Anfänge 1
Wirklichkeit und Welt
Anfänge 2: Natur und Kultur
Kultur(en)
Machtergreifung: Der Übergang zu Zivilisationen
Zivilisation
Die doppelte Zähmung der Aggressionen
Städtische Zivilisationen
Hellas und frühes Rom
Kaiserreich
Palästina und Jesuaner
Frühes Christentum
Das vierte Jahrhundert
Das Ende des westlichen Imperiums
Anfänge 1
Auf der Suche nach den Anfängen des Kapitalismus bin ich zunächst einmal immer früher in einem sogenannten Mittelalter zurückgeschritten, bis ich im 10./11. Jahrhundert innehalten konnte, um dort Voraussetzungen und erste Ansätze zu entdecken. Aber Geschichte ist ein Kontinuum in Zeit und Raum, und sie wird nur verständlich, wenn man sich dabei ein Bild vom Menschen verschafft, welches nicht ansatzweise vollständig sein kann, wenn es nicht von seinen Anfängen her durchdacht und verstanden wird. So kam ich zu den antiken Zivilisationen, und da auch diese nicht verstanden werden können ohne ihre Voraussetzungen in frühen Kulturen, bin ich bei dem gelandet, was von frühen Menschen bislang einigermaßen bekannt ist.
Einen unauflösbaren Widerspruch bildet die Tatsache, dass Menschwerdung in den letzten Jahrmillionen eine Sonderentwicklung bedeutet, bei der Menschen einerseits aus der übrigen Natur heraustreten, andererseits als Lebewesen, Säugetiere und "Primaten" ganz in der Naturgeschichte drin bleiben. Dieser Widerspruch wird sich nach und nach im Kapitalismus bis dahin verschärfen, dass Menschen ihe natürlichen Lebensgrundlage so weit vernichten, dass sie dabei sind, sich womöglich selbst zur Gänze auszurotten.
Gemeinhin wird angenommen, dass der sogenannte homo sapiens um 300 000 begann, sich auf der Erde durchzusetzen. Mit dem aufrechten Gang, der Nutzung des Feuers und dem ausgiebigeren Gebrauch von Steinwerkzeugen beginnt die Zeit, in der frühe Menschen aus der Säugetierwelt der Primaten insoweit heraustreten, als sie ihre Umwelt nach und nach als Gegenstand ihrer gedanklich verarbeiteten Betrachtung wahrnehmen, als Objekt also, welches sich dann auch bildlich darstellen lässt und welches nach Ausbildung spezifischer Sprechorgane und eines entsprechenden Gehirns eben auch sinnlich wahrnehmbare "Wirklichkeit" in versprachlichte Welt verwandelt.
Um das etwas zu verdeutlichen: Umwelt ist hier nicht das vage Wort heutiger Polit-Ideologen, sondern die tatsächlich wahrnehmbare und erfahrbare Umgebung jedes Einzelnen. Wirklichkeit ist dabei die nicht (sprachlich) fixierbare und weithin auch nicht wahrnehmbare stete Veränderung in Raum und Zeit, Welt ist das, was Menschen daraus machen, um sie an die bescheidenen Möglichkeiten ihrer Sinnesorgane und Gehirne zu adaptieren, im Kern nichts anderes als eine sich selbst unentwegt wieder verändernde Illusion.
Dabei presst Sprache stete Veränderung in das starre und scheinbar zeitlose Korsett von Worten, die jene Stabilität vortäuschen, für die vor allem Namen (Substantive) zuständig sind, nicht zuletzt eben auch durch Substantivierung verdeckte Vorgänge.
Das Offensichtliche also zuerst: Wir sind Lebewesen, Säugetiere und (eigenartig entartete) Primaten, Ergebnisse einer langen Naturgeschichte der Evolution. Das aber ist Kenntnisstand erst seit dem 19. Jahrhundert, von Charles Darwin zum ersten Mal formuliert und dann von Biologen verfeinert, schließlich von Nietzsche und von Freud noch einmal überdacht. Für (gläubige) Juden, Christen und ab dem siebten Jahrhundert auch Muslime sah das bis dahin ganz anders aus: Laut ihnen sind wir Menschen allesamt Geschöpfe eines Gottes, der mit uns etwas besonderes vorhatte und uns darum ganz von den anderen Lebewesen absonderte und uns sogar einen ganzen Schöpfungstag widmete.
Wirklichkeit und Welt
Damit landen wir bereits im Reich der Sprache, welche uns schon alleine deswegen begleiten wird, weil in ihr nicht nur dieser Text stattfindet, sondern auch all das, was ihm als forschendes Denken voraus geht. Dabei stolpert der nicht gläubige Mensch sofort über zwei Wörter: Gott und Schöpfung. Laut heutigem Kenntnisstand schaffen sich aber Kosmos und Natur unentwegt aus sich selbst heraus, niemand hat sie erschaffen.
Damit landen wir bei einem ersten kritisch zu betrachtenden Phänomen: Es gibt Wörter, Nomen (Namen) als Substantive ohne Substanz oder besser gesagt solche, die nicht Gegenstand unserer Erfahrung sind, wie es der Baum, das Haus oder Blitz und Donner sind. Als Erfahrung sei hier das bezeichnet, was seit dem 18. Jahrhundert definiert wird als Ergebnis wacher sinnlicher Wahrnehmung, die sich in Sprache ausdrückt, die aus vernunftgemäßen Konstruktionen besteht.
Gewiss gab es in der vorchristlichen Antike einige nachdenkliche Griechen und Römer, die damit bereits halbwegs einverstanden gewesen wären - wie zum Beispiel ansatzweise die Skeptiker. Aber die meisten Menschen damals wollten sich nicht mit dem begnügen, was man wissen kann, und erschufen sich einst eine Welt im Mythos und/oder stopften die Lücken des Nichtwissens mit Erfindungen ihrer Vorstellungskraft. Dazu gehörten Götter und magische Kulte, mit denen man mit ihnen in Verbindung treten kann.
Wissen wiederum kann man zum Beispiel, was mit Lebewesen geschieht, wenn sie gestorben sind. Aber das unangenehme Wissen um das, was nach dem Tod geschieht, nämlich die Verwesung, wird durch Phantasien über ein Leben danach in einem verschiedenartig ausgemalten Jenseits ersetzt. Eine Menge Wörter sind so Lückenbüßer für Nichtwisssen bzw. Wunschvorstellungen, die gegen unangenehme Tatsachen immunisieren sollen.
Mit Judentum, Christentum und später dem Islam kommt etwas neues dazu: Es gibt nur noch einen Gott und sein Volk sind die, die jeweils daran glauben. Dieser Gott repräsentiert nicht mehr wie oft frühere Götter Naturkräfte, und da er nicht mehr aus diesen abgeleitet werden kann, wird in "heiligen Schriften" dargelegt, wie er sich offenbart haben soll, was allerdings völlig unüberprüfbar ist. Dafür bietet er nun menschlichen Phantasien von Allmacht, Allwissen, Wahrheit, ewigem Dasein, Grenzenlosigkeit und ähnlichem eine Vorstellungsfläche. Christentum und Judentum in der Diaspora sind aber ganz offensichtlich Voraussetzungen für die Entstehung von Kapitalismus. Anderswo wird er nur übernommen.
Menschen neigen also dazu, sich nicht mit dem abfinden zu wollen, was sie jeweils wissen können, sondern sich zusätzlich Vorstellungen zu machen, die man allerdings nur glauben kann, die also unüberprüfbar sind. Und genau deshalb, weil sie eigentlich haltlos sind, wird Glaube trotzig mit viel größerer Emotionalität bis hin zu brutaler Aggressivität vertreten als Wissen. Das gilt seit dem späten 18. Jahrhundert auch dort, wo Religion durch politische Glaubenssätze ersetzt wird.
Um das zu verstehen, ist es nützlich, zwischen Wirklichkeit und Welt zu unterscheiden, was einige wenige Nachdenkliche im Wesentlichen schon in der Antike konnten. Wir definieren dabei Wirklichkeit, die aus dem Tatigkeitswort Wirken, also aus Bewegung abgeleitet ist, als Bewegung in Zeit und Raum, und Welt als das, was wir aus davon Wahrgenommenem machen, indem wir es in Sprache fixieren. Welt enthält dabei meist jede Menge sehr unwirklicher Bestandteile aus Betrug und Selbstbetrug, die auszusondern sich dieser Text hier zur Aufgabe macht. Darüber hinaus ist sie für jeden etwas zumindest ein wenig verschiedenes, da keine zwei Menschen (genau) dasselbe wahrnehmen, nur die Sprache vermittelt die Illusion, dass es so wäre.
Damit taugt das Wort Realität für unsere Untersuchungen nicht, da diese auf Dingen, res, beruhen möchte, uns also Wirklichkeit als eine Summe von fixen Gegenständen vorgaukelt und die stete Veränderung von allem leugnet. Das ist Kern der Falle, in die uns oft Sprache führt, deren historische Kernbestandteile Namen sind, die wir nicht selten fiktiven Gegenständen geben - und dabei sogar zu Dingen substantivieren, was (tatsächlich) Tätigkeiten sind, Aktivitäten: Liebe, Arbeit, Gerechtigkeit und vieles mehr. In diesen Schein-Substantiven verliert die Wirklichkeit aber leicht ihre Substanz.
Wir Menschen brauchen für unseren Alltag die Illusion von Stabilität und konstruieren uns so eine uns gemäße Welt, die wir in Sprache festzuschreiben versuchen. Wir konstruieren diese Welt also mit den beschränkten Mitteln der Sprache, die sie auch entsprechend einschränken. Das erste Besondere an uns Menschen gegenüber den anderen Lebewesen ist dabei, dass wir als Sprachbegabte nicht mehr imstande sind, das, was uns die Sinne von Wirklichkeit jeweils vermitteln, einfach hinzunehmen: Wir sehen uns genötigt, ständig etwas daraus zu machen. Sprache ist darum nicht nur eine Errungenschaft der Evolution, sondern zugleich auch ein massiver Unheilsfaktor, wie die Geschichte der Menschen dann zeigt. Ihm wenigstens entgegen zu wirken kann nur gelingen, wenn sie im Nachdenken immer wieder kritisch hinterfragt wird. Wir definieren hier kritisch-wissenschaftliche Geschichtsschreibung als eine, die zwischen schieren Vorstellungen und dem, was man einigermaßen wissen kann, deutlich unterscheidet.
Religion und jede andere Form von Gläubigkeit sind emotional aufgeladen, um interesse-geleiteten Illusionen den Anschein von Wirklichkeit zu geben, jene, die als Wahrheit etikettiert wird. Darum wird Glaube aus seiner spezifischen Schwäche heraus alles tun, um kritisches Hinterfragen zu unterdrücken und oft auch zu verfolgen. Als eine solche Religion entpuppt sich die christliche spätestens, seitdem sie sich unter Kaiser Konstantin mit der Macht verbündet hat und dabei selbst als Kirche eine solche wird. Im Besitz absolut gesetzter Wahrheiten, mit denen sich die kirchlichen Machtorgane bewaffnen, verfolgt sie nun bald nicht nur "Abweichler", sondern auch die ganze kultische Konkurrenz.
Dabei wird aus der eigenen Entscheidung für die christliche Religion und Kirche eine, die mehr und mehr Menschen auch, zum Teil mit brutaler Gewalt, aufgezwungen wird. Da den Menschen dann die Möglichkeit, jenseits von kirchlicher Propaganda Welt zu konstruieren, offiziell genommen ist, und es jedenfalls bequemer ist, darüber auch gar nicht mehr nachzudenken, wird der jeweilige Glaube solange Bestand haben wie die Macht, die sich daraus begründet. Dasselbe gilt für Inhalte diverser heutiger Politpropaganda als Religionsersatz.
Apropos Wissen: Es beruht auf Kennenlernen und fasst darum keine ewigen Wahrheiten, sondern vorübergehende Erkenntnis, die durch immer neue Kenntnisse überholt wird. Damit ist auch alle Welt, mag sie auf Urteilen beruhen, die aus Kennenlernen resultieren, was also immer im eigentlichen Sinne Vorurteil vor einem revidierenden Urteil bedeutet, Ideologie, sobald sie geglaubt wird, - so wie selbst der moderne Glaube an (behauptete) Wissenschaftlichkeit auch nur Ersatzreligion bedeutet.
Apropos Wahrheit: Dies Wort taucht gemeinhin dort auf, wo es um Glaubenssachen geht, die entsprechend emphatisch vertreten werden. Das alleine schon sollte in uns Misstrauen auslösen. Die Etymologen führen dies Wort auf einen Grundbestand zurück, der den Bedeutungsraum von Vertrauen, Treue und Zustimmung umfasste, also den reiner Subjektivität. Das ist im englischen true noch enthalten. Wahrheit ist subjektiv, und so benötigen wir sie auch zur Bewältigung unseres Alltags, wo sie aber objektiviert wird, wird sie zum Macht- und Kampfmittel.
Erfahrungsgemäß wird das Wort Wahrheit vor allem dort eingesetzt, wo es - oft - um unbewusstes Lügen, aber nicht selten auch um die ganz bewusste Lüge geht. In letzterem Fall hat es wenigstens einen rechtlichen Aspekt. Da es in unserem Text nicht um Wahrheit, sondern um versuchsweise Annäherungen an vergangene Wirklichkeit gehen soll, kann das Wort hier nicht nützlich sein.
Anfänge 2: Natur und Kultur
Der Konstruktion von Welt nicht zuletzt auch als Gemeinschaftsprojekt dient neben den Sprechorganen auch das große und immer komplexere Gehirn, welches eine verfrühte Geburt und entsprechend lange Hilflosigkeit des Kindes und damit die besondere Bedeutung von Familie und Verwandtschaft bedingt. Mit dem Fehlen einer erkennbaren Brunftzeit und unter anderem den dauernd gerundeten Brüsten der sexuell reifen Frau beginnt zudem eine stärkere Entkoppelung des Geschlechtstriebes von der schieren Fortpflanzung, die Menschen wohl erst mit Pflanzen- und Tierzucht besser zu verstehen beginnen.
In diesem Vorgang der Menschwerdung, in dem Menschen immer mehr Welt konstruieren, die nicht nur Objekt ihrer Wahrnehmung, sondern auch Raum ihrer Machtentfaltung wird, wie beim Sammeln und Erjagen von Nahrung und der Auseinandersetzung von Männern um die attraktivsten Frauen (usw.), entsteht Kultur als die aus Erfahrung geborene jeweils optimale gemeinschaftliche Lebensform mitsamt einer Welt aus Vorstellungen, die dazu passen.
Das Besondere an diesen menschlichen Vorstellungen ist, dass im Laufe der Zeit wohl immer häufiger solche auftauchen, die keine Entsprechung in der Wirklichkeit bzw. ihrer Erfahrung haben, und die manchmal schiere Wunschgebilde sind, wie die Vorstellung, dass der Tod nicht endgültig sei, oder dass unverständliche Kräfte, die in der Natur oder auch der unbelebten Wirklichkeit existieren, in gewissem Sinne zu Gesprächspartnern von Menschen gemacht werden könnten, für die sich dann am Ende Experten zuständig erklären. Wohl mit ihrer Hilfe und in ihrem Interesse werden dann solche "Naturkräfte" manchmal zu - modern ausgedrückt - Göttern, Geistern oder Dämonen personalisiert, was am Ende dazu führen kann, dass damit eine (zweite) "Welt" des Überirdischen, Übernatürlichen entsteht. Man sieht daran, welche einschneidende Rolle (menschliche) Spracher spielt.
Nachdem sie nun schon einmal benutzt wurden, sollen nun auch die Begriffe Natur und Kultur geklärt, also recht eigentlich erst zu Begriffen gemacht werden, nachdem sie schon sehr lange, und auch bei Historikern, hinreichend unklar bleiben. Jedenfalls sollen sie einer flachen Schwatzhaftigkeit entzogen werden.
Die lateinische natura hängt mit dem Verb nasci zusammen, welches den Bedeutungsraum von "gebären" und "geboren werden" einnimmt, und entsprechend soll es hier die Sphäre aller Lebewesen umfassen, die des Lebens und des Lebendigen also. Im Interesse einer gewissen Klarheit ist also der Raum des Leblosen, mag er auch wie Vulkane oder Meereswogen viel Bewegung vorzeigen, nicht Natur, was alle die behaupten, die alles nicht Menschengemachte unter Natur einordnen möchten und dem Begriff so jede Klarheit nehmen. Schon gar nicht soll Natur im Jargon einer schon im Mittelalter zunehmenden und die Gegenwart heute überschwemmenden Eigentlichkeit ein "Eigentliches" oder "Wesen" von etwas benennen.
Die lateinische cultura gehört mit dem Verb colere zusammen, welches den pfleglichen menschlichen Umgang mit etwas und wohl ursprünglich den mit der Umwelt meint, wie beispielsweise in der Agrikultur. Hier sei er als Vorgang der Menschwerdung bis in die Zeit der Produktion von Nahrungsmitteln hinein und zugleich als Vielfalt von dabei sich entwickelnden Kulturen (im Plural!) definiert: Kultur ist hier so, anders als seit langem, nicht der Konsumsphäre, sondern eher der produktiven zugeordnet, und dazu gehört auch der Bereich der menschlichen Fortpflanzung. In diesem Sinne werden mit den demnächst zu definierenden Zivilisationen, also institutionalisierten Machtstrukturen, Kulturen zerstört. Genau dieser Vorgang aber lässt sich ohne klare Definitionen überhaupt nicht erfassen, was so auch gewollt war und ist. Kulturen sollen also als sich aus Erfahrung selbst gemeinschaftlich definierende Lebensformen verstanden werden, und nicht die (oft legitimatorischen) Amüsierwelten kleiner privilegierter Kreise, die gerne dabei seit Jahrhunderten mit dem Wort Kultur diesen Bereich aufzuwerten versuchen, - und es ist schon gar nicht der Sektor eines postindustriell gefertigten konsumistischen Massenamüsements.
Wie alle Lebewesen erlebt sich auch der Mensch in Ernährung und Fortpflanzung notgedrungen als Getriebener, und Kultur entsteht in dem Maße, indem es Menschen gelingt, aus dann auch tradierter Erfahrung Gemeinschaften zu bilden, also gemeinschaftlich Ernährung zu bewältigen und Geschlechtlichkeit zu regulieren, - und zwar anders als die übrigen Primaten. Schon in Kulturen und auch später in Zivilisationen können dabei auch Gesellschaften entstehen, in denen sich Menschen aber nur zu einzelnen spezifischen Zwecken versammeln, wie z.B. die Gesellschaften von Adoleszenten in (inzwischen zerstörten) Südseekulturen oder wie die Bruderschaften und Zünfte des hohen und späteren Mittelalters. Hingegen macht es keinen Sinn, die Untertanen-Massen von Zivilisationen als Gesellschaften zu bezeichnen, da diese sich nicht zueinander gesellen, sondern von Machthabern durch Unterwerfung geschaffen werden, was etwas deutlich anderes ist.
Kultur(en)
Kultur ist zunächst einmal die Leistung, unter den jeweiligen naturräumlichen Bedingungen jene Ambivalenz möglichst erfolgreich zu bestehen, die sich daraus ergibt, einmal der Natur immer bewusster gegenüber zu treten und zugleich ein Teil von ihr zu bleiben. Der Natur treten Menschen dabei sprachlich und in Bildern gegenüber und beginnen so, Welt zu konstruieren, wobei wohl auch unbelebte Welt manchmal wie Natur belebt gesehen wird, eben weil auch die in einem steten Prozess des Werdens und Vergehens begriffen ist. Dabei bleibt ein Teil der Menschen zunächst weiter in der Situation von wenig ortsgebundenen Jägern und Sammlern und unterscheidet sich in manchem noch nur wenig von den übrigen Tieren.
Pflanzen kämpfen um ihren Lebensraum und das Überleben ihrer Art, Tiere fressen Pflanzen und andere Tiere und konkurrieren dabei. Soweit unterscheiden sich Menschen nicht davon, ihre Kulturen bestehen aus Überlebenskampf und zumindest nach innen einigermaßen gezähmter Aggression. Wenn sich das bald in Zivilisationen verschärfen wird, ist das aber kein Grund, Kulturen zu idealisieren, wie seit den edlen Wilden des 18. Jahrhunderts gelegentlich geschehen.
Das Wort Aggression leitet sich vom lateinischen aggredi, also u.a. angreifen, ab, kann aber auch anderes wie zum Beispiel "eine Sache anpacken" bedeuten. Hier soll es das bewusste oder implizite Durchsetzen eines eigenen Nutzens zum Nachteil eines anderen bedeuten und ist soweit ein Aspekt alles Lebendigen und zudem der, welcher die Evolution vorantreibt. Offensichtliche Aggression fällt immer dann kurz einmal aus, wenn gerade keine Konkurrenz besteht bzw. die Machtverhältnisse kurzfristig stabil geregelt sind.
Beim Menschen kann man insbesondere zwischen verbaler und ("physisch") gewaltsamer Aggression unterscheiden, und über das Individuelle hinaus geht das häufige gemeinsame aggressive Verhalten und die verabredete Intrige, die Hinterhältigkeit.
Aggression kann "kaltblütig" geplant sein oder aber impulsiv/situativ zustande kommen. Sie entspricht dem Geschlechtstrieb, denn beide bauen sich auf, werden ausgelebt und erschöpfen sich dabei für eine gewisse Zeitspanne, bis die entsprechende Energie wieder aufgebaut wird. Die Evolution in der lebendigen Natur ist selbst mit dem Überleben der am besten an die jeweilige Situation Angepassten ein aggressiver Konkurrenzkampf.
Es ist die Leistung Sigmund Freuds, als erster den konstruktiven Umgang des Menschen mit dieser seiner aggressiven Natur, ihre immer wieder neue Zähmung, als seine wesentliche Kulturleistung verstanden zu haben.
Ein anderer Teil der Menschheit beginnt in einigen Gegenden der Welt mit Gartenbau, Ackerbau und Viehzucht und tritt in der Züchtung von Pflanzen und Tieren nicht nur deren Geschlechtlichkeit bewusster gegenüber, sondern darüber auch der eigenen.
Gemeinschaftsbildung ist Kulturbildung. Sie entsteht über die Regulierung von geschlechtlicher Triebhaftigkeit und übriger Aggressivität in Formen von Ehe, Familie und Verwandtschaft, über die dann auch noch Formen ideeller Verwandtschaft gesetzt werden, wie sie manchmal als Clan oder Stamm bezeichnet werden.
Garten- und Ackerbau kann dort, wo die Fruchtbarkeit von Böden schnell erschöpft ist, weiter ortsungebunden stattfinden, aber andererseits auch dort Sesshaftigkeit fördern, wo man Anbau und Brache geschickt wechseln kann.
An manchen Stellen bereiten sich Kulturen dabei dann durch eine gewisse Überproduktion, welche sich dadurch entstehende Machthaber aneignen können, ihr eigenes Grab.
In dieser extrem schematisierenden kurzen Darstellung lässt sich immerhin zusammenfassen, dass Kulturen auf (gemeinsamer) Sprache, darüber vermittelbarer Erfahrung und mit ihr auf Tradition beruhen.
Dabei ist Kultur immer ein gemeinsamer Vorgang der Auseinandersetzung mit Natur, in dem sich Gemeinschaft bildet. Diese wird durch Kulte zusammen gehalten, in denen sich der Stand dieser Auseinandersetzung abbildet.
Zugleich kann man davon sprechen, dass miteinander verwandte bzw. ähnliche Gemeinschaften im weiteren Sinne einer Kultur angehören. Bei dieser Benennung sollte nie vergessen werden, dass diese immer weiter ein Vorgang ist, der nicht dinglich reduziert werden sollte.
Wenn wir Kultur als Vorgang der Vergemeinschaftung von Menschen verstehen, dann kommen da viele Dinge zusammen. Zu den wichtigen gehört die Vergrößerung des Gehirns nach der Nutzbarmachung des Feuers und dem dadurch ergiebigeren Fleischkonsum, verbunden mit der langsamen Verbesserung von Waffen und (vor allem auch gemeinschaftlichen) Jagdtechniken, zudem die aus der wachsenden Kopfgröße notwendig werdende Verfrühung der Geburt mit der Notwendigkeit längerer Versorgung der Kinder durch Entwicklung von Ehe und Familie samt Verwandtschaft, die Entwicklung eines Sprachzentrums im Gehirn in Verbindung mit entsprechenden Sprachorganen samt der so möglichen Menschen-spezifischen Konstruktion von Welt - und vieles mehr.
Die Stärke aller Kulturen besteht darin, dass sie keine Schrift kennen, welche Auseinandersetzung und Tradition durch schriftliche Festsetzung blockiert, wie das dann alle Zivilisationen tun werden. Für den Historiker bedeutet das aber, dass er ganz auf Archäologie und damit massive Spekulation angewiesen ist, also im wesentlichen auf Schlussfolgerungen. Wer aber andererseits die Geschichte der Menschheit auf die kurze Zeit der Zivilisationen reduziert, vermittelt einen völlig falschen Eindruck von ihr.
Die entscheidende Schwäche aller Kulturen gegenüber Zivilisationen besteht bis ins 20. Jahrhundert einmal darin, dass sie diesen waffentechnisch unterlegen und schon dadurch dem Untergang geweiht sind, zum anderen darin, dass sie leicht der Faszination einer von außen eingeführten Warenwelt erliegen, der gegenüber sie sich nicht selten naiv verhalten. Korrumpierend wirken zudem billiger Fusel und andere Drogen und vernichtend oft von Zivilisatoren eingeschleppte Krankheiten. Im Laufe der Geschichte werden so alle Kulturen von Zivilisationen zerstört.
Machtergreifung: Der Übergang zu Zivilisationen
Wenn wir soweit Freud folgen, dann sind Kulturen immer auch von einer gewissen Labilität bedroht, die auf den erheblichen Mühen der Kultivierung beruht. Wo das möglich ist, wird sie mancherorts leicht durch Zivilisierung zerstört.
Zu jeder Definition von Kapital gehört die von Eigentum als Voraussetzung, und das ist nicht mehr ganz einfach, seitdem bronzezeitliche Despoten sich vor vielen Jahrtausenden eine Art Obereigentum über alles angemaßt haben, was in ihren Machtbereich gehört, etwas, was dann bis heute überall auf dem Planeten für deren Nachfolge-Staaten weiterhin so gilt: Eigentum kann unter Vorwänden seitdem grundsätzlich von Machthabern eingezogen, also legalisiert geraubt werden, und es kann insofern gemindert werden, dass ein Teil des darauf Erarbeiteten regelmäßig an Machthaber abgegeben wird. Die Nutzung des (immer eingeschränkten) Eigentums von Untertanen durch Machthaber wird ein wesentlicher Gründungszweck von Zivilisationen.
Ab wann Menschen einen Begriff von Eigentum entwickelt haben, muss wohl unklar bleiben, aber mit der Entstehung von Gartenbau, Ackerbau und Viehzucht in der Jungsteinzeit dürfte er wohl spätestens aufkommen. Das Eigentum ist dabei zunächst das über Grund und Boden und darüber hinaus über Werkzeuge und dient in jenen Gegenden, in denen Kapitalismus entstehen wird, bis ins 18. Jahrhundert im wesentlichen der Subsistenz der bäuerlichen Familie, also ihrem unmittelbaren Überleben. Dort, wo mehr als das erwirtschaftet wird, werden die Herren entstehender Zivilisationen versuchen, möglichst viel davon abzuschöpfen.
Bevor der Prozess von Zivilisierung, also der Unterwerfung zunächst im wesentlichen von Bauern unter institutionalisierte Macht in einzelnen Kulturen einsetzt, muss es ein gewisses Maß an Arbeitsteilung geben, was wiederum voraussetzt, dass einzelne Bauern aus ihrer Sicht einen gewissen Überschuss erwirtschaften, den sie gegen nicht-bäuerliche Produkte eintauschen können. Von der Landbewirtschaftung trennt sich so ansatzweise das Handwerk, welches sich dann wiederum bei entsprechender Nachfrage in verschiedene Gewerbe aufteilt. Vermutlich gibt es schon vor der Jungsteinzeit erste gewerbliche Produktion von Feuersteinen und Schmuck und dabei dann ein wenig frühen Handel.
Mit den Ansätzen von Warenproduktion aus landwirtschaftlichen Überschüssen und handwerklichen Produkten und dem entsprechend entstehenden Markt eines Warentausches entsteht vermutlich noch kaum Kapital, da auch die handwerkliche Produktion wohl noch sehr lange im wesentlichen der schieren Subsistenz dient. Ab wann Händler Ersparnisse zur Kapitalbildung nutzen, ist recht unklar und geschieht wohl frühestens im Nahen Osten der späten Bronzezeit.
Was aber geschieht, ist, dass wahrnehmbare, nunmehr zunehmend auch menschengemachte Wirklichkeit immer komplexer und damit schwieriger zu durchschauen wird, so wie dann auch sich entfaltende Arbeitsteilung zur tendenziellen Entsolidarisierung von Gemeinschaften führen kann.
Neben die produktive Aufteilung tritt aber - und möglicherweise schon recht früh - ein Expertentum der Deutung wahrnehmbarer Wirklichkeit, welches zugleich Kulte entwickelt, in denen zunächst wohl der Ausgleich mit einer zunehmend genutzten Natur und dann der Versuch der Besänftigung oder Nutzbarmachung von Wetterereignissen und anderen vor allem für die Ernährung wichtigen Phänomenen wichtig ist.
Hier soll als Sammelbegriff für jene Experten sehr anachronistisch von Priestern gesprochen werden, ein Wort, welches sich aus presbyteros, dem Ältesten der frühen christlichen Gemeinden entwickelt hat, aber mit dem Bewusstsein, dass damit hier sehr verschiedene "Kultbeamte" gemeint sind.
Zivilisation
Mit diesen Kultexperten und Verfassern von ausführlicheren Welt-Vorstellungen beginnt eine erste kleine Gruppe von Menschen lokal und dann auch regional mit der Macht über die Vorstellungen der sich ihnen offenbar ausliefernden Bevölkerung eine erste Machtergreifung, ein frühes Herrenmenschentum, welches sich bald darin äußert, dass man sich für seine Natur- und Wetterbeobachtungen samt Theoriebildungen über die Himmelskörper mit Abgaben der Menschen belohnen lässt und dann die ihren Kulten Unterworfenen dazu bewegen kann, ihnen immer größere Kultgebäude zu bauen.
So wie das Wort Priester kommt auch das oft für Kultgebäude verwendete Wort Tempel aus der Antike, diesmal dem lateinischen templum, auch wenn die Kultgebäude menschlicher Zivilisationen sehr unterschiedlich sind.
Je stärker sich solche Priester aus der Gemeinschaft der jeweiligen Kultur absondern und sich ihr überordnen, desto mehr werden solche Kulturen gefährdet, da ihre Vorstellungen nun immer weniger aus eigener und gemeinschaftlich tradierter Erfahrung, und immer mehr von außen und oben gesteuert werden.
In Teilen des Tales des Nils und von Euphrat, Tigris und Nebenflüssen errichten ganze Priestergemeinschaften Tempel, eignen sich Land an und machen sich Bauern und Handwerker der Umgebung abhängig. Mit ihnen verbünden sich wohl ziemlich kluge, gierige und gewaltbereite Menschen, die sich einen gewalttätigen Anhang zuordnen und sich mit den Herren der Tempel zusammentun, die sie sich dann schließlich auch noch, wohl dank ihres militärischen Anhangs, unterordnen können. Bis hier hin fehlen aber noch schriftliche Aufzeichnungen, auch wenn die archäologischen Funde zunehmen.
Am Ende ist Zivilisierung die Machtergreifung eines Despoten in Zusammenarbeit mit Priestern und einer kleinen Elite. Despot ist vom griechischen despotes, dem Herrn, abgeleitet, und soll hier einen terroristisch, also letztlich mit Schrecken durch offene Gewalt oder wenigstens ihre Androhung herrschenden Machthaber bezeichnen, wie es beispielsweise die Pharaonen und die Herrscher des Zweistromlandes dann sind.
Damit Herrschaft stabil wird, muss sie aber die Gewaltandrohung in die Latenz versetzen, und mithilfe der von den Priestern betriebenen Kult-Ideologie den Untertanen beibringen, dass von solchen Kultbeamten verwaltete Götter solche Herrschaft legitimieren. Darüber hinaus muss es die Tatsache nutzen, dass Menschen Untertänigkeit grundsätzlich als bequem ansehen, solange sie ihnen ein gewisses Konsumniveau ermöglicht und ihnen die Verantwortung für viele Entscheidungen abnimmt, die in einer komplexer werdenden Welt ihnen kaum noch möglich erscheinen. Zudem neigen in die Untertänigkeit gedrückte Menschen dazu, sich mit ihren Herren umso mehr zu identifizieren, je mehr diese ihre Macht demonstrieren. Entsprechend haben heutige sogenannte demokratische Regierungen eine vergleichsweise geringe Autorität bei ihren untertänigen Massen.
Andererseits: Da die Despoten, die weltliche und geistliche Elite, darunter die Beamten, allersamt von der Arbeit der Masse der Untertanen leben, ist es in ihrem Interesse, die Rahmenbedingungen dafür möglichst zu fördern. Dazu gehört in Ägypten und Mesopotamien die Regulierung der Wasserwirtschaft ebenso wie die Illusion, dass Wetterbedingungen kultisch beeinflusst werden könnten. Dazu gehört aber auch der Ersatz zunehmend zerstörter kultureller Erfahrungswelten durch von oben aufokroyierte Gesetze, welche das Zusammenleben und Arbeiten der Untertanen im Sinne der Machthaber regeln. Wichtigster Aspekt all solcher Gesetze seitdem ist, dass den Untertanen alles das verboten wird, was die Herren für sich als selbstverständliches Recht in Anspruch nehmen, nämlich zu rauben, zu stehlen, zu töten und zu morden, und wo sie das für nötig halten, legalisieren sie all das, aber nur für sich selbst und in ihrem Auftrag.
Mit der Verwaltung großer Güter durch Machthaber beginnt sich Schriftlichkeit zu entwickeln, die dann in der Verwaltung der Untertanen durch Gesetze mündet, die, da sie nicht mehr dem Erfahrungswissen kultivierter Menschen entspringen, sondern die Interessen der Mächtigen formulieren, nun schriftlich fixiert und nur noch von den Mächtigen revidiert werden dürfen. Schriftlichkeit entsteht so ausschließlich aus Machtinteressen weniger, und es wird bis heute gefährlich bleiben, sie gegen diese zu wenden.
Eine Besonderheit der neuen Zivilisationen wird überall die Erfindung des Krieges und die partielle Professionalisierung der Krieger als Söldner bzw. Soldaten. Kriege entstehen aus der Raff- und Machtgier der Despoten, die zu Raubzügen führt und zur mehr oder weniger intensiven Unterwerfung von Gebieten, insbesondere solchen mit wichtigen Rohstoffen, sie entstehen aber einfach auch dort überall, wo Depotien aufeinander treffen. Mit den Kriegen werden Metalle für die Waffenproduktion immer wichtiger und so wird dann die Gewinnnung von Erzvorkommen häufig zu einem Kriegsgrund.
Despoten sind nun ganz wesentlich Kriegsherren und führen einen großen Teil ihrer Herrschaft hindurch Kriege, denn neben der erhofften Beute vor allem auch für ihren Luxuskonsum ist Feindseligkeit nach außen geeignet, um Untertanen unter die Herrscher zu scharen und ihnen im Falle des Sieges Hochachtung entgegen zu bringen. Zivilisierung ist so wesentlich Kanalisierung menschlicher Aggressivität im Interesse von Machthabern.
Die Despoten, ob nun Herrscher über eine Stadt und ihr Umland oder über große Reiche, rauben sich nicht nur Reichtümer gewaltsam zusammen, sondern lassen sie auch von Handwerkern als ihren spezifischen Luxus produzieren, während es nur in sehr geringem Umfang Warentausch zwischen untertänigen Bauern und Handwerk gibt: Die Bauern sind im wesentlichen Selbstversorger auf extrem niedrigem Niveau und zudem Produzenten von Abgaben an die Mächtigen. Darüber hinaus pflegen die Despoten untereinander auch den Austausch von Luxusgütern als Geschenke und halten sich neben den Handwerkern auch Händler als eine Art gehobene Dienstboten. Auch wenn die Despoten riesige Reichtümer ansammeln und sich auch mit Hilfe von Formen von Zwangsarbeit gigantische Monumente errichten lassen, kommt es zu keiner Kapitalbildung bei Handwerk und Handel, da beide in enger Abhängigkeit von den Despoten bleiben.
Despotien sind vor allem das Resultat von jungsteinzeitlichem, bäuerlichem Bevölkerungswachstum, welches das Zusammensiedeln in einer Art früher Städte ermöglicht, in denen konzentriert genügend Menschen arbeiten, um ihre eigenen Herren unterhalten zu können. Die Despoten wiederum fördern Bevölkerungswachstum, da sie von der Arbeit der Untertanen so immer mehr Einkünfte erzielen und immer mehr Menschen einer ihnen zuarbeitenden Elite fördern können. Daneben ermöglichen größere Menschenmassen auch größere Heere, mit denen man Krieg führen kann.
Selbstredend ist es so, dass mehr Menschen mehr Platz auf dem Planeten für sich beanspruchen. Damit sie ernährt werden, müssen sie immer mehr Naturlandschaft in Kulturlandschaft verwandeln. Während Jäger und Sammler in der Regel wohl weiterzogen, bevor sie Pflanzen- und Tierarten ausgerottet hatten, und jungsteinzeitliche Bauern die Erde zunächst noch nicht so dicht besiedelten, dass sie große Naturräume zerstörten, setzt mit den frühen Zivilisationen eine immer massivere Vernichtung von Teilen des natürlichen Lebensraumes Erde ein. Während Flora und Fauna der Flusstaloasen von Nil, Euphrat und Tigris noch zu einem gewissen Teil mit den Menschen koexistieren, beginnt bereits in der Bronzezeit eine immer systematischere Abholzung beispielsweise des Libanon für den Bedarf der Despoten im nahöstlichen Großraum. Ein ähnlich aggressiv-zerstörerisches Verhältnis entwickeln Despoten und die ihnen zuarbeitenden Eliten mit der Jagd als Freizeitvergnügen, welches die spätmittelalterlichen Adeligen dann desportes und von daher englische Herrenmenschen als sport(s) bezeichnen werden. Massenhaftes Abschlachten von Elefanten oder großen Raubkatzen als Herrenvergnügen und großer Spaß, der zudem erhebliches Renommée erzielt, sind durch die Jahrtausende dokumentiert und fördern das immer intensivere Artensterben, welches dann bis heute massiv zunehmen wird. Zudem beginnt jenes bedenkenlose Ausräumen von Erzen und anderen Materialien aus der Erde, welches ebenfalls bis heute dort ungebremst anhält, wo noch nicht alles ausgeplündert ist.
Die doppelte Zähmung der Aggression
Freuds Beitrag zu unserer Geschichtsschreibung endet dort, wo er die Besonderheit von Zivilisation im deutlichen Unterschied zu Kultur nicht sieht. So
schreibt er:
So bekommt man den Eindruck, dass die Kultur etwas ist, was einer widerstrebenden Mehrheit von einer Minderzahl auferlegt wurde, die es verstanden hat, sich in den Besitz von Macht- und Zwangsmitteln zu setzen.
Das kann in dieser Klarheit nur stehen bleiben, wenn wir Kultur durch Zivilisation ersetzen. Das heißt denn auch, dass Freud hier die
Leistungen von Kulturbildung nicht mehr den Einzelnen in Gemeinschaften zuspricht.
Daher also das Aufgebot von Methoden, die die Menschen zu Identifizierungen und zielgehemmten Liebesbeziehungen antreiben sollen, daher die Einschränkung des Sexuallebens und daher auch das Idealgebot, den Nächsten so zu lieben wie sich selbst, das sich wirklich dadurch rechtfertigt, dass nichts anderes der ursprünglichen menschlichen Natur so sehr zuwiderläuft. Da das Verbot das Gehemmte aufstaut, so dass es wie eine Flut den Damm brechen kann, wären Kulturen mit hohem Verbotsniveau solche, die episodische Beschleunigungen erhielten. (Unbehagen V)
Kulturen mit hohem Verbotsniveau, wie sie hier gemeint sind, wollen wir aber der Klarheit willen als Zivilisationen bezeichnen. Zivilisierung transformiert Kulturen
in institutionalisierte Machtstrukturen. Die andere Seite stellen allerdings solche Kulturen dar, die in Kontakt mit Zivilisationen geraten und von diesen beeinflusst werden, wie an germanischen
Kulturen der römischen Kaiserzeit darzustellen sein wird. Hier soll dann von Anzivilisierung gesprochen werden, dem "Anfixen" von Kulturen mit der Ware als Fetisch-Droge.
Da Zivilisationen aus Kulturen hervorgehen, nutzen sie deren Kulturleistung weiter und formen sie nun in ihrem Interesse um: Sprache wird übernommen, herrschaftlich überformt und schriftlich fixiert, Kulte werden so überbaut, dass sie nun Machthabern dienen. Dabei gibt es einen Alltag der Untertanen, in dem weiter Erfahrung als Regulativ untereinander dient, also der Bezähmung von Aggressionen, zugleich werden diese aber, soweit sie nicht für die Interessen der Machthaber instrumentalisiert werden können, nun kriminalisiert. Das heißt, dass nicht mehr so sehr Einsicht in die das Zusammenleben störenden Verhaltensweisen vorherrscht, sondern Angst vor Strafe durch eine Obrigkeit, also eben Kriminalisierung. In dem Maße, in dem Untertanen nun lernen, sich mit den Machthabern zu identifizieren, werden die Unterschiede dazwischen weniger wahrnehmbar.
Wenn dann immer einmal wieder Machtstrukturen mehr oder weniger zusammenbrechen, dann reichen, wie für das Pharaonenreich überliefert, einst tradierte Einsichten in gedeihliches Zusammenleben nicht mehr aus: Die nur mit (oft nur angedrohter) Gewalt durchsetzbaren Gesetze werden durch "anarchischere" Gewalt und aggressiv ausgetragene Konflikte ersetzt. Dort allerdings, wo man sich nicht in eine Flusstal-Oase eingesperrt führt, wie bei den Maya-Zivilisationen Mittelamerikas, kann es auch geschehen, dass die Menschen einfach wieder zu ihrem alten Kulturniveau zurückfinden, wie zum Beispiel von den Lacandonen belegt ist.
Die ursprüngliche Bezähmung der Aggressionen in Kulturen wird also dadurch abgeschwächt, dass ihr die Domestizierung in Untertänigkeit durch Machthaber übergeordnet wird. Vor alle originäre Einsicht in die Sinnhaftigkeit gemeinschaftlich vorgegebener Ordnung tritt damit das aufoktroyierte Gesetz. Einige bronzezeitliche Despoten sind große Gesetzgeber. Am Ende abendländischer Zivilisation - in unserer Gegenwart - bedeutet das, dass die Funktionsfähigkeit und Überlebensfähigkeit des Untertanenverbandes nur noch durch allumfassende Regulierung durch den dadurch immer totalitäreren Staat gewährleistet werden kann. Die erlebte, wenn auch nicht unbedingt begriffene Ohnmacht der Untertanen lässt sie dann dazu tendieren, besonders brutale Despoten, im Mittelalter antiklisierend als Tyrannen und heute auch als Diktatoren bezeichnet, zu bewundern und zu verehren.
Städtische Zivilisationen
Auf dem Weg hin zum Kapitalismus haben wir uns hier auf den Nahen Osten zwischen Nil und Zweistromland konzentriert. Bronzezeitliche Zivilisationen gibt es aber auch insbesondere im ganzen östlichen Mittelmeerraum (Hellas, Kreta, Zypern, Levante, Kleinasien), wo sie vor über drei Jahrtausenden weithin verschwinden, um dann dort neuen städtischen Zivilisationen der sogenannten Eisenzeit Platz zu machen. Mit diesen neuartigen Städten nähern wir uns einen Riesenschritt jener Entwicklung, die zwei Jahrtausende später weiter westlich in Ursprünge von Kapitalismus münden wird.
Das wichtigste Neue ist, dass es sich bei diesen neuartigen Städten nicht mehr um Despotien handelt. Sowohl in Phönizien wie auch in Hellas sind Stadtherren, die Historiker heute manchmal als Könige bezeichnen, nicht mehr mit jener Macht ausgestattet, die ihre bronzezeitlichen Vorläufer noch hatten. Vielmehr werden sie in den ersten Jahrhunderten des letzten Jahrtausends vor unserer Zeitrechnung in Hellas immer mehr zugunsten einer Schicht großer Herren zurückgedrängt, die "königliche" Funktionen nun als Ämter selbst übernehmen. In Hellas wie in Phönizien steigt dabei eine Händlerschicht auf, die nicht mehr als Dienstboten von Despoten, sondern mehr oder weniger als freie Unternehmer auftreten können, die also wohl frühe Kapitalisten/Kapitaleigner sind. Dasselbe gilt für ein Handwerk, welches nun für einen Markt produziert, der sich mit aristokratischen Raubexpeditionen und kapitalgenerierten Handelsreisen über das ganze Mittelmeer ausbreitet, wo phönizische Händlergruppen Handelsstützpunkte vor allem in Nordafrika und der nordwestlichen Mittelmeerküste etablieren, aus denen dann stark vom Handel geprägte Städte werden, während es wohl überwiegend aristokratische Abenteurergruppen sind, die aus hellenischen Städten aufbrechen, um vor allem an den Küsten Siziliens und Süditaliens neue Städte durch Siedlung zu etablieren, die sich nach und nach die lokale und regionale Bevölkerung unterwerfen.
Für den langen Weg hin in die Anfänge von Kapitalismus werden eher die griechischen Städte (poleis) bedeutsam, während das antike Rom auf dem Weg zu imperialer Größe die phönizischen Zivilisationen, die westlich vom Kernland unter die Kontrolle von Karthago geraten, im Laufe der Zeit fast rückstandslos vernichten wird.
Diese griechischen poleis werden bald, ähnlich wie das frühe Rom, von einer große Ländereien besitzenden Aristokratie beherrscht, welche Handwerk (die banausos), Bergbau und Handel verachtet, auch wenn man damit bald im Einzelfall auch sehr wohlhabend werden kann und sich als edler Großgrundbesitzer auch schon einmal beteiligt.
Die aristoi sind im Griechischen die Besten, und der Aristokrat hält sich vor allem deshalb für etwas Besseres, weil er nicht mit seinen Händen arbeiten muss und überhaupt große Teile seiner Zeit in Müßiggang oder als Krieger verbringt. Aristokratie als Begriff von der Herrschaft dieser grundbesitzenden Elite taucht erst spät im 5. Jahrhundert (vor der Zeitrechnung.) auf, etwa in der Zeit, in der auch Demokratie und Monarchie (bzw. die Tyrannis) als eine Art Verfassungsbegriffe entwickelt werden.
Die griechische Polis zeichnet sich zunächst dadurch aus, dass es keinen Despoten gibt und bald die Herrschaft eines aristokratischen Kollegiums, welches sich die Macht teilt, und das mit etwa der Begründung, die auch römische Aristokraten haben: Es handelt sich um ihre Stadt, da sie deren öffentliche Bauten und die Kulte sowie Kriege selbst finanzieren und die Ämter ohne Bezahlung ausüben. Es gibt darum in Hellas wie in Rom auch nur eine vergleichweise geringe Abgabenlast der produzierenden Bevölkerung und des Handels.
Zu der Tatsache, dass es neben dem Großgrundbesitz auch ein freies Bauerntum gibt, und dass Handwerk, Bergwerk und Handel zumindest zum Teil von einem freien Unternehmertum betrieben werden, welches zum Wohlstand der Stadt beiträgt, gibt es weitere Besonderheiten: Zentrum der Städte sind nicht irgendwelche Paläste und die Tempel, die es weiterhin gibt, sondern ist der öffentliche Markt, der bei den Griechen agorá und bei den Lateinern forum heißt, und auf dem und um den herum das öffentliche Leben vor allem stattfindet, weswegen an ihm wichtige Gebäude angesiedelt werden. In dieses räumliche Zentrum gehört auch die "Volks"versammlung, also die aller (männlichen) "Bürger", wobei sich Volk und Bürger durchaus von denen des Mittelalters unterscheiden, in dem Kapitalismus entstehen wird.
Der Götterkult mit seinen Opferhandlungen kennt keine so mächtige Priesterschaft mehr und begründet auch weniger die Macht der Reichen und Mächtigen, sondern ist stärker Angelegenheit der sich bildenden Gemeinde. Diese entwickelt sich auch über das geschriebene Gesetz und die Anerkennung der Verantwortung der Oberschicht für die verarmenden Bauern, wie von Athen überliefert ist.
In der Polis entsteht so das "Politische" als Gegenpol zu den zunehmenden Machtkämpfen zwischen mächtigen aristokratischen Familien; dabei schwingt sich bei Übermacht eine von ihnen manchmal zur Tyrannis auf, indem sie Schlüsselämter einnimmt und die Machtansprüche der anderen Familien massiv einschränkt. Solche Tyrannen werden allerdings keine orientalischen Despoten, da sie in der Regel die (politische) Verfasstheit der Polis nicht sehr stark antasten.
Nach einer längeren Phase der Tyrannis im 6. Jahrhundert ist für Athen überliefert, dass zunächst wieder die Machtkämpfe aristokratischer Familien ausbrechen, bis es einer von ihnen dann gelingt, mit Reformen die Oberhand zu gewinnen. In diesem Machtspiel der Reichen und Mächtigen wird vor allem von einer aristokratischen Partei, um ihren Einfluss zu halten, den einfachen Bürgern (polites) immer mehr Partizipation an Ämtern und Gerichten zugestanden, bis vor allem Gegner dieser "Politik" das abschätzig als "Demokratie", also Herrschaft der in Demen organisierten Bürgerschaft nennen. Tatsächlich bleiben wenige Schlüsselpositionen aber weiter in den Händen weniger Familien und vor allem einer.
Diese in der Geschichte der Zivilisationen einzigartige Beteiligung so vieler an so vielen gemeindlichen Entscheidungen in Athen wird auch dadurch gefördert, dass immer mehr einfache Politen in der großen Auseinandersetzung mit dem mächtigen Perserreich als Militär benötigt und eben auch darum "politisch" aufgewertet werden. Die militärischen Siege über die orientalische Großmacht führen denn auch zur Hegemonie Athens über die meisten Städte des Raumes der Ägäis, die nun mit ihren zunehmend erzwungenen Beiträgen diese attische "Demokratie" mitfinanzieren.
Demokratie bleibt allerdings bis heute ein kurzes Intermezzo, auch wenn moderne Staaten sich kurioserweise aus propagandistischen Gründen so bezeichnen, und sie scheitert damals an der Unfähigkeit der Massen von Politen, verantwortungsbewusst mit ihr umzugehen, bevor dann die griechischen Städte in den monarchischen Reichen der Makedonen aufgehen und schließlich im Imperium Romanum.
Einflussreicher wird später - und zwar auf die Oberschicht des Römerreiches - der üppige aristokratische Lebensstil der griechischen Oberschicht mit seinem Müßiggang, seinen homoerotisch-pädophilen Neigungen, seinen nächtlichen alkoholisierten Gastmählern und manchem mehr, was alles dann auf die offensive Ablehnung einer entstehenden christlichen Kirche stoßen wird
Für unsere Geschichte der Entstehung von Kapitalismus wird aber noch viel wichtiger, dass sich spätestens mit dem sechsten Jahrhundert, in Ansätzen aber schon vorher, neben den öffentlichen Kulten ein bis dato nie dagewesener öffentlicher und halbwegs rationaler Diskus in den poleis entfaltet, der, zwar nur in den Texten von wenigen Individuen überliefert, Ausdruck einer gedanklichen Freiheit ist, wie sie Zivilisationen zuvor wohl nicht kannten, und welche erst mit der Etablierung eines Kirchen-Christentums als Staatsreligion rund tausend Jahre später etwas schwinden wird.
Es entwickelt sich nämlich unter dem späteren Oberbegriff Philosophie in immer neuen Anläufen der Versuch, Welt nicht mehr mythisch, sondern vernunftgemäß zu konstruieren und dabei auch auf Kenntnisse zurückzugreifen und neue zu suchen. Dazu mag es geholfen haben, dass die antiken Götterwelten nicht in irgendeinem Jenseits fern der Menschen, sondern in ihrer Vorstellung auf Berggipfeln hausen, von denen sie immer wieder zu ihnen heruntersteigen, denen sie auch in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich sind, weswegen sie in den Darstellungen auch wie idealisierte Menschen aussehen.
Philosophiert wird vor allem einmal über das, was Griechen physis nennen, und was im 11./12. Jahrhundert nach der Zeitrechnung im lateinischen Abendland in etwa als natura wieder aufgegriffen wird und unter den Bedingungen des späten Kapitalismus in die so genannten Naturwissenschaften mündet, die im wesentlichen dann als Grundlagenforschung für Technik zwecks Förderung von Kapitalbewegungen dienen und dabei die Wirklichkeit als Welt einer komplexen Maschinerie konstruieren werden.
Neben diesen Versuchen, Welt jenseits von den Phantastereien von Priestern so zu konstruieren, dass sie an die Strukturen eines vernünftigen menschlichen Gehirns angepasst ist, gibt es auch manchmal auf Erfahrung und Wunscherfüllung beruhende Spekulationen über die Menschen und ihre Lebensformen bis hin zur Konstruktion idealer Formen des Zusammenlebens. Dieses von wenigen Leuten betriebene Philosophieren wird schon eine Weile vor der Eroberung durch die römische Militärmacht in die römische Machtsphäre eindringen, der solches Denken bislang eher fremd gewesen ist.
Manches spricht dafür, dass zweckrationales unternehmerisches Denken von Kaufleuten/Handelsherren solche, andere Sphären durchdringende Rationalität befördert hat, so wie sie wohl auch die Entwicklung der Mathematik voran treibt. Und es lässt sich vermuten, dass der im Vergleich zu bronzezeitlichen Despotien freiere Markt mehr gedankliche Freiheit ermöglicht hat, die zeitweilig sogar vereinzelter kritischer Auseinandersetzung mit dem Götterglauben Raum gibt. Inwieweit allerdings die Masse der Menschen daran teilhat, lässt sich nicht mehr nachvollziehen, aber vermutlich werden sie nur geringfügig davon beeinflusst.
Hellas und frühes Rom
Der Weg in den frühen Kapitalismus wird vor allem in einigen Gebieten beginnen, die zuvor zum Westteil des römischen Reiches gehörten und dann zum Reich der Franken. Insofern lässt sich für Gebiete Italiens, die gallische Mittelmeerküste und dann auch das Rheintal und Teile von Flandern eine vorausgehende, mehr oder weniger große Kontinuität über rund 1000 bzw. 1500 Jahre feststellen, die in einem "aristokratisch" beherrschten Rom beginnt.
Hier (wie im frühen eisenzeitlichen Hellas) existiert bereits eine ungleiche Verteilung des Grundbesitzes und eine darauf gründende Oberschicht, die mit einem König (rex) zusammenarbeitet. Nach Vertreibung des letzten von ihnen werden seine Aufgaben, analog zur Entwicklung in Hellas, auf von dieser Oberschicht besetzte Ämter verteilt, die die res publica, die öffentlichen Angelegenheiten verwaltet und letztlich auch repräsentiert. Das sehr viel spätere Wort Republik benennt oft ganz andere Machtstrukturen, denen am Ende nur gemein ist, dass sie keinen Monarchen an der Spitze haben.
Während der nach seinem Tagungsort so benannte Areopag, der sich zur Versammlung der ehemaligen Archonten, der hohen Beamten also, entwickelt, im Zuge der Demokratisierung Athens seine Macht verliert, bleibt der römische Senat, in dem die ehemaligen Konsuln sich versammeln, viel länger das Entscheidungs-Zentrum römischer (aristokratischer) Machthaber und wird erst auf dem Weg in die kaiserliche Militärdiktatur zunehmend entmachtet werden.
Unter dem Druck der (Klein)Bauern, Handwerker und Händler (der plebs), und weil diese als Fußsoldaten immer wichtiger für die kriegerischen Auseinandersetzungen nach außen werden, kommt es zwar nicht zu einer Demokratisierung wie zum Beispiel in Athen, aber einmal zu einer kollektiven Partizipation in einer Plebejer-Versammlung und zum anderen zur Schaffung des einflussreichen Amtes des Plebejer-Tribunen.
Ähnlich wie in den hellenischen (lateinisch: griechischen) Städten bleibt aber das Leitbild dessen, der Karriere macht und reich wird, in aller Regel das des aristokratischen, auf der Rendite seines großen Landgutes oder dann auch mehrerer beruhenden Müßiggangs als lateinischer privatus (frei von einem Amt) einerseits, und des sich in einem öffentlichen Amt bewährenden publicus andererseits.
Ebenfalls ähnlich wie die hellenischen poleis sind auch italische Städte wie Rom offenbar von ausgesprochener militärischer Aggressivität, also zumindest was die Aristokraten angeht, ausgesprochen kriegerisch gesonnen und von ungenierter Grausamkeit. Entsprechend gerät Rom in Konflikte mit Nachbarn und es gelingt den Herren der Stadt, zwischen etwa 500 und 300 v.d.Zt. immer mehr Gebiete erst in Mittelitalien und dann auch im Süden der italienischen Halbinsel zu erobern, und mittels Verträgen und Ansiedlung römischer bzw. latinischer Bürger ein Reich aus Gebieten zunächst unterschiedlichen Rechts zu formen, in denen die urbs (Stadt) Roma Vorbild wird und zunächst vor allem die Oberschicht die lateinische Sprache annimmt.
In Kriegen gegen die Karthager (römisch: Punier), Keltiberer, Makedonen und andere werden zwischen der Mitte des 3. und dem Ende des 2. Jahrhunderts die Provinz Africa, Spanien, das äußerste Südgallien und Norditalien (Gallia citerior) erobert, zudem Griechenland und Kleinasien.
Einer kleinen Oberschicht gelingt es, durch Kriegsbeute und dann die Verwaltung und Ausplünderung der Provinzen immer reicher zu werden, und in ihrem Gefolge steigen unterhalb des hohen Amts"adels" der nobiles, der aber anders als der mittelalterliche nicht erblich ist, die equites ("Ritter") als weitere Kriegsgewinnler auf, indem sie Reichtümer der Provinzen abschöpfen, Handel treiben, der den Senatoren längst verboten ist, oder in Finanzgeschäften reich werden.
Mit der damit zunehmenden Bedeutung des Geldes und von Handel und Finanzen gerät das die res publica zusammenhaltende Einvernehmen einer patriarchalisch strukturierten und in Senat und hohen Ämtern versammelten Oberschicht in eine nicht mehr zu behebende Krise. Dabei ist ihr Leitbild weiter der von seinem Landgut lebende Grundbesitzer mit seinem städtischen Wohnsitz und seiner villa, dessen Land nun allerdings immer mehr zunimmt und manchmal dann Latifundien in verschiedenen Regionen des Reiches umfaßt.
Dieser Großgrundbesitz nimmt dabei zu auf Kosten der (kleinen) Bauern, von denen viele durch so viele Kriegszeiten wirtschaftlich ruiniert werden und in die Städte ziehen, wo die vielen Ärmeren unter ihnen das sogenannte Proletariat bilden, welches eben nichts als seine Nachkommen (proles) besitzt und so zur Lohnarbeit gezwungen ist.
Noch unter dem städtischen Proletariat sind die als Kriegsbeute und Handelsware zunehmenden Sklaven in Stadt und Land angesiedelt, die teils in den Landgütern der Oberschicht, teils in Bergwerken, aber auch in den Haushalten derjenigen arbeiten müssen, die sie sich leisten können. Am Ende der großen Expansionszeit steht ein Teil von ihnen unter offenbar charismatischen Führern gegen ihre Herren auf, um dann in aufwendigen Militär-Operationen wiederholt und auf das Grausamste unterdrückt zu werden.
Neben dem bei wenigen Leuten konzentrierten Geld und Grundeigentum, welches es Oberschicht-Patriarchen ermöglicht, schutzbedürftige Leute als Klientel unter sich zu versammeln, die bei Wahlen in den Volksversammlungen eingesetzt werden und ab dem zweiten Jahrhundert auch als brutale Schlägertrupps auf Straßen und Plätzen fungieren, dient der Oberbefehl (imperium) über Truppen in den Provinzen, der vor allem zum Niederschlagen von Aufständen, aber auch für neue Eroberungen eingerichtet wird, als erheblicher Faktor für machtgierige Männer, die nicht mehr den längeren Weg der Konsensbildung im und mit dem Senat suchen.
Diese Karrieristen nutzen nun auch "Politik", so wie das schon im Athen des 5. Jahrhunderts geschah, nämlich die Suche nach Anhängerschaft über "politische Programme", die öffentlich vertreten werden und welche in Entscheidungen in den Volksversammlungen, insbesondere zunehmend der der Plebejer, umgesetzt werden können, was sie zu populares macht, wie sie dann im 1. Jahrhundert heißen werden, während diejenigen, die - vereinfacht gesagt - eine "Politik" gegen den Senat ablehnen, als optimates bezeichnet werden, die Besten also. Tatsächlich handelt es sich weniger um politische Parteien als die Machtinteressen mächtiger Familien, die nun "politisch" garniert werden.
Konfliktthemen sind schließlich unter anderem die verarmten Kleinbauern, die Ansiedlung der Armee-Veteranen auf neuen Kleinbauernstellen, die Lebensmittelversorgung der städtischen Armen in der immer größeren Stadt Rom und dann zunehmend auch die rechtliche Stellung der Menschen in jenen italischen Gebieten, die man zu Bundesgenossen Roms gemacht hat. Seit den Brüdern Gracchus finden solche Auseinandersetzungen als Machtkämpfe mit Mord und Totschlag statt, mit Straßenkämpfen und dann auch mit dem Marsch von Legionen auf Rom und mit Bürgerkriegen zwischen einzelnen Armeeführern.
Spätestens für Gaius Iulius Caesar wird deutlich, dass es im Rahmen der bisherigen Institutionen kein Ende dieses grausigen Blutvergießens geben kann, und dass nur eine Ausweitung dessen, was bislang für besondere Fälle als sechsmonatige Diktatur vorgesehen war, inneren Frieden bringen würde, und zwar gestützt auf das Militär. So lässt Caesar sich ein Imperium, also eine Befehlsgewalt, zur Eroberung des noch nicht unterworfenen Galliens geben und zieht schließlich mit seinem durch erfolgreichen langen Krieg an ihn gebundenen Heer auf Rom und errichtet eine Mischung aus Diktatur und Monarchie, allerdings ohne diese mit den bisherigen Institutionen versöhnen zu können.
Nach seiner Ermordung wird binnen dreizehn Jahren seine Nachfolge militärisch ausgefochten, was in die Erfindung des Prinzipats durch den ersten Augustus mündet, der Verbindung einer de facto monarchischen Instanz, die über die Besetzung von Schlüsselämtern bei Beibehaltung der hergebrachten Strukturen organisierter Macht mehr oder weniger funktioniert. Princeps ist der Erste, und deutsch wird das dann zum Fürsten werden.
Kaiserreich
Nur zur Einordnung: Rund 200 Jahre vor Augustus einigt ein erster chinesischer Kaiser, der sich Qin Shihuangdi („Erster Gottkaiser von Qin“) nennt, die sieben chinesischen Großreiche. Ganz China erhält das effiziente Verwaltungssystem des terroristisch regierten Reiches Qin. Maße und Gewichte werden standardisiert. Minister Li Si vereinheitlicht die Schrift. Mit Hilfe brutalster Zwangsarbeit lässt der Kaiser die große chinesische Mauer durch Verbindung bereits bestehender Mauern der sieben Reiche errichten. Auch erste Kanäle für den Transport von Waren werden gebaut. Als der Kaiser 210 stirbt, wird er in einer einzigartig gigantomanischen unterirdischen Grabanlage bestattet, begleitet unter vielem anderem von seiner Terracottaarmee.
Es ist das einzige Riesenreich, welches in modernisierter terroristischer Form bis heute bestehen bleibt.
Zurück in die abendländische Antike: Die Augusti (Erhabenen) bzw. Caesaren (deutsch: Kaiser) werden das Reich mehrere Jahrhunderte zusammenhalten und zunächst noch erweitern, aber sie werden weder verhindern können, dass es immer wieder zu oft extrem gewalttätigen Machtkämpfen kommt, noch wird es ihnen gelingen, ohne massive Grausamkeit und erhebliches Blutvergießen regieren zu können.
Der zunehmend nur noch pro forma mitregierende Senat, die alten Ämter und die Volksversammlungen haben nur noch die Funktion, kaiserliches Regiment zu stützen und werden zunehmend durch einen Hof(staat) abgelöst, in dem Ritter und freigelassene Sklaven immer wichtiger werden. Mehr an das Zeremoniell altorientalischer Despotien erinnernde höfische Rituale machen deutlich, wie wenig von der alten res publica übriggeblieben ist. Die zunehmende Vergöttlichung von Kaisern, insbesondere nach ihrem Tode, betont diesen despotischen Aspekt.
Dazu passt, dass das in eine lateinisch- und eine griechisch-sprachige Hälfte geteilte und inzwischen nicht wenig hellenistisch beeinflusste Reich immer offener wird für vor allem aus dem nahen Orient entstammende Kulte. In zahlreichen Städten gibt es jüdische Gemeinden, bis in kleine Militärstationen hinein den persischen Mithraskult und bald dann auch sich von den jüdischen absondernde erste christliche Gemeinden.
Der zunehmend despotischere Charakter der längst auch in gewaltigen Palästen residierenden Herrscher ist nur möglich, weil sie sich auf das Militär stützen, und ihre Herrschaft entwickelt sich dabei zu immer offenerer Militärdiktatur. Die Legitimation durch militärische Gewalt lädt immer wieder "Usurpatoren" dazu ein, sich von ihren Legionen zu Gegenkaisern ausrufen zu lassen. Dem Kaisertum gelingt es also nur zeitweilig, den Bürgerkriegszustand, wie er das letzte Jahrhunderts vor der Zeitrechnung bestimmt hatte, zu verhindern, und manchmal hält er weiter jahrelang an.
Grundlegend besteht die römische Bevölkerung aus der plebs und einer Art Aristokratie, der nobilitas. Die Plebs ist in Freigeborene (ingenui) und Freigelassene (liberti) eingeteilt und darunter existieren die Sklaven (servi). Die vergleichsweise kleine Spitze teilt sich in den Ritterstand (ordo equester) und darüber den Senatorenstand (ordo senatorius). Ganz oben herrscht der Princeps mit seiner Familie, der domus imperatoria.
Gegen Ende der Kaiserzeit ist die Macht des Senates verschwunden, aber ein manchmal nicht einmal mehr am Senat beteiligter Senator gehört mit einem Mindestvermögen von einer Million Sesterzen zur reichsten und darum auch einflussreichsten Spitze einer in der Masse aus Plebejern bestehenden Bevölkerung.
Die darunter liegenden Ritter mussten in der vorkaiserlichen Republik ein Mindestvermögen von 400 000 Sesterzen vorweisen, werden aber nun unabhängig davon vom Kaiser ernannt, um seiner Machtausübung zu dienen.
Die Militarisierung des zentralen Machtapparates in der späten Kaiserzeit lässt die Verwaltung in wesentlichen aus hohen Offizieren bestehen.
Seit 212 nach unserer Zeitrechung sind alle Freien im Kaiserreich "Bürger" und damit rechtlich gleichgestellt. Denselben Status erreichen meist nach einigen Generationen die freigelassenen Sklaven, deren Zahl erheblich zunimmt. Die übrigen Sklaven hingegen bleiben weiterhin ein relativ rechtloser Gegenstand in den Händen ihrer Herren.
Sehr handfest sind aber auch die vom Wirtschaften geprägten Strukturen. In ihnen liegt die wirtschaftliche Macht bei zum Teil riesigem und über mehrere Provinzen verteiltem Großgrundbesitz (latifundia), in dem die produktiv Arbeitenden immer mehr an ihre Scholle gebunden und von ihren Herren abhängig werden. Riesigen Latifundienbesitz machen die kaiserlichen Domänen (des fiscus) aus. Daneben existiert noch ein in seinem Umfang nicht bezifferbares freies Bauerntum auf eigenem Land. Schließlich gibt es zudem Kapital und Lohnarbeit in ebenfalls nicht mehr nachvollziehbarem Umfang.
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Das Kaiserreich expandiert zunächst weiter, das Gebiet des späteren England wird erobert, dasjenige südlich der Donau und der ganze Balkan. Dazu kommen Mesopotamien, das Hinterland der Levante, Ägypten und ein breiter Landstrich in ganz Nordafrika. Im vierten Jahrhundert (n.d.Zt.) dann kommt der Rüchschlag und es nehmen an allen Seiten die Verluste zu, bis 476 ganz offiziell der letzte und längst machtlose Westkaiser abgesetzt wird und der Zerfall damit abgeschlossen ist.
Für den Weg in Richtung auf die Ursprünge des Kapitalismus ist die innere Entwicklung im Reich wichtiger als die Abfolge von Kaisern und Kriegen. Dieses Reich entwickelt auch in der Kaiserzeit nur ein sehr geringes Maß an Staatlichkeit, und die Zentrale verbraucht einen wesentlichen Teil ihrer Einnahmen für das Militär. Zu diesen gehört eine maßvolle Erbschaftssteuer von 5% und eine Kopfsteuer in den Provinzen. Dazu kommt dort ebenfalls eine Grundsteuer. Bis gegen Ende des dritten Jahrhunderts (n.d.Zt.) bleiben Steuern und andere Abgaben relativ gering. Unter Diokletian wird versucht, die Berechnung der Grundsteuer durch Ermittlung der Kopfzahl der Arbeitskräfte und des Viehs sowie der Größe von Grund und Boden effizienter zu machen und sie gilt nun auch für Italien.
Neben der am kaiserlichen Hof angesiedelten Regierungszentrale sind Provinzen und in ihnen Städte die wesentlichen Einheiten. Provinzen, die vor der Eroberung durch Rom kaum Städte von römischen Ausmaßen kannten, wie auf dem größten Teil der iberischen Halbinsel, in Gallien und England werden darum mit Neugründungen überzogen, die sich am Modell der urbs Roma orientieren. Solche civitates (und je nach Status municipiae und coloniae) werden von einem Stadtrat (curia) regiert, der, da es ein Ehrenamt mit großen Verpflichtungen bedeutet, aus der Gruppe der großen Grundbesitzer gewählt wird. Diese Kurialen oder Dekurionen bestreiten wichtige Aufgaben und Ausgaben wie öffentliche Gebäude und das Amüsierprogramm für die städtischen Massen in der Regel aus der eigenen Tasche.
Civitas und Umland bilden wie bald auch mit den Bistümern eine Einheit, und die städtische Oberschicht ist sowohl stadtsässig wie zunehmend auf dem Landgut in der villa rustica wohnend. Diese Landgüter werden wiederum von dort hausenden Sklaven bearbeitet, während die von Status und Reichtum ganz oben angesiedelte senatorische Oberschicht in der Regel über riesige Latifundien verfügt, auf denen Sklavenmassen nicht mehr kontrolliert werden könnten und wo darum Klein-Pächter als Kolonen (Siedler) angesiedelt werden. Da die Abgaben an die Regierungszentrale vor allem auf Landwirtschaft und damit auch der Kopfzahl der Produzenten beruhen, werden diese Kolonen immer stärker an ihre Scholle gebunden, was die erobernden und neusiedelnden Germanen dann erst einmal so übernehmen werden. Neben alledem gibt es noch eine unbekannte Anzahl freier bäuerlicher Landwirtschaft.
Erhalten sind heute im wesentlichen Texte, Gebäude und Artefakte der kleinen römischen Oberschicht, dagegen wissen wir kaum etwas über die vielen Menschen, die das Land bearbeiten, als Sklaven in Bergwerken zugrunde geschunden werden, als kleine Gewerbetreibende in den Städten leben oder zur vermutlich großen Zahl der Lohnarbeiter gehören. Aus kultischen Veranstaltungen entwickeln sich in den Städten schon vor der Kaiserzeit von der kleinen Oberschicht und dann vor allem in der Stadt Rom von den Caesaren ausgerichtete und finanzierte Amüsierspektakel, die entweder gratis oder gegen geringen Obolus die städtischen Massen bei Laune halten sollen.
Bei Wagenrennen, Gladiatorenkämpfen, Tierhetzen, oft dümmlich ordinären Komödien und manchem mehr können die zivilisierten, also untertänig gehaltenen Massen ihre komplementäre Seite, nämlich ihre aggressive und pervertierte Raubtierpsyche ähnlich wie in der spätkapitalistischen Gegenwart heute ausleben.
Schon in den bürgerkriegsartigen Konflikten vor der Kaiserzeit beginnt mit Spenden und dann mit regulären Gaben das Abfüttern der Proletariermassen vor allem der urbs Roma, die bei einer Einwohnerzahl von etwa einer Million in der frühen Kaiserzeit Hunderttausende umfassen. Erst wird Getreide verteilt, dann kommen auch andere Grundnahrungsmittel dazu, wobei das allerdings wohl kaum das Existenzminimum einer Familie erreicht. Aber auch darüber hinaus bieten reiche Magnaten und dann auch vor allem Kaiser den städtischen Massen einiges an: Wasserversorgung und Abwasserableitung, riesige öffentliche Badeanlagen und öffentliche (Gemeinschafts)Toiletten zum Beispiel.
Das Wohnen der meisten in mehrstöckigen, oft baufälligen Mietskasernen von Immobilien-Großbesitzern, überwiegend in winzigen Wohnungen ohne Bad, Toilette und oft auch ohne Küche hingegen erinnert an die Wohnsituation des Industrieproletariats des 19. und frühen 20. Jahrhunderts.
Für die spätere Entstehung von Kapitalismus wichtig wird die als selbstverständlich, das heißt nicht mehr hinterfragbar angesehene Verteilung von Macht weniger und Ohnmacht vieler, damit verbunden die extrem ungleiche Verteilung von Land und Reichtümern angesehen, beides dann bald durch das Christentum gerechtfertigt. Wir haben zudem keine Schriftzeugnisse der untertänigen Massen, das Bild der Zeit wird durch eine kleine Oberschicht geprägt, die uns auch alleine in der Entstehungszeit von Kapitalismus ihr Bild von ihrer Zeit hinterlassen wird. Dieses Bild wird dann auch die spätere, einseitige Geschichtsschreibung prägen.
Juden und Jesuaner
Kapitalismus wird ausschließlich in lateinisch christianisierten Gegenden seinen Ursprung haben, und deshalb kann man von vorneherein vermuten, dass die christliche Religion als eine seiner Rahmenbedingungen anzusehen sein wird. Darum sei hier bereits etwas näher darauf eingegangen.
Etwa in der Zeit der solonischen Reformen in Athen soll ein Machthaber in Jerusalem, Zentrum des kleinen Juda, nach dem Untergang des Nachbarreiches Israel seine Macht dadurch zu steigern versucht haben, dass er den (Opfer)Kult der hohen Priester eines Gottes in einem Tempel im Hauptort Jerusalem für seine Untertanen verbindlich machte und das Ganze mit der Redaktion sehr verschiedener wohl weithin unhistorischer Texte als einer Art chauvinistisch-gewalttätigen Nationalmythos flankierte. Dem Ganzen gab er noch eine Art politisch-religiöses Gesetz bei, welches direkte Botschaft des jüdischen Gottes sein sollte. Das extremste Kuriosum dieses Regelswerks ist die Markierung der Männer an ihrem Penis, was den jüdischen Frauen die politiko-religiös korrekten Geschlechtspartner anzeigt und alle anderen ausschließt.
Das eher machtlose kleine Reich zwischen Ägypten, Assyrien und Mesopotamien überlebt nur mit Mühe und durch Zeiten der Fremdherrschaft als Kuriosum einer Religionsgemeinschaft, die eine Zivilisation stabilisieren soll, welche aber die Angriffe der Heere römischer Imperatoren nicht überleben wird. Die heiligen Schriften werden erst zweitausend Jahre später als Gründungsmythos eines erneut religiös begründeten Staatsgebildes dienen.
Die jüdische Oberschicht gerät unter den Einfluss des Hellenismus und die Bevölkerung schließlich unter römische Aufsicht. Unterschiedliche religiöse Kleingruppen bilden sich neben solchen, die die Ausländer wieder militant aus dem Land vertreiben und Überfremdung zurücknehmen wollen. Tatsächlich werden die Juden insbesondere in Palästina zu den wohl aufsässigsten unter den vom römischen Militär unterworfenen Volksgruppen, was schließlich zu ihrer Vertreibung aus Jerusalem und der Zerstörung des Tempels führt.
Von einem bei Flavius Josephus, Paulus und dann in den Evangelien erwähnten Jesus ist als historische Person fast nichts überliefert, aber es lässt sich immerhin vermuten, er sei mit etwa dreißig Jahren (von denen wir nichts wissen) durch einen Johannes, der offenbar Menschen am Jordan durch Taufe und Predigt bekehrt, so beeinflusst worden, dass er sein bisheriges (unbekanntes) Leben aufgibt und als Wanderprediger vor allem in Galiläa, entfernt vom judäischen Kernland, die Menschen aufruft, ihren Besitz und ihre persönlichen Bindungen aufzugeben und ihm als umherziehende Bettler zu folgen, wohl weil man in seiner Nachfolge (als "Apostel" auf griechisch) das nahe Weltenende überstehen und dann in paradiesische Zustände geraten würde.
Genaueres kann man nicht wissen, da die Generationen später geschriebenen und dann offenbar von der entstehenden Kirche noch redigierten Evangelien in sich sehr widersprüchlich sind und zudem von haarsträubenden Wundergeschichten durchzogen: Einmal wird die Ehe abgelehnt, einmal für unauflöslich erklärt, einmal wird "Nächstenliebe" bis hin zur "Feindesliebe" propagiert, andererseits werden die meisten (ungläubigen) Menschen sehr harsch vom kommenden "Himmelreich" ausgeschlossen. Das Judentum soll offenbar verändert, die Bedeutung der Tempelpriester und ihres Kultes, Basis ihres Wohlstandes und ihrer Macht, gebrochen und jede Beziehung zwischen Religion und weltlicher Macht abgeschnitten werden.
Offensichtlich ist das Ergebnis seines Wanderpredigertums für Jesus sehr unbefriedigend, die Rede ist nur von "zwölf" Aposteln, die mit ihm ziehen und von wenigen, offenbar gutsituierten Frauen, die ihn bewundern. Wohl um mehr Aufsehen zu erregen, zieht er mit seinen wenigen Anhängern nach Jerusalem und erregt dann, möglicherweise durch Randalieren im Tempel, den Ärger der diesen verwaltenden Priester und anderer fromm-orthodoxer Juden, die beim römischen Statthalter seine Hinrichtung erreichen.
Damit hätte sich die Jesusgeschichte eigentlich erledigt, aber der kleine Anhängerkreis verwandelt sie nun, um sich nicht enttäuscht auflösen zu müssen, in eine Christusgeschichte (christos steht griechisch für den hebräischen messias, den Erlöser). Man verkündet seine Auferstehung von den Toten, seine Auffahrt in ein Himmelreich, und, damit das alles für schlichte Gemüter glaubhaft wird, wird aus dem Menschen Jesus nun der leibliche Sohn des (letztlich immer noch) jüdischen Gottes. Er habe versprochen, noch zu Lebzeiten seiner Anhänger zurück zu kommen. Möglicherweise hatte Jesus einen väterlichen Gott für seine Gläubigen gepredigt und darum von seinem Vater im Himmel gesprochen.
Schon der jüdische und nun viel mehr noch der christliche Gott lebt nicht wie antike Götter auf Erden, auf hohen Bergen oder manchmal auch mitten unter den Menschen. Zeus beispielsweise kopuliert gelegentlich mit attraktiven sterblichen Mädchen und Frauen wie der Io. Himmelreich / Paradies / das Reich des christlichen Gottes ist aber ganz und gar nicht von dieser Welt und in seinem Charakter (und Aggregatzustand) völlig anders. Christen werden so an zwei Welten glauben, eine irdische und zeitlich begrenzte, das saeculum bzw. die saecula, und eine himmlische, nicht mehr durch Zeit und Raum begrenzt.
Eines lässt sich deutlich erkennen: Leute wie der evangelische Jesus oder wie der ganz andere Buddha und ein paar andere hatten ein Bewusstsein für das Unheil, welches Menschen anrichten und waren davon betroffen. Für den überlieferten Jesus ist eine ganze (Menschen)Welt so unheilvoll, dass sie verschwinden soll, für ihn und für Buddha ist eine radikale Lebensänderung zugleich die einzige Hoffnung. Damit sie im Interesse der Mächtigen popularisiert werden können, müssen beide ihre Substanz verlieren: Man macht nun so weiter wie zuvor und missbraucht die Namen dieser Leute für das genaue Gegenteil dessen, was sie geäußert hatten. Das von vorneherein aus den Interessen von Machthabern heraus entwickelte Judentum und der Islam brauchten keine solche Wende und ihnen fehlt auch entsprechend bis heute weitgehend kritische Selbstreflektion.
Frühes Christentum und Kirche
Das Christentum entsteht nun aus mehreren Wurzeln heraus: Der "Herr" Jesus kehrt nicht mehr zurück auf Erden, um das neue Paradies einzuläuten, wie das noch Paulus erhoffte. Und je mehr von Generation zu Generation seine Rückkehr auf Erden hinausgeschoben werden muss, desto deutlicher wird, dass man im Kompromiss mit den irdischen Realitäten leben und sterben muss und erst irgendwann nach dem Tod zur "Auferstehung" und dem "ewigen Leben" gelangen kann.
Damit verbunden ist, dass in Ermangelung eines wundertätigen und die rechte Lehre vermittelnden Gottessohnes Menschen treten müssen, die in Konkurrenz zur jüdischen, griechischen und römischen Priester-Rolle und zugleich als Jesus ersetzende Heilsbringer treten.
Die Kirche übernimmt mit zunehmend beamteten Priestern Schritt für Schritt die Erlöserfunktion des Messias. Diese ersetzen dann immer mehr das Gebot Jesu, ihm, ihn nachahmend, nachzufolgen, durch bescheidenere Anforderungen, und ermöglichen so den "Gläubigen", fast genauso zu leben und zu agieren wie ihre heidnischen Nachbarn: Der Kirchgang und die Unterwerfung unter magische Riten genügen de facto immer mehr, um Christ zu sein.
Was so im Verlauf einiger Generationen nach Jesus entsteht, sind Gemeinde-Versammlungen (ekklesia) mit Priestern (presbyteros) und in ihrer Zusammenfassung Kirche (nach dem Adjektiv kyriakón - zum Herrn, kyrios, gehörig). Ganz im jüdischen, aber auch griechisch-römischen Sinne wird diese entstehende Hierarchie zu einem Männerverein. Die so entstehende Kirche ist ein christliches Spezifikum und in der Menschheit seitdem einzigartig.
Kirche ist dabei zunächst das Gebäude und die Gemeinde, die sich dort regelmäßig trifft, um schon bald im "sakralen" und dann auch konsakrierten Raum "geistlicher" (spiritueller und zugleich magischer) Heilsmittel zuteil zu werden. Kirche als Organisation entsteht dann aus der Trennung von Priesterschaft und Gemeinde, wobei den Laien, von griechisch laos, dem Volk, die entscheidenden Rituale nach und nach aus der Hand genommen werden. Dazu kommt die Abspaltung eines monastischen Lebens als Eremit oder dann auch im Kloster andererseits.
Klöster und Klerus gehorchen etwas unterschiedlichen Regeln, mit denen sie aus der Laienschar herausgehoben sind. Gemeinsam ist ihnen idealiter in der Nachfolge Jesu und der Apostel der Verzicht auf persönliches Eigentum, die Keuschheit als Verzicht auf das Ausleben des Geschlechtstriebes und überhaupt ein gemeinschaftliches Leben außerhalb bzw. am Rande der „Welt“, des saeculum. Schließlich gehört dazu bei beiden der bedingungslose Gehorsam entweder gegenüber dem Abt oder gegenüber dem Vorgesetzten in der kirchlichen Hierarchie.
Aus Kontakten zwischen den Kirchen-Gemeinden entsteht Kirche aber auch als übergreifende Organisation, in der jeweils pro Region, bald dann je civitas, mit Sitz in deren städtischem Zentrum, ein Aufseher, griechisch episcopos (deutsch später: Bischof), über die ordentliche Amtsführung der Priester und die aktuell gerade korrekte Heilslehre wacht. Diese Bischöfe werden aber immer wieder nicht nur zusammenarbeiten, sondern in gelegentlich massive Konflikte um Macht und Rang treten.
Über ihnen wiederum sitzen bald in den Großstädten des Reiches Metropoliten, aus denen später Erzbischöfe werden, und angesichts der Größe des Reiches dann noch einige wenige Patriarchen, Überväter sozusagen. Im weströmischen Reich ist der Bischof von Rom ein solcher.
Erst infolge der Teilung des Imperiums in ein östliches und ein westliches Reich macht sich der Bischof von Rom unter der dann zwischen dem 4. und 5. Jahrhundert durchgesetzten Bezeichnung papa zum geistlichen Herrn der weströmischen Kirche, wobei Metropolit und Papa allerdings lange nur eine Art "Ehrenvorrang" (Goetz) innehaben und in Zukunft erst noch entsprechende Befugnisse werden durchsetzen müssen.
Begründet wird das alles dann durch das sicherlich neben anderem später eingefügte Jesuswort an Petrus als Auftrag zur Kirchengründung, dem sowohl paulinische Texte wie die Apostelgeschichte mit ihrer Erwartung der Wiederkunft des Herrn widersprechen. Aber da es sich hier um die einzige Rechtfertigung der Macht einer hierarchisch gegliederten Institution handelte, überstieg es wohl das kritische Denkvermögen der Beleseneren in der Kirche und natürlich ihre handfesten Interessen, daran zu zweifeln.
Tatsächlich hat wohl der Autor ausgerechnet den ob seiner Gewalttätigkeit von Jesus gerügten Petrus dazu ausersehen, weil sein griechischer Name (petros lässt sich als Fels übersetzen) sich für das Wortspiel eignete, er sei der Fels, auf den Jesus baue:
et super hanc petram aedificabo ecclesiam meam (…) Et tibi dabo claves regni coelorum, et quodcunque ligaveris super terram, erat ligatum et in coelis, et quodcunque solveris super terram, erit solutum et in coelis (Matthäus XVI,18f: Und ich will dir die Schlüssel zum Himmelreich geben. Alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.)
Ursprünglich jüdischen Gruppen insbesondere auch der jüdischen Diaspora des römischen Imperiums entstammend, löst sich das Christentum schon bald vom Judentum und breitet sich in kleinen
Gemeinden über das ganze römische Reich aus. Die Benennung "Christen" wird den neuen Gläubigen wohl erst von außen zugelegt und dann von den Jesus-Anhängern übernommen, die sich damit bereits von
Juden abgrenzen. Das "Christentum" taucht erst im zweiten Jahrhundert als Christianismós in Anlehnung an Ioudaismós und Hellēnismós auf. Im Deutschen wird Christentum als
Wort wohl erst im sogenannten hohen Mittelalter geläufig.
Bis sich die Kirche im vierten Jahrhundert mit der "weltlichen" Macht verbindet, muss sie erst einmal "Religion" herstellen. Uns fehlt heute eine authentische "Lehre" Jesu und wir wissen darum nicht, wie die paulinische entsteht und dann das Konglomerat der Evangelien, in das die entstehende Kirche bereits deutlich eingegriffen hat.
Des weiteren bedürfen die Gemeinden einer Organisation, die sich der richtigen Lehrmeinung versichert und offensichtlich auch gemeinschaftsbildender Rituale, wie sie die damals konkurrierenden Kulte besitzen. Dazu gehören als Elementaria die Taufe als erste Austreibung des Teufels aus den neuen Menschenkindern und bald auch die Verlagerung des Abendmahles in die Hände von Priestern, die diesem immer magischere Qualität verleihen.
Je mehr Menschen sich in christlichen Gemeinden versammeln, desto mehr ignorieren sie die schwer einzuhaltenden jesuanischen Gebote wie die Besitzlosigkeit, die Nächstenliebe und die absolute Friedfertigkeit. Tatsächlich unterscheiden sich viele Christen in den ersten Jahrhunderten nach Jesu Tod von ihren "heidnischen" Nachbarn alltäglich nur noch durch den Kirchgang. Dort in der Kirche, zunächst noch kleine, unscheinbare Räume, müssen Priester jene wundersamen Heilsmittel des Jesus der Evangelien ersetzen, und sie tun dies, indem sie nach und nach einen magisch-sakralen Raum schaffen und in diesem mit der von magischer Zauberkraft durchsetzten Wiederholung des Abendmahles samt Verwandlung von Wein in Blut Jesu und Brot in das Fleisch Jesu ein Sakrament neben der Taufe etablieren, auf das dann noch weitere folgen werden, in denen die Gegenwart des Christengottes behauptet wird.
Die zeitliche Welt vor der ewigen nach dem Tode ist das saeculum. Das meinte ursprünglich ein Zeitalter, eine Lebenszeit, dann auch ein Jahrhundert, wie es sich im französischen siècle und im spanischen siglo zum Beispiel erhalten hat. Im kirchlichen Sprachgebrauch wird daraus alles "Zeitliche" als "Welt" im Gegensatz zum zeitlos-ewigen Reich Gottes außerhalb der Welt.
So wie nun ein göttliches und ein irdisches Reich (welches das Imperium Romanum ist) gegenüber gesetzt werden, so auch eine "weltliche" Sphäre, in der Jesus kaum mehr eine Rolle spielt, und in der man gehorsamer Untertan der römischen Machtelite ist und sein soll.
Diese nächste Etappe wurde vorbereitet durch die evangelisch-jesuanische Aufforderung, sich nicht mit den Mächtigen (in Palästina) anzulegen, da das Himmelreich ja nahe sei. Das verwandeln die Christen im römischen Kaiserreich in die Position fast bedingungsloser Untertänigkeit unter den Machtapparat. Solches wiederum honorieren die Kaiser des 4./5. Jahrhunderts, indem sie die Kirche zunächst als Macht-Partner anerkennen und ihr dann nach und nach erlauben, alle Andersgläubigen zu vernichten. Insofern ist nun das Christentum bereits erheblich rejudaisiert, und diese Entwicklung wird weitergehen.
Es wird nun verkündet, dass die Verteilung von Macht und Reichtum wie die von Ohnmacht und Armut von dem Gott der Kirche so gewollt ist, weswegen sich die Massen, die produktiv arbeiten, ganz wenig haben und ganz offiziell machtlos sein sollen, zur Gänze zu fügen haben.
Die neuen irdischen Heilsbringer, die christlichen Priester, sollen sich im Sinne der Glaubwürdigkeit ihrer zunehmenden, exklusiven magischen Kräfte als Mittler zwischen ihrem Gott und den Laien vom tatsächlich immer laueren Christentum wie ihr Vorbild Jesus abheben, vor allem durch Besitzlosigkeit, die durch ein Einkommen kompensiert wird, und durch sexuelle Enthaltsamkeit, eine Art ritueller Reinheit, wobei vor allem letztere (verständlicherweise) in den ersten christlichen Jahrhunderte so sehr schwer fällt, dass sie immer wieder neu und nicht sehr erfolgreich von der Kirche beschlossen werden muss. Dazu erhalten Priester bald eine Tracht, die sie von den Laien auch optisch abhebt.
Die Paradiesgeschichte wird nun, etwas anders als bei den Juden, vornehmlich als sexueller Sündenfall gedeutet und der menschliche Geschlechtstrieb als Urgrund aller Sündhaftigkeit. Diesen als Jungfrau, Mönch oder Priester zu unterdrücken, wird zum Kern christlicher Tugend. Damit wird der tendenziell anarchische Charakter menschlicher Geschlechtlichkeit einerseits wahrgenommen, andererseits aber nun das extreme Gegenteil vertreten, eine Art Streben nach seiner Vergeistigung als Form von Sublimation, einer Art idealer Geschlechtslosigkeit.
Christentum etabliert sich im griechisch-römischen Raum und in Konkurrenz zu dortigen Kulten und der in oberen Kreisen rezipierten Philosophie. An diese angelehnt schaffen Häuper der Kirche etwas eigenartig Neues, was Theologie heißen wird, eine komplizierte Lehre von Gott, deren verzwicktester Teil darin besteht, dass ihr Gott aus drei Teilen besteht, die aber eines sind: Ihm selbst als Vater, seinem Sohn und einem ominösen heiligen Geist, den die Kirche nun quasi gepachtet hat, sie kann mit seiner Hilfe nämlich nun Verkündigung betreiben.
Dieses Theologisieren aber, bald angereichert mit banalisierten Aspekten griechischer Philosophie, ist nicht nur für fast alle Menschen mehr oder weniger unverständlich, sondern führt zu immer neuen Auseinandersetzungen, die - für eine Religion ungewöhnlich - mit Logik, also Vernunft angereichert werden. Nur so wird am Ende jene Intellektualität bei den Wenigen, die sie beherrschen, zu immer trickreicheren Wendungen in der Entwicklung von Christentum führen.
Das vierte Jahrhundert
"Römer" ist ein kurioses Wort für die im Westen mehr oder weniger romanisierten Völkerschaften der Iberer, Gallier und Nordafrikaner und die nur wenig romanisierten Griechen, Syrer usw. im Osten, und die Übertragung der Benennung der Bewohner der Stadt Rom auf alle Untertanen des Imperium Romanum bleibt eine missverständliche Notlösung.
Nachdem das Reich dieser "Römer" im zweiten Jahrhundert (n.d.Zt.) seine größte Ausdehnung erreicht hat, muss es immer mehr militärische Anstrengungen in die Unterwerfung von sich verselbständigenden Regionen unter teils sogar nach der Gesamtherrschaft strebenden Militärs und auch gegen zunehmende militärische Bedrohungen von außen und dabei von fast allen Seiten unternehmen.
Unter Diokletian dienen dazu innere Reformen und die Aufteilung des Imperiums auf zwei Augusti und zwei Caesaren. Diese scheitert zunächst dann an der Machtgier ihrer Nachfolger, unter denen es einem Konstantin gelingt, wieder die Alleinherrschaft zu erringern. Dieser nähert sich der (christlichen) Kirche an und versucht sie als zusätzliches Machtinstrument im Reich einzusetzen. Zudem werden die letzten Reste eines Prinzipats beseitigt und ein immer despotischerer Zwangsstaat errichtet, der im Interesse des Militärs stärker in die Wirtschaft eingreift. Mit der Errichtung einer Dynastie soll die Herrschergewalt gestärkt werden, was aber im 5. Jahrhundert eher zum Verfall führt, da im Westen nun zu viele Kinderkaiser antreten.
Christentum erscheint jetzt als Religion eines kriegerischen Gottes des Schlachtenglücks ganz im jüdischen Sinne. Der evangelische Jesus der Nächstenliebe wird so zum christlichen Gott der Feindseligkeit gegen alle, die sich nicht korrekter weltlicher und geistlicher Macht unterwerfen. Der weithin friedfertige Jesus der Evangelien wird zu einem Kriegsgott der Rechtgläubigen, und vor die Hoffnung auf Erlösung schiebt sich immer mehr die Angst aus der Drohung heraus, ohne die Heilsmittel der Kirche in einer schrecklichen Hölle zu landen.
Die hohen kirchlichen Ämter fallen immer häufiger an Mitglieder der römischen Oberschicht, und mit Kaiser Konstantin wird der höhere Klerus eingeladen, Teilhaber an der weltlichen Macht zu sein.
Die kaiserliche Familie und reiche Oberschicht-Leute der Antike versorgen die Kirche seitdem mit kompletten sakralen Gebäuden („Kirchen“), die über den Gebeinen von Märtyrern errichtet werden, und mit Geschenken. Die Bischofskirche wird so zum Eigentümer an immobilem Besitz und von Geld. An der Seite der „weltlichen“ Macht, die sie schützt und verstärkt, droht ihr von nun an „Verweltlichung“.
Bischöfe erhalten Privilegien wie das, in der Kirche Sklaven rechtsgültig freilassen zu dürfen, und Priester werden seit dem 4. Jahrhundert einer eigenen Gerichtsbarkeit unterworfen. Es taucht zum ersten Mal der Titel Erzbischof auf. Solche leiten die Synoden in ihrem Bereich und betreiben bald eine gewisse Aufsicht über ihre (Suffragan)Bischöfe. Bis ins zweite Millennium hinein wird es Konflikte zwischen Erzbischöfen und Suffraganen um die Machtverteilung geben, wie zum Beispiel die zwischen Hinkmar von Reims und den Bischöfen von Laon und Soissons bezeugen.
Das Christentum siegt also, wo und indem es seine ohnehin kaum lebbaren jesuanischen Wurzeln aufgibt, die radikale Kritik Jesu (am seinerzeit vorherrschenden Judentum) ablegt, aber dabei die Evangelien nicht verbrennen kann. Diese werden in Zeiten einer nachantiken Entalphabetisierung von der Priesterschaft weggeschlossen, nach jeweiligem Zeitgeschmack um-interpretiert und tauchen erst wieder im Mittelalter mit evangelischen Erneuerungsbewegungen auf. Für diese wird dann aber die direkte Bezugnahme auf den evangelischen Jesus lebensgefährlich werden.
Dafür lässt Kirche sich vom Kaiser auch inhaltlich dominieren, wiewohl dieser zu Lebzeiten nicht einmal getauft ist. Abgesehen von einem kurzen Restaurationsversuch der alten (Staats)Kulte entwickelt sich das nunmehr auf Konzilien inhaltlich dogmatisierte Christentum im 4. Jahrhundert langsam zu einer dominanten und dann massiv unduldsamen Staatsreligion, die beginnt, alle anderen Kulte auszurotten. Dieser gewalttätige und ausgesprochen kriegerische Charakter des Christentums, welcher aber auch gar nichts mehr mit dem Jesus der Evangelien zu tun hat, wird sich bis durch das lange Mittelalter halten und dann seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts durch ähnlich brutalen Polit-Religionsersatz abgelöst werden.
Seit 220 bedroht die Dynastie der Sassaniden in ihrem persischen Großreich das Imperium im Osten, während sich im Norden immer neue germanisch sprechende Volksgruppen bäuerlichen Charakters bilden, die sich schon seit Beginn der Kaiserzeit langsam unter dem Eindruck des attraktiven materiellen Wohlstandes der Römer verändern: Sie werden anzivilisiert durch stärkere Differenzierung in arm und reich und bilden vorübergehend Koalitionen unter Heerführern für Raubzüge dort, wo für sie etwas zu holen ist. Grenznah sind Franken und Alamannen, wie sie die Römer nennen, auf rechtsrheinischem Gebiet. Daneben werden die ersten größeren Gruppen in Gallien angesiedelt und immer mehr Soldaten aus solchen Völkern rekrutiert.
Das Ende des westlichen Imperiums
Die einzelnen Provinzen bzw. Regionen verselbständigen sich zunehmend. Die Latifundien, von bestimmten Steuern und öffentlichen Lasten befreit, beanspruchen zunehmend Gerichtsbarkeit über die von ihnen abhängigen Produzenten und beschäftigen manchmal regelrechte Privatarmeen. Spätestens im vierten Jahrhundert setzt auch ein Niedergang der Städte im Westreich ein. Damit einher geht ein Niedergang der Handwerks-Kunst.
Mit alledem zusammen hängt ein Niedergang der Staats-Finanzen im Westen, die im fünften Jahrhundert dann nur noch einen bescheidenen Bruchteil der Ostfinanzen betragen. (u.a. Angenendt(2), S.112)
Nach Konstantins Tod lässt sich die Aufteilung des Reiches in einen östlich-griechischen und einen westlich-lateinischen Teil nicht mehr aufhalten. Im Osten dringen insbesondere ab 376 große Scharen vor allem von Goten von Norden ins Reich ein, die wohl dem Druck aus Innerasien stammender Reiterhorden ausgesetzt sind. Im Westen geht England dem Imperium verloren, welches bald zunehmend Wellen angelsächsischer Einwanderer ausgesetzt sein wird.
Von den Römern als Franken und Alamannen zusammengefasste Germanenverbände dringen immer öfter über den Rhein ins Reich. So wie Goten im Osten gibt es auch Franken, die im Westreich als eine Art Wehrbauern angesiedelt werden.
394 erhält Stilicho, dessen Sohn mit der Theodosius-Tochter Galla Placidia verlobt ist, das militärische Kommando im Westen und schickt Truppen ins Illyricum. Darauf marschieren ab 406 Vandalen, Sueben und andere bis Hispanien durch und gründen dort eigene Reiche. 408 wird Stilicho ermordet.
Eine große Gruppe von Goten unter Alarich, welche mit ihrer Behandlung im Ostreich unzufrieden bleiben, marschiert im Westreich ein, zieht durch Italien, plündert Ende 410 die urbs Roma (die Stadt Rom), um dann um 418 in den Süden des immer unruhigeren Galliens abgeschoben und dort in einem Reich mit der Hauptstadt Tolosa (Toulouse) angesiedelt zu werden. Inzwischen haben auch die Burgunden ein "Reich" am Rhein um Worms gegründet, welches sie auf Druck von Hunnen und Römern wenige Jahrzehnte später aufgeben, um in die Sabaudia (Savoyen) zu ziehen. Etwa in dieser Zeit setzen die iberischen Vandalen nach Afrika über und gründen dort ein großes Reich, von dem aus sie Rom bedrohen, und von wo sie seit 439 seine Getreideversorgung wenigstens teilweise kontrollieren.
In diesen Zeiten, an deren Ende weströmische "Kaiser" nur noch bestenfalls Italien kontrollieren, gelingt es ihnen immer weniger, noch Legionen aus der altrömischen Bevölkerung zu rekrutieren. Sie werden vielmehr nun zunehmend mit germanischen Völkerschaften aufgefüllt und selbst die hohen Militärführer sind jetzt meist germanischer Abstammung, auch wenn sie sich anscheinend gerne mit ihren römischen Ämtern identifizieren.
Der lange Weg in den Untergang des Westreiches führt einmal über Ansiedlungen und Eroberungen von Minderheiten überwiegend germanisch dominierter Heerscharen/Völker, die vom Wohlstand und Luxus der kleinen römischen Oberschicht fasziniert sind.
Dazu kommt die militärische und damit verbundene finanzielle Überforderung durch Krieg an fast allen Grenzen; ungefähr die Hälfte des gesamten Steueraufkommens geht inzwischen ans Militär. Schließlich trägt wohl auch der im nicht-militärischen Bereich sehr dezentrale Charakter des Reiches mit seiner relativen Selbständigkeit der civitates und der ihre Traditionen und Sprachen nicht immer völlig durch zivilisatorischen Druck aus Rom verlierenden Regionen zum Zerfall bei.
Die Stadt Rom verliert immer mehr Bevölkerung. Städte wie Trier, die Augusta Treverorum (Erhabene der Treverer), wie Nîmes, Autun und viele andere beginnen zu verfallen. Immerhin hat die Stadt Rom um 400 noch vielleicht eine halbe Million Einwohner, bevor die Zahlen dann immer schneller zurückgehen.
Zurück geht langsam auch der Handel, das Handwerk verliert an Kunstfertigkeit und Infrastruktur wie Wasserversorgung, und Straßen werden weniger gepflegt, während so etwas in Ostrom eher stabil bleibt, welches allerdings unter ständigem Druck der Sassaniden steht, deren persisches Großreich fast so groß ist wie ihres.
Einen letzten Versuch der Unterordnung Galliens unter Rom unternimmt Aetius, der 451 in einem Bündnis mit mehreren germanischen Heeren den Hunnenführer Attila besiegt, den dann aber Kaiser Valentinian III. eigenhändig erschlägt, bevor er selbst ebenfalls ermordet wird.
Im bald zunehmend angelsächsischer geprägten England verschwinden die Städte fast völlig und das Land verliert seine zentrale Verwaltung. Inselkelten wandern in die Bretagne ein.
Der größte Teil Galliens zerfällt in einzelne Militärbezirke, und von einem von ihnen steigen mit einem Childerich die sich langsam als großes Volk formierenden Franken auf, während der Süden von Toulouse aus von den Westgoten regiert wird, burgundische Herrscher sich vom heutigen Savoyen ins Rhonetal auszubreiten beginnen, und Hispanien nach dem Abzug der Vandalen nach Afrika im Südwesten von den Sueben und ansonsten von regionalen Machthabern kontrolliert wird. Als letztes wird Italia in die Hände der Ost- oder Osthrogoten unter Theoderich fallen, die von Ravenna aus regieren. Von der Millionenstadt Rom zur Zeit der frühen Kaiser bleibt bald eine langsam zu Ruinen verfallende Stadt von wenigen zehntausend Einwohnern, in der sich die Bischöfe als Ordnungsmacht durchsetzen.
Das alles hat auch damit zu tun, dass römisches Wirtschaften längst stark staatlich kontrolliert war, sowohl für die Versorgung der Hauptstadt wie für die des riesigen Militärs, jener etwa halben Million samt Angehörigen, die nun fortfallen. Rom verliert jetzt seine Hauptstadtfunktion zur Gänze und zugleich verschwindet das professionalisierte Militär in den neuen Reichen zugunsten eines Kriegertums, welches sich aus seinem Landbesitz vor allem finanziert. In Ostrom dagegen werden die tradierten Machtstrukturen mit langsamen kleineren Veränderungen weiter aufrecht erhalten.
Um 440 wird endgültig deutlich, dass die Steuern nicht mehr für die Verteidigung der Reste des West-Imperiums ausreichen. 455 drängt der Visigote Theoderich II. den gallorömischen Avitus, als Kaiser anzutreten. Ihn besiegen dann Maiorian und Ricimer, wobei der letztere schließlich Kaiser Maiorian umbringen lässt. Bis zu seinem Tod 472 regieren dann unter ihm Marionettenkaiser. 476 übernimmt Odoaker als patricius Ostroms und König in Italien.
Inzwischen haben sich die Ostgoten in Italien, die Visigoten im künftigen Südfrankreich ausgebreitet und ebenso die Burgunden, die sich mit beiden Goten schließlich um die Provence streiten.
Mit dem imperium der West-Römer, zunächst die militärische Befehlsgewalt und der daraus resultierende Machtbereich des Kaisers, verschwindet zunächst auch das Wort, welches erst mit dem Kaisertum Karls ("des Großen") dauerhaft wieder auftaucht. Was nun entsteht sind regna, Königreiche, etwas strukturell anderes. Es wird noch lange dauern, bis wir in schriftlicher (deutscher) Form das Wort rihhi dafür bekommen, am bekanntesten in ostarrihhi (dem Kern von Österreich). Etwas anachronistisch soll hier aber in Ermangelung eines anderen Wortes "Reich" bereits seit den frühen nachantiken Macht-Gebilden für die Machtbereiche von Königen benutzt werden.
Durch Ansiedlung und Unterordnung unter Könige (reges) konstituieren sich auf römischem Reichsgebiet militärisch organisierte Stammesgruppen als "Völker" mit zunächst weiterhin eigener Sprache, neben der das Lateinische der wohl über 90 Prozent einer einheimischen Bevölkerung weiter besteht, vor allem auch als Schriftsprache und als Sprache der weströmischen Kirche, die sich dann unterschiedlich schnell in den neuen Reichen durchsetzt.
Die Neusiedler, welche nun nicht mehr so sehr durch Raub, sondern durch Etablierung als kleine neue Oberschicht von wenigen Prozenten der Bevölkerung mit völkisch zugehörigem König am Reichtum des alten Römerreiches und an seinen Einrichtungen partizipieren möchten, wollen sich dazu meist recht schnell mit der alteingesessenen Oberschicht arrangieren. Diese wiederum verträgt sich bald mit den neuen Machthabern, und kooperiert nach Möglichkeit mit ihnen. Die vandalische Oberschicht in Afrika scheint bald lateinisch zu sprechen, übernimmt Elemente der alten Verwaltung, die Besteuerung und Aspekte römischer Lebensformen (Wickham (3), S.77) Die fränkischen Merowinger übernehmen, wo noch vorhanden, die römischen Münzstätten und solange noch möglich das Abgabensystem. Zumindest der Burgunder Gundobad und der Ostgote Theoderich haben ihre Ausbildung ohnehin am kaiserlichen Hof genossen.
Wenn man vom römischen Machtapparat als Staat sprechen möchte, dann findet nun weitere Entstaatlichung statt, die allerdings schon vorher eingesetzt hatte. Die zentralen Zwangsinstrumente, eine professionelle Armee, funktionierende Besteuerung, ein einheitliches Recht und ein Apparat, dieses durchzusetzen, werden nach und nach aufgegeben.
Einige der neuen Reiche werden durch Eroberung besiegt werden: Das Westgotenreich in Südgallien durch die Franken und nach dem Übergang auf die iberische Halbinsel und lange nach der Vernichtung des Suebenreiches dort 711 durch islamische Heere, die Reiche der Vandalen und Ostgoten durch oströmische Heere. Schließlich werden die frankischen Herrscher auch das bald auf die Ostgoten folgende Langobardenreich zerstören. Was bleiben wird, ist ein fränkisches Reich, welches sich über Gallien nach Osten auf die Gebiete dort nun siedelnder germanischer Stammesverbände und über das eroberte Langobardenreich nach Nord- und Mttelitalien ausdehnen wird.