Kirche 3: KIRCHE, KLOSTER UND CHRISTENTUM IM 12.JH.

 

Ergebnisse der Reform (Zölibat / Kanonisches Zusammenleben)

Päpste und Machtpolitik  (Trier / Päpste und Geld)

Glauben

Kirche und Kapitalismus

Verbürgerlichendes Christentum

Die Synthese von Heiligkeit und Handelskapital (Goderich / Der gute Gerhard)

"Kunst"

Kloster (Zisterzienser)

 

 

Ergebnisse der Reform

 

Mit der Kirchenreform ist eine gewisse Zäsur verbunden, die die frühmittelalterliche, in weltliche Mächte eingebundene Episkopalkirche von der hochmittelalterlichen autonomen Papstkirche trennt, in der der Bischof von Rom als Papst wenigstens de iure wie ein fast unumschränkter Machthaber als Monarch über seine klerikalen Amtsinhaber herrscht, um dann 1095 in Clermont als Führer der lateinischen Christenheit auftreten zu können. Gewählt vom neuartigen Kardinalskollegium wird er aber zugleich weltlicher Fürst in seinem Staat, so wie bald die Erzbischöfe in ihren Fürstentümern nördlich der Alpen.

Er wird zu einem mit Fürsten, Königen und Kaisern konkurrierenden Herrscher über ein italienisches Staatswesen, dass Päpste aus der Abhängigkeit von kaiserlichen und normannischen Schutzmächten lösen soll, und doch im Konzert der immer mächtiger auftretenden Reiche nicht anders kann, als sich an eine Macht anzulehnen; und die ist dann das immer mehr in Konkurrenz zu Deutschland auftretende französische Königtum. In den Allianzen mit ihm und den in Italien sich entwickelnden Despotien schwinden die Ergebnisse der Kirchenreform insofern hin, als es zu einer massiven Verweltlichung der Kirche kommt, die ihre spirituelle Glaubwürdigkeit immer mehr schmälert. Dadurch wird es zu jenen Wellen von Häresien kommen, die nun zum Teil ganz aus der Kirche ausscheren.

 

Die klarsichtigste Kritik von Seiten der Kirchenreformer fomuliert der bayrische Regularkanoniker Gerhoch von Reichersberg. Peter Classen fasst seine diesbezügliche Position so zusammen: "Die Regalien der Kirche binden die Geistlichen, besonders die Bischöfe, an die Welt und hindern sie an den spirituellen Aufgaben; die Bindung der Kirche an die Welt kommt vor allem im hominium zum Ausdruck. Mit der Preisgabe der Investitur durch Heinrich V. hat die Kirche in Worms nur die halbe Freiheit gewonnen; denn (...) Bischöfe, Äbte, Äbtissinnen werden nach der Wahl gezwungen, an den Königshof zu kommen, um Regalien zu empfangen, wofür sie hominium und Fidelitätseid zu leisten haben."  (nach 'De aedificio Dei', in: Investiturstreit, S.428)

Die Verpflichtungen, die geistliche Herren so gegenüber dem König eingehen, können sie nur leisten, wenn sie selbst Lehnsherren werden. Damit gelangen sie zu einem fürstlichen Leben statt einem in christlicher Armut, und müssen Kirchengut an Krtieger ausgeben, anstatt dem Frieden zu dienen,

 

Mit dem Teil-Verlust ihrer quasi-sakralen Stellung verlieren die Kaiser die enge Verbundenheit mit dem Papsttum, welches in dem aufstrebenden französischen Königtum neue Verbündete findet. Die zersplitternden deutschen Lande geraten machtpolitisch an den Rand des Geschehens, während die Städte in ihnen zu wirtschaftlicher Bedeutung aufsteigen. Wichtige Mächte im europäischen Kontext werden nun England, Frankreich und das Normannenreich in Sizilien und Süditalien.

 

Das alles ist deshalb für unser Leitthema wichtig, weil in dieser Zeit erst Küsten- und dann auch Binnenstädte Italiens zu neuer Bedeutung aufsteigen, und dann auch solche am Rhein und in Flandern. Den Ansprüchen des Reform-Klerus an sich selbst steht so nicht nur ein Kriegertum, sondern auch eine Welt der Geschäftemacherei, des „Wuchers“ und einer neuartigen, „bürgerlich“ werdenden Besitzgier gegenüber. Abschließung des Klerus und Kompartmentalisierung von geistlichen und weltlichen Sphären bei den Laien werden so gefördert werden.

 

Anders gesagt: Der von den Reformern wenigstens de iure durchgesetzte Anspruch an mehr Heiligkeit macht diese uneinlösbarer, rückt sie in weitere Ferne für Krieger wie für Geschäftsleute. Andererseits bedarf der höhere Klerus der Unterstützung durch die Waffen wie die Geschäftemacherei, zumindest zum Schutz, zum prachtvollen Lobe Gottes wie für eine gehobene Lebenshaltung. Für die Kirche führt das zu Kompromissen mit der weltlichen Macht. Dazu kommt dann ein stetes Zurückweichen in der Definition des Wuchers, der ursprünglich kirchlich gesehen den Kern eines „Geschäftes“ ausmachte.

 

Indem nun die materielle Basis des Klerus von ihrem geistlichen Auftrag getrennt wird, er einerseits Königen, andererseits Päpsten untersteht, wird ein Modell entwickelt, welches das frühe Handelskapital analog zu seinem eigenen machen kann: Da ist die Welt der Kirche, in der ist man mehr oder weniger im neuen bürgerlichen Sinne fromm, folgt ihren Zeremonien und Ritualen, und da ist die Welt des Geschäftes, die ihren eigenen, ganz anderen Gesetzen gehorcht.

 

Das heißt nichts anderes als die Abkoppelung des Geschäftes von religiös definierten Normen. Da die Geschäftswelt aber nicht ohne ein eigenes Regelwerk auskommt, wird sie dieses im wesentlichen nach eigenen Bedürfnissen entwickeln und von der sich davon als politisch abtrennenden Sphäre bestätigen lassen. Und mit den drei derart nun (nicht allerdings theoretisch durchdachten) getrennten Sphären von Kirche, (Macht)Politik und Geschäft wird in ein, zwei Jahrhunderten Kapitalismus möglich, der sich allerdings dann erst im zwanzigsten Jahrhundert zur Gänze von den beiden anderen Sphären emanzipiert, was zur Reaktion in Form von Sozialismus/Bolschewismus dort führen wird, wo kein lateinisches Christentum vorausgegangen ist, und zum Nationalsozialismus dort, wo der Sphäre der Politik die Nationenbildung als Staatlichkeit misslingt. Heiligkeit wird aber erneut angestrebt werden, die sich in der jeweils aktuellen, massiv durchgesetzten "politischen Korrektheit" erweist, mit welcher der Staat wie eine Art Ersatz-Kirche auftritt.

 

Verweltlichung der Kirche heißt damals in deutschen Landen vor allem, dass aus Äbten und Bischöfen, deren riesige Besitzungen nie zur Debatte standen, mächtige Prälaten werden, deren mächtigste als Fürsten herrschen. Dabei stellen Bischöfe weiter die meisten Kontingente kaiserlicher Heere und sind so Militärführer von erstrangiger Bedeutung. In ihren prächtigen und kostspieligen Gewändern (Seide, Pelze usw.) erscheinen sie ohnehin wie (und als) weltliche Herren.

 

Für deutsche Fürstbischöfe des 12. Jahrhunderts bleibt ihr Gott weiter vor allem ein Kriegsgott, der ihnen in ihren kriegerischen Operationen zum Sieg verhilft. Erzbischof Christian von Mainz führt 1172 eine marodierende Horde brabanzonischer Söldner durch Italien bis in die Toskana. "Im Kampf vor Bologna saß er gepanzert im blauvioletten Waffenrock zu Pferd, trug einen vergoldeten Helm und schwang in beiden Händen eine dreiknotige Keule, mit der er neun Männer getötet haben soll. Der junge Albert von Stade erfuhr das vom Leiter der Bremer Domschule, der damals als Notar Christians auch mit angesehen haben will, wie der Erzbischof achtundzwanzig italienischen Edelleuten eigenhändig die Zähne einschlug." (EhlersHeinrich, S.328)

Einne  ganz besonders brutalen Vernichtungsfeldzug führt Erzbischof Philipp von Heinsberg wenige Jahre später gegen Heinrich ("den Löwen"), in dem weder Städte, Kirchen noch Klöster vor der Zerstörung verschont werden, und nicht einmal Nonnen der Verschleppung und Vergewaltigung entgehen.

 

Es entsteht so aber auch eine massive Aufspaltung des kirchlichen Christentums in ein höfisch-aristokratisches, welches sich nördlich der Alpen immer mehr aus der neuen städtischen Lebenswirklichkeit zurückzieht, in ein bürgerliches, welches in den Städten als Form der Christianisierung des Kapitalismus auch für mehrere Jahrhunderte die Oberhand gewinnt, und ein ländlich-bäuerliches, in dem es weiter zu einer theologisch abwegigen Folklore mit weiterhin ungeniert heidnischen Zügen wird, die erst im 19. Jahrhundert mit der massiv zunehmenden Zerstörung bäuerlicher Landwirtschaft schwindet.

 

Diese auf den Papst zentrierte Kirche hatte aber nur ihre weltliche wie geistliche Machtvollkommenheit gesteigert, und diese hatte zunehmende weitere Verweltlichung im 12. und 13. Jahrhundert zur Folge. Höhere Geistliche hielten sich an ihre Pfründe, die Dotierung ihres Amtes, überließen die Seelsorge aber niederen Geistlichen bei spärlicher Bezahlung. Kirchenämter wurden schiere Einkommensquellen, auch eine Form von Simonie. Das Zölibat wurde weiter nur partiell durchgesetzt.

 

Entsprechend steigert sich die oft wenig öffentliche Kritik an Geistlichkeit und Mönchtum. Eine neue christliche Armutsbewegung entsteht, die nicht mehr auf einzelne Personen konzentriert ist. Sie ist, anders als früher, ein deutlicher Reflex auf die Entstehung der neuen, bürgerlichen Städte und des Kapitalismus. Ihr Interesse richtet sich nun stärker auf den evangelischen Jesus, der bislang zugunsten des alttestamentarischen Gottes etwas in den Hintergrund getreten war.

 

Innerkirchliche Exponenten dieser Bewegung werden in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts Theologen wie der in Paris an Notre Dame als Kantor arbeitende Petrus, dessen Schüler wurden dann"theologisch hoch gebildete Prediker wie Fulko von Neuilly, Johannes von Nivelles, Jakob von Vitry und andere (…) für ihre Zuhörerschaft durch lebensnahe Ansprache und moralisch untadelige Lebensweise zu Lehrmeistern einer von Gebet, Askese, Buße und evangelischer Armut bestimmten Existenz." (C.Andenna in 'Verwandlungen', S.252). Eine neue Art von Predigern entsteht. Auch Innozenz III. ist Schüler dieses Petrus Cantor und wird sich sehr um die Integration von Armutsbewegung in die Kirche bemühen.

 

***Zölibat***

 

Noch Jahrzehnte nach 1222 hat sich das Zölibat nicht durchgesetzt. 1119 legt Papst Calixt II. folgendes fest und Ordericus Vitalis bringt das in seiner Kirchengeschichte (III, 12): Priestern, Diakonen, und Subdiakonen verbieten wir desweiteren das Zusammensein (contubernia) mit Konkubinen und Ehefrauen. Sollte noch jemand sich in dieser Situation auffinden lassen, wird er seiner Kirchenämter und seiner Benefizien enthoben. Wenn er dann seine Unreinheit (immunditia) noch nicht berichtigt hat, muss er sich von der christlichen Gemeinschaft (communio) fernhalten.

 

D.N. Hasse fasst zusammen, was Ordericus Vitalis für den November 1119 in seiner 'Historica ecclesiastica' berichtet, als die Bischöfe diese Botschaft von der Synode in Reims zurück in ihre Bistümer kommen.

"Einer von ihnen ist Erzbischof Godfried von Rouen. Er lässt die Priester in der Kirche zusammenkommen, um die Beschlüsse der Synode zu verkünden. Eine der Anordnungen betrifft die Enthaltsamkeit: Godfried verbietet den Priestern jegliches Zusammenleben mit Frauen und droht mit drastischen Worten, dass jede Zuwiderhandlung mit Exkommunikation bestraft werde. Die Priester sind entsetzt. Es gibt entrüstetes Gemurmel, man spricht leise vom Konflikt zwischen Körper und Geist, und einer der Betroffenen hebt zum offenen Widerspruch an. Godfried lässt ihn aus der Kirche führen und in ein Gefängnis werfen. Die Priester sehen wie gelähmt zu, während der Erzbischof die Kirche verlässt und seine Leibwächter zusammenruft. Diese dringen mit Stöcken und Waffen in das Gotteshaus ein und attackieren die Geistlichen. Einige fliehen, andere aber wehren sich mit dem, was sie finden können. Die Angreifer werden zurückgeschlagen und bis zum Haus des Erzbischofs getrieben. Doch Godfrieds Leute finden Unterstützung bei Handwerkern und einfachen Leuten, und der Kampf verlagert sich wieder in die Kirche. Die Wut der Angreifer richtet sich nun gegen alle, die sie im Haus oder auf dem Friedhof finden können, Beteiligte und Unbeteiligte, Alte und Junge. Die blutenden Priester fliehen zu ihren Gemeinden und Konkubinen, und der Kampf findet ein Ende. Die Nachricht von der gewaltsamen Auseinandersetzung löst Entsetzen bei den niederen Klerikern und den anständigen Bürgern der Stadt aus. Ihre Sympathie gilt den geschundenen und entehrten Priestern. Der Erzbischof hält sich in seinem Haus versteckt. Erst als wieder eine gewisse Ruhe eingetreten ist, kehrt er in die blutbesudelte Kirche zurück, um sie neu zu weihen."

(In: Abaelards 'Historia Calamitatum, S. 262f) Man ahnt, der mönchische Erzähler hat Mitgefühl mit den Priestern.

 

Nun wird es langsam Ernst für die Geistlichkeit. Aber zunächst gelten immerhin vor der Weihe ordentlich geschlossene Priesterehen noch. 1135 setzen Innozenz II. und Bernhard von Clairvaux auf einer großen Synode in Pisa einen Beschluss durch, der diese Priesterehen für ungültig erklärt. Damit setzt sich die Kirche im Sinne des Zölibats selbst über die zugleich propagierte Unauflöslichkeit der Ehe hinweg:

Um aber das Gesetz der Enthaltsamkeit (continentiae) und der von Gott gewünschten Reinheit (munditia) bei kirchlichen Personen und den geweihten Ständen zu verbreiten, verordnen wir, dass Bischöfe, Priester, Diakone, Subdiakone, Regularkanoniker und Mönche, die das heilige Gelübde (sacrum) übertreten und sich anmaßen, sich mit Frauen zu verbinden (uxores sibi copulare), sich von ihnen trennen müssen. Denn eine solche Verbindung (copulationem), so legen wir fest, ist keine Ehe (matrimonium), denn es steht fest, dass sie gegen die festgesetzte kirchliche Regel ist.

 

Nun hilft kein Jammern und kein Klagen mehr. Damit niemand denkt, dies sei nicht die höchste und letzte Instanz, wird genau dasselbe 1139 auf dem zweites Laterankonzil noch einmal festgelegt.

 

Bei D.N. Hasse bin ich auch an die Chronik des Radulfus von Diceto geraten, der für 1137 über das böse Schicksal der Konkubinen einiger Londoner Säkularkanoniker berichtet, als focariae bezeichnet, Küchenmädchen (von focus, dem Herd):

Focariae quorundam canonicorum qui saeculares dicuntus, raptae sublimes, ad turrim non sine dedecore gravi pertractae sunt, et ibidem constrictae multis diebus. Quae quidem non sine ludibrio corporis (körperliche Erniedrigung), nec sine dispensio famae, nec sine numaeratione pecuniae redierunt ad propria. (in: Abaelards 'Historia.., S.280 Anm. 62) .

 

Das klingt, wie Hasse anmerkt, so, als ob die Kanoniker ihr Lösegeld gezahlt hätten, und wie man vermuten kann, dass sie auch zu ihnen (ad propria) zurückkehrten.

 

Ebenso bei Hasse (s.o., S.280) findet sich: „Über die Londoner Klerikerehefrauen und -konkubinen von St. Paul's wissen wir dank einer guten Quellenlage recht viel. Mindestens 13 der 30 Pfründe wechselten am Anfang des 12. Jahrhunderts von Vater zu Sohn, wie Einträge der Art „Radulf, Sohn des Algod, Wilhelm Sohn des Radulf“ (...) im Prfündekatalog zeigen. Von Radulf beispielsweise wird in anderen Quellen berichtet, dass er eine socia, also eine Konkubine, mit Namen Mahald hatte und einen zweiten Sohn. Manche der Londoner Kleriker waren sicherlich auch verheiratet.“

 

Der Widerspruch zwischen der kirchlich geforderten Unauflöslichkeit der Ehe und ihrer Zwangsauflösung durch die Kirche zeigt ein Wesensmerkmal der sich modernisierenden neuen Kirche: Sie wird politisch, das heißt sie entscheidet von nun an je nach ideologischer Konjunktur. Der Wandel zeigt sich auch darin, dass von nun an nicht mehr die Ehe heilig ist, sondern nur noch jene, die von der Kirche sakralisiert wird.

