ANHANG 1: ANFÄNGE (DEFINITIONEN  I)

 

 

Menschwerdung

Exkurs: Menschliche Geschlechtlichkeit

Kulturen

Produktive Ernährung: Jungsteinzeit, der erste Sündenfall

Zivilisation: Eine Definition des zweiten Sündenfalls ("Hochkultur")

Frühe Zivilisierung (Eigentum, Arbeitsteilung, Handel / Macht / Die Macht der Priester und der Herren / Status und Luxuskonsum / Wo bleibt Kultur)

Bronzezeit nördlich des Mittelmeers

Beschleunigung

Despotische Großreiche: Ägypten / Mesopotamien (Palast und Tempel / Schrift, Gesetze, Beamte und Untertänigkeit / Drogen / Reich / Handel / Der Krieg)

Exkurs: Aggression, Gewalt, Krieg und Sigmund Freud

Veränderung von Naturräumen durch Menschenhand

Das Ende der Bronzezeit

 

 

Sprache ist nicht nur dazu da, Erkenntnisse zu formulieren und zu vermitteln, sondern mindestens genauso dazu, das zu verhindern. Letzteres geschieht einmal, weil die sprachliche und damit auch Denkvorgänge formulierende Kompetenz der meisten Menschen für komplexere Phänomene nicht ausreicht, und dann auch, weil die Machthaber der letzten über zehntausend Jahre genau das ausnutzen, um die Untertanen in Untertänigkeit zu halten. Das wiederum korrespondiert mit dem an sich heilsamen psychischen Mechanismus in Menschen, im Zuge der Produktion von Welt als Vorstellung alles das zu ignorieren, was unangenehm ist, schlechte Gefühle bzw. Unlust auslöst und durch Selbstbetrug zu ersetzen. Auf diese Weise werden Gefühle überhaupt ein wesentliches Regulativ für Gedanken.

 

Schwerwiegender noch für den Versuch jedweder kritischen Geschichtsbetrachtung ist die Sprache einer gedankenlosen Geschwätzigkeit, die für Begriffe hält, was nie einem Versuch des Begreifens unterzogen, sondern vielmehr für selbstverständlich gehalten und darum nie den Mühen des Verstehens oder wenigstens eines gewissen Nachdenkens unterzogen wird.

 

Die Geschichtsschreibung der letzten tausend Jselbst ahre bewegt sich darum auf den Wogen eines Meeres unklarer Begriffe, die nicht nur jeweils aktuelle tatsächliche Unklarheit widerspiegeln, sondern sie auch propagandistisch bzw. rechtfertigend nutzen. Dabei sind fast alle Historiker über den größten Teil unserer Zeit hier direkt den Interessen von Mächtigen unterworfen und seit Jahrhunderten im wesentlichen staatlich bestallte Akademiker mit unübersehbarer Neigung zur Identifikation mit der Macht und entsprechend den Machthabern der Vergangenheit.

 

Zusammengefasst heißt das, dass eine kritische Geschichtsbetrachtung, sollte sie wenigstens ansatzweise wissenschaftlichen Ansprüchen genügen, Begriffe erst klären muss, anstatt mit ihnen so zu operieren, als ob es um einen wohldotiert-gehobenen Kaffeeklatsch ginge.

Wenn man dabei Ideologieproduktion vermeiden will, empfiehlt es sich, Begriffe dort und so zu definieren, wie ihnen zugrunde liegende Phänomene historisch auftauchen, und dabei von vorneherein all jene Wörter als Begriffe auszuschließen, die von machtideologischen, religiösen oder sonstigen reflektions-resistenten Nebelwerfern zur Fütterung eigener Selbstgefälligkeit und zur Verdummung der anderen in einen öffentlichen Raum gestellt werden.

 

Zu diesem Zweck gibt es hier mehrere Großkapitel zur frühen Vorgeschichte vor allem Kapitalismus, die nicht zuletzt auch der Herstellung einer handfesten Begrifflichkeit und damit auch eines Menschenbildes dienen, welche zum ansatzweisen Versuch einer Annäherung an historische Wirklichkeit dienen sollen.

Dabei wird eine Ausnahme gemacht: Kapitalismus sei hier, allerdings nur vorläufig definiert als die Dominanz der Bewegungen des Kapitals über alle Arbeits- und Lebensvorgänge, über den Alltag der meisten und inzwischen praktisch aller Menschen. Kapital wird dabei als ausschließlich zum Zweck seiner Vermehrung investiertes Eigentum verstanden, welches immer auf einem Markt in Geld berechenbar ist, und es ist damit von Schatzbildung und in Konsum aufgehendem Eigentum unterschieden. Jede weitergehende Definition wird an den Phänomenen festgemacht werden, in denen Kapital und Kapitalismus später auftreten werden. Als historische Phänomene gehören sie dabei nicht in den Kontext von ahistorischen Spezialfächern, sondern in den ihrer Zeit.

