Neuzeit?
Grundzüge
Staatlichkeit (Königreiche. Nationen)
Kapital und Macht (Habsburger, Spanien / Frankreich / Kirchenstaat)
Totaler Staat: Sittlichkeit statt Sitte
Gemeinwohl?
Expansion: Kolonien und Weltmacht-Phantasien
Der deutsche Sonderfall
Die Eidgenossenschaft
Die Niederlande
Frankreich
England
Italien
Fürstliche Prachtentfaltung
Fürstliche Justiz
Der Krieg
Adel
Kirchen (Reformationen / Hansestädte)
Hexerei und ihre Verfolgung
Aussehen. Geschlechtstrieb als Triebkraft des Kapitals (Heptameron)
Das Land (Deutscher Bauernkrieg)
Natur?
Neuzeit?
Irgendwann zwischen 1400 und 1500 verabschieden Avantgardisten der neuesten Moden das Mittelalter, indem sie es erfinden. Es wird dann das Programm entworfen, die dunkle Zeit germanischer Barbarei durch Wiedererweckung einer wie auch immer gemeinten Antike hinter sich zu lassen. Dabei bekommen die meisten Menschen im nunmehr immer weniger lateinischen Abendland von solchen Äußerungen nichts mit.
Eine sinnvollere Epocheneinteilung für jenen Großraum, in dem sich Voraussetzungen für Kapitalismus entwickeln und dann dieser selbst sich entfaltet, scheint mir die zu sein, von einer sich von den orientalischen Despotien absetzenden abendländische Antike von etwa 1000/800 vor der Zeitenwende bis ca 400/450 danach zu sprechen, von einer Nachantike in dem bald durch die islamische Expansion reduzierten Raum bis nach 900, und von einem ersten kapitalistischen Zeitalter, welches im 18. Jahrhundert ausläuft und durch eine gewaltige Industrialisierung und Säkularisierung abgelöst wird. Das wäre eine sinvvole Nutzung des Wortes Mittelalter.
Noch besser wäre es wohl eigentlich, mit dem späten 10. Jahrhundert eine Entwicklung einsetzen zu sehen, die bis heute linear und relativ bruchlos anhält. Der immer heftiger triumphierende Kapitalismus wird dabei begleitet von globaler Bevölkerungsvermehrung, Zerstörung aller noch existierenden Kulturen weltweit und Zerstörung des Lebensraums Erde. Wenn man einen Endpunkt sehen möchte, dann wäre der das völlige Verschwinden der Zivilisation des ehedem lateinischen Abendlandes im 20./21. Jahrhundert.
Es erscheint auf jeden Fall wenig sinnvoll, Epochalisierung durch eine sogenannte "Geistesgeschichte" bestimmen zu lassen, die nur ganz wenig Leute erreicht und die selbst zwischen etwa 1400 und 1800 kaum eine Rolle für Veränderung spielt. Humanismus als Neuinterpretation antiker Texte und Renaissance als Neuinterpretation antiker Künste stehen in einer Tradition, die im 9./10. Jahrhundert einsetzt und erst im 18. Jahrhundert zu Ende geht. Selbst der Rationalismus des 17. und die sogenannte Aufklärung des 18. Jahrhunderts betrifft nur extrem wenige Leute und bleibt für fast alle bis heute völlig unverständlich und unzugänglich. Zudem sind sie nichts anderes als die Endphase einer Entwicklung, die spätestens im 11. Jahrhundert einsetzt.
Zu Endpunkten: Die diffuse Mischung aus persönlichem Abenteurertum und Kapitalinteresse in der großen französischen "Revolution" bedient sich zwar wenig verstandener Schlagworte aus der Geistesgeschichte, hat ihren Anlass aber eher in der Koppelung einer Adelsreaktion auf Modernisierung mit der Unfähigkeit von Monarchen, letztere durchzusetzen.
Der Nationalismus in jenen Kolonien mit starken Anteilen europäischer Siedler, 1776 in Nordamerika begonnen, entspricht einer zwischen dem 12. und 15. Jahrhundert einsetzenden Traditionslinie in Europa. von der nur die deutschen und italienischen Lande ausgenommen sind, und lässt sich als deren Übertragung auf andere Kontinente verstehen.
Das Mittelalter endet weder im 15. noch im 16. Jahrhundert, sondern es läuft für die meisten Menschen im bislang lateinischen Abendland frühestens erst im 18./19. Jahrhundert aus. Festzustellen ist mit Michael Erbe auch von heute aus: "In vielerlei Hinsicht bleiben nach 1500 die Grundstrukturen des mittelalterlichen Europas noch lange erhalten. Ohne die Kenntnis der mittelalterlichen Besonderheiten der abendländischen Geschichte sind das 16. und 17. Jh. oft schwer zu verschehen" (.. Erbe, S.11)
Kolonien gibt es verstärkt wieder seit der Zeit der Kreuzzüge, aber Kolonisierung war schon Sache der Antike gewesen. Und die stärkere Einbeziehung Afrikas und Asiens und der neue Markt in den Amerikas im 16. Jahrhundert sind nur die beschleunigte Erweiterung von Vorgängen, die schon in der Antike begannen und nie ganz aufgehört haben.
Gewiss: Inzwischen haben die Osmanen Byzanz erobert, Columbus macht sich von Italien nach Spanien auf, wo Handels- und Finanzkapital jetzt immer unternehmungslustiger werden, und dann auf den Seeweg nach Indien. Mit der Eroberung von Granada geht die Vereinigung von Kastilien und Aragon unter den "katholischen Königen" einher. Macchiavelli schreibt mit dem 'Fürsten' (Il Principe) den ersten an Empirie und nicht mehr bloß normativen politischen Text und Luther wird sich an die Rettung der Christenheit machen
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Aber das einzige wirklich einschneidende Ereignis, das Ende der Osthälfte des römischen Reiches tausend Jahre nach dem Umschwung im Westen, der viel weniger ein Ende war, und die Islamisierung und Orientalisierung dieses nunmehr für immer verschwundenen Reiches wird von den Herstellern von Epochalisierung fast völlig übersehen. Für die Entwicklung des Kapitalismus spielt aber auch dieses Ereignis kaum eine Rolle.
Immerhin verschwindet Griechenland bis ins 19. Jahrhundert aus der abendländischen Geschichte und wird nicht unerheblich orientalisiert, wie auch stattliche Teile des nördlicheren Balkans. Um ein Haar wäre das Osmanenreich auch bis nach Mitteleuropa gelangt. Immerhin stand sein Heer vor Wien.
Wenn man die große Industrialisierung des 18./19. Jahrhunderts als Beendigung des Mittelalters bezeichnet, kommt man deshalb aber noch nicht an gegen die leider immer noch gängige Version, das Mittelalter um 1500 zu beenden und danach eine Neuzeit anzusetzen, jene Version, die damals sogenannte Humanisten und Renaissance-Ideologen erfanden. Hier soll aber diese Neuzeit zwischen etwa 1450 und 1750 wesentlich als Teil jenes Mittelalters verstanden werden, wie es tatsächlich existierte.
Mit dem behelfsmäßigen Begriff der Moderne wäre dann das durch Großindustrie gekennzeichnete Zeitalter danach und bis heute zu benennen, dessen radikale Veränderungen durch den Untergang der bäuerlichen Landwirtschaft und des produktiven Handwerks sowie des Krämergewerbes gekennzeichnet ist. Die direkte Unterwerfung aller unter das Kapital und seine Bewegungen bedeutet dabei nicht nur wirtschaftliche Unselbständigkeit für fast alle, sondern auch den Aufstieg totalitärer, dass heißt alle Lebensbereiche durchdringender Staaten. Indem diese zu schieren Agenturen der Kapitalbewegungen werden, lässt sich von einem Vorgang immer radikalerer Entzivilisierung sprechen, an dessen Ende offensichtlich das Aussterben der abendländischen Völkerschaften steht, die zunächst alleinige Träger des Kapitalismus waren, und dem ähnlich absehbare Ende des Lebensraumes eines ausgeplünderten Planeten Erde. Nichts spricht mehr dafür, dass diese beiden Entwicklungen noch aufzuhalten wären.
Entzivilisierung heißt, dass die Priester und Herrscher ihre Macht an die Bewegungen des Kapitals verlieren, als deren politische Agenturen die Staaten für das allerdings immer noch furchterregende Kleingedruckte der Macht auftreten, während die Massen den Entwicklungen nicht nur ohnmächtig gegenüberstehen, sondern zu deren zugleich willfährigem wie potentiell widerspenstigen Material degenerieren. Die Versuche von Bolschewismus, Faschismus, Franquismus und Nationalsozialismus, sich mehr oder weniger mithilfe dieses willfährigen Menschenmaterials gegen die Übermacht dieser Kapitalbewegungen zu stemmen, sind allesamt gescheitert, was wohl zu Recht nicht betrauert wird.
Wenn man den Beginn einer Neuzeit irgendwo punktuell festmachen will, dann sind es für das nun nicht mehr lateinische Abendland die Ereignisse um 1789-95, die formulieren, alle Vorrechte abzuschaffen, um so einen Zustand der allgemeinen Rechtslosigkeit zu proklamieren, der postwendend durch die Verleihung von jederzeit einschränkbaren allgemeinen Gnadenrechten durch die Staatsmacht wieder beseitigt wird. Das markiert zwar nicht Ursache, sondern Wirkung von Entwicklungen, die sich im wirtschaftlichen Raum vollzogen haben und weiter vollziehen, weswegen dieser neue, verdeckt totalitäre Staat sich überall nur langsam unter dem Schlagwort Demokratie entwickelt und aufgrund seiner Unfähigkeit, ein jeweils erwartetes Konsumniveau dauerhaft zu halten, immer wieder durch offen terroristische Diktaturen abgelöst wird, wie sie auf dem größten Teil des Planeten ohnehin längst vorherrschen.
Bei genauerem Hinsehen ist aber eine Moderne andererseits das, was im 10. Jahrhundert an einigen Orten einsetzt und dann immer mehr überhand nimmt: Unaufhörliche und tendentiell immer schnellere Modernisierung durch Kapitaleinsatz, das, was im eigentlichen Wortsinn eine einzige und die einzig wirkliche Revolution in den letzten 10 Jahrtausenden darstellt. Sie anzuhalten wäre der erste Schritt auf dem Weg zum Überleben der Menschen als Gattung, und nur insoweit hat die Geschichtsbetrachtung von Karl Marx recht behalten, aber wohl zu spät.
Um es noch einmal deutlich zu machen: Für die meisten Menschen des lateinischen Abendlandes fängt weder mit Kolumbus noch mit Macchiavelli eine Neuzeit an, sondern sie leben in einem bruchlosen Kontinuum, das wesentlich von der Entwicklung des Kapitalismus und zudem von Fürsten und Königen bestimmt wird. Sie kommen auch fast alle bis ins 18. Jahrhundert mit keinem wissenschaftlich geprägten Weltbild in Kontakt. Manchmal wird die sogenannte Kopernikanische Wende als eine Art Neuanfang propagiert. Diese findet 1542 mit dem Hauptwerk des Koppernigk/Kopernikus zwar ihren Text, aber kaum Leser. Vor dem 17. Jahrhundert wird die Vorstellung eines sonnenzentrierten Systems von Himmelskörpern praktisch nicht wahrgenommen und frühestens im 18. Jahrhundert erreicht sie andere Leute als die wenigen Gelehrten.
Grundzüge
Nicht mehr so sehr Landbewirtschaftung zur Nahrungsmittel-Produktion, sondern Kapital bedeutet nun wirtschaftliche Macht. Diese groß-bürgerlichen Wirtschaftsmacht bleibt in ein Korsett feudaler Strukturen eingebettet, mit Königen und Fürsten und einem privilegierten Adel, der in Kirche und Militär die führenden Positionen einnimmt. Diese eigentlich immer hohler werdenden feudalen Verhältnisse werden zunehmend nicht mehr nur religiös, sondern auch rationaler begründet und bleiben insgesamt stabil. macht der Adel nur etwa 2% der Bevölkerung aus (im Osten wesentlich mehr), das Bürgertum diesseits des Ostens über 10%, während meist über 80% in Dörfern auf dem Lande lebt.
Die für alle grundlegenden Tätigkeiten der Produktion von Nahrung und im meist noch zünftigen Handwerk erzeugten Waren lassen diese über ihren Haushalt hinaus eher einflusslos. Die erheblichen städtischen Unterschichten leben im Elend. Das große Kapital sucht Staatsnähe und tendiert dazu, sich adeln zu lassen und eine entsprechende Lebensweise anzunehmen. Das Verlagssystem nimmt zu und arbeitsteilige Manufakturen für Luxuswaren und Waffen kommen auf, Vorform der späteren Fabriken.
Der Weg zu einigermaßen maßstabs-getreuen Karten beginnt im 15. Jahrhundert. Flüsse und Straßen stimmen in ihrem Verlauf, ganze Länder wie Bayern oder gar die ganzen deutschen Lande werden halbwegs richtig auf Papier gebracht. Im Auftrag der Stadt Nürnberg schafft der weitgereiste Beheim einen Globus, auf dem Europa einigermaßen richtig dargestellt wird, dazu Teile Afrikas, während er weiter östlich ins Fabulöse ausufert. Aber das mittelalterliche Straßennetz, und damit sind wir bei den alltäglichen Sorgen fast aller Menschen, ist im 14./15. Jahrhundert so eng geknüpft, dass es bis tief ins 18. Jahrhundert ausreicht, in dem dann mit neuartigen Chausseen eine neue Zeit beginnt.
Große Untertanenverbände bilden inzwischen Nationalstaaten mit Ausnahme von Italien und den deutschen Landen. Monarchen gewinnen immer stärkeren Zugriff auf die Untertanen, das "Volk", welches für sie zu leben, zu arbeiten und zu kämpfen hat. Dieses wird durch massive Propaganda nicht zuletzt auch von den damaligen Historikern dazu angeleitet, die jeweils eigenen Machthaber zu bewundern und zu verehren.
Konflikte mit dem Osmanischen Reich, Eroberung Ungarns ab 1526, 1570 Patt mit Spanien, 1683 Zweite Belagerung Wiens.
Habsburgisch-Französischer Gegensatz erst um Burgund seit 1477, als Erzherzog Maximilian I. mit Maria die Erbin des Burgunder-Reiches heiratet. Der Konflikt dauert erst einmal bis 1756.
Kmpf um die Vorherrschaft im Ostseeraum zwischen Polen, Schweden und Dänemark
1618-48 Dreißigjähriger Krieg
Staaten
Große Untertanenverbände bilden inzwischen Nationalstaaten mit Ausnahme von Italien und den deutschen Landen. Monarchen gewinnen immer stärkeren Zugriff auf die Untertanen, das "Volk", welches für sie zu leben, zu arbeiten und zu kämpfen hat. Dieses wird durch massive Propaganda nicht zuletzt auch von den damaligen Historikern dazu angeleitet, die jeweils eigenen Machthaber zu bewundern und zu verehren.
Staat ist einer der Begriffe, die bis heute gerne im Unklaren gelassen werden, und es ist einer, den die deutsche Sprache bis ins 16. Jahrhundert nicht kennt. Wenn wir ihn als einen differenzierten Machtapparat aus unterschiedlichen Institutionen definieren, rechtlich losgelöst von den Personen in diesen Institutionen, mit einem wenigstens kurzzeitig jeweils klar definierbaren Territorium und darauf lebenden Untertanen, dann ist das zu allgemein, um die spezifischen Gebilde zu definieren, die zwischen dem 13. und 18. Jahrhundert im lateinischen Abendland entstehen, - und es passt auch nur eingeschränkt.
