung, S.222)

 

Bald danach wurde die entstehende Stadt erst mit Holzpalisaden, und dann mit einer Steinmauer (1129) umgeben. Sint Truiden verließ sich aber nicht wirtschaftlich auf die Pilgermassen, sondern entwickelte wohlhabende Handwerke mit mächtigen Zünften und einen ausgiebigen Tuchhandel bis nach England und Frankreich.

 

Städte weltlicher Fürsten

Ein kleiner römischer Marktort verfällt auf dem Weg ins frühe Mittelalter, aber dort, an einer Handeslstraße, die Italien und England verbindet, gibt es laut Lambert von Ardres' Chronik der Grafen von Guines im frühen Mittelalter ein Wirtshaus für die Handvoll Bauern und Hirten der Gegend vor allem: Mansit tamen ibi in medio agri pascui secusvia, in loco, ubi rustici homines et incompositi ad bibendum vel ad cheolandum vel eitiam herliandum propter agri pascui largam et latam planiciem convenire solebant. (in: Konsumentenstadt, S.87) Aus dem gastlichen Ort wird dann eine villa namens Ardea nach dem flämischen aard, Erde.

Nach 1060 beginnt wohl der Weg in die Stadtentwicklung, als ein Arnold, Vasall des Grafen von Guines, dort eine motte mit donjon baut: Quomodo Arnoldus villam Ardee oppidum fecit liberum. (s.o.) Damit sind wir im späten 11. Jahrhundert, und eine Siedlung, inzwischen mit Markt, mit Wall und Schöffenkollegium entsteht auf Initiative eines mächtigen und einflussreichen Adeligen, dessen Sohn dann auch am ersten Kreuzzug teilnimmt. Die kleine Stadt wird in den nächsten zwei Jahrhunderten immer wohlhabender und verwaltet sich unter ihren Stadtherren immer selbständiger.

 

Im 10. Jahrhundert gibt es im späteren Nürnberg (Norenberc) eine Burganlage, die zwischen 1040 und 50 erheblich erweitert wird. Neben dieser später sogenannten Kaiserburg entsteht die Burg des Burggrafen. Mitte des 11. Jahrhunderts stirbt im später nach ihm benannten Reichswald der Eremit Sebald, bei dessen Grab Wunder geschehen sollen, die zu seiner Heiligung führen.Zwei Königshöfe nördlich und südlich der Pegnitz versorgen die Burg mit ihren zwei Ministerialen und deren Gefolge.

In dieser Zeit findet (1050) ein erster Hoftag in Nürnberg statt. Heinrich III. fördert die Stadt wohl auch, um einen Gegenpol gegen Bamberg zu erhalten. 1062 wird ein Markt privilegiert und mit Münz- und Zollrecht begleitet. Damit steigt Nürnberg gegenüber dem älteren (Bambergischen) Fürth auf. Die Stadt bleibt aber zwischen dem Bischof von Bamberg (Sebalder Seite) und dem Bischof von Eichstätt (Lorenzer Seite) geteilt. Mit der Sebaldusverehrung wird Nürnberg zur Pilgerstadt.

 

***Goslar***

 

Ein anderes Modell von Stadtentwicklung bietet Goslar. Dort war ein Dorf, und als man Mitte des 10. Jahrhundert im Rammelsberg die reichlichen Vorkommen an Silbererzen entdeckte, entstand eine Bergmannssiedlung. Das Bergwerk geht wohl direkt auf Otto I. zurück. Mit dem Untertagebau dort wird dann dort ein neues technisches Niveau des Ausplünderns des Planeten erreicht. Daneben entsteht eine „Marktsiedlung mit Kirche und Viereckplatz als neues Zentrum des Nahhandels.“ (Pitz, S. 201)Das Silber veranlasst Kaiser Heinrich II., die Pfalz Werla dorthin zu verlegen. Die Kaufleute erhalten in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts eigenes Recht.

 

Aber das hat noch einen zweiten wesentlichen Grund. Werla war der Versammlungsort des widerspenstigen sächsischen Adels, und die (sächsischen) Könige besuchten die dort regelmäßig stattfindenden Tagungen, um sie zu kontrollieren. (Schubert in Bernward S.215) Ab 1009 sieht sich der König stark genug, die sächsischen Großen nach Goslar zu zwingen, in „seine“ Stadt.

1051 lässt Heinrich III. zum Neubau eines palatium eine Stiftskirche erbauen und das dazugehörige Stift St. Simon und Judas, welches der Ausbildung der Hofkleriker dienen soll. Zwei weitere Stifte kommen hinzu. Im Schutz der neuen Pfalz auf dem Liebfrauenberg entsteht eine Kaufmannssiedlung.

 

Dann werden Pfalz und Siedlung mit einer Befestigungsanlage umgeben. Anfang des 12. Jahrhunderts besteht die Stadt bereits aus vier Siedlungen mit ihren Pfarrkirchen. Laut Groten zeichnet sich hier „eine Stadt neuen Typs“ ab, die nicht mehr aus einem Bischofssitz entsteht, sondern aus einer Pfalz heraus, und die direkt dem König untersteht. Dabei wird die Stadt aber mit Stift und Kirchen fast wie ein Bischofssitz ausgestattet. 1131 wird sie zum ersten Mal als civitas bezeichnet, 1152 auch von Friedrich Barbarossa. 1219 erhält sie das Stadt-Privileg von Friedrich II.

 

***Lübeck***

 

Die slawische Abodritensiedlung Siedlung Liubice wurde von Heinrich dem Löwen gegen Schleswig favorisiert. Aber 1138 wurde sie zerstört und dann  1143 vom Grafen Adolf II von Schauenburg und Holstein neu errichtet, um einen Ostseehafen zu installieren. Es wurde in Lubeke umbenannt.1163 wird das Bistum von Oldenburg durch den Löwen nach Lübeck verlegt. Im selben Jahr beginnt der Dombau. Die edificatio civitatis Lubicanae, wie das Helmold von Bosau ausdrückt, bedeutet eine echte Stadtneugründung durch einen Fürsten, der bewusst Fernhandel vor allem über die Ostsee fördern möchte. Stadt und fürstlicher Reichtum gehören längst zusammen.

Daran schließt sich auch Heinrich der Löwe an: Et transmisit dux nuntios ad civitates et regna aquilonis, Daniam, Suediam, Norwegiam, Ruciam, offerens eis pacem, ut haberent liberum commeatum adeundi civitatem suam Lubike. Et statuit illic monetam et theloneum et iura civitatis honestissima. (Helmolds Slavenchronik). Nicht nur Münze, Zoll und Recht sollen die Stadt als Einkommensquelle fördern, sondern auch damit verbundene Außenpolitik.

 

 

Könige fördern Städte aus demselben wirtschaftlichen Interesse wie Bischöfe und weltliche Fürsten: Als Stützpunkte für die Ausbildung von Territorien und als Einnahmequelle. Zu solchen gehören das thüringische Frankenhausen und Lüneburg, beide auf Salz gebaut.

 

Das antike castrum Boppard am Mittelrhein bleibt kontinuierlich besiedelt und als fränkischer Königshof und Münzstätte erhalten. Die Sachsenkaiser halten sich dort gelegentlich auf. 1050 erhält die Stadt unter Heinrich III. Marktrechte, unter seinem Nachfolger Zoll, immer Reichsministerialien unterstellt, die dort auf ihren Adelshöfen leben. Heinrich IV. kauft seinen Ministerialen in Boppard Häuser ab, lässt sie abreißen und vergrößert so den Marktplatz. (KellerBegrenzung, S.64)

 

 

In den hundert Jahren Salierherrschaft vervielfacht sich die Einwohnerschaft und die Fläche für das königlich/kaiserlich geförderte Speyer, eben nicht nur eine Bischofs- sondern nun auch eine Kaiserstadt auf das Fünffache der Fläche. Da das Flächenwachstum mit dem Bevölkerungswachstum des öfteren nicht Schritt halten kann, wird vom Hausbau mit in die Erde versenkten Pfosten zum Aufbau auf steinernem Fundament übergegangen und auch dadurch mehrgeschossiges Bauen ermöglicht.

Mit der Verteilung von Rechten erst an Einzelne und dann an Gruppen werden Neu“Bürger“ dann geradezu angelockt.

 

Bürger und Stadt. Zensuale und Ministeriale.

 

Was ein Bürger sei oder gar, was man als bürgerlich bezeichnen könnte, ist durch die Zeiten und die Räume des lateinischen Abendlandes (lateinisch im Unterschied zum griechisch/slawischen) immer reichlich unklar geblieben. Das hat auch damit zu tun, dass das Wort nicht dem lateinischen Vokabular entstammt, mit dem die Gebildeteren miteinander verkehrten, sondern germanischen Volkssprachen, unter anderem dem Fränkischen. Das Wort „Bürger“ schlich sich dabei langsam ein, um dann sogar in lateinischen Texten aufzutreten, im germanischen Skandinavien, England, den deutschen Landen, aber auch in den beiden entstehenden „französischen“ Sprachräumen und in Italien.

 

1075 erneuert der Abt der Reichenau ein Privileg Ottos III. für Markt und Münze in der villa Alospach (Allensbach). aber es ist noch von Einwohnern, oppidi villanis, die Rede, die das Recht haben, mercatores, also Kaufleute zu sein, soweit sie nicht im Wein- und Ackerbau beschäftigt sind (in: Hergemöller, S.106).

 

Das deutsche Wort Burg bezeichnet im frühen Mittelalter jeden befestigten Ort (statt) und damit auch die Reste urbaner Zentren einer civitas. Noch um 1100 heißt Köln im Annolied die sconistir burge, also die schönste Stadt.

Darin leben altenglisch burgware, die Verteidiger der Burg, althochdeutsch burgari. Das Wort Burg (oder Berg wie in Nürnberg) geht dem Wort Stadt voraus, (im Westfrankenreich bourg, in Italien borgo) irgendwann im späten Mittelalter werden darin steter leben, aber lange vorher heißen sie überwiegend bereits Bürger (mittellateinisch: burgenses).

 

Als dann zunehmend steinerne Burgen auf Anhöhen oder als Wasserburgen auf dem flachen Lande errichtet werden, konzentriert sich der Wortsinn von Burg auf diese. In den Vorstädten (burgi) der Handwerker und Händler bürgert sich dann im westfränkischen Raum nach 1000 für diese der Begriff burgensis ein, der zukünftige bourgeois. 1066 unterscheidet der Bischof von Lüttich die burgenses ville von uns sers / son sierf, also den Hörigen (s.u.). Im deutschen Sprachraum, wo im 11. Jahrhundert die „Stadt“ als Ortsbezeichnung die „Burg“ abzulösen beginnt, wird dieser westfränkisch-lateinische Ausdruck übernommen, zum ersten bekannten Mal in Mainz 1099.

Als solche sind sie aber bald nicht mehr einfache Stadtbewohner, sondern Leute mit bestimmten Rechten. Diese sind zunächst untereinander und vor allem von Stadt zu Stadt verschieden.

Solche Rechte sind aber zunächst beschränkt auf Leute, die immobiles Eigentum besitzen, meist ein Haus, in dem sie wohnen. Die Bürgergemeinde ist dann analog zum Adel eine Grundbesitzergemeinschaft in der Stadt von denen, die zudem wenigstens ein Haus dort besitzt.

 

Es entstehen Stadtrechte, in denen Bürgerrechte enthalten sind, die nun für alle Bürger gelten, und vor allem auch Bürgerpflichten, aus denen ja überhaupt erst die Rechte hervorgehen.

Aber das Wort behält wie so viele im früheren Mittelalter eine starke Unklarheit, soweit es nicht lokal und zeitlich konkret definiert ist. Sicher ist nur, dass der Adel und die Geistlichkeit nicht bürgerlich sind. Das wird bald ständisch definiert, der Adelige ist ein Krieger, der seinen Wohlstand auf der Verfügung über Land und Leute, also auf die Landbewirtschaftung von ihm persönlich Abhängiger gründet und möglichst Gefolgsleute hat. Das hindert Adelige nicht, selbst in Geschäfte zu investieren, die vornehmlich Bürgerliche betreiben, aber damit sind sie noch keine Geschäftsleute, jedenfalls noch nicht im hohen Mittelalter nördlich Italiens. Seitdem Adelige sich nach ihrer zentralen Burg benennen, kann man am Geschlechter-Namen ihren Adel ablesen, und das wird Bürgerlichen erst einmal nicht zugestanden. Deren Familien-Namen erst später im Mittelalter haben eher mit ihrem Handwerk, Geschäftszweig, ihrem Herkunftsort oder ähnlichem zu tun.

 

Man ist versucht, Bürger nach ihrem immobilen Besitz (Haus, Betrieb/Firma) und ihrem festen Einkommen zu definieren, welches nicht aus eigener abhängiger Arbeit herkommt, so wie irgendwann im 12. Jahrhundert für Freiburg/Breisgau festgelegt wird, dass es derjenige ist, welcher allgemein Eigentum im Wert von wenigstens einer Mark und bald darauf ein Grundstück und Haus darauf besitzt. Der Bürger ist dann meist ein kleinerer oder größerer Geschäftsmann, ob nun Schuhmachermeister oder Münzer. Alle anderen sind eher unbürgerlich oder sogar völlig unterständisch wie die Henker und Huren. Um den Bürger so vom Adel zu trennen, muss man betonen, dass dieser jede Form von Arbeit ablehnt, da er sie als Krieger und Herr seines Landes für unwürdig hält.

 

Es sind das Leute mit bestimmten Rechten (als Freiheiten), aber die bürgerliche Verfasstheit der Stadt bedeutet dann bald die Herrschaft von Vertretern des Großkapitals alter Geschlechter unter Ausschluss all der „Bürger“ mit gering kapitalisierten Firmen.

 

Der römische Begriff des cives wird als städtische Oberschicht bis ins Mittelalter tradiert, wobei er allerdings immer unklarer wird. Das ändert sich dann erst mit Vorgängen der Verrechtlichung in der Stadt, die von Seiten der Herrschaft vorangetrieben werden. Im 11. Jahrhundert tauchen in Würzburg zum ersten Mal in einer Urkunde sieben cives urbani auf, die von Bischof, Domherren und Minsterialen unterschieden sind (Leng, S.47)

 

Im Hofrecht des Bischofs Burchard von Worms (etwa 1025) sind laut Schulz alle jene Stadtbewohner gemeint, „sofern sie als Gerichtsgemeinde an der selbständigen städtischen Hochgerichtsbarkeit teilhaben und über erblichen Grundbesitz innerhalb der Stadt verfügen. Vor allem findet sich der Begriff der cives oder concives im Zusammenhang mit der Sicherung des Marktfriedens (in macello publico) durch die städtische Marktgemeinde (in conventu concivium).“ (Schulz, S.35)

 

Der Weg in die Gemeinde fasst also einmal alle nicht geistlichen und nicht adeligen Einwohner als concives unter einer Hochgerichtsbarkeit zusammen und wird dann immer mehr Unfreie einmal in die Zensualität entlassen, eine halbe Freiheit, und zum anderen stattsässige Ministeriale über ihre Ämter und Geschäfte in Formen innerer Selbstverwaltung führen, ebenfalls ein Weg in zunehmende Freiheit.