 

 

Menschwerdung als Kulturbildung

 

Vor dem Beginn schriftlicher Aufzeichnungen lässt sich die menschliche Geschichte nur aus wenigen Hinterlassenschaften erschließen. Dennoch ist das ungeheuer wichtig, denn nur aus seiner Evolution lässt sich ein Bild vom Menschen entwickeln, welches von der ideologisierenden Propaganda seit den frühen Zivilisationen abgelöst ist. Ohne ein möglichst wirklichkeitsnahes Bild vom Menschen gibt es aber keine wissenschaftlich brauchbare Vorstellung von dem, was diese als Kapitalismus in ihrer Spätzeit hervorbringen werden.

 

Bekanntlich bildet sich im Tierreich die besondere Gruppe der Säugetiere heraus. Ein Entwicklungsstrang verzweigt sich vor Jahrmillionen in die Gruppe der Affen und die der Menschen andererseits, in vielerlei Hinsicht zunächst sehr ähnlich den Affen bei immer weniger Behaarung. Diese letzteren ernähren sich möglicherweise zunächst von Aas und dann durch fast ihre ganze Geschichte hindurch vor allem vom Fleisch von eingesammelten und erjagten Tieren. Da sie auch vor der Erfindung des Feuers schon das eine oder andere an pflanzlicher Nahrung vertragen, kann man sie auch wie manche andere Tiere mehr oder weniger als Allesfresser bezeichnen, die entweder umherziehen oder zeitweilig in Höhlen und Felsüberhängen zuhause sind.

 

Ab wann wir von Menschen sprechen können oder wollen, soll hier offen bleiben, - ob seit dem mit heutigen Menschen anatomisch einigermaßen gleichen sogenannten homo sapiens oder schon bei menschenartigen Lebewesen von früheren Jahrhunderttausenden.

Rahmenbedingung für die Vorgänge der Menschwerdung ist auf jeden Fall die letzte große Eiszeit mit der letzten großen Kaltzeit bis um die Zeit von etwa

12 000 vor  unserer Zeitrechnung. Menschwerdung findet wohl auch darum zunächst weit südlich vom damals ewigen Eis statt, mit dem afrikanischen Australopithecus vor über drei Millionen Jahren und dem heute als Homo bezeichneten Menschen vor über zwei Millionen Jahren, dem es dann nach Jahrhunderttausenden gelingen wird, aufrecht zu gehen.

 

Es finden in der sogenannten Altsteinzeit Schritte statt, in denen die sich entwickelnden Menschen ihre physischen Schwächen und Nachteile gegenüber bedrohlichen Tieren und Nahrungsmittelkonkurrenten kompensieren. Dazu gehören Steinwerkzeuge, von denen die Forschung annimmt, dass sie vor 2,5 bis 2 Millionen Jahren zum ersten Mal auftauchen und vor 1,5 Millionen Jahren zum Faustkeil verfeinert werden. Während sich Menschen damit noch nicht sehr deutlich von ihren tierischen Verwandten unterscheiden, so wird die Nutzung des Feuers, für die einige Forscher für die Zeit vor 1,7 Millionen Jahren erste Feuerstellen vermuten, ein markanterer Schritt.

Mit dieser Nutzung des Feuers gewinnen sie nach und nach eine gewisse Überlegenheit über immer mehr Bereiche der übrigen Tierwelt; insbesondere hilft das nun gegarte Fleisch auch bei Wachstum und Ausdifferenzierung des Gehirns.

 

Menschliche Vorfahren als sogenannte Hominiden von Atapuerca (Nordspanien) tauchen vor rund 1,1 Millionen Jahren dann in Europa auf.  Zwischen vielleicht 800 000  und 100 000 produzieren Europäer "Faustkeile", die ihnen offenbar einen deutlicheren Vorteil vor anderen Tieren geben. Solche Menschen, wenn man sie jetzt so nennen möchte, sind die Neandertaler, nach ihrem ersten Fundort benannt, die von vielleicht 230 000/130 000 bis 40 000 Europa und Teile Asiens besiedeln.