 

Im übrigen: Die Wirklichkeit sexuellen Alltags bleibt unter den Bedingungen institutionellen Drucks in Zivilisationen immer in Lügengespinste gehüllt. Aber mit dem antisexuellen Impetus der Reformkirche, ihrem sich verstärkenden Kult der Virginität Mariens, ihrem Zölibatsdruck tauchen immer mehr erotische Gegentexte in Latein neben der entstehenden volkssprachlichen Troubadourslyrik auf, von den neuen Scholaren formuliert. Der erneut herabgewürdigte Geschlechtstrieb wird von ihnen kompartmentalisiert, herausgelöst aus dem Lebensalltag, und dabei neu beobachtet, nicht zuletzt mit einer Haltung, die wir in sehr neuzeitlichem Sinne als Zynismus bezeichnen können. Beobachtet wird dabei immer deutlicher auch, dass zwischen der Zölibatsproganda und der Wirklichkeit sich neue Gräben auftun. Beobachtet und in Einzelfällen überliefert wird dabei die Ausflucht des zölibatären Prälaten in die Homosexualität und das Päderastentum, erst wieder Ende des 20. Jahrhunderts an eine breitere Öffentlichkeit gebracht.

 

Da war ein Bischof Johannes II. von Orléans 1096 unter reichlich skandalösen Umständen ins Amt gekommen, nachdem Bischof Ivo von Chartres und große Teile des Domkapitels von Orléans wegen unlauteren Lebenswandels heftig gegen Johannes opponiert hatten. "Erst, nachdem er die anfänglichen Widerstände überstanden hatte, konnte er seine Position innerkirchlich konsolidieren. Johannes II. war eine lange Amtszeit beschieden: Bis 1135 ist er als Bischof von Orléans bezeugt.“ (RoblHilarius) „Von Bischof Johannes II. behauptete wiederum kein geringerer als der französische König persönlich, er sei der succubus seines Amtvorgängers Johannes I. gewesen. Im Übrigen war Johannes II. schon zur Zeit seines Kanonats in Orléans von seinen Kollegen wegen der homosexuellen Beziehungen zu seinem Vorgänger Johannes I. als „Hure Flora“ verspottet worden.“ (Robl mit Belegen) Hilarius schrieb an Hugo Primas:„In servitio domini episcopi Aurelianensis octo annos expendi, non tamen ab ipso aliquid boni, immo maximum dampnum acquisivi – Acht Jahre habe ich im Dienst für den Herrn Bischof in Orléans verschwendet, aber nichts Gutes habe ich von ihm erhalten, sondern nur höchsten Schaden...“ (RoblHilarius)

 

Bischof Ivo von Chartres prangert an, dass einer der Gespielen des Bischofs von Orléans seinen „Geliebten“ mit gesungenen Reimgedichten vergöttert hätte. „Ivo berichtete empört Erzbischof Hugo von Lyon und in einem weiteren, fast gleichlautenden Schreiben sogar Papst Urban II.: Viele Leute aus Orléans würden meine Aussage bezeugen, wenn sie nicht Verhaftung oder Vertreibung befürchten müssten. Damit ihr nicht glaubt, ich hätte mir das alles nur ausgedacht, habe ich Euch stellvertretend für viele andere ein Lied geschickt, das von einem seiner Beischläfer mit Metrik und Klang über ihn verfasst wurde. Dieses Lied trällern ständig die Burschen, die so schwul sind wie er, in unseren Städten, auf den Straßenkreuzungen und Plätzen. Aber auch er selbst hat es mit seinen Gespielen oft gesungen, oder zugehört, wenn sie es ihm vorsangen...“

(58 „Multi enim Aurelianenses ad haec quae dixi mihi darent testimonium, nisi timerent carcerem vel exilium. Et ne me ista aliquae occasione confinxisse credatis, unam cantilenam de multis metrice et musice de eo compositam ex persona concuborum suorum vobis misi, quam per urbes nostras in compitis et plateis similes illi adolescentes cantitant, quam et ipse cum eisdem concubis suis saepe cantavit et ab illis cantari audivit...“ (Siehe Briefe Ivos von Chartres an Hugo, den Erzbischof von Lyon, und an Papst Urban, hier zitiert aus Gallia Christiana Bd. 7, S. 1443-1445.)

 

Ein Hugo „Primas“, der später Orléans verlassen musste, prangert in einem seiner Gedichte später Bischöfe, die simonistisch in ihr Amt gelangen, bewährte Mitarbeiter verstoßen oder der Päderastie frönen, mit folgenden Worten an:

Cil, ki servierant per longum spacium, / amittunt laborem atque servitium, / tristis hypocrita quem vos eligitis, / adeptus honorem non suis meritis... / et presto sit puer, filius militis, / que il deit adober pro suis meritis, / qui virgam suscitet mollibus digitis, / plus menu que moltum hurte de genitis…

Doch die, die ihren Dienst so lange treu versehen, / die müssen von dem Brot aus ihrer Arbeit gehen, / den Heuchler, den ihr Euch erwählt, mit saurem Angesicht, / erlangt dann zwar die Ehr, doch durch Verdienste nicht... / Und wenn ihn dann die Gier des geilen Sinnes plagt, / so ruft den Knaben er zu sich, des Ritters Sohn, / vergelten muss er ihm den Dienst mit hohem Lohn: / Mit weichen Fingern schafft er, dass das Glied sich regt, / noch öfter als der Bock mit seiner Rute schlägt...“ (Aus RoblHilarius)

 

Natürlich ist nicht mehr nachzuvollziehen, wieviel solcher Texte unverdiente Häme ist, Ressentiment, und schon gar nicht, wie häufig Homosexualität und Päderastie beim Klerus auftraten. Vermutlich waren sie nicht die Regel, sondern eine mehr oder minder häufige Abweichung davon. Aber in solchen Dingen offenbarte sich, zumindest in den Städten, wie aus der Widersprüchlichkeit mittelalterlichen Christentums nicht nur jene Widersprüche hervorgehen, die Kapitalismus in seiner zunehmenden Kulturlosigkeit kennzeichnen, sondern auch jene damit eng zusammenhängende Verlogenheit, mit der christliches Abendland mit der menschlichen Geschlechtlichkeit umging und heute noch intensiver umgeht.

 

***Kanonisches Zusammenleben***

 

Wie schwer es war, ein konsequentes reguliertes Kanonikerdasein durchzusetzen, musste Norbert von Xanten erleben. Er trat schon als Kind in das Stift St. Viktor in Xanten ein und wird dort auf einer ergiebigen Pfründe Subdiakon. Er begleitet Kaiser Heinrich V. auf seinem Romzug, wendet sich aber wegen des dort Erlebten der Reformpartei zu. Um 1115 hat er dann eine Art Bekehrungserlebnis. Er lässt sich zum Priester weihen und entsagt dem früheren Luxus. Er wird erst Eremit bei Xanten und dann Wanderprediger. Schließlich verzichtet er auf seine Pfründe.Es gelingt ihm, dem Vorwurf der Ketzerei entgegenzutreten. Er wird Prediger in Frankreich, erhält vom Papst die Predigterlaubnis. Wegen seiner Kirchenkritik suspekt, schenkt ihm der Bischof von Laon ein Grundstück und drängt ihn zur Niederlassung im abgelegenen Prémontré. Mit der Regel des Augustinus entsteht dort ein Chorherrenstift von Regularkanonikern. Zunächst gehört dazu auch ein Frauenkloster. Richtiger Mönch wollte er nicht werden, also nicht abgeschlossen von denen leben, für die er predigen wollte. Norbert kann aber seine radikalen Vorstellungen vom kommunitären Miteinander nicht durchsetzen.1126 wird er Erzbischof vom Magdeburg und vertritt dort mit aller Härte die Kirchenreform, auch gegen Widerstände der Bürger dort. Langsam öffnet er sich wieder dem weltlichen Luxus.

 

Die Päpste und die (weltliche) Macht

 

Den Päpsten wird es nicht gelingen, die Erzbistümer und Bistümer voll unter ihre Kontrolle zu bekommen. In England und Frankreich werden Könige interessiert bleiben, ihnen gefällige Prälaten zur Verfügung zu haben, und in deutschen Landen sind es die Könige als Kaiser, die ihre Finger nicht vom Papsttum lassen können und es dadurch unentwegt aufwerten.

 

Unter Friedrich I. ("Barbarossa") nimmt das Unheil seinen Lauf im Zuge seiner vielen kriegerischen Versuche, wenigstens Norditalien gewinnbringend unter seine Kontrolle zu bringen. 1159 kommt es zur Doppelwahl von Alexander III. und Victor IV. Das gespaltene Kardinalskollegium wählt sowohl den normannenfreundlichen Alexander III., der Barbarossa schon durch Überbringung des Hadriansbriefes nach Besancon negativ aufgefallen war, wie Viktor IV. Letzterer wird fast ohne Teilnahme von Kardinälen gewählt und soll von Geldern Ottos von Wittelsbach profitiert haben; er wird daher nur von der stauferfreundlichen Partei anerkannt.

 

Beide Päpste beginnen sofort damit, Bischöfe zu weihen, was die Kirchenspaltung vor allem in die deutschen Lande hineinträgt. In Bayern zum Beispiel stellt sich das Erzbistum Salzburg, in der Fläche fast identisch mit dem Herzogtum, hinter Alexander. Die englischen und französischen Könige entscheiden sich ebenfalls für ihn, während der Kaiser auf Victor setzt.

1161 wird die Lage für Alexander in Rom so bedrohlich, dass er nach Frankreich flüchtet, von wo er erst 1165 wieder zurückkehren kann.

1164 stirbt Papst Victor in Lucca, wohin Rainald von Dassel eilt, um dort mit den stauferfreundlichen Kardinälen, Prälaten und dem Stadtpräfekten von Rom Paschalis III. zum neuen (Gegen)Papst küren zu lassen.

 

Kurz darauf kommt es zum Konflikt um die Konstitutionen von Clarendon und das Schicksal Thomas Beckets. Henry II. sucht mit der Heirat seiner Tochter Mathilde mit dem Welfen Heinrich und einer weiteren mit Friedrich von Schwaben Verbündete zu finden. Dennoch wendet sich der Staufer nach der Ermordung von Thomas Becket 1170 vom Engländer ab und dem französischen König zu. Die welfische Verbindung zu England bleibt aber bestehen.

 

Auf dem vierten Kriegszug des Kaisers gegen Italien findet die Unterwerfungs- und Verwüstungspolitik gegen die norditalienischen Städte in der Lega Lombarda ihren mehr als gleichwertigen Gegner im Bund mit Papst Alexander. Dennoch zieht Friedrich weiter nach dem von einem kaiserlichen Heer belagerten Rom, greift die Engelsburg, St.Peter und eine weitere Kirche an, die verbrennt, worauf Alexander III. nach Benevent flieht. Als dann eine verheerende Seuche ausbricht, muss das Heer nach Norden fliehen.

 

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***Bischofswahl und Machtpolitik in Trier***

 

Wie wenig die Vorstellungen von einer autonomen Kirche in Wirklichkeit umgesetzt werden, zeigen die Ereignisse in Trier nach dem Tod von Erzbischof Arnold (I.) 1183.Am Vorabend der Beerdigung gewinnt der Dompropst Rudolf von Wied eine Mehrheit im Domkapitel, während eine Minderheit den Archidialon Folmar aus der Grafenfamilie von Blieskastel favorisiert.

Laut Gesta Treverorum kommen nach seiner Beerdigung "Adelige, Minsterialen und auch Bürger des Bistums vor dem Dom zusammen, um gemeinsam mit dem Domkapitel und der höheren Geistlichkeit den neuen Erzbischof zu wählen." (M. Pundt in: Anton/Haverkamp, S.257) Anwesend sind auch der Pfalzgraf Konrad und der Reichsministeriale Werner von Bolanden, die für Rudolf eintreten.

 

Die Mehrheitspartei des Domkapitels tritt für eine Verschiebung der Wahl auf den Nachmittag ein und geht. Viele bleiben aber und wählen unter dem Einfluss von Herzog Heinrich von Limburg Folmar. Am Nachmittag erklären die Zurückgekehrten diese "Wahl" für ungültig.

Konrad und Werner reisen zum Kaiser, der die Kontrahenten nach Konstanz bestellt. Kaiser Friedrich I. investiert nun Rudolf von Wied. Der kann in Trier als erwählter, aber noch nicht geweihter Bischof einziehen. Heinrich VI. verfolgt nun 1184 Parteigänger Folmars in Koblenz und Trier.

 

1186 weiht Papst Urban III. Folmar zum Erzbischof. Der verbündet sich mit antistaufischen Kräften um den Kölner Erzbischof und den französischen König.  1187 verbündet sich der Kaiser mit Philipp II. ("Auguste"), so dass die Unterstützung für Folmar nachlässt. 1189 setzt Papst Clemens III. beide Kandidaten ab und fordert Neuwahlen. Als der Kaiser dann Kreuzzugspläne schmiedet, erlangt er stärkeres Wohlwollen vom Papst und kann seinen Favoriten, seinen Kanzler Johann durchsetzen, den die Trierer dann auch auf Vorschlag und Bitten des Königs wählen (Gesta Treverorum).

 

***Päpste und Geld*** (in Arbeit)

 

Die Papstkirche ist eine besonders hierarchische Institution organisierter Macht, deren Einfluss vor allem darauf beruht, dass sie der weltlichen Macht über die von ihr propagierte Religion die ideologische Begründung liefert. Mitgliedschaft ist für alle Leute außer den Juden Pflicht, ganz gleich, was jemand im stillen Kämmerlein glauben oder nicht glauben mag. Damit hat jedermann auch die Verpflichtung, diese Kirche zu finanzieren, was offenbar erst nach der großen Kirchenreform langsam strittiges Thema wird.

Mit dem Aufstieg des Kapitalismus und dem steigenden Geldumlauf wird es nicht nur im weltlichen Raum immer üblicher, sich Rechte mit Geschenken zu erkaufen, was man viel später als Korruption ansehen wird, sondern genau dasselbe geschieht auch im kirchlichen Raum. Wer Wünsche an Bischof oder Papst richtet, kommt zu ihnen mit Geld bepackt, und reicht das nicht, müssen dann noch Kredite aufgenommen werden.

 

Die Kritik an dieser Praxis richtet sich verständlicherweise eher gegen die Kirche als die weltlichen Herren, von denen man ohnehin nichts anderes erwartet. Die erst um 1225 geschriebene Lebensgeschichte des Guillaume de Maréchal spricht davon, dass man in diplomatischem Interesse gar nicht erst nach Rom reisen solle, wenn man nicht die Reliquien  der Heiligen namens Gold und namens Silber mit sich führe, jener ehrwürdigen Märtyrer in den Augen Roms. (in: Ashbridge, S.296)

 

(Matthäus Parisiensis)

 

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Kirche und Kapitalismus

 

Kirche und Kloster als in vielen Gegenden Europas größte Grundbesitzer und Teil der Herrenwelt kritisieren, dulden und fördern Aspekte des entstehenden Kapitalismus gleichermaßen. Dabei werden für die Legitimierungsstrategien die rationaleren Argumentationslinien der Scholastik immer wichtiger. Selbst verbunden mit der zweckrationalen Praxis eines Wirtschaftens auf einem Markt und für ihn schwindet der unvernünftige Kern der evangelischen Botschaft ganz aus dem Zentrum ihres Augenmerks.

 

Als in derselben Zeit in den Städten des Mittelalters Leute außerhalb der Kirchenämter wieder imstande sind, die heiligen Texte zu lesen, beginnt die Lektüre der Evangelien Häresien hervorzurufen, die sich zum Teil als Armutsbewegungen artikulieren. Das betrifft nicht nur die Waldenser, sondern auch Leute wie den Franz von Assisi, soweit es der Kirche nicht gelingt, sie zu integrieren. 

 

Zwischen beiden laviert die Kirche im 11./12. Jahrhundert, wobei sie  ihr sehr weltlicher Reichtum und die vielen Fäden, die sie mit dem sich einnistenden und dann entfaltenden Kapitalismus verbinden, immer stärker in die Akzeptanz kapitalistischer Strukturen treibt, auch wenn sich dagegen Kritik in den eigenen Reihen auftut.

 

Man muss dabei vor Augen haben, dass zwei der sieben Totsünden, die den Weg ins Himmelreich versperren, laut Kirche die luxuria und die avaritia sind. In der luxuria sind Genusssucht, Verschwendung und (sexuelle) Ausschweifung enthalten, die avaritia verbindet Habgier und Geiz. Die eine ist die gängige Sünde derer, die sich (Waren)Konsum leisten können, die andere die von denen, die nicht genug an Kirche und Kloster, d.h. offiziell die Armen abgeben, und die derer, die Kapitalvermehrung betreiben.

 

Zumindest der Luxus in diesem weiten Sinne wird spätestens seit dem 12. Jahrhundert auch Päpsten vorgeworfen, und manchmal auch Bischöfen. Dies sind aber dieselben, die zugleich auch dagegen predigen.