 

1084 wird Gebhard (III.), Bruder des Zähringer-Herzogs Berthold (II.), von der papstfreundlichen Partei auf die Konstanzer cathedra gehievt. Heinrich IV. setzt im Frühjahr 1092 den St-Gallener Mönch Arnold dagegen, den der St.Gallener Abt Ulrich dann mit Gewalt in die Stadt einzuführen versucht. Das scheitert an der Gegenwehr der "Bürger": sed civibus ad arma concurrentibus et forti pertinacia resistentibus inacti recesserunt, heißt es in der Petershausener Chronik über das Militär des Abtes, welches die cives dann noch bis auf St. Gallener Gebiet verfolgen (bei H.Maurer in: Investiturstreit, S.367). War bislang in den Quellen zu Konstanz nur von mercatores die Rede, so entsteht in der Situation der gemeinsamen Verteidigung der Stadt bei den geistlichen Autoren die Wahrnehmung einer soweit einheitlichen untertänigen Einwohnerschaft als cives. Diese sind offensichtlich (begrenzt) waffenfähig und zudem nicht nur als produktiv und distributiv Arbeitende und Abgaben Leistende für den Bischof wichtig, sondern auch als Teil seines militärischen Potentials.

1105 nennt der Bischof von Halberstadt die Bewohner seines locus, Ortes, cives forenses, Marktbürger, die bereits seit längerer Zeit mit Rechten ausgestattet worden seien (in:Hergemöller, S.117)

 

Langsam wird das Wort Bürger im deutschen Raum häufiger. Aber der „Bürger“ bleibt Untertan des meist bischöflichen Stadtherrn, der in einer Würzburger Urkunde von 1181 noch von einem burgensis noster spricht (Leng, S.47). Cives und Bürger sind dabei in vielen Urkunden weiterhin nicht klar umrissene Begriffe, und es gibt oft kaum Möglichkeiten, heute definitiv festzustellen, wer dazugehörte.

 

Bürger bleibt im lateinischen burgenses meist im Plural und ist mehr nur als die Ersetzung eines lateinischen durch ein germanisch verwurzeltes Wort. „Die Entscheidung von Stadtbewohnern des 11. Jahrhunderts für die Selbstbezeichnung 'Bürger' signalisiert einen fundamentalen Bewusstseinswandel, ein neues Selbstverständnis, das an die Stelle der Benennung nach der Gruppenzugehörigkeit (z.B. zu einer familia) die Identifizierung mit der Stadt gesetzt hat. Aus der Einzigartigkeit seiner Stadt leitete der Bürger Stolz und Ehre ab.“ (Groten, S.70)

 

Wer waren die cives bzw. burgenses, die ihre Stadt zunehmend gestalteten und verwalteten? Darüber sind aus zwei Gründen zum Teil nur Vermutungen anzustellen. Zum einen liegt das an der Dürftigkeit der Quellen, zum anderen an der damals rechtlich kaum fixierten und überhaupt noch nicht standardisierten Begrifflichkeit. Die Anfänge sind bei Handwerk und Handel zu suchen, wo persönliche Bindungen in geldliche verwandelt werden. Immer mehr servi gehen dabei in Zensualität über, die nicht mehr an eine Hufe gebunden ist und selbst örtliche Mobilität ermöglicht, sofern die Abgaben gezahlt werden.

 

Kaufleute entdeckt man wohl dort, wo es einen städtischen Markt gibt, und wo diese dann dort ihre Kirche gründen. Eine solche Kaufleutekirche entsteht zum Beispiel mit St.Lamberti im 11. Jahrhundert am Markt in Münster, welches nun bald Monasterium heißt. Sie hat noch keinen Pfarrsprengel, welcher erst mit der Eingliederung einer Kaufmannssiedlung in eine Stadt entsteht.

 

Zwischen Adel und Bürger stehen vor allem in deutschen Landen jene servientes, herausgehobene Dienstleute des Adels und der Herrscher, die bald auch Ministeriale heißen werden, zunächst noch unfrei, aber sich dann manchmal entweder in den niederen Adel aufschwingend oder aber in Städten als cives ins Bürgertum. Wenn sie bürgerlich werden, dann begeben sie sich in das inzwischen herausgebildete obere Bürgertum hinein, welches sich von den meisten Handwerkern absetzt und von den kleinen Buden- und Ladenbesitzern. Dieses obere Bürgertum zieht seinen Reichtum aus Geldwirtschaft und größerem Handel vor allem, wobei dann Gewinne auch in jene Produktionszweige gesteckt werden, die sich für größere Investitionen lohnen. Es ist dies die Unternehmerschicht des größeren und großen Kapitals, welches wirtschaftliche Entwicklung vor allem vorantreibt.

 

Im 11. Jahrhundert beruht das steigende Selbstbewusstsein von Ministerialen noch stark darauf, dass sie die bewaffneten Reiterkrieger der Bischöfe sind. 1066 hindern sie den Zutritt von Bischof Konrad von Trier in "seine" Stadt, weil er gerade ohne ihr Zutun gewählt worden war, und ermorden ihn schließlich, was zahlreiche Quellen wie am Ende noch Lampert von Hersfeld berichten.

 

Einen solchen Mainzer Ministerialen mit Namen Wignand (cives et serviens), der Ende des 11. Jahrhunderts in manchem bürgerliches Unternehmertum ähnlich wie wohl viele Valvassoren in Norditalien betreibt, erwähnt Büttner: "Er verfügt über Grundbesitz im Rheingau und über Rheinmühlen vor Mainz; er gibt an das Hirsauer Reformkloster Komburg 120 Hufen, die er zuvor mit eigenen Mitteln aufgekauft hatte; er errichtet in Hirsau Wirtschaftsgebäude und Werkstätten unter Abt Gebhard von 1092 an; er besitzt enge Verbindung zu der Stadtmainzer Abtei St.Alban; er ist befreundet mit dem Kämmerer Embricho und dem iudex Hartwin.  (in: Investiturstreit, S.358)

 

In Köln sind burgenses oder cives im 11./12. Jahrhundert oft Ministeriale, die ihren Einfluss oder ihr Vermögen "weit weniger ihrer ehemals dienstlichen Stellung als vielmehr ihrer Tätigkeit im Waren-und Geldhandel verdanken. (...) Diese Bürger haben Kirchen gebaut und Klöster reich dotiert, aber sie erwarten auch, dass ihnen die Pfarrwahl und die kirchliche Vermögensverwaltung weitgehend überlassen bleibt; die Plätze in den stadtkölnischen Klöstern beanspruchen sie für ihre Kinder." (U.Lewald in: Investiturstreit, S.393)

 

Die sich entwickelnde Ministerialität wird sich aufgrund ihrer Doppelrolle teilen: Sie sind miles, also schwer bewaffnete Reiter, zugleich versehen sie Aufgaben in der Spitze der Verwaltung. Sie sind rechtlich unfrei wie fast alle Nichtadelige, aber als Inhaber von Lehen, von lukrativen Ämtern wie dem des Münzers führende Geschäftsleute. Im Laufe der nächsten Jahrhunderte werden sie sich in den Städten in Bürger verwandeln und Kern der Gruppe der Meliores und noch später eines Patriziats werden. Diejenigen, die sich aus der Stadt entfernen, werden sich mit dem Landadel verheiraten und in dem Ritterstand aufgehen.

Spätestens im 13. Jahrhundert kann dann jemand ausdrücklich auch selbst als bischöflicher Ministerialer Bürger im rechtlichen Sinne sein, nachdem zuvor Ministerialität zwingend Unfreiheit bedeutete.

 

 

Wohl vor 1025 hat der Bischof von Speyer 11 mancipia, also Hörige, "die aus zwischen unfreien Männer und freien Frauen geschlossenen Ehen hervorgegangen und nach dem Prinzip der ärgeren Hand unfreien Standes waren, zu Zensualen erhoben und ihnen dabei zugesichert, dass sie für die Zahlung eines Zinses von jährlich zwei Denaren den Freigeborenenstatus der übrigen dem Altar der hl.Maria unterstellten Zensualen haben." (Esders, S.103) Der König bestätigt das in einer Urkunde und unterstreicht als rechtens, dass an ihrer Stelle elf andere mancipia traten, da Kirchengut unveräußerlich sei.

 

Ein Zinspflichtiger kann ein jeweiliges Bürgerrecht erlangen und Bürger beiderlei Geschlechts konnten sich in Zinspflicht begeben. Man konnte aber auch Teil der familia zum Beispiel des Regensburger Klosters St. Emmeran bleiben und zugleich völlig selbständig Handel in Kiew treiben. Verbürgerlichung kennt viele Wege.

 

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Zum Begriff „Bürger“ kommt der der Stadt. 1080/1120 taucht an einer Stelle des Annoliedes für Köln zum ersten Mal statt „Burg“ das Wort stat auf. In der Gründungsurkunde des Zähringerherzogs Konrad für Freiburg taucht dieses allerdings noch als Markt (forum) auf, um erst einige Jahrzehnte später in den (durchweg lateinischen) Dokumenten zur civitas zu werden. Allerdings tauchen hier auch nur Kaufleute (mercatores) als burgenses der Gründung auf (in: Hergemöller, S.124ff).

Im 12. Jahrhundert verbreitet sich diese Bezeichnung über den ganzen deutschsprachigen Raum. Anders als im westfränkisch/französischen Raum, wo ville aus villa hervorgeht, wird hier ein ganz eigener Begriff für das neue Gebilde geschaffen, und zwar offenbar aus der Bürgerschaft heraus. „Das nachrückende Wort muss in besonderer Weise geeignet gewesen sein, eine neue Stadtidee auszudrücken. Kern dieser neuen Idee wäre die Stadt als privilegiertes Wirtschaftszentrum gewesen, die Anreicherung der Bischofsstadt als religiöses Zentrum und Ort der Heilsvermittlung mit ihrer großen bis in die Antike zurückreichenden Tradition mit dem Aspekt der Wirtschaftsmetropole.“ (Groten, S.89)

 

Die Stadt bleibt allerdings eine Burg und wird es immer mehr im Sinne einer Festung. Die neue Bezeichnung verweist nur darauf, dass es mit dem entstehenden Bürgertum eine Art neue Trägerschaft für den Festungsbau gibt.

 

 

Exkurs: Zur Unklarheit im Wort "Bürger"

 

Was ein Bürger sei oder gar, was man als bürgerlich bezeichnen könnte, ist durch die Zeiten und die Räume des lateinischen Abendlandes immer reichlich unklar geblieben. Das hat auch damit zu tun, dass das Wort nicht dem lateinischen Vokabular entstammt, mit dem die Gebildeteren miteinander verkehrten, sondern germanischen Volkssprachen, unter anderem dem Fränkischen. Das Wort „Bürger“ schlich sich langsam ein, um dann sogar in lateinischen Texten aufzutreten, im germanischen Skandinavien, England, den deutschen Landen, aber auch in den beiden entstehenden „französischen“ Sprachräumen und in Italien.

 

Am Anfang stand die Burg, ein befestigter Ort (statt), in dem altenglisch burgware leben, die Verteidiger der Burg, althochdeutsch burgari. Das Wort Burg (oder Berg wie in Nürnberg) geht dem Wort Stadt voraus, (im Westfrankenreich in spezifischen Bedeutungen bourg, in Italien borgo) irgendwann im späten Mittelalter werden darin steter leben, aber lange vorher heißen sie überwiegend bereits Bürger. Als solche sind sie aber bald nicht mehr einfache Stadtbewohner, sondern Leute mit bestimmten Rechten. Diese sind zunächst untereinander und vor allem von Stadt zu Stadt verschieden.

 

Solche Rechte sind aber beschränkt auf Leute, die immobiles Eigentum besitzen, mindestens ein Haus, in dem sie wohnen.

 

Es entstehen Stadtrechte, in denen Bürgerrechte enthalten sind, die nun für alle Bürger gelten, und vor allem auch Bürgerpflichten, aus denen ja überhaupt erst die Rechte hervorgegangen sind. Zum immobilen Besitz des Bürgers kommt das feste Einkommen, welches nicht aus eigener abhängiger Arbeit herkommt. Der Bürger ist ein kleinerer oder größerer Geschäftsmann, manchmal ein Unternehmer, ob nun Schuster oder Bankier. Alle anderen sind eher unbürgerlich oder sogar völlig unterständisch, wie Henker und Huren.

 

Aber das Wort behält eine gewisse Unklarheit, soweit es nicht lokal und zeitlich definirt ist. Sicher ist nur, dass der Adel nicht bürgerlich ist. Das wird zunächst ständisch definiert, der Adelige ist ein Krieger, der seinen Wohlstand auf der Verfügung über Land und Leute, also auf Landwirtschaft gründet. Das hindert Adelige nicht, selbst in Geschäfte zu investieren, die vornehmlich Bürgerliche betreiben, aber damit sind sie noch keine Geschäftsleute, jedenfalls meist noch nicht im Mittelalter. Seitdem Adelige sich nach ihrer zentralen Burg benennen, kann man am Geschlechter-Namen ihren Adel ablesen, und das wird Bürgerlichen so bald nicht zugestanden. Deren Namen haben (später) im Mittelalter eher mit ihrem Handwerk, Geschäftszweig, ihrer Herkunft oder ähnlichem zu tun.

 

Zwischen Adel und Bürger oder eher neben beiden stehen vor allem in deutschen Landen jene servientes, herausgehobene Dienstleute des Adels und der Herrscher, die bald auch Ministeriale heißen werden, zunächst noch unfrei, aber sich dann entweder in den Adel aufschwingend oder aber ins Bürgertum übergehend. Wenn sie bürgerlich werden, dann begeben sie sich in das inzwischen herausgebildete obere Bürgertum hinein, welches sich von den meisten Handwerkern absetzt und von den kleinen Ladenbesitzern.

 

Im Verlaufe des hohen Mittelalters trennt sich also „Bürgertum“ in das kleine der meisten Handwerker und Besitzer kleiner Läden ohne politisches Mitspracherecht und das große des Kapitals der größeren und ganz großen Investitionen auf. Letzteres sorgt dafür, dass es die „politische“ Kontrolle über die Stadt bekommt und deren wichtigste Ämter besetzt. Zugleich hat es die Mittel, den Adel nicht nur machtmäßig, sondern auch von der Lebensform her zu imitieren, und ihn im Konsumniveau sogar manchmal zu übertreffen. Als Patrizier imitieren diese Geschlechter dann sogar deren Gebrauch der eigenen Familiengeschichte zur Begründung einer herausragenden Stellung.

 

In vielem steht so die bürgerliche Oberschicht dem Adel näher als ihren kleinbürgerlichen Kollegen, die sich manchmal, aber selten, sogar mit den unbürgerlichen „Arbeitern“ verbünden, aber vor längerer Solidarisierung mit ihnen dann doch oft zurückschrecken. Gemeinsam ist diesen grob eingeteilt zwei bürgerlichen Gruppen, dass ihnen mit dem Adelsprädikat auch die adeligen Vorrechte fehlen. Was also lässt sich (im Nachhinein) als bürgerlich definieren und ist beiden Gruppen positiv gemeinsam: Eigentum in einem selbständigen Gewerbe, welches sich entweder selten kapitalisieren lässt oder welches genau dazu da ist, zudem gewisse "bürgerliche" Rechte in der Stadt, und sonst nicht viel mehr.

 

Mit der Politisierung der Zünfte wird es später insbesondere in Süddeutschland Teilen des Handwerks gelingen, über Vertreter an dem Stadtregiment zu partizipieren. In so mancher Stadt wird nun wie in Augsburg das Bürgerrecht von der Aufnahme in eine Zunft abhängig gemacht. Damit lässt sich jetzt der Bürger des 15. Jahrhunderts "politisch" definieren: Er ist männlich, besitzt immobiles Eigentum und betreibt als Meister ein zünftiges Gewerbe oder ist unternehmerisches Kapital besitzender Geschäftsmann oder er ist beides, und er muss für das Recht erhebliche Zahlungen vom Einstand ins Bürgerrecht bis zu den Steuern leisten und zudem der Obrigkeit in immer umfassenderen Bereichen gehorsam sein. Schließlich besitzt er Waffen und ist zu Kriegsdienst verpflichtet.