Vor aller Staatlichkeit, wie sie im Mittelalter des lateinischen Abendlandes entsteht, gibt es bereits Zivilisation als Herrschaft, wie sie sich in der Bronzezeit zum ersten Mal erkennen lässt, also die Machtergreifung einzelner oder weniger über die vielen, die so zu Untertanen werden. Erstes Ziel ist es von Anfang an, der arbeitenden Bevölkerung einen Teil der Ergebnisse ihrer Arbeit abzunehmen, weswegen Herrschaft sich immer auf Gewalt gründet, um religiös begründete Bereicherung zu ermöglichen. Dazu gehört eine Verwaltung zum Einziehen der erzwungenen Abgaben und ein Gewaltapparat, der dafür Zwang ausübt.
Solche Machthaber versuchen in aller Regel, die Macht in ihrer Familie zu halten, zwischen dem 10. und 18. Jahrhundert (n.d.Zt.) gelingt ihnen das sehr häufig für längere Zeit.
Schließlich sind die Machthaber, die Herrschaft ausüben, anderen Machthabern benachbart und konkurrieren mit ihnen, und zwar nicht selten gewalttätig. Der Gewaltapparat nach außen und nach innen kann sich ähneln oder sogar derselbe sein. Seit Jahrhunderten hat sich im Deutschen eingebürgert, dabei zwischen Polizei und Militär zu unterscheiden.
Herrschaft mit staatlichen Mitteln bedarf eines Hoheitsgebietes, wobei es erklärtes Ziel vieler Machthaber ist, dieses mit friedlichen oder oft genug kriegerischen Mitteln zu vergrößern. Nach innen heißt das Unterwerfung von Fürsten, Adel und Städten innerhalb des Territoriums durch Könige wie die von England oder Frankreich, während in deutschen Landen Fürsten wesentliche Inhaber von (Landes)Hoheit sind
Staatlichkeit ist dabei wesentlich die Konzentration von Zuständigkeiten über den wirtschaftlich bestimmten Alltag der Untertanen, die diese wiederum finanzieren müssen. Je mehr Zuständigkeiten, desto mehr Verwaltung, in der eine alternative Karriere zu Adel und Kapital in der Identifikation mit der Machtzentrale gesucht werden kann. Das machen im 13./14. Jahrhundert die Stadtstaaten vor und zum anderen der süditalienische Staat Kaiser Friedrichs II. als Erbe der Normannen.
Solche Staatlichkeit ist ein zweiseitiges Schwert: Einerseits bedarf sie der Verwaltung, um das Territorium zu kontrollieren, aus dem Einnahmen zu gewinnen sind, zum anderen kosten die Vollendung territorialer Kontrolle und die Verwaltung immer mehr Geld. Zentraler Teil der Staaten wird darum die Finanzverwaltung.
Könige haben reguläre Einnahmen, neben denen sie irregulärer bedürfen, die ihnen die Ständevertretungen bewilligen müssen. Starke Herrscher in Erbmonarchien tendieren dazu, deren Macht einzuschränken, was der französischen Krone schon 1614 ganz gelingt. Historiker haben für ein solches Königtum im 19. Jahrhundert den Begriff Absolutismus geprägt. England wiederum tendiert zu dem, was Historiker als Parlamentarismus bezeichnen, während Polen zu einem Ständestaat wird.
Mit der Konfessionalisierung infolge der Reformationen gewinnen vor allem über von Rom gelöste Konfessionen Könige als Kirchenherren ihrer Landeskirchen zusätzliche Macht, aber auch in den weiter katholischen Ländern nimmt der Zugriff der weltlichen Macht auf die Kirche erheblich zu.
Neben den Herrschaften von Königen und denen von Fürsten in den deutschen Landen und Teilen Italiens bilden sich im lateinischen Mittelalter auch als abendländische Besonderheit seit 1579 mit den Niederlanden eine ständische Republik aus und mit der Eidgenossenschaft ein föderales Gebilde.
Zudem bilden sich mancherorts städtische Oligarchien reicher und mächtiger Kapitaleigner heraus. Von ihnen überleben Venedig und einige Hansestädte am längsten.
Regiert wird mit Staatsräten, aus denen Behörden hervorgehen, die vor allem für An die Spitze treten im 17./18. Jahrhundert Staatssekretäre oder Minister.
Das Kapital lernt aber meist, grob gesagt, im 15./16. Jahrhundert, dass der Staat auf seine Bewegungen längst angewiesen ist, und verzichtet so nach und nach auf politische Macht, da es von ihr als Juniorpartner anerkannt wird. Staaten sind inzwischen die noch etwas unbeholfenen Vertreter verallgemeinerter Kapitalinteressen, aus denen Staatlichkeit erst so recht hervorgeht, was als erstes in den Städten deutlich wird.
Im 16. Jahrhundert wird der Weg von der Hoheit zur Souveränität formuliert: In seinen 'Sechs Büchern über den Staat' formuliert Jean Bodin 1576 im Zusammenhang mit den konfessionellen Bürgerkriegen in Frankreich das im König verkörperte Recht des Staates, Entscheidungen und Rechtsetzungen ungeachtet jeden Willens der Untertanen durchsetzen zu dürfen. In letzter Instanz formuliert Bodin damit das bis heute geltende staatliche Gewaltmonopol, anders gesagt, die legalisierte Wehrlosigkeit des Untertanen gegenüber dem Staat.
Zweiter Vertreter dieses idealiter allmächtigen Staates wird Thomas Hobbes (1588-1679), der den Menschen als friedlos-gewalttätiges Wesen unter die Knute eines allmächtigen Monarchen zwingen will, um so den inneren Frieden zu wahren.
Als Freiheit bleibt die von Unterdrückung durch andere Staaten/Herrschaften, während der Fürstendiener Giovanni Battista Guarini (1538-1612) in etwa derselben Zeit die Freiheit zu einer privaten Angelegenheit macht:
Die Frucht, die dem guten Bürger zusteht, und die aus der politischen Freiheit erwächst, ist, sich in der öffentlichen Ruhe (!) der privaten so zu erfreuen, dass sein Leben, die Ehre seiner Frauen, die Erziehung seines Nachwuchses, der Genuss seines Einkommens sowie die Freiheit seiner Handelsgeschäfte vor Nachstellungen, inneren und äußeren Kriegen sicher ist. (Trattato della politica libertà, in: Schreiner/Meier, S.42)
Wer die guten Bürger sind und was ihre Freiheit noch ausmacht, ist leicht zu erkennen.
Die königliche Macht reicht allerdings selbst im fortgeschrittenen England des 16. und 17. Jahrhundert überall gerade so weit wie die Männer des Königs. An der Peripherie der Königreiche ist sie minimal, und im ganzen ländlichen Raum beschränkt sich die Obrigkeit auf lokale Grundherren und die Geistlichkeit. Letztere unter staatliche Kontrolle zu bekommen, wird ein zentrales Herrschaftsthema dieser beiden Jahrhunderte, und die Reformationen sind die dienstbaren Geister auf diesem Weg, indem sie Kirche von Rom lösen und damit Fürsten anheim stellen. So wird der Protestantismus die Bewegung zur Verstaatlichung der kirchlich verwalteten Religion.
Diese in den Griff zu bekommen gibt es in deutschen Landen wie in England einen zweiten guten Grund: Bischöfe und Äbte sind oft sehr reich und inbesondere mit enormem Grundbesitz ausgestattet. Zudem reicht die Macht der Geistlichkeit eben bis in den hintersten Winkel: Moderne Staatlichkeit verlangt damals geradezu nach Verstaatlichung von Religion und Kirche.
***Nation***
In Nationen teilen sich die Studenten von Universitäten, also in Herkunftsregionen. In Pisa 1409 und in Konstanz 1414-18 teilt sich das Konzil ebenfalls in nationes auf, in Konstanz sind das Italica, Galicana, Germanica, Anglica und am Ende auch Hispanica. Die Germanica umfasst unter anderem auch Böhmen, Polen und Ungarn.
In die deutsche Sprache kommt das Wort Nation erst spät, im 16. Jahrhundert, und zwar wie so vieles aus Frankreich importiert. Inzwischen gibt es mit England, Frankreich und Spanien drei Nationen neuen Typs, alle drei verschieden erfunden, aber das ihnen gemeinsame Wort Nation bedeutet ohnehin etwas völlig anderes als früher einmal.
Was in England und Frankreich geschieht, lässt sich als Zerstörung der Regionen und ihrer - insbesondere sprachlichen - Eigenheiten zugunsten eines einheitlichen Herrschaftsraumes beschreiben. Nur so schafft sich das Machtzentrum sein Volk neuen Typs, einen zunehmend zu vereinheitlichenden Untertanenverband. So ist es denn auch die Herausbildung von zwei Nationen bildenden Machtzentren, die auf der iberischen Halbinsel Portugal aus einem spanischen Staatsverband ausgliedert und dabei im Nordwesten die Galizier in zwei Herrschaftsräume aufteilt. Die Dominanz der kastilischen über die übrigen romanischen Sprachen und eines kastilisch-aragonesischen Herrscherhauses schafft dann jenes Spanien, welchem es aber bis heute nicht gelingt, alle Basken und Katalanen ganz zu integrieren.
Seit dem 11./12. Jahrhundert ist der Weg des römischen Königreiches in eine Föderation von immer mehr erstarkenden Fürstentümern unter einem schwachen Königtum vorgezeichnet. Für das Deutschtum heißt das, dass es bereits im Verlauf des sogenannten Mittelalters im Westen und Süden zurückgedrängt wird, was man am Rückzug der deutschen Sprache dort am besten erkennen kann, während es sich nach Osten ganz erheblich ausdehnt, bis es nach den beiden Weltkriegen des zwanzigsten Jahrhunderts zum größten Teil auf das brutalste vernichtet wird und nur ein kleines Restdeutschland übrig bliebt.
Zwar gibt es einzelne Bildungsbürger in einigen deutschen Städten, die ein vages Bewusstsein von einer gemeinsamen deutschen Geschichte entwickeln, aber die Masse der Untertanen wird auf die jeweils herrschende Familie und ihr Territorium orientiert, ein Zustand, den Reformationen und Augsburger Religionsfriede noch vertiefen. Die komplette Entsolidarisierung der Deutschen findet dann in Kriegen gegeneinander statt, deren Krönung die der preußischen Hohenzollern im 19. Jahrhundert sein werden, die am Ende 1871 ein preußisches Großreich als Deutsches Reich definieren und damit alle auch ausschließen, die sie sich nicht unterwerfen können. Es ist dann nur noch konsequent, wenn Adolf Hitler 1933 de facto das Ende der deutschen Geschichte einläutet und eine Art Großreich weithin nach dem Muster des "Sowjet"Bolschewismus und zusätzlichen Rassephantasien etablieren möchte.
Staaten sind von oben nach unten strukturiert und Erfindungen von Machthabern. Mit ihnen entsteht einer der neueren Volksbegriffe, der vom Untertanen-Verband. Dieser wird flankiert durch pseudo-ethnische Arroganz, auch als Patriotismus oder Nationalismus fungierend. Was im späten Mittelalter englische Ausländerfeindlichkeit ist oder entstehender französischer Nationalismus, entwickelt an abgespalteten oder sich abspaltenden Rändern der deutschen Lande besonders kuriose Phänomene, die sich aber nicht als Nationalismus erweisen, aber aus derselben psychosozialen Wurzel auftauchen:
"Erst in den 1480er und 1490er Jahren entsteht plötzlich und mit überraschender Vehemenz eine tiefgreifende Feindseligkeit zwischen denen, die als Kuhschweizer und denen, die als Sauschwaben beschimpft werden. Leute aus Appenzell werden in Konstanz als >Kuokiger< beschimpft, als >Kuhficker<. Und umgekehrt wird in der Eidgenossenschaft >Schwab< zum Schimpfwort. Raubzüge stellungsloser Söldner und rauflustiger Bauernsöhne aus der Innerschweiz hatten zu den Spannungen zwischen Schweizern und Schwaben im jetzt erst entstehenden Grenzraum ebenso beigetragen wie die unverhohlen auch gegen die Eidgenossen gerichtete Gründung des Schwäbischen Bundes 1488. Aber die Schimpfworte begleiten nicht etwa die Politik, sie gestalten sie mit." (SchubertAlltag, S.319)
Der Versuch eines Nationalismus geriert sich in deutschen Landen später als in Frankreich und England, aber ebenso unerfreulich. 1492 hält Konrad Celtis an der Universität von Ingolstadt eine Rede an die deutschen Männer (viri Germani) und das freie und starke Volk (liberus et robustus populus): Nehmt die alte Gesinnung wieder an, deutsche Männer, mit der ihr so oft Schrecken und Furcht über die Römer gebracht habt. (in: Kintzinger/Schniedmüller, S.428)
Kapital und Macht
Das Verhältnis zwischen Kapital und politischer Macht verändert sich im 16. Jahrhundert, als Staaten ihre Finanzen etwas solider ordnen und zugleich die Banken geschickter im Umgang mit Staatsschulden werden.
Die Grenzen zwischen beiden verschwimmen aber überall dort, wo vor allem in Frankreich Unternehmer über den Zugang zum Hof auch Zugang zum Adel suchen. Ein bekanntes Beispiel ist der Florentiner Antonio Gondi, der über den Aufkauf von Landgütern in den Adel aufsteigt und zugleich dem König als Steuereintreiber dient. Von seinem ersten Tätigkeitsbereich in Lyon wechselt er 1550 an den Hof von Paris. Einer seiner Söhne wird dann Bischof von Paris, ein anderer Marschall von Frankreich, während eine Linie als Bankiers in Lyon bleibt. Nachfahren werden dann zu Herzögen und Kardinälen von Retz.
Die Könige und Fürsten, die sich selbst und ihren Staat nunmehr auf Kredit finanzieren, besitzen die herrschaftliche und damit militärische Macht und können es sich gegenüber auch großen Kapitalien leisten, säumige Schuldner zu sein. Als Beispiel mag die Lübecker Handels-Firma Loitz/Krockow dienen: ""Gegen 1570 war Karl IX. von Frankreich Krockow 500 000 Gulden schuldig, der Markgraf von Brandenburg 200 000 Taler, die pommerschen Fürsten 100 000, der König von Polen fast 300 000." (Dollinger, S.465) Beim Tod des letzteren 1572 ist die Firma dann zahlungsunfähig-
****Habsburger und Spanien****
Im europäischen Bankwesen in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts verlieren florentinische Banken an Bedeutung gegenüber denen aus Süddeutschland und Genua. Letztere haben beide Zugang zu enormen Mengen an Edelmetallen. Die Fugger verleihen erhebliche Summen an Maximilian und erhalten dafür den Zugang zu den Bergwerken in seinem Reich. Sie und die Welser gewinnen großen Einfluss auf den Gewürzhandel in Antwerpen und Lyon. Insbesondere die Fugger besitzen 1527 bereits über 2 Millionen Gulden (dreiviertel des Florin) und 1546 über 5 Millionen, weit mehr als jede Bank in Florenz.
1519 benötigt Karl V. 851 000 rheinische Gulden an Bestechungsgeldern, um seine Wahl durchzusetzen. Davon können die Fugger 543 000 leisten, die Welser, 143 000 und ein Genuese und ein Florentiner zusammen 165 000. Der Versuch den Mächtigen durch die Geschichte nahestehender, insbesondere deutscher Historiker, die Tatsachen herunterzuspielen, ist blanker Unfug: Ohne solche Bestechungsgelder wäre der Habsburger nicht gewählt worden - nur deshalb wurden sie gezahlt und angenommen.
Deutsche Firmen bieten unter Karl V. Geldleihen an die kastilische Krone, die in etwa denen der Genuesen entsprechen. Der erste Krieg des jungen Kaisers bedarf der Subsidien des Papstes, die auch Dank für Karls deutliche Haltung gegen Luther seit dem Wormser Reichstag sind. Zwischen 1520 und 1532 finanziert Finanzkapital in seinem Herrschaftsraum ihn mit Krediten von insgesamt etwa 5,4 Millionen Dukaten, von da an bis 1556 mit 9,6 Millionen. Die Vorteile sind beiderseitig: Der König/Kaiser kann damit seine Kriege und ihre Propagierung finanzieren, das große Kapital erzielt nicht nur geldliche Gewinne, sondern auch geldwerte Vorteile. Propagierung: "Kunst" kommt zwar damals auch immer noch von Können, aber dieses bedeutet auch weiterhin wesentlich die Verherrlichung von weltlicher wie kirchlicher Macht.
In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts setzen sich dann genuesische Banken in Spanien durch, von denen im Mittelfeld des Kapitals viel mehr in zahlreichen spanischen Städten vertreten sind. Zu diesem Netzwerk gehören genuesische Schiffe, die das Edelmetall nach Italien bringen und die Messe von Besancon und später Piacenza, die sie dominieren. Damit kontrollieren sie auch den Edelmetalltransfer von Amerika nach Spanien und den Transfer von Geldern, mit denen Karl V. seine Feldzüge im Norden finanziert.
In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts finanzieren sie fast alleine die Staatsschuld Philipps II., organisiert in den asientos. Zwischen 1567 und 74 leihen alleine die Brüder Cattaneo 1 125 000 Dukaten an die spanische Krone. Genuesen leihen Philipp III. zwischen 1598 und 1607 fast 23 Millionen Dukaten, 88% allen Geldes, dass er sich leiht. (Goldthwaite, S.257)
****Frankreich****
Die kriegerische Rivalität zwischen der französischen Krone und Habsburg führt dazu, dass der Kreditmarkt von Lyon immer mehr Geld hergeben muss. Unter 127 bekannten Geldverleihern in der Regierungszeit von Franz I. dort sind 87 Italiener und darunter noch 45 Florentiner. Für eine Geldleihe von 400 000 livres 1542 liefern Florentiner die Hälfte, Lucchesen 100 000 und die Welser und französische Banken jeweils 50 000. Die Schulden laufen immer weiter auf und betragen alleine bei drei Florentiner Banken 1555 rund 1 073 000 livres. (Goldthwaite, S.259)
Mit dem schwerreichen Del Bene, schon mehr Franzose als Italiener, beginnen Versuche, Banken zu Konsortien für Anleihen zu organisieren. 1550 wird er Aufseher über die königlichen Finanzen für die italienischen Kriege von Henri II. In fünf Jahren, von 1551 bis 56 bringt er so mehr als 8 Millionen Livres für diesen Zweck zusammen.
Als die Staatsschulden immer mehr außer Kontrolle geraten, entwickelt Del Bene das Konzept der sogenannten Grand Parti de Lyon. Jetzt soll ein großes Syndikat von Banken die Staatsschuld gemeinsam bewältigen, wo hinein der König vor allem florentinische und deutsche Banken zwingt. Die Millionenschulden sollen so auf möglichst viele Schultern verteilt werden, die andererseits daraus ein regelmäßiges Einkommen garantiert erhalten. (Goldthwaite, S.260)
1559 im Vertrag von Cateau-Cambrésis verzichtet der König auf seine italienischen Ansprüche, aber seine Schulden steigen weiter, so dass es kaum gelingt, Zinsen auf die Schulden aufzubringen. Nur der Grund, den wichtigen Finanzplatz Lyon nicht aufzugeben, veranlasst die ausländischen Banken zum Bleiben. Aber mit dem Niedergang von Lyon Ende des Jahrhunderts ist die französische Krone bereits dabei, mit eigenen Mitteln den Staatshaushalt zu konsolidieren, während sie nun auf ausländische Banken immer mehr verzichtet.
****Kirchenstaat****
Ein Sonderfall in der mittelalterlichen Geschichte ist die religiös begründete Entstehung eines mittelitalienischen Staates mit einem Papst als Fürst an der Spitze. Bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts gelingt es den Päpsten, dieses Staatswesen nach Norden bis nach Umbrien, den Marken, der Romagna und nach Bologna auszudehnen.
Zu den kirchlichen Einnahmen kommen so immer mehr weltliche, allerdings ist der Haushalt in Rom immer mehr im Defizit und schon im frühen 16. Jahrhundert dienen die Einnahmen hauptsächlich der Bedienung der Schulden. Finanziert wird das Staatswesen einmal über das Leihen von Geld, üblicherweise zu 12%, wobei zukünftige Einnahmen als Pfand gelten, zum anderen über das Vergeben von Zöllen, dem Hafen von Ripa, der Münze, des Salzmonopols und der Alaunminen von Tolfa. Ämter werden direkt oder indirekt verkauft, sowohl mit einem Ansehen mehrenden Titel wie mit einem verbundenen Einkommen.
1486 beginnt die Konsolidierung der Staatsschuld durch die Etablierung eines Konsortiums von Bankiers, die für einen bestimmten Zeitraum Geld leihen sollen gegen ihre Kontrolle über die Einkünfte. Gegen Ende des Jahrhunderts ist dieser Kreis auf knapp 50 angewachsen, im wesentlichen Genueser und Florentiner. Später wird das in monti umgewandelt, für die Anteile verkauft werden, deren Zinsen durch die Zuweisung bestimmter Einkünfte garantiert werden. Die Mehrzahl dieser Anteile sind praktisch lebenslange Renten (Goldthwaite, S.251). Mit den Monti wird die Staatsschuld übersichtlich geregelt, und sie zieht neben Banken auch private Anleger an.
Unter den della-Rovere-Päpsten aus ihrer Heimat beherrschen zwischen 1471 und 1513 Firmen aus Genua das Geschäft. Vorübergehend dominieren deutsche Firmen neben den Genuesen, gefördert von den Habsburgern. Sie transferieren auch die deutschen Kircheneinkünfte nach Rom. Nach dem Sacco di Roma 1526 übernehmen wieder Genuesen und Florentiner.
Beispielhaft für das verwickelte Netz römischer Geschäfte fasst Goldthwaite die Karriere von Benvenuto Olivieri (1496-1549) aus Florenz zusammen. Er ist Enkel eines Goldschmieds und Sohn eines Kaufmanns, dessen Firma schon über Europa Geschäfte macht. Mit zwanzig Jahren geht er nach Rom und wird nach einer Weile Partner von Bindo Altoviti und Filippo Strozzi, als Gegner von Cosimo I. im Exil. 1539 ist er so weit, dass er die Salzzölle in Rom kaufen kann, 1540 bis 43 ist er depositario der Apostolischen Kammer, 1540 kauft er mit fünf anderen 25% der Salzzölle in der Romagna, mit drei anderen 25% der Verwaltung der römischen Münze, und alleine 25% der Weinsteuer von Rom. 1541 kauft er sich mit vier anderen mit 20% in den Staatsschatz von Peruigia ein, 1542 mit 30% in den von Parma und Piacenza. Im selbst Jahr kauft er sich mit einer Anleihe den Titel eines apostolischen Sekretärs. 1543 in weitere Zölle von Rom. Von 1545 bis 46 ist er wieder depositario und 1546 erhält er mit fünf anderen 25% des Schatzes der Romagna.
Alle diese Anteile laufen jeweils über mehrere Jahre. Dazu kauft und verkauft er Kreditpapiere der Monti, lässt Getreide nach Rom importieren und gewinnt vom Genueser Großunternehmen einen Untervertrag für die Lieferung von Alaun an bestimmte französische Häfen. Bereits 1543 hat seine Hauptfirma ein Haben von 302 000 Dukaten, dreimal so viel wie die Medicibank in Rom. (Goldthwaite, S.252ff)
Totalitärer Staat: Sittlichkeit statt Sitte
Sitte bezeichnet im Mittelalter zunächst die gebräuchliche und auf Konsens beruhende Lebensform. Schon im 15. Jahrhundert deutet sich eine Tendenz zur Normierung, also auf Transformation von Sitte in das an, was dann Moral heißen wird. Das Wort Moral erscheint dann auch im 16. Jahrhundert in der deutschen Sprache.
Was da sprachlich geschieht, reagiert auf einen Verfall tradierter Vorstellungen im Zuge des alles durchdringenden Kapitalismus. Es verbindet sich aber einerseits mit den Reglementierungsbestrebungen der Reformationen und andererseits mit den totalitären Bestrebungen der Fürsten in der Durchsetzung von Staatlichkeit.
Das mag auf den ersten Blick kurios wirken, findet doch im 20. Jahrhundert in den klassischen Metropolstaaten des Kapitals unter den Bedingungen des Konsumismus der Massen eine genau gegenteilige Bewegung statt, die seit dem Ende des zweiten Weltkrieges insbesondere ein völlig bindungsloses Ausleben des Geschlechtstriebes und damit verbunden einen auf rauschhaften Konsum orientierten Amüsierbetrieb propagiert. Verständlich wird das nur, wenn man die Operationen global operierender Kapitalgesellschaften als ein Verfallsstadium von Kapitalismus versteht, in dem Sittlichkeit zum Hemmschuh für Konsumismus wurde. Sie wird darum ersetzt durch parareligiöse Politideologie, ein Vorgang, der schon 1776 und 1789 durchbricht - und wird im 20. Jahrhundert beantwortet durch einen zunehmend die Erde umspannenden archaischen, also re"politisierten" Islam.
Schon die Kirche hatte den Sündenbegriff massiv um die menschliche Geschlechtlichkeit kreisen lassen, aber da sie ihre Rechtfertigung aus der allgemeinen Sündigkeit der Menschen herleitete, griff sie bis in die Frühzeit des 15. Jahrhunderts nur in bescheidenem Umfang ein. Das beruhte einmal auf der Tatsache, dass sie des weltlichen Armes dafür bedürfte, aber auch darauf, dass die menschliche Sündhaftigkeit bei den meisten Menschen gar nicht zu beseitigen war.
Es ist der immer weltlichere Staat, der nun aus der Sünde auch im geschlechtlichen Raum das Verbrechen macht, ein Wort, was sich überhaupt erst jetzt in der deutschen Sprache verbreitet. Dabei wird nicht nur die Liste der Delikte größer, sondern sie werden zunehmend auch als "Unzucht" strafverfolgt. Dazu gehören die beiden Formen der "Sodomie", des Geschlechtsverkehrs mit Tieren und die gleichgeschlechtliche zwischen Menschen, der voreheliche Koitus und der Ehebruch und vieles mehr. Gelegentlich wird sogar eine andere als die übliche Stellung beim Koitus strafbewehrt.
War all das vor allem auf dem Lande oft mit einem Mantel des Schweigens bedeckt, wurde es nun von der weltlichen Strafverfolgung in die Mitte ihres Interesses gerückt. Damit werden "Sittlichkeitsverbrechen" nun häufiger verfolgt als selbst der so häufige Diebstahl. In manchen Gegenden wird alleine schon die Homosexualität nach Diebstahl und Mord zum dritten am häufigsten verfolgten todeswürdigen Delikt. Todeswürdig wird nun auch der Inzest.
Viele Dinge kommen da zusammen: Die bürgerlichen Ehrbarkeitsvorstellungen im Handwerk, die Gnadenlosigkeit reformatorischer Bewegungen, aber am wichtigsten ist wohl die Vorstellung der Vertreter der Staatlichkeit, dass die Untertanen Eigentum der Machthaber seien: Die Triebhaftigkeit dieser Untertanen ist ganz auf Fortpflanzung zu konzentrieren, denn mit der Vermehrung der Untertanen steigt das Maß an Einnahmen der Obrigkeit, die ihnen abgepresst werden können. Später wird dazu kommen, dass männliche Bevölkerungsüberschüsse für Heere genutzt werden können, die der fürstlichen Machterhaltung und - Erweiterung dienen sollen.
In diesen Zusammenhang gehört die immer rabiatere Verfolgung von Abtreibung und Kindstötung, im wesentlichen Armutsphänomene einer weiblichen Unterschicht, der immer weiter von ihren Dienstherren sexuell nachgestellt wird und die mangels brauchbarer Empfängnisverhütung keine andere Möglichkeit sieht, Lebensunterhalt und minimale Ehrbarkeit aufrecht zu erhalten. Wenn die Reichen und Mächtigen im Sinne neuer Sittlichkeit sich selbst den Normen entziehen, regeln sie solches, sofern überhaupt Reglungsbedarf besteht, im wesentlichen untereinander.
Nicht so leicht zu fassen ist das in der (Unterhaltungs- und Belehrungs)Literatur eher greifbare Phänomen der Verunsicherung der Menschen angesichts der Umwertung aller Werte, die sich in der immer deutlicheren Käuflichkeit der Menschen insbesondere in den Städten niederschlägt, also der Erfahrung, dass vor allen Sitten und Gebräuchen, allen kirchlichen Predigten Geld oberster Wert geworden ist. Eine solche Verunsicherung durch Haltlosigkeit neigt dazu, dem Staat immer weitergehende Eingriffe in das zu erlauben, was bislang de facto noch privat war.
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In diese Entwicklung ist auch der Zug zur Illegalisierung der Prostitution einzuordnen. Zwar wird das Schließen von Badehäusern und oft auch bislang legalen Bordellen gerne mit der Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten begründet, aber es entspricht auch den neuen Moralvorstellungen. Die Syphilis als allgemeine Seuche wird seit der Rückkehr von Kolumbus aus Amerika als sich rasch ausbreitende Seuche wahrgenommen und es sagt viel über das Sexualverhalten der Menschen in den Städten, wenn sie gelegentlich die anderen Seuchen in den Städten übertrifft.
Mit der Illegalisierung wird die Prostitution aus dem städtischen Regelwerk genommen und einer weitergehenden Kommerzialisierung unterworfen. Zugleich verteilt sie sich stärker über die Straßen und Plätze und die Landschaft. In der Illegalisierung verbindet sie sich mit der sonstigen Kriminalität zu einer gemeinsamen Unterwelt.
Sind es zwar vor allem Sexualdelikte, die nun verfolgt werden, so hängt sich daran ein ganzer Rattenschwanz an Geboten und Verboten, die zum guten Teil damit zusammenhängen: Züchtigkeit der Kleidung, der Tänze, Diskriminieren des übermäßigen Alkoholkonsums mit seiner enthemmenden Wirkung und vieles mehr. Obrigkeit und Kirche vereinen sich in einer zunehmenden Erziehungsdiktatur, die ihren ersten Höhepunkt viel später in der Pflicht zum Besuch staatlich lizensierter Schulen als Propagandainstrument, der Wehrpflicht zur weiteren Normierung und der Arbeitspflicht (im Fabriksystem) haben wird.
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Was Verbrechen ist, bestimmen in Zivilisationen die Machthaber, wobei sie allerdings das Einverständnis der Untertanen suchen müssen. Deshalb gelten Mord und Totschlag von Militärs im Krieg und durch Büttel der Macht wie die Polizei so wenig als Verbrechen wie das Berauben der Bevölkerung durch Abgaben und Steuern.
Wenn man die Selbst-Legalisierung von Verbrechen durch den Staat abzieht, betreibt er in großem Maßstab organisierte Kriminalität. - und das heute mehr denn je. Deshalb duldet er illegales organisiertes Verbrechertum als Schattenwirtschaft auch heute, soweit es zum Steueraufkommen beiträgt und soweit es, wie in der BRD, nicht mit dem Staat konkurriert, sondern sich in ihn einordnet. Überhaupt macht gerade Professionalisierung organisierte Kriminalität zum wohlgeordneten Partner der Staaten.
Die Bandenbildung im späten Mittelalter ist ihrem Wesen nach verschieden von moderner organisierter Kriminalität. Vielmehr ist es damals so, dass das Raubtier-Verhalten von Fürsten und bewaffnetem Adel von "kleinen Leuten" kopiert wird, um selbst auf Raub in größerem Maßstab auszugehen. Zwischen der Piraterie als Kaperschiff im Auftrag der Hanse oder von Fürsten des 16.-18. Jahrhunderts und der selbst initiierten Seeräuberei bestehen bis ins Personelle hinein fließende Übergänge. Dasselbe betrifft das Söldnerwesen, legalisiert als Auftrag von Fürst oder Stadtrepublik, illegalisiert, sobald der Auftrag vorbei ist. Alleine insofern lässt sich Obrigkeit ganz allgemein auch als Förderbetrieb von Verbrechertum beschreiben.
Die Idealisierung der Räuberbanden zur See und an Land geschieht bei Robin Hood wie bei den Vitalienbrüdern erst, nachdem deren Grausamkeiten verblasst sind. Sie kommt den werdenden Staaten gelegen, soweit sie Opposition in Konkurrenzverhalten zum Staat ableitet, und beschäftigt die Gemüter der Untertanen dann als Tröstung gegenüber staatlicher Übermacht. Die wenigstens haben es ihnen gezeigt...
In der Moderne seit 1776/1789 hingegen geschieht etwas neues: Unter dem Revolutionsbegriff, unter dem nunmehr politisierte Verbrecherbanden sich der Staatsmacht mit Mord und Raub und allem, was sonst noch dazu gehört, bemächtigen, wird das Verbrechen schon dadurch im Nachhinein legalisiert, dass im Namen irgendeinen "Fortschritts" sich des Staates bemächtigt. Ob Jakobiner, Bolschewiken, Nationalsozialisten oder Islamisten, keine Zeit ist von soviel nun politisch deklariertem Verbrechen heimgesucht wie die Moderne, die sich dabei weiterhin aber die beste aller bisherigen Epochen feiert.
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ln den Zusammenhang der Ausweitung von Staatsmacht und Untertänigkeit ist auch die Verfolgung von Zauberern und Hexen einzuordnen, die im Verlauf des 16. Jahrhunderts eine neue Qualität erhält und zum Massenphänomen insbesondere auf dem Lande wird. Das Wort Hexe kommt erst Anfang des 15. Jahrhunderts in den deutschen Sprachgebrauch, das Wort Hexerei im 16. Zunächst verfolgt wird nur der aus dunkler Vergangenheit herrührende Schadenszauber, den Männer wie Frauen ausüben können.
Ende des 15. Jahrhunderts findet ein Vorgang der "Verwissenschaftlichung" statt, der mit dem Hexenhammer (Malleus maleficarum) des dominikanischen Inquisitors Heinrich Kramer (Institoris) beginnt, der 1486 in Speyer gedruckt wird. Damit versucht der Inquisitor seine drastischere Verurteilung von Hexerei zu begründen, ohne zunächst damit großen Einfluss zu gewinnen. Gipfeln wird die Verwissenschaftlichung in dem Propagandisten fürstlich-totalitärer Staatlichkeit Jean Bodin mit seiner Dämonologie von 1580.
Bevor die Hexenverbrennungen zwischen 1580 und 1650 in England und den deutschen Landen zu einem Massenphänomen werden, zieht seit Institoris die Misogynie in das Hexenthema ein. Dabei werden ländliche Vorstellungen von Schadenszauber durch protowissenschaftliche Argumentationen immer mehr von oben in der vor allem ländlichen Bevölkerung kriminalisiert und dabei zunehmend auf Frauen und ihre magischen Talente konzentriert. Das verbindet sich dann mit der sexualisierten obrigkeitlichen Moral, wobei Moral dieser Art immer an Angstphänomene gekoppelt ist. Ländliche Vorstellungen von Hexensabbat mitsamt Besenflügen und Hexentanz werden mit der "Buhlschaft" mit dem Teufel, der in die Frauen hineinfährt, wie auch immer, gekoppelt.
Die vergleichsweise harmlosen Vorstellungen in der Landbevölkerung von Dämonen und ihrem Treiben werden durch Pseudowissenschaftlichkeit zu Doktrinen, die dann systematisch in die Bevölkerung hinein missioniert werden. Damit wird immer mehr vom archaischen Aspekt des Schadenszaubers abgesehen und das Augenmerk vom Delikt auf den Delinquenten gerichtet. Es sind die Gelehrten und ihr Staat, der dann die vom Kapitalismus angereicherten Konflikte in den Dörfern zum einen nutzen, um Denunzianten zu finden und über die Anwendung von Folter und Verbrennung Massen-Hysterie zu erzeugen. Das "nachbarschaftliche Denken muss zutiefst zerrüttet gewesen sein, wenn Hexenrichter Erfolge verzeichnen konnten." (SchubertRäuber, S.244)
Vor dem vom Staat inszenierten Hexenwahn stand der aus der Bevölkerung aufsteigende Judenwahn. Solcher Wahn, vom klinischen Wahnsinn durchaus zu unterscheiden, ist in dieser Zeit wohl ein Spezifikum der Umbrüche, die Kapitalismus hervor ruft, wobei Ängste auf geeignete Objekte gerichtet werden, die erlebten Opferstatus in den von Tätern verwandeln. Das Beunruhigende am Hexenwahn zwischen 1580 und 1650 ist das Bündnis von Massenhysterie mit der Macht, etwas, was sich dann bis heute immer neue Formen suchen wird.
Die Idee vom dem Gemeinwohl nutzenden Eigennutz
Die uns derart bekannte Natur wird getrieben von Gesetzmäßigkeiten. Zu ihnen gehört, dass Leben durch Leben ermöglicht wird. Es wäre nicht möglich, wenn es nicht bis einige Zeit nach der Geschlechtsreife anhielte, um dann fruchtbar zu werden. Dabei wird es von Eigennutz getrieben, der manchmal wie bei der Löwin ihre Jungen umfasst und wie bei Ameisen oder Bienen ein ganzes Volk. Ohne Eigennutz keine lebendige Natur. Menschen schlossen sich zu diesem Zweck zu kleinen Verbänden aus wirklichen oder ideellen Verwandten zusammen. In Zivilisationen werden sie den Interessen von Machthabern unterworfen, deren Eigennutz über dem der Untertanen steht und ansatzweise bereits als Gemeinwohl propagiert wird.
Mit dem beginnenden Kapitalismus treffen der politisch-rechtlich übergeordnete Eigennutz der Machthaber auf den von ihnen geförderten der Agenten des Kapitals. Dieser, von der Gier getrieben, lässt sich nicht mehr "christlich" begründen, sondern nur aus höchst irdischen Interessen heraus. Damit befasst sich schon das hohe und späte Mittelalter in vornehmlich moralisierenden Texten, die immer mehr auf antike Vorbilder zurückgreifen: Der gemeine Nutzen entsteht dabei aus dem höchst eigenen, der auf sehr verschiedene Weise zustandekommt. Die Summe des Eigennutzes aller ergibt den gemeinen Nutzen, wobei die Reichen und Mächtigen eben viel mehr beitragen als die ärmeren und machtloseren Massen.
Wo Kapital und Staat so zusammenfallen wie in der Republik Venedig, wird der Erfolg der großen Handelshäuser mit dem Wohlstand der Stadt gleichgesetzt. Tatsächlich fällt von dem Gold und Silber, welche in die Stadt fließen, immer auch etwas für die Handwerker, kleinen Ladeninhaber und für die Lohnarbeiter ab. Um 1500 schreibt der reiche Kaufmann Girolamo Priuli in eines seiner Tagebücher (diari): Mein Vater, der stolz auf sein Heimatland und seine Freiheit war, suchte Tag und Nacht nach Wegen, um Geld zu machen (...) Geschäfte sind etwas Gutes für die öffentliche Wirtschaft. (so in: Rösch, S.154)
Der Lokalpatriotismus, seit der Nachantike in norditalienischen Städten von den Mächtigeren propagiert, wird im Maße der Kapitalisierung der jeweiligen Stadt nach und nach durch den Reichtum samt resultierender Macht und seine Symbole ersetzt. Dabei wird der honor, der den Fürsten zusteht, hier auf die Stadt übertragen. Honor, also Ehre, und Stolz gehören dabei zusammen. Die Freiheit, die Venedig seit dem Zugriff auf die Terra Ferma und dem Überfall auf ihre Despoten für sich in Anspruch nimmt, besteht in der Einschränkung der Macht des Dogen, was für die Masse der Menschen dort keinen wesentlichen Unterschied macht, bleibt sie doch politisch entrechtet.
Vom Humanisten Konrad Peutinger ausdrücklich vertreten, ersetzt diese Gemeinwohl-Idee schließlich zunehmend die bislang gängigen Abwehrhaltungen gegenüber den Vorwürfen von Wucher, Geiz und Gier. An die Stelle der gottgewollten Ordnung alten Stils tritt ein säkularer Rationalismus, der dem von der Natur getriebenen Eigennutz eine wirtschaftstheoretische Überhöhung gibt, die bis tief ins 18. Jahrhundert dominieren wird. Lange vor einem Begriff von Kapitalismus wird dieser so zur natürlichen Grundlage von Wohlstand hochstilisiert und geradezu zu einer moralischen Anstalt.
Noch später wird die Verbindung sozialistischer Elemente mit dem ansonsten eher geförderten Kapitalismus in der Sozialdemokratie zur Variante der alten Theorie. Der Staat sorgt dafür, dass der Eigennutz in gemeinsinnige Bahnen gelenkt existieren soll.
Kolonien, Weltmachtphantasien
Das Überschreiten von Kontinenten kannte schon das antike römische Imperium, und es taucht im Mittelalter in der Auseinandersetzung mit der islamischen Welt wieder auf. Im 15. Jahrhundert setzen dabei bei einzelnen aus Abenteuerlust, Neugier und Gier nach Geld und Macht Entdeckungsfahrten ein, welche die Westküste Afrikas und die Kanaren betreffen. Nach erstem Zögern beteiligen sich die Monarchen zunächst Portugals und Spanien, und 1494 und 1529 teilen sie die Welt in ihre Interessensphären auf.
Es folgt die spanische Eroberung Mittel- und Südamerikas mit Ausnahme des portugiesischen Brasiliens. Derweil setzen sich Engländer und Franzosen in Nordamerika fest.
Asien teilt sich in den Norden, in dem das Zarenreich einmarschiert, und den Süden, den sich Engländer, Franzosen und Niederlande teilen.
Russland führt Eroberungskriege, die zur Einverleibung großer Teile Nordosteuropas und einiger Völkerschaften führt. Der brutale Despot Iwan ("der Schreckliche") legt die Grundlagen für die folgende Ostausdehnung, die den Ural überschreitet und Ende des 16. Jahrhundert den Nordwesten Asiens erobert, was mit der Unterdrückung und lnagsamen Russifizierung nordasiatischer Völkerschaften einhergeht.
Handelskompagnien zur Erschließung der Waren und Verwaltung der überseeischen Gebiete: Indienkompagnie. 1600 Britische Ostindienkompagnie 1602 niederländische Ostindienkompagnie 1627 portugiesische Ostindienkompagnie 1664 französische Ost- und Westindienkompanien
Frühe Kolonialherrschaft entwickeln die Portugiesen in Brasilien und die Spanier in ihren amerikanischen Herrschaftsbereichen. Die spanischen Gebiete werden in Vizekönigreiche aufgeteilt und die wieder in audiencias. Die veraltung übernehmen aus der Metropole entsandte Beamte und nicht die einheimischen Kolonisten.
Der deutsche Sonderfall
Obrigkeit ersetzt etwas Herrschaft als Benennung und entwickelt in deutschen Fürstentümern Staatlichkeit mit dem Bewusstsein klarer territorialer Grenzen, in denen Untertanen (Landes)Steuern zu zahlen haben, auch wenn einem "Gemeinnutz" nur ein Teil der Einnahmen tatsächlich zugeordnet ist.
Langsam werden in den Fürstentümern einheitliche Maße eingeführt. Ab 1502 gelten im albertinischen Sachsen die Leipziger Elle, Erfurter Gewicht und Jenaer Eimer. Zum ersten Mal gibt es seit 1506 ein einheitliches Strafgesetz für ein Territorium (Bamberg). Fürsten werden zu Gesetzgebern, und auf Papier gedruckt können Gesetze nun auch verbreitet werden. Sie gelten aber vor allem als Zusammenfassungen alten Rechtes.
1526 erhält die Oberpfalz auf Drängen der Stände eine Landesordnung.
Wesentliche Opposition gegen die deutschen Fürstenstaaten leisten vor allem größere, sich selbstverwaltende Städte. Darum ziehen die Fürsten aus ihren angestammten Burgresidenzen in solche willfähigerer Orte, wie die fränkischen Zollern, der Kölner Erzbischof oder die sich von Braunschweig nach Wolfenbüttel bewegenden Welfen. Die Magdeburger Erzbischöfe weichen den massiven Konflikten in "ihrer" Stadt aus, unterwerfen Halle 1478 und bauen sich dort mit der Moritzburg eine modernere palastartigere Residenz. 1479 untersagen sie ihrer neuen Hauptstadt den Abschluss von Bündnissen und sorgen damit für ihre Trennung von der Hanse, die nur vullmechtige Städte als Mitglieder akzeptiert.
***Karl V.***
1500 in Gent geboren
1519 römischer König dank der Fugger. 1519 benötigt Karl V. 851 000 rheinische Gulden an Bestechungsgeldern, um seine Wahl durchzusetzen. Davon können die Fugger 543 000 leisten, die Welser, 143 000 und ein Genuese und ein Florentiner zusammen 165 000. Der Versuch den Mächtigen durch die Geschichte nahestehender, insbesondere deutscher Historiker, die Tatsachen herunterzuspielen, ist blanker Unfug: Ohne solche Bestechungsgelder wäre der Habsburger nicht gewählt worden - nur deshalb werden sie gezahlt und angenommen.
Deutsche Firmen bieten unter Karl V. Geldleihen an die kastilische Krone, die in etwa denen der Genuesen entsprechen. Der erste Krieg des jungen Kaisers bedarf der Subsidien des Papstes, die auch Dank für Karls deutliche Haltung gegen Luther seit dem Wormser Reichstag sind. Zwischen 1520 und 1532 finanziert Finanzkapital in seinem Herrschaftsraum ihn mit Krediten von insgesamt etwa 5,4 Millionen Dukaten, von da an bis 1556 mit 9,6 Millionen. Die Vorteile sind beiderseitig: Der König/Kaiser kann damit seine Kriege und ihre Propagierung finanzieren, das große Kapital erzielt nicht nur geldliche Gewinne, sondern auch geldwerte Vorteile. Propagierung: "Kunst" kommt zwar damals auch immer noch von Können, aber dieses bedeutet auch weiterhin wesentlich die Verherrlichung von weltlicher wie kirchlicher Macht.
1521 Reichstag zu Worms: Luther, danach zehn Jahre nicht mehr mit deutschen Landen befasst.
1522 Aufstand der Reichsritter, von den Fürsten niedergemacht
1525 Bauernkrieg, von den Fürsten unterdrückt. Vielleicht einhunderttausend Tote. Derweil Gefangennahme von Franz I.
1529 Aufstand der oberen Reichsstände und Damenfriede von Cambrai
1530 Kaiserkrönung in Bologna
1532 Nürnberger Religionsfriede
1552 Verlust von Metz, Toul, Verdun und Ca,brai
1555 Augsburg
1556 Resignation
Die Eidgenossenschaft
Die Niederlande
1506 stirbt Philipp der Schöne mit 28 Jahren. Mutter Juana wird immer geistesgestörter und Sohn Karl ist erst sechs Jahre alt. Seine Tante Margarete ist für ihn seit 1507 Statthalterin udn Karl wächst in Mecheln heran.
1519 stirbt Maximilian, Karl wird König und Kaiser. Im Damenfrieden von Cambrai wird 1529 Burgund endgültig Frankreich zugeschrieben, während es auf Flandern und das Artois verzichtet. 1530 wird Margarete, Schwester Karls V., Statthalterin der Niederlande. 1543 sind alle Niederlande außer Utrecht unter Habsburg vereint. Der Protestantismus ist aber dabei, sie zu spalten. 1556 erhält Karls Sohn Philipp sowohl Spanien wie die Niederlande. Kaiser wird Bruder Ferdinand. 1585 dann die Trennung in die katholischen spanischen Niederlande und die Republik der Vereinigten Niederlande im Norden.
Frankreich
In Frankreich dauern die Kämpfe der Adelsfraktionen gegeneinander und gegen den Monarchen das 16. Jahrhundert hindurch an bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts, bis zur sogenannten absoluten Monarchie, die Richelieu und Mazarin für Louis XIV. schaffen. Hier wird der Adel fast zur Gänze unter die Fuchtel des Monarchen und seines sich ausweitenden Apparates gebracht, genauso wie auch das Bürgertum. Ein aus Herrschaftsinteresse unflexibel gewordenes Ständesystem korreliert mit einer zentralistischen Verwaltung mitten in die Regionen hinein. Wo sich in England Mitwirkung entwickelt, ist es in Frankreich rabiate Unterordnung. Für verfolgte Franzosen seit dem 16. Jahrhundert wird England Auswanderungsland, im 18. Jahrhundert sicherer Hafen für Schriftsteller und freie Geister.
England
Mit den starken Tudorkönigen, insbesondere mit Henry VIII und Elisabeth I wird in England aus der formalrechtlich feudalen Monarchie in kleinen Schritten die Frühform eines Staatswesens, in dem Förderung möglichst reibungsloser Kapitalverwertung als erstes gemeinwohl-orientiertes Staatsziel auftritt.
Italien
In Florenz werden im 14./15. Jahrhundert die relevanten politischen Institutionen, die Arti der Gewerbe und die Marcanzia entmachtet und die Macht geht an miteinander konkurrierende schwerreiche Kapitalisten, von denen insbesondere die Medici aus dem Hintergrund operieren. Indem Italien in das Machtspiel der Spanier, der französischen Krone und von Habsburg gerät, verlieren die Städte dann aber ihre politische Bedeutung an Fürsten, die ihre wirtschaftliche Stärke nun nutzen. Florenz wird Hauptstadt eines (Groß)Herzogtums, das von fürstlicher Verwaltung beherrscht wird.
Fürstliche Prachtentfaltung
Das Mittelalter ist eine Erfindung des 15./16. Jahrhunderts, die Renaissance eine des 19. Sehr derb ausgedrückt handelt es sich um Vermarktungsstrategien von Intellektuellen, Literaten und Künstlern. Eine auch nur ansatzweise Wiedergeburt der Antike hat es nach ihr nie mehr gegeben, vielmehr in jeder Beziehung eine kontinuierlich zunehmende Entfernung von ihr.
Die bei Einzelnen feststellbare Emanzipation des später so genannten Kunsthandwerks in das hinein, was dann später in den extrem verengten neuen Kunstbegriff mündet und ihre zunehmende Verweltlichung, ist wesentlich eine Folge des sich immer weiter entfaltenden Kapitalismus. Die neue Kunst ist Prachtentfaltung immer reicher werdender Reicher.
Die Paläste hoher Adeliger und Fürsten wie die reicher Kapitalisten werden immer größer und immer kostspieliger ausgestattet. ob in Florenz, an der Loire oder in England. In sie fließt viel produktive Arbeit und distributive Macht: Macht muss als Reichtum dargestellt und offensichtlich werden.
1529 lässt Henry VIII die Küchen von Hampton Court erweitern. Es handelt sich nun um 55 Räume mit einer Fläche von rund 300 m², in der 200 Leute für 600 Menschen bei Hofe arbeiten. Es gibt 3 große Keller für Wein und Bier. 27 000 Hektoliter Bier sollen pro Jahr konsumiert worden sein. In 300 Eichenfässern lagert Wein vorwiegend aus der Gascogne, aus denen 680 Hektoliter jährlich entnommen werden. Es wird vorwiegend Fleisch gegessen, und alleine zum Grillen desselben an Spießen wird täglich eine Tonne abgelagertes Eichenholzes verbraucht. Der Tudormonarch ist allerdings selbst ein besonderer Fall von Verfressenheit und verfettet im Laufe seines Lebens so stark, dass er sich irgendwann kaum noch bewegen kann.
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Fürstliche Justiz: Obrigkeit und Staatlichkeit in deutschen Landen
Die städtische Obrigkeit wie die Fürsten-Herrlichkeit annektieren zunehmend die verrechtlichte Konfliktlösung wie die Justiz als Herrschaftsinstrumente. Das Gericht tagt zunehmend hinter verschlossenen Türen und schließt damit die Öffentlichkeit aus.
"Im Verlauf des 16. Jahrhunderts stößt die Rechtssitte des Abbittens immer härter mit der an den Fürstenhöfen entstehenden Auffassung zusammen, dass das Strafrecht auf Normen beruhe, die durchzusetzen seien, denn die auf Privilegien gestützte städtische Freiheit vertrug sich nicht mit dem neuen Gedanken des landesherrlichen Gesetzes und seinen erheblichen verfassungsgeschichtlichen Konsequenzen. Das Gnadenrecht wurde den Städten in der frühen Neuzeit von den Landesherren bestritten." (Schubert Räuber, S.60)
Die Sitte, bis ins 13./14. Jahrhundert männlich, dann über den Plural weiblich werdend, waren in Kulturen jene Gebräuche, aus denen gemeinschaftliche Lebensformen bestehen und die durch Tradierung fortgesetzt und verändert werden. In den mittelalterlichen Zivilisationen sind sie durch christliche Doktrin und weltliche Macht bereits gebrochen, behalten aber im Plural unter solchen Bedingungen immer noch Einfluss. Mit der Annektierung der Rechtssetzung durch die Fürstenmacht wird ihre Bedeutung immer weiter eingeschränkt. Das Resultat ist die Begriffsverengung des Sittlichen hin zum Moralischen, welche Kirche wie weltliche Macht vorantreiben und welche durch den Kapitalismus parallel gefördert wird.
Genau parallel dazu verengt sich auch der Tugendbegriff. der ursprünglich Tauglichkeit meint und dann besonders auf die kriegerischen freien Männer zugeschnitten wird, ähnlich wie areté und insbesondere virtus. Unter christlichem Einfluss wird dieser, dem evangelischen Jesus so fremde Begriff zunehmend bei Frauen auf ihre Keuschheit, also voreheliche Enthaltsamkeit und eheliche Treue eingeengt. Mit den Tugenden und Lastern wird er parallel dazu moralisiert.
Öffentlichkeit besteht aber weiter auf dem Weg des Verurteilten zur Hinrichtung und bei dieser selbst. Dabei wird das Moment der Abschreckung als Wesenszug der Strafe immer stärker, um dann insbesondere im 17./18. Jahrhundert zuzunehmen, als die Machthaber die dabei allerdings seltener werdenden Todesstrafen als "aufwendige Spektakel" (Ernst Schubert) inszenieren. Sie erzieht damit die Untertanen zu einer Schaulust am Schrecklichen, welche allerdings sowieso bei vielen fast als anthropologische Konstante erscheint.
Nun zu Schaulustigen degradiert, wird der Öffentlichkeit oft schon im 16. Jahrhundert das Recht des Abbittens von Verurteilten (siehe...) genommen und das Gnadenrecht erst zu einem Standesrecht und dann zu einem Monopol der Fürsten gemacht. Ein so berühmter Theologe wie Philip Melanchthon wenigstens kann noch 1553 einen Giftmörder vom Strang losbitten. In dieser Zeit beschließen aber schon Gemeinden, das "Losheiraten" von Verurteilten zu verbieten. Am frühesten versucht schon im 15. Jahrhundert Straßburg, das Abbitten abzuschaffen. Um 1600 hat der Nürnberger Rat das Abbitten vom Galgen fast völlig unterbunden.
Das führt immer wieder zu Konflikten, auch wenn sich im Verlauf des 16. Jahrhundert das ausschließliche Begnadigungsrecht der Fürsten durchsetzt.
"1551 erheben in der Stadt Hof die Frauen den Anspruch, Gnade zu erwirken. Zwei Mordbrenner sollten damals die Spiegelstrafe des Verbrennens erleiden. Prozessionsartig ziehen die Frauen der Stadt vor das Haus des für diesen Prozess abgeordneten fürstlichen Richters und Erbitten das Leben des Verurteilten. Sie werden brüsk zurückgewiesen. Schon bei der Hinrichtung werden wegen dieses arroganten, mit dem Rechtsstandpunkt der Bürger unvereinbaren Verhaltens des Richters, des Vorsitzenden der fürstlichen Komminssion, Schimpfworte und Drohreden laut, und nach deren Vollzug, als die Kommissionsmitglieder Mittagstisch halten, kommt es zu einer Zusammenrottung, die da fordert: Schießt sie tod! Stecht sie tod! Lasst der Schelme, der Bluthunde keinen leben! Nicht die gefährlichen Mordbrenner sind die Bluthunde, sondern die Mitglieder der herzoglichen Kommission. Sie haben sich mit der Hinrichtung an Christen vergangen, als ob es sich um Juden handele (...) und vor allem haben sie das Recht der Frauen zu Hof und damit zugleich das Recht der Bürger missachtet. Sie haben arme Christenmenschen verbrennt, als wenn es Juden wären! Sie haben unserer frommen Weiber Vorbitte verschmäht. Sie haben uns Hofer Bürger verachtet. Bei dem anschließenden Aufruhr kamen fünf Adelige aus der fürstlichen Kommission, darunter der Kommissar selbst, ums Leben. Dennoch ließ der Fürst die Angelegenheit (...) schließlich ohne Bestrafung auf sich beruhen. (SchubertRäuber, S.60f)
Im 16. Jahrhundert wird die Folter im Beweisverfahren immer häufiger, worauf die Gesetzgebung wie die Peinliche Halsgerichtsordnung Karls V. 1531 mit gewissen Einschränkungen reagiert. Zudem müssen nun Indizien vorliegen, die auf Tat und Täter hinweisen. Manchmal werden Geständnisse schon erzwungen, wenn man dem Verdächtigten die Folterwerkzeuge zeigt.
Die Formen des Folterns werden dabei unter dem Einfluss der Hexenprozesse allerdings immer grausamer, ja: sadistischer. Man hält Feuer unter die Achselhöhlen, schneidet die Fußsohlen ab und streut Feuer in die offene Wunde. Die Beinschraube wird erfunden. Was bis ins 15. Jahrhundert noch undenkbar war, geschieht nun ebenfalls: Man befragt das arme Opfer während der Folter.
Ansatzweise im 17. und dann im 18. Jahrhundert setzen juristische Vertreter der "Aufklärung" sich für Einschränkungen ein, die zur Hinzuziehung von Ärzten in einzelnen Fällen führen und die 1771 im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel als "aufgeklärter" Herrschaft zur letztmaligen Anwendung der Folter führen.
Mit der Fürstenherrlichkeit breitet sich im 16. Jahrhundert der Beruf des Henkers weiter aus, eines der sichtbaren Zeichen von Staatsmacht. Dabei ist er nun den kleinen Amtsstädtchen zugeordnet. Die Gebühren ernähren ihn dort nicht, er ist auf Nebeneinkünfte angewiesen.
Henker als Instrument der Obrigkeit werden durch bestimmte Kleidung markiert und in städtischen Ordnungen des 16. Jahrhunderts immer stärker ausgegrenzt.
Der Straßburger Nachrichter "soll auf der Straße frommen, ehrsamen Leuten Platz machen, soll auf dem Markt keine Waren anfassen, es sei denn, er wolle sie kaufen, in der Kirche darf er sich nur an ein sunder ort stellen, und vor allem darf er in keinen weg in Gesellschaft der Bürger essen und trinken.(...)" Anderswo durfte er "an Hochzeiten ehrbarer Leute (...) nicht teilnehmen, angesehene Gasthöfe waren ihm verschlossen; Gnade bedeutete es schon, wenn er in einem Dorfwirtshaus auf einem besonderen, abseits stehenden Stuhl sitzen durfte. Auch seine Wohnung am Stadtrand, in verachteter Gegend, oft in Brückennähe, fast stets aber isoliert von den Häusern der Bürger, ließ ihn als Außenseiter erkennen." (SchubertRäuber, S.75)
Mit den Einnahmen aus dem Schindanger, wo auch verendete Tiere landen, einer im 16. Jahrhundert steigenden Besoldung und den vielen Einzeleinkünften aus Körperstrafen wie dem häufigeren Abschneiden von Ohren oder dem selteneren von Fingern oder dem Blenden zum Beispiel gewinnen einzelne Henker eine gewisse Wohlhabenheit, an der aber die Schinder selbst kaum teilhaben.
"Meister Augustin, der Henker des Brandenburger Markgrafen Kasimir, verdiente 1525 ein Vermögen von 114 fl., als er nach dem Bauernkrieg bei der Strafexpedition seines Herren durch das Frankenland 80 Enthauptungen vollzog und 69 Aufständischen die Augen ausstach oder die Hände abschlug." (SchubertRäuber, S.78)
Schließlich wird das Nachrichten zum Lehrberuf mit Meistertitel und er selbst nun langsam in belesenen Kreisen zwischen "Humanismus" und "Aufklärung" ehrbarer, beim "einfachen Volk" aber kaum.
Immer häufiger wird die von den Städten übernommene Strafe der Verbannung als "Landesverweisung": Die Obrigkeit sucht sich die tauglichen Untertanen aus. Die Strafe trifft im 17. Jahrhundert "den harmlosen Vaganten und den kleinen Bienendieb ebenso wie den Schwerkriminellen." (Schubert Räuber, S.124) Dabei wird der Kreis der Landfahrer, Jauner und Gauner anderswo erweitert. Zuvor gibt es die Brandmarkung - erst im Gesicht und dann zwischen den Schulterblättern, die noch im 18. Jahrhundert üblich ist.
Ähnlich wie die Verbannung bedeutet auch der Verkauf verurteilter Verbrecher durch die städtische und fürstliche Obrigkeit insbesondere aus Süddeutschland als Galeerenhäftlinge an Genua und Venedig vor allem, in welchem Maße neue Staatlichkeit Untertanen als eine Art Eigentum und Verfügungsmasse für Staatseinkommen betrachtet. Ein erster Gipfel wird erreicht, wenn dann teilweise gepresste hessische Soldaten im 18. Jahrhundert nach Nordamerika dauerhaft vermietet bzw. verkauft werden. Die Strafe auf den Galeeren wird in Frankreich erst im 19. Jahrhundert abgeschafft.
Im späten Mittelalter kennen die Städte das Stäupen am Pranger und überhaupt die Prügelstrafe, die ohnehin Zivilisationen kennzeichnet, in denen der Herr den Knecht nach Gutdünken schlägt. Zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert entwickelt sich sich auch jenseits jeden Strafrechts das Einprügeln von Stadtknechten, Amtsleuten und früher Polizei auf Unterschicht und Randgruppen, Mittel zum Vertreiben herumziehender Vagabunden, von Zigeunern und anderen unliebsamen Menschen.
Im späten Mittelalter taucht Haft in den Städten nur zum Erpressen von Geldstrafen und zur kurzen Einsperrung vor dem Strafvollzug statt. Ab dem 15. Jahrhundert entwickelt sich an ersten Orten der Gedanke von Einkerkerung als Strafe. Ein frühes Beispiel ist Erfurt, wo der Rat 1447 eine zucht unde ein beheltenisz erbauen lässt, unde nanten das Pardisz. Es sollte aber nur zur Disziplinierung der unruhigen Studentenschaft dienen. (SchubertRäuber, S.136) Im 16. Jahrhundert werden dann Haftstrafen häufiger bei Sittlichkeitsdelikten. In der Regel dient ein Stadtturm als Verließ unter schrecklichen Bedingungen.
Wenn dann eigene Gefängnisse gebaut werden, ist der Aufenthalt dort nicht viel annehmlicher. Die Gefangenen sind der Willkür brutaler Wärter ausgesetzt wie auch deren Prügeleien. Noch Charles Dickens wird die schrecklichen Bedingungen in englischen Gefängnissen des 19. Jahrhunderts beschreiben.
Mit dem tuchthuis von Amsterdam 1595 als Vorbild entstehen dann in großen deutschen, zunächst norddeutschen Städten Anfang des 17. Jahrhunderts Zuchthäuser. Von der Fassade her als Prachtbauten angelegt, handelt es sich, wie schon der Name sagt, um eine Kombination von Strafe und Erziehung durch die Staatsmacht. Die Erziehung besteht dabei in Zwangsarbeit vom Brillenschleifen bis zum Spinnen. Zum Teil findet solche Arbeit auch draußen in Ketten oder mit Fußfesseln statt, als Straßenbau, Straßenreinigung oder Festungsbau.
Die Idee, dass missglückte Integration in den Untertanenverband des Staates in Bereichen der Unterschichten durch staatlich verordnete Erziehung kompensiert wird, beruht auf dem sich immer mehr durchsetzenden Gedanken, dass zumindest unterhalb von Kirche und Adel Untertanen quasi Eigentum in der Verfügungsgewalt dieses Staates sind, ein Gedanke, der sich dann bis heute für alle durchsetzt. Die Idee korrelliert mit jenem Gedanken, der im 20. Jahrhundert als "Resozialisierung": Strafe auch zum Zweck der "Besserung". Unter den Bedingungen des 17. bis 19. Jahrhunderts mit Überfüllung, fehlender Hygiene, miserabler Ernährung und Wärterwillkür mit regelmäßigem Prügeln wird mehr noch als heute eher das Gegenteil erreicht. Dazu kommt, dass Urteile oft nicht einmal die Dauer der Strafe festlegen.
Die Idee, dass sich Zuchthäuser als Anstalten der Zwangsarbeit selbst tragen oder gar Gewinn abwerfen könnten, bleibt ebenfalls illusorisch, auch wenn dann reine Strafanstalt und Zwangsarbeits-Haus getrennt werden.
Spätestens im 18. Jahrhundert sind Zuchthäuser überall überfüllt, da man neben Dieben Vagabunden, Zigeuner, ja Alkoholiker und Faulenzer, Bettler und selbst Kinder hier einsperren will. Schon in Hamburg 1614 soll das neue Zuchthaus dazu dienen, dass dadurch die Armen unterhalten und die Bettler abgeschafft werden. Die Straße soll, heißt es andernorts, so viel als muglich von dem Gesindel gesäubert werden. (SchubertRäuber, S. 148)
1743 schafft der preußische zweite Friedrich die Todesstrafe ab und 1771 geschieht dasselbe in den Herzogtümern Schleswig und Holstein. Das ist sicher auch Resultat von Argumentationen akademischer Juristen, die jener Vorstellungswelt verpflichtet sind, die sich dann im Nachhinein Aufklärung nennt und in Cesare Beccaria einen bedeutenden Vertreter hat. Dieser neue Rationalismus aber wirkt nur auf wenige Fürsten, den kleinen Kreis eines "Bildungsbürgertums", darunter auch einige Richter, ein und bleibt ein zweischneidiges Schwert, vertritt er doch am Ende im Ergebnis einen immer totalitäreren Staat.
Der Krieg
Seit dem 12. Jahrhundert werden Kriege oft mit einem durch Söldner verstärkten Adelsaufgebot geführt, wobei Kosten des Adels auch zunehmend auf die Kriegsherren abgeladen werden. In den nächsten Jahrhunderten nimmt der Söldneranteil immer mehr zu, wobei das Söldnerwesen von unternehmerisch handelnden Söldnerführern organisiert wird, die sich von den kriegführenden Machthabern bezahlen lassen und die Bezahlung dann an ihre militärischen Abteilungen weiterleiten. Im Hundertjährigen Krieg und in den Kriegen der norditalienischen Stadtstaaten und Roms verselbständigen sich solche Söldnertruppen immer mehr, was dazu führt, dass sie in Zeiten ohne Auftrag auf eigene Rechnung marodieren, zerstören, verletzen, vergewaltigen und töten.
Der Landsknecht-Unternehmer Georg von Frundsberg wirbt im Auftrag Karls V. rund 12 000 neue Söldner an. Bei Piacenza vereinigen sie sich mit spanischen Truppen des Charles de Bourbon. Diese rund 22 000 Deutschen, Italiener und Spanier warten auf Sold, der nicht kommt. Papst Clemens VII. verspricht einem kaiserlichen Gesandten 60 000 Gulden (neben zu erwartender Beute), was für die Soldateska zu wenig ist, die sich gegen ihre Oberen empört. Charles de Bourbon flieht, und Frundsberg kann sie bei Bologna nur damit beruhigen, dass er das Geld selbst in Rom abholen wolle. Als er einen Schlaganfall erleidet, kehrt Charles de Bourbon zurück und verspricht immer höhere Summen.
Am 5. Mai erreichen die empörten Truppen Rom, im Verlauf des nächsten Tages wird die Stadt gestürmt. Die Kardinäle flüchten in die Engelsburg, die Häuser von arm und reich werden geplündert, den Reichen werden zudem hohe Summen abgepresst. Auch die Kirchen werden ihrer geldwerten Schätze beraubt.
Im Sommer flieht die Söldnerschar in die Berge, um bis zum Herbst den Römern immer mehr abzupressen. Zwischen Herbst und Spätwinter ziehen die Truppen dann wieder ab; ein stattlicher Teil war trotz der Beute inzwischen gestorben, teils an Hunger, teils an Krankheit. Die übrigen suchen neue Kriegsschauplätze.
Adel
Adeliger ist man vor allem, wenn man von Standesgenossen als solcher anerkannt wird. Damit ist die Bezeichnung nicht ganz klar fixiert. Ganz oben sind im Reich Kurfürsten, darunter dann die übrigen Fürsten und darunter dann je nach Zeit und Gegend nach Macht und Reichtum sowie Alter abgestufter Adel. Man wird Adeliger durch Geburt, durch das entsprechende Amt oder durch jenen Einfluss, den Reichtum herstellt.
Die Ausgaben des Adels verlagern sich schon im späten Mittelalter immer mehr auf die Bezahlung von Söldnern und eine standesgemäße Hofhaltung. Um sich insbesondere letztere weiter leisten zu können, wird versucht, in Verbesserungen der Grundherrschaft und in kommerziellen Investitionen einen Ausweg zu finden wenn nicht gar ritterliches Kriegertum offener als zuvor in Räuberei ausartet.
In seinem berühmten Brief an den großbürgerlichen Pirckheimer von 1518 beschreibt Ulrich von Hutten sein elendes Burgleben, dort, wo Burgen nicht im palastartige Gebäude umgebaut werden:
Die Burg selbst, ob sie auf dem Berg oder in der Ebene liegt, ist nicht als angenehmer Aufenthalt, sondern als Festung gebaut. Sie ist von Mauern und Gräben umgeben, innen ist sie eng und durch Stallungen für Vieh und Pferde zusammengedrängt. Daneben liegen dunkle Kammern, vollgepfropft mit Geschützen, Pech, Schwefel und sonstigem Zubehör für Waffen und Kriegsgerät. Überall stinkt es nach Schießpulver; und dann die Hunde und ihr Dreck, auch das - ich muss es schon sagen - ein lieblicher Duft! Reiter kommen und gehen, darunter Räuber, Diebe und Wegelagerer. Denn fast für alle stehen unsere Häuser offen, weil wir nicht wissen, was das für Leute sind, oder uns nicht groß danach erkundigen. Man hört das Blöken der Schafe, das Brüllen der Rinder, das Bellen der Hunde, das Rufen der auf dem Feld Arbeitenden, das Knarren und Rattern der Fuhrwerke und Karren; ja sogar das Heulen der Wölfe hört man in unserem Haus, weil es nahe am Wald liegt. (in: Ertl, S.182)
Das, was Hutten hier beschreibt, ist nicht neu, hebt sich aber nun stärker von städtischen Bequemlichkeiten wohlhabender Bürger ab.
Recht typisch für die Rechtfertigung adeliger Privilegien ist der Adelsspiegel des studierten undd protestantischen Cyriacus Spangenberg von 1591/94, in dem seine Vortrefflichung für die königliche Verwaltung des Reiches wie seine allgemeine Tüchtigkeit betont werden:
Und demnach ist der Adelsstand von Gott, unnd eine ordnung Gottes. Denn dieses ist gewiss (...), das der Königliche stand von Gott ist (...) Nu ist unmüglich, das Könihe ire Lande und weite Herrschafften durch sich selbst alleine nützlich regiren und verwalten können, sie müssen anderer Leute that und hülffe darzu gebrauchenUnd darumb haben sie (...) aus dem gemeinen Volck tüchtige Leute, solche feine weise verstendige Menner, und redliche, mannliche, tapffere Helden (...) erwehlet und auserkoren, und die für anderen gewirdigt und geadelt, die zu Fürsten, Richtern, Haupt- und Amptleuten gemacht, durch dieselben friede, zucht, gerechtigkeit und erbarkeit in Landen zu erhalten. (...) Und also ist anfänglich der Adelstand auffkomen, als ein Oberkeit- Ampt, unter der hohen Oberkeit Hand, gewalt und regirung. (in:Jaspers/Pätzold, S.13)
Kirchen
Das Mittelalter dauert dann auch bis ins 18. Jahrhundert an, und dasnicht nur, aber besonders deutlich im katholischen Raum. 1615 schreibt der Mönch und Autor Jeremias Grienewald in seiner Beschreibung von Regensburg über die Schatzkammer von St.Emmeran:
Entgegen hinter diesem Hochaltar ist eine eyserne Thür zum Eingang der Heiligtumbcammer, alda ein unerschätzlicher Schatz von Edelgestain, Gold, Silber, an Creuzen, Stäben, Bildtnussen mit den darin gefassten Heyligthumb vorhanden. (in: Angerer, S.242)
Wundertätige Reliquien in teurem Glitzer eingefasst, einst gefälschte Knochen sogenannter "Heiliger" werden auf Druck von Papst, Rat und Volk auf Prozessionen und an bestimmten Tagen vorgezeigt. Wer den Humbug nicht glaubt, erfreut sich zumindest an dem wirtschaftlichen Erfolg herbeiströmender Massen, die heute mit ihrer "Promi"-Verehrung noch mindestens genauso blöde sind wie die Menschen damals.
1549 beschwert sich der Kölner Erzbischof, dass Komödianten "Vorstellungen auch auch in den Kirchen und Nonnenklöstern geben, wo sie den Mädchen durch profane, verliebte und weltliche Gesten Lust bereiten. (in: Heers(2), S.78)
***Reformationen***
Die Vielfalt der Reformationen seit Wiclif und Hus zeigt, dass sie allesamt weder gänzlich paulinisch noch evangelisch sind. Gemeinsam ist den meisten der erklärte persönliche Aspekt des Glaubens, aber in der Praxis erfolgreicher Reformationen bleibt davon gelegentlich nur wenig übrig.
Ein weiterer gemeinsamer Aspekt ist, dass die Protagonisten der Reformationen ein relativ hohes Bildungsniveau besitzen, und dass die Inhalte auf dem Weg zu den Unbeleseneren sich deutlich verdünnen.
Martin Luther ist Sohn eines zu Wohlstand gelangten Bergbau-Unternehmers. Er wird Mönch, studiert Theologie, wird Priester und geht dann 1512 nach Wittenberg, wo er Professor für Bibelexegese wird. Er gelangt zu der Ansicht, dass nur der Glaube, nicht aber fromme Werke zur "Erlösung" führt und dass dieser auf der Bibel beruhen muss. 1517 verbreiten sich seine Thesen gegen den Ablasshandel, die zu Disputationen führen. Bald läuft gegen ihn in Rom der Ketzerprozess an.
Luthers Text 'Von der Freyheyt eyniß Christen menschen' (1520) formuliert gegen die römische Kirche und ihre Vorstellung von irdischen Leistungen, die das "Himmelreich" ermöglichen sollen, als Gegenposition die Vorstellung von einem (fallweise) gnädigen Christengott, dessen Gnade man vor allem durch den Glauben erringen kann. Freiheit ist also eine innere Einstellung, die vom "Gewissen" geleitet wird. Wirkliche Freiheit im alltäglichen Leben wird dabei rigoros abgelehnt und soll durch Fürsten mit aller Grausamkeit unmöglich gemacht werden.
Damit unterstützt er de facto jene Tendenz größerer Kapitaleigner, sich als Geschäftspartner immer absoluterer (totalitärer) Herrscher zu verstehen, an die das "politische" (weltliche) Geschäft abzugeben ist. Er verstärkt des weiteren die Tendenz eines staatstragenden Bürgertums, sich in die Bereiche gehobenen Amüsiergewerbes, die nun bald so genannte "Kultur", zurückzuziehen, Das heißt, dass man die (nun auch aktuell und jeweils politisch) korrekte Gesinnung pflegt und ihre gewaltsame Durchsetzung begrüßt. Das wird in den europäischen Gesinnungsterror seit 1789 münden, der inzwischen fast in der gesamten Menschheit alltäglich geworden ist.
1521 muss er sich auf dem Wormser Reichstag verantworten, fällt in die Reichsacht und kann unter dem Schutz seines Landesherrn auf die Wartburg fliehen. wo er mit Hilfe von Philipp Melanchthon die Bibel übersetzt.
Zurück in Wittenberg, berät er seinen Landesherrn beim Aufbau einer Landeskirche: Der Landesherr übernimmt die bischöflichen Funktionen in seiner territorial bestimmten Kirche, die Besitzungen der römischen Kirche werden verstaatlicht, die Pfarrer werden einem staatlichen Konsistorium unterstellt.
1530 verfasst Melanchthon die lutheranische Augsburger Konfession. Nach dem Interim von Augsburg 1548 kommt es zu Konflikten zwiscchen verschieden "strengen" lutherischen Richtungen, die erst 1580 ansatzweise beigelegt werden.
Huldrych Zwingli (1484-1531) erhält eine humanistische Ausbildung und wird dann Leutpriester in Zürich. Mit seiner Bibel-Auslegung wendet er sich gegen Zölibat, den Ablasshandel und das Fasten. 1523 siegt er in einer Disputition in Zürich. Viele Schweizer Städte schließen sich an, während die Waldstätten und Luzern katholisch bleiben, was 1529/31 zum Bürgerkrieg führt. Am Ende bleibt den Orten die religiöse Selbständigkeit.
1529 setzt sich Zwingli im Marburger gespräch von Luther ab. Das Abendmahl wird zum reinen Gedächtnismahl. Die Bibel wird übersetzt und zum Leitfaden. Die Trennung von weltlicher und geistlicher Macht wird geringer als bei Luther.
Jean Calvin (1509-64) studiert Rechtswissenschaften und wird Anhänger von Kirchenreformen. 1534 muss er deshalb nach Basel flüchten. 1536 gelangt er nach Genf, wo er die Kirche reformiert, während die Bevölkerung den Anschluss an die Eidgenossenschaft sucht.
Zum Kern seiner Lehre gehört die von der Prädestination und einer strengen Sittlichkeit und bald auch die Zwinglische Abendmahls-Auffassung. Die Schweizer sind dann als Reformierte vereint. Gemeinsam sind ihnen zunächst eher schmucklose Kirchenräume. Calvins Vorstellungen verbreiten sich über Frankreich, die Niederlande, England und Schottland.
1533 macht sich Henry VIII. zum Oberhaupt einer Anglikanischen Kirche, nachdem es im englischen Parlament schon entsprechende Neigungen gibt. Nach seinem Tod 1547 wird 1560 in Schottland eine an Calvin orientierte presbyterianische Kirchenverfassung eingeführt. Daran orientiert entwickelt sich in England der Puritanismus und darin auch die Society of Friends of Truth (sog. Quaker).
Gemeinsam ist Protestanten wie Reformierten ein Dogmatismus fast wie in der römischen Kirche. Geradde dadurch kommt es zur Sektenbildung von Abweichlern wie den (Wieder)Täufern. 1534 errichten sie mit ihrer Stadtratsmehrheit ein radikales "Reich", welches von Bischof und Fürsten besiegt wird, - mit grausamen Folgen.
Nachdem Calvin 1553 den Abweichler/Ketzer Miguel Servet hinrichten lässt, verstärkt sich eine Diskussion über religiöse Toleranz.
Eine der bedeutendsten Thesen Max Webers dreht sich um das enge Verhältnis von Protestantismus und Kapitalismus. Tatsächlich sind es protestantische Länder wie England oder die Niederlande, die den Kapitalismus nun besonders vorantreiben. Mindestens so interessant ist es aber zu fragen, wieweit der Kapitalismus die Reformationen vorangetrieben hat. Und da kommt man zu einem differenzierteren Bild.
Auf jeden Fall sind hochkapitalistische Städte nicht immer Nutznießer der Reformation, wie Nürnberg beweist, welches laut Reichsmatrikel von 1521 noch eine der reichsten Städte Mitteleuropas ist. Nachdem der Rat 1525 diese einführt, gerät die Stadt in Distanz zum spanisch-katholischen Kaiser und damit auch stärker ins machtpolitische und wirtschaftliche Abseits. Aber dabei geht es mehr um Machtpolitik als um Religion.
Generell kann man wohl sagen, dass die Zweckrationalität des Kapitalismus im protestantischen 16. Jahrhundert stärker auf die allgemeine Lebenswirklichkeit durchschlägt. Feste werden stärker reglementiert und die Fastnachterei wird immer mehr zurückgedrängt und dann partiell abgeschafft. Unmittelbar nach Einführung der Reformation werden in Nürnberg fast alle arbeitsfreien (Fest)Tage abgeschafft, da sie Fuellerey, Zorn, Unkeusch,Eebruch, Hadder, Verwundung, Todtschlag, Unfried und andere offentliche suendtliche Laster fördern (in: Fleischmann, S.118)
Kurz darauf kommen die ersten ausführlichen städtischen Polizeiordnungen auf, wobei Policey noch die gute öffentliche Ordnung meint, die streng hierarchisch gegliedert ist und vor allem Unterordnung meint. Ihre Werte formuliert eine Kleiderordnung Ende des 15. Jahrhunderts in Nürnberg:
Nachdem, als menigclich unverporgen ist, der allmechtig got von anbegynn nyt allayn auf erden, sonder auch im hymel, unnd inn dem paradeiß das lasster der hoffart und übermut gehasset und schwerlich gestrafft, dienmut, gehorsamkayt, zucht und erbere gute sythen loblich erhöhet und belonet hat, auch auß hoffart und ungehorsam manigem reychen fürstenthumben und commonen grosse schaden, abnemen und verderben entstannden und geflossen sein, als das an vil ennden vor augen lygt. (in: Fleischmann, S.123)
ff
Die siegreichen Reformationen, welche Fürsten übernehmen, stärken deren Macht erheblich, da die ferne römische Kirche nun durch eine auf das Land bezogene und dem Fürstentum eingeordnete protestantische ersetzt wird. Da die Fürsten den nun illegalisierten Besitz und Reichtum der römischen Kirche auf ihrem Gebiet "einziehen", nehmen sie erheblich an Macht zu, vielleicht nirgendwo deutlicher als in Schweden. Andererseits schwindet damit zunächst dort die erhebliche Marktmacht der Kirche.
Nachdem die Reformationen sich über große Teile Europas ausgebreitet haben, werden sie teilweise von Königen und Fürsten unterdrückt, was zu Fluchtbewegungen in übrigbleibende protestantische Gebiete führt, an denen vor allem Gewerbetreibende beteiligt sind. Französische, italienische und flämische Flüchtlinge finden in Schweizerischen Städten wie besonders Genf, aber auch Zürich und anderswo als Kaufleute und Unternehmer Aufnahme, wo sie immer kapitalkräftigere Textilfirmen errichten, die schon mal bis zu tausend Spinnerinnen beschäftigen sollen (Schulz, S.230).
Eine weitere Welle vornehmlich von Handwerkern flieht nach England und den norddeutschen Landen und führt dort eine "marktorientierte unternehmerische Wirtschaftsgesinnung" ein (Schulz, S.232), was neben den konfessionellen Unterschieden zwischen den Protestanten zu Konflikten führt.
Um 1536 setzt langsam eine Gegenreformation von Rom aus ein, die vor allem auch von den Jesuiten geführt wird. Ab 1545 tagt ein vom Papst dominiertes Konzil in Trient. Bestätitgt wird die Autorität der Bibel in den beiden Originalsprachen und die sieben Sakramente, die absolute Autorität des Papstes. Ein Index verbotener Bücher wird eingeführt.
In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts setzt in Frankreich unter dem Einfluss Calvins in Frankreich der Jensenismus ein, den Rom bald scharf verurteilt.
Hexerei und Verfolgung
Dabei geht es von seiten der Bevölkerung um die Angst vor Schadenszauber. Seit dem späten 15. Jahrhundert kommt es vermehrt zu Verfolgungen. 1487 erscheint der von zwei Dominikanern verfasste 'Hexenhammer'. Die Verbrennung von vor allem weiblichen Hexen nimmt im 16. Jahrhundert zu. Der Jesuit Friedrich Spee wendet sich in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts dagege
Aussehen. Der Geschlechtstrieb als Triebkraft des Kapitals
Der Kapitalismus entsteht in einer ersten Stufe als der einer allgemeinen Entfesselung der Besitzgier in der Kapitalbildung. In einer zweiten Stufe eskaliert er dann in der schrittweisen Entfesselung jener Gier, die den menschlichen Geschlechtstrieb ausmacht. Dies geschieht seit der Gotik auch durch das Anheizen der Triebhaftigkeit mittels der dahingehend kalkulierten Darstellung von Mädchen und Frauen als Objekt männlicher Begierde und als Rollenmodell weiblichen Aufreizens der Männer als erotisches Spiel.
Kapitalismus heißt Anheizen von Begehren, dessen Befriedigung nur neues Begehren schafft. Seit dem 12./13. Jahrhundert wird mit der Darstellung von Mädchen und jungen Frauen in Formen der Entblößung, Gestik und Mimik Kapitalismus angeheizt, indem das Aufgeilen von Männern als Lebenszweck von Frauen und die unentwegte Frustration des männlichen Begehrens durch eine dafür dienende Moral und den hohen Preis, den Frauen für die männliche Befriedigung verlangen, einen Konsumismus in Gang setzen, der im 20. Jahrhundert seine Vollendung im idealisierten weiblichen Leitbild der Hure und des jungen Mannes als Rüpels aus dem Slum der USA findet.
Spätestens im 15. Jahrhundert beginnt jene Bilderwelt, die offensiv das Aufgeilen von Männern betreibt (welches zugleich verleugnet wird), jeden religiösen Vorwand zu verlassen und ganz ungeniert zunächst fürstliche Kabinette zu schmücken, also jene Libertinage, die den großen Penis mit dem ganzen Machthaber gleichsetzt, und seine Macht durch das Besamen möglichst vieler junger und attraktiver Frauen demonstriert. Die penetrierende Gewalt des harten Penis des Machthabers und die tötende und mordbrennende Gewalt der bluttriefenden Waffen seiner Krieger verschmelzen völlig in ihrem Spiegel: Der sich für den reichen und mächtigen Betrachter prostituierenden Mädchen und jungen Frauen, die sich als Objekte männlicher Macht in analoge Machtillusionen hinein phantasieren.
Wohlgemerkt: Es geht nicht um die Erotisierung einer Geschlechtlichkeit, die noch etwas mit der Bestimmung für Ehe und Familie zu tun hat, sondern gerade um ihr Gegenteil, die schrittweise Bewegung in Richtung Pornographisierung, die mit Ehe und Familie nichts mehr zu tun hat bzw. diese ergänzt.
Wenn immer davon die Rede ist, dass Könige und Fürsten aus Machtkalkül heiraten bzw. verheiratet werden, so ist doch längst ihr Aussehen von zentraler Bedeutung, also ihre sexuelle Attraktivität. Wenn also ein englischer König Henry VII. über die Verehelichung mit der verwitweten Johanna von Neapel nachdenkt, schickt er einen Gesandten, der u.a. herausfinden soll, wie attraktiv sie ist, wie sie sich schminkt, wie gepflegt ihre Zähne sind, oder ob sie Haare auf der Oberlippe und einen reinen Atem hat. Ein Maler soll sie zudem möglichst wirklichkeitsnah abbilden.
Baldung Grien - Cranach
Hans Baldung ("Grien") lebt etwa von 1485-1545. Er lernt in der Werkstatt von Abrecht Dürer und bleibt diesem dauerhaft verbunden. 1510 wird er zünftiger Meister in Straßburg und heiratet in eine wohlhabende Bürgersfamilie ein. In seinem letzten Jahr 1545 wird er sogar Ratsherr. Nach und nach nehmen die kirchlich-religiösen Aufträge ab und er wendet sich dem menschlichen Körper zu, wie man sehen kann offensichtlich von Dürer beeinflusst.
Sein weiteres Leben lang wird er vor allem auch in diesem Sinne von Hexen als manchmal bedrohlichen Verführerinnen fasziniert bleiben, und daneben gewinnt der betont erotische weibliche Akt, oft mythologisch legitimiert, immer mehr an Bedeutung. Wieweit das Vorwand wird, zeigt dieses Bild mit Adam und Eva von 1531, heute in Madrid, in dem mit dem religiösen Thema nur noch am Rande kokettiert wird. Tatsächlich handelt es sich um ein hocherotisch dargestelltes Liebespaar und dabei eine leibhaftige junge Frau, was durch das als Neuerung angedeutete Schamhaar betont wird, welches mythologischen Figuren bislang (schamhaft) fehlte. Sie hat sich mit der Rückseite ihres Köpers ganz intim an die Vorderseite des Mannes geschmiegt und dieser legt als begehrender Teil seine eine Hand auf ihre Hüfte und die andere direkt unter ihre rechte Brust, einen Finger auf ihr, dessen Spitze an ihre Brustwarze reicht.
Aus etwa derselben Zeit (1534) stammt das Gemälde aus der Schule von Lucas Cranach dem Jüngeren, welches ein beliebtes Sujet der Zeit abbildet, nämlich Venus und Cupido. Wie bei Eva ist der mythologische Hintergrund der nur noch Vorwand für ein wirklichkeitsgetreues weibliches Aktbild. Das erotische Moment ist hier noch viel deutlicher thematisch betont, durch die schlankere Figur, den stärkeren Hüftschwung, durch die Halsketten und den modischen Hut, der das Haar nicht verdeckt, und die auf Cupido hin weist, der als kleiner Knabe verspielteres sexuelles Begehren meint.
Nachdem Cranach in der Werkstatt seines Vaters gelernt hat, steigt er in Wittenberg zum Ratsmitglied und zum Bürgermeister auf.
***Das Heptameron der Marguerite de Navarre***
Marguerite (1492-1549) ist die Schwester des französischen Königs Francois I. Dieser macht sie 1517 zur Herzogin des Berry, und sie wird 1257 durch Heirat Königin von Navarra. Sie wächst am reichen und belesenen Hof von Blois auf. Mit 17 Jahren wird sie an den Hof des wenig belesenen Herzogs von Alencon verheiratet. Schon vor dessen Tod gerät sie in die Nähe der französischen devotio moderna und dient dann mehrmals in diplomatischer Mission für ihren königlichen Bruder.
Sie protegiert Rabelais, Bandello und andere Autoren, schreibt selbst religiös beinhaltete Texte und Komödien und dann irgendwann ihre Sammlung meist sehr kurzer nouvelles, die bald nach ihrem Tod veröffentlicht werden.
Um 1545 soll am französischen Hof als neue Unterhaltung die Übung aufgekommen sein, sich gegenseitig Geschichten zu erzählen, was vielleicht damit zusammenhängt, dass es seit 1540/42 eine neue Übersetzung von Boccaccios beliebtem Dekamerone gibt. Novellen sollen dabei neue Geschichten sein, von denen behauptet wird, sie seien tatsächlich so passiert.
Hier werden zehn vornehme Damen und Herren durch eine vom Sturm zerstörte Brücke in einem Kloster aufgehalten und vertreiben sich die Zeit damit, sich Geschichten zu erzählen. Möglicherweise steht Parlamente für die Autorin selbst und Oisille für ihre Mutter Louise de Savoie.
Im Prolog empfiehlt Oisille die Lektüre der Bibel als Zeitvertreib (passe-temps), tatsächlich geht es dann aber um viele sexuelle Abenteuer bis zum Inzest, um wenig sexuelle Treue, aber viel Untreue, um Lug und Trug in meist sexueller Absicht und sehr viel Bosheit. Priester und Mönche, insbesondere Franziskaner, kommen mit ihrer dargestellten Lüsternheit und ihren Intrigen schlecht weg. Ein offener Antiklerikalismus wird dabei immer wieder einmal moralisch-evangelikal aufgewertet. So durch Parlamente über die Geschichte von Poline:
J'appelle parfaits amans, luy respondit Parlamente, ceux qui cerchent, en ce qu'ils aiment, quelque perfection, soit beauté, bonté ou bonne grace ;
toujours tendant à la vertu, et qui ont le cueur si hault et si honneste, qu'ilz ne veullent, pour mourir, mettre leur fin aux choses basses que l'honneur et la conscience repreuvent; car l'ame,
qui n'est créée que pour retourner à son souverain bien, ne faict, tant qu'elle est dedans ce corps, que desirer d'y parvenir. (19. Novelle: Ihm antwortet Parlamente, ich nenne
diejenigen vollkommene Liebende, die in dem was sie lieben, eine gewisse Vollkommenheit suchen, sei es Schönheit, Güte oder Grazie; immer zur Tugend neigend, und die ein so hohes und ehrenhaftes
Herz haben, dass sie bis in den Tod ihre Absichten nicht auf niedere Dinge richten, welche Ehre und Gewissen tadeln; denn die Seele, die nur geschaffen ist, um zu ihrem guten Herrn
zurückzukehren, strebt nur, solange sie noch im Körper ist, nur danach, dorthin zu gelangen.)
Mehrere weitere Novellen dienen der Moralisierung von Treue, Standhaftigkeit und Keuschheit von Frauen, fast alles vornehmere Damen. Aber der Unterhaltungswert der Geschichten ergibt sich vorwiegend aus eher anarchisch ausufernden sexuellen Abenteuern vieler Art:
Schon in der ersten Geschichte geht es es um die Frau eines procureur, deren Mann es gerne sieht, dass sie mit dem Bischof von Sées aus Geldgier ins Bett geht, wobei sie zudem heimlich eine Intimbeziehung zu einem jungen Herrn du Mesnil unterhält. Mit List und Tücke lässt der Prokurator du Mesnil durch einen gedungenen Mörder umbringen. Den Toten lässt er verbrennen und die Asche mit Mörtel für einen Hausbau vermischen. Das Kammermädchen, Zeugin der Tat, wird vom Mörder in ein Bordell gebracht. Eine Art Voodoo-Zauberer (Invocateur) soll den Prokurator vor der Strafe schützen. Als seine Frau von Mordabsichten ihres Mannes erfährt, sorgt sie dafür, dass er als Galeeren-Sträfling bestraft wird. Auch in nicht wenigen weiteren Geschichten verbinden sich die zahlreichen sexuellen Abenteuer mit Mord und Totschlag.
Ein alt gewordener Prior, der anfängt, naive Nonnen zu verführen, stellt in der 22. Novelle jahrelang mit allen Mitteln bis zum Versuch der Vergewaltigung auch einer Nonne Marie Heroet nach, die sich aber widersetzen kann. Auch der Versuch, sie durch einen attraktiveren jungen Mönch verführen zu lassen, scheitert. Der Kommentar des Zuhörers Nomerfide lautet:
Ich habe eine so große Abscheu, wenn ich einen Mönch sehe, dass ich nicht einmal bei ihm beichten würde, denn ich halte sie für schlechter als alle anderen Menschen. Sie kommen auch niemals in ein Haus, ohne dort Schande und Schmach zu hinterlassen.
In der folgenden Geschichte bringt sich die eine Frau eines Edelmannes um, weil sie nur so den Nachstellungen eines Franziskaners entgehen kann. Parlamente kommentiert das so:
Mir scheint, dass man zu einer Frau, die im Bett liegt, wenn sie nicht gerade die Sterbesakramente empfangen soll, niemals einen Geistlichen ins Zimmer lassen darf.
Man erhält fast durchweg den Eindruck, dass Höflinge und übriger Adel, alles Männer, wie es in der zweiundvierzigsten Geschichte heißt, außer dem Reiten und Jagen nichts anderes im Kopf haben, als Mädchen und Frauen (meist erfolgreich) zu verführen oder gar zu vergewaltigen, wobei bürgerliche Weiblichkeit nicht nur in dieser Novelle als leichte Beute gilt. Die (Ehe)Frauen wiederum, besonders wenn sie ältere Ehemänner haben, scheinen bei Gelegenheit schnell untreu zu werden. Eine geradezu karnickelhafte Geilheit scheinen Mönche und Priester bis hinauf zu Bischöfen zu haben.
In der dreißigsten Geschichte möchte eine Mutter verhindern, dass ihr junger Sohn einem Kammermädchen nachstellt, wobei ihre List aber dazu führt, dass er die Mutter schwängert, die im Bett mit ihrem Sohn ihrer Lüsternheit nicht mehr "Herr" wird, denn Feuer ist bei Pulverfässern stets gefährlich. Wie es die Weltläufte so wollen, wird das Mädchen aus diesem Inzest die Frau des Sohnes. Und, wie es dann heißt, kommen über diesen Fall Doktoren der Theologie zu dem Urteil, dass die inzestuösen Kinder nichts von alledem gewusst und darum auch keine Sünde begangen hätten.
Diese Geschichten von sex and crime sind zunächst einmal für höfische und adelige Augen und Ohren gedacht und scheinen durchaus etwas von dem wiederzugeben, was die Köpfe und Geschlechtsteile dieser Leute bewegt, und das neunköpfige Publikum dieser Erzähler äußert sich im wesentlichen amüsiert, erfreut sich an den Geschichten, nachdem man vor jeder morgens zur Messe gegangen ist und sich vorher schon von Oisille einen frommen Vortrag angehört hatte.
Aber sie sind bei aller Libertinage und Gewalttätigkeit so zweifellos nicht repräsentativ für das Sexualverhalten der meisten Menschen der Zeit, schon gar nicht für Kaufleute, Handwerker und Bauern. Vielmehr repräsentieren sie eine wesentliche Funktion von Literatur, indem sie die Sensations- und Amüsierlust von Menschen bedienen, für die sich der Spalt zwischen kirchlich propagierter rigoroser Sexualmoral und wirklicher Praxis schon lange weit geöffnet hat. Die daraus resultierende Spannung verstärkt die, welche domestizierter Geschlechtstrieb nur schwer verbergen kann. Protestantischer Reformeifer, dem die Autorin zum Teil nahesteht, wird diese Spannung etwas lösen, indem Ehe und Familie nun als korrekte Formen des Auslebens des Geschlechtstriebes von jeglicher Sündhaftigkeit befreit und als Kern neuer Tugendhaftigkeit etabliert werden.
Aber die Autorin, die den Erzählern kaum eine Vorrede wie Chaucer, anders als der aber eine nach der Erzählung anschließende Diskussion aller zehn über das Verhalten der erzählten Personen bietet, lässt eine "Moral der Geschichte" offen, indem sie deren mehrere von verschiedener Seite anbietet.
Das Land
In deutschen Landen gerät die Selbstverwaltung der Dorfgemeinden im Zuge weiterer Territorialisierung immer mehr unter herrschaftliche Kontrolle. Neben die festgeschriebenen und von Seiten der Herren ausgelegten Weistümer versuchen die Amtleute auch die Dorfordnungen stärker zu kontrollieren. Formen der Grundherrschaft und der Gutsherrschaft im Osten geben weiter den Rahmen ab.
Die Dorfbevölkerung ist immer stärker differenziert in große und kleine Bauern und jene, die nur eim kleines Haus mit Garten besitzen und sich verdingen müssen, eine Art ländliches Proletariat. Produktivität und Produktion stagnieren bis ins 18. Jahrhundert.
In der Toskana verarmt die Landbevölkerung immer mehr, da sie den Eigentumsanteil an Land aufgeben und unter dem sich verschärfenden Mezzadria-System Pachten nur noch für zwei Jahre oder weniger und zu oft ungünstigeren Bedingungen ausgegeben werden. Viele Bauern sind zu arm, um sich Brot leisten zu können und gehen zu Esskastanien als Grundnahrungsmittel über. Je ärmer die Bauern, desto verächtlicher äußern sich die Städter über sie, falls sie ihnen einmal zu nahe kommen.
Wingerte, Olivenhaine und Getreidefelder prägen die toskanische Landschaft. Seit dem 15. Jahrhundert breiten sich in Italien neue aus Asien stammende Pflanzen aus: Reis, Karotten (aus Afghanistan), Auberginen, Spinat, Granatäpfel, Apfelsinen.
***Deutscher Bauernkrieg***
Der sogenannte Bauernkrieg, tatsächlich sind neben Bauern auch Städter und Bergleute beteiligt, reiht sich in eine lange Linie von Aufständen Ohnmächtiger gegen ihre Machthaber ein, die selten überlokal oder überregional waren. Den Bauern ist bewusst, dass sie Fürsten, Adel, Beamte und Klerus ernähren und finanzieren. Neben den Zehnten zahlten sie Steuern, Zölle und Zinsen. Neben solcher Belastung verkleinert die Realteilung die Höfe und gerade dort, wo dann die meisten Aufständischen auftauchen, sinken immer mehr Bauern rechtlich ab bis in Formen von Leibeigenschaft.
Die Bauern wollen vor allem ihre altüberlieferten Rechte wiederherstellen. Immer mehr Allmenden verschwinden und andere gemeinschaftliche Rechte werden zurückgedrängt. Vor allem die dörfliche Oberschicht fordert Veränderungen. Schultheißen, Bauernrichter, Dorfhandwerker und Ackerbürger aus den Kleinstädten tragen den Aufstand und beeinflussen die ärmeren Bauern. Dazu fördern die Reformationen die Distanz zu den geistlichen Herrschaften, auch wenn die Mehrzahl der Reformatoren sich gegen den Aufstand wenden wird. Ausnahme ist partiell Ulrich Zwingli und insbesondere Thomas Münzer, der an der Mühlhausener Marienkirche Pfarrer ist. Im Zeitraum des Aufstandes werden dort Klöster aufgelöst, Räume für Obdachlose geschaffen und eine Armenspeisung eingerichtet. Er fordert die „Gemeinschaft aller Güter, die gleiche Verpflichtung aller zur Arbeit und die Abschaffung aller Obrigkeit“ (omnia sunt communia). Im Mai 1525 wird er gefangen genommen, gefoltert und hingerichtet.
Im Sommer 1524 kommt es zu ersten Aufständen in Thüringen, Franken und Oberschwaben. Burgen und Schlösser werden gestürmt. Im Spätwinter 1225 werden in Memmingen die 'Zwölf Artikel' verfasst. Gefordert wird u.a. die freie Pfarrerwahl, die Abschaffung eines der Zehnten, die Aufhebung der Leibeigenschaft, freie Jagd und Fischerei, Rückgabe der Wälder, Reduzierung der Frondienste, Neufestsetzung der Abgaben an den Grundherren, feste statt willkürliche Strafen, Rückgabe der Allmenden, Abschaffung des Todfalls.
Eine Oberschwäbische Eidgenossenschaft wird gebildet.
Die Forderungen sind wie die Aktivitäten regional etwas verschieden. Meist wird nicht die Abschaffung des Adels verlangt, aber die (vieler) seiner Privilegien und seiner Burgen, was sich vor allem an den (niederen) Landadel richtet. Da das Evangelium Richtschnur sein soll, sollen auch alle Privilegien der Geistlichkeit fallen, welches nun vor allem dieses predigen soll. Klöster sollen verschwinden. Manche (Hoch)Stifte sollen säkularisiert werden und in Laienhand kommen. Vor Gericht sollen arm und reich gleichgestellt sein. Aber eine Obrigkeit will man schon.
Nachdem ihre christlichen Forderungen von den Herren nicht angenommen werden, radikalisieren sich einige wie in der Flugschrift 'An die versamlung gemayner Pawerschaft' vom Mai 1525. Nun wird die Absetzung von Tyrannen gefordert, der Adel wird von politischen und militärischen Aufgaben ausgeschlossen, man möchte auf die Schweizer Eidgenossenschaft oder städtisches Regiment verweisen. Nur der Kaiser soll den Gemeinden des gemeinen Mannes noch vorstehen.
Man hat geschätzt, dass etwa tausend Burgen/Schlösser teilweise oder ganz zerstört werden, von denen viele nun verfallen, so wie auch hunderte Klöster. Viele tausende umfassende Bauern"heere" werden von überlegenen fürstlichen Truppen geschlagen und tausende werden getötet. Insgesamt sterben wohl an die 80 000 Menschen. Brutale Strafgerichte setzen ein.
Natur?
Noch immer leben die meisten Menschen auf dem Lande und von ihm und eine Mehrheit von ihnen ringt ihr nur mit großer Mühe das Lebensnotwendigste ab. Immer noch auch fehlt es an Texten von ihnen, die uns deutlich machen, ob ihnen Natur mehr besagt als den Gegner, mit dem sie tagtäglich ums Überleben riungen. Aber sie sind es, die die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die wieder langsam zunehmende Zahl von Städtern ihr "täglich Brot" bekommen.
Diese reagieren nun mehr noch als früher darauf, dass die Naturlandschaften aus ihrem Gesichtskreis verschwunden sind und es sich überall um menschengemachte "Kulturlandschaften" handelt. Generell kann man wohl davon ausgehen, dass in diesen für sie "Natur" entweder wohlfeile oder aber immer mehr zu bezahlende Ressource ist. Ein Baum ist so die nützliche Ware Holz.
Für wohl weiterhin ganz wenige Leute wird Landschaft aber stärker zum Erlebnisraum. So schreibt der Züricher Arzt und Naturforscher Conrad Gessner 1541 über das Hochgebirge: Welche Lust und was für eine Wonne ist das für ein empfängliches Gemüt, die unermesslichen Gebirgsmassen staunend zu betrachten und gleichsam das Haupt in die Wolken zu erheben. (in: SchubertAlltag, S.239)
Inzwischen sind aus städtischen Siedlungen mit von Land umgebenen Häusern längst intensiv Haus an Haus die Straßen entlang gebaute Städte geworden, wobei unterschiedliche Siedlungskerne miteinander verschmolzen wurden und weiter werden. In großen Städten wächst der Abstand zum Kulturland drumherum, und wenn man dieses noch wahrnehmen möchte, muss man sich dazu erst einmal aufmachen. Für manche Menschen im Zentrum der ganz großen Städte ist das wohl schon ein zu großer Aufwand.
Unkenntnis der außerstädtischen Tier- und Pflanzenwelt dürfte bereits jetzt zunehmen und zugleich auch die Wahrnehmung ökologischer Zusammenhänge, mit denen Bauern wohl noch vertraut sind. Die nunmehr in privater und öffentlicher Verwaltung stehende Ressource Kulturland, Lieferant für Waren, wird nirgendwo um ihrer selbst willen geschützt, es gibt keinen "Naturschutz" irgendeiner Art, aber sie werden nun als schwindende Ressourcen etwas mehr unter Schutz gestellt. Die Menschen treten nun Forsten gegenüber, die als Holzreservoir behutsamer verwaltet werden, die Überfischung durch Netze wird in Stadtnähe verboten, der Züricher Rat führt Schonzeiten für die Zeit des Ableichens von Fischen im See ein. Seit dem 14. Jahrhunderten wird an einigen Orten das Fangen der Vögel mit Leinruten verboten, an anderen der Vogelfang überhaupt reguliert. Um 1500 dann bemerkt man dennoch mancherorts den Rückgang von Singvögeln (mit dem Blick darauf, dass sie Nahrungsmittel sind. SchubertAlltag, S.258)
Dass es bis heute keinen nennenswerten Naturschutz in Mitteleuropa gibt, liegt zum einen daran, dass es so viele Jahrhunderte lang überhaupt nur noch Kulturlandschaft gibt, was für fasst alle Menschen immer noch eine elementare Errungenschaft bedeutet, und diese puntuell als für Menschen eingerichtete Pseudonatur zum Zwecke des Tourismus und Freizeitamüsements tatsächlich ein allgemeines Missverständnis darstellt. Diese Pseudonatur muss sich eben rentieren, wirtschaftlich rechnen.
Zum anderen korrespondiert diese immer noch zunehmende Gewalt gegen alles Natürliche mit den Gewaltstrukturen zwischen Menschen, die bekanntlich in Zivilisationen solange bejaht werden, wie die Ohnmächtigen mit Leckereien und Amüsement gut gefüttert werden. Seit der kolonialen Globalisierung, wie sie im 16. Jahrhundert auf das Rabiateste einsetzt, gewährleistet das zunehmend jene globale Arbeitsteilung, die nun großflächige Naturzerstörung über alle Kontinente verbreitet.