 

Es wird immer deutlicher, dass der Prozess der Menschwerdung zum Erfolgsprogramm der Natur wird, für das Ausbreitung und Vermehrung stehen. Diese frühen Menschen sind offenbar hervorragende Jäger, die Herden von Pferden, Bisons und Mammuts mit Speeren jagen, dabei Fleisch und Felle erbeuten, und zudem pflanzliche Nahrung sammeln. Sie wohnen weiter in Gruppen in Höhlen, teilweise über längere Zeit, wandern aber ansonsten umher. Sie verfügen vermutlich über feste Feuerstellen zum Kochen. Das Steinwerkzeug verbinden sie nun manchmal vermittels Pech aus Birkenrinde mit einem Holzschaft.

Das Jagen großer und mächtiger Herdentiere mit Speer und Speerschleuder funktioniert nur in Gruppen, die darum auch jenseits der Jagd in irgendeiner Form Gesellschaften bilden, ohne dass man Näheres über die Strukturen weiß.

 

Anatomisch sind sie am Ende wohl bereits in der Lage, eine spezifisch menschliche Sprache auszubilden, womit sie eine frühe Trennung in menschengemachte Welt der Vorstellung und die davon nun sich lösende Wirklichkeit erreichen. Dafür spricht auch, dass sie Menschen aus ihrer Gruppe wohl schon begraben und mit Höhlenmalerei beginnen.

 

Um 40 000  wandert der sogenannte homo sapiens wahrscheinlich aus Afrika in Europa ein. Er ist vermutlich dunkelhäutig und hellt sich dann unter der nördlichen Sonne auf. Er eignet sich wenige Prozent Neandertaler-Gene in der Begegnung mit diesen an, die nun aber verschwinden. Anatomisch ist er bereits einigermaßen mit uns heutigen Menschen identisch.

 

Vor rund 40 000 Jahren tauchen solche Menschen zum Beispiel auf der Schwäbischen Alb bei Blaubeuren auf. Es handelt sich um Höhlen bewohnende Jäger und Sammler, weiterhin vor allem Fleischesser. und zwar besonders im Winter. Gejagt werden vor allem die Herdentiere Wildpferd und Rentier und das Mammut, welches dort um etwa 10 000 ausstirbt,

 

Waren die Neandertaler noch weit voneinander entfernte kleine Horden in einer alles dominierenden Natur, die sie kaum verändern, beschleunigt sich die Veränderung mit stärkerer Vermehrung des biologisch heutigen Menschen, auch wenn es sich weiter um Höhlen bewohnende Jäger und Sammler handelt.

 

Mit der 6 cm großen und fett wirkenden, kopflosen Frauengestalt von Hohlefels am Südrand der Schwäbischen Alb mit ihren Riesenbrüsten kommt es zur ersten Menschendarstellung; vorher wurden nur Tiere dargestellt. Wir befinden uns mit ihr in der Zeit vor ungefähr 35 000 Jahren. Das Material ist Mammut-Elfenbein. Die an der Stelle des Kopfes befindliche Öse macht deutlich, dass es sich um einen Anhänger handelte.

Elementar für die kleine Figur sind die Betonung der Brüste, des Hintern und des Geschlechts, also von Weiblichkeit, was sich vielleicht als Betonen von Fruchtbarkeit interpretieren lässt. Deutlich wird vor allem, dass es sich um das extreme Gegenteil feministischer Denunziation von Weiblichkeit handelt, wie sie heute in den Metropolen des auslaufenden Kapitalismus propagiert wird.

 

Klar ist, dass das heutzutage gerne dafür verwendete Wort "Kunst" völlig irreführend ist. Was es mit den steinzeitlichen Figurinen auf sich hat, bleibt ebenso im Dunkeln wie bei steinzeitlichen Malereien.

Zu dem Fundumfeld gehört auch eine gerne als Musikinstrument interpretierte Flöte. Entfernt davon hat man Lager von Stoßzähnen in einer Höhle gefunden, mit denen wohl eine Gruppe Perlen mittels Steinwerkzeugen produzierte. Schmuck mag dabei Gruppenzugehörigkeit markiert haben bzw. bereits auf menschliche Eitelkeit hindeuten, also einen frühen Ausdruck individuellen Machtwillens.

 

Bildliche Darstellungen weiten sich über ganz Europa aus. Höhlenmalereien in Westeuropa werden langsam immer kunstvoller, gekonnter. Zwei- und dreidimensionale bildliche Darstellungen schieben eine Welt der Vorstellungen vor die Wirklichkeit. Im Zuge dieser neuen vorgestellten Welt werden dann nach und nach einzelne Individuen jene Deutungshoheit gewinnen, die nicht Erkennbares und Verständliches in Geglaubtes verwandelt und so fast schon wahnhafte Gewissheiten vorgaukelt, um auf diese Weise Macht ausüben zu können.