 

 

Im 11. Jahrhundert reagiert die (Papst)Kirche mit ihrem geschärften Selbstbewusstsein auch schärfer auf die sich verbreitende Geldwirtschaft und den sich einnistenden Ansatz für Kapitalismus. Zins- und Wucherverbote samt abwertenden Äußerungen zum Handel werden "zusammengetragen und unverändert eingeschärft." (Gilomen, S. 94) Im zweiten und dritten Laterankonzil werden Wucherer mit dem Kirchenausschluss und dem Ausschluss vom christlichen Begräbnis bedroht, massiven Diffamierungen also. 1163 wird die Pfandsatzung zur Umgehung des Kreditverbotes verboten, 1185/87 der Kreditkauf zu erhöhtem Preis mit demselben Ziel, 1127/34 das Seedarlehen. (Gilomen, s.o.). Inzwischen werden Wucherverbote auch explizit für Klöster ausgesprochen.

 

Hatte man den Juden bislang selbst hohe Zinsen oft stillschweigend gestattet, so setzen nun nicht nur Pogrome gegen sie ein, die auch eine brutale Form der Schuldentilgung für Christen bedeutet, sondern es kommt zur Erlaubnis, Juden für die Finanzierung von Kreuzzügen zu enteignen. Darauf beginnt in England und Frankreich die periodisch stattfindende Enteignung von Juden auch durch die dortigen Könige, die Ende des 12. bzw. 13. Jahrhunderts in deren Vertreibung endet.

 

Was man den Juden nicht mehr erlauben will, wird den Finanziers aus Cahors, den Kawertschen der deutschen Sprache, und den Lombarden, also Norditalienern, zwar kirchlicherseits ebenfalls verboten, in der Praxis jedoch sind sie überall zwischen England, Frankreich und den deutschen Landen vertreten, und sie arbeiten für Bischöfe ebenso wie für weltliche Fürsten.

 

In genau der Zeit immer verschärfterer Wucherverbote und der Judenverfolgung in mehreren Ländern findet aber, und das wird wesentlich tiefgreifender, zugleich eine zunehmende Einschränkung dieser Verbote durch die Bestimmung von immer mehr Fällen erlaubten Gewinnes statt.

"Neben dem Risiko (periculum sortis) und der Ungewissheit (ratio incertitudinis) war dies ein tatsächliche erlittener (damnum emergens) oder ein virtueller, für die Zukunft als möglich gedachter Schaden bzw. entgangener Gewinn (lucrum cessans). Unter dem titulus morae konnte eine Entschädigung für Zahlungsverzug geltend gemacht werden (poena convntualis, interesse). War mit der Ausleihung eine Mühewaltung verbunden, so konnte dafür ein Lohn verlangt werden (stipendium laboris). Außerdem war eine Verzinsung bei Verwendung des Geldes durch Fürsten und Herren zur Prachtentfaltung (ad pompam) erlaubt." (Gilomen, S.95)

 

Diese vielen Möglichkeiten zur "christlichen" Erlangung eines Gewinns werden dann in der Wirklichkeit des späten Mittelalters das Kreditwesen und den Handel immer weiter vorantreiben.

 

1179 wird auf dem großen Laterankonzil festgestellt, dass Handel seinen Gewinn als Lohn aus dem Dienst zieht, den der Händler den Menschen leistet. Schließlich hat der Händler auch Auslagen, muss sich mühen und ein Risiko eingehen. Was weiter und noch von Thomas von Aquin beklagt wird sind sogenannte überhöhte Preise. Aber in der Praxis hat das dann mit dem sogenannten gerechten Preis  der christlichen Doktrin des frühen Mittelalters kaum noch etwas zu tun.

 

Glauben

 

Schon bei Augustinus gibt es die Vorstellung, dass einige Sünder in einer Art Fegefeuer von ihren Sünden gereinigt und so der Hölle am Ende entkommen könnten. Das Wort kommt im 12. Jahrhundert auf, nachdem sich die Christen mit dieser Vorstellung schon länger von der ewiger Verdammnis lösen. Das lateinische Purgatorium ist erstmals beim Erzbischof von Tours, Hildebert von Lavardin († 1133) nachweisbar. 1215 taucht es bei Guibert de Nogent auf:

Qua ex re mira Dei dispensatione fiebat, ut creberrimis ei visionibus, quos ille dolores in sua purgatione ferebat, patientissimis imaginationibus monstrarentur. (De vita sua, I,18) Hier kann seine Mutter in einer Vision seinen toten Vater in einem tiefen Brunnen leiden sehen und herausfinden, dass sie ihn mit gewissen Leistungen unterstützen kann auf seinem Leidensweg.

 

Kapitalismus und Christentum: Mit allgemeiner Geld- und Warenwirtschaft nimmt einmal der Wunsch nach einer berechenbaren Welt zu und damit auch einer, in dem das Aushandeln von Sünde und Strafe auf einer Art Markt stattfindet, auf den sich nun der Christengott einlässt.

 

Theologisch ausgearbeitet findet sich diese Vorstellung später bei Thomas von Aquin, und etwas weiter popularisiert wird sie mit Dantes 'Göttlicher Komödie'.

 

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Die Kunst, die Überreste von Heiligen "aufzufinden", wird nirgendwo so beherrscht wie im zukünftigen Santiago de Compostela. Aber auch anderswo ist man darin begabt. 1072 öffnet man in St.Paulin eine bis dato, wie es heißt, nicht zugängliche Krypta und entdeckt die Knochen von (sage und schreibe) 300 Märtyrern, von denen ein Teil der Thebäischen Legion angehört haben soll und ein Teil der gleichzeitigen Trierer Oberschicht. Wie man diese identifiziert hat, wird nicht angegeben. Man hofft auf eine lukrative Wallfahrt, was aber nicht funktioniert, dafür aber kann sich die Trierer Oberschicht nun mit ebenso heiligen wie vornehmen Vorfahren schmücken.

 

1111 wird ein Eberhard Abt von St. Eucharius bei Trier und beginnt bald mit dem Neubau der Abteikirche. Man hat mit dem Apostel Matthias inzwischen den einzigen im Blick, dessen Überreste nicht schon lokalisiert sind. Ein ganz richtiger Apostel ist er nicht, denn der angebliche jüdische Schriftgelehrte wird nur als Ersatzmann für den abtrünnigen Judas überliefert, aber immerhin...

Man lässt suchen und findet natürlich auch Knochen, die man zunächst verheimlicht, da man ihren Raub fürchtet. 1127 findet man sie bei den Bauarbeiten erneut, und sie werden nun öffentlich - wie auch immer - als die Reliquien dieses Apostels Matthias identifiziert. Das Kloster besitzt so das einzige Apostelgrab nördlich der Alpen, also Knochen von enormer Heiligkeit, deren Ruf sich bald weit verbreitet und aus dem Kloster einen Wallfahrtsort macht. Nach und nach entstehen im Westen und Süden der deutschen Lande Matthias-Bruderschaften. Bei Gelegenheit der Wallfahrt spenden die Pilger und vermehren so den Reichtum der ohnehin reichen Abtei. Seit Anfang des 13. Jahrhunderts taucht das Kloster dann zunehmend nur noch als Matthias-Kloster auf.

 

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Für Otto von Freising sind die Gelehrteren mit ihrem nachdenklicheren Vernunftgebrauch gefährdeter, was Unglauben angeht, denn

jene, die gemäß der menschlichen Vernunft über die Ursachen der Dinge philosophieren, lassen sich leichter durch vernünftige Argumente zur Leugnung des Glaubens verleiten (ut fidem negant) als durch Drohungen oder irdische Genüsse. (Chronica sive Historia)

 

Der große Fälscher von Urkunden im Interesse seines Regensburger Klosters Otloh von St.Emmeran, ein belesener Mann, fragt nach der Bedeutung des wortwörtlichen Sinnes der biblischen Texte, den er mit der Vortäuschung frommer Reden analog setzt, und der übertragenen Bedeutung, die erst den Sinn enthalte, und die wiederum der tatsächlichen Unfrömmigkeit vieler Menschen entspricht. Der Zweifel, der ihn plagt, muss so erst überwunden werden. (Liber de temptationibus suis)

 

Und auch das gibt es: Hildebert von Lavardin wird zwei Jahre vor Otto von Freisings Tod geboren. Vielleicht Schüler von Berengar von Tours, schafft er es hochgebildet bis zum Bischof von Le Mans und später von Tours. Anlässlich eines Rombesuches feiert er die antiken Reste der Stadt:

Hier bestaunen sogar die Götter die Bilder der Götter. / Und der geformten Gestalt gleichen, das wollen sie gern. / Götter mit solchem Gesicht vermocht' die Natur nicht zu bilden. / Wie von ihnen der Mensch herrliche Zeichen erschuf. (in: Neske, S.161)

Zwar formuliert er auch, dass die Stadt erst als christliche Metropole ihren vollen Glanz erreicht habe, aber in Form (als Distichon) und Inhalt (Bewunderung der "heidnischen" Antike) scheint sich vom christlichen Würdenträger der klassisch-heidnisch Gebildete abgespaltet zu haben.

 

Nach 1100 beginnen sich in einzelnen Personen Philosophie und Theologie/Religion in ganz langsamen und vorsichtigen Schritten auseinander zu bewegen, ein Vorgang, der seinen genialen Abschluss allerdings erst in Kants 'Kritik der reinen Vernunft' erhält. Das flankiert dann jenen Unglauben, der ohne philosophische Gedankengänge nur mit Hilfe des gesunden Menschenverstandes alles Wundersame und Seltsame am römischen Christentum als Unsinn ablehnt, jenen nämlich, der in genau dieser Zeit immer dogmatischer verhärtet auftritt: Jungfrauengeburt, Transsubstantiation, Auferstehung, ewiges Leben usw. (siehe die vielen Beispiele in Dinzelbacher, Unglaube).

 

Eine weitere Gruppe vermutlich innerer religiöser Indifferenz tut sich spätestens im 12. Jahrhundert unter der reichen und mächtigen Oberschicht italienischer Städte auf, eine Entwicklung, die in Richtung der "Renaissance" des 14. bis frühen 16. Jahrhunderts führen wird. Wahrnehmbar wird sie nur in der zunehmenden Abwesenheit kirchenchristlicher Äußerungen: Die Casa dei Crescenzi in Rom, wohl aus der Mitte des 12. Jahrhunderts, ist zum Glück noch erhalten, und stolz erklärt ihr Auftraggeber auf der Fassade, er wolle den decor des alten Rom renovare. Christliche Anklänge fehlen völlig (Wickham(2), S.237)

 

 

 

 

 

Verbürgerlichendes Christentum (ist umzuarbeiten)

 

Wenn wir nun durch die ersten elf, zwölf Jahrhunderte eines "Christentums" gewandert sind, dann haben wir gelernt, dass dieses bislang immer das gewesen ist, was die geistlichen und weltlichen Mächtigen den Menschen als solches vorgesetzt und mit Druck, Drohungen und Gewalt durchgesetzt haben. Es ist in stetem Wandel begriffen, hat aber auf jeden Fall mit dem armen Jesus der Evangelien kaum mehr etwas zu tun. Anders gesagt, die sogenannten Christen haben fast alle mit diesem Jesus nicht nur nichts "am Hut", sondern sie hätten ihn vermutlich sofort erneut umgebracht, wäre er noch einmal aufgetaucht.

Die wenigen Leute, die seine Botschaft mehr oder weniger ernst nehmen, und sich dabei nicht als "Heilige" von der Kirche instrumentalisieren lassen, werden schließlich ebenfalls verfolgt, sobald sie Aufsehen erregen, und zunehmend umgebracht.

 

Die Frage, die sich stellt, wenn man die Entstehung und Entfaltung des Kapitalismus je nach Gegend zwischen dem 10. und 13. Jahrhundert verfolgt und sich dabei immer bewusst bleibt, dass solch sogenanntes "Christentum", wie es die Machthaber durchsetzen, eine wesentliche Rahmenbedingung ist: Gibt es ein spezifisches "Christentum" dieser Zeit? Genauer gesagt, entwickeln die Träger dieser Entwicklung ein diesem angepasstes Christentum? Und noch spezifischer gefragt: Gibt es ein spezifisch stadtbürgerliches Christentum in der Frühzeit des Kapitalismus?

 

Der Versuch einer Antwort stolpert sofort über die Tatsache, dass es zum einen keinen klaren Bürgerbegriff gibt, weder in den Volkssprachen noch auf Latein (cives). Wenn wir nun einmal einfach postulieren, Bürger seien die gehobeneren unteradeligen Schichten in der Stadt, dann stolpern wir als nächstes über das doppelte Faktum, dass insbesondere im Mittelmeerraum sowohl Adel wie unteradelige Kreise kapitalistisch agieren wie auch darüber, dass erfolgreiche Kapitalisten "bürgerlicher" Art oft nichts mehr anstreben, als entweder in den Adel aufzusteigen oder aber ihn wenigstens so weit als möglich in seinen Lebensformen zu imitieren.

 

Die obigen Ausgangsfragen werden aber durch alle diese Widernisse eher noch spannender. Zum einen ist daran zu erinnern, dass die Kirche in ihrer Praxis selbst am entstehenden Kapitalismus partizipiert und zugleich mit einem gewissen Abstand hinter der Entwicklung des Kapitalismus herrennt, indem sie diesen einmal immer wieder ganz allgemein als Sünde der Habgier verurteilt, zum anderen aber ganz konkret legitimiert.

Zum anderen muss daran erinnert werden, dass die Menschen fast alle in ihrer Gier nach Reichtum und Macht spätestens seit dem 4. Jahrhundert nur das als "Christentum" hinnehmen, was dieser Gier keinen Abbruch tut.

 

Wir wissen heute wenig davon, was die (weltlichen) Städter im 11./12. Jahrhundert glaubten, aber um so mehr von dem, was ihnen als Glauben vorgesetzt wurde. Da ist der sich allem Verständnis entziehende dreifaltige Gott, der mehr straft als erlöst, weshalb gute Werke nottun. Da ist der Teufel, der zur Sünde verführt, Gott einer Unterwelt. Da sind die Sakramente, das Erlösungswerk der Kirche. Und da ist eine ganze Anzahl von sagenhaften bis legendären Geschichten aus dem jüdischen Leben und dem des Jesu und zunehmend auch von seiner Mutter. 

Das zentrale Ereignis, die Besuch des leeren Grabes an Ostermorgen, führt in unserer Schwellenzeit zu einer frühen szenischen Darstellung im Wechselgesang zweiér Chöre, dem der Frauen am Grabe und dem der Engel, die ihnen die Auferstehung verkünden, allesamt von Klerikern dargestellt. Auf dem Weg ins hohe Mittelalter werden daraus (immer noch von Priestern dargestellte) individuelle Figuren mit eigenen Kostümen und ersten Requisiten. Ganz langsam wird der Gesang durch gemessenes Sprechen abgelöst. Das neue Theater des lateinischen Christentums entsteht. (Werner Mezger in: Heinzle, S.210) Auf dem Weg ins späte Mittelalter kommen weitere biblische Szenen hinzu, die ihren Weg aus der Kirche heraus finden, bis sie am Ende dann von Laien gespielt werden.

 

Christentum löst sich so in der Stadt auf der einen Seite in wundersame Rituale auf, hinter denen sich unverständliche und wohl wenige interessierende Theologie verbirgt, und auf der anderen in eine Vielzahl von recht anschaulichen Geschichten, die im Gewand des jeweiligen Alltags dargestellt werden und so ein besonderes neues Theater hervorbringen. Noch besonderer wird, dass dieselben Geschichten ausführlich an den Kirchenwänden aufgemalt werden und sich am Ende von ihnen als Tafelbilder lösen werden.

Indem Heiligengeschichten dazu kommen, wird ein riesiger literarischer und bildlicher Propekt entwickelt, der nun wohl für Adel wie Stadtbürger wesentlich ihr Christentum ausmacht. Je anschaulicher diese Geschichten in ihre jeweilige Lebenswelt eingebunden werden, desto mehr wird wohl auch ihr Unterhaltungswert gestiegen sein. (Ich konnte noch vor wenigen Jahrzehnten solche Darbietungen in Süditalien und Sizilien beobachten).

 

Daneben lässt sich erkennen, dass in dieser Zeit Geschichten von Wundern und von Wunder vollbringenden Heiligen und ihrer Reliquien zu Gemüte geführt werden, deren Irrationalität jenseits aller Erfahrung die Vorstellungswelt eines entstehenden Bürgertums in zwei Sphären aufteilt: Die zweckrationale des Wirtschaftens und die irrationale des Glaubens. Stärker als die Aufspaltung der Herren in Gewalttätigkeit und christlichen Glauben, die durch milde Gaben besonders an die Kirche und durch Christianisierung der Gewalttätigkeit ausgeglichen werden kann, führt das bei Bürgern zur Dichotomisierung von Vorstellungswelten und zur Kompartmentalisierung von ganz unterschiedlicher Erfahrung.

 

Wenn wir die so unterschiedlichen Gruppen der städtischen Produzenten (Handwerker) und der Kapitaleigner betrachten, die zwar unterschiedlich wirtschaften, aber zunehmend dabei aufeinander angewiesen sind. dann lassen sich, sobald es dafür überhaupt Belege gibt, zwei Strategien erst erahnen und erst später dokumentieren. Sie sind beide nicht neu, sondern für das Christentum (wie auch in wohl geringerem Maße für die anderen Religionen) fast von Anfang an typisch, nur erreichen sie jetzt ein hohes Niveau: Es wird relativiert und kompartmentalisiert.

 

Es dauert, bis wir sehen können, wie die oberen Schichten des neuen Bürgertums sich die neuen adeligen Wertvorstellungen anverwandeln, in eigene verwandeln. Dabei entwickeln sie neben dem Ehrbegriff der adeligen Krieger Vorstellungen großbürgerlicher Ehrbarkeit. So entsteht mit dem bürgerlichen Gewerbe in der Stadt die bürgerliche Familie, die sich stärker aus den tradierten Verwandtschaftsbindungen heraushebt. Die Werte scheinen auf beiden Feldern die gleichen zu sein: Einhalten von Verbindlichkeiten, Sparsamkeit, Kalkulierbarkeit des Risikos, Planungssicherheit, Gleichstellung des Ansehens von Familie und Geschäft. Was für den Adel auf Gewalt basierende Macht ist, wird für den Bürger das auf den Geflogenheiten des Geschäftes basierende und sich langsam verschriftlichende Recht.

Wesentlich ist, dass weder die adelige Ehre (honor) noch die bürgerliche Ehrbarkeit irgendetwas mit originärem Christentum zu tun haben, sondern sich unabhängig davon entwickeln.

 

Das Geschäft und das Recht fördern eine neuartige, vernunftgeleitete Bewältigung des Alltags, die aus dem Sündenkanon der Kirche herauswächst und ihn durch einen neuen Katalog von rationaler begründbaren Tugenden und Lastern zu ersetzen beginnt. Da beide in der Stadt nebeneinander und eben auch räumlich getrennt existieren, beginnt eine Koexistenz zweier ihrem Wesen nach diametral entgegengesetzter Welten. Was den menschlichen Sexus betrifft, so wird seine Bedrohlichkeit zwischen Kirche und Bürgertum zunächst wohl unterschiedlich betrachtet: Während die Lust kirchlicherseits dem Menschen eine Erdenschwere gibt, die ihn von der Bewegung himmelwärts abzieht, wird sie bürgerlicherseits in seine Familie integriert, die zugleich das Geschäft ist. Nach und nach übernimmt die Kirche für ihre bürgerliche Klientel Aspekte dieser bürgerlichen Wertvorstellungen, was aber erst im 14./15. Jahrhundert durchschlagendere Wirkung bekommt.

 

Die Koexistenz zwischen kirchlichen und bürgerlich-geschäftsmäßigen Vorstellungen schafft im Bürgertum ein räumlich und zeitlich getrenntes Nebeneinander, in dem sich nach und nach die so gesehene Unabdingbarkeit, quasi Naturnotwendigkeit der Zwänge der Kapitalverwertungsprozesse herausstellt, von denen auch alle nichtbürgerliche Macht abzuhängen beginnt. Das Armutsideal wird für Kirche und Kloster reserviert (dort allerdings nicht sehr überzeugend nur umgesetzt), das Geschäft hingegen salviert sich mit Spenden und Wohltätigkeit. Am kirchlichen Festtag wird der Kirche gehuldigt, im geschäftlichen Alltag dem Geschäft. In öffentlichen Prozessionen wird die Einheit von Kirche und Bürgertum zelebriert, und indem nach dem Kriegertum und der Ehe nun auch das Geschäft "christianisiert" wird, das "Christentum" ihnen angeglichen wird, entfernt dieses sich immer mehr von den paulinischen und evangelischen Wurzeln des Christentums, um sich dann mit der Kirche darauf zu einigen, dass bürgerliche Ehrbarkeit und Christentum zusammengehören können – jene Ehrbarkeit, der der Jesus der Evangelien mit radikaler Ablehnung begegnet war.

 

Das, was beide Welten zusammenhält und von Kirche und Kloster unterstützt wird, ist der religiöse Aspekt vor allem der kleinbürgerlichen Gesellschaften, die oft aus christlichen Bruderschaften hervorgehen und neben archaischen Festritualen ihren eigenen christlichen Kult entwickeln, mit einem eigenen wundertätigen Heiligen und bald auch mit dem dazugehörigen Altar in einer mit der Gesellschaft verbundenen Kirche.

Kaum etwas wissen wir für diese Zeit von häuslicher Frömmigkeit der meisten, während die Herren längst dokumentierte private Kapellen und Altäre manchmal samt dafür zuständigen Kaplanen besitzen.

 

Neben den rituellen Mindestpflichten des Kirchenchristen, Taufe, Besuch der Messe, nunmehr bald auch Hochzeit und Beichte und schließlich kirchliche Beerdigung gibt es den ethischen (und übrigens jüdischen) Katalog der Zehn Gebote. Er hat mit den elementaren Vorstellungen des evangelischen Jesus wenig zu tun, der nur auffordert, ihm zu folgen, und selbst gelegentlich sehr eklatant alle möglichen jüdischen Vorschriften bricht und ihre Vorstellungen in ganz elementaren Bereichen verächtlich macht.

 

Um diesen Katalog und andere Vorschriften immer wieder zu brechen, was wohl bei Juden wie Christen eher alltäglich ist, wird einmal auf die antik-christliche Vorstellung von der Erbsünde zurückgegriffen: Die Sünde gehört zum Menschen wie das Amen in der Kirche. Fromme Gebote sind schön und gut, aber eben nicht immer einzuhalten. Da hilft dann die Kirche, indem sie Bußen verhängt, spätestens, wenn man erwischt wird.

Genau das gilt auch für die einzige spezifisch jesuanische Auffoderung, ihm nachzufolgen. Sie funktioniert wortwörtlich nicht mehr nach seinem Tod. Aber sie funktioniert auch für fast alle "Christen" nicht, denn sie wollen nicht als Arme bettelnd durch die Gegend ziehen und "Gutes tun". Nun möchte die Kirche aber auch selbst nicht, dass man das tun solle, denn im Zuge der Rejudaisierung des Christentums wurde schon früh festgestellt, dass es auch dem Christenmenschen als Untertanen der Kirche geziemt, sich fleißig zu vermehren und des irdischen Daseins mit aller Macht zu pflegen. Ansonsten gäbe es bald keine Kirche mehr.

 

Relativieren heißt also, zwischen dem eigentlich Richtigen und dem tatsächlich Falschen eine Versöhnung herzustellen, welche eben genau Aufgabe der Kirche ist.

Dabei wissen insbesondere die Reichen und Mächtigen, dass sie unentwegt mit dem Beistand der Kirche sündigen, weswegen sie im Angesicht des Todes und des großen Gerichtstages Spenden an Kirche, Kloster, an Arme und Kranke in ihre Testamente einbauen. Soweit bestimmt kaufmännisches Denken schon vor der Entfaltung des Kapitalismus das Verhältnis zum Christengott ganz ungeniert.

 

Kompartmentalisierung wiederum, das Leben in verschiedenen abgeteilten Sphären, bedeutet etwas anderes. Die beiden klassischen Abteile sind der öffentliche und der private Raum. Der private Raum ist zeitlich wie räumlich klein, er konzentriert sich auf die Familie und mehr oder weniger die Verwandtschaft und manchmal Freunde. Der große öffentliche Raum ist der der Machtausübung, des Geschäftes und der Arbeit. 

Eine solche Aufteilung in Abteilungen gibt es auch für die Religion. Räumlich wird sie beschränkt auf Kirche, Taufkapelle und Friedhof, dazu kommt die größere Öffentlichkeit der Prozessionen. Die Religion hat so ihre Orte, in denen sie meist auch als Zusammenkunft eine Art gesellschaftliches Ereignis ist. Für die vermutlich wenigen Frommen kommen dann noch abgeteilte Zeiten frommer Andacht dazu. Den Rest regiert das Geschäft (und die Welt produktiver Arbeit).

 

Das Besondere an der "stadtbürgerlichen" Religion ist das Maß, in dem sie gesellschaftsbildend wird. Nach allem, was hier heute wissen können, spielt Religion auf dem Lande bis tief ins sogenannte hohe Mittelalter nur eine geringe Rolle. Der Weg zur nächsten Kirche ist oft weit und es mangelnd an halbwegs ausgebildeten Priestern. Die wiederum können zufrieden sein, wenn ihre Schäflein halbwegs das Vaterunser herunterbeten können und wissen, dass der Teufel um jede Ecke lauert.

In den Städten wird das langsam etwas anders. Pfarrkirchen werden nun gemeinschaftsbildendes Zentrum des Stadtviertels, Kathedralkirchen neben dem Markt und bald auch dem Rathaus sind Mittelpunkt der Stadt. Vergesellschaftung in Bruderschaften, später Zünften und Gilden kreist um einen religiösen Fixpunkt, oft um einen eigenen Altar. Feste und Feiern sind fast alle religiös begründet. Der gemeinschaftsbildende Eid ist religiöser Natur.

 

Solche großen Feste können mit sehr weltlichen Festivitäten verbunden werden, wie der Vorgang des Fastenanbruchs und des Fastenbrechens und vor allem die Spektakel um Ostern und Pfingsten. Sehr weltliche Jahrmärkte und Messen werden gerne mit hohen Festtagen verbunden und manchmal nach ihnen benannt. Nirgendwo wie hier finden kirchliche und klösterliche Macht mit ihrem religiösen Anspruch und blankes Gewinnstreben und Geschäftemacherei zusammen.

 

Religion ist Brauchtum und Ritual und schmückendes Beiwerk. Sie begleitet das gesamte Regelwerk des Alltags wie die Feste. Genau deshalb dürften die religiösen Inhalte als selbstverständlich auch auf wenig Interesse stoßen: Mit dem Selbstverständlichen beschäftigt man sich nicht, man betreibt es einfach und möglichst gedankenlos. Es gehört in die Kirche und ist Sache der Priester und Mönche. Das nimmt mit den Kirchen- und Klosterreformen noch zu: Man erwartet von Priestern und Mönchen nun umso mehr Heiligkeit, um selbst weniger für sich beanspruchen zu müssen.

 

Kurz gesagt: Die Religion gehört in die Kirche und der Alltag ist - notgedrungen - weit jenseits davon. Man lügt, betrügt (auch sich selbst), geht ins Bordell oder bricht die Ehe, man tötet (oft auch im Auftrag), - und dann geht man in die Kirche, beichtet, zahlt einen Obolus und ist erleichtert. Das Leben geht weiter...

 

 

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Kein Wunder also, das die Häresien auf dem Weg ins Hochmittelalter ihren Ursprung in den Städten haben und aus dem bürgerlichen Milieu herkommen. Soweit sie nicht vernichtet werden, werden sie integriert in eine städtische Welt, in der die Kompartmentalisierung der „Gesellschaft“ in nebeneinander her lebende tatsächliche Gesellschaften stattfindet. Die Widersprüche finden aber nicht nur ihr mehr oder minder gedeihliches Nebeneinander, sie balgen sich auch unter der Oberfläche des Bewusstseins in jedem Einzelnen auf ihre Weise – aber möglichst nicht mehr offen. Die Mahnungen, die die obszön drohenden und zugleich skurrill unterhaltsamen Kleinplastiken an romanische Kirchen hefteten, verschwinden, und gotische Kirchen purifizieren ihren Figurenschmuck: Was als Mahnung bleibt sind die Darstellungen des jüngsten Gerichts, in denen auf der einen Seite die Erlösten bürgerlicher Rechtschaffenheit sich selbst sehen dürfen, während die Obszönitäten der Lasterhaften auf der anderen Seite ihren skurril-unterhaltsamen Aspekt verlieren und einer stärker sadistisch vernunftgemäß eingefärbten Strafmentalität unterzogen werden. Das Unterbewusstsein wird zunehmend unbewusster, auch wenn das Mühen kostet.

Ansonsten demonstrieren die gotischen Kathedralen vor allem den Triumph eines Bürgertums, welches nun im kirchlichen Rahmen seine Vorstellungen von Ehrbarkeit und Rechtschaffenheit als "Christentum" darstellen kann.

 

Aber stärker als in den Häresien und im Kirchenschmuck brechen die internalisierten Ambivalenzen in der neuen Literatur hervor. Im Tristan des hochgebildeten und vermutlich bürgerlichen Gottfried kulminiert der Sexus als raffinierter Eros und orgiastische erotische Phantasie eingebettet in einen quasi-sakralen Raum, dem zwar nicht der versteckte christliche Einfluss, aber jedes unmittelbar religiöse Gedankengut abgeht, in dem Kirche und Christentum Randphänomene bleiben wie bürgerliche Lebensformen, in einem Phantasialand erotischer Fluchten. Jenseits eines in einen Fiebertraum hochstilisierten gefeierten Eros verendet der Sexus aber im Schmerz, seiner extrem formulierten anderen Seite.

Was Gottfried verloren scheint, taucht bei ihm als Idealbild von Liebe, von rechter Minne im Tristan auf:

 

Ez ist vil wâr, daz man dâ saget:

«Minne ist getriben unde gejaget - Liebe ist vertrieben und verjagt

in den endelesten ort.»

wirn haben an ir niwan daz wort. - nur das Wort ist geblieben

uns ist niwan der name beliben - nur der Name

und han ouch den alsô zetriben, - und der ist zerredet

alsô verwortet und vernamet,

daz sich diu müede ir namen schamet

und ir daz wort unmaeret. - sie mag das Wort selbst nicht mehr

 

sî swachet unde swaeret

ir selber ûf der erde.

diu êrelôse unwerde,

si slîchet under hûsen biten - sie schleicht bettelnd herum

und treit von lasterlîchen siten - trägt...

gemanicvaltet einen sac, - einen mannigfaltigen Sack

in dem s'ir diube und ir bejac - wie Diebe und Bettler

ir selbes munde verseit - es sich vom Munde absparn

und ez ze strâze veile treit. - auf der Straße feilbieten.

ôwê! den market schaffen wir.

daz wunder trîbe wir mit ir - das Wunderliche...

und wellen des unschuldic sîn.

Minne, aller herzen künigîn,

diu vrîe, diu eine

diu ist umbe kouf gemeine! - die ist käuflich geworden

wie habe wir unser hêrschaft

an ir gemachet zinshaft! - bei ihr zum Gelderwerb gemacht

wir haben ein boese conterfeit - wir haben eine böse Fälschung

in daz vingerlîn geleit - an den Ring gemacht

und triegen uns dâ selbe mite. - betrügen uns selbst damit

ez ist ein armer trügesite, - es ist eine arme Lügensitte

der vriunden alsô liuget, - man belügt die Freunde

daz er sich selben triuget. - und betrügt sich damit selbst

wir valschen minnaere, - wir falschen Liebhaber

der Minnen trügenaere,

wie vergânt uns unser tage, - vergehen

daz wir unserre clage

sô selten liebez ende geben! - zu einem guten Ende bringen

wie vertuon wir unser leben

âne liep und âne guot! - ohne Liebe und Güte

nu gît uns doch daz guoten muot,

daz uns ze nihte bestât. - was uns nicht zukommt

swaz ieman schoener maere hât - was jemand an schöner Märe hat

von vriuntlîchen dingen,

swaz wir mit rede vür bringen

von den, die wîlent wâren weiland

vor manegen hundert jâren,

daz tuot uns in dem herzen wol

und sîn der selben state sô vol, - und sind dieses Zustands so voll

daz lützel ieman waere - dass selten jemand wäre

getriuwe unde gewaere - getreu und wahr

und wider den vriunt âne âkust, - nicht gegenüber seinem Freund

ern möhte sus getâne lust

von sîn selbes sachen

in sînem herzen machen. (Tristan, Kapitel 17, Zeilen 12279ff)

 

"Wie vertun wir unser Leben ohne Liebe und ohne Güte." In einer der schönsten Textpassagen aus der Blütezeit deutscher Literatur, die völlig ohne Gott, Christus und ewiges Leben auskommt, wird in Unterstellung früherer, besserer Gegebenheiten der Einfluss des alles durchsetzenden Kapitalismus  auf die Lebensverhältnisse am gravierendsten Beispiel deutlich gemacht: Sogar die Liebe ist, wie die Freundschaft, aus der sie hervorgeht, käuflich geworden und auf den Markt getragen. Das "Herz" wird vom Geld regiert, die innigsten Gefühle sind wohlfeil geworden.

 

Für die Herrenschicht so wie die Kirche ist Arbeit etwas Verächtliches. Entsprechend haben die Wörter für „arbeiten“ in einigen germanischen wie romanischen Sprachen die Grundbedeutung von Mühsal, Quälerei, Tortur. Da gegen entwickelt sich in den Städten ein „Arbeitsethos“ der Handwerker und Kaufleute (auf unterschiedliche Weise), während große Händler, die es zu Reichtum schaffen, versuchen, aristokratische Verhaltensweisen und Lebensformen nachzuahmen. Die Bevölkerung der Städte zerfällt dabei bereits bei deren Aufstieg in eine Oberschicht aus adeligen und nichtadeligen „Geschlechtern“, eine Mittelschicht aus Kleinhandel und Handwerk, und eine breite Unterschicht. Dabei entsteht von vorneherein keine „bürgerliche Gesellschaft“, sondern ein Konglomerat aus förmlichen und formlosen „Gesellschaften“, die nur punktuell zusammenfinden.

 

Das Christentum der Bürger verdünnt sich auch in dieser Beziehung in die schon erwähnte Kompartmentalisierung: Hier bin ich Geschäftsmann, dort frommer Christ. Die Geschäfte werden dabei „christianisiert“, indem sie einer gewissen Rechtschaffenheit unterliegen, und der Bürger der neuen Ehrbarkeit. Nach und nach gelingt es sogar, diese bürgerliche Ehrbarkeit und Rechtschaffenheit zum Kern christlicher Tugendhaftigkeit hoch zu veredeln. Die Kompartmentalisierung schafft aber auch einen vom geschäftlich-familiären Alltag abgetrennten Raum der Frömmigkeit, die darum bei wenigen intensiver, vor allem gefühlsintensiver werden kann.

 

Dem Zerfall des bürgerlichen Lebens in unterschiedliche Abteilungen ging ein anderer seit der Antike in Kirche, Eremitentum und monastische Bewegungen voraus. Letztere entstanden, um Jesu Gebot, ihm zu folgen, ernstzunehmen, was die übrige Christenheit und die Weltkirche selbst verständlicherweise ablehnten. Die Selbstversorgung der Klöster ließ diese spätestens in der benediktinischen Regel ein ganz neuartiges, so nie dagewesenes Arbeitsethos aus dem Geist religiöser Vorstellungen entwickeln: Arbeit als Dienst auf dem Weg zu Gott, streng reglementiert und geradezu paramilitärisch organisiert. Auf dem Weg ins hohe Mittelalter werden Klöster aber oft durch Schenkungen Großgrundbesitzer mit Scharen abhängiger Landbewohner, deren Verhältnis zum monastischen Herrn dem der Abhängigkeit und verhältnismäßigen Rechtlosigkeit von weltlichen Herren entspricht.

 

Den Klöstern als frühmittelalterlichen Herrschaftsbezirken analog zu denen der Bischöfe und der weltlichen Herren entkommen die in und für die neuen Städte entstehenden Bettelorden, die das Armutsgebot als Ablehnung jedweder Arbeit zur Selbstversorgung ansehen, - schließlich hatte sich Jesus offenbar auch als eher arbeitsscheuer Bettler ernährt. Sie knüpfen damit auch an jene städtische Armut im hohen Mittelalter an, die das Gebot der Caritas zum Erwerb arbeitslosen Einkommens und als ein zum Teil sich selbst organisierendes Gewerbe nutzte, bis der Bürgerfleiß anfing, sie zu vertreiben.

 

Wie Menschen allgemein Handwerk auf dem Weg ins hohe Mittelalter erlebt haben, ist kaum mehr aus Quellen ablesbar. Aus dem 12. Jahrhundert kennen wir vor allem den Reflex in den aufgeschriebenen Predigten von Bettelmönchen:

Berthold von Regensburg sagt in der schriftlichen Version:

Du Schuhmacher, du brennst die Sohlen und auch die Flecken und sagst: „Seht wie dick!“, wenn sie hart sind. Und wenn der Käufer die Schuhe dann trägt, so geht er kaum eine Woche darauf. Du Betrüger! Du betrügst manchen armen Menschen, denn die Reichen wagst du nicht zu täuschen. (Engel/Jacob, S. 274) Wenig später heißt es bei einem anderen Franziskanerprediger, Ludovicus: Ach, wie viele lügen und bekräftigen ihre Lügen sogar mit einem Eid, indem sie behaupten, dass es gute Ware sei, die sie verkaufen, obschon sie minderwertig ist; sie behaupten auch, teurer eingekauft zu haben und um einen geringeren Preis zu verkaufen. (Engel/Jacob, S. 276)

In den 'Occulta Erfordiensis' des ausgehenden 13. Jahrhunderts werden Schuster beschuldigt, Schafsleder für Ziegenleder auszugeben, auch wenn sie nur aus Hundsleder bestehen.

 

Solche Äußerungen, denen sich bald dann auch weltliche anschließen, lassen sich kaum quantitativ bewerten. Sie beschreiben die Möglichkeiten, die Markt und Warenkonsum für Betrug und Täuschung liefern und die entsprechend auch genutzt werden, wie sehr, lässt sich höchstens vermuten.

 

Es wird später zu untersuchen sein, wie die Zisterzienser selbst arbeitsfreies Einkommen durch neue Formen der Delegierung von Arbeit nach außen erzielen werden und dabei der Entwicklung des Kapitalismus ganz neue Impulse geben.

 

Alles in allem ist das neue Bürgertum aufgrund seiner weltlichen Fundierung nicht imstande, über die eigene Widersprüchlichkeit so hinwegzusehen wie Kirche und Kloster. In den Gaben von Spenden und Almosen bleibt ein Restbewusstsein einer Schuld, die insbesondere die wohlhabenderen Geschäftsleute abzutragen haben. Angesichts des Todes und der Bedrohung durch ewige Verdammnis äußert sie sich in Testamenten, in denen Teile des zusammengetragenen Vermögens und im Extremfall sogar das ganze an Kirche oder Kloster oder direkt an karitative Einrichtungen übertragen werden.

 

Der Handel befriedigt bekanntlich nicht nur Bedürfnisse, er weckt sie. Wenige Kulturen erwiesen sich einst als resistent gegen die Verlockungen von Tand und Flitter, von käuflichen Statussymbolen oder von Waren, die das Leben scheinbar vereinfachten, in Wirklichkeit aber neue Mühen hervorriefen, um an das Geld zu gelangen, um sie zu erwerben. Der Luxusbedarf der geistlichen und weltlichen Großen wurde zu einem Gutteil durch das Wiederaufleben des Fernhandels gefördert, und sobald es bürgerliche Reiche gibt, geht es ihnen genauso. Nicht durch den Stand und Status eines Fürsten oder Adeligen legitimiert, nehmen reiche Bürger durchaus die Ambivalenzen zwischen Verlockungen ihrer animalischen Natur (Begehren/Gier) und den Forderungen eines nicht kulturell vermittelten, sondern seit der Antike als Fremdkörper aufgesetzten Christentums wahr.

Während in der Kompartmentalisierung die Religion aus großen Teilen des Alltags hinausgedrängt wird, insbesondere aus dem Wirtschaften und aus den Betten (in denen sie vieleicht auch nie sonderlich zu Hause war), ist sie in der Internalisierung als drängender Widerspruch zwischen Norm und Verlockung im Schuldgefühl latent immer präsent. Unter der prächtigen Oberfläche gärt gelegentlich eine zerrissene Persönlichkeit, deren Energien zunehmend auch darauf gerichtet sein müssen, in den Befriedigungen, die Warenkonsum bietet, einen allerdings wenigstens vorrübergehenden Kitt zu finden. Vor den Reformationen bleibt allerdings immer ein Rest des Zweifels, ob Reichtum und möglichst viel davon das zentrale gottgewollte Ziel für einen Christenmenschen sei.

 

 

 Die Symbiose von Christentum und Handels-Kapital

 

Kapitalismus kann sich in der "christlichen" Welt des 10.-13. Jahrhunderts nur entwickeln, wenn sich ein Christentum entwickelt, welches sich mit solch handfestem irdischem Gewinnstreben versöhnt. Das wiederum wird nur geschehen, indem Kapitalverwertung sich mit christlichem Dekor versieht. Dabei kann dann, wie man am Beispiel des englischen Goderich sieht, sogar eine Heiligkeit herausspringen, deren Voraussetzung maximaler Gewinn ist.

 

***Goderich ("von Finchale")***

 

Der Abt Ailred von Rievaulx, der Goderich (1070-1170) selbst kannte, beauftragte den Mönch Reginald von Durham, dessen Heiligenvita zu schreiben. Das hatten vorher auch schon andere getan. Reginald besucht Goderich des öfteren in Finchale, und seine Vita macht, was dessen weltliches Vorleben angeht, den Eindruck relativ großer Seriosität. Hier nun Auszüge aus der dritten Version dieses Textes:

 

Beide Eltern waren von geringem Rang und Wohlstand. (vitam pauperem ducebant)… Als er die Kindheit hinter sich ließ, verfolgte er eine klügere Lebensweise, und begann sorgfältig und ausdauernd die Lehren weltlicher Vorausplanung zu erlernen. (coepit adolescentior prudentiores vitae vias) Dazu entschloss er sich, nicht mehr das Leben eines Bauern weiter zu führen, sondern die Grundlagen verfeinerter Vorstellungen zu studieren, zu erlernen und sich in ihnen zu üben. (Unde non agricultura delegit exercitia colere, sed potious quae sagacioris animi sunt, rudimenta studuit arripiendo exercere.) Weil er ein Händler werden wollte, begann er zunächst das Gewerbe eines Hausierers auszuüben, in dem er anfangs kleine Gewinne machte mit Gegenständen von geringem Preis. (Hinc est quod mercatoris aemulatus studium, coepit mercimonii frequentare negotium, et primitus in minoribus quidem et rebus pretii inferioris coupit lucrandi officia discere.)

Und dann, immer noch in seiner Jugend, machte sein Geist Fortschritte, indem er nun Dinge von größerem Wert kaufte, verkaufte, und dabei Gewinn machte. (Postmodem vero paulatim ad maioris pretii emolumenta adolescentiae suae ingenia promovere.) Er verbindet sich nun mit Kaufleuten in der Stadt. Bald profitierte der Junge, der sich viele anstrengende Stunden abgemüht hatte, von Dorf zu Dorf und von Hof zu Hof, so durch sein Alter und seine Kenntnisse, dass er nun mit Kollegen seines Alters durch Orte und Weiler reiste, durch Festungen und große Städte, zu den Märkten und den verschiedenen Buden der Marktplätze. (Nam et in primordiis per rura et villanos circumquaque positos coepit cum mercibus minutis pervagando circuire, postmodum vero paulatim se urbanis mercatoribus consociando confoederare. Unde in brevi contigit ut qui per villulas et rura diutius solebat pedibus lassabundis incedere, postea aetate similiter cum sapientiae maioris sagacitate crescente, cum sodalibus coaetaneis coepit per castra et castella, munitiones et civitates, ad nundinas per diversas fori venales officina, ad publica mercimonia exsequenda procedere.)

 

Sein Gewissen (conscientia) hat damit keine großen Probleme, denn er hatte als Kind das Vaterunser und das Glaubensbekenntnis gelernt und denkt oft daran. Außerdem kann man bereits erkennen, dass Gewinn hier auf Arbeit, ja, Mühsal beruht, eine Art moralische Verzierung von Gewinnstreben.

 

Schließlich reist er ins Ausland, zuerst nach St. Andrews in Schottland und dann das erste Mal nach Rom. Dann schließt er Freundschaft mit einigen jungen Leuten, die bestrebt waren, an Waren zu kommen. So segelt er oft von Britannien nach Schottland und wieder zurück. (Unde sapius de Britannia in Scotiam vadens et rediens)… Er begegnet zu See vielen Gefahren, aber Gottes Gnade (Dei providentia) bewahrte ihn vor dem Untergang. Denn Er, der den heiligen Petrus vor dem Untergang bewahrt hatte (conservaverat), als er auf dem Wasser ging, bewahrte mit derselben starken Hand sein auserwähltes Gefäß (vas electionis futurum) vor allem Unglück und solchen Gefahren. Deshalb wendet sich Goderich immer intensiverer Heiligenverehrung zu, und er erlernt immer neue Gebete, die er mit Erfolg einsetzt: creberrime expiriri solebat sibi promptae consolationis adesse... Indem er so immer höher und höher strebte, und von ganzem Herzen hoch hinaus wollte, trugen seine Mühen und Sorgen am Ende viele Früchte weltlichen Gewinns. (Tandem semper altiora appetens et ad proveciora cordis desiderio suspirans, de nimio labore sollicitudinum, multimodi provectus secularis assequi promeruit emolumentum.)

 

Inzwischen ist er auch Schiffer und bewegt sein Schiff nach Dänemark, Flandern und Schottland.… Und so machte er großen Gewinn in all seinen Geschäften und sammelt viel Gewinn im Schweiße seines Angesichts an. Denn er verkaufte an einem Ort die Waren teuer, die er anderswo billig eingekauft hatte. (De quibus singulis negotiando plurimum profecerat, et maximas opum divitias in sudore vultus suisibi perquisierat; quia hic multo venundabat quod alibi ex parvi pretii sumtibus congregaverat).

 

Dann kaufte er die Hälfte eines Handelsschiffes zusammen mit einigen Handelspartnern (cum sociis negatiatoribus), und wieder durch seine vorsichtige Klugheit (sua prudentia) kaufte er den vierten Teil eines anderen Schiffes.Auf die Dauer erwarb er sich durch seine Navigationskünste, in denen er alle seine Genossen übertraf, die Beförderung zum Posten eines Steuermannes.

 

Nun werden seine ganzen körperlichen Vorzüge und Talente beschrieben. Dann: Auf seinen verschiedenen Seefahrten besuchte er die Schreine vieler Heiliger unter deren Schutz er sich auf das allerfrömmste stellte, insbesondere in der Kirche von St. Andrews (domicilium Sancti Apostoli Andreae) … Auf dem Weg dorthin berührte er oft die Insel Lindisfarne, wo der heilige Cuthbert Bischof gewesen war, und die Insel Farne, wo der Heilige als Eremit gelebt hatte. … Von hieran begann er sich nach der Einsamkeit (solitudo) zu sehnen, und er schätzte seine Waren geringer ein (negotiandi lucra exinde paulo minus aestimare).

 

Jetzt hatte er sechzehn Jahre als Kaufmann gelebt, und er begann daran zu denken, die Güter, die er so mühsam erworben hatte, als Almosen zu geben, zu Gottes Ehre und Dienst (...in Dei famulatu atque obsequio exspendere proponebat). Er pilgert nach Jerusalem und auf dem Rückweg besucht er auch Santiago de Compostela. Bald darauf wird er eine Art Majordomus im Haus eines reichen Mannes in seiner Heimat. Als er seinem Herrn von den Missetaten der jüngeren Männer des Haushaltes (Viehdiebstahl zum Beispiel) berichtet, wehrt dieser ihn ab. Er verlässt also auch diesen Posten und pilgert nach St.Gilles und nach Rom. Als er später wieder nach Rom pilgern möchte, bittet seine Mutter mitkommen zu dürfen. Sie reisen nach London und sie waren kaum von dort abgereist, als die Mutter sich ihrer Schuhe entledigte und derart barfuß nach Rom reiste, und von dort barfuß zurück nach London. Der heilige Goderich, der demütig seiner Mutter diente, hätte sie gerne die ganze Strecke getragen.

 

Bald nach der Rückkehr verkaufte er alle seine Besitztümer und verteilte sie unter den Armen.(Coepit omnia quaesita vendere, pauperibuis eorum pretia erogare.) Nachdem er dann seinen Eltern von seinen Absichten erzählt und ihren Segen erlangt hatte, ging er fort an einen ungewissen Ort, nämlich dorthin, wohin ihn der Herr führen würde. Denn mehr als alles andere begehrte er das Leben eines Einsiedlers.

 

In den fast zweihundert Jahren nach der Beschreibung der Kaufleute von Tiel hat sich offensichtlich viel geändert. Da ist natürlich zum einen der vom entstehenden Kapitalismus und von der Kirche beförderte Zivilisierungsprozess und zum anderen die Zielperspektive Reginalds von einer sich entwickelnden Heiligkeit Goderichs, die sich alles aussucht, was da hinführt. Aber viel wichtiger ist etwas anderes: Es fehlt die Kritik des geistlichen Autors an der Sünde des Geizes bzw. der Gier, die nun einmal aus christlicher Sicht zu einem Kaufmann gehört, dessen erstes Augenmerk auf seinen sehr weltlichen Gewinn gerichtet ist. Vielmehr ist seine ganze Vita eine einzige Erfolgsgeschichte von Anfang an. Frühes kapitalistisches Erwerbsstreben führt (hier) zur Heiligkeit.

 

Goderichs prudentia erlaubt ihm den Schritt von der ehedem gottgefälligeren Landwirtschaft zum Handel und schließlich zu beachtlichem Reichtum, den der Autor als Weg zur Heiligkeit positiv beschreibt. Die frommen Eltern geben ihm nur das Vaterunser und das Glaubensbekenntnis mit auf den Weg, wohl in mündlicher Tradition, und diese Minimalformeln widersprechen offenbar inzwischen auch nicht einem Kaufmannsdasein, sein Gewissen bleibt rein. Das einzige, was da später noch dazu kommt, ist eine ausgiebige Heiligenverehrung und sind eine Anzahl weiterer vorgegebener Gebete, über die wir im  Detail nichts erfahren.

 

Goderich bleibt also in Unkenntnis der evangelischen Botschaft, und er kennt entsprechend den krassen Unterschied zwischen seiner und der dort propagierten Lebensform nicht. Das dürfte beim Autor seiner Vita anders sein. Da es sich dabei um eine geistliche Auftragsarbeit handelt, wird er wohl der Regel gefolgt sein, dass ein Heiliger in seiner Vita ein wenig bzw. ursprünglich (fast?) gar nicht sündiger Mensch zu sein hat. Aber um 1200 wäre es längst möglich gewesen, Heiligkeit auch aus der Abkehr von der Sünde zu beschreiben. Es wird deutlich dass sich inzwischen Heiligkeit und tugendhaftes (?) Kaufmannsleben nicht mehr widersprechen.

 

Christliche Heiligkeit hängt also nicht an der evangelischen Botschaft, sondern an der Anerkennung der magischen Qualität von Heiligtümern. Der vermutlich bis zum Schluss illiterate Kaufmann ist offenbar auch nicht von Priestern oder Mönchen ins Christentum eingeführt worden, sondern knüpft unmittelbar an die magischen Vorstellungen vorchristlicher Zeit an.

 

Nehmen wir an, dass Goderich selbst meint, ein christlicher Kaufmann zu sein und einer christlichen Seefahrt zu frönen, so bleibt immer noch, dass er nach damaligen Vorstellungen erst als älterer Mann davon ablässt, und erst als richtig alter Mann jenes Eremitenleben anstrebt, - was so etwas wie Heiligkeit bedeuten soll. Damit ließe er sich in jene mittelalterliche Vorstellung einreihen, dass Heiligkeit für Bürger und Adelige bestenfalls eine Sache des Alters sei, oder gar erst etwas, dem man sich angesichts des Todes zuwendet, - so wie Frömmigkeit und Kirchgang später einmal zu einer Sache alter Weiber werden wird.

 

Der geistliche Autor hält es nicht für Kompartmentalisierung, wenn Goderich den besten Gewinn herausschlagen möchte, und dann bei nächster Gelegenheit vor Anker geht, um am Ort der Reliquien eines Heiligen zu beten. Er findet es auch nicht problematisch, dass die zweite, zeitliche Kompartmentalisierung (erst weltliches, dann geistliches Leben) zwei Extreme gegeneinander setzt, Extreme deshalb, weil auf der einen Seite die Eremitage steht, die auch so etwas wie radikale örtliche Kompartmentalisierung als Abgrenzung bedeutet, und auf der anderen Seite die große weite Welt des seefahrenden Händlers.

 

Reginalds Bericht beruht angeblich nicht zuletzt auf den Worten des alten Heiligen selbst. Aber wir werden nicht erfahren, was in dessen Innerem tatsächlich vor sich gegangen ist. Frommes Handeln ist äußerlich, sichtbar, es fehlt die Darstellung innerer Bewegung. Vielleicht hat Goderich selbst keine Widersprüche wahrgenommen, was seinem geringen Christianisierungsgrad entsprochen hätte. Zwischen den frühen Heiligen der späten Antike und denen des hohen Mittelalters ist kaum noch Ähnlichkeit zu erkennen, was nicht verwundern kann. Goderich ist kein antiker Märtyrer, sondern ein erfolgreicher Geschäftsmann.

 

***Der guote Gerhard***

 

Rudolf von Ems schreibt wohl kurz vor 1230 die ausführliche Geschichte der Reisen und Abenteuer eines Kaufmannes, dem es gelingt, nicht nur reich zu werden, sondern damit zugleich ze himel wernde staetekeit, also ewigen Seligkeit zu erringen. Vielleicht hat dieser gute Gerhard etwas mit dem reichen und einflussreichen Gerhard Unmâze von Köln zu tun.

 

Hiram Kümper fasst die Geschichte so zusammen:

 

"Die (...) Reiseroute führt ihn über Russland und das Baltikum in das persische Sarand und schließlich nach Damaskus. Im dortigen Gefängnis trifft er auf eine norwegische Königstochter, die an die nordafrikanische Küste verschlagen wurde, als sie sich mit ihrem - durch den Sturm von ihr getrennten - Verlobten auf dem Rückweg nach England befand. Nun bietet der arabische Burggraf Stranmûr Gerhard an, die Königstochter gegen den enormen Kaufmannsschatz zu tauschen, und stellt ihm in Aussicht, der englische Bräutigam oder der norwegische Vater würden ihm die Kosten schon doppelt und dreifach ersetzen. Tatsächlich opfert Gerhard seinen Besitz - aber nicht, um ihn später zu mehren, sondern aus purer Nächstenliebe. Er nimmt die Königstochter auf seinem Schiff mit zurück nach Köln und verheiratet sie dort an seinen Sohn, weil der ihr ursprünglich Versprochene ja weiterhin als auf See verschollen gilt. Just in der Hochzeitsnacht taucht er jedoch auf. Aber weil unser Gerhard eben ein guoter ist, tut er auch in dieser neuen Situation das Richtige und bewegt seinen Sohn dazu, auf die Braut zugunsten der älteren Rechte zu verzichten." (Kümper, S.66)

 

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"Kunst"  (in Arbeit)

 

Die Kunst steht hier in Anführungsstrichen, um irgendwelchen Missverständnissen vorzubeugen. Den zugleich sehr vagen und dennoch sehr eingeengten Kunstbegriff seit dem 16. Jahrhundert, der bis ins frühe 20. Jahrhundert hineinreicht, gibt es bis ins sogenannte späte Mittelalter nicht. Kunst ist ganz allgemein Könnerschaft, und man ist nicht Künstler, sondern Gelehrter oder Handwerker; beherrscht man etwas davon, ist man Meister.

 

Wenn es dennoch hier eben nicht um Kunst im Sinne des hohen Mittelalters gehen soll, sondern um "Kunst", dann deshalb, weil diese sich damals ganz langsam anzudeuten beginnt. Sie ist ein Aspekt des Luxusbedürfnisses der Reichen und Mächtigen, zu denen in unserer Zeit in herausragender Weise viele Kirchen und manches Kloster gehören, ebenso wie manche Laien. Luxus wiederum dient primär der Zurschaustellung von Macht und Reichtum.

 

Von unserer Zeit hier sind vor allem Mosaiken, Fresken und Buchmalerei erhalten, zudem Feinschmiedearbeiten, solche aus Elfenbein oder Ton, und schließlich Skulpturen und Bauwerke insbesondere aus Stein. Die Masse des Erhaltenen ist religiöse "Kunst", einmal weil es über alle späteren Moden hinaus wegen seiner Tendenz zur Heiligkeit erhaltenswerter erschien, was aber eher ein seltener Grund ist, und zum anderen, weil Kirche und Kloster mehr von ihrem Reichtum in das, was manche heute sehr ahistorisch als Kunst betrachten, investierten.

 

Kirche und Kloster des 10-12. Jahrhunderts sind im wesentlichen weltliche Mächte, die diese sehr irdische Macht religiös begründen, und dafür weitgehend auf physische Gewalt verzichten. Die Vertretung ihrer (Macht)Interessen durch (durchaus auch ganz brutale) Gewalt überlässt sie überwiegend weltlichen Herren. Das Imponiergehabe des Waffengeklirres ersetzt sie durch möglichst beeindruckende Bauwerke und eine möglichst kostbare Ausstattung. Kirchengebäude dienen einmal der Inszenierung von magischem Zauber, und der lässt sich gut begleiten durch Gold und Silber, das Funkeln von Edelsteinen, das Leuchten damals reichlich teurer Wachskerzen und den benebelnden Duft des Weihrauchs. Zum anderen dienen Kirchengebäude auch der Indoktrination der mehr oder weniger Gläubigen, und da die theologischen Themen für sie unzugänglich sind, werden sie vor allem mit legendären Geschichten gefüttert, die als Illustrationen zugänglich gemacht werden. Eine naive Religion für das dumme Volk.

 

Die Zurschaustellung kirchlicher Macht geschieht vor allem dadurch, dass ein Teil der Kirchengebäude immer größer und höher wird. Kirchengebäude bestimmen die Silhouette einer Stadt wie die Moscheen des Islam. Kunst heißt Technik, nämlich immer größere und höhere Räume zu schaffen, die von Gewölben überspannt und an den Seiten abgestützt werden müssen. Schon das alleine verschlingt große Summen Geldes, die die Untertanen der Kirche aufbringen müssen, zusammen mit Großspenden von wohlhabenden Laien, die sich im engen Bündnis mit der Kirche sehen.

 

Soweit stellt der Kirchenbau wie seine Ausstattung außen und innen vor allem die Macht des in der Kirche versammelten Geldes dar. Aber im sogenannten hohen Mittelalter nimmt der Einfluss auf diese Baukunst einmal durch den Laien-Adel und zum anderen durch weltliche unteradelige Kapitaleigner und bald auch durch Handwerksbruderschaften zu. Sie stellen sich selbst dar, indem sie Mosaiken, Fresken, Statuen, eigene Kapellen und Altäre finanzieren. Dabei konkurrieren sie mit Geld und technischer Vervollkommnung um die Darstellung von Macht und Ansehen. Schon im 11. Jahrhundert finanziert amalfisches Großkapital die ungemein teuren Bronzetüren von Kathedralen. Kurz darauf stellt sich römisches Großkapital auf Mosaiken in den Kirchen selbst dar - in der Gesellschaft von Heiligen.

 

Im 12. Jahrhundert wird ein Stifterwesen Kennzeichen des neuen Adels in dem Maße, in dem er es sich leisten kann. Gestiftet werden Kapellen, Kirchen und Klöster, und in den gestifteten Kirchen wird um die Prächtigkeit der Ausstattung ganz irdisch konkurriert. Könige und Fürsten müssen dabei ihrem Rang entsprechend vorangehen. Das alles dient nicht nur den Eitelkeiten und dem honor der Mächtigen, sondern ist auch ein kleines Stück Wirtschaftsförderung und eben auch wesentlicher Aspekt der Entfaltung von "Kunst". Baumeister und Bauhandwerker (samt schierer Lohnarbeit) werden so gefördert, Skulpteure, Gold- und Silberschmiede für Kreuze und Reliquienbehälter, Schreiber und Buchmaler für Evangeliare, Psalter und andere fromme Bücher. Daran wiederum hängen Heerscharen anderer Arbeitskräfte, Arbeiter in Steinbrüchen, Holzfäller und Sägewerke, Silbererz fördernde Bergleute, Gold und kostbare Tuche verhandelnde Händler, Pergamenthersteller und die Halter von Herden, denen dafür das Fell über die Ohren gezogen wird, und und und. Gestiftete vorrangig religiöse Kunst gibt so den einen das Geld, welches den anderen (Bauern und Abgaben leistenden Bürgern) aus der Tasche gezogen wurde. Alles zu Ehren des (Kriegs)Gottes eines Kriegeradels und seiner Fürsten, die in ihrer Propaganda nichts als nur Frieden wollen.

 

Vom kirchlichen Raum strahlt dieses zugleich schmückende und propagandistische Handwerk auf die Laienwelt der Reichen und Mächtigen aus. Und da die legendären Erzählungen an den Kirchenwänden sich (insbesondere wenn sie dem Judentum entstammen) oft auch ganz weltlich sehen lassen, ist der Übergang zu weltlichen Themen fließend. Und die Vorstellungen, wie sich Edelmetalle, Edelsteine, Elfenbein und andere kostbare Materialien handwerklich aufhübschen lassen, sind im klerikalen und Laienraum ohnehin nicht verschieden.

 

Einen weiteren Einstieg in das, was viel später einmal unter Kunst verstanden werden wird, liefert die Aufwertung besonders technisch versierter ("Kunst")Handwerker. Sichtbar wird sie dort, wo sie im 11. Jahrhundert in Einzelfällen, und danach dann immer häufiger ihren Namen hinterlassen. Diese Handwerker werden langsam zu Kleinunternehmern mit einer Anzahl Angestellter, die beginnen, über einen gewissen Kapitalstock zu verfügen. Sie konkurrieren im wesentlichen über das technische Können, über welches sie verfügen, und welches spätere Zeiten dann ästhetisieren werden.

 

So wie in den Kleidermoden des Adels und der gehobenen städtischen Schichten ziehen die Moden auch in solche Bereiche des Handwerks ein. Baumeister und andere ("Kunst")Handwerker reisen viel und verbreiten dabei solche Moden. Als Kinder der Monetarisierung und Kommerzialisierung nutzen sie einen sich stetig erweiternden Markt der Eitelkeiten. Die aufeinander folgenden Moden der sogenannten Gotik sind dabei nicht zuletzt Phänomene eines technischen Fortschritts. Vor allem aber sind sie Kinder eines langsam aufblühenden Kapitalismus.

 

Kunst im Sinne des lateinischen 16.-18. Jahrhunderts ist etwas, was sich zwischen dem 11. und 15. Jahrhundert aus dem zunehmend eigenen Charakter technisch besonders versierter ("Kunst")Werke renommierter Handwerker entwickelt. Ihre Betrachtung gehört im 12. Jahrhundert noch fast ganz in den kirchlich-religiösen Bereich, in dem sie ihre wesentlichen Wurzeln hat. Genau wegen dieser Wurzeln wird solche Kunst bis ins 18. Jahrhundert weltweit einzigartig bleiben, und erst mit dem Untergang ihrer tragenden Kräfte wieder verschwinden.

 

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Kloster

 

Klöster dienen eigentlich nicht der Bereicherung von Äbten und Mönchen, die Privateigentum und Luxuskonsum abschwören, aber andererseits sind es auch Wirtschaftsbetriebe zumindest zur Selbstversorgung und spätestens im 11./12. Jahrhundert - wo möglich - zur Steigerung der Einkünfte, was nicht jedem Kloster gelingt.

In 'De administratione' schreibt Abt Suger von St.Denis 1140 an vorderer Stelle über die Vermehrung der Einkünfte seines Klosters. Darin wird deutlich, welche Wichtigkeit Besitz und Einkommen besitzen:

Während wir einst aus dem Dorf Tremblay entweder kaum oder niemals auch nur 90 Scheffel Getreide haben konnten, haben wir die Angelegenheit dahin gebracht, dass wir jetzt 190 Scheffel von unserem dortigen Meier bekommen. (in: Ertl, S.12)

Massiv beteiligt sind Klöster wie das seine auch an der von Historikern so genannten Binnenkolonisation seiner Zeit:

Bei Vaucresson bauten wir ein Dorf, gründeten eine Kirche und ein festes Haus und öoießen das unbebaute Land mit einem Pflug aufreißen. Welchen Wert dies haben muss, werden vorwiegend diejenigen verstehen, die sich bemühen, das Dorf zu bauen, da dort bereits 60 Bauern sind und viele immer noch zu kommen beabsichtigen. Jener Ort war früher eine Räuberhöhle, weil er allseits zwei Meilen Wildnis hatte. Deshalb verfügen wir , dass unsere Brüder daselbst Gott dienen, auf das an Orten, da vormals Drachen hausten, das Grün von Schilf und BInsenrohr aufgehe. (in: Ertl, S.63)

 

Nicht nur die Zisterzienser, sondern auch andere Klöster treiben mehr noch als weltliche Grundherren Modernizierung zur Effizienzsteigerung voran. Weinreben werden veredelt für besseren Wein, Obstbäume werden zur Erweiterung der Sortenvielfalt okuliert, in Kräuergärten werden mehr Gewürze kultiviert und zudem Heilpflanzen, deren Wirkung hier nun besonders studiert wird.

Dazu nehmen technische Innovationen hier früher zu: Dazu gehören schon seit längerem Kanal- und Stollenbau sowie der Bau von Aquädukten, Teichbau für die Fischzucht, Herstellung von Salzgewinnungsanlagen und der Bau von Wasser- und Windmühlen, auch solcher zum Walken und Stampfen zum Beispiel. 

 

Andererseits nähern sich manche traditionelle Benediktinerklöster dem Ruin. Das Kloster Stablo leidet laut einer königlichen Urkunde von 1140 unter dem

Schaden, dass die Ministerialen seiner Höfe ihre Ämter, das ist das Richter- und das Meieramt, als Lehen und nach Erbrecht besitzen wollten.  Daher komme es, dass die Anordnungen des Abtes und der Pröbste unwirksam blieben und die Hörigen des Klosters in Not gerieten. Das soll nun geändert werden und die Ämter dürfen auch nicht mehr vererbt werden. Entsprechend soll der Vogt sich nicht mehr Rechte des Abtes anmaßen. Und zudem werden die Grenzen der Bannmeile bestätigt, in denen niemand außer dem Abt irgendwelche Machtbefugnis, Gerechtsame oder Gerichtsbarkeit haben darf. (in: Franz, S.191)

 

Um die Mitte des Jahrhunderts berichtet der Abt von Fulda:

(...) wenn ein Laie einige Zeit einen Meierhof des Klosters in der Hand gehabt hatte, dann behielt er die besten Hufen für sich und vererbte sie seinen Söhnen nach dem Lehnrecht.  (...) Die Großen der einzelnen Landschaften nahmen sich von den in ihrem Bereich liegenden Klostergütern, soviel ihnen gut schien. (...) Die Ärmeren aber legten Neubrüche und Siedlungen in den Wäldern und Forsten, die dem hl. Bonifaz gehörten, an. Es gelingt dem Abt, von den Meierhöfen ein, zwei, drei oder mehr Hufen zurück zu gewinnen. (in: Franz, S.216)

 

 

***Zisterzienser***

 

Ein Robert (de Molesme) wird 1044 Mönch des Klosters Moûtier-la-Celle in Troyes, 1053 Prior, und 1068 zum Abt von Saint-Michel-de-Tonnerre, zwar cluniaszensisch, aber ihm offenbar nicht streng genug. Er kehrt nach Troyes zurück, wird dann Prior von Saint-Ayoul in Provins. Um 1074 laden ihn Eremiten in einem Wald in der Nähe ein, ihre Führung zu übernehmen und er gründet mit päpstlicher Erlaubnis mit ihnen die Abtei Molesme. 

Er soll laut Ordericus Vitalis um 1094 seinen Mönchen erklärt haben, sie befolgten die Regel Benedikts nicht mehr, seien auf Reichtum aus und ein bequemes Leben. Die weisen das empört von sich. Robert zieht sich in ein kleines Kloster in der Nähe zurück, muss aber auf päpstliche Anweisung in seine Abteil zurückkehren. 1098 zieht er mit mehreren anderen aus dem Kloster aus und gründet in einer "Einöde" das Kloster Citeaux. Dem Regelbruch des Auszugs wird das Argument entgegengestellt, dass der Grund Regeleinhaltung sei (rectitudo regulae im 'Exordium parvum'). Erstaunlicherweise unterstützt der päpstliche Legat und Erzbischof von Lyon nun das Vorhaben.

Herzog Odo I. von Burgund schenkt ihnen nicht nur das Land, sondern finanziert auch den Bau der Abtei.

Robert muss nach einem Jahr wieder zurück nach Molesme, und in Citeaux ist ein Mönch Alberich Abt und dann ab 1109 der Engländer Stephen Harding.

 

Die Gemeinschaft möchte nicht mehr von den bislang üblichen Einkommensquellen leben, der Arbeit der abhängigen Bauern und den Abgaben, die sie leisten, nicht einmal vom Zehnten der eigenen Kirchen. Vielmehr wollen sie ihren Unterhalt aus der Arbeit auf ihrem eigenen Grund und Boden gewinnen. Schenkungen nehmen sie gerne an, bewirtschaften sie aber dann nur direkt.

Und direkte geistliche Gegenleistungen, wie sie für Cluniaszenser elementar wichtig sind, lehnen sie wie die Franziskaner bald ab, halten das aber dann nicht durch. Von dem englischen Heinrich II. ist überliefert, dass er als Buße für die Ermordung von Erzbischof Thomas von Canterbury (1179) nicht nur an Grandmontenser und Fontevrault (und andere) viel Geld stiftete, sondern auch 2.000 Pfund Silbergeld an Zisterzienser.  

 

In der von Harding entworfenen  'Carta Caritatis Prior' von vor 1119 heißt es:

In diesem Dekret bestimmten die genannten Brüder und legten für ihre Nachfahren fest, um einem künftigen Bruch des gegenseitigen Friedens vorzubeugen, durch welchen Vertrag, auf welche Art und Weise, ja vielmehr mit welcher Liebe ihre Mönche, dem Leibe nach auf Abteien in verschiedenen Weltgegenden verstreut, dem Geiste nach unzertrennbar miteinander vereint bleiben sollten. Diesem Dekret wollten sie den Namen Carta Caritatis geben, denn es schließt jede Belastung durch Abgaben aus und hat so allein die Liebe (caritas) und das Wohl der Seelen (animae utilitas) in göttlichen und menschlichen Dingen zum Ziel. (in Zisterzienser, S.29f)

 

Im selben Text wird die radikale Vereinheitlich des Alltags in allen Klöstern festgelegt, nämlich dass:

die Bräuche, ihr Gesang und alle für die Gebetszeiten bei Tag und Nacht und für die Messe notwendigen Bücher, mit denen des Neuklosters übereinstimmen, damit in unseren Handlungen keine Uneinigkeit herrscht; vielmehr wollen wir in der einen Liebe, unter der einen Regel und nach den gleichen Bräuchen leben. (s.o., S.92)  

 

Aus dem Kapitel von Citeaux entwickelt sich mit den Neugründungen das Generalkapitel, in dem die Äbte aller Klöster gemeinschaftlich alle Angelegenheiten des so gegründeten ersten großen Ordens besprechen und entscheiden.

Die immer neuen Tochter- und Tochterstochtergründungen der Zisterzienser werden dadurch zusammengehalten, dass alle dieselben Gewohnheiten wie dort streng einhalten, was von den Äbten der jeweils übergeordneten Klöster regelmäßig überprüft werden soll. Einmal im Jahr sollen sich alle Äbte in einem Generalkapitel treffen, welches Äbte bei Verfehlungen auch absetzen kann. Ein wenig ist das Ganze wie eine große Firma organisiert. Die Autonomie des Klosters im Sinne der Benediktregel ist soweit abgeschafft, anbdererseits sollen sich die Klöster ihren eigenen Abt selbst wählen.

Ein Triumph für den Orden wird dann, als mit Eugen III (1145-53) ein Zisterzienser Papst wird. Am Ende der Stauferzeit ist die Zahl ihrer Klöster bereits auf 647 angestiegen, womit sie fast schon ihre Höchstzahl erreicht haben.

 

Visitationen sollen über die Einhaltung der Ordensregel wachen. Aber in der Anfangszeit stagniert die Ausbreitung der "Zisterzienser" etwas, bis sie von Bernhards charismatischem Auftreten und seinen Texten Schubkraft erhält. 

 

 

1112 tritt Bernhard mit sechs seiner Brüder, einem Onkel und über zwanzig anderen jungen Männern in Citeaux ein. Im 'Exordium Magnum' heißt es:

Denn Gott in seiner Gnade sandte der Gemeinschaft zu ein und derselben Zeit so viele gebildete und vornehme Kleriker und ebenso Laien, die in der Welt mächtig und angesehen waren, dass dreißig gleichzeitig mit Eifer ins Noviziat traten. (in Zisterzienser, S.32)

Die adelige Mitgliedschaft wird überwiegend bleiben und vor allem auch in den höheren Ämtern dominieren.

Bernhard befleißigt sich einer so strengen Askese mit unzureichender Ernährung, das er immer wieder gesundheitliche Beeinträchtigungen erleidet.

 

Nachdem Harding 1113 das Tochterkloster La-Ferté-sur-Grosne und 1114 Pontigny, folgen 1115 Morimond und clara vallis, Clairvaux, nach dem Bernhard dann benannt wird, da Harding ihn dort zum Abt bestimmt, was er bis 1153 bleibt. Die Frühzeit des Zisterziensertums wird bald von seinem Auftreten und seinen Texten beherrscht. Zu Lebzeiten gründet er alleine von Clairvaux aus 68 Tochterklöster, die zu den 345 übrigen Zisterzen hinzukommen. (Gleba, S.132) 

Für den deutschen Raum wird Kamp am Niederrhein ab 1123 besonders wichtig, da von dort Dutzende weitere Töchter entstehen.

 

Dass die frühen Zisterzienser Wert auf adeligen Rang und eine gewisse Belesenheit legen, belegt für die Folgezeit Ordericus Vitalis: Viele edle Krieger und tiefsinnige Philosophen (nobiles athletae et profundi sophistae) strömten zu ihnen wegen der einzigartigen Neuheit ihres Lebens. Bildung wird aber bei den Zisterziensern eher auf das Lesen geistlicher Texte zurückgefahren, was für ihre Bibliotheken einen geringeren thematischen Umfang bedeutet. Sapientia wird über scientia gestellt, was die Bettelorden hundert Jahre später deutlich ändern werden.

 

 In seiner 'Apologia ad Gullelmum abbatem' wendet er sich um 1125 an Wilhelm von Thierry gegen cluniaszensische Gewohnheiten. Da ist von gewaltigen Fischmengen die Rede, da werden vier oder fünf Gänge verschlungen. (20) Wenn aber die Adern vom hineingeschütteten Wein voll sind, und der Kopf ihnen schwankt, stehen sie dann nicht vom Tisch auf nur um zu schlafen? (21) Der ganze Kirchenschmuck wird abgetan, der bislang bei Benediktinern eher zum Glauben anregen soll:

Was will aber in den Klöstern, vor den Augen der lesenden Mönche, jene lächerliche Ungeheuerlichkeit, jene seltsam unschöne Schönheit und schöne Unschönheit? Was wollen die unreinen Affen, die wilden Löwen, die missgestalteten Kentauren, die Halbmenschen, die fleckigen Tiger, die kämpfenden Soldaten, die hornblasenden Jäger? Du kannst viele Körper mit einem einzigen Kopf und auch einen Körper mit vielen Köpfen sehen. Ein Vierfüßler hat einen Schlangenschwanz, ein Fisch den Kopf eines Vierfüßlers. Ein Tier ist vorne ein Pferd, hinten aber eine Ziege, und ein Tier mit Hörnern hat wiederum die hintere Körperhälfte eines Pferdes. Die Vielfalt der verschiedenen Formen ist so reich und so seltsam, dass es angenehmer dünkt, in den Marmorsteinen als in den Büchern zu lesen und man den Tag lieber damit verbringt, alle diese Einzelheiten zu bewundern als über Gottes Gebiot nachzudenken. (in: Gleba, S.130)

 

Innerlichkeit als Abschließung von der äußeren Sinnenwelt formuliert Bernhard so: Schließe die Fenster, verriegle die Zugänge, verstopfe sorgfältig die Löcher! So wirst du, wenn kein neuer hinzukommt, den alten Schmutz wegputzen können. (Ad clericos de conversione). Die Augenlust wird zum Feind des Glaubens. Bernhard selbst hält sich ungefähr seit 1130 so wenig mehr an die stabilitas loci wie schon zuvor die Äbte von Cluny. Vielmehr reist er viel herum, vertritt dabei das Ideal der Rittermönche wie auch den zweiten Kreuzzug, tritt gegen Abaelard auf und agiert viel "in der Welt".

 

Überhaupt wird die Idee immer deutlicher, Frömmigkeit durch Verinnerlichung mit Einfachheit des Äußeren zu verbinden. Der fehlende Kirchturm soll von der üblichen Adelskirche lösen, und die Funktionalität der Klosteranlage soll die Gleichförmigkeit des Klosterlebens mehr verdeutlichen als ein allen gemeinsamer Bauplan. Bauliche Besonderheit werden die getrennten Chöre für Mönche und Konversen, ergänzt durch getrennte Kircheneingänge, wobei allerdings beide beim Stundengebet und den Messen gleichzeitig anwesend sind. In Norddeutschland gehören die Zisterzienser zu den ersten, die Backsteinbauten errichten, also mit seriell produziertem (Kunst)Stein arbeiten.

Die Wände der Kirche sollen kahl bleiben, ohne Fresken und Tafelmalerei, (fast) ohne Skulpturen bis auf Marienstatuen. Bunte Glasfenster und die skulptierten bildhaften Kapitelle sollen fehlen wie auch kostbare Fußböden. Während spätere Abbildungen von der Bautätigkeit der Mönche künden, übernehmen sie doch nur eine grobe Bauleitung und lassen Spezialisten arbeiten.

Liturgische Geräte sollen fast alle nicht silbern oder golden sein, wie die 'Capitula' vorschreibt. Im Laufe der Jahrzehnte lässt sich das allerdings immer weniger durchhalten, insbesondere wenn solch kostbar-prächtiges Gerät als Schenkung dazukommt. Dasselbe gilt für Handschriften, die zunächst nicht illuminiert sein dürfen, aber dies dann doch bald des öfteren sind.

Das alles wird auf die Dauer nicht durchgehalten, wie schon Caesarius von Heisterbach belegt. Dabei muss man überhaupt sehen, dass Bernhard zwar sehr einflussreich ist, aber doch eher eine Extremposition im Orden vertritt.

  

Die erheblichs ausgeweitete cluniaszensische Liturgie wird textlich eingeschränkt, um dem einzelnen Text des Stundengebetes wieder mehr Bedeutung zu geben. Tonumfang und Verzierungen beim Gesang werden zurückgenommen wie auch die einsetzende Mehrstimmigkeit mit ihrer Kopfstimme.

Die memoria der Stiftertoten und die dazugehörigen Armenspeisungen werden gegenüber den Cluniaszensern dadurch massiv eingeschränkt, dass das individuelle Totengedenken durch pauschale Gebete an wenigen Tagen ersetzt wird.  Stifterbilder und Wappen werden zunächst untersagt, was sich gegenüber ihnen nicht durchhalten lässt. Tatsächlich werden dann Zisterzienserklöster wie Fürstenfeld für die Wittelsbacher und Doberan später für die Herzöge von Mecklenburg eine Art fürstliche Hausklöster mit der Begräbnisstätte für die Familie. Zudem wird immer mehr dem Wunsch von Laien nachgegeben, auf den Friedhöfen der Klöster begraben zu werden. 

Das Essen wird vereinfacht, Weißbrot wird in der Regel bald verboten, ebenso wie Fett und Fleisch, außer für Kranke, Konversen und Lohnarbeiter. Teure Gewürze wie Pfeffer sind ebenfalls untersagt. Das Schweigegebot wird strikter eingehalten.

 

Die Kritik blieb bald nicht aus. Ordericus Vitalis schreibt: Viele edle Gottesstreiter und Sucher tieferer Wahrheit laufen ihnen zu wegen der Neuheit ihres ausgefallenen Auftretens (…) Unter die guten Menschen mischen sich aber auch die Heuchler, die (…) die Menschen betrügen und dem Volk ein gewaltiges Theater vorspielen. (in EhlersOtto, S. 96) 

 

Die Tendenz zu Einfachheit und Schmucklosigkeit hilft natürlich dabei, Einkünfte zu kapitalisieren. Was bei den Cluniaszensern noch Schatzbildung ist, wird nun für Investitionen frei. Die vielen Neubauten verschlingen viel Geld, und so werden nur schon bestehende Klöster in den Orden aufgenommen, die wirtschaftlich solide sind. 

Aber zumindest in der Anfangszeit bedeutet der Vorrang innerer vor äußeren Bildern eine auf Vorstellungsvermögen beruhende gesteigerte Sensibilisierung des Nervenkostüms, die sich in Visionen niederschlagen kann - wenn schon keine wirkliche Gefühlsintensität.

 

 

Zisterzienser siedeln im Westen und auch in deutschen Landen oft auf Schenkungen bereits erschlossenen Kulturlandes. Nicht nur in Spanien werden sie zur Stärkung fürstlicher Herrschaft etabliert. Ramón Berenguer IV stiftet so zusammen mit hochadeligen Familien wie den Montcada die bald mächtigen Klöster von Poblet und Santes Creus in Katalonien, wobei sich die enge Verbindung zum Herrscherhaus bei ersterem noch heute deutlich erkennen lässt, und in Galizien werden ähnliche königliche Privilegierungen gemacht.

 

Vor allem im zunehmend deutschen Osten siedeln die weißen Mönche auf den immer noch großen Flächen sogenannten Ödlandes, von Heide, Wäldern, Marschen, Sümpfen. Während sie selbst ein Leben als „Religiöse“ führen, lassen sie ans Kloster angeschlossene Laienbrüder, die Konversen, die Arbeit gegen Kost und Logis verrichten. Daneben arbeiten diese auf entfernten Höfen, den Grangien, unter Leitung eines Mönches.

 

Diese Wirtschaftshöfe sollen laut laut Statuten in der Nähe der Klöster liegen, damit die Mönche von dort in ihre Klosterkirche eilen und ihren Gebetspflichten nachkommen können, was bald nicht mehr so stimmt. Die Höfe sind mit Wohngebäuden, Scheunen und Ställen ausgerüstet, zudem mit Backstuben, manchmal mit Brauhäusern und vor allem oft auch mit Mühlen, die zum Mahlen von Getreide, Nüssen und Oliven verwandt werden, aber auch als Walk-, Loh- und Sägemühlen. Die Lohe wird für die Gerberei verwendet. Zunächst sind Werkstätten für den Eigenbedarf an Kleidung, Schuhen und anderem an das Kloster angeschlossen, aber es gelingt des Öfteren, Überproduktion zu erzielen und handwerkliche Produktion ganz auf die Grangien zu verlagern.

Dort wird auch gelegentlich Holz zu Holzkohle verarbeitet, Eisenerz wird gewonnen und verhüttet. Salz und Steinkohle werden, wo vorhanden, abgebaut. 

 

Konverse sind (mindere) Mönche in einer Gemeinschaft neben den Mönchen, mit weniger geistlichen und mehr weltlichen (Arbeits)Pflichten versehen. Ihr Bildungsgrad war unwichtiger und so konnten zum Beispiel nicht mehr erfolgreich wirtschaftende Bauern oder Bauernsöhne hier ein Auskommen finden. Auf die Dauer konnten Klöster mehr Konverse als Mönche haben.

 

Zusätzlich stellen die Mönche auch Lohnarbeiter ein und nutzen die freie Arbeit von „Gästen“. Lohnarbeiter werden bei ihnen als eigenständige Gruppe so genannt und treten damit zum ersten Mal auch auf dem Lande ins Blickfeld.

 

Bereits im Verlauf des 12. Jahrhunderts werden Grangien aber auch verpachtet und nicht mehr selbst bewirtschaftet. 1208 wird das für Einzelfälle vom Generalkapitel bereits erlaubt. Im 13. Jahrhundert beginnt dann der Rückgang der Konversenzahlen, was den Übergang zur Rentenwirtschaft beschleunigt. Zunehmend wird nun auch Lohnarbeit eingesetzt.

 

Damit fallen Zisterzienser von vorneherein aus den benediktinischen Klosterlandschaften mit ihren „feudalen“ Strukturen heraus, da sie weder Fronarbeit noch abhängige Bauern kennen. Aber beim Aufstieg ihrer Kloster als frühkapitalistischer Einrichtungen schwindet der benediktinische Sinn der Arbeit als Selbstversorgung. Wirtschaften wird zunehmend mit Marktgeschehen und Gewinnstreben verbunden. Sogar Darlehensgeschäfte können dabei eine gewisse Rolle spielen: Kapital wird so in Produktion, Handel und Bankierstätigkeiten in einer Hand investiert.

Klöster vergeben dabei Kredite gegen Land als Pfand, dessen Nutzung den Mönchen bis zur Rückzahlung zugestanden wird, womit sie das selbstgesetzte Wucherverbot umgehen.  

 

Die Klöster auf dem Lande dringen dadurch in die Städte, legen dort große Niederlassungen mit stattlichen Bauten an und nehmen so auch an den Machtspielen in der Stadt teil. Im jährlichen Generalkapitel spielt darum das Wirtschaften eine immer zentralere Rolle.

Für die Bauern im Umfeld der Klöster sind die Gründungen oft ein Problem. Anstelle der Streubesitzungen traditioneller benediktinischer Klöster treten große kompakte Flächen von Grundbesitz, die mit den kleinen Flächen von Herren abhängiger Bauern kollidieren und auf diese Druck ausüben. Zumindest erwähnt das Manzano so für Galizien (Manzano, S. 358f).

 

Nach und nach werden die Beziehungen zur weltlichen Macht nicht nur als Stifter und Spender immer wichtiger. Sie sind schon gegen Ende des 12. Jahrhunderts als Gäste der Äbte willkommen und wohnen dann im 13. Jahrhundert nicht mehr in dem gewöhnlichen Gästehaus, sondern beim Abt in dessen nun abgetrenntem und zunehmend herrschaftlichen Gebäude. 

 

Die fehlende Grundherrschaft führt dazu, dass Zisterzienser zu idealen Partnern von Fürsten beim Landesausbau und bei der Ostkolonisation werden, wobei sie in letzterer neben den Prämonstratensern von herausragender Bedeutung sind.

 

Ein frühes Beispiel ist das 1127 von einer Adeligen gegründete Kloster Walkenrieth am Südhang des Harzes, für welches sie Mönche aus Kloster Kamp (Niederrhein) holt. Mit dem Bach Wieda und der Nähe zum Harz waren Voraussetzungen für Ansiedlung und wirtschaftliche Entwicklung gegeben.  Lothar III. von Süpplingenburg bestätigt 1132 die Klosterstiftung und im selben Jahr wird das erste Tochterkloster Pforta bei Naumburg gegründet.

Um 1144 locken die Mönche Flamen mit dem Versprechen niedriger Abgaben an und beschäftigen sich ihnen mit der Trockenlegung und Urbarmachung des Oberen Rieds in der Helmeniederung am südlichen Harzrand, der heutigen Goldenen Aue. In unmittelbarer Nähe des Klosters legen die Mönche ein System von wohl deutlich mehr als 16 Fischteichen an. Fisch ist nicht nur klösterliche Hauptspeise, sondern auch wichtiges Handelsprodukt.

 

Auch durch finanzielle Unterstützung durch Kaiser Lothar III. wächst das Kloster schnell weiter. Ab etwa 1150 besitzt Walkenried rund 30 Grangien und sechs Stadthöfe am südlichen und später auch am nördlichen Harzrand, sowie eine Grangie bei und einen Stadthof in Würzburg. 1209 gestattet Kaiser Otto IV. die abgabenfreie Nutzung eines Hofes in Nordhausen, dem Kaiser Friedrich II. 1219 Freiheit "von allen Abgaben, Leistungen und Zöllen an das Reich und an die Stadt" gewährt. (Mägdefrau, S.140)

 

Man betreibt Bergbau und Verhüttung am Rammelsberg und im Harz vor allem. 1237 gestattet der Graf von Honstein, auf seinem Gebiet eine Hütte zu errichten und befreit sie von Kupferzins und Schlagschatz,

Neben Landwirtschaft und Bergbau wird später auch die Geldwirtschaft wichtig. Mehr als zwei Jahrhunderte lang sind die Walkenrieder Mönche Berg- und Hüttenherren im Harz und besitzen umfangreiche Waldgebiete vor allem zur Herstellung von Holzkohle für ihre Kupferhütten. Das Kloster wird zu einer Art großer kapitalistischer Mischfirma mit rund 100 Mönchen und über 200 Konversen im 13. Jahrhundert. Aufgrund seiner wirtschaftlichen Tätigkeit ist das Kloster Walkenried  einem der reichsten und politisch bedeutendsten Klöster der Zisterzienser.

 

1132/37 wird mit Mönchen aus Walkenried das Kloster claustrum apud Portam bei Naumburg gegründet. Die Landwirtschaft macht das Kloster schnell reich und

schon 1209 gehören 27 Orte mit einer Gesamtanzahl von 163 Hufen dazu, zusammen mit Waldungen und Wiesen. Später wird die Abtei durch Erbschaften, Schenkungen und Kauf einer der größten Grundbesitzer im nördlichen Thüringen und seine Schafherden in den Tälern von Saale und Unstrut geben genug Wolle für Wollhandel im Großraum her.

 

 

Dabei wirken viele solcher Klöster im Zuge der Zivilisierung als Nuklei für Städte und ersetzen zunächst deren wirtschaftliche Bedeutung. Nordöstlich des thüringischen Mühlhausens hat das auf dem Grund einer Reichsburg von Kamp aus gegründete Kloster Volkenroda durch Privilegierung das Recht, einen dreitägigen Jahrmarkt (forum annalis) abzuhalten.

Das mecklenburgische Doberan ist im 13. Jahrhundert sogar im Besitz zweier Schiffe, mit denen Heringsfischerei betrieben wird und das pommersche Kloster Eldena, ebenfalls eine Zisterze, betreibt nicht nur ebenfalls Heringsfischerei, sondern besitzt eine Saline. Um diese Aktivitäten herum entwickelt sich der Marktort, der Mitte des 13. Jahrhunderts als Greifswald Stadtrecht erhält.

 

Die enge Verbindung zwischen Zisterziensern und Staufern, die dem Aufstieg des Ordens sehr förderlich ist, hält bis zu deren Ende an. Viele der staufischen Zollprivilegien seit Konrad und Friedrich Barbarossa gehen an die Zisterzienser. In der Chronik des Klosters S.Mariae de Ferraria heißt es für 1224, dass Friedrich II.

auf Anraten der Kurie Konversen aus allen Zisterzienserabteien Siziliens, Apuliens und der Terra di Lavoro erhielt, die er als Aufseher über Klein- und Großviehherden und über andere Angelegenheiten einsetzte oder für den Bau von kaiserlichen Burgen und von Stadthöfen (domicilia) in allem Städten des Reiches, wo sie noch keine Häuser für ihren Aufenthalt hatten.

Es geht dabei allerdings nicht um das eigentliche Bauen, sondern um Aufsichtsfunktionen. 1238 beauftragt er einen Konversen aus Ferraria mit der Bauleitung für das Brückentor von Capua (in 'Verwandlungen', S.241f).

 

Zisterzienser spielen zudem eine große Rolle bei den niederländischen Landgewinnungen. „Auf dem Gebiete von Hulst besaß die Abteil von Dunes im 13. Jahrhundert allein 5 000 Morgen eingedeichten , neben 2 400 Morgen nicht eingedeichten Grundes.“ (Pirenne, S.79) Zisterzienser-Grangien können tausende von Schafen zum Beispiel halten.

 

Von enormer wirtschaftlicher Bedeutung werden auch die englischen Zisterzienser, die vor allem die Schafzucht auf der Insel ausbauen und sie damit zum wichtigsten Exporteur von Wolle machen. Ihre agrarische Orientierung hindert sie allerdings daran, zu bedeutenden Textilproduzenten zu werden. 1167 leben im Kloster Rievaulx in Yorkshire 140 Mönche und 500 Laienbrüder, die

20 000 Hektar bewirtschaften und dabei durch den Verkauf von Schafwolle erheblichen Reichtum erwirtschaften. (Ertl, S.70)

 

Im späten dreizehnten Jahren liefert die schottische Melrose Abbey fünfzig "Sack" Wolle jährlich an italienische Händler, was einer Herde von etwa 12 000 Schafen entspricht (Carpenter, S.39). Überhaupt sind Zisterzen eng in den Markt integriert, für den sie im wesentlichen produzieren. Geld schießen ihnen Firmen aus Lucca und Florenz vor, welches dann mit Wolle entgolten wird.

Um 1300 gibt es rund hundert Zisterzen in England, viele davon mit zehn bis zwanzig Grangien ausgestattet. Die Grangien sind aus dem Feld- und Flursystem der Dörfer herausgenommen und bilden einen Block für sich, d.h. sie bleiben auch dem dörflichen Gemeinschaftsleben fern. Ähnlich wie auf dem Kontinent investieren sie auch in Gewerbe, zum Beispiel Gerbereien.

Mit der Gratisarbeit von Konversen, mit fester Lohnarbeit und Tagelöhnern und mit ihrer Marktorientierung sind englische Klöster ähnlich wie die auf dem Kontinent frühe kapitalistische Unternehmungen auf der Basis von Landbesitz.

 

Ähnliches wird auch für Spanien im 13. Jhrhundert beschrieben, wo ebenfalls von Zisterziensern oft Viehzucht betrieben wird, und zwar auf der Basis königlicher Privilegierungen.

 

Ein verbunden mit dem Aufschwung der Städte bilden die Zisterzienser gerade in deutschen Landen einen wesentlichen Faktor für den Aufstieg des Kapitalismus. Dazu gehört ein für Klöster ziemlich neues Erwerbsstreben. „Auf der Basis von zahlreichen Käufen, Tauschhandlungen und Schenkungen vergrößerten die Mönche ihren Landbesitz im Umkreis der Grangien, arrondierten die Ackerflächen und suchten möglichst zusammenhängende Hofgemarkungen herzurichten. Bei der Vergrößerung von Hofflächen schreckten die Zisterzienser auch nicht davor zurück, zielbewusst Bauernland aufzukaufen, Bauernhöfe und Dörfer niederzulegen und den so gewonnenen Boden dem Grangienland hinzuzufügen.“ (Rösener in Staufer und Italien, S.300)

 

Das Geld kommt aus Überschüssen an Getreide, Wein und Produkten aus der Viehwirtschaft, von Rindern und Schafen vor allem, die auf den Märkten nahegelegener Städte verkauft werden. Da Zisterzienser der Fleischgenuss untersagt ist, sind die Mengen an Fleisch für den Markt besonders hoch. Mit solchem Geld wird die Effizienz durch Düngung und optimales Zugvieh gesteigert und neues Land dazugekauft. Südwestdeutsche Grangien erreichen mit bis zu 200 ha das Vier-bis Fünffache eines durchschnittlichen weltlichen Herrenhofes. (Rösener, s.o.)

 

In zweiter Linie gelangen auch die Überschüsse aus der handwerklichen Arbeit auf dem Klosterhof (Schuhe, Kleider etc) auf den städtischen Markt.

 

1134 bittet der Trierer Erzbischof Albero Bernhard von Clairvaux um die Entsendung von Mönchen, die ein Konvent aufbauen sollen. Diese lassen sich zunächst in der Domimmunität nieder, wo ihre Niederlassung später ein Stadthof wird, gelangen dann in der Nähe nach Winterbach, um sich etwas später in Himmerod im Salmtal niederzulassen. Die Erzbischöfe fördern das Kloster und in der Folge gibt es viele Schenkungen Trierer Bürger. "Bis 1333 kam das Kloster auf diese Weise in den Besitz von 63 Häusern allein in Trier und war somit einer der größten Grundbesitzer der Stadt." (Hirschmann in: Anton/Haverkamp, S.411) Neben dem Stadthof in Trier gibt es weitere Wirtschaftshöfe in unmittelbarer Nähe, einer bei Amphitheater, einer in Euren und einer zwischen Trier und Konz. Im Bereich von Handel (durch Conversen) und Geldgeschäften gewinnt die Abtei immer mehr an Bedeutung. Anfang des 13. Jahrhunderts sind alleine die Handelsbeziehungen nach Antwerpen so stabil, dass Himmerod "dort ein eigenes Haus besitzt, Wein nach Brabant liefert und hier gekaufte Waren auf eigenen Schiffen zurückführen lässt." (Irsigler in: Flink/Janssen, S.71)

 

1136 wird das Kloster Eberbach im Rheingau gestiftet. 1163 besitzt das Kloster bereits dank Schenkungen geistlicher und weltlicher Herren und Zukauf 16 Grangien zwischen dem hessischen Ried, Darmstadt und Rheinhessen. Um 1200 hat es etwa 300 Mönche und Konversen, die erhebliche Überschüsse erwirtschaften. An die städtischen Märkte wird neben Getreide und Vieh vor allem Wein verkauft. Dieser wird vom Kloster Reichartshausen am Rhein mit klostereigenen Schiffen vor allem rheinabwärts transportiert, wobei man von erheblichen Zollprivilegien profitiert. 1162 ist ein Stadthof in Köln mit umfangreichen Wirtschaftsgebäuden dokumentiert, der einen großen Teil des Kölner Weinmarktes versorgt. 1177 gibt es einen solchen Hof (curia) auch in Mainz. Kloster Eberbach ist eine erhebliche, und bewusst kapitalistisch ausgerichtete Wirtschaftsmacht mit dann 16 Grangien um 1300.

 

1142 wird Kloster Schönau bei Heidelberg vom Wormser Bischof Burchard II. gegründet und mit Mönchen aus Eberbach ausgestattet. Zwischen der Rheinpfalz und dem unteren Neckarraum entsteht ein Wirtschaftsimperium mit vierzehn Grangien und dem dazugehörigen Streubesitz, gefördert schließlich vor allem von der Familie des Pfalzgrafen. Stadthöfe entstehen in Heidelberg um 1200 (mit erheblichen Privilegien) , 1216 wird Worms erwähnt, wo der Pfalzgraf Quartier bezieht. „Das Kloster Schönau besaß in Worms Bürgerrecht und konnte seine Produkte dort zollfrei einführen und lagern. Der Verkauf von Klosterprodukten war dagegen an die übliche Ungeldabgabe gebunden.“ (Rösener, s.o.) Der Stadthof zu Speyer bekommt 1224 seine Zoll- und Steuerprivilegien vom Bischof bestätigt. Dazu kam etwas später ein Hof in Frankfurt.

 

Würzburg um 1170: „Die wirtschaftlich überaus erfolgreichen Zisterziensermönche errichteten dort einen großen Hof, welcher der Verwaltung ihrer Güter in und um Würzburg diente. Auch als Absteige, später als Studienhaus, vor allem aber als Lager- und Verkaufsstelle für ihre in Eigenbau hergestellten Waren und für überschüssige Naturalabgaben wurde der Stadthof benutzt. Er umfasste ein ganzes kleines Stadtviertel innerhalb der alten Stadtbefestigung, gelegen an der heutigen Karmeliterstraße zwischen Bronnbacher Gasse und Innerem Graben.“ (Leng, S.31)

 

Eine Besonderheit zisterziensischer Entwicklung wird der in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts "explosionsartig ansteigende Aufstieg" (P.Johanek) von Frauenklöstern, die nun schneller wachsen als es jemals zuvor bei den Männerklöstern der Fall war.

Im weiteren Verlauf dieses Jahrhunderts nimmt aber die Bedeutung der weißen Mönchen in vielen Gegenden Europas ab, was nicht zuletzt auch durch das Aufkommen der neuen und nunmehr populäreren Bettelorden verursacht wird. Es gibt darum immer weniger Schenkungen an sie.

 

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Ein Muster an Idealisierung klösterlichen Lebens insbesondere der Zisterzienser bietet der recht gelehrte Zisterzienser Otto Bischof von Freising in seiner Chronik, der  'Geschichte der zwei Welten':

Abgesehen von den Klerikern und Laien, die züchtig, fromm und gerecht (sobrie, pie et iuste) ihr Eigentum nicht als ihr Eigentum betrachten, sondern mildtätig für die Bedürfnisse der Brüder sorgen, gibt es verschiedene Vereinigungen der Heiligen (agmina sanctorum), die gemäß dem Gebot des Evangeliums auf ihr eigenes Begehren (desiderium), ihr Eigentum und ihre Verwandtschaft Verzicht leisten, zur Abtötung ihres Fleisches (per mortificationem carnis) für immer das Kreuz tragen und voll Begehren nach dem Himmelreich Christus folgen. Einige von ihnen wohnen in Städten, Burgsiedlungen und kleineren Orten oder auf dem Lande, und vermitteln ihren Nächsten durch das Wort und das Beispiel die rechte Lebensweise. Andere wenden sich zwar nicht ganz gegen das Zusammensein der Menschen, sind aber mehr auf ihre Seelenruhe bedacht, meiden den Umgang mit ihnen und ziehen sich in die Verborgenheit von Wäldern und anderen abgelegenen Gebieten zurück, und dienen alleine Gott.

... Sie alle führen schon auf Erden ein Leben in himmlischer engelhafter Reinheit  und Heiligkeit des Gewissens.

sie legen sich gleichzeitig schlafen, sie stehen gemeinsam zum Gebet auf, sie nehmen gemeinsam in einem Raum ihre Mahlzeiten ein, und Tag und Nacht beschäftigen sie sich mit Beten, Lesen und Arbeiten mit so unermüdlichem Fleiß......Sie enthalten sich ferner alle des Fleischgenusses...

...Alle Werkstätten der verschiedenen Handwerker (opificum), der Bäcker, Schmiede, Weber und der anderen, liegen nämlich im Inneren, damit keiner von ihnen Anlass hat hinauszugehen...

...Kommt aber eine Frau die einer Zusprache bedarf oder eines anderen Anliegens, so muss sie draußen verbleiben, und der Abt des Klosters oder einer der Brüder spricht mit ihr, nicht drinnen und nicht alleine, sondern unter freiem Himmel an offener Stelle, die nur durch ein einfaches Dach gegen Regen geschützt ist.

...häufig werden sie beim Abschied aus dem Leben durch die Erscheinung eines Engels oder des Herrn getröstet. Sie heilen Kranke, treiben Dämonen aus, und manchmal bekommen sie, soweit das in diesem Leben möglich ist, durch Kontemplation einen Vorgeschmack von der Süße des himmlischen Vaterlandes (patriae), und bringen deshalb, wiewohl von Arbeit und Vigilien erschöpft, durch Fasten geschwächt … fast die ganze Nacht mit dem Gesang von Psalmen, Hymnen und geistlichen Liedern zu. (VII, 35, S.560f))

 

So wie Otto hier das Leben der Zisterzienster idealisiert, so hört man auch Gegenteiliges