Damit wird das späte Mittelalter zur frühen Neuzeit: Der politische Bürger partizipiert in der Masse an der Macht im wesentlichen durch "Treue und Gehorsam", die er beschworen hat, und als kleine elitäre Gruppe im Großkapital durch Machtausübung, die immerhin den Schutz der Bürger beinhaltet.

 

Die nichtbürgerlichen Städter wiederum, nicht im Vollbesitz von "Ehre" bzw. Ehrbarkeit, sind politisch komplett rechtlos und vor allem durch Pflichten definiert. Auch sie müssen Treue und Gehorsam schwören, Steuern zahlen und Kriegsdienste leisten. In einer besonderen Situation befinden sich dabei die Pfahlbürger oder Ausbürger, die im mehr oder weniger von den Mächtigen der Stadt kontrollierten Umland leben. Das sind reiche Bauern oder niedriger Landadel, die für das Bündnis mit der Stadt Teilrechte erhalten und dafür die Machtpolitik der Stadt mittragen.

Der Klerus des späten Mittelalters wird in einigen Städten wie Straßburg in das Bürgerrecht gezwungen, anderswo bleibt er draußen wie die Klöster, während die Juden bis zu ihrer Vertreibung bzw. Vernichtung gewisse Bürgerrechte besitzen, die die Steuerpflicht beinhalten, politische Partizipation aber ausschließen. Ist der Klerus dann Bürger, sind es die Juden?

Schwierig wird das auch für jene Leute, die auf dem Weg ins späte Mittelalter ebenfalls in Städte einziehen, die Ärzte und Juristen vor allem. Caesarius von Heisterbach erklärt in der späten Stauferzeit, in Köln gebe es viele physici (copia est, in: Groten2, S.32). Derselbe zeigt auch an einem Beispiel, wie gut sie sich offenbar manchmal bezahlen lassen. Im Falle dieser studierten Berufe ist es die Ausbildung, möglichst mit Abschluss und Titel magister, welche den Zugang zu Eigentum ermöglichen und damit dann eventuell eine "bürgerliche Lebensweise". Aber: Ist "bürgerlich" eine Lebensform, und wenn ja, welche?

 

An spanischen Texten des hohen und späten Mittelalters lässt sich sehr schön ablesen, wie wenig ein "Bürgertum" wahrgenommen wird. In der Chronik von Jaime I. heißt es, dass an den Cortes von 1214 neben der Geistlichkeit els rics hòmenes und de cada ciutat deu hòmens teilnehmen. (in: Manzano, S.819) Die "Reichen" sind wohl der Adel und das andere sind nicht "Bürger", sondern Städter, also Vertreter der kleinen städtischen Oberschicht. Noch 1330 verfügt König Felipe von Navarra ein fuero general, also eine allgemeine Rechtsetzung für prelados, ricos ombres cavaylleros et ifanzones et bonos ombres de bunas villas und á todo el otro pueblo de nuestro regno. Das sind die hohe Geistlichkeit, der hohe und der niedere Adel, die städtische Oberschicht und die Bauern.

Klar, die romanischen Sprachen entwickeln auf Dauer keinen dem Deutschen vergleichbaren Begriff von Bürgern, das aber deswegen, weil sie einen solchen überhaupt nicht wahrnehmen. Das nährt den Verdacht, dass hier wie bei mehreren anderen "Begriffen" der deutsche Sonderweg in der Geschichte eher ideologisierende Sehnsüchte benennen soll als Wirklichkeit.

 

Dort, wo das Mittelalter schwindet, früher oder später, bilden sich territoriale Herrschaften heraus, Fürstentümer oder Königreiche, die die Städte mehr und mehr oder zur Gänze einkassieren und den Bürgern viel von ihren bürgerlichen Rechten oder Freiheiten nehmen, jedenfalls soweit sie die Sphäre des Politischen betreffen. Das größere Kapital hat längst Adel und Fürsten finanziell von sich abhängig gemacht und kann sich im großen und ganzen darauf verlassen, dass die nun weithin ihre Interessen vertreten; sie brauchen nicht mehr selbst politische Ämter einzunehmen, damit sich ihre Interessen durchsetzen, das machen inzwischen die sich immer weiter entwickelnden neuen Formen von fürstlich-königlicher Staatlichkeit. Bürgerlich bleiben diese Leute im Geschäft, privat leben sie mehr und mehr wie wohlhabender Adel.

 

Der Begriff „bürgerlich“ geht zugleich in den Städten mehr und mehr auf neue Gruppen über. Das sind neben dem gehobenen Handwerk und den größeren Ladenbesitzern vor allem die gehobeneren Agenten der neuen Staatlichkeit (der Verwaltung vor allem). Dazu kommen die immer gefragteren, durch Schulbildung oder gar Universitätsstudium ausgezeichneten und sich immer weiter verbreitenden sogenannten „freien“ Berufe“: Ärzte, Apotheker, Notare, Anwälte, Lehrer und viele andere. Aus den freien Künsten, artes liberales, bildungsmäßig hervorgegangen, sind diese Leute meist selbständig, aber durch ihre Edukation und ihr Einkommen aus der Masse der weniger Besitzenden herausgehoben.

 

 

Während die wenigen Eigner größeren Kapitals sich mit den fürstlich-staatlichen Interessen zu identifizieren suchen, bleiben sie standesmäßig weiter Bürgerliche, soweit sie nicht geadelt werden, - mögen sie auch noch so sehr hochadeliger Lebensführung nacheifern. Als bürgerlich betrachten sich aber nun vor allem die zu Untertanen der neuen Staatlichkeit herabgestuften kleinen Geschäftsleute, die höheren Verwaltungsbeamten und die Vertreter der freien Berufe. Man kann sehr deutlich sehen, dass diese Leute wenig miteinander gemeinsam haben. Zunächst sind sie negativ definiert: Sie sind keine Adeligen und besitzen keine großen Kapitalien andererseits, stehen damit unter diesen beiden Gruppen. Nach „unten“ befinden sie sich im Gegensatz zu Bauern und „Arbeitern“, das heißt außerhalb der Sphäre der Produktion.

 

Was sie eint, ist vor allem ein gewisser mittlerer Lebensstandard als Konsumniveau. Darauf aufbauend setzen sie gegen den adeligen Ehrbegriff weiter den der Ehrbarkeit, der sich gerne als Rechtschaffenheit artikuliert und der vor allem moralisierte Untertänigkeit meint. Was sie von den Unterschichten trennt, ist, dass sie Handarbeit als ihrer unwürdig betrachten, ähnlich wie das für den Adel selbstverständlich ist. Dementsprechend wird die Hausfrau zur „Dame“, indem sie manuelle Arbeiten von Dienstboten verrichten lässt, und nach und nach wird auch der Mann zum „Herrn“, indem er sich abhängig Beschäftigte hält. Mit dieser Titulatur und dem Lebensstil versuchen solche Bürger Adel und Großkapital in kleinem Stil zu imitieren. Am Ende werden sie sich als „Herr“ Schmidt oder „Herr“ Müller anreden lassen, obwohl sie keine Herren sind und nie waren und nie werden.

 

Vom Freiheitsdrang als Wunsch nach politischer Partizipation in ihrer Stadt, dem Selbstbewusstsein auf sich selbst gestellter Geschäftsleute, eben dem, was sich im Mittelalter als „bürgerlich“ herausbildet, ist notgedrungen kaum noch etwas übrig. An deren Stelle ist Identifikation mit der Obrigkeit und Verachtung nach unten getreten. Dass man weiter von Bürgertum redet, obwohl die Masse der „neuen Bürger“ wenig nur noch mit denen von früher zu tun haben, mag daran liegen, dass die neuen Bürger aus den Unterschichten genau deshalb aufgestiegen sind, um nun ebenfalls ein bürgerliches Leben führen zu können. Es sind so im eigenen Bewusstsein Lebensstil und Konsumniveau vor allem, die den Bürger ausmachen.

 

Die Unklarheit dessen, was einen Bürger ausmacht, so wie er sich in deutschen Landen nun sieht, führt dazu, dass das Wort irgendwann im Englischen durch das der Mittelschichten (middle classes) ersetzt wird. Im Französischen verengt sich das Wort bourgeois immer mehr ähnlich wie im Spanischen der burguéso auf das Großkapital.

 

Von einer „bürgerlichen Gesellschaft“ zu sprechen, ist in mehrerlei Hinsicht unsinnig. Zum einen verschleiert das Soziologen-Kauderwelsch mit dem Fehlgebrauch des Wortes Gesellschaft, dass ein Untertanenverbund gemeint ist, in dem Mächtige sich Bevölkerung als Untertanen zuordnen, es findet kein sich einander Zugesellen statt, schon gar nicht bei den Massen in den modernen sogenannten Demokratien. In den mittelalterlichen Städten bilden sich zwar Gesellschaften, aber keine „Gesellschaft“ im Singular, und geprägt werden sie nicht von einem Bürgertum, sondern primär von den Verwertungsbedürfnissen großer Kapitalien und den politischen Bedürfnissen adeliger und fürstlicher Herren, - und daneben von mit diesen allen in immer größeren Widerspruch tretenden kleinen Gewerbetreibenden und Geschäftsleuten. Es entsteht eine städtische Zivilisation neuen Typs, aber keine bürgerliche Gesellschaft. Es entstehen auch keine bürgerlichen Wertvorstellungen, sondern die völlig verschiedenen von großem Kapital und Kleinbürgertum, neben der Unterschicht und zunächst noch vor ihr der Hauptanteil der Bevölkerung in den Städten.-

 

Der Versuch städtischer Mittelschichten neuen Typs, sich in der Neuzeit als „bürgerlich“ zu definieren, versammelt sie in einer untertänigen Mediokrität zwischen Fürsten und Großkapital einerseits und Bauern und Arbeiterschaft andererseits, die mit mittelalterlichem Bürgertum nichts mehr zu tun hat. Dass Kapital, wahrnehmbar üblicherweise als (viel) Geld, zwar nicht die Welt regiert, aber ihr ihren Stempel aufdrückt, macht sie kapitalistisch und nicht bürgerlich.

 

Einen klaren Begriff von „bürgerlich“ gibt es weiter nicht. Das hindert aber nicht eine Ausbildung von zwei gleichermaßen kuriosen Benennungen von Bürgerlichkeit, der eines kapitalistischen Großbürgertums und der eines von dessen Bewegungen und denen des Staates geprägten untertänigen Kleinbürgertums. Darunter wird das Volk verortet, einmal verächtlich als Name für die Unterschichten gebraucht, zugleich aber auch für die bäuerliche Landbevölkerung, von wohlhabenden Städtern seit dem späten Mittelalter idyllisiert und seit dem 18. Jahrhundert auch romantisiert, um dann als Wort seitdem systematisch politisch missbraucht zu werden.

 

Als das große Kapital ab 1776/89 den Staat zu seiner unmittelbaren politischen Agentur macht, entzweit sich der Untertanenverband zur Gänze in der Industrialisierung in Großkapital, die pseudobürgerlichen Mittelschichten und eine Industriearbeiterschaft. Das Ganze wird nicht als „Gesellschaft“ zusammengehalten, sondern durch die politische Organisierung einer industrialisierten Zivilisation in Form von Nationalstaaten.

 

Wenn der Adel im 18. Jahrhundert mit seinen bis dahin alle prägenden Lebensformen abdankt und den Industriekapitänen und großen Handelshäusern nach und nach die Macht als Gestaltungshoheit überlässt, hat sich das Wort „Bürgerlichkeit“ längst auf die es prägenden Kreise freier Berufe. selbständiger Geschäftsleute und von Verwaltungsbeamten konzentriert, die darunter einen schulischen Bildungsbegriff und eine bestimmte Mittelschicht-Lebensweise verstehen, die sich in der Lektüre von Romanen und gehobenerem Musik- und Kunstgeschmack niederschlagen soll. Das Verschwinden dieser Schicht, die bis in die Gegenwart zwischen Kapital und Arbeit zerrieben wurde, sollte eigentlich den Blick dafür öffnen, dass es sich eine bürgerliche Scheinwelt zusammengedichtet hatte, um der rauheren Wirklichkeit zu entfliehen.

 

Gewiss, das Bündnis von Mittelschichten und Großkapital hat die Demokratien und als ihr elementares Gut den Rechtsstaat hervorgebracht, eine Form, der der Inhalt leider inzwischen immer mehr abhanden kommt, aber aus Gründen der Klarheit über historische Zustände und Vorgänge sollte der Ausdruck „bürgerliche Gesellschaft“ aus dem Vokabular verschwinden. Ein Begriff war er nie, hatte er doch immer nur dafür gesorgt, Dinge nicht begreifen zu müssen und zu wollen.

 

 

Von den Gesellschaften zur Gemeinde I

 

Frühe mittelalterliche städtische "Gemeinden" sind deutlich vom Land abgetrennte Siedlungsverdichtungen aus Grundherrschaften, Handwerk und Handel, rechtlich privilegiert und wirtschaftlich aus dem Umland herausragend. Mit ihren divergierenden Interessen bilden die Einwohner nur ausnahmsweise eine Gemeinschaft, mal gegen den Stadtherrn, mal gegen Feinde von außen, im wesentlichen herrschen zivilisatorische Strukturen von Befehl und Gehorsam vor. Stattdessen entwickeln sie Gesellschaften, solche des Domklerus, der Klöster, der Münzer, der übrigen Handwerker, der Händler. Wichtigstes Ziel der mittelalterlichen Stadt wird die Generierung von Geld und insbesondere von Kapital in "bürgerlicher" und Reichtum in Herrenhand.

 

Gemeindebildung besteht in der Partizipation einer großbürgerlich-ministerialen Oberschicht an den Rechten und der Masse der Menschen an den Pflichten durch ihre Einvernahme. Je komplexer die städtischen Strukturen werden, desto mehr wandelt sich dann langsam Herrschaft in Obrigkeit, Übungsfeld für neuartige Staatlichkeit in deutschen Landen und der Nordhälfte Italiens zum Beispiel.

 

Die entscheidenden beiden Gruppen sind Fernhändler und Ministeriale, Da letztere Exekutiv-Funktionen für den Stadtherrn ausüben und zugleich den Kern seiner Kriegsmannschaft bilden, emanzipieren sie sich des öfteren langsam von reiner Dienstbarkeit und steigen mit zunehmendem Vermögen in lukrativere Handels-Sparten ein. Andererseits gelingt es auch reichen Kaufleute-Geschlechtern, in stadtherrliche Ämter einzudringen und daraus wird in der Folge eine nicht überall gleich stark vollzogene Tendenz zur Verschmelzung in einer gemeinsamen städtischen Oberschicht.

 

Über die Anfänge von Bruderschaften, Schwureinungen und Berufsvereinigungen weiß man nördlich der Alpen vor dem hohen Mittelalter wenig. Bekannt sind Kaufmannsgilden in Tiel (siehe Großkapitel Gewerbe), in Valenciennes und St.Omer, wobei von den beiden letzteren Statuten überliefert sind. Manches dürfte verloren sein, anderes wurde damals nicht schriftlich fixiert.

 

Frühe Kaufleute-Vereinigungen übernehmen Aufgaben der gegenseitigen Hilfe bei Raub oder Unfall, am Beispiel St.Omer auch der Bevorzugung von Gildegenossen auf dem heimischen Markt, des gegenseitigen Schutzes auch vor Gericht, der Friedensherstellung durch rechtliche Konfliktlösung, und das alles durch Verschwörung (coniuratio). Damit leisten sie das, was Könige und Stadtherren nicht zustande bekommen. Den Zusammenhalt festigen festliche Gelage und Mahlzeiten, gemeinsamer (christlicher) Kult und das Totengedächtnis.

 

Um 1020 wird berichtet, dass Tieler Kaufleute bei Schuldklagen nicht mehr Gottesurteilen unterworfen werden, sondern sich mit einem Eid reinigen können. 1066 wird dieser Grundsatz auf die Bürgerschaft von Huy übertragen, wo der Reinigungseid von zwei Eideshelfern dazu kommt. Das bedeutet eine erhebliche Erleichterung für den Handel, wobei allerdings zu bedenken ist, dass Meineide schwer bestraft werden. Die Bedeutung von Eiden wird auch von daher zunehmen und dann auf andere Vereinigungen bzw. Einungen übertragen werden.

Nach und nach wird Kaufleuten auch ein freies Erbrecht zugestanden.

 

In die Gemeindebildung werden dann genossenschaftliche Elemente der Kaufleute aufgenommen, was diese verändert. (Dilcher)

 

 

****Aufgaben****

 

Aus den cives werden im Laufe der Zeit in den Urkunden immer häufiger die burgenses, die sich über die gewerblichen Zusammenschlüsse auch zur Gänze für Gemeinschaftsaufgaben zusammenschließen.

 

Mittelalterliche Städte sind in gewissem Sinne Großburgen, also Festungen, und ein wesentlicher Zug ihrer Verbürgerlichung wird, dass die Bürger für Bau und Unterhalt der Festungsanlagen zuständig werden. Mit solchen Aufgaben sind Kosten und Arbeit verbunden, und wenn die cives Aufgaben und Kosten übernehmen, wie die Kaufleute von Saint-Omer um 1080 für die Pflasterung von Straßen und den Bau der Stadtmauer, zieht das Rechte und ein Gemeinschaftsgefühl nach sich. Die Befestigung der Stadt liegt im gemeinsamen Interesse des Stadtherrn bzw. der Herren in der Stadt und zugleich der Bürger und fördert so deren Partizipation.

 

Zur Mauer gehören Tore, die von Wächtern bewacht werden, denen ein Torgeld zu geben ist, ebenso wie Zölle auf einzuführende Waren, ein wesentlicher Teil städtischer Einnahmen. Zur Nacht werden die Tore für jedermann geschlossen. Im hohen Mittelalter gehören zu den Toren bereits oft Tortürme und zur Mauer überhaupt zunehmend Türme. Vor den Mauern werden Gräben ausgehoben, die oft mit Wasser gefüllt sind.

 

Anfang des 12. Jahrhunderts gibt Kaiser Heinrich IV. einem Kölner Schöffenkollegium von viri illustri den Auftrag, die Stadtbefestigung zu erweitern, eine Aufgabe und ein Recht, die damit bereits an die Bürger übergegangen waren.

 

Da die Bürger auch zunehmend die Verteidigung der Mauern übernehmen, dürfen sie sich in begrenztem Umfand bewaffnen. Bürgerliche Waffen dürfen zu Hause aufbewahrt werden, schweres Gerät wird im Zeughaus der Stadt aufbewahrt, wobei wir uns aber schon dem späten Mittelalter nähern.

 

1066 beteiligen sich die Bürger von Huy mit einem Teil ihres Besitzes zusammen mit dem Bischof am Wiederaufbau der Kirche des Kollegiatsstiftes Notre Dame von Huy. Dafür erhalten sie von ihm die libertas ville, also die städtische Freiheit und die Aufsicht über das castrum für die Zeit zwischen dem Ableben eines Bischofs und der Einsetzung eines neuen. Bürger sind also wohlhabend genug, um ihrem Bischof für einen Kirchenbau erheblich unter die Arme greifen zu können. Zudem erfahren wir aus der Urkunde, dass Hörige in die Stadt einwandern und nun vom Bischof als Herrn der Stadt einen gewissen Rechtsschutz erhalten, der sie zu Hoienses macht, und wenige Absätze später zu bourgeois, die dem "Frieden" der Stadt (pais) unterstehen und der dortigen Rechtsprechung (Hergemöller, S.96ff).

In Laval (Maine) mit dem Kern aus Kirche und Burg samt burgus und Pfarrkirche und verstreuten burgi teils noch ohne Pfarrei bilden die Bewohner Brüderschaften, um den Bau einer Dreifaltigkeitskirche zu finanzieren (Chédeville in: Frühgeschichte, S.133)

 

Immer neue Aufgaben kommen hinzu, die Wasserqualität der städtischen Brunnen muss gewährleistet werden und die Fäkalien- und Abwasserbeseitigung so geregelt sein, dass nicht allzu viel Gesundheitsgefährdung davon ausgeht. Die Verhältnisse auf den Märkten müssen geordnet und Konflikte müssen juristisch geregelt werden. Immer mehr dieser Kosten und anderen Aufwand erfordernden Angelegenheiten überlässt der die Hoheit ausübende Stadtherr den Bürgern. So entsteht neben den kirchlichen und klösterlichen Räumen mit eigenem Recht auch ein bürgerlicher Raum mit dem seinen.

 

Am besten dokumentiert ist die Entwicklung vom frühen zum hohen Mittelalter für die deutschen Lande in Köln, welches in dieser Zeit auf über 20 000 Einwohner kommt. Im normalerweise wohl einvernehmlichen Zusammenspiel zwischen bürgerlicher Oberschicht und erzbischöflichem Stadtherrn werden die Aufgaben in der Stadt, zum Teil rechtlich Regalien, die vom König verliehenen Rechte, verwaltet, und zwar von Bürgern im Auftrag ihres Herrn. Das betrifft vor allem das Schöffengericht, die Wahrnehmung des Zollrechtes und die von Bürgern betriebene Münze.

 

****Rechte****

 

Zunächst sind Städte rechtlich ähnlich organisiert wie (andere) Grundherrschaften, wobei neben dem Bischof und Klöstern auch hohe adelige Herren auftreten. Wenn dabei oft immer deutlicher den Bischöfen die Stadtherrschaft zufällt, so haben doch auch andere Herren in der Stadt grundherrliche Rechte über die Leute ihrer familia, genauso wie auf dem Lande, wobei sich diese Rechte je nach Herr etwas unterscheiden konnten.

Das ändert sich im Verlauf des 11. Jahrhunderts, nicht zuletzt auch im Zusammenhang mit der Kirchenreform, die eine Entflechtung von geistlichem und weltlichem Bereich anstrebt, tatsächlich aber eine Tendenz zur Emanzipation des weltlichen vom geistlichen Sektor erreicht und zugleich unbeabsichtigt wie durch die Hintertür zu einer weiteren Verweltlichung der Kirche führen wird.

 

In den Städten entwickeln sich nun eigene Rechtsvorstellungen, die zunächst vor allem den Interessen der Kaufleute, dann aber auch der Handwerker dienen. Im Kern kreisen sie um das Eigentum und seinen Schutz. Daraus entwickelt sich langsam ein eigenes städtisches Recht im Unterschied zum hergekommenen Landrecht. Dabei wird vor allem der Zweikampf als letzte Entscheidung über Recht und Unrecht zunehmend durch Eide und Zeugenaussagen ersetzt. Schon im Freiburger Stadtrecht des 12. Jahrhunderts heißt es, ein Zweikampf als Rechtsentscheid sei nur dort zulässig, wo Blut geflossen, geraubt oder getötet wurde. Kaufmann und Handwerker sind keine Krieger.

 

Bürger beteiligen sich an der rechtlichen Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten, die zunächst vor allem Interna des Marktgeschehens betreffen. 1105 bestätigt der Bischof von Halberstadt seinen Marktbürgern die Kontrolle und Bemessung der Fleischpreise und das Festlegen von Maßen und Gewichten, sowie die zu solchen Angelegenheiten benötigte Marktgerichtsbarkeit (in Hergemöller, S.116)

 

Immerhin können schon im 11. Jahrhundert einige Bürger soviel flüssiges Kapital aufhäufen, dass sie zu Kreditgebern für Fürsten und Hochadel werden. Sie können es sich in Einzelfällen bereits leisten, Kirchen bauen zu lassen und den Herren Rechte abzukaufen.(Pirenne, S.160f)

 

Zunächst partizipiert seit dem 11. Jahrhundert nach und nach eine städtische Oberschicht als Schöffen (scabini) an der unteren Gerichtsbarkeit des Stadtherrn, zum Beispiel in Nordfrankreich. Partizipation ist das Schlüsselwort: Mit den Aufgaben, die ein städtisches "Bürgertum" übernimmt, gewinnen sie Mitverantwortung, vom Mauerbau über die Marktaufsicht und anderweitige Regulierung interner Angelegenheiten.

 

Bei Hildesheim verfügen der Domprobst und das Moritzstift für die flämischen Neusiedler, dass der Vogt als oberster Richter immerhin für die gerade gegründete Dammstadt einen magister civilis als Stellvertreter haben soll (Hergemöller, S.34).

 

Zum entstehenden "Stadtrecht" gehört überall die Gerichtsbarkeit. Für Freiburg heißt es schon 1120, dass Konflikte unter den Bürgern auf Grundlage des gewohnheitsmäßigen und gewillkürten Rechtes aller Kaufleute entschieden werden sollen (Hergemöller, S.127). 1101 wird in Speyer in einer Urkunde Heinrichs IV. von einem commune ius civium gesprochen, dem alle cives bzw. forenses unterstehen (bei Büttner in: Investiturstreit, S.354). Der Weg von den vielen verliehenen Rechten zu einem Recht für die Untertanen ist eingeschlagen. Aber es entsteht weiter über viele Einzelprivilegierungen, wie die von den Bürgern Speyers hochgeschätzten Privilegien von 1111: "Befreiung vom buteil, Gewährung des Erbrechts für die Einwohner, Zollfreiheit, Freiheit vom Besuch auswärtiger Vogteigerichte" etc. (Büttner in: Investiturstreit, S.354ff). Während das Recht so langsam bürgerlicher wird, untersteht die Gerichtsbarkeit aber weiter dem bischöflichen tribunus urbis.

 

Die Einordnung der Bürger in die städtische Gerichtsbarkeit ist dabei ihre Ausgliederung aus den Rechtsordnungen des ländlichen Raumes. Im Kern wird so die Zugehörigkeit zu einem Ort langsam bedeutsamer als andere Kriterien. Ein wichtiges Recht gewährt der Mainzer Bischof 1119 seinen Bürgern, das ius de non evocandi, welches die Bürger davor schützt, vor ein auswärtiges Gericht geladen zu werden. Schon im Privileg Heinrichs V. für Speyer von 1111 heißt es: Wir wollen ferner, dass keiner unserer Bürger (civium nostrrorum) gezwungen werde, außerhalb der städtischen Gemarkung (extra urbis ambitum) die Gerichtsverhandlung seines Vogtes aufzusuchen. (in Hergemöller, S.122)

Dazu gehört auch die Bestimmung aus den frühen Privilegien für Freiburg/Breisgau, dass Auswärtige nicht gegen Bürger auftreten können.

 

Wichtigste Rechte sind dabei die des Eigentums und einer möglichst belastungsfreien Ausübung von Handel und Gewerbe. Frühestes Beispiel für letzteres ist das Zollprivileg Heinrichs IV. für die Wormser, die den König in höchster Not unterstützt hatten, und der ihnen Zollfreiheit in den der Königsmacht unterstehenden Orten bislang zahlen mussten. (in: Hergemöller, S.102). 1120 erlässt Herzog Konrad für die Freiburger Neusiedler den Zoll auf seinem Gebiet (§6).

 

Überall wird immer wieder sehr deutlich vor allem das Eigentumsrecht der Bürger festgelegt. Bei der Gründung von Radolfzell legt der Abt der Reichenau 1100 fest, dass zum ius fori, dem Marktrecht nach dem Muster von Konstanz, auch gehört, Grund zu kaufen, zu verkaufen und ungehindert freies Eigentum zu besitzen (in Hergemöller, S.112).

 

Die wichtigste Erweiterung des Eigentumsrechtes ist seine freie Vererbbarkeit, für die die Todfallabgaben wegfallen müssen. 1111 legt Heinrich V. für Speyer, den Ort kaiserlicher Grablege, zum Beispiel folgendes fest: Alle, die jetzt in der Stadt Speyer wohnen oder dort in Zukunft wohnen wollen, woher sie auch kommen und welchen Standes sie zuvor gewesen sind, haben wir von einem üblen und schändlichen Gewohnheitsrecht befreit, nämlich von der Auslieferung des Teils ihrer Hinterlassenschaft, das man gemeinhin „buteil“ nennt, wodurch die gesamte Stadt durch übergroße Verarmung zugrunde gerichtet worden wäre; und zwar haben wir sowohl sie selbst als ihre Erben davon befreit.

Auffallend ist die implizite Erweiterung bürgerlicher Rechte auf Leute, die in die Stadt einwandern und aus der möglicherweise persönlichen Abhängigkeit von dem Herrn von außerhalb herkommen. Das wird am Schluss ergänzt durch die Festsetzung: Wenn jemand einen Hof oder ein Haus Jahr und Tag unwidersprochen in Besitz gehabt hat, soll er sich gegenüber niemandem, der davon gewusst hat, nach dieser Frist verantworten müssen. Das gilt natürlich zunächst nur für Speyer.

Mit dem uneingeschränkten Erbrecht wird ein schon de facto zumindest vorhandenes Eigentumsrecht vertieft, wie dann auch noch in folgendem Passus: Kein Burggraf und kein Bote irgendeines Herrn darf sich in seines Herrn Auftrag erdreisten, den Bäckern oder Fleischern oder allen anderen Menschen in der Stadt irgendein Stück ihrer Habe gegen ihren Willen wegzunehmen. Damit ist das Eigentumsrecht auch nicht mehr an einen Status oder bürgerliche Rechte gebunden, wenn man den Satz wörtlich nimmt.

Aber die kaiserliche Urkunde ist natürlich an die Bürger gerichtet oder vielmehr das, was man mit dem sehr unklaren Begriff damals erfasste, und zwar in ihrer Gesamtheit: Die Münze darf auch kein Machthaber leichter machen oder irgendwie entwerten, nur mit Zustimmung der gesamten Bürgerschaft darf er sie verändern. (Alles in Engel/Jacob, S.25f bzw. Hergemöller, S.118ff) Wie diese „gesamte Bürgerschaft“ genau aussah oder wie und wo sie sich versammelte, bleibt ungewiss, ähnlich wie in den italienischen Quellen der Zeit.

 

1120 lädt Herzog Konrad Kaufleute zur Ansiedlung im neugegründeten Freiburg auch mit folgendem Paragraphen (5a) ein: Wenn einer meiner Bürger stirbt, sollen dessen Ehefrau und ihre Kinder alles, was der Ehemann hinterlassen hat, ohne Einschränkung behalten (in: Hergemöller, S.127). Das Erbrecht beinhaltet dabei nicht nur das abgabenfreie Vererben, sondern auch das Recht der Nachkommen auf ihr Erbe. Als wichtiger Teil des Eigentumsrechtes werden dann die Bestimmungen im Verlauf des Mittelalters immer detaillierter.

 

 

Ein nächster Schritt wird die Vereinheitlichung eines nun gemeinsamen Rechtes in der Stadt (unter Ausschluss des Klerus). 1113 legt Heinrich V. zum Beispiel fest, dass in Worms für alle dasselbe Ehe- und Erbrecht gelten sollte. Alle Bürger dürfen nun abgabenfrei untereinander heiraten und genauso abgabenfrei ihren Besitz vererben, wodurch die Familienbetriebe gesichert wurden: Wenn ein Mann früher als seine Gattin stirbt, sollen seine Gattin und ihre Nachkommen, die sie von diesem Mann hat,all das, was der was der Mann als Besitz hinterlassen hat, ohne irgendwelchen Einspruch erhalten, und dasselbe Recht soll von der Frau, wenn sie früher stirbt, auf den Mann übergehen. Wenn aber beide ohne Nachkommen sterben, sollen die nächsten Erben die hinterlassene Habe besitzen. (in: Fuhrmann, S.87)

Für die Entfaltung eines Kapitalismus ist eben die Anhäufung von Kapital über mehrere Generationen von großer Bedeutung.

 

Mit dem einheitlicher werdenden Stadtrecht wird nun ein allgemeineres Bürgerrecht möglich, welches bei Neugründungen ohnehin naheliegt.

 

Solche neuartigen Städte entstehen im wesentlichen aus übereinstimmenden Interessen eines Stadtherrn mit der Oberschicht seiner städtischen Kaufmannschaft. Wenn der Bischof von Halberstadt 1105 seinen „Marktbürgern“ „bürgerliche Rechte und Satzungen“ bestätigte, dann fand er selbst das neue Gewohnheitsrecht unterstützenswert. So dürfen die Bürger selbst „Abgaben auf den Verkauf von Fleisch“ festsetzen. Sie sollen das Nachbarschaftsgericht (burmal) pflegen, Maße und Gewichte selbst kontrollieren und Verstöße selbst ahnden. (Groten, S.104f) Die Bürger entlasten also die Herrschaft und gewinnen dabei einen Raum eigener Gestaltungsfreiheit.

 

 

***Pfarrei und Stadtteil***

 

Zu einer Stadt gehört in dieser Zeit neben dem oder den Zentren der Herren zumindest eine Handwerker- und Händlersiedlung, und die ist im christlichen Raum undenkbar ohne wenigstens eine Kirche. Diese ist zunächst in der Regel noch recht klein, muss aber möglichst viele Leute fassen, da regelmäßiger Kirchgang Christenpflicht ist. Ab einer gewissen Bevölkerungszahl und dann mit der Entstehung mehrerer Stadtteile müssen mehrere Pfarrkirchen gebaut werden. Wie es auf dem Land feste Einzugsbereiche für Pfarrkirchen gibt, so auch in den Städten. Die Menschen sind für Abgaben, Dienste und kultische Pflichten jeweils auf eine Pfarrkirche bzw. Pfarrei verpflichtet, und solche können wie schon unter Bischof Burchard in Worms sich zu vier Pfarrbezirken auswachsen, die auch Verwaltungsfunktionen einnehmen können.

Im Rahmen von Pfarreien findet der Alltag der Menschen, insbesondere der der reinen Fußgänger statt. Man trifft sich ständig im Gottesdienst, "Taufen und Totengedenken, Feiern und kirchliches Gericht im Send (für Köln) werden gemeinsam erlebt." (Erkens in: Frühgeschichte, S.179)

Stadtteile sind darum konzentriert auf ihre Pfarrkirche, oft ist die Pfarrei mit ihrer Nachbarschaft und ihren Geburen (Nachbarn) für einen Abschnitt der Stadtmauer zuständig. Vermutlich ist für die Einteilung in Pfarreien wie zum Beispiel später in Soest oft der Erzbischof zuständig.

In der Freiburger Gründungsurkunde von 1120 wird den Bürgern die Wahl der Pfarrer und bald darauf auch die Einsetzung des Küsters zugesagt. Für das 13. Jahrhundert ist in Köln die Pfarrerwahl durch "die Gemeinde" dokumentiert.

 

 

Flandern und Brabant

 

Nach der Mitte des 11. Jahrhunderts entdecken die Herren, insbesondere die flämischen Grafen in den sich zu Städten entwickelnden Orten und ihrem bürgerlichen Anteil ein Gegengewicht zum Adel auf dem Lande und eine Einkommensquelle. Sie zielen nun darauf ab, ihren Herrschaftsraum durch Beschneidung der Adelsrechte stärker zu kontrollieren. Zu diesem Zweck beginnen sie bald mit der Privilegierung von Marktsiedlungen und Städten, denen sie attraktive Rechte zugestehen, die Siedler anlocken sollen. Die bürgerliche Ansiedlung gewinnt nun größeres Gewicht als der herrschaftliche Kern. Um den Handel zu fördern, werden Wege, Straßen und Kanäle angelegt.

 

Wie anderswo auch nimmt in der noch kleinen Ansiedlung Brügge der Burggraf die stadtherrlichen Rechte des Grafen wahr. Seine steinerne Burg liegt direkt am Markt der werdenden Stadt.

 

Die Entwaldung der Region schreitet voran, aber es gibt bald nicht mehr genug Weideland für die Wolle liefernden Schafe und der Import aus England nimmt zu. Die lehnsrechtliche Bindung an die französische Krone und die Abhängigkeit von englischer Wolle schaffen nach und nach Konfliktpotential.

 

Bis gegen Ende des Jahrhunderts sind die Städte noch keine klaren Rechtsräume. "Die gräflichen castra, an die angelehnt sich die Mehrzahl der flämischen Städte entwickelt hatte, waren die Sitze der Verwaltung und der Rechtsprechung sowohl für die Stadt wie für das Land. Weder in der Verwaltung noch in der Gerichtsbarkeit gab es einen Unterschied zwischen der Stadt und den castellania. Lediglich, dass der Graf einen wohlhabenden Einwohner der Stadt als Schöffen des zuständigen Landgerichts anstellte, mag ausnahmsweise einmal vorgekommen sein." (Petri in: Verhulst, S.55)

 

Mit dem Auftreten von iurati, Geschworenen, setzt Gemeindebildung ein, spätestens 1077 in Cambrai, dann auch in Beauvais um 1099, in Köln um 1110, in Laon 1115 und etwa um diese Zeit auch in Soissons. "In Dinant treten bei Verhandlungen über den Bau einer steinernen Brücke über die Maas bereits 1080 ein rogatus et consilium Deonensium als bürgerliche Kontrahenten gegenüber Graf und Bischof in Erscheinung." (Petri in: Verhulst, S.53)

 

In vielem etwas später als die Grafschaft Flandern fördern seit dem 11. Jahrhundert Grafen bzw. Herzöge von Brabant mit Nivelles, Brüssel, Löwen und Gembloux die städtische Entwicklung und die Ummauerung.

 

Frankreich

 

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Die Entwicklung der Städte im Süden verläuft zunächst ähnlich wie in Norditalien, bei einer schwächeren Position der Bischöfe dort und einer stärkeren der Grafen, die sie als ihr Kerngebiet betrachten. Die Tendenz zur Gemeindebildung und zur Ausbildung eines Konsulats wird aber wie dort erst im 12. Jahrhundert deutlicher werden, wobei dann die gräfliche Herrschaft über die Stadt deren weitere Autonomisierung verhindert.

 

Die Städte wachsen auch weiter nördlich, allerdings findet dort ähnlich wie in deutschen Landen mit Ausnahme von Paris Kapitalbildung noch nur in recht geringem Maße statt. Während in deutschen Landen massive "bürgerliche" Konflikte mit Stadtherren wenig politisiert sind und noch nicht zu Gemeindebildung beitragen, ist bürgerliches Selbstbewusstsein in einigen "französischen" Städten bereits in seinen Forderungen ausgepräger. Die Könige versuchen in ihrem direkten Einflussbereich Gemeindebildung zu unterdrücken, während sie sie überall da fördern, wo sie damit einen Fuß in Fürstentümer setzen können.

 

 

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Die Entwicklung der alten Bischofsstädte zur hochmittelalterlichen Stadt lässt sich in ausgiebigen Spaziergängen in den heutigen Altstädten von Tours und Poitiers noch sehr schön nachvollziehen. Im Osten von Tours liegt die alte Römerstadt mit ihrer Kathedrale, mit einer von Karl dem Kahlen renovierten Mauer. Im Westen (dem heute ergiebigeren Altstadtteil) entsteht um die Basilika des heiligen Martin ein burgus, der Anfang des zehnten Jahrhunderts ummauert wird. Zwischen beiden Orten liegt freies Feld mit der Abtei Saint-Julien, 933 renoviert und ebenfalls Ziel von Pilgerfahrten. Auch dort siedeln sich Handwerker und Händler an, bis beide Orte zu einer Stadt zusammenwachsen. Nachdem dann um 1130 auf Kosten von Grundherren eine Brücke über die Loire gebaut wird, entsteht dort die nächste Vorstadt. Der Unterhalt der Durchgangsstraße wird ebenfalls von den Grundherren aufgebracht, die darauf mit gesteigerten Abgaben rechnen können.

 

Die weiter in den römischen Mauern gelegene Stadt Poitiers war nur locker bebaut, zu den Häusern gehörten Gemüse- oder Weingärten (Pitz, S. 170). Die meisten dieser Häuser, wenn sie nicht Kirchen, oder Behausungen der wenigen Großen in der Stadt waren, wurden weiter bis ins hohe Mittelalter aus Holz, Lehm und Stroh gebaut. Das Zentrum ist die cité um die Kathedrale Notre-Dame-La-Grande und der Palast der Herzöge von Aquitanien..

Vor einem der Stadttore existierte ein Straßenmarkt, und außerhalb entwickeln sich in spätkarolingischer Zeit bereits Ansiedlungen um das Stift Saint-Hilaire (ummauert) und um das Kloster Saint-Cyprien, die beide im 11. Jahrhundert burgus heißen. In diesem Jahrhundert kommen zu weiteren Klostern wie dem der heiligen Radegunde neue Vorstädte wie Saint-Cyprien auf der anderen Loire-Seite und nach 1070 Saint-Saturnin hinzu und ein weiterer (Wochen)Markt. Etwas flussabwärts entsteht der Markthaften Montierneuf. Inzwischen genießen die in einer Straße versammelten Waffenschmiede bereits europäisches Ansehen. Poitiers wird am Ende, im hohen Mittelalter, aus sechs Siedlungskernen zusammenwachsen.

 

Wenig entwickelt ist das Städtewesen in der Bretagne und ihrem Umfeld. Rennes und Nantes bestehen aus gräflichem, bischöflichem und monastischem Kern, in deren Nähe sich bourgs kleiner Produzenten ansiedeln. Auch Le Mans besitzt noch kein geschlosseneres Stadtbild.

Weiter entwickelt ist Angers unter seiner Grafendynastie, die unter Fulko Nerra ihren Höhepunkt erreicht. Kerne der Stadt sind die gräfliche Burg, die bischöfliche samt Kathedrale und Domherren und drei, vier weitere geistliche Machtzentren. Die wiederum haben alle ihre familia und curia und schon damit ein großes Nachfragepotential auf dem Markt. Insbesondere auf dem Jahrmarkt im September kommt dazu Angebot und Nachfrage aus dem ganzen Anjou. Ende des 11. Jahrhunderts haben sich hier reiche bürgerliche Familien etabliert: Aimery le Riche, Bürger und Kaufmann, hat laut den Mönchen von Saint-Aubin, einen unerschöpflichen Reichtum angehäuft. Dazu besitzt er laut ihnen einen bourg, also wohl einen ganzen Straßenzug. Wie sein Bruder Andefred, ebenfalls Kaufmann, steigt er Ende des Jahrhunderts über gräfliche Dienste in die Ritterschaft auf (Chédeville in: Frühgeschichte S.125)

 

Um 1000 nimmt das Phänomen der Burgus-Gründungen, von Märkten an kleinen Stadtkernen überhaupt zu. Vor Saintes entwickelt sich Saint-Vivien so wie es einen burgus vor Le Puy gibt, vor Albi und Toulouse. Der Kathedralbereich soll hier frei von Geschäften bleiben. 

Neugründungen lehnen sich an Klöster wie Mont-Saint-Michel, Cluny, Saint-Jean-d'Angely oder Vézelay an, Orte, an denen Pilgerströme Geschäfte versprechen, oder an Burgen wie Chinon oder Cognac oder verwachsen mit der Kathedral-Cité. Überhaupt entstehen mit der Zergliederung Frankreichs  in eine Vielzahl von Burgherrschaften zahlreiche, zunächst kleinere burgi wie in Vendôme, wo es im 10. Jahrhundert eine wichtige Burg gibt, neben der der Graf von Anjou 1033 ein Kloster stiftet und die Entstehung eines burgus erlaubt. Burg und Ort tauchen 1092 als oppidum mit Münze und Messe auf (Ehlers, S.69f)

 

Im Laufe des 11. Jahrhunderts löst Paris an Bedeutung Orléans ab. Ein wesentlicher Grund ist wahrscheinlich die (nicht zu große) Nähe zum Vexin und damit zur immer umstritteneren Grenze zwischen dem Kerngebiet des Königreiches und der Normandie. (siehe Anhang 20) Damit  nimmt auch die Bedeutung des Pariser Bischofs zu.

 

Da Paris seit der Mitte des 11. Jahrhunderts bis heute durchgängig Hauptort des werdenden Frankreichs bleibt, hat es eine Entwicklung durchgemacht, die die Stadt auf dem Weg ins hohe Mittelalter auf Spaziergängen heute kaum noch nachvollziehbar macht. Das antike Lutetia, in der Chlodwigzeit als Parisiorum castellum in seiner Bedeutung geschrumpft, konzentrierte sich immer mehr auf die Seine-Insel, auf der das römische Praetorium stand, die Bischofskirche dazukam und die merowingische Konigspfalz.

Die alte römische Stadt auf der linken Seineseite mit ihren frühmittelalterlichen Überbauungen war im Normannensturm 856 zerstört worden. Erneuert werden dann nur die wichtigen Klöster und Kirchen. Der Rest wird zu Gärten und Wingerten.

 

Handwerker und Händler siedelten sich um die Kerne, den königlichen Hof und die Klöster an, die Güter nachfragen. Im 10. Jahrhundert entsteht bereits auf dem rechten Ufer eine Siedlung von Handwerkern und Händlern. Zentrum der Stadtteile werden Pfarrkirchen wie die von Saint Jacques. Ein erster Markt wird im 11. Jahrhundert angelegt.

 

Als Hauptstadt und Residenz nimmt die Stadt im 12. Jahrhundert einen erheblichen Aufschwung. Aber Hauptstadt heißt noch nicht, dass der König alleiniger Stadtherr ist. Der Ostteil der Île de la Cité untersteht weiterhin dem Bischof, ebenso rechts der Seine der Burgus von Saint-Germain-l'Auxerrois. Andere Herren kontrollieren weitere Stadtgebiete. Aber seinen Aufschwung verdankt die Stadt wohl vor allem den Königen.

Zwischen 1111 und 1129 entstehen drei Steinbrücken, die beide Flussteile über die zentrale Insel verbinden und etwa in dieser Zeit wird der Ort rechts der Seine ummauert.

 

Die Domschule bringt mit Wilhelm (Guillaume) von Champeaux einen bedeutenden Gelehrten hervor, der im Leben Abaelards eine Rolle spielt. Wilhelm zieht sich 1108 zur Kapelle Saint-Victor zurück, und dort gründet Ludwig VI dann die gleichnamige Abtei, die ein Zentrum abendländischer Gelehrsamkeit wird. Aus der ganzen Christenheit, besonders aus England, Italien und den deutschen Landen, strömen junge Leute herbei, die in Paris nun lernen wollen. Nicht mehr lange, und in Paris wird aus der Domschule die erste Universität entspringen. Auf der Insel und links davon hausen immer mehr Scholaren, in der Regel zur Miete, was der Stadt Einnahmen bringt. Steigende Nachfrage der Studenten treibt die Preise in die Höhe.

Der König greift ein, indem er zum Teil Städten Charten mit einzelnen Rechten gewährt. Von 1121 ist ein königliches Privileg der Gilde der Kaufleute (mercatores) überliefert. Die Weintransporte auf der Seine werden von Abgaben befreit. Wenige Jahre später wird von Mühlen an der Seine berichtet. 1123 gibt er ein weitrechendes Privileg an die Hanse der Wasserkaufleute (marchands de l'eau), jener, die von Paris aus den Handel auf der Seine vor allem betreiben, - eine der Gründungsurkunden eines neuen, städtischen Paris, die mehrmals erneuert und erweitert werden wird.

 

Communis ist zunächst der gemeinsame Besitz, dann werden es die gemeinsamen Angelegenheiten, gemeinsame Aktivitäten wie Bau und Erhalt der Stadtmauer und die Verteidigung der Stadt. Dazu kommen in Frankreich die Aufsicht über den Markt und die Gewerbe, die von den Stadtherren immer weniger wahrgenommen werden. Dazu gehören dann auch die Abgaben, die die Versammlung der Bürger für die Verwaltung ihrer Stadt erhebt. In Frankreich entstehen solche Bürgergemeinden manchmal aus den Konflikten zwischen bischöflichen Stadtherren, einer städtischen Oberschicht, mächtigen Adeligen auf dem Lande und den königlichen Interessen, die außerhalb seines engen Machtbereichs das Bündnis mit den Städten suchten.

 

Ziel der französischen Kommunalbewegung war es von Anfang an, den Frieden einer öffentlichen Ordnung herzustellen, der anders nicht zu haben war, nachdem der Bischof, sein Vogt, Äbte, Graf. feudaler Adel und entstehendes Bürgertum um die Macht konkurrieren. Schon 1027 verbündeten sich Einwohner von Noyon mit dem Bischof gegen den königlichen Vogt und vertreiben ihn. Städtischer Adel verbündet sich besonders im Süden mit den Bürgern. Aus grundherrlichen städtischen Gerichten mit stadtbürgerlichen Schöffen wird bürgerliches Selbstbewusstsein gezogen. 1050 gelingt es solchen Leuten, in Saint-Jean-d'Angely Steuerbefreiungen und Handelsvergünstigungen zu bekommen.

 

1070 verschwören sich die cives von Le Mans mit Unterstützung des Bischofs, der Kleriker und der Bauern des Umlandes gegen neue Steuern des normannischen Herzogs. Man unternimmt einen erfolglosen Feldzug gegen benachbarten Feudaladel und gewinnt nach einer Quelle Anteil an der Gerichtsbarkeit. Es handelt sich um kleine Leute, Handwerker, die ihre eigenen Produkte verkaufen "plus riches de leur travail que de leur capital, incapables de soutenir une action de quelque durée" (Chédeville in: Frühgeschichte, S.122) 1073 unterwerfen sich die Großen der Stadt. 1092 und 1116 kommt es dann dort zu Revolten gegen den Bischof.

 

In Cambrai geht dem Aufstand gegen den Stadtherrn im Frühjahr 1077 ein vielleicht damit verbundener Konflikt voraus. Ein Priester namens Ramihrdus predigt im Umland so, dass er eine große Anhängerschaft erhält. Das erregt das Misstrauen des Bischofs, der eine Untersuchung anberaumt, die nichts Inkriminierendes ergibt. Endgültige Klarheit soll der Empfang der Hostie erbringen. Den verweigert der Priester aus der Hand eines Habgierigen, eines Simonisten vielleicht sogar. Das erregt die anwesende Geistlichkeit so sehr, dass sie ihn zum Lehrer für Ketzerei erklären, aus der Kirche herausschleppen und dann verbrennen. (Chronicon Sancti Andreae Castri Cameracesii. III,3) Gregor VII. exkommuniziert den Bischof darauf zunächst.

 

Zu etwa dieser Zeit, wohl kurz darauf, bilden die Bürger in Abwesenheit ihres Bischofs, ihres geistlichen wie weltlichen Oberhauptes, eine conspiratio, die ihrem Stadtherrn die Rückkehr nur erlaubt, wenn er ihnen erlaubt, sich als communia zu formieren. In ihr soll das städtische Gewohnheitsrecht fixiert und die Steuerlast reduziert werden. Die Geistlichkeit macht mit, weil sie den Bischof für zu anhänglich an den Kaiser hält (Favier) Sie scheitern nach kurzem Nachgeben des Stadtherrn an der Unterstützung, die der Graf des Hennegaus dem Bischof bietet. Der wiederum billigt Valenciennes eine Kommune zu. 30 Jahre später macht Kaiser Heinrich V. einen zweiten Anlauf der Bürger von Cambrai zugunsten des Bischofs zunichte.

 

1099 kommt es zu einer Verschwörung in Beauvais, in der die Bürger den Bischof zwingen, ihre Gewohnheiten anzuerkennen, ihnen Rechtsstatus zu verleihen. Im selben Jahr kommt es zum Friedensschwur in Rouen. 1109 bewilligt Bischof Baudry für Noyon eine Charta städtischer Rechte und legt sie König Ludwig VI. zur Bestätigung vor.

 

Insgesamt aber entstehen die bürgerlichen Stadtgemeinden nicht aus dem Konflikt mit dem Institut des Stadtherrn, sondern überwiegend einvernehmlich mit diesem. Er gewährt ihnen die Freiheiten, die zur Gemeindebildung führen, aus eigenem Interesse.

 

Die französischen Könige unterstützen das Bürgertum wirtschaftlich sehr bewusst, bis sie sich auf dieses stützen können. In ihrem unmittelbaren Machtbereich aber vermeiden sie von vorneherein, dass Bürger dabei allzu viel politischen Einfluss gewinnen. Dagegen unterstützen sie die Kommunalbewegung außerhalb der Krondomäne, um fürstliche Konkurrenten zu schwächen.

 

 

***Guibert und die Kommune von Laon***

 

Laon als königlich-französische Stadt entwickelt sich ganz anders als Paris: Sie teilt sich in den König (Turmburg), den Bischof (Palast und Kathedrale), „bürgerliche“ Honoratioren (proceres) und Unfreie (servi). Praepositi (prévôts) verwalten die Grafschaft und die Gerichtsbarkeit in der civitas regalis (Guibert). Viele Regalien hat aber inzwischen der Bischof. Mächtige Familien der proceres sind mit den Marle, Coucy, Montaigu und Quierzy der Umgebung verbündet und kämpfen auch gegeneinander.

 

Für Guibert ist die perversitas der Bischöfe Ursache der Tragödie von Laon. Das beginnt für ihn  schon mit Ascelin/Adalbero, der den letzten Karolingerkönig zugunsten des ersten Kapetingers verrät. Hundert Jahre später sammelt ein Helinand Unsummen Geldes an und kann so den Königbestechen, ihm das Bistum Laon zu geben. Wenige Jahre nach ihm folgt 1104 ein Enguerrand, der jede Religion verachtet und schlimmer als ein Spaßmacher oder ein Tanzmusikant ist. Multa super episcopi moribus referri possent prorsus digna taceri, man sollte also besser über die Sittlichkeit dieses Bischofs schweigen (III,3).

 

1106 setzt der Herr (Enguerrand) von Coucy nach zweijähriger Vakanz des Bischofstuhls seinen Verwandten Gaudericus gegen den Kandidaten des Königs durch, wobei man in der Stadt vermutet, Geld der englischen Krone habe nachgeholfen. Gaudericus/Gaudry war bislang Militär gewesen und muss nun erst einmal zum Subdiakon erhoben werden, um ihn darauf zum Bischof zu machen.

1110 wird mit Gerard von Crecy, dem Vogt des Nonnenklosters St.Jean ein Gegner des gerade verreisten Bischofs von dessen Leuten in der Kirche beim Gebet erschlagen. Darauf wenden sich königliche Truppen und solche des Klosters gegen diejenigen Bürger, die an der Verschwörung beteiligt sein sollten, vertreiben sie, plündern ihre Häuser und brennen sie nieder. (III,5)

Der Bischof kommt zurück und schützt die Mörder zunächst, wird dann aber genötigt, sie zu exkommunizieren.

 

Es gibt Koalitionen zwischen ritterlichen Herren wie den Coucy und der Stadt mit ihren nicht adeligen burgenses gegen den dortigen Bischof und dem Landadel, den proceres urbi. Erstere leben in der bourg außerhalb der Mauern der Kathedralstadt, letztere drinnen. Guibert, Abt von Nogent-sur-Coucy, beschreibt zeitnah in 'De Vita sua' die coniuratio in Laon 1112 als eine Zeit der Gewalttätigkeit und Gesetzlosigkeit.

 

 Klerus und Vornehme ließen durch Unterhändler folgenden Vorschlag vermitteln: Wenn ihnen ein überzeugendes finanzielles Angebot gemacht werden würde, könne man über die Einführung der Kommune reden. Kommune, dieses neue und ganz schlimme Wort heißt, dass Zensualen den geschuldeten üblichen Kopfzins einmal im Jahr entrichten und bei Rechtsverletzungen die gesetzliche Strafe bezahlen, aber von sonstigen Zinsleistungen, wie man sie Knechten (Hörigen) auferlegt, gänzlich frei sind. So ergriff das Volk die Chance sich freizukaufen und trug große Mengen von Silber zusammen, um die gierigen Schlünde zu stopfen. Diese Herren waren über einen derartigen Geldregen so beglückt, dass sie die Einhaltung des vereinbarten Handels durch Eidesleistung bekräftigten. Somit war also zwischen Klerus, Großen und Volk eine auf gegenseitige Hilfe lautende Schwureinung (coniuratio) abgeschlossen worden. Als der Bischof dann mit großen Mitteln aus England zurückkam, war er entsetzt über die Neuerung und ihre Verursacher. Für einige Zeit blieb er der Stadt fern.

 

Schließlich wird der bischöfliche Hass auf alle Verschwörer besänftigt durch einen großen Haufen Silber und Gold: voces tandem grandisonas oblata repente sedavit auri argentique congeries. Er behauptet nun die Kommune gemäß den Rechten (ordines) von Noyon und St.Quentin anzuerkennen, und der König wird laut Guibert ähnlich bestochen. Tatsächlich hasst er sie aber so wie der Adel.

(III,7)

 

Schließlich suspendiert der Papst den Bischof wegen neuer Grausamkeiten, nimmt das dann aber wieder zurück. In der Osterzeit wiegelt der Bischof Adel und Teile des Klerus auf, sich gegen die Kommune zu wenden. Schließlich intrigiert er beim König in dieser Sache.

At burgenses de sua subversione verentes, quadringentas (utrum amplius nescio) libras regi ac regiis pollicentur. Contra episcopus proceres secum loqui cum rege sollicitat, spondentque pariter septingentas, rex Ludovicus Philippi filius..... conspicuus, ut soli majestati regiae videretur idoneus, armis strenuus, pro negotio inertiae impatiens, animo sub adversis intrepidus, cum alias bonus esset, in hoc non aequissimus erat, quod vilibus et corruptis avaritia personis nimie aurem et animum dabat. (Die Bürger, die die Gefahr des Umsturzes erkannten, boten dem König und seinen Leuten 400 Pfund (...) Der Bischof ging jedoch zum Gegenangriff über, zog mit den Großen zum König, und machte ihm ein Angebot von 700 Pfund. König Ludwig, der Sohn Philipps (...) in vielem anderem hervorragend, ließ hier kein angemessenes Urteilsvermögen erkennen, wenn er üblen, durch Habgier verdorbenen Menschen allzu sehr sein Ohr und Herz öffnete. )

 

Der ansonsten ehrenwerte Königssohn geht nach dem Geld, dass heißt, er entlässt die Höherbietenden aus ihrem Eid. Die Bürger verstecken nun ihr Eigentum aus Furcht und bieten auch nichts mehr zum Kauf an. Bischof und Adel wollen die Bürger ausplündern, was ihren Ärger in Hass verwandelt. Vierhundert sollen einen Eid geschworen haben, den Bischof und seinen Anhang umzubringen.

 

Am nächsten Tag schreit ein Verschwörer „communiam, communiam!“ , als er glaubt, es ginge los, aber es war ein Feiertag, und nichts geschah, aber es bringt den Bischof dazu, seinen Palast bewachen zu lassen.

Am nächsten Tag, (...) als der Bischof und Erzdiakon Gautier nach der Mittagsmesse dabei waren, Geld zu sammeln, kam es plötzlich in der ganzen Stadt zu einem Tumult, Männer riefen "Kommune" . (...) Dann … traten eine große Menge von Bürgern in den bischöflichen Palast, bewaffnet mit Rapieren, zweiseitigen Schwertern, Bögen und Äxten, dabei Knüppel und Lanzen tragend. Sobald diese plötzliche Attacke entdeckt war, sammelten sich die Adeligen von allen Seiten um den Bischof, hatten sie doch geschworen, ihm gegen einen solchen Angriff Hilfe zu leisten, wenn es denn dazu käme. (III,8)

Der Bischof muss nach Kämpfen fliehen und versteckt sich in einer Tonne. Dort wird er entdeckt, eine Kampfaxt spaltet seinen Kopf, seine Beine werden ihm abgeschlagen, der Ringfinger, er wird nackt und verstümmelt dann vor das Haus seines Kaplans geworfen.

 

Vom Haus des Erzdiakons und Schatzmeister verbreitet sich das Feuer auf die Kathedrale und mehrere weitere Kirchen. In welchem Umfang es dabei auch Guibert um Reichtümer geht, belegt folgende Stelle:

Crucifixi Domini imago decentissime obaurata, gemmisque distincta, cum vase saphyretico pro pedibus illius imaginis appenso, in terram fusa delabitur, nec sine plurima jactura recipitur. Gold, Juwelen, Lapislazuli schmelzen und werden zerstört, und beim Retten der Sachen nachher geht viel Gold verloren. (III,9)

 

Die Häuser der Reichen und deren Frauen werden ausgeplündert und brennen teilweise ebenfalls ab. Danach bitten die Bürger Thomas von Coucy, Herr von Marle, um Unterstützung gegen die erwarteten Truppen des Königs. Der meint, er sei zu schwach, um eine Königsstadt gegen den König zu halten und und lädt die Bürger ein, mit ihm zu kommen, was ein Teil auch macht. Darauf wird die Stadt auch von außen ausgeplündert.

 

Danach setzt der König einen Seneschall zur Unterdrückung des Aufstandes ein  und der Bischof von Reims sermonem habuit de exsecrabilibus communiis illis (III,10), hält also eine Predigt über die verfluchte Kommune, wegen der die Knechte (servi) sich den gerechten Ansprüchen ihrer Herren entzogen hatten, und schließlich bestellt der König einen neuen Bischof. Nach vier Jahren Unruhen ist die in den Kämpfen ausgebrannte Kathedrale wiederhergestellt und der Erzbischof konstatiert die Wiederherstellung des „Gehorsams“.

 

Aber 1128 lesen wir, dass der König der Stadt gewisse Freiheiten verliehen hat. Fronarbeiten werden in der 'Institutio Pacis' abgemildert, die Todfallabgabe wird abgeschafft: Wir setzen fest, dass die Zensualen ihren Herren lediglich den Kopfzins zahlen sollen. Wenn sie ihn zu dem feststehenden Termin nicht entrichten, sollen sie dies gemäß dem Recht, nach dem sie leben, später ausgleichen, damit sie nicht - es sei denn freiwillig - auf Verlangen ihrer Herren verpflichtet werden, irgendetwas anderes zu leisten. Hingegen steht es ihren Herren zu, sie wegen Rechtsbrüchen vor ihre Gerichtsbarkeit zu ziehen und das, was entschieden wird, ihnen abzuverlangen. (in: Borgolte, S.111)

 

Es geht um die Aufrechterhaltung des Friedens, der Ordnung des Marktes und des bürgerlichen Grundbesitzes vor allem außerhalb der Stadt, Basis des Reichtums dieser „bürgerlichen“ Elite. Im weiteren 12. Jahrhundert ziehen sich der Adel wie zum Beispiel der Kastellan des Bischofs und die Burgherren aus der Stadt auf ihre Ländereien zurück.

 

 

England

 

Die meisten größeren englischen Städte sind nicht wie die deutschen Bischofstädte mediatisiert, sondern bleiben unter der direkten Königsherrschaft, die dieser durch seine Sheriffs ausüben lässt, die ihre Ämter pachten und sich dafür an den Städtern schadlos halten, was durchaus Konflikte hervorrufen kann. Sheriffs leiten denn auch die städtischen Versammlungen. Dabei entwickelt sich aber ähnlich wie auf dem Kontinent durch königliche Privilegien eine neue städtische „Gesellschaft“.

 

Eine englische byrig bzw. porta, von denen es etwa 60 am Ende des angelsächsischen Königsreiches gibt, zeichnet sich dadurch aus, dass sie eine Münzstätte mit wenigstens einem Münzer besitzt, was zumindest ein wenig Handel vermuten lässt. Die meisten dieser Orte haben um 1000 deutlich weniger als tausend Einwohner. Die vier größten mit über 5000 Einwohnern sind damals wohl London, Winchester, York und Lincoln, vielleicht in dieser Reihenfolge. Burhriht (Burgrecht) unterscheidet sie von dem landriht drumherum. Die "Bürger" halten ihre Immobilie(n) gegen Zins als Eigentum, haben eigene Gerichtsbarkeit und schulden dem König eine spezifische Abgabe (farm).

Auffällig ist, dass eine Kathedrale auch in kleinen Orten stehen konnte und größere Städte nur kleine Kirchen und oft kein Kloster enthielten.

Wichtigere Städte haben von den Königen bereits spezifische Rechte erhalten. Bürger in London sacken zum Beispiel die Zölle in ihrem Hafen ein. Exeter und Dover sind Verhandlungspartner der Könige, in Dover und Canterbury gibt es städtische Gilden der bürgerlichen Oberschicht.

 

Einige Städte wachsen wie kontinentale Bergbaustädte mit der Ausbeutung von Bodenschätzen zu klassischen Gewerbestädten heran. Exeter wird Handelsort für das Zinn aus Cornwall, von dem um 1160 etwa 60 Tonnen pro Jahr aus der Erde geholt werden und etwa 600  1214, worauf das Potential dann bald erschöpft sein wird. (Carpenter, S.45) Im Forst von Dean wird Eisenerz gefördert und zu Roheisen geschmiedet, um dann in Gloucester zu Eisenwaren wie Hufeisen, Eisenrädern und Fassbändern verarbeitet zu werden. In der Gegend von Corfe mit seiner mächtigen Burg wird Marmor aus der Erde gebrochen.

Wichtigster Exportartikel neben dem Zinn bleibt die Wolle, und wichtigster Importartikel ist Wein, zunächst aus Anjou und Poitou, und mit dem Verlust dieser Gebiete 1203/1224 wird dann die Gascogne das Weinimportland für die englische Aristokratie und Wein beschäftigt die Häfen von Bristol, Portsmouth und Southampton.

 

Die nördlichste Stadt in England ist York, und Schottland kennt bis zu den normannischen Eroberungen noch keine Städte, ebensowenig wie Wales. Es gibt in beiden Regionen auch keine Münzen und kaum Geldwirtschaft, der walisische Handel mit Irland konzentriert sich auf Sklaven.

 

Bereits König Edgar (959-75) setzte eine einheitliche königliche Münze durch, deren Bild in London hergestellt wird und die dann in zahlreichen Orten (boroughs des Domesday Books) im Reich geschlagen werden. Der Monetarisierung des Landes entspricht erheblicher Handel. In London sind um 1000 schon Händler aus der Normandie, Flandern und den Rheinlanden nachgewiesen. Aufgeführt wird einmal Wolle und zum anderen Zinn aus Cornwall vor allem.

 

Für den Normannenherzog Wilhelm müssen englische Städte bereits reich genug gewesen sein, um sie sich zur Beute zu machen. Nach der Eroberung werden die größeren von ihnen mit Zwingburgen versehen, um sie hinreichend unterjochen zu können. Manche Städte wie Bury St.Edmunds wachsen trotz den Verwüstungen der Eroberung deutlich an, wobei der Zuwachs dort zur Hälfte auf Klerikern, Nonnen und Rittern beruht, zur anderen Hälfte auf Bäcker, Bierbrauer (Ale), Schneider, Waschfrauen, Schuster, Köche, Träger etc., die Abt, Kleriker, Mönche und Ritter versorgen. Meist aber richtet die normannische Eroberung erst einmal erhebliche Schäden an. (Soweit nach Susan Reynolds in: Frühgeschichte, S.214f)

 

Im Domesday Book von 1086 tauchen etwa hundert burgi auf, was etwa den byrigan der Angelsachsen entspricht, und dreizehn civitates, welche früher ceaster geheißen hätten. Aus burhwara und burgliod werden nun burgenses.

 

Wie auf dem Kontinent tritt hier in vielem dieselbe Entwicklung ein: Auch hier wird der Boden zu einer frei verfügbaren Ware, Neuankömmlinge werden nach Jahr und Tag persönlich frei, wenn sie von keinem Herrn zurückgefordert werden, Abgaben auf den Erlebnisfall werden reduziert, Gewerbefreiheit wird erklärt und die Zuständigkeit der städtischen Gerichte für ihre Bürger.

 

Nach und nach werden auch Schottland und in geringem Maße Wales in den internationalen Markt integriert. Anglonormannische Gründungen wie Chepstow, Pembroke, Cardiff, Carmarthen und Haverford bringen es am Ende auf über 1000 Einwohner, ebenso wie in Schottland Perth, Edinburgh, Berwick, Roxburth und Dunfermline.

 

Skandinavien und der Nordosten

 

Die Skandinavier sind vor allem Bauern, und neben den Leuten, die Raubzüge unternehmen, gibt es auch Händler. Überhaupt sind die Grenzen zwischen beiden manchmal etwas verwischt. Die westlichen Skandinavier, heutige Dänen und Norweger, richten dabei ihr Augenmerk in der Wikingerzeit auf das Frankenreich und die britischen Inseln, während die heutigen Schweden sich (dem späteren) Russland zuwenden. Sie fahren den Dnepr und seine Nebenflüsse entlang, errichten befestigte Stützpunkte, die die Slawen gorod nannten.

 

 

Was das Städtewesen betrifft, so sind wir auf die dürftigen Angaben Adams von Bremen in seiner Hamburger Kirchengeschichte angewiesen, auf Münzfunde und die geringen archäologischen Befunde. Danach waren Schleswig (vorher Haithabu) und Ripen herausragende Seehäfen und Fernhändlerorte, Roskilde Residenz der dänischen Könige, Odense eine civitas magna, Lund civitas und Bischofssitz und Helsingborg ein Piratennest. Diese Orte werden im 11. Jahrhundert allesamt Münzstätten, was zu der Vermutung geführt hat, sie besäßen auch Märkte.

Im 11. Jahrhundert klingt die Wikingerzeit aus, es kommt zu stabilerer Dorfbildung über die Christianisierung, da nun eine Kirche samt Friedhof den Mittelpunkt der Ansiedlung bildet und nicht mehr so einfach verlegt werden kann. Manche protostädtische Siedlung scheint aus solch einer dörflichen hervorgegangen zu sein und ist im 11. Jahrhundert immer noch stark landwirtschaftlich bestimmt.

 

Wie die germanischen so kennen auch die slawischen Kulturen vor der Christianisierung und einhergehender Zivilisierung keine größeren Städte. Das gilt im 11. Jahrhundert auch für den ostelbischen Raum, wo Ansätze aus Burg und Suburbium erst später im Zuge der deutschen Kolonisierung zu Städten werden.

Als breachtliche Handelsstadt bezeichnet Adam von Bremen um 1075 Wollin (Jumne), wo neben den Pomoranen auch Leute aus Sachsen sich aufhalten, die allerdings ihr Christentum verheimlichen müssen. Um 1125 ist dann Stettin dort die wichtigste (slawische) Handelsstadt und Fürstensitz.

 

Böhmen ist noch im 11. Jahrhundert dünn (slawisch) besiedelt und kennt zu nächst nur einen größeren Ort, der sich um die Prager Burg, den Dom, ein Kloster und eine Kaufmannssiedlung als zentrale Residenz entwickelt. entwickelt. Von dort aus werden in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts an vier Burgen Kollegiatsstifte gegründet als Dependancen der Herrschaft: Olmütz, Bunzlau, Leitmeritz, Wychehgrad.

 

Der Vorläufer Nowgorods (Neuburgs) scheint eine warägische Händler- und Kriegersiedlung gewesen zu sein,  in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts bereits gekrönt von der Burg einer Statthalters des Kiewer Fürsten. Im 11. Jahrhundert (nach Christianisierung) wird der Ort neugegründet als Nowgorod und mit einer Sophienkathedrale versehen. Dazu kommt ein Marktplatz (torg), eine Fernhändlersiedlung und ein kleines Handwerker-Quartier. Der Ort ist eine Vielvölkersiedlung, in der finno-urgrische, slawische, skandinavische und deutsche Elemente auftauchen.

Die größte Stadt in der Rus soll um 1200 Kiew mit vielleicht an die 50 000 Einwohnern sein, eine - an deutschen Maßstäben der Zeit gemessene - erhebliche Großstadt.

 

Von den Gesellschaften zur Gemeinde I

 

Frühe mittelalterliche städtische "Gemeinden" sind deutlich vom Land abgetrennte Siedlungsverdichtungen aus Grundherrschaften, Handwerk und Handel, rechtlich privilegiert und wirtschaftlich aus dem Umland herausragend. Mit ihren divergierenden Interessen bilden die Einwohner nur ausnahmsweise eine Gemeinschaft, mal gegen den Stadtherrn, mal gegen Feinde von außen, im wesentlichen herrschen zivilisatorische Strukturen von Befehl und Gehorsam vor. Stattdessen entwickeln sie Gesellschaften, solche des Domklerus, der Klöster, der Münzer, der übrigen Handwerker, der Händler. Wichtigstes Ziel der mittelalterlichen Stadt wird die Generierung von Geld und insbesondere von Kapital in "bürgerlicher" und Reichtum in Herrenhand.

 

Gemeindebildung besteht in der Partizipation einer großbürgerlich-ministerialen Oberschicht an den Rechten und der Masse der Menschen an den Pflichten durch ihre Einvernahme. Je komplexer die städtischen Strukturen werden, desto mehr wandelt sich dann langsam Herrschaft in Obrigkeit, Übungsfeld für neuartige Staatlichkeit in deutschen Landen und der Nordhälfte Italiens zum Beispiel.

 

Die entscheidenden beiden Gruppen sind Fernhändler und Ministeriale, Da letztere Exekutiv-Funktionen für den Stadtherrn ausüben und zugleich den Kern seiner Kriegsmannschaft bilden, emanzipieren sie sich des öfteren langsam von reiner Dienstbarkeit und steigen mit zunehmendem Vermögen in lukrativere Handels-Sparten ein. Andererseits gelingt es auch reichen Kaufleute-Geschlechtern, in stadtherrliche Ämter einzudringen und daraus wird in der Folge eine nicht überall gleich stark vollzogene Tendenz zur Verschmelzung in einer gemeinsamen städtischen Oberschicht.

 

Über die Anfänge von Bruderschaften, Schwureinungen und Berufsvereinigungen weiß man nördlich der Alpen vor dem hohen Mittelalter wenig. Bekannt sind Kaufmannsgilden in Tiel, in Valenciennes und St.Omer, wobei von den beiden letzteren Statuten überliefert sind. Manches dürfte verloren sein, anderes wurde damals nicht schriftlich fixiert.

 

Um 1020 wird berichtet, dass Tieler Kaufleute bei Schuldklagen nicht mehr Gottesurteilen unterworfen werden, sondern sich mit einem Eid reinigen können. 1066 wird dieser Grundsatz auf die Bürgerschaft von Huy übertragen, wo der Reinigungseid von zwei Eideshelfern dazu kommt. Das bedeutet eine erhebliche Erleichterung für den Handel, wobei allerdings zu bedenken ist, dass Meineide schwer bestraft werden. Die Bedeutung von Eiden wird auch von daher zunehmen und dann auf andere Vereinigungen bzw. Einungen übertragen werden.

Nach und nach wird Kaufleuten auch ein freies Erbrecht zugestanden.

 

 

***Aufgaben***

 

Aus den cives werden im Laufe der Zeit in den Urkunden immer häufiger die burgenses, die sich über die gewerblichen Zusammenschlüsse auch zur Gänze für Gemeinschaftsaufgaben zusammenschließen.

 

Mittelalterliche Städte sind in gewissem Sinne Großburgen, also Festungen, und ein wesentlicher Zug ihrer Verbürgerlichung wird, dass die Bürger für Bau und Unterhalt der Festungsanlagen zuständig werden. Mit solchen Aufgaben sind Kosten und Arbeit verbunden, und wenn die cives Aufgaben und Kosten übernehmen, wie die Kaufleute von Saint-Omer um 1080 für die Pflasterung von Straßen und den Bau der Stadtmauer, zieht das Rechte und ein Gemeinschaftsgefühl nach sich. Die Befestigung der Stadt liegt im gemeinsamen Interesse des Stadtherrn bzw. der Herren in der Stadt und zugleich der Bürger und fördert so deren Partizipation.

 

Zur Mauer gehören Tore, die von Wächtern bewacht werden, denen ein Torgeld zu geben ist, ebenso wie Zölle auf einzuführende Waren, ein wesentlicher Teil städtischer Einnahmen. Zur Nacht werden die Tore für jedermann geschlossen. Im hohen Mittelalter gehören zu den Toren bereits oft Tortürme und zur Mauer überhaupt zunehmend Türme. Vor den Mauern werden Gräben ausgehoben, die oft mit Wasser gefüllt sind.

 

Anfang des 12. Jahrhunderts gibt Kaiser Heinrich IV. einem Kölner Schöffenkollegium von viri illustri den Auftrag, die Stadtbefestigung zu erweitern, eine Aufgabe und ein Recht, die damit bereits an die Bürger übergegangen waren.

 

Da die Bürger auch zunehmend die Verteidigung der Mauern übernehmen, dürfen sie sich in begrenztem Umfand bewaffnen. Bürgerliche Waffen dürfen zu Hause aufbewahrt werden, schweres Gerät wird im Zeughaus der Stadt aufbewahrt, wobei wir uns aber schon dem späten Mittelalter nähern.

 

1066 beteiligen sich die Bürger von Huy mit einem Teil ihres Besitzes zusammen mit dem Bischof am Wiederaufbau der Kirche des Kollegiatsstiftes Notre Dame von Huy. Dafür erhalten sie von ihm die libertas ville, also die städtische Freiheit und die Aufsicht über das castrum für die Zeit zwischen dem Ableben eines Bischofs und der Einsetzung eines neuen. Bürger sind also wohlhabend genug, um ihrem Bischof für einen Kirchenbau erheblich unter die Arme greifen zu können. Zudem erfahren wir aus der Urkunde, dass Hörige in die Stadt einwandern und nun vom Bischof als Herrn der Stadt einen gewissen Rechtsschutz erhalten, der sie zu Hoienses macht, und wenige Absätze später zu bourgeois, die dem "Frieden" der Stadt (pais) unterstehen und der dortigen Rechtsprechung (Hergemöller, S.96ff).

In Laval (Maine) mit dem Kern aus Kirche und Burg samt burgus und Pfarrkirche und verstreuten burgi teils noch ohne Pfarrei bilden die Bewohner Brüderschaften, um den Bau einer Dreifaltigkeitskirche zu finanzieren (Chédeville in: Frühgeschichte, S.133)

 

Immer neue Aufgaben kommen hinzu, die Wasserqualität der städtischen Brunnen muss gewährleistet werden und die Fäkalien- und Abwasserbeseitigung so geregelt sein, dass nicht allzu viel Gesundheitsgefährdung davon ausgeht. Die Verhältnisse auf den Märkten müssen geordnet und Konflikte müssen juristisch geregelt werden. Immer mehr dieser Kosten und anderen Aufwand erfordernden Angelegenheiten überlässt der die Hoheit ausübende Stadtherr den Bürgern. So entsteht neben den kirchlichen und klösterlichen Räumen mit eigenem Recht auch ein bürgerlicher Raum mit dem seinen.

 

Am besten dokumentiert ist die Entwicklung vom frühen zum hohen Mittelalter für die deutschen Lande in Köln, welches in dieser Zeit auf über 20 000 Einwohner kommt. Im normalerweise wohl einvernehmlichen Zusammenspiel zwischen bürgerlicher Oberschicht und erzbischöflichem Stadtherrn werden die Aufgaben in der Stadt, zum Teil rechtlich Regalien, die vom König verliehenen Rechte, verwaltet, und zwar von Bürgern im Auftrag ihres Herrn. Das betrifft vor allem das Schöffengericht, die Wahrnehmung des Zollrechtes und die von Bürgern betriebene Münze.

 

***Rechte***

 

Zunächst sind Städte rechtlich ähnlich organisiert wie (andere) Grundherrschaften, wobei neben dem Bischof und Klöstern auch hohe adelige Herren auftreten. Wenn dabei oft immer deutlicher den Bischöfen die Stadtherrschaft zufällt, so haben doch auch andere Herren in der Stadt grundherrliche Rechte über die Leute ihrer familia, genauso wie auf dem Lande, wobei sich diese Rechte je nach Herr etwas unterscheiden konnten.

Das ändert sich im Verlauf des 11. Jahrhunderts, nicht zuletzt auch im Zusammenhang mit der Kirchenreform, die eine Entflechtung von geistlichem und weltlichem Bereich anstrebt, tatsächlich aber eine Tendenz zur Emanzipation des weltlichen vom geistlichen Sektor erreicht und zugleich unbeabsichtigt wie durch die Hintertür zu einer weiteren Verweltlichung der Kirche führen wird.

 

In den Städten entwickeln sich nun eigene Rechtsvorstellungen, die zunächst vor allem den Interessen der Kaufleute, dann aber auch der Handwerker dienen. Im Kern kreisen sie um das Eigentum und seinen Schutz. Daraus entwickelt sich langsam ein eigenes städtisches Recht im Unterschied zum hergekommenen Landrecht. Dabei wird vor allem der Zweikampf als letzte Entscheidung über Recht und Unrecht zunehmend durch Eide und Zeugenaussagen ersetzt. Schon im Freiburger Stadtrecht des 12. Jahrhunderts heißt es, ein Zweikampf als Rechtsentscheid sei nur dort zulässig, wo Blut geflossen, geraubt oder getötet wurde. Kaufmann und Handwerker sind keine Krieger.

 

Bürger beteiligen sich an der rechtlichen Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten, die zunächst vor allem Interna des Marktgeschehens betreffen. 1105 bestätigt der Bischof von Halberstadt seinen Marktbürgern die Kontrolle und Bemessung der Fleischpreise und das Festlegen von Maßen und Gewichten, sowie die zu solchen Angelegenheiten benötigte Marktgerichtsbarkeit (in Hergemöller, S.116)

 

Immerhin können schon im 11. Jahrhundert einige Bürger soviel flüssiges Kapital aufhäufen, dass sie zu Kreditgebern für Fürsten und Hochadel werden. Sie können es sich in Einzelfällen bereits leisten, Kirchen bauen zu lassen und den Herren Rechte abzukaufen.(Pirenne, S.160f)

 

Zunächst partizipiert seit dem 11. Jahrhundert nach und nach eine städtische Oberschicht als Schöffen (scabini) an der unteren Gerichtsbarkeit des Stadtherrn, zum Beispiel in Nordfrankreich. Partizipation ist das Schlüsselwort: Mit den Aufgaben, die ein städtisches "Bürgertum" übernimmt, gewinnen sie Mitverantwortung, vom Mauerbau über die Marktaufsicht und anderweitige Regulierung interner Angelegenheiten.

 

Bei Hildesheim verfügen der Domprobst und das Moritzstift für die flämischen Neusiedler, dass der Vogt als oberster Richter immerhin für die gerade gegründete Dammstadt einen magister civilis als Stellvertreter haben soll (Hergemöller, S.34).

 

Zum entstehenden "Stadtrecht" gehört überall die Gerichtsbarkeit. Für Freiburg heißt es schon 1120, dass Konflikte unter den Bürgern auf Grundlage des gewohnheitsmäßigen und gewillkürten Rechtes aller Kaufleute entschieden werden sollen (Hergemöller, S.127). 1101 wird in Speyer in einer Urkunde Heinrichs IV. von einem commune ius civium gesprochen, dem alle cives bzw. forenses unterstehen (bei Büttner in: Investiturstreit, S.354). Der Weg von den vielen verliehenen Rechten zu einem Recht für die Untertanen ist eingeschlagen. Aber es entsteht weiter über viele Einzelprivilegierungen, wie die von den Bürgern Speyers hochgeschätzten Privilegien von 1111: "Befreiung vom buteil, Gewährung des Erbrechts für die Einwohner, Zollfreiheit, Freiheit vom Besuch auswärtiger Vogteigerichte" etc. (Büttner in: Investiturstreit, S.354ff). Während das Recht so langsam bürgerlicher wird, untersteht die Gerichtsbarkeit aber weiter dem bischöflichen tribunus urbis.

 

Die Einordnung der Bürger in die städtische Gerichtsbarkeit ist dabei ihre Ausgliederung aus den Rechtsordnungen des ländlichen Raumes. Im Kern wird so die Zugehörigkeit zu einem Ort langsam bedeutsamer als andere Kriterien. Ein wichtiges Recht gewährt der Mainzer Bischof 1119 seinen Bürgern, das ius de non evocandi, welches die Bürger davor schützt, vor ein auswärtiges Gericht geladen zu werden. Schon im Privileg Heinrichs V. für Speyer von 1111 heißt es: Wir wollen ferner, dass keiner unserer Bürger (civium nostrrorum) gezwungen werde, außerhalb der städtischen Gemarkung (extra urbis ambitum) die Gerichtsverhandlung seines Vogtes aufzusuchen. (in Hergemöller, S.122)

Dazu gehört auch die Bestimmung aus den frühen Privilegien für Freiburg/Breisgau, dass Auswärtige nicht gegen Bürger auftreten können.

 

Wichtigste Rechte sind dabei die des Eigentums und einer möglichst belastungsfreien Ausübung von Handel und Gewerbe. Frühestes Beispiel für letzteres ist das Zollprivileg Heinrichs IV. für die Wormser, die den König in höchster Not unterstützt hatten, und der ihnen Zollfreiheit in den der Königsmacht unterstehenden Orten bislang zahlen mussten. (in: Hergemöller, S.102). 1120 erlässt Herzog Konrad für die Freiburger Neusiedler den Zoll auf seinem Gebiet (§6).

 

Überall wird immer wieder sehr deutlich vor allem das Eigentumsrecht der Bürger festgelegt. Bei der Gründung von Radolfzell legt der Abt der Reichenau 1100 fest, dass zum ius fori, dem Marktrecht nach dem Muster von Konstanz, auch gehört, Grund zu kaufen, zu verkaufen und ungehindert freies Eigentum zu besitzen (in Hergemöller, S.112).

 

Die wichtigste Erweiterung des Eigentumsrechtes ist seine freie Vererbbarkeit, für die die Todfallabgaben wegfallen müssen. 1111 legt Heinrich V. für Speyer, den Ort kaiserlicher Grablege, zum Beispiel folgendes fest: Alle, die jetzt in der Stadt Speyer wohnen oder dort in Zukunft wohnen wollen, woher sie auch kommen und welchen Standes sie zuvor gewesen sind, haben wir von einem üblen und schändlichen Gewohnheitsrecht befreit, nämlich von der Auslieferung des Teils ihrer Hinterlassenschaft, das man gemeinhin „buteil“ nennt, wodurch die gesamte Stadt durch übergroße Verarmung zugrunde gerichtet worden wäre; und zwar haben wir sowohl sie selbst als ihre Erben davon befreit.

Auffallend ist die implizite Erweiterung bürgerlicher Rechte auf Leute, die in die Stadt einwandern und aus der möglicherweise persönlichen Abhängigkeit von dem Herrn von außerhalb herkommen. Das wird am Schluss ergänzt durch die Festsetzung: Wenn jemand einen Hof oder ein Haus Jahr und Tag unwidersprochen in Besitz gehabt hat, soll er sich gegenüber niemandem, der davon gewusst hat, nach dieser Frist verantworten müssen. Das gilt natürlich zunächst nur für Speyer.

Mit dem uneingeschränkten Erbrecht wird ein schon de facto zumindest vorhandenes Eigentumsrecht vertieft, wie dann auch noch in folgendem Passus: Kein Burggraf und kein Bote irgendeines Herrn darf sich in seines Herrn Auftrag erdreisten, den Bäckern oder Fleischern oder allen anderen Menschen in der Stadt irgendein Stück ihrer Habe gegen ihren Willen wegzunehmen. Damit ist das Eigentumsrecht auch nicht mehr an einen Status oder bürgerliche Rechte gebunden, wenn man den Satz wörtlich nimmt.

Aber die kaiserliche Urkunde ist natürlich an die Bürger gerichtet oder vielmehr das, was man mit dem sehr unklaren Begriff damals erfasste, und zwar in ihrer Gesamtheit: Die Münze darf auch kein Machthaber leichter machen oder irgendwie entwerten, nur mit Zustimmung der gesamten Bürgerschaft darf er sie verändern. (Alles in Engel/Jacob, S.25f bzw. Hergemöller, S.118ff) Wie diese „gesamte Bürgerschaft“ genau aussah oder wie und wo sie sich versammelte, bleibt ungewiss, ähnlich wie in den italienischen Quellen der Zeit.

 

1120 lädt Herzog Konrad Kaufleute zur Ansiedlung im neugegründeten Freiburg auch mit folgendem Paragraphen (5a) ein: Wenn einer meiner Bürger stirbt, sollen dessen Ehefrau und ihre Kinder alles, was der Ehemann hinterlassen hat, ohne Einschränkung behalten (in: Hergemöller, S.127). Das Erbrecht beinhaltet dabei nicht nur das abgabenfreie Vererben, sondern auch das Recht der Nachkommen auf ihr Erbe. Als wichtiger Teil des Eigentumsrechtes werden dann die Bestimmungen im Verlauf des Mittelalters immer detaillierter.

 

 

Ein nächster Schritt wird die Vereinheitlichung eines nun gemeinsamen Rechtes in der Stadt (unter Ausschluss des Klerus). 1113 legt Heinrich V. zum Beispiel fest, dass in Worms für alle dasselbe Ehe- und Erbrecht gelten sollte. Alle Bürger dürfen nun abgabenfrei untereinander heiraten und genauso abgabenfrei ihren Besitz vererben, wodurch die Familienbetriebe gesichert wurden: Wenn ein Mann früher als seine Gattin stirbt, sollen seine Gattin und ihre Nachkommen, die sie von diesem Mann hat,all das, was der was der Mann als Besitz hinterlassen hat, ohne irgendwelchen Einspruch erhalten, und dasselbe Recht soll von der Frau, wenn sie früher stirbt, auf den Mann übergehen. Wenn aber beide ohne Nachkommen sterben, sollen die nächsten Erben die hinterlassene Habe besitzen. (in: Fuhrmann, S.87)

Für die Entfaltung eines Kapitalismus ist eben die Anhäufung von Kapital über mehrere Generationen von großer Bedeutung.

 

Mit dem einheitlicher werdenden Stadtrecht wird nun ein allgemeineres Bürgerrecht möglich, welches bei Neugründungen ohnehin naheliegt.

 

Solche neuartigen Städte entstehen im wesentlichen aus übereinstimmenden Interessen eines Stadtherrn mit der Oberschicht seiner städtischen Kaufmannschaft. Wenn der Bischof von Halberstadt 1105 seinen „Marktbürgern“ „bürgerliche Rechte und Satzungen“ bestätigte, dann fand er selbst das neue Gewohnheitsrecht unterstützenswert. So dürfen die Bürger selbst „Abgaben auf den Verkauf von Fleisch“ festsetzen. Sie sollen das Nachbarschaftsgericht (burmal) pflegen, Maße und Gewichte selbst kontrollieren und Verstöße selbst ahnden. (Groten, S.104f) Die Bürger entlasten also die Herrschaft und gewinnen dabei einen Raum eigener Gestaltungsfreiheit.

 

 

***Pfarrei und Stadtteil***

 

Zu einer Stadt gehört in dieser Zeit neben dem oder den Zentren der Herren zumindest eine Handwerker- und Händlersiedlung, und die ist im christlichen Raum undenkbar ohne wenigstens eine Kirche. Diese ist zunächst in der Regel noch recht klein, muss aber möglichst viele Leute fassen, da regelmäßiger Kirchgang Christenpflicht ist. Ab einer gewissen Bevölkerungszahl und dann mit der Entstehung mehrerer Stadtteile müssen mehrere Pfarrkirchen gebaut werden. Wie es auf dem Land feste Einzugsbereiche für Pfarrkirchen gibt, so auch in den Städten. Die Menschen sind für Abgaben, Dienste und kultische Pflichten jeweils auf eine Pfarrkirche bzw. Pfarrei verpflichtet, und solche können wie schon unter Bischof Burchard in Worms sich zu vier Pfarrbezirken auswachsen, die auch Verwaltungsfunktionen einnehmen können.

Im Rahmen von Pfarreien findet der Alltag der Menschen, insbesondere der der reinen Fußgänger statt. Man trifft sich ständig im Gottesdienst, "Taufen und Totengedenken, Feiern und kirchliches Gericht im Send (für Köln) werden gemeinsam erlebt." (Erkens in: Frühgeschichte, S.179)

Stadtteile sind darum konzentriert auf ihre Pfarrkirche, oft ist die Pfarrei mit ihrer Nachbarschaft und ihren Geburen (Nachbarn) für einen Abschnitt der Stadtmauer zuständig. Vermutlich ist für die Einteilung in Pfarreien wie zum Beispiel später in Soest oft der Erzbischof zuständig.

In der Freiburger Gründungsurkunde von 1120 wird den Bürgern die Wahl der Pfarrer und bald darauf auch die Einsetzung des Küsters zugesagt. Für das 13. Jahrhundert ist in Köln die Pfarrerwahl durch "die Gemeinde" dokumentiert.