 

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Kapital und Kapitalismus haben also eine Vorgeschichte, die zunächst immer Naturgeschichte ist, wie im 19. Jahrhundert von Darwin und anderen erkannt wird, und zwar solche, welche die Menschen als Lebewesen und Säugetiere definiert, das heißt nicht religiös oder politisch oder mittels anderer Machtinstrumente.

Dennoch findet im Verlauf der Menschwerdung durch eine besondere Ausbildung des Gehirns im Zusammenhang mit der Entstehung einer komplexeren Sprache ein allmählicher Distanzierungsprozess von der übrigen Natur statt: Menschen beginnen ihr anders als andere Tiere gegenüberzutreten. Instinktive, genetisch tradierte Entscheidungen und solche von anderen abgeschaute können durch reflektierte abgelöst und relativ schnell wiederum tradiert werden. Das ist gravierend neu, und solche Entscheidungen haben eine größere Chance, falsch zu sein, sobald sie - was nun möglich wird - auf Spekulation beruhen. Die lange und langsame Linie der Evolution wird so von zunehmend kürzeren innovativen Einzelentscheidungen durch wenige einflussreiche Menschen abgelöst, deren - allerdings offenbar zunehmend unzulängliches Korrektiv - zunächst Erfahrung bleibt. Das Tempo der Naturgeschichte nimmt entsprechend mit der Menschwerdung zu, - und es wird bis zur Gegenwart immer mehr beschleunigt werden.

 

 

Sprache verschafft den Menschen kurzfristige Vorteile, aber auch langfristige Nachteile. Ihre Besonderheit besteht nicht in ihrer Fähigkeit, etwas mitzuteilen, denn das können viele der übrigen Tiere mehr oder weniger auch. Vielmehr liegt ihre Bedeutung in der differenzierten Benennung von Gegenständen, Vorgängen und Eigenschaften, der Bezeichnung von sprachlich umgestalteter Wirklichkeit.

Indem solche Sprache Gegenstände der Wahrnehmung bezeichnet, verdoppelt es sie in unbezeichnete, sich unentwegt verändernde Wirklichkeit und bezeichnete, dadurch scheinbar statischer werdende Welt, die, welche vom Lateinischen res abgeleitet ganz spät als (Illusion von) "Realität" in einige Sprachen eingehen wird.

Wenn das Deuten auf etwas mit dem Wort verbunden wird, erhält das Wort "Bedeutung", welches sie auch vom Gegenstand trennt, denn Bedeutung ist notgedrungen immer ein Stück weit subjektiv und ein Stück weit unausgesprochen. Mit der logischen Verknüpfung von Wörtern und ihrem Assoziationsraum entsteht eine Welt voller Bedeutungen, die nun in Sprache fixiert wird. Menschen verwandeln wahrnehmbare Wirklichkeit in Welt, ein Vorgang, welcher in vielen heutigen Sprachen gar nicht formulierbar und dann nur schwerlich überhaupt reflektierbar ist.

 

Scheinbare Verdoppelung von Wirklichkeit kann man am besten anhand der Höhlenmalereien und der kleinen steinzeitlichen Figuren verstehen. Es gibt nun weiterhin eine unmittelbar wahrgenommene Wirklichkeit und darüber hinaus eine vorgestellte, wie sie sich dann eben auch im Wort und später im Bild ausdrückt. Letztere wird zur Welt des den Menschen Bewussten, zur von ihnen geschaffenen zweiten Pseudo-Wirklichkeit, unter die sich noch eine andere des wenig oder gar nicht Bewussten schiebt, welches unter Bedingungen von Kulturbildung unterdrückt und transformiert wird.

 

Wir unterscheiden gerne zwischen dem, was ist, und dem, was geschieht. Dabei ist gar nichts, sondern alles wird und vergeht. Die Welt ist das, was unentwegt geschieht. Aber wir leben so, als ob das nicht so wäre, denn unsere Psyche braucht eine stabilere Welt mit vielen Konstanten, und die Sprache gibt uns dafür die Namen. Zudem sind unsere Sinne außerstande, die meiste Veränderung wahrzunehmen und wenn das doch möglich wäre, würden wir sofort durchdrehen, uns würde mindestens schwindelig werden.

Also unterscheiden wir zwischen Dingen und Geschehen. Geschehen wäre dann das, wovon wir merken bzw. bereit sind zu merken, dass es geschieht. Dazu gehören zum Beispiel alle wahrgenommenen Bewegungen von dem, was wir für solide Dinge halten. Aber jenseits dieser Sphäre sinnlicher Wahrnehmung haben wir eine zweite, in der wir Dinge und Geschehnisse einordnen und verknüpfen. Erst diese mehr oder weniger vernunftgeleitete Verstandestätigkeit konstruiert Welt, genauer gesagt, die verschiedenen verschiedener Menschen.

 

Über dieses Verstehen hinaus benutzen wir Begriffe, die keiner sinnlichen Wahrnehmung entspringen, sondern Schlussfolgerungen aus ihr sind oder aber dem Wunsch folgen, da möge etwas sein. 'Welt' beispielsweise entspringt dem Wunsch, dass alles, was „ist“ und geschieht, ein großer geordneter Zusammenhang sein soll, so wie er den Bauprinzipien unseres Verstandes entspricht.

Schieres Wunschdenken ist es, sich mehrere oder einen "Gott" vorzustellen, der dem, was wir uns als Welt konstruieren, eine Konsistenz geben soll, die einen menschengemäßen „Sinn“ enthält, eine annehmbare Richtung zum Beispiel, die auf mehr verweist als den Tod, als allgemeine Vergänglichkeit. Wir benennen auf diese Weise etwas, woran wir nur glauben, wovon wir aber nichts wissen können, Inbegriff jener erwünschten und herbeiphantasierten "Identität", die sich Menschen erhoffen, wenn sie „ich“ sagen oder sich mit ihrem Namen identifizieren.

 

Welt sei so hier als die vom Menschen für sein Leben und Überleben instrumentalisierte Wirklichkeit bezeichnet, der durch Fiktionen und Illusionen abgeholfen wird, die es nun zu glauben gilt. Wirklichkeit selbst sei wiederum als die nicht hinreichend menschlich fassbare unentwegte Veränderung benannt, die als solche in ganz frühen indischen Zivilisationen und bei wenigen Vertretern der antik-griechischen Philosophie erkannt wird, deren grundsätzliche Wahrnehmung aber von fast allen Menschen mit allen Mitteln vermieden wird. Menschen gewinnen im Laufe der Menschwerdung stattdessen eine immer stärkere Neigung, sich selbst und damit auch andere zu belügen. Erkenntnisfähigkeit führt bei den meisten Menschen, wie man auch heute sehen kann, nicht selten zur Kunst der Erkenntnisvermeidung.

 

Das hat Konsequenzen für Geschichte als Wissenschaft. In der Annäherung an Wirklichkeit kann sie diese doch für jede Vergangenheit in doppelter Hinsicht nicht erreichen: Zum einen entzieht sich Wirklichkeit als Ganze sowieso unserer Wahrnehmung, und zum anderen ist sie ohnehin immer vergangen, also in großem Umfang verloren. Dabei ist der Wunsch, wenigstens "etwas von ihr" einzufangen, die einzige Möglichkeit, jener Welt der Illusionen ein wenig zu entkommen, die ein psychisches Grundbedürfnis von Menschen zu sein scheint. Nietzsche spricht in diesem Zusammenhang von Angst und Schrecken bei der Konfrontation mit "Wahrheit", die hier besser als Annäherung an Wirklichkeit begriffen werden soll.

 

Bis heute wird Geschichte, im wesentlichen von den jeweiligen Machthabern unterstützt und finanziert, als Fortschritt von Macht aus der Sicht von Machthabern erzählt, nur wenig gebrochen durch einen zwischenzeitlichen christlichen Pessimismus, der dann aber auch gleich durch Erlösungsphantasien abgemildert wird. 

Erst heute, angesichts des immer schnelleren Vorgangs der Vernichtung der natürlichen Grundlagen allen Menschenlebens durch die Menschen selbst, könnte sich ein neues Misstrauen gegenüber der Produktion von Welt durch die Menschen entfalten, wenn nicht zum einen die menschliche Psyche dem massiv widersprechen würde, und zum anderen die Menschen sich tatsächlich eine Welt nicht nur in Worten, sondern auch in Taten geschaffen hätten, deren Rücknahme weniger nahe zu liegen scheint als der Weg in den Untergang der eigenen Art.

 

 

In der Menschwerdung fallen unübersehbar vor allem drei Dinge zusammen: Immer größeres Gehirn bei komplexerer Gehirnstruktur samt Sprachbegabung, die Ausbildung von Sprechorganen und dann von Sprache - und ein durch das Jahr anhaltender Fortpflanzungstrieb.

 

Es handelt sich bei der Innovation in grauer Vorzeit einmal um den nunmehr ganzjährig auftretenden Geschlechtstrieb des männlichen Tieres/Menschen bei ganzjähriger Empfängnisbereitschaft des weiblichen, die dies mit durchweg geschwollenen Brüsten auch ohne Milch körperlich verdeutlicht, Ersatz für die Signalwirkung der weiblichen Hinterbacken bei jenen (Säuge)Tieren, die sich auf allen Vieren oder zumindest gebückt bewegen. Das heißt, die Geburten sind wie schon bei anderen Primaten von der saisonalen Günstigkeit der Ernährung des Säuglings entkoppelt, weil Menschen wie schon manche Affenkollegen nicht mehr ganz und gar von ihr abhängig sind. Dadurch kommt es zu einer ersten Stufe der Entkoppelung von Triebhaftigkeit und Fortpflanzung bei den einzelnen Individuen: eine elementare Veränderung, wie sie neben den Menschen auch Bonobos und Schimpansen unterschiedlich zu bewältigen haben.

 

Damit verbunden ist die Notwendigkeit der Domestizierung oder besser (Be)Zähmung der dem Trieb innewohnenden Aggressivität, da Menschenkinder in besonders hohem Maße und vor allem besonders lange von den Eltern aufgezogen, versorgt und beschützt werden müssen, was einen friedfertig-solidarischen Raum voraussetzt. Dafür entstehen Ehe und Familie und darüber hinaus Gemeinschaften, die entweder physisch oder sogar darüber hinaus ideell auf Verwandtschaft beruhen.

Die menschliche Geschlechtlichkeit kompensiert so wohl die Tatsache, dass Primatenweibchen auf einmal meist nur ein Kind zur Welt bringen.

 

Zum anhebenden Erfolg der Menschen gibt es zunächst ein Korrektiv: Wo zu viele Pflanzen und Tiere abgeräumt worden sind, muss man weiterziehen. Ist der Platz anderswo schon besetzt, schlägt man sich unter Umständen kurz einmal gegenseitig ein wenig tot. Zum Erfolgsprogramm des Menschen gehört darum auch eine zunehmende Gewalttätigkeit innerhalb der eigenen Art.

 

Es ist bezeichnend für die kapitalistisch geprägten Großdeuter der Geschichte der letzten Jahrhunderte, dass sie "Technik" als zentralen Motor der Menschheitsentwicklung definiert haben. Die griechische techne als menschliche Kunstfertigkeit treibt aber die Geschichte nicht nur (manchmal) voran, sie hängt vor allem auch von den anderen Menschwerdungsfaktoren ab. Ohne die menschliche Gehirnstruktur, sein Sprachvermögen und seine spezifische Sexualität, die mit den beiden ersteren sicherlich verbunden ist, gäbe es keine Faustkeile, nicht die Nutzung des bezähmten Feuers, nicht die Entwicklung von Werkzeugen und Waffen aus Holz, Knochen usw., zum Beispiel vom Wurfspeer über die Speerschleuder bis zu Pfeil und Bogen in den Wäldern, die um 10 000 Mitteleuropa zu bedecken beginnen.

 

Genauso bezeichnend ist, dass die bisherigen großen Geschichtsdeuter die Entstehung von Kulten und den Hokuspokus der mit ihnen aufsteigenden Machtmenschen als Fortschritt ansehen. Es lassen sich stattdessen zwei Dinge feststellen: Irgendwann beginnt die Endgültigkeit des Todes vielen Menschen unerträglich zu werden und es wird nun von (irgend)einem Weiterleben nach dem Tod fabuliert, was sich wohl anhand von Grabbeigaben wie Nahrungsmitteln, Statussymbolen und Waffen belegen lässt. Zum zweiten werden die Naturgewalten nicht mehr einfach als solche hingenommen, sondern von Fabulierexperten gedeutet, die sich damit wichtig tun können. Und schließlich werden auch Himmelskörper wie Sonne, Mond und helle Sterne von solchen Deutungsvirtuosen genutzt, um ihre Macht zu erweitern.

 

Ein wesentlicher Bestandteil von Kulturbildung ist, wie schon angedeutet, die Herstellung einer vorgestellten Welt, die zunächst auf Erfahrung beruht und soweit Wirklichkeit ausmacht. Die elementaren Wissenslücken, die dabei auftauchen, scheinen recht früh durch Vorstellungen gefüllt worden zu sein, die ein geschlossenes Weltbild erlauben, eines, welches durch Umformungen zu dem wird, was später altgriechisch als Mythos bezeichnet wird, eine Art Welterklärungs-Erzählung. Das Aushalten von Nichtwissen im elementaren Bereich scheint in unterschiedlichen Kulturen, von denen wir ein Restwissen haben, unterschiedlich stark ausgeprägt gewesen zu sein. Lücken werden zur Angstvermeidung durch Glauben ersetzt.

Neben die Unerträglichkeit des Nichtwissens tritt punktuell auch die des Wissens, welches dann nach Möglichkeit abgelehnt wird. Irgendwann fällt darunter auch die Kenntnis von dem, was mit Lebewesen nach ihrem Tod geschieht, nämlich Verwesung und Zerfall, und dieses Wissen wird als unerträglich durch den Glauben an ein Weiterleben nach dem Tode ersetzt. Kulturbildung heißt auch, mehr oder weniger seinen Sinnen nicht mehr ganz zu trauen, nämlich dort, wo sich für diese unangenehme Wahrheiten auftun.

 

Während Wissen Gemeingut sein kann, da es auf denselben Tatsachen beruht, ist der Glaube als schiere Fiktion für jeden größeren ("Verwandtschafts")Verband spezifisch und prägt so seine Besonderheit. Damit fördert er die Abgrenzung und den inneren Zusammenhalt. Dazu dient dann seine festliche Zelebrierung im Kult, der schließlich häufiger an einem festen Platz stattfinden kann.

In seinen Glaubensvorstellungen und im Kult trennt sich der Mensch ein erstes Stück weit förmlich von der für ihn erfahrbaren übrigen Natur. Er erlebt seine nunmehr imaginierte Besonderheit. Der Zusammenhalt der jeweiligen Gemeinschaft wird dann auch dadurch gefestigt, dass dieser Kult mit seiner Vorstellungswelt durch die Generationen tradiert wird, und zwar genauso wie die Herstellung von Geräten, insbesondere Waffen und Bekleidung und wie Besonderheiten der Ernährung.

Ein Schleier bloßer Vorstellungen legt sich über die erfahrbare Wirklichkeit, wobei er durchaus in einer gewissen Relation zu dieser steht, also in verschiedenen naturräumlichen Gegenden ohnehin sehr verschieden sein kann. Da aber nun der Glaube letztlich durch keine erfahrbare Wirklichkeit fundiert ist, muss er umso intensiver sein. Damit, mit der Macht des Glaubens, also des Wähnens und des Wahns nimmt das Unheil der Menschheitsgeschichte erst so richtig seinen Lauf.

 

Kulte, von lateinisch cultus abgeleitet, beinhalteten bei den antiken Römern die Formen der Verehrung von Göttern, die ursprünglich Naturgewalten waren und später diese repräsentierten. Das Wort kommt erst im 17. Jahrhundert in die deutsche Sprache und wird sinnvollerweise im Unterschied zu Religion benutzt, als welche man Judentum, Christentum und Islam einordnen kann, die drei großen auf "heiligen" Schriften beruhenden monotheistischen Glaubensrichtungen.

 

Im cultus wird das, was niemand weiß, durch das vorgebliche Wissen der Priester zur Glaubenssache. Im Kult gewinnen solche Experten magische Kräfte, wobei vielerorts das Opfer im Mittelpunkt steht. Sein Ursprung ist wohl darin zu suchen, dass "steinzeitliche" Menschen zunächst für das, was sie der Natur nehmen, etwas zurückgeben wollen. Sobald diese Natur in ihren für die damaligen Menschen machtvollsten Ausformungen zu bildhaften Vorstellungen wird, die schließlich in Götterbildern sich konkretisieren, entsteht daraus die Vorstellung, dass man von diesen Göttern etwas bekommen könne, sobald man ihnen etwas (im voraus) gibt.

 

Das Opfer wie der aufopfernde Arbeitsdienst bzw. die Abgaben für Kultstätten sind für die entstehenden Kultexperten das, was die Abgaben und Steuern dann für "weltliche" Herren bedeuten werden: Die Unterwerfung größerer Menschenmengen unter die Expertise derer, die "Überirdisches" zusammenfabulieren wie unter diejenigen, die mit Hilfe der Kultexperten ganz irdische Macht ansammeln. Aber nicht jeder Kult muss wie im Zweistromland,  im Niltal und dann auch anderswo auf diese Weise schnell in Zivilisationen münden. Oft sind Kulte in ihrer ganzen Vielfalt zunächst einmal Bestandteil von noch intakten Kulturen.

 

Exkurs: Menschliche Geschlechtlichkeit

 

Das politisch korrekte Denglisch, welches die deutsche Sprache im Interesse des globalisierten Kapitals und seiner politisierenden Agenten mittels entsprechender Massenmedien zerstört, beruht auf blöde-ungebildeten Massen, deren erlebte weitere systematische Verblödung in ihnen bekanntlich Glücksgefühle auslöst, solange sie noch genügend mit Warenkonsum gefüttert werden.

Ein klassisches Beispiel ist der Weg des lateinischen sexus, welches (männliches bzw. weibliches) Geschlecht bedeutet, über das französische sexe und das englisch sex, welches als the sex für längere Zeit in verkürzender Weise das weibliche Geschlecht bedeutete, und dann über die Verwandlung von sex in sexuelle Aktivität Eingang in das entstehende Denglisch fand, wo es inzwischen das deutsche "Geschlecht" ersetzt und zudem eben auch auf diffuse Weise sexuelle Aktivität(en) meint.

Wenn schon Geschlecht eine späte Abstraktion von männlich und weiblich ist, dann kann geschlechtlich sich nur adjektivisch davon ableiten und das noch abstraktere Geschlechtlichkeit ist dann die Summe alles dessen, was auf das Geschlecht/die Geschlechter bezogen ist. Dann kann die Übernahme des neu-englischen sexuality bei nicht muttersprachlich englischsprachigen Menschen als Sexualität anstelle des bis dato heimischen Idioms nur jener Verunklarung dienen, die Verblödung fördert, den Idealzustand des Untertanen. Wir bleiben hier deshalb bei dem Wort Geschlechtlichkeit, welches besagen soll, dass es Lebewesen gibt, die als zwei Geschlechter existieren, um möglichst optimale Fortpflanzung zu ermöglichen. Unnötig anzumerken, dass solche Abstraktion einer derart intensiven  Ideologisierung noch eher abholden mittelalterlichen Welt unbekannt sein wird.

 

 
Leben bewegt sich in seiner Erhaltung, der Ernährung vor allem und in seiner Fortpflanzung im Geschlechtstrieb. Erhaltung des Lebens für sein Weitergeben sind vorgegeben und machen komplexere lebendige Natur aus. Beides ist Begehren und zugleich Getriebensein und existiert jenseits irgendeines menschlichen „warum“ und „wozu“. Es ist einfach da. Sinn taucht in der Natur tatsächlich nur als Richtung, Gerichtetsein auf, der ursprünglichen Wortbedeutung von "Sinn".

Ernährung und Fortpflanzung sind dabei beide ganz natürlich aggressiv und egozentrisch, zunächst rücksichtsloser Kampf ohne Reflektion, ohne Empathie, gleichgültig gegen alle menschlichen Ansichten. Die wiederum gehören ohnehin nur denen, die – bildlich gesprochen - bei ihrer Menschwerdung bereits sozusagen mit einem Bein aus der von ihnen vorgefundenen Natur bewusstseinsmäßig herausgefallen sind.

Menschwerdung wird dann zunächst mit dem Überhandnehmen des ganzjährigen Geschlechtstriebes befasst sein, mit dem ein reflexiver Verstand aus Überlebensgründen umzugehen hat, wofür sich vor allem wohl eine komplexere Sprache entwickelt.

 

Wenn die Entstehung der beiden Geschlechter der Fortpflanzung von Lebewesen dient, so koppelt sich der Geschlechtstrieb beim Menschen von diesem Zweck zunehmend ein gutes Stück weit ab: Der aufrechte Gang und die Nacktheit beenden den spezifischen Säugetierblick auf das weibliche Hinterteil, welches zugleich keine saisonal begrenzte Läufigkeit mehr signalisiert; dafür bleibt die weibliche Brust auch dann mehr oder weniger gerundet, wenn sie keine Milch enthält und spenden kann: Sie wird zum allgegenwärtigen sexuellen Signal der gebährfähigen Frau.

 

Gleichzeitig ruht beim Menschenmann der Geschlechtstrieb nicht mehr über den größten Teil des Jahres, er wird vielmehr nach Maßgabe seiner Potenz fast allzeit-bereit, wie bei der Menschenfrau auch. Wie beim Tier ist das gespürte Ziel die Triebabfuhr, die Entspannung aufgestauter sexueller Energie. Im Unterschied zur Tierwelt werden die Geschlechtsorgane so ausgestattet, dass mit der Triebabfuhr ausgiebigere Lust verbunden wird. Dabei liegen die Momente von Lust und Schmerz entwicklungsgeschichtlich nahe beieinander.

 

Die zentralen Lustorgane bei Mann und Frau sind fast dieselben, bei beiden geschieht lustvolle Erregung unter anderem in Gestalt des Aufschwellens, wobei der männliche Penis die zur Befruchtung, also zur invasiven Aggression nötige Größe hat, während die weibliche Klitoris nach außen winzig ist, da sie nicht zur Fortpflanzung wie die Scheide, sondern nur noch der weiblichen Lust dient, also der Fortpflanzungsbereitschaft