VORAUSSETZUNGEN UND DEFINITIONEN                               (Zusammenfassung der Anhänge 1-11)

 

Wenn hier die Ursprünge von Kapitalismus im 10./11. Jahrhundert des lateinischen Abendlandes gesehen werden, dann wird damit bereits deutlich, wie wenig wir davon wissen können. Es gibt wenig an Texten und eher noch weniger archäologische Funde, die uns hier helfen können. Noch schwieriger wird es, wenn wir uns mit den noch früheren Voraussetzungen für diese Wendezeit in ein abendländisches Mittelalter beschäftigen: Die vielen dicken Büchern über solche frühen Zeiten täuschen Kenntnisse vor, wo es zum großen Teil um Glauben, Meinen, Vermuten und Erschließen geht.

 

Schlimmer noch steht es um die oft unreflektierte und unklare Begrifflichkeit, derer sich die meist staatlich finanzierten Historiker zunehmend gerne bedienen, um einen stillschweigenden Konsens zu demonstrieren, ohne den sie nicht ihres Amtes walten und einen gewissen Lebensstandard aufrecht erhalten können. Ganz gravierend wird das aber dann, wenn sich solche Historiker ungeniert eines in ein politisch korrektes Denglisch absterbenden Deutschen bedienen, dessen wesentliche Funktion ideologisierende Verunklarung ist.

 

Fangen wir mit den zwei Kernbegriffen an und definieren sie, anstatt nur unreflektiert mit ihnen herum zu schwatzen: Kapital und Kapitalismus. Kapital, abgeleitet vom lateinischen capitalis, dem Adjektiv zu caput, dem Kopf oder Haupt, soll einmal jenes geldwerte Gut bezeichnen, welches weder zur Schatzbildung noch zum Konsum, sondern ausschließlich zu seiner Vermehrung eingesetzt wird, wobei diese durch den Einsatz menschlicher Arbeit erfolgt, vor allem aber soll es den spezifischen Vorgang seiner Vermehrung benennen, - und Kapital ist wesentlich ein Vorgang. Als Handelskapital taucht es vielleicht schon im bronzezeitlichen Assur, häufiger aber erst in der sogenannten Eisenzeit, dem ersten Jahrtausend (vor der Zeitrechnung) im Mittelmeerraum auf, seitdem Händler nicht mehr Dienstboten von Despoten, sondern selbständige Unternehmer sind. Diese gibt es bei Phöniziern und Hellenen.

Schon bei ihnen und dann auch in der römisch beherrschten Antike lassen sich wohl auch Fälle von Finanzkapital und von solchem in gewerblicher Produktion erkennen.

Im Deutschen meint Kapital bis ins 19. Jahrhundert meist sehr allgemein die Hauptsache, auch wenn seit dem 17. Jahrhundert der Kapitalist spezifisch als Besitzer von Kapital auftaucht. Aber erst seit dem 19. Jahrhundert wird den Kapitalisten auch der Kapitalismus zugeordnet, wobei die meisten Menschen - wenn überhaupt - das Wort ziemlich inhaltsleer verwenden, da sie kaum Kenntnisse von den entsprechenden Vorgängen haben. Ideologisierende Begriffsbildungen mit -ismen als Endungen sind - und das auch in diesem Fall - ein Ärgernis, und es wäre wünschenswert, wenn es bald durch ein besseres Wort ersetzt werden könnte.

 

Hier soll der Kapitalist, also der Kapitaleigner, jemand sein, der wesentlich die Vermehrung von Kapital betreibt, anders gesagt, sein Gut wesentlich als Kapital einsetzt. Entsprechend soll Kapitalismus die zunehmende Dominanz von Kapital über immer mehr Lebensbereiche der meisten Menschen bezeichnen. Kapital gibt es also lange, bevor Kapitalismus beginnt.

 

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Die Entstehung von Kapital ist selbst an viele Voraussetzungen geknüpft, die über Jahrhunderttausende geschaffen wurden. Es ist dies zunächst die Zeit, in der die Menschen aus der Säugetierwelt der Primaten insoweit heraustreten, als sie ihre "natürliche" Umwelt nach und nach als Gegenstand ihrer Betrachtung wahrnehmen, als Objekt also, welches sich dann auch bildlich darstellen lässt und welches nach Ausbildung spezifischer Sprechorgane und eines entsprechenden Gehirns eben auch sinnlich wahrnehmbare "Wirklichkeit" in Welt verwandelt, stete Veränderung also in das starre Korsett von Worten presst, die jene Stabilität vortäuschen, für die vor allem Namen (Substantive) zuständig sind, insbesondere auch verdeckt substantivierte Vorgänge wie Liebe oder Gerechtigkeit.   

 

Um es zu verdeutlichen: Umwelt ist hier nicht das vage Wort heutiger Polit-Ideologen, sondern die tatsächlich wahrnehmbare und erfahrbare Umwelt des Einzelnen. Wirklichkeit ist die nicht fixierbare Veränderung, Welt ist das, was Menschen daraus machen, um sie an die bescheidenen Möglichkeiten ihrer Gehirne zu adaptieren, im Kern nichts anderes als eine sich selbst wieder verändernde Illusion.

 

In diesem Vorgang der Menschwerdung, in dem Menschen immer mehr Welt konstruieren, die nicht nur Objekt ihrer Wahrnehmung, sondern auch ihrer Machtentfaltung wird, wie beim Sammeln und Jagen von Nahrung und der Auseinandersetzung von Männern um die attraktivsten Frauen, entsteht Kultur als die aus Erfahrung geborene jeweils optimale gemeinschaftliche Lebensform mitsamt einer Welt aus Vorstellungen, die dazu passen.

Das Besondere an diesen menschlichen Vorstellungen ist, dass im Laufe der Zeit wohl immer häufiger solche auftauchen, die keine Entsprechung in der Wirklichkeit bzw. ihrer Erfahrung haben, und die manchmal schiere Wunschgebilde sind, wie die Vorstellung, dass der Tod nicht endgültig sei, oder dass unverständliche Kräfte, die in der Natur oder auch der leblosen Wirklichkeit existieren, in gewissem Sinne zu Gesprächspartnern von Menschen gemacht werden könnten, für die sich dann am Ende Experten als zuständig erklären. Wohl mit ihrer Hilfe und in ihrem Interesse werden dann solche "Naturkräfte" manchmal zu  - modern ausgedrückt - Göttern, Geistern oder Dämonen personalisiert, was am Ende dazu führen kann, dass damit eine "Welt" des Überirdischen, Übernatürlichen entsteht.

 

Nachdem sie nun schon einmal benutzt wurden, sollen nun auch die Begriffe Natur und Kultur geklärt, also recht eigentlich erst zu Begriffen gemacht werden, nachdem sie schon sehr lange, und auch bei den Historikern, hinreichend unklar bleiben, um einer allgemeinen Geschwätzigkeit zu dienen.

Die lateinische natura hängt mit dem Verb nasci zusammen, welches den Bedeutungsraum von "gebären" und "geboren werden" einnimmt, und entsprechend soll es hier die Sphäre aller Lebewesen umfassen, die des Lebens und des Lebendigen also. Im Interesse einer gewissen Klarheit ist also der Raum des Leblosen, mag er auch wie Vulkane oder Meereswogen viel Bewegung enthalten, nicht Natur, wie alle die behaupten, die alles nicht Menschengemachte unter Natur einordnen möchten.

 

Die lateinische cultura gehört mit dem Verb colere zusammen, welches den pfleglichen menschlichen Umgang mit etwas und wohl ursprünglich den mit der natürlichen Umwelt meint, wie beispielsweise in der Agrikultur. Hier sei er als Vorgang der Menschwerdung bis in die Zeit der Produktion von Nahrungsmitteln hinein und zugleich als Vielfalt von dabei sich entwickelnden Kulturen (im Plural) definiert: Kultur ist hier anders als seit langem zum Zweck der Verunklarung so nicht der Konsumsphäre, sondern der produktiven zugeordnet, und dazu gehört auch der Bereich der Fortpflanzung. In diesem Sinne werden mit den demnächst zu definierenden Zivilisationen, also institutionalisierten Machtstrukturen, Kulturen zur Gänze zerstört. Dieser Vorgang aber lässt sich ohne klare Definitionen überhaupt nicht erfassen, was so auch gewollt war und ist. Kulturen sind also sich aus Erfahrung selbst definierende Lebensformen und nicht die (oft legitimatorischen) Amüsierwelten kleiner privilegierter Kreise, die gerne dabei seit Jahrhunderten mit dem Wort Kultur diesen Bereich aufzuwerten versuchen, - und es ist schon gar nicht der Sektor eines konsumistischen Massenamüsements, als der er inzwischen betrachtet wird.

 

Wie alle Lebewesen erlebt sich auch der Mensch in Ernährung und Fortpflanzung notgedrungen als Getriebener, und Kultur entsteht in dem Maße, indem es Menschen gelingt, aus (dann auch tradierter) Erfahrung Gemeinschaften zu bilden, also gemeinschaftlich Ernährung zu bewältigen und Geschlechtlichkeit zu regulieren. Schon in Kulturen und auch später in Zivilisationen können Gesellschaften entstehen, in denen sich Menschen aber nur zu einzelnen spezifischen Zwecken versammeln, wie die Gesellschaften von Adoleszenten in (inzwischen zerstörten) Südseekulturen oder wie die Zünfte des hohen und späteren Mittelalters. Hingegen macht es keinen Sinn, die Untertanen-Masse einer Zivilisation als Gesellschaft zu bezeichnen, da diese sich nicht zueinander gesellt, sondern von Machthabern durch Unterwerfung geschaffen wird, was etwas deutlich anderes ist.

 

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Zu jeder Definition von Kapital gehört die von Eigentum als Voraussetzung, und das ist nicht mehr ganz einfach, seitdem bronzezeitliche Despoten sich vor vielen Jahrtausenden eine Art Obereigentum über alles angemaßt haben, was in ihren Machtbereich gehört, etwas, was dann bis heute überall auf dem Planeten für Staaten weiterhin so gilt: Eigentum kann unter Vorwänden seitdem grundsätzlich von Machthabern eingezogen, also legalisiert geraubt werden, und es kann dadurch gemindert werden, dass ein Teil regelmäßig an Machthaber abgegeben oder daraus Erwirtschaftetes besteuert wird. Die Nutzung des (immer eingeschränkten) Eigentums von Untertanen durch Machthaber wird ein wesentlicher Gründungszweck von Zivilisationen.

 

Ab wann Menschen einen Begriff von Eigentum entwickelt haben, muss wohl unklar bleiben, aber mit der Entstehung von Gartenbau, Ackerbau und Viehzucht in der Jungsteinzeit dürfte er wohl vorhanden sein. Das Eigentum ist dabei zunächst das über Grund und Boden und darüber hinaus über Werkzeuge und dient in jenen Gegenden, in denen Kapitalismus entstehen wird, bis ins 18. Jahrhundert im wesentlichen der Subsistenz der bäuerlichen Familie, also ihrem unmittelbaren Überleben. Dort, wo mehr als das erwirtschaftet wird, werden die Herren entstehender Zivilisationen versuchen, möglichst viel davon abzuschöpfen.

 

Bevor der Prozess von Zivilisierung, also der Unterwerfung zunächst im wesentlichen von Bauern unter institutionalisierte Macht, in einzelnen Kulturen einsetzt, muss es ein gewisses Maß an Arbeitsteilung geben, was wiederum voraussetzt, dass einzelne Bauern aus ihrer Sicht einen gewissen Überschuss erwirtschaften, den sie gegen nicht-bäuerliche Produkte eintauschen können. Von der Landbewirtschaftung trennt sich so das Handwerk, welches sich dann wiederum bei entsprechender Nachfrage in verschiedene Gewerbe aufteilt. Vermutlich gibt es schon vor der Jungsteinzeit gewerbliche Produktion von Feuersteinen und Schmuck.

 

Mit den Ansätzen von Warenproduktion aus landwirtschaftlichen Überschüssen und handwerklichen Produkten und dem entsprechend entstehenden Markt eines Warentausches entsteht vermutlich noch kaum Kapital, da auch die handwerkliche Produktion wohl noch sehr lange im wesentlichen der schieren Subsistenz dient. Ab wann Händler Ersparnisse zur Kapitalbildung nutzen, ist recht unklar und geschieht wohl frühestens im Nahen Osten der späten Bronzezeit.

Was aber geschieht ist, dass wahrnehmbare, nunmehr zunehmend auch menschengemachte Wirklichkeit immer komplexer und damit schwieriger zu durchschauen wird, so wie dann auch sich entfaltende Arbeitsteilung zur tendenziellen Entsolidarisierung von Gemeinschaften führen kann.

 

Neben die produktive Aufteilung tritt aber - und möglicherweise schon recht früh - ein Expertentum der Deutung wahrnehmbarer Wirklichkeit, welches zugleich Kulte entwickelt, in denen zunächst wohl der Ausgleich mit einer zunehmend genutzten Natur und dann der Versuch der Besänftigung oder Nutzbarmachung von Wetterereignissen und anderen vor allem für die Ernährung wichtigen Phänomenen

Hier soll als Sammelbegriff für jene Experten sehr anachronistisch von Priestern gesprochen werden, ein Wort, welches sich aus presbyteros, dem Ältesten der frühen christlichen Gemeinden entwickelt hat, aber mit dem Bewusstsein, dass damit darunter sehr verschiedene "Kultbeamte" gemeint sind.

 

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Mit diesen Kultexperten und Verfassern von Welt-Vorstellungen beginnt eine erste Gruppe von Menschen lokal und dann auch regional mit der Macht über die Vorstellungen der ihnen sich offenbar ausliefernden Bevölkerung eine erste Machtergreifung, ein frühes Herrenmenschentum, welches sich bald darin äußert, dass man sich für seine Natur- und Wetterbeobachtung samt Theoriebildungen über die Himmelskörper mit Abgaben der Menschen bezahlen lässt und dann die ihren Kulten Unterworfenen dazu bewegen kann, ihnen immer größere Kultgebäude zu bauen.

So wie das Wort Priester kommt auch das oft für Kultgebäude verwendete Wort Tempel aus der Antike, diesmal dem lateinischen templum, auch wenn die Kultgebäude menschlicher Zivilisationen sehr unterschiedlich sind.

 

Je stärker sich solche Priester aus der Gemeinschaft der jeweiligen Kultur absondern und sich ihr überordnen, desto mehr werden solche Kulturen gefährdet, da ihre Vorstellungen nun immer weniger aus eigener und gemeinschaftlich tradierter Erfahrung, und immer mehr von außen und oben gesteuert werden.

In Teilen des Tales des Nils und von Euphrat, Tigris und Nebenflüssen errichten ganze Priestergemeinschaften Tempel, eignen sich Land an und machen sich Bauern und Handwerker der Umgebung abhängig. Mit ihnen verbünden sich wohl ziemlich kluge, gierige und gewaltbereite Menschen, die sich einen gewalttätigen Anhang zuordnen und sich mit den Herren der Tempel zusammentun, die sie sich dann schließlich auch noch unterordnen können.

 

Am Ende ist Zivilisierung die Machtergreifung eines Despoten in Zusammenarbeit mit Priestern und einer kleinen Elite. Despot ist vom griechischen despotes, dem Herrn, abgeleitet, und soll hier einen terroristisch, also letztlich mit Schrecken durch offene Gewalt herrschenden Machthaber bezeichnen, wie es beispielsweise die Pharaonen waren.

Damit Herrschaft stabil wird, muss sie aber die Gewaltandrohung in die Latenz versetzen, und mithilfe der von den Priestern betriebenen Kult-Ideologie den Untertanen beibringen, dass von ihnen verwaltete Götter diese Herrschaft legitimieren. Darüber hinaus muss es die Tatsache nutzen, dass Menschen Untertänigkeit grundsätzlich als bequem ansehen, solange sie ihnen ein gewisses Konsumniveau ermöglicht und ihnen die Verantwortung für viele Entscheidungen abnimmt, die in einer komplexer werdenden Wirklichkeit ihnen kaum noch möglich erscheinen. Zudem neigen einmal in die Untertänigkeit gedrückte Menschen dazu, sich mit ihren Herren umso mehr zu identifizieren, je mehr diese ihre Macht demonstrieren. Entsprechend haben heutige sogenannte demokratische Regierungen eine ausgesprochen geringe Autorität bei ihren untertänigen Massen.

 

Andererseits: Da die Despoten, die weltliche und geistliche Elite, darunter die Beamten. allersamt von der Arbeit der Masse der Untertanen leben, ist es in ihrem Interesse, die Rahmenbedingungen dafür möglichst zu fördern. Dazu gehört die Regulierung der Wasserwirtschaft erbenso wie die Illusion, dass Wetterbedingungen kultisch beeinflusst werden können. Dazu gehört aber auch der Ersatz zunehmend zerstörter kultureller Erfahrungswelten durch von oben aufokroyierte Gesetze, welche das Zusammenleben und Arbeiten der Untertanen im Sinne der Machthaber regeln. Wichtigster Aspekt aller Gesetze seitdem ist, dass den Untertanen alles das verboten wird, was die Herren für sich als selbstverständliches Recht in Anspruch nehmen, nämlich zu rauben, zu stehlen, zu töten und zu morden, und wo sie das für nötig halten, legalisieren sie all das, aber nur für sich selbst und in ihrem Auftrag.

 

Eine Besonderheit der neuen Zivilisationen wird überall die Erfindung des Krieges und die partielle Professionalisierung der Krieger als Söldner. Kriege entstehen aus der Raff- und Machtgier der Despoten, die zu Raubzügen führt und zur mehr oder weniger intensiven Unterwerfung von Gebieten insbesondere mit wichtigen Rohstoffen, sie entstehen aber einfach auch dort überall, wo Depotien aufeinander treffen, und so ist es denn auch bis heute geblieben. Mit den Kriegen werden Metalle für die Waffenproduktion immer wichtiger und so wird dann die Gewinnnung von Erzvorkommen wiederum zu einem Kriegsgrund.

Despoten sind ganz wesentlich Kriegsherren und führen einen großen Teil ihrer Herrschaft hindurch Kriege, denn neben der erhofften Beute ist Feindseligkeit nach außen geeignet, um Untertanen unter den Herrscher zu scharen und ihm im Falle des Sieges Hochachtung entgegen zu bringen.

 

Die Despoten, ob nun Herrscher über eine Stadt und ihr Umland oder über große Reiche, rauben sich nicht nur Reichtümer gewaltsam zusammen, sondern lassen sie auch von Handwerkern als ihren spezifischen Luxus produzieren, während es nur in sehr geringem Umfang Warentausch zwischen untertänigen Bauern und Handwerkern gibt: Die Bauern sind im wesentlichen Selbstversorger auf extrem niedrigem Niveau. Darüber hinaus pflegen die Despoten untereinander auch den Austausch von Luxusgütern als Geschenke und unterhalten neben den Handwerkern auch Händler als eine Art gehobene Dienstboten. Auch wenn die Despoten riesige Reichtümer ansammeln und sich mit Hilfe von Formen von Zwangsarbeit gigantische Monumente errichten lassen, kommt es zu keiner Kapitalbildung bei Handwerk und Handel, da beide in enger Abhängigkeit von den Despoten existieren.

 

Despotien sind selbst das Resultat von jungsteinzeitlichem Bevölkerungswachstum, welches das Zusammensiedeln in einer Art früher Städte ermöglicht, in denen konzentriert genügend Menschen arbeiten, um ihre eigenen Herren unterhalten zu können. Die Despoten wiederum fördern Bevölkerungswachstum, da sie von der Arbeit der Untertanen so immer mehr Einkünfte erzielen und immer mehr Menschen einer ihnen zuarbeitenden Elite fördern können. Daneben ermöglichen größere Menschenmassen auch größere Heere, mit denen man Krieg führen kann.

 

Selbstredend ist es so, dass mehr Menschen mehr Platz auf dem Planeten für sich beanspruchen. Damit sie ernährt werden, müssen sie immer mehr Naturlandschaft in Kulturlandschaft verwandeln. Während Jäger und Sammler weiterzogen, bevor sie Pflanzen- und Tierarten ausgerottet hatten, und jungsteinzeitliche Bauern die Erde zunächst noch nicht so dicht besiedelten, dass sie ganze Naturräume zerstörten, setzt mit den frühen Zivilisationen eine immer massivere Vernichtung von Teilen des natürlichen Lebensraumes Erde ein. Während Flora und Fauna der Flusstaloasen Ägypten und Mesopotamien noch zu einem gewissen Teil mit den Menschen koexistieren, beginnt bereits in der Bronzezeit eine immer systematischere Abholzung beispielsweise des Libanon für den Bedarf der Despoten im nahöstlichen Großraum. Ein ähnlich anggressiv-zerstörerisches Verhältnis entwickeln Despoten und die ihnen zuarbeitenden Eliten mit der Jagd als Freizeitvergnügen, welches die spätmittelalterlichen Adeligen dann desportes und von daher englische Herrenmenschen als sport(s) bezeichnen. Massenhaftes Abschlachten von Elefanten oder großen Raubkatzen als Herrenvergnügen und großer Spaß, der zudem erhebliches Renommée erzielt, sind durch die Jahrtausende dokumentiert und leiten das immer intensivere Artensterben ein, welches bei heute immer größere Ausmaße annimmt. Zudem beginnt jenes bedenkenlose Ausräumen von Erzen und anderen Materialien aus der Erde, welches ebenfalls bis heute ungebremst anhält, wo noch nicht alles ausgeplündert ist.

 

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Auf dem Weg hin zum Kapitalismus haben wir uns hier auf den Nahen Osten zwischen Nil und Zweistromland konzentriert. Bronzezeitliche Zivilisationen gibt es aber auch insbesondere im ganzen östlichen Mittelmeerraum (Hellas, Kreta, Zypern, Levante, Kleinasien), wo sie vor über drei Jahrtausenden weithin verschwinden, um dann dort neuen städtischen Zivilisationen der sogenannten Eisenzeit Platz zu machen. Mit diesen neuartigen Städten nähern wir uns einen Riesenschritt jener Entwicklung, die zwei Jahrtausende später weiter westlich in Ursprüngen von Kapitalismus münden wird.

 

Das wichtigste Neuartige ist, dass es sich bei diesen neuartigen Städten nicht mehr um Despotien handelt. Sowohl in Phönizien wie auch in Hellas sind Stadtherren, die Historiker heute manchmal als Könige bezeichnen, nicht mehr mit der Macht ausgestattet, die ihre bronzezeitlichen Vorläufer noch hatten, die allerdings wohl ebenfalls schon damals die Macht mit einer Gruppe von "Aristokraten" teilen mussten. Vielmehr werden sie in den ersten Jahrhunderten des letzten Jahrtausends vor unserer Zeitrechnung in Hellas immer mehr zugunsten einer Aristokratenschicht zurückgedrängt, die "königliche" Funktionen nun als Ämter selbst übernimmt. In Hellas wie in Phönizien steigt dabei eine Händlerschicht auf, die nicht mehr als Dienstboten von Despoten, sondern mehr oder weniger als freie Unternehmer auftreten können, die wohl frühe Kapitalisten/Kapitaleigner sind. Dasselbe gilt für ein Handwerk, welches nun für einen Markt produziert, der sich mit aristokratischen Raubexpeditionen und kapitalgenerierten Handelsreisen über das ganze Mittelmeer ausbreitet, wo phönizische Händlergruppen Handelsstützpunkte vor allem in Nordafrika und der nordwestlichen Mittelmeerküste etablieren, aus denen dann stark vom Handel geprägte Städte werden, während es wohl überwiegend aristokratische Abenteurergruppen sind, die aus hellenischen Städten aufbrechen, um vor allem an den Küsten Siziliens und Süditaliens neue Städte durch Siedlung zu etablieren, die sich nach und nach die lokale und regionale Bevölkerung unterwerfen.

 

Für den langen Weg hin in die Anfänge von Kapitalismus sind vor allem die griechischen Städte (poleis) bedeutsam, während das antike Rom auf dem Weg zu imperialer Größe die phönizischen Zivilisationen, die westlich vom Kernland unter die Kontrolle von Karthago geraten, im Laufe der Zeit fast rückstandslos vernichten wird.

 

Diese griechischen poleis werden bald, ähnlich wie das frühe Rom, von einer große Ländereien besitzenden Aristokratie beherrscht, welche Handwerk (die banausos), Bergbau und Handel verachtet, auch wenn man damit bald im Einzelfall auch sehr wohlhabend werden kann und sich als edler Großgrundbesitzer auch schon einmal beteiligt.

Die aristoi sind im Griechischen die Besten, und der Aristokrat hält sich vor allem deshalb für etwas Besseres, weil er nicht mit seinen Händen arbeiten muss und überhaupt große Teile seiner Zeit in Müßiggang oder als Krieger verbringt. Aristokratie als Begriff von der Herrschaft dieser grundbesitzenden Elite taucht erst spät im 5. Jahrhundert (v.d.Zt.) auf, etwa in der Zeit, in der auch Demokratie und Monarchie (die Tyrannis) als eine Art Verfassungsbegriffe entwickelt werden.

 

Die griechische Polis zeichnet sich zunächst dadurch aus, dass es keinen Despoten gibt und bald die Herrschaft eines aristokratischen Kollegiums, welches sich die Macht teilt, und das mit etwa der Begründung, die auch römische Aristokraten haben: Es handelt sich um ihre Stadt, da sie deren öffentliche Bauten und die Kulte sowie Kriege selbst finanzieren und die Ämter ohne Bezahlung ausüben. Es gibt darum in Hellas wie in Rom auch nur eine sehr geringe Abgabenlast der produzierenden Bevölkerung und des Handels.

 

Neben der Tatsache, dass es neben dem Großgrundbesitz auch ein freies Bauerntum gibt, und dass Handwerk, Bergwerk und Handel von einem freien Unternehmertum betrieben werden, welches erheblich zum Wohlstand der Stadt beiträgt, gibt es weitere Besonderheiten: Zentrum der Städte sind nicht irgendwelche Paläste und die Tempel, die es weiterhin gibt, sondern ist der öffentliche Markt, der bei den Griechen agorá und bei den Lateinern forum heißt, und auf dem und um den herum das öffentliche Leben vor allem stattfindet, weswegen um ihn herum wichtige Gebäude angesiedelt werden. In dieses räumliche Zentrum gehört auch die "Volks"versammlung, also die aller (männlicher) "Bürger", wobei sich Volk und Bürger durchaus von denen des Mittelalters unterscheiden, in dem Kapitalismus entstehen wird.

 

Der Götterkult mit seinen Opferhandlungen kennt keine mächtige Priesterschaft mehr und begründet auch nicht mehr die Macht der Reichen und Mächtigen, sondern ist stärker Angelegenheit der sich bildenden Gemeinde. Diese entwickelt sich auch über das geschriebene Gesetz und die Anerkennung der Verantwortung der Oberschicht für die verarmenden Bauern, wie von Athen überliefert ist.

In der Polis entsteht so das "Politische" als Gegenpol zu den zunehmenden Machtkämpfen zwischen mächtigen aristokratischen Familien, und bei Übermacht einer von ihnen schwingt sich diese zur Tyrannis auf, indem sie Schlüsselämter einnimmt und die Machtansprüche der anderen Familien massiv einschränkt. Solche Tyrannen werden allerdings keine orientalischen Despoten, da sie in der Regel die politische Verfasstheit der Polis nicht antasten.

 

Nach einer längeren Phase der Tyrannis im 6. Jahrhundert ist für Athen überliefert, dass zunächst wieder die Machtkämpfe aristokratischer Familien ausbrechen, bis es einer von ihnen dann gelingt, mit Reformen die Oberhand zu gewinnen. In diesem Machtspiel der Reichen und Mächtigen wird vor allem von einer Partei, um ihren Einfluss zu halten, den einfachen Bürgern (polites) immer mehr Partizipation an Ämtern und Gerichten zugestanden, bis vor allem Gegner dieser "Politik" das abschätzig als "Demokratie", also Herrschaft des in Demen organisierten Volkes nennen. Tatsächlich bleiben wenige Schlüsselpositionen aber weiter in den Händen weniger Familien.

 

Diese in der Geschichte der Zivilisationen einzigartige Beteiligung so vieler an so vielen gemeindlichen Entscheidungen in Athen wird auch dadurch gefördert, dass immer mehr einfache Politen in der großen Auseinandersetzung mit dem Perserreich als Militär benötigt und eben auch darum "politisch" aufgewertet werden. Die militärischen Siege über die orientalische Großmacht führen dabei auch zur Hegemonie Athens über die meisten Städte des Raumes der Ägäis, die nun mit ihren zunehmend erzwungenen Beiträgen diese attische "Demokratie" mitfinanzieren.

 

Demokratie bleibt bis heute ein kurzes Intermezzo, auch wenn moderne Staaten sich aus propagandistischen Gründen so bezeichnen, und sie scheitert damals an der Unfähigkeit der Massen der Politen, verantwortungsbewusst mit ihr umzugehen, bevor dann die griechischen Städte in den monarchischen Reichen der Makedonen aufgehen und schließlich im Imperium Romanum.

Einflussreicher wird später - und zwar auf die Oberschicht des Römerreiches - der üppige aristokratische Lebensstil der griechischen Oberschicht mit seinem Müßiggang, seinen homoerotisch-pädophilen Neigungen, seinen nächtlichen alkoholisierten Gastmählern und manchem mehr, was alles dann auf die offensive Ablehnung einer entstehenden christlichen Kirche stoßen wird.

 

Für unsere Geschichte der Entstehung von Kapitalismus wird aber noch viel wichtiger, dass sich spätestens mit dem sechsten Jahrhundert, in Ansätzen aber schon vorher, neben den öffentlichen Kulten ein bis dato nie dagewesener öffentlicher rationaler Diskus in den poleis entfaltet, der, zwar nur in den Texten von wenigen Individuen überliefert, Ausdruck einer gedanklichen Freiheit ist, wie sie Zivilisationen zuvor nicht kannten, und welche erst mit der Etablierung eines Kirchen-Christentums als Staatsreligion rund tausend Jahre später schwinden wird.

 

Es entwickelt sich nämlich unter dem späteren Oberbegriff Philosophie in immer neuen Anläufen der Versuch, Welt nicht mehr mythisch, sondern vernunftgemäß zu konstruieren und dabei auch auf Kenntnisse zurückzugreifen und neue zu suchen. Dazu mag es geholfen haben, dass die antiken Götterwelten nicht in irgendeinem Jenseits fern der Menschen, sondern in ihrer Vorstellung auf Berggipfeln hausen, von denen sie immer wieder zu ihnen heruntersteigen, denen sie auch in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich sind, weswegen sie in den Darstellungen auch wie idealisierte Menschen aussehen.

 

Philosophiert wird vor allem einmal über das, was Griechen physis nennen, und was im 11./12. Jahrhundert nach der Zeitrechnung im lateinischen Abendland nun als natura wieder aufgegriffen wird und unter den Bedingungen des späten Kapitalismus in die unsinnigerweise so genannten Naturwissenschaften mündet, die im wesentlichen dann als Grundlagenforschung für Technik dienen und die Wirklichkeit als Welt als komplexe Maschinerie konstruieren werden.

 

Neben diesen Versuchen, Welt jenseits von den Phantastereien von Priestern so zu konstruieren, dass sie an die Strukturen eines vernünftigen menschlichen Gehirns angepasst ist, gibt es auch manchmal auf Erfahrung beruhende Spekulationen über die Menschen und ihre Lebensformen bis hin zur Konstruktion idealer Formen des Zusammenlebens. Dieses von wenigen Leuten betriebene Philosophieren wird schon eine Weile vor der Eroberung durch die römische Militärmacht in die römische Machtsphäre eindringen, der solches Denken bislang fremd war.

 

Manches spricht dafür, dass zweckrationales unternehmerisches Denken von Kaufleuten/Handelsherren solche andere Sphären durchdringende Rationalität befördert hat, so wie sie wohl auch die Entwicklung der Mathematik befördert. Und es mag sein, dass der im Vergleich zu bronzezeitlichen Despotien freiere Markt mehr gedankliche Freiheit ermöglicht hat, die zeitweilig sogar vereinzelter Kritik am Götterglauben Raum gibt.

 

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Der Weg in den frühen Kapitalismus beginnt vor allem in einigen Gebieten, die zuvor zum Westteil des römischen Reiches gehörten und dann zum Reich der Franken. Insofern lässt sich für nördlichere Gebiete Italiens, die gallische Mittelmeerküste und dann auch das Rheintal und vor allem Flandern eine vorausgehende deutliche Kontinuität über rund 1500 Jahre feststellen, die in einem "aristokratisch" beherrschten Rom beginnt.

 

Hier wie im frühen eisenzeitlichen Hellas existiert bereits eine ungleiche Verteilung des Grundbesitzes und eine darauf gründende Oberschicht, die mit einem König (rex) zusammenarbeitet. Nach Vertreibung des letzten von ihnen werden seine Aufgaben, analog zur Entwicklung in Hellas, auf von dieser Oberschicht besetzte Ämter verteilt, die die res publica, die öffentlichen Angelegenheiten verwaltet und letztlich auch repräsentiert. Das sehr viel spätere Wort Republik benennt oft ganz andere Machtstrukturen, denen am Ende nur gemein ist, dass sie keinen ("legitimen") Monarchen an der Spitze haben.

 

Während der nach seinem Tagungsort so benannte Areopag, der sich zur Versammlung der ehemaligen Archonten entwickelt, im Zuge der Demokratisierung Athens seine Macht verliert, bleibt der römische Senat, in dem die ehemaligen Konsuln sich versammeln, viel länger das Entscheidungs-Zentrum römischer (aristokratischer) Machthaber und wird erst auf dem Weg in die kaiserliche Militärdiktatur zunehmend entmachtet werden.

 

Unter dem Druck der (Klein)Bauern, Handwerker und Händler (der plebs) und weil diese als Fußsoldaten immer wichtiger für die kriegerischen Auseinandersetzungen nach außen werden, kommt es zwar nicht zu einer Demokratisierung wie zum Beispiel in Athen, aber einmal zu einer kollektiven Partizipation in einer Plebejer-Versammlung und zum anderen zur Schaffung des einflussreichen Amtes des Plebejer-Tribunen.

Ähnlich wie in den hellenischen (lateinisch: griechischen) Städten bleibt aber das Leitbild dessen, der Karriere macht und reich wird, in aller Regel das des aristokratischen, auf der Rendite seines großen Landgutes oder dann auch mehrerer beruhenden Müßiggangs als lateinisch: privatus (frei von einem Amt) einerseits, und des sich in einem öffentlichen Amt bewährenden publicus andererseits.

 

Ebenfalls ähnlich wie die hellenischen poleis sind auch italische Städte wie Rom offenbar von ausgesprochener militärischer Aggressivität, also zumindest, was die Aristokraten angeht, ausgesprochen kriegerisch gesonnen und von ungenierter Grausamkeit. Entsprechend gerät Rom in Konflikte mit Nachbarn und es gelingt den Herren der Stadt, zwischen etwa 500 und 300 immer mehr Gebiete erst in Mittelitalien und dann auch im Süden der italienischen Halbinsel zu erobern und mittels Verträgen und Ansiedlung römischer bzw. latinischer Bürger ein Reich aus Gebieten zunächst unterschiedlichen Rechts zu formen, in denen die urbs Roma Vorbild wird und  zunächst vor allem die Oberschicht die lateinische Sprache annimmt.

In Kriegen gegen die Karthager (römisch: Punier), Keltiberer, Makedonen und andere werden zwischen der Mitte des 3. und dem Ende des 2. Jahrhunderts die Provinz Africa, Spanien, das äußerste Südgallien und Norditalien (Gallia citerior) erobert, zudem Griechenland und Kleinasien.

 

Einer kleinen Oberschicht gelingt es, durch Kriegsbeute und dann die Verwaltung und Ausplünderung der Provinzen immer reicher zu werden, und in ihrem Gefolge steigen unterhalb des hohen Amts"adels" der nobiles, der aber anders als der mittelalterliche nicht erblich ist, die equites ("Ritter") als weitere Kriegsgewinnler auf, indem sie Reichtümer der Provinzen abschöpfen, Handel treiben, der den Senatoren längst verboten ist, oder Finanzgeschäfte betreiben.

 

Mit der damit zunehmenden Bedeutung des Geldes und von Handel und Finanzen gerät das die res publica zusammenhaltende Einvernehmen einer patriarchalisch strukturierten und in Senat und hohen Ämtern versammelten Oberschicht in eine nicht mehr zu behebende Krise. Dabei ist ihr Leitbild weiter der von seinem Landgut lebende Grundbesitzer mit seinem städtischen Wohnsitz und seiner villa, dessen Land nun allerdings immer mehr zunimmt und manchmal dann Latifundien in verschiedenen Regionen des Reiches umfaßt.

Der Großgrundbesitz nimmt dabei zu auf Kosten der (kleinen) Bauern, von denen viele durch so viele Kriegszeiten wirtschaftlich ruiniert werden und in die Städte ziehen, wo die vielen Ärmeren unter ihnen das sogenannte Proletariat bilden, welches eben nichts als seine Nachkommen (proles) besitzt und so zur Lohnarbeit gezwungen ist.

Noch unter dem städtischen Proletariat sind die als Kriegsbeute und Handelsware zunehmenden Sklaven in Stadt und Land angesiedelt, die teils in den Landgütern der Oberschicht, teils in Bergwerken, aber auch in den Haushalten derjenigen arbeiten müssen, die sie sich leisten können. Am Ende der großen Expansionszeit steht ein Teil von ihnen unter offenbar charismatischen Führern gegen ihre Herren auf, um dann in aufwendigen Militär-Operationen erneut und auf das Grausamste unterdrückt zu werden.

 

Neben dem bei wenigen Leuten konzentrierten Geld und Grund-Eigentum, welches es Oberschicht-Patriarchen ermöglicht, schutzbedürftige Leute als Klientel unter sich zu versammeln, die bei Wahlen in den Volksversammlungen eingesetzt werden und ab dem zweiten Jahrhundert auch als brutale Schlägertrupps auf Straßen und Plätzen fungieren, dient der Oberbefehl (imperium) über Truppen in den Provinzen, der vor allem zum Niederschlagen von Aufständen, aber auch für neue Eroberungen eingerichtet wird, als erheblicher Machtfaktor für machtgierige Männer, die nicht den längeren Weg der Konsensbildung im und mit dem Senat suchen.

 

Diese Karrieristen nutzen nun auch "Politik", so wie das schon im Athen des 5. Jahrhunderts geschieht, nämlich die Suche nach Anhängerschaft über "politische Programme", die öffentlich vertreten werden und welche in Entscheidungen in den Volksversammlungen, insbesondere zunehmend der der Plebejer, umgesetzt werden können, was sie zu populares macht, wie sie dann im 1. Jahrhundert heißen werden, während diejenigen, die - vereinfacht gesagt - eine "Politik" gegen den Senat ablehnen, als optimates bezeichnet werden, die Besten also. Tatsächlich handelt es sich weniger um politische Parteien als die Machtinteressen mächtiger Familien, die nun "politisch" garniert werden.

 

Konfliktthemen sind schließlich unter anderem die verarmten Kleinbauern, die Ansiedlung der Armee-Veteranen auf neuen Kleinbauernstellen, die Lebensmittelversorgung der städtischen Armen in der immer größeren Stadt Rom und dann zunehmend auch die Rechtsstellung der Menschen in jenen italischen Gebieten, die man zu Bundesgenossen Roms gemacht hat. Seit den Brüdern Gracchus finden solche Auseinandersetzungen als Machtkämpfe mit Mord und Totschlag statt, mit Straßenkämpfen und dann auch mit dem Marsch von Legionen auf Rom und mit Bürgerkriegen zwischen einzelnen Armeeführern.

 

Spätestens für Gaius Iulius Caesar wird deutlich, dass es im Rahmen der bisherigen Institutionen kein Ende dieses grausigen Blutvergießens geben kann, und dass nur eine Ausweitung dessen, was bislang für besondere Fälle als sechsmonatige Diktatur vorgesehen war, inneren Frieden bringen würde, und zwar gestützt auf das Militär. So lässt er sich ein Imperium zur Eroberung des nocht nicht unterworfenen Galliens geben und zieht schließlich mit seinem durch erfolgreichen langen Krieg an ihn gebundenen Heer auf Rom und errichtet eine Mischung aus Diktatur und Monarchie, allerdings ohne diese mit den bisherigen Institutionen versöhnen zu können.

 

Nach seiner Ermordung wird binnen dreizehn Jahren letztlich seine Nachfolge militärisch ausgefochten, die in die Erfindung des Prinzipats durch den ersten Augustus mündet, der Verbindung einer de facto monarchischen Instanz, die über die Besetzung von Schlüsselämtern bei Beibehaltung der hergebrachten Strukturen organisierter Macht mehr oder weniger funktioniert.

 

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Die Augusti bzw. Caesaren (deutsch: Kaiser) werden das Reich mehrere Jahrhunderte zusammenhalten und zunächst noch erweitern, aber sie werden weder verhindern können, dass es immer wieder zu oft extrem gewalttätigen Machtkämpfen kommen, noch wird es ihnen gelingen, ohne massive Grausamkeit und erhebliches Blutvergießen regieren zu können.

 

Der zunehmend nur noch pro forma mitregierende Senat, die alten Ämter und die Volksversammlungen haben nur noch die Funktion, kaiserliches Regiment zu betreiben und werden zunehmend durch einen Hof(staat) abgelöst, in dem Ritter und freigelassene Sklaven immer wichtiger werden. Immer mehr an das Zeremoniell altorientalischer Despotien erinnernde höfische Rituale machen deutlich, wie wenig von der alten res publica übriggeblieben ist. Die zunehmende Vergöttlichung von Kaisern, insbesondere nach ihrem Tode, gehört da ebenfalls dazu. 

Dazu passt, dass das in eine lateinisch-sprachige und eine griechisch-sprachige Hälfte geteilte und inzwischen nicht wenig hellenistisch beeinflusste Reich immer offener wird für vor allem aus dem nahen Orient entstammende Kulte. In zahlreichen Städten gibt es jüdische Gemeinden, bis in kleine Militärstationen hinein den persischen Mithraskult und bald dann auch sich von den jüdischen absondernde erste christliche Gemeinden.

 

Der zunehmend despotischere Charakter der nun auch in immer gewaltigeren Palästen residierenden Herrscher ist nur möglich, weil sie sich auf das Militär stützen, und ihre Herrschaft entwickelt sich dabei zu immer offener Militärdiktatur. Die Legitimation durch militärische Gewalt lädt immer wieder "Usurpatoren" dazu ein, sich von ihren Legionen zu Gegenkaisern ausrufen zu lassen. Dem Kaisertum gelingt es also nur zeitweilig, den Bürgerkriegszustand, wie er das letzte Jahrhunderts vor der Zeitrechnung bestimmt hatte, zu verhindern, und manchmal hält er jahrelang an.

 

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Das Kaiserreich expandiert zunächst weiter, das Gebiet des späteren England wird erobert, dasjenige südlich der Donau und der ganze Balkan. Dazu kommen Mesopotamien, das Hinterland der Levante, Ägypten und ein breiter Landstrich in ganz Nordafrika. Im vierten Jahrhundert (n.d.Zt.) dann nehmen an allen Seiten die Verluste zu, bis 476 ganz offiziell der letzte und längst machtlose Westkaiser abgesetzt wird und der Zerfall damit abgeschlossen ist.

 

Für den Weg in Richtung auf die Ursprünge des Kapitalismus ist die innere Entwicklung im Reich wichtiger als die Abfolge von Kaisern und Kriegen. Dieses Reich entwickelt auch in der Kaiserzeit nur ein sehr geringes Maß an Staatlichkeit, und die Zentrale verbraucht einen wesentlichen Teil ihrer Einnahmen für das Militär. Zu diesen gehört eine maßvolle Erbschaftssteuer von 5% und eine Kopfsteuer in den Provinzen. Dazu kommt dort ebenfalls eine Grundsteuer. Bis gegen Ende des dritten Jahrhunderts (n.d.Zt.) bleiben Steuern und andere Abgaben relativ gering. Unter Diokletian wird versucht, die Berechnung der Grundsteuer durch Ermittlung der Kopfzahl der Arbeitskräfte und des Viehs sowie der Größe von Grund und Boden effizienter zu machen und sie gilt nun auch für Italien.

 

 Neben der am kaiserlichen Hof angesiedelten Regierungszentrale sind Provinzen und in ihnen Städte die wesentlichen Einheiten. Provinzen, die vor der Eroberung durch Rom kaum Städte kannten, wie auf dem größten Teil der iberischen Halbinsel, in Gallien und England werden darum mit Neugründungen überzogen, die sich am Modell der urbs Roma orientieren. Solche civitates (und je nach Status municipiae und coloniae) werden von einem Stadtrat (curia) regiert, der, da er ein Ehrenamt mit großen Verpflichtungen ist, aus der Gruppe der großen Grundbesitzer gewählt wird. Diese Kurialen oder Dekurionen bestreiten wichtige Aufgaben und Ausgaben wie öffentliche Gebäude und das Amüsierprogramm für die städtischen Massen in der Regel aus der eigenen Tasche.

 

Civitas und Umland bilden wie dann auch bei den Bistümern eine Einheit, und die städtische Oberschicht ist sowohl stadtsässig wie auch zunehmend auf dem Landgut in der villa rustica wohnend. Diese Landgüter werden wiederum von dort hausenden Sklaven bearbeitet, während die von Status und Reichtum ganz oben angesiedelte senatorische Oberschicht in der Regel über riesige Latifundien verfügt, auf denen Sklavenmassen nicht mehr kontrolliert werden könnten und wo Klein-Pächter als Kolonen (Siedler) angesiedelt werden. Da die Abgaben an die Regierungszentrale vor allem auf Landwirtschaft und damit auch der Kopfzahl der Produzenten beruhen, werden diese Kolonen immer stärker an ihre Scholle gebunden, was die erobernden und neusiedelnden Germanen dann erst einmal so aufnehmen werden. Neben alledem gibt es noch eine unbekannte Anzahl freier bäuerlicher Landwirtschaft.

 

Erhalten sind heute im wesentlichen Texte, Gebäude und Artefakte der kleinen römischen Oberschicht, dagegen wissen wir kaum etwas über die vielen Menschen, die das Land bearbeiten, als Sklaven in Bergwerken zugrunde geschunden werden, als kleine Gewerbetreibende in den Städten leben oder zur vermutlich großen Zahl der Lohnarbeiter gehören. Aus kultischen Veranstaltungen entwickeln sich in den Städten schon vor der Kaiserzeit von der kleinen Oberschicht und dann vor allem in der Stadt Rom von den Caesaren ausgerichtete und finanzierte Amüsierspektakel, die entweder gratis oder gegen geringen Obolus die städtischen Massen bei Laune halten. 

Bei Wagenrennen, Gladiatorenkämpfen, Tierhetzen, dümmlich ordinären Komödien und manchem mehr können die zivilisierten, also untertänig gehaltenen Massen ihre komplementäre Seite, nämlich ihre aggressive und pervertierte Raubtierpsyche ausleben und sich schlimmer als Bestien verhalten, denen so etwas keine Freude machen würde. 

 

Schon in den bürgerkriegsartigen Konflikten vor der Kaiserzeit beginnt mit Spenden und dann mit regulären Gaben das Abfüttern der Proletariermassen der urbs Roma, die bei einer Einwohnerzahl von etwa einer Million in der frühen Kaiserzeit mehrere Hunderttausende beträgt. Erst wird Getreide verteilt, dann kommen auch andere Grundnahrungsmittel dazu, wobei das allerdings wohl kaum das Existenzminimum einer Familie erreicht. Aber auch darüber hinaus bieten reiche Magnaten und dann auch vor allem Kaiser den städtischen Massen einiges an: Wasserversorgung und Abwasserableitung, riesige öffentliche Badeanlagen und öffentliche (Gemeinschafts)Toiletten zum Beispiel. 

 

Das Wohnen der meisten in mehrstöckigen, oft baufälligen Mietskasernen von Immobilien-Großbesitzern, überwiegend in winzigen Wohnungen ohne Bad, Toilette und oft auch ohne Küche hingegen erinnert an die Wohnsituation des Industrieproletariats des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Leben tut man da tunlichst außerhalb.

 

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Kapitalismus wird ausschließlich in lateinisch christianisierten Gegenden seinen Ursprung haben, und deshalb kann man von vorneherein vermuten, dass die christliche Religion als eine seiner Rahmenbedingungen anzusehen sein wird. Darum sei hier bereits etwas näher darauf eingegangen.

 

Etwa in der Zeit der solonischen Reformen in Athen soll ein Machthaber in Jerusalem, Zentrum des kleinen Juda, nach dem Untergang Israels seine Macht dadurch zu steigern versucht haben, dass er den (Opfer)Kult der hohen Priester eines Gottes in einem Tempel im Hauptort Jerusalem für seine Untertanen verbindlich machte und das Ganze mit der Redaktion sehr verschiedener wohl weithin unhistorischer Texte als einer Art chauvinistisch-gewalttätigen Nationalmythos flankierte und dem Ganzen noch eine Art politisch-religiöses Gesetz beigab, welches direkte Botschaft des jüdischen Gottes sein sollte. Das extremste Kuriosum dieses Regelswerks ist die Markierung der Männer an ihrem Penis, wohl frühestes Beispiel eines rabiaten Rassismus, da es den jüdischen Frauen die politiko-religiös korrekten Geschlechtspartner biologisch anzeigte und alle anderen ausschloss.

 

Das eher machtlose Reich zwischen Ägypten, Assyrien und Mesopotamien überlebt nur mit Mühe und durch Zeiten der Fremdherrschaft als Kuriosum einer Religionsgemeinschaft, die eine Zivilisation stabilisieren soll, aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg als Gründungsmythos eines soliden religiös begründeten Staatsgebildes dienen wird.

Stattdessen gerät damals die Oberschicht unter den Einfluss des Hellenismus und die Bevölkerung schließlich unter römische Aufsicht. Unterschiedliche religiöse Kleingruppen bilden sich neben solchen, die die Ausländer wieder militant aus dem Land vertreiben und Überfremdung zurücknehmen wollen. Tatsächlich werden die Juden insbesondere in Palästina zu den wohl aufsässigsten unter den vom römischen Militär unterworfenen Volksgruppen, was schließlich zu ihrer Vertreibung aus Jerusalem und der Zerstörung des Tempels führt.mu

 

Von einem bei Flavius Josephus, Paulus und dann in den Evangelien erwähnten Jesus ist als historische Person fast nichts überliefert, aber es lässt sich immerhin vermuten, er sei mit etwa dreißig Jahren (von denen wir nichts wissen) durch einen Johannes, der offenbar Menschen im Jordan durch Taufe und Predigt bekehrt, so beeinflusst worden, dass er sein bisheriges Leben aufgibt und als Wanderprediger vor allem in Galiläa, entfernt vom judäischen Kernland, die Menschen aufruft, ihren Besitz und ihre persönlichen Bindungen aufzugeben und ihm als umherziehende Bettler zu folgen, wohl weil man in seiner Nachfolge (als "Apostel" auf griechisch) das nahe Weltenende überstehen und dann in paradiesische Zustände geraten würde.

 

Genaueres kann man nicht wissen, da die Generationen später geschriebenen und dann offenbar von der entstehenden Kirche noch redigierten Evangelien in sich sehr widersprüchlich sind und zudem von haarsträubenden Wundergeschichten durchzogen sind: Einmal wird die Ehe abgelehnt, einmal für unauflöslich erklärt, einmal wird "Nächstenliebe" bis hin zur "Feindesliebe" propagiert, andererseits werden viele Menschen sehr harsch vom kommenden "Himmelreich" ausgeschlossen.

 

Offensichtlich ist das Ergebnis seines Wanderpredigertums für Jesus sehr unbefriedigend, die Rede ist nur von "zwölf" Aposteln, die mit ihm ziehen und von wenigen offenbar gutsituierten Frauen, die ihn bewundern (?). Offenbar um mehr Aufsehen zu erregen, zieht er mit seinen wenigen Anhängern nach Jerusalem und erregt dann, möglicherweise durch Randalieren, im Tempel den Ärger der diesen verwaltenden Priester und anderer fromm-orthodoxer Juden, die beim römischen Statthalter seine Hinrichtung erreichen.

 

Damit hätte sich die Jesusgeschichte eigentlich erledigt, aber der kleine Anhängerkreis verwandelt sie nun, um sich nicht enttäuscht auflösen zu müssen, in eine Christusgeschichte (christos ist griechisch für den hebräischen messias). Man verkündet seine Auferstehung von den Toten, seine Auffahrt in ein Himmelreich und, damit das alles für schlichte Gemüter glaubhaft wird, wird aus dem Menschen Jesus nun der leibliche Sohn des (letztlich immer noch) jüdischen Gottes. Er habe versprochen, noch zu Lebzeiten seiner Anhänger zurückzukommen. Möglicherweise hatte Jesus einen väterlichen Gott gepredigt und darum von seinem Vater im Himmel gesprochen.

 

Schon der jüdische und nun viel mehr noch der christliche Gott lebt nicht wie antike Götter auf Erden, auf hohen Bergen oder manchmal auch mitten unter den Menschen. Zeus beispielsweise kopuliert gelegentlich mit attraktiven sterblichen Mädchen und Frauen wie der Io. Himmelreich / Paradies / das Reich des christlichen Gottes ist aber ganz und gar nicht von dieser Welt und in seinem Charakter (und Aggregatzustand) völlig anders. Christen werden so an zwei Welten glauben, eine irdische und zeitlich begrenzte, das saeculum bzw. die saecula, und eine himmlische, nicht mehr durch Zeit und Raum begrenzt.

 

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Das Christentum entsteht nun aus mehreren Wurzeln heraus: Der "Herr" Jesus kehrt nicht mehr zurück auf Erden, um das neue Paradies einzuläuten, wie das noch Paulus erhofft. Und je mehr von Generation zu Generation seine Rückkehr auf Erden hinausgeschoben werden muss, desto deutlicher wird, dass man im Kompromiss mit den irdischen Realitäten leben und sterben muss und erst irgendwann nach dem Tod zur "Auferstehung" und dem "ewigen Leben" gelangt.

Damit verbunden ist, dass in Ermangelung eines wundertätigen und die rechte Lehre vermittelnden Gottessohnes Menschen treten müssen, die in Konkurrenz zur jüdischen, griechischen und römischen Priester-Rolle und zugleich als Jesus ersetzende Heilsbringer treten.

Was so im Verlauf einiger Generationen nach Jesus entsteht, sind Gemeinde-Versammlungen (ekklesia) mit Priestern (presbyteros) und in ihrer Zusammenfassung Kirche (nach dem Adjektiv kyriakón - zum Herrn, kyrios, gehörig). Ursprünglich jüdischen Gruppen insbesondere auch der jüdischen Diaspora des römischen Imperiums entstammend, löst sich das Christentum schon bald vom Judentum und breitet sich in kleinen Gemeinden über das ganze römische Reich aus.

 

Je mehr Menschen sich in christlichen Gemeinden versammeln, desto mehr ignorieren sie die schwer einzuhaltenden jesuanischen Gebote wie die Besitzlosigkeit, die Nächstenliebe und die absolute Friedfertigkeit. Tatsächlich unterscheiden sich viele Christen wenige Generationen nach Jesu Tod von ihren "heidnischen" Nachbarn alltäglich nur noch durch den Kirchgang. Dort, in der Kirche, zunächst noch nichts als kleine, unscheinbare Räume, müssen Priester jene wundersamen Heilsmittel des Jesus der Evangelien ersetzen, und sie tun dies, indem sie einen magisch-sakralen Raum schaffen und in diesem mit der von magischer Zauberkraft durchsetzten Wiederholung des Abendmahles samt Verwandlung von Wein in Blut Jesu und Brot in das Fleisch Jesu ein erstes Sakrament etablieren, auf das dann noch weitere folgen werden, in denen die Gegenwart des Christengottes behauptet wird.

 

So wie nun ein göttliches und ein irdisches Reich (welches das Imperium Romanum ist) gegenüber gesetzt werden, so auch eine "weltliche" Sphäre, in der Jesus kaum eine Rolle spielt, und in der man gehorsamer Untertan der römischen Machtelite ist. Die neuen irdischen Heilsbringer, die christlichen Priester, sollen sich im Sinne der Glaubwürdigkeit ihrer zunehmenden magischen Kräfte von solch lauem Christentum vor allem wie ihr Vorbild Jesus durch Besitzlosigkeit, die durch ein Gehalt kompensiert wird, und durch sexuelle Enthaltsamkeit abheben, wobei vor allem letztere (verständlicherweise) in den ersten christlichen Jahrhunderte so sehr schwer fällt, dass sie immer wieder neu von der Kirche beschlossen werden muss.

 

Kirche ist zunächst das Gebäude und die Gemeinde, die sich dort regelmäßig trifft, um schon bald im "sakralen" Raum "geistlicher" (spiritueller) Heilsmittel zuteil zu werden. Damit wenigstens die Priester noch ein wenig auf den evangelischen Jesus hin orientiert werden, entsteht Kirche aber auch als übergreifende Organisation, in der jeweils pro Region, bald dann je civitas, ein Aufseher, episcopos, über die ordentliche Amtsführung der Priester und die aktuell gerade korrekte Heilslehre wacht. Über diesen wieder sitzen, und zwar in den Großstädten des Reiches, Metropoliten, aus denen später Erzbischöfe werden, und angesichts der Größe des Reiches dann noch einige wenige Patriarchen, Überväter sozusagen. Erst infolge der Teilung des Imperiums in ein östliches und ein westliches Reich macht sich der Bischof von Rom unter der dann zwischen dem 4. und 5. Jahrhundert durchgesetzten Bezeichnung papa zum Herrn der weströmischen Kirche, wobei er allerdings in Zukunft erst noch mehr Befugnisse wird durchsetzen müssen.

 

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Nachdem das Reich "der Römer" im zweiten Jahrhundert (n.d.Zt.) seine größte Ausdehnung erreicht hat, muss es immer mehr militärische Anstrengungen in die Unterwerfung von sich verselbständigenden Regionen unter teils sogar nach der Gesamtherrschaft strebenden Militärs und auch auf zunehmende militärische Bedrohungen von außen und dabei von fast allen Seiten unternehmen.

UnterDiokletian dienen dazu innere Reformen und die Aufteilung des Imperiums auf zwei Augusti und zwei Caesaren. Diese scheitert zunächst dann an der Machtgier ihrer Nachfolger, unter denen es einem Konstantin gelingt, wieder die Alleinherrschaft zu erringern. Dieser nähert sich der (christlichen) Kirche an und versucht sie als zusätzliches Machtinstrument im Reich einzusetzen, wofür sie sich von ihm auch inhaltlich dominieren lässt, wiewohl er zu Lebzeiten nicht einmal getauft ist. Abgesehen von einem kurzen Restaurationsversuch der alten (Staats)Kulte entwickelt sich das nunmehr auf Konzilien inhaltlich dogmatisierte Christentum im 4. Jahrhundert langsam zu einer dominanten und dann massiv unduldsamen Staatsreligion, die beginnt, alle anderen Kulte auszurotten. Dieser brutal gewalttätige und ausgesprochen kriegerische Charakter des Christentums, darin dem des antiken Judentums und des bald aufkommenden Islams recht ähnlich, welcher aber auch gar nichts mehr mit dem Jesus der Evangelien zu tun hat, wird sich bis durch das lange Mittelalter halten und dann seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts durch ähnlich brutalen Polit-Religionsersatz abgelöst werden.

 

 

Nach Konstantins Tod lässt sich die Aufteilung des Reiches in einen östlich-griechischen und einen westlich-lateinischen Teil nicht mehr aufhalten. Im Osten dringen insbesondere ab 376 große Scharen vor allem von Goten von Norden ins Reich ein, die dem Druck aus Innerasien stammender Reiterhorden ausgesetzt sind, Im Westen geht England verloren, welches zunehmend Wellen angelsächsischer Einwanderer ausgesetzt wird.

Von den Römern als Franken und Alamannen zusammengefaßte Germanenverbände dringen immer öfter über den Rhein ins Reich. So wie Goten im Osten gibt es auch Franken, die im Westreich als eine Art Wehrbauern angesiedelt werden. Schließlich marschieren ab 406 Vandalen, Sueben und andere bis Hispanien durch und gründen dort eigene Reiche. Eine große Gruppe von Goten, welche mit ihrer Behandlung im Ostreich unzufrieden bleiben, marschiert im Westreich ein, zieht durch Italien, plündert Ende 410 die urbs Roma, um dann um 418 in den Süden des immer unruhigeren Galliens abgeschoben und dort in einem Reich mit der Hauptstadt Tolosa (Toulouse) angesiedelt zu werden. Inzwischen haben auch die Burgunden ein "Reich" am Rhein um Worms gegründet, welches sie auf Druck von Hunnen und Römern wenige Jahrzehnte später aufgeben, um in die Sabaudia (Savoyen) zu ziehen. Etwa in dieser Zeit setzen die iberischen Vandalen nach Afrika über und gründen dort ein großes Reich, von dem aus sie Rom bedrohen, und von wo sie seine Getreideversorgung wenigstens teilweise kontrollieren.

 

In diesen Vorgängen, an deren Ende weströmische "Kaiser" nur noch bestenfalls Italien kontrollieren, gelingt es ihnen immer weniger, noch Legionen aus der altrömischen Bevölkerung zu rekrutieren. Sie werden vielmehr nun zunehmend mit germanischen Völkerschaften aufgefüllt und selbst die hohen Militärführer sind jetzt meist germanischer Abstammung.

 

Der lange Weg in den Untergang des Westreiches führt über Eroberungen von überwiegend germanisch dominierten Heerscharen/Völkern und über Überfremdung vor allem durch diese und die neue Religion einerseits, zum anderen durch militärische und damit verbundene finanzielle Überforderung und schließlich wohl auch durch den im nicht militärischen Bereich sehr dezentralen Charakter des Reiches mit seiner relativen Selbständigkeit der civitates und der ihre Traditionen nicht immer völlig durch zivilisatorischen Druck verlierenden Regionen.

Jedenfalls geht spätestens seit dem vierten Jahrhundert die Bevölkerung erheblich zurück, Städte wie Trier, die Augusta Treverorum, und selbst wie die Urbs Roma beginnen zu verfallen. Der Handel geht langsam zurück und Infrastruktur wie Straßen werden weniger gepflegt.

Im zunehmend angelsächsischer geprägten England verfallen die Städte fast völlig und das Land verliert seine zentrale Verwaltung. Der größte Teil Galliens zerfällt in einzelne Militärbezirke, und von einem von ihnen steigen mit einem Childerich die sich langsam als großes Volk formierenden Franken auf, während der Süden von Toulouse aus von den Westgoten regiert wird, die Burgunder sich  vom heutigen Savoyen ins Rhonetal auszubreiten beginnen, und Hispanien nach dem Abzug der Vandalen nach Afrika im Südwesten von den Sueben und ansonsten von regionalen Machthabern kontrolliert wird. Als letztes fällt Italia in die Hände der Ost- oder Osthrogoten unter Theoderich, die von Ravenna aus regieren. Von der Millionenstadt Rom zur Zeit der frühen Kaiser bleibt eine zu Ruinen verfallende Stadt von wenigen zehntausend Einwohnern, in der sich die Päpste als herausragende Machthaber durchsetzen.

 

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Durch Ansiedlung konstituieren sich militärisch organisierte Stammesgruppen mit eigener Sprache und nunmehr fast überall arianisch, also von der katholischen Norm abweichend definiertem Christentum als "Völker", wobei diese auch im Prozess der Unterordnung unter "Könige" sich konstituieren, die lateinisch als reges bezeichnet werden wie die wohl aus etruskischen Geschlechtern stammenden Könige der römischen Frühzeit.

 

Die Neusiedler, welche nun nicht mehr so sehr durch Raub, sondern durch Etablierung als kleine neue Oberschicht mit völkisch zugehörigem König am Reichtum des alten Rom und an seinen Einrichtungen partizipieren wollen, wollen sich dazu meist mit der alteingesessenen Oberschicht arrangieren, was alleine schon dadurch erschwert wird, dass ein mitgebrachtes oder bald erworbenes arianisches Christentum immer wieder auf die römisch-katholischen Alteingesessenen trifft. Das Ende des Westimperiums bedeutet aber auch einen langsamen Niedergang des Mittelmeerhandels und dann auch des regionalen Handels.

 

Einge Reiche werden dann aber durch Eroberung besiegt werden: Das Westgotenreich in Südgallien durch die Franken und nach dem Übergang auf die iberische Halbinsel und lange nach der Vernichtung des Suebenreiches dort durch islamische Heere, die Reiche der Vandalen und Ostgoten durch oströmische, byzantinische Heere. Was bleiben wird, ist ein fränkisches Reich, welches sich über Gallien nach Osten auf die Gebiete dort nun siedelnder germanischer Stammesverbände und über das eroberte Langobardenreich nach Nord- und Mttelitalien ausdehnen wird.

 

 

Der kurze Überblick hier konzentriert sich nun auf dieses Reich der Franken, und als es in einen West- und Ostteil zerfällt und der Osten in der Nachfolge des Karolingerreiches in lockerer Form Nord- und Mittelitalien an sein ("Kaiser")Reich anbindet, werden in einigen Gegenden dort, zudem an den Küsten Englands und Kataloniens, Ansätze von Kapitalismus einwurzeln, die auf erneut ansteigender Bevölkerung, zunehmender agrarischer Produktion und einem ersten Aufleben des Handels beruhen werden.

 

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Wenn wir versuchen, bisherige bekannte Geschichte zusammenzufassen, dann beruht sie seit den frühen bronzezeitlichen Despotien vor allem auf oft grausamster Gewalt, betrieben von Machthabern und ihnen zuarbeitenden Eliten, die Massen von möglichst geduckten Untertanen für sich arbeiten und kämpfen lassen, und denen es mitteln Kulten und dann der (kirchen)christlichen Religion sowie durch deren untertänigste Identifizierung mit dem Luxusleben und den Monumentalbauten der Machthaber sowie mit ihren militärischen Siegen gelingt, diese Untertänigkeit oft auch ohne massive Gewalt nach unten aufrechtzuerhalten.

 

Dazu kommt in den eisenzeitlichen Zivilisationen des Mittelmeerraumes eine gewisse, oft allerdings eher symbolische  Partizipation von Teilen städtischer Bevölkerung an den Entscheidungen in auch dadurch entstehenden Stadtgemeinden, die allerdings in der römischen Kaiserzeit verschwinden.

War das Kriegertum im Imperium der Caesaren ganz auf professionalisierte Soldaten übergegangen, so bildet das Frankenreich mit ihrer nun doppelten Oberschicht einmal aus fränkischen Kriegern, die nicht mehr von Sold, sondern von Beute leben, welche bei Ansiedlung eben auch Macht über Land und Leute bedeutet, und zum anderen aus der noch vorhandenen römischen städtischen Oberschicht und den übriggebliebenen römischen Großgrundbesitzern ein Kriegertum, welches sich im wesentlichen aus seinem Grundbesitz finanziert.

 

Sprachlich werden die Franken im gallischen Kernland, wo sie fast überall in der Minderheit sind, auf die Dauer romanisiert, und im überwiegend germanisch besiedelten Raum werden sich andererseits Idiome bilden, die am Ende in einer altdeutschen Sprache mit ihren Dialekten münden.

Religiös verschmelzen Romanen und Germanen zu einem fränkischen Volk, indem Chlodwig, sobald er sein höheres Gefolge dazu bereit sieht, mit ihm von den traditionellen germanischen Kulten zum von den Alteingesessenen angenommenen römischen/katholischen Christentum übertritt. Damit wird nun auch für die zunächst germanisch dominierten neuen Reiche Religion zu einem Macht- und Herrschaftselement, auf das die Untertanen verpflichtet sind, so wie sie seit dem späten 18. Jahrhundert zunehmend auf "politisch korrekte" Ideologien verpflichtet werden. 

 

Die Bevölkerungsstruktur besteht unterhalb des in der Familie der Merowinger vererbten Königtums und bei Erbteilung mehrerer Könige aus einer Kriegerschicht aus freien Bauern und altrömischen wie fränkischen Großgrundbesitzern, deren mächtigste höhere Ränge und manchmal auch "Ämter" als Grafen und Duces sowie bei Hofe innehaben, und andererseits aus den zunächst weiter oft der altrömischen Oberschicht entstammenden Bischöfen, die mit militärisch ausgerichteten comes (später "Grafen") sich in die Macht in den zunächst oft weiter verfallenden Städten teilen und diese dann später immer mehr alleine übernehmen.

 

Als römisches Erbe arbeiten auf den Gütern auf dem Lande Kolonen bzw. Pächter bzw. nun eher noch abhängiger werdende Landbevölkerung und weiterhin auch Sklaven. Die Städte allerdings schrumpfen meist zunehmend, die öffentlichen Bauten, soweit sie nicht der Verwertung der Steine zum Opfer fallen, werden zweckentfremdet, die Straßen, die Wasserversorgung und Abwasserableitung verschwinden. Nur noch wenige Gebäude der Reichen und Mächtigen sind aus Stein.

Bis in die Herrschaft der Familie der Karolinger hinein schwindet die Lese- und Schreibkunst und die Kenntnis des klassischen Lateins, welches im "Volk" zu romanischen Dialekten wird. Diese beschränkt sich dabei immer mehr auf die höhere Geistlichkeit, Teile der aufstrebenden Klöster und einzelne Vertreter der obersten weltlichen Kreise, woran auch die Bemühungen eines Karls ("des Großen") nichts ändern werden, denn deutsche Kaiser und auch der neue Hochadel werden bis tief ins Mittelalter meist lese- und schreibunkundig bleiben.

 

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Nach den massiven Veränderungen, welche "Christentum" durch seine Integration in das Reich der Römer durchmachte, verändert es sich noch einmal mit der Christianisierung germanischer Völker und auch der Franken, wobei die geistliche Elite versucht, für ihren Apparat möglichst einige altrömisch-christliche Elemente aufrecht zu erhalten. Die nunmehr überall analphabetischen Massen treffen bei und nach ihrer Missionierung bald auf selbst kaum lesekundige Priester vor Ort und insbesondere auf dem Lande, und insbesondere die ungefähr 90% von Landbewirtschaftung lebenden Bauern erfahren von ihren Pfaffen oft wenig Christliches außer dem in seiner Substanz für sie unverständlichen verkürzten Glaubensbekenntnis und dem Vaterunser. Erst im Mittelalter werden einzelne lesebegabte Interessierte in den wieder auflebenden Städten erste Inhalte der evangelisch- jesuanischen Botschaften wieder entdecken, was sie dann automatisch zu Häretikern bzw. Ketzern macht, die zu verfolgen und dann bald auch umzubringen sind.

 

Während die Priester sich in Belesenheit und Horizont sowie im Lebenswandel oft kaum von den laikalen Gemeindemitgliedern unterscheiden, und die Bischöfe sich in der Verwaltung ihrer Bistümer und Güter in manchem kaum von hohen weltlichen Herren unterscheiden, entsteht schon früh in Ägypten und dem Nahen Osten ein Eremitentum, welches versucht, in Weltverneinung und Leibfeindlichkeit einer Nachfolge Jesu nahezukommen. Diese monachi, nach Heiligkeit strebende Alleinlebende, werden auch dann noch Mönche genannt, als sie beginnen, sich noch im Imperium Romanum in Klostern zusammen- und von der "Welt" abzuschließen.

 

Solche nach Heiligkeit strebende Männer- und auch Frauengemeinschaften mit den Kennzeichen der Ablehnung von Individualbesitz und ausgelebter Geschlechtlichkeit funktionieren überhaupt nur nach einem extrem strengen Regelwerk und unter der fast uneingeschränkten Befehlsgewalt eines Chefs, des Abtes, so wie auch die Kirche über Befehl und Gehorsam hierarchisch organisiert ist. Während die Kirche neben Schenkungen vor allem an Grundbesitz und darauf arbeitenden Menschen mit dem Zehnten eine Form von Finanzierung durch eine Steuer erreicht, sind die Klöster ganz auf Schenkungen angewiesen, die im Verlauf des Merowingerreiches in dem Maße zunehmen, als Klöster durch Reformen auch für die kriegerische und viel Grund besitzende Oberschicht attraktiver werden.

 

Im Frankenreich der Merowinger setzt sich also das Phänomen der extrem ungleichen Verteilung des Eigentums insbesondere auch an Grund und Boden aus dem späteren Imperium Romanum fort, welches nun als Großgrundbesitz auf Könige, Kirche, Kloster und weltliche Große vor allem aufgeteilt ist, neben einer heute unbekannten Zahl freier Bauern. Entsprechend ist auch die Machtverteilung im Reich.

Wenn man noch dazu nimmt, dass das Lateinische die einzige Schriftsprache bleibt und nicht zuletzt auch die Sprache von Amtsinhabern und Kirche, und dass im größten Teil Galliens die Umgangssprache des "Volkes" aus Weiterentwicklungen des Lateinischen hervorgeht, und dass die frühen germanischen Könige  sich von Ostrom als Rechtsnachfolger römischer Herrschaft legitimieren lassen, dann kann man von deutlichen Veränderungen, aber keiner klaren Bruchlinie zwischen Antike und neuen Reichen sprechen. Vielmehr versuchen die neuen Herren, so viel wie möglich von dem zu erhalten, was sie durch Eroberung gewonnen haben und als ihr Erbe nun betrachten. 

 

Es ist deshalb wohl sinnvoll, von einer Art Nachantike zu sprechen, die erst dort überall zu Ende geht, wo auch die nachantiken Reiche scheitern, und als letztes das Frankenreich im 9. Jahrhundert, als es nicht einfach nur in mehrere Reiche, sondern noch viel intensiver auseinanderfällt und scheitert. Damit scheitert auch der vielfach dokumentierte Versuch Karls ("des Großen"), in mancherlei Beziehung noch einmal von Neuem an die Antike anzuknüpfen. Im 10. Jahrhundert ist er zumindest im östlichen Frankenreich aufgegeben und eine Art Neuanfang beginnt in vorsichtig tastenden Schritten. Hier soll deshalb erst für die Zeit seitdem von Mittelalter gesprochen werden, und dieses soll denn auch anders definiert werden als jenes "dunkle Zeitalter", als das es Renaissanceautoren erfunden haben. Sinnvoller wäre es dann auch, von einem langen Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert zu sprechen, dem Kontinuum einer ersten Phase von Kapitalismus, auf die dann mit dem großen Schub der Industrialisierung eine zweite, späte Phase folgt, welche die Zerstörung abendländischer Zivilisation betreibt, die im zwanzigsten Jahrhundert auf das brutalste abgeschlossen werden wird. Dabei ändern sich auch die bisherigen Strukturen des Kapitalismus soweit, dass sich die Frage stellt, inwieweit überhaupt noch davon die Rede sein kann.

 

Eines ändert sich aber mit dem Ende der römischen Antike deutlich: Es entsteht ein Kriegertum einer neuen Herrenschicht, von der nicht nur manchmal sogar Bischöfe und Äbte selbst Waffen in die Hand nehmen, sondern auch mit Heeresaufgeboten der ihnen Untergebenen an der allgemeinen Gewalttätigkeit partizipieren. Schon der Gründerkönig des gallischen Frankenreiches, Chlodwig, besiegt die in Südgallien siedelnden Westgoten, die darauf nach Hispanien abziehen, und die Alamannen. Die Burgunden werden in das Reich gezwungen und die Thüringer besiegt. Mit den Sachsen und Friesen gibt es Kämpfe. 

 

Kontinuität herrscht vor allem auch darüber weiter, dass das römische Vielvölkerreich im Osten weiter existiert und seine Oberhoheit von germanisch dominierten Nachfolgereichen des Westens zunächst anerkannt wird. Bis zur Pest des 6. Jahrhunderts und dem Aufstieg des Islam bleibt es zumindest eines der wohlhabendsten Gebiete der Welt. Konstantinopel wird auch bis nach der Schwellenzeit wichtigstes Handelszentrum in Europa bleiben, auch wenn es wirtschaftlich wichtige riesige Gebiete an die Araber verliert.

 

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Das Merowingerreich formt weniger noch als das Imperium Romanum einen Staat, sondern bildet im Kern weiter die alte Heeresordnung der Reichsbildungszeit - nun unter Bedingungen der Seßhaftigkeit - ab, also Strukturen von Gefolgschaft mit dem Anspruch auf Belohnung. Darum ist der Krieg auch konstitutives Element der neuen Zivilisation und begründet mit seinen Beuteperspektiven königliche Macht.

 

Regiert wird von einem königlichen Hof mit einer kleinen Zahl von Ämtern aus, und zwar in der Regel im Zusammenspiel mit den Großen des Reiches. Die Schriftlichkeit konzentriert sich immer mehr auf die königliche Kapelle, während im Laufe der Zeit die Macht der Verwalter des königlichen Haushaltes zunimmt, die maiordomus oder später Hausmeier heißen. 

 

Im 7. Jahrhundert gelingt es zwei mächtigen Familien Austriens, in denen ein Arnulf von Metz und ein Pippin herausragen, mit enormem Grundbesitz und hohen Ämtern versehen, über das Hausmeieramt in diesem nordöstlichen Teilreich immer mehr Regierungsmacht an sich zu reißen. Einem Pippin ("dem Mittleren") gelingt es schließlich, die Macht in Austrien und dem westlich davon gelegenen Neustrien auf kriegerischem Wege ganz zu gewinnen. Die Merowingerkönige führen nun eher ein Schattendasein, worüber allerdings wenig bekannt ist.

 

Unter seinen Nachkommen setzt sich ein Karl, der etwas später den Beinamen "Martell", der Hammer bekommt, durch. Auch er wird fast seine ganze Herrschaft hindurch Krieg führen, vor allem gegen Tendenzen der Verselbständigung an den Rändern, in Südgallien, Alemannien und Bayern, die letztere beide inzwischen Dukate (Herzogtümer) sind, und zusätzlich Raubzüge gegen Friesen und Sachsen.

Nachdem ein islamisches Heer aus Nordafrika 711 das iberische Reich der Westgoten überrollt, dringen muslimische Truppen in Südgallien ein und werden dann 732 zwischen Tours und Poitiers durch ein Heer Karls gestoppt, nisten sich aber in Küstengebieten des Mittelmeeres in einer Art Räubernester noch auf Jahrhunderte ein.

 

Im späteren sechsten Jahrhundert erobern die Langobarden große Teile Italiens und Byzanz kann nur noch einzelne Küstengegenden halten. Dazu gehört auch Rom, aber angesichts der langobardischen Bedrohung, gegen die Byzanz kaum noch als Schutzmacht auftreten kann, wenden sich die Päpste nun mit der Bitte um Schutz zu. Der noch mit dem langobardischen Königshaus verbündete Karl ("Martell") verweigert sich noch dem Papst, aber er ist immerhin inzwischen mächtig genug, nach dem Tod eines Merowingerkönigs keinen Nachfolger mehr einzusetzen.

 

Nach Karl setzt sich ein dritter Pippin 747 gegen seinen Bruder Karlmann durch. Zwischen Thüringen und dem unteren Maingebiet ist das Land inzwischen auch durch fränkische Besiedlung stärker an das gallische Kernland angebunden, Alemannien und Bayern müssen erneut unterworfen werden. Der immer wieder und nun stärker ans Frankenreich angebundene germanische Raum wird durch systematischere Missionierung im Einklang mit militärischer Unterwerfung nach fränkischen Vorstellungen zwangszivilisiert.

 

Es kommt bald darauf zu erneuter Annäherung zwischen Papst und Hausmeier, die in einen Bescheid des Papstes mündet, der die Annahme der Königswürde durch Pippin legitimiert. Es kommt zum Besuch des Papstes bei den Franken und dann zu Kriegszügen Pippins gegen die Langobarden.

 

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Beim Übergang von der Herrschaft der Familie der Merowinger zu der der Karolinger verändert sich wenig. Die erhebliche Gewalttätigkeit, nicht selten verbunden mit brutaler Grausamkeit, richtet sich weiter gegen die Konkurrenz von Brüdern, aufsässige Große im Reich und die äußeren Feinde. Immer größere Teile des Landes gehören einigen weltlichen Großen, der Kirche und Klöstern. Das Reich ist im wesentlichen ländlich-agrarisch geprägt und Städte spielen selbst dort, wo sich die ersten etwas zu erholen beginnen, abgesehen von einigen wenigen Gegenden Nord- und Mittelitaliens kaum eine Rolle. Geringer Handel und sehr eingeschränkte Geldwirtschaft prägen das Reich. Die Religion wird weiter von Machthabern und einer breiteren Herrenschicht für ihre Zwecke instrumentalisiert, und diese betrachten kriegerische Gewalt als wesentlichen Lebenszweck.

 

Pippin selbst wendet sich für den Rest seiner Herrschaft vor allem der Eroberung Aquitaniens zu, die aber erst von Sohn Karl vollendet werden wird. Beim Tod des Vaters 768 beginnt ein Konkurrenzkampf zwischen den Brüdern Karl und Karlmann im aufgeteilten Reich, der mit dem Tod des letzteren 771 beendet wird.

 

Karl ("der Große") beginnt einen ersten von zahlreichen Kriegen gegen die Sachsen, begleitet von massiven Zerstörungen. 773 stehen die Langobarden wieder einmal vor Rom und Karl zieht mit Heeresmacht gegen sie, unterwirft sie und nimmt den Titel eines langobardischen Königs an. Nebenbei verschwindet nun auch die Familie Karlmanns. Es kommt zu einer ersten Begegnung mit dem Papst in Rom.

 

Die nur wenig anzivilisierten Sachsen werden sich rund dreißig Jahre gegen immer neue und immer brutalere Kriegszüge Karls wehren, die die Vernichtung sächsischer Lebensformen und Vorstellungswelten zum Ziel haben. Dabei steigert sich mit dem Widerstandswillen der einen die mörderische Gewalt und der mörderische Zerstörungswille der Eroberer. Die von der Historie als "Große" titulierten Herrscher sind ganz offensichtlich weiterhin eher als terroristische Massenmörder zu bezeichnen.

 

Am Ende wird Sachsen in Bistümer und Grafschaften aufgeteilt und ins Reich Karls integriert. Diese Integration läuft wesentlich von oben nach unten und bezieht zuerst eine kollaborierende Oberschicht ein. Ein Ergebnis sind bis 811 anhaltende Konflikte mit den Dänen, ein weiteres die mit Slawen, die in der Sorbischen Mark enden.

Mit der Eroberung von Girona (785) und Barcelona (801) wird eine spanische Mark gegründet, während es weder gelingt, die Basken ganz noch die Bretonen überhaupt ins Reich zu integrieren.

 

781 ist Karl in Rom und lässt die kleinen Söhne Pippin und Ludwig zu Königen von Langobardien und Aquitanien krönen und salben. Der Versuch, fünf Jahre später über Benevent Macht in Süditalien auszuüben, scheitert letztlich. Dabei gerät er aber in die Nähe zum byzantinischen Italien, während in Byzanz selbst wieder einmal der christliche Bilderstreit tobt.

 

Inzwischen hat sich Bayern unter den Agilolfingern zu einem Stammesverband neuen Typs mit dem Zentrum Regensburg entwickelt, welcher mit seinen Herzögen im 8. Jahrhundert eng mit fränkischer Geschichte verbunden ist. Karl findet einen Vorwand, um gegen Tassilo in Bayern einzumarschieren und ihn zu unterwerfen. Ein Jahr später wird er von Karl samt seiner ganzen Familie ins Kloster gesperrt. Bayern wird in Grafschaften eingeteilt und fränkisch kontrolliert. Mit den Awaren gibt es nun neue Nachbarn, die auch militärisch unterjocht und ausgeplündert werden und nach Osten abziehen.

 

Inzwischen haben sich slawische Völkerschaften nach Norden ausgebreitet und an einigen Stellen die Elbe überschritten, wo Karl sie militärisch ausbremst und auf der Ostseite des Flusses erste Befestigungen anlegt.

 

Der Krieg ist die regelmäßige Sommerbeschäftigung des Königs und der wohlhabenderen Freien zu Pferde sowie der übrigen Freien als Infanterie. Schwerter, Lanzen, Äxte und Pfeil und Bogen dienen der Metzelei und dem Töten. Dabei nimmt der Anteil freier Bauern im Heer immer mehr ab und der von teilweise mit Benefizien versehenen Vasallen (immer mehr zu Pferde) zu. Teilnehmer erwarten von ihrem Kriegsdienst nicht zuletzt auch Beute, was ihr räuberisch-brutales Verhalten bestimmt.

 

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Basis der Machtausübung Karls sind die riesigen Ländereien aus merowingischer und karolingischer Herkunft, in riesige Domänen und darunter villae aufgeteilt, die weithin autark sind, was Ernährung und Handwerk angeht. Dazu kommt Kriegsbeute, kommen Tribute Unterworfener.

Da eine Pfalz den König und seinen großen Troß auch jetzt nur kurzzeitig ernähren kann und außerdem königliche Präsenz in den Reichsteilen vonnöten ist, ist sein Hof mit kurzen Pausen stetig unterwegs. Mit seinem "Hofstaat" zieht seine Kapelle, denn der siegverheißende Gott ist zunehmend auch ein zivilisierender, also der, mit dessen Propagierung sich Herrschaft immer weiter ausdehnen kann. Aus der Kapelle lassen sich zudem weiter  schriftbegabte Leute für hohe Ämter bei Hofe ziehen, überhaupt erweitert sich höfisches Leben mit dem Reich.

 

Nach und nach wird die mit Bädern gesegnete Pfalz in Aachen zum veritablen Palast ausgebaut, wobei Vorbilder und Bauteile aus der italienischen Antike (Ravenna) genutzt werden. Handwerker und Händler siedeln sich an, ein größerer Markt entsteht.

 

Die "Verwaltung" des Riesenreiches geschieht über Delegation. An die Söhne geht neben Italien und Aquitanien auch ein Dukat Le Mans. Darunter sind Grafen für die Gerichtsbarkeit und das Heeresaufgebot zuständig. Es entsteht eine Art "Reichsaristokratie". Wiederum darunter sind größere Vornehme angesiedelt, dabei wehrhafte Bischöfe in den Städten. Wiederum darunter nimmt der Anteil freier Bauern weiter ab. In dieser hierarchischen Struktur kontrollieren  hochgestellte Königsboten, inwieweit königlicher Wille eingelöst wird.

 

Das Frankenreich besteht weiterhin zu rund 95% aus Bauern, freien wie mehr oder weniger unfreien. Deren Produktivität ist sehr niedrig und nur bei sehr guten Ernten bleibt etwas für den Markt übrig, den eher die großen Domänen und der übrige Großgrundbesitz bedienen können. Entsprechend gering ist der Handel, und der über weitere Strecken bedient Luxusbedürfnisse weniger Wohlhabender. Gefördert wird Handel durch den Versuch einer einheitlichen Münze für die vielen königlich kontrollierten Münzstätten.

 

Wichtiges Herrschaftsinstrument ist die Kirche, und Karl als gottgesandter Herrscher sorgt sich eingehend um deren Funktionsfähigkeit. Wie sein Palastbau in Aachen ist das Teil eines umfassenden Romanisierungsprogramms. Dazu gehört die Förderung lateinischer "Bildung" und die Unterstützung von Unterrichtung einer kleinen, im wesentlichen geistlichen Oberschicht, - auf die römische Antike hin orientiert. Dazu holt sich der Herrscher belesene Einzelne an seinen Hof und dafür beaufsichtigt Karl die Kirche und kontrolliert und beeinflusst ihre Glaubensinhalte auf großen Reichssynoden. Solche Romanisierung betrifft aber nur den Hof, wenige Gelehrte und wenige Spitzen von Kirche und Kloster. Die allermeisten Menschen bleiben davon unberührt.

 

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Kurz vor 800 ist ein Papst Leo durch heftige Opposition in Rom von Karls Schutz abhängig geworden. 800 zieht der König nach Rom und wird vom Papst zum Kaiser (imperator) gekrönt. Wichtig daran ist wohl vor allem, dass er die Verhältnisse in Rom in seinem herrschaftlichen Sinne regelt. Neben einem gewissen Prestigegewinn dürfte der Titel für ihn aber von geringer Bedeutung gewesen sein, weswegen die Titel-Konkurrenten in Byzanz nur beschränkten Protest einlegen.

 

Erneute Nachfolgeregelungen folgen, wie die von 805/06 von Diedenhofen. Pippin soll nun zu Italien große Teile Alemanniens und Bayerns erhalten, Ludwig behält Aquitanien, dazu sollen Septimanien, die Provence und Burgund kommen, Sohn Karl soll die ungeteilte Francia erhalten, ergänzt durch Sachsen und Nordteile Alemanniens und Bayerns. Damit wird mit der traditionellen Merowingerregelung gebrochen, dass bei Erbteilungen jeder Erbe einen Anteil am Kernland der Krone erhält.

811 kommt es zu einer Einigung mit Ostrom über den Kaisertitel, der nicht "Kaiser der Römer" heißen soll.

Als Karl sein Ende nahen sieht, sind seine Söhne Karl und Pippin bereits gestorben. Anders als es fränkisches Recht vorsieht, will der Kaiser 812 die Interessen von Pippins Sohn Bernhard gewahrt sehen, und übergibt ihm Italien. Ein Jahr später wird Ludwig dann in Aachen zum Mitkaiser erhoben.

 

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Das Riesenreich soll unter Sohn Ludwig, den man später als den "Frommen" tituliert, und seinen Brüdern als kaiserliches Einheitsreich erhalten bleiben. 813 krönt er sich selbst als Kaiser, 816 folgt die Kröning durch den Papst. Im Zusammenhang mit religiösen Reformen werden zunächst enge Gefolgsleute des Vaters vom Hof verwiesen und neue Berater gefunden. Die Abgehalfterten scharen in der Provinz Gefolgsleute um sich.

Zusammen mit Benedikt von Aniane, den er aus seinem aquitanischen Unterkönigtum mitbringt, versucht er, die Benediktregel in den Klöstern strenger durchzusetzen und Klerikerkollegien an Kirchen einheitlicher zu regulieren. Kathedralkirchen und wichtige Klöster sollen unter Königsschutz und Immunität stärker zu einer einheitlichen Reichskirche als Herrschaftsinstrument zusammenwachsen. Dabei steigt das Selbstbewusstsein vor allem der westfränkischen Bischöfe, die sich manchmal bereits nicht nur wie Berater, sondern auch als "moralische" Aufseher über die Könige verhalten.

Zugleich wird die Integration der Sachsen ins Reich vorangetrieben, die ein Jahrhundert später bereits den König stellen werden.

 

Die Aufteilungen des Großreiches unter drei Söhne geben diesen Würden, aber in ihren Augen zu wenig Macht. In einer ersten von 817 wird Lothar Mitkaiser, erhält die Kerngebiete des Reiches und soll dessen Einheit darstellen. Das führt zu Konflikten und einem öffentlichen Schuldbekenntnis des Kaisers 822. Als dann noch in einer neuen Ehe des Kaisers mit Judith aus einem Zweig der Welfenfamilie 823 der Sohn Karl (später: "der Kahle") entspringt, dem nun aus dem Erbe der drei Söhne etwas abgezweigt werden soll, kommt es ab 829 zu immer neuen Kriegen und Neuaufteilungen, in denen Brüder gegeneinander und in unterschiedlichen Koalitionen gegen den Vater kämpfen, der mehrmals (830/833) abgesetzt und gedemütigt wird. Kurz darauf verschärft sich die Lage durch Normanneneinfälle im Norden und solche von Sarazenen im Süden.

 

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838 wird Karl ("der Kahle") Unterkönig in Neustrien. 840 stirbt Ludwig ("der Fromme"). Ein Jahr später treffen Lothar (Mittelreich) und Pippin II. (Aquitanien) bei Fontenoy in einem grausigen Blutbad auf Karl (Westreich) und Ludwig (Ostreich). Eine Einigung wird nötig, um die nun verhandelt wird. Im Vorfeld treffen Karl und Ludwig in Straßburg zusammen.

Bei den Straßburger Eiden fallen für das sich aufteilende fränkische Reich die Texte in zwei Sprachen aus: in eine romanische und einen althochdeutschen Dialekt.

Pro Deo amur et pro christian poblo et nostro commun salvament, d'ist di en avant, in quant Deus savir et podir me dunat, si salvarai eo cist meon fradre Karlo, et in adiudha et in cadhuna cosa, si cum om per dreit son fradra salvar dist, in o quid il mi altresi fazet, et ab Ludher nul plaid numquam prindrai qui meon vol cist meon fradre Karle in damno sit.

In godes minna ind in thes christanes folches ind unser bedhero gehaltnissi fon thesemo dage frammordes so fram so mir got geuuizci indi mahd furgibit so haldih thesan minan bruodher soso man mit rehtu sinan bruodher scal in thiu thaz er mig so sama duo indi mit ludheren in nohheiniu thing ne gegango the minan uillon imo ce scadhen uuerdhen.

 

Die Kommunikation, vor allem die schriftliche, findet bei den Mächtigen in einem sich leicht verändernden Latein statt. Dieses entwickelt sich in den romanischen Regionen „im Volk“ zu Idiomen, die sich stärker vom Lateinischen lösen. Zwischen Valencia und Venedig entsteht im Mittelmeerraum dabei ein gemeinsamer Raum der Verständigung, der auf der iberischen Halbinsel zu catalán wird, im westfränkischen Raum als langue d'oc bezeichnet, im Unterschied zur langue d'oeil im Norden.

Das ursprüngliche Galizien entwickelt seinen eigenen Dialekt, das Baskische bleibt bestehen, ebenso wie das Bretonisch-Keltische.

 

Im germanischen Raum entstehen in den sich konstituierenden Stammesregionen ebenfalls Dialekte, die sich unter dem Oberbegriff theodisc, Sprache des Volkes, versammeln. Die Dominanz einzelner Idiome über andere auf dem sehr langen Weg zu Nationalsprachen stellt sich später einmal durch wirtschaftliche Macht, zum anderen aber auch durch militärische Gewalt her, und damit auch über "politische" Vorherrschaft. Sogenannter „kultureller“ Einfluss wird immer davon abhängen.

 

Die Übersetzung in beide Sprachen bei Straßburg macht aber vor allem die Mitsprache der Großen beider Reiche an den Entscheidungen ihrer Könige möglich. Sie üben dann auch Druck aus bei dem langen Weg in eine Übereinkunft von Karl, Lothar und Ludwig 843 in Verdun, die ein westliches, ein mittleres und ein östliches Reich schafft. Grenzen sind einmal der Rhein, und im Westen Maas und Schelde. Burgund wird zerteilt, Italien fällt ans Mittelreich.

 

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Von den geringen Herrschaftsinstrumenten des "großen" Karls, die ein großes Reich zusammenhielten, bleibt zunächst nur wenig mehr übrig als die Erinnerung. Strukturell herrscht Vasallität vor, die Großen eines Reiches oder Fürstentums sind Herrschern als Kriegeradel zur Treue in der Gefolgschaft in Krieg und Frieden verpflichtet, wofür sie als Gegenleistung entweder Versorgung oder aber Benefizien, Wohltaten an Land und Leuten erhalten. Vasallen aber schaffen sich Untervasallen, auf die der direkte Zugriff von Herrschern schwindet, und Vasallen und Untervasallen (in Italien Capitane und Valvassoren von bischöflichen Stadtherren) begeben sich bald aus Eigeninteresse in die Vasallität mehrerer Herren. Auf der Basis der Grundherrschaft eines Kriegeradels bildet sich so ein immer komplexeres Netzwerk persönlicher Beziehungen und Bindungen heraus, welches selbst die bescheidenen Ansätze ausgeprägterer Staatlichkeit beim großen Karl ersetzt.

 

Machtvollster Herrscher wird nun wohl Karl der Kahle in Westfrancien, dem es gelingt, sich in Aquitanien durchzusetzen und über Septimanien bis in die spanische Mark ausgreifen. Er stützt sich stark auf seine Vasallen in den Bischofskirchen, wobei unter Hinkmar von Reims dessen Bistum herauszuragen beginnt, und in den Klöstern, wo nicht selten adelige Laienäbte regieren, zu denen auch der König, wie in Saint-Denis, selbst zählt. Seit 852 steigt unter den großen Gefolgsleuten ein Robert auf, bald Graf von Anjou und der Touraine, dann auch von Blois und Orléans, Laienabt unter anderem von Marmoutier und St.Martin, beide in bzw. bei Tours. Ähnlich wie ihm gelingt es auch einem Grafen Balduin von Flandern für die Normannenabwehr, die immer dringlicher wird, eine Fürstendynastie zu bilden.

 

Im Ostreich erstarkt Ludwig (später etwas verfrüht "der Deutsche" genannt), der breite Adelsopposition im Westreich ausnutzt, um dort einzufallen. Erst die von Erzbischof Hinkmar von Reims aufgebotenen Bischöfe schaffen eine Gegenbewegung, die Ludwig vertreiben kann. 855 stirbt Lothar (I.), und zuvor verteilt er sein Lotharingien von Nord nach Süd in drei Teilen unter seinen Söhnen, Italien an Ludwig II., das spätere Lothringen an Lothar II. und die Provence an Karl. Letzterer stirbt 863 und Karl (der Kahle) bemächtigt sich des Erbes. Er versucht, sich ganz Lotharingien von Süden aus einzuverleiben, worauf ihm Ludwig wiederum entgegentritt. 869 stirbt Lothar II. erbenlos. 870 schließlich wird das Mittelreich unter beiden im Vertrag von Meersen aufgeteilt.

 

Über die Provence gelingt es dem kahlen Karl dann noch, in Italien einzudringen, nachdem er das Königreich von Ludwig II. erbt und sich 875 mit der Kaiserwürde zu schmücken. Der Preis für seine Großreichspläne sind Zusagen an den Adel, die immer mehr auf eine Erblichkeit ihrer Lehen (und Ämter) hinauslaufen. An der Spitze des Adels übernehmen unter Karls Nachfolgern hochadelige Herren wie Vertreter der Welfen (Hugo Abbas), der Robert-Nachfolger wie Odo oder ein Gauzlin Machtpositionen. 879 lässt sich ein Boso in der Nähe von Vienne zum König der Provence und von Niederburgund wählen, erster Nichtkarolinger auf einem Thron, gegen den nun Hugo Abbas kämpft.

 

885 vereint der Ostfranke Karl "der Dicke", seit 881 Kaiser und Herrscher des erneut vereinten Ostreiches, für kurze Zeit noch einmal beide Frankenreiche. Er macht einen Bernhard zum Markgrafen von Aquitanien, Berengar von Friaul zu einem solchen in Italien und begründet so zwei weitere Fürstendynastien, wie manche andere dann aus dem "karolingischen Reichsadel" aufgestiegen.

 

887 wird Karl III. abgesetzt und durch Arnulf von Kärnten ersetzt, Der Robertiner Odo wird erst Graf von Paris, bekommt nach Verteidigung der Stadt gegen die Normannen Roberts Erbe an der Loire dazu. 888 wird er König des Westfrankenreiches, ein weiterer Nichtkarolinger auf einem Thron, den Ostkönig Arnulf anerkennt.

 

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Das christlich-lateinische Abendland, dessen Kernraum nun die vier Reiche der West- und Ostfranken, von Burgund und Italien einnehmen, ist im Westen und Süden von islamischen Völkerschaften bedroht, was noch im zehnten Jahrhundert anhält. Im Norden beruhigt sich langsam die Bedrohung durch die Normannen, während im Osten neue slawische Fürstentümer, zu denen auch Böhmen und Mähren gehören, die Grenze beunruhigen, und südlich davon die Ungarn gerade erst beginnen, in Italien und Bayern einzudringen. Erst im 10. Jahrhundert wird sich die Lage nach und nach stärker beruhigen und ein soliderer Binnenraum für den Handel wird entstehen.

 

Die Familie der Karolinger verschwindet mit dem 9. Jahrhundert im Osten, aus dem sich die deutschen Lande unter sächsischen und salisch-fränkischen Herrschern entwickeln werden, und Ende des 10. Jahrhunderts im Westen mit der Machtergreifung der Kapetinger. Der Osten zerfällt dabei in neuartige Stammesherzogtümer und der Westen in regionale Fürstentümern, über die die kapetingischen Könige dann zunächst bestenfalls wie ein primus inter pares verfügen. In Nord- und Mittelitalien steigen die Städte langsam mit ihrem Hinterland zu neuen Formen von Staatlichkeit auf. Als viertes Reich entsteht Burgund neu.

 

Mit den Ostgoten, die Byzanz vernichtet, den Westgoten, die von einem nordafrikanischen Heer vernichtet und in den Norden der iberischen Halbinsel abgedrängt werden, den Karolingern, die mangels Nachwuchs nach einer Zeit des Niedergangs verschwinden, und dem von Normannen abgelösten angelsächsischen Königtum verschwinden die sich aus den Völkerwanderungen herleitenden Reiche. Im ostfränkischen Reich, in dem die „Franken“ nun räumlich und bevölkerungsmäßig eine kleine, sich neu definierende Minderheit sind, stellt sich bei den weltlichen und geistlichen Großen der inzwischen herausgebildeten Stämme neuen Typs, den eroberten Völkerschaften des alten Frankenreiches zusammen mit den ebenfalls theodisc sprechenden Ostfranken, ein nicht näher erklärtes Gemeinschaftsgefühl heraus, welches dazu führt, dass sie sich nach dem Aussterben ihres Karolinger-Zweiges nicht an die westfränkischen (weithin romanisierten) Karolinger um eine Herrschaftsübernahme wenden, sondern sich auf einen der Ihren einigen, den fränkischen Herzog Konrad aus einer anderen mächtigen Familie.

Da die Quellen nicht überzeugend hergeben, warum sie das tun, sind wir auf Vermutungen angewiesen. Die hier bevorzugte ist, dass einer der Ihren die inzwischen entwickelten Stammesstrukturen am ehesten respektieren und keine starke Königsherrschaft aufkommen lassen würde. Mit der Entscheidung für Konrad stellen sich die Lothringer, kein sich ethnisch begründendes Stammesgebiet wie Alemannien, Bayern oder Sachsen, unter die Oberhoheit des westfränkischen Karolingers Karl („der Einfältige“). Lothringen ist einer der Reste des 843 geschaffenen Mittelreiches, welches nach seinem ersten König als Lotharingien bezeichnet wurde, und welches romanische und germanische Volksgruppen umfasst (es reichte ursprünglich von Rom über die Provence bis nach Flandern).

 

Stämme als sich ethnisch definierende Zusammenhänge hatten sich im Osten im Kontakt mit den erobernden Frankenherrschern als regna in Fortsetzung alter Königreiche verfestigt. Die Position des Herzogs, dux, ist aber dabei nicht ethnisch definiert, sondern in ihrem Rang und Prestige gegenüber dem König einerseits und den Großen im Herzogtum andererseits. Insofern ist auch die Einsetzung der vielen Söhne, Enkel und Urenkel Heinrichs I. in Schwaben, Bayern, Kärnten und Lothringen nicht ungewöhnlich. Als Nebeneffekt werden sie dabei den Königen in Sachsen und Franken nicht ins Gehege kommen. (Keller, S.69ff)

 

Das römische Erbe ist aufgebraucht. Wir sind an den Wurzeln für jene Vorformen neuer Staatlichkeit angekommen, aus denen sich der „politische“ Rahmen für die Entwicklung von Kapitalismus ergeben wird, der zwar Ansätze von Staatlichkeit benötigt, aber keinen starken Staat, wie er dann später zunehmend auftreten wird, dann allerdings sich aus etablierten kapitalistischen Strukturen nährend. Die Schwäche der Monarchien, die sich nun entwickeln, liegt in dem Fehlen einer Verwaltung, eines Apparates, mit dem Herrschaft ausgeübt werden kann, anders gesagt, an der fehlenden Reichweite von Herrschaft. Stattdessen müssen Herrscher Verbündete suchen, „Freunde“, Getreue, an die dezentral Aufgaben delegiert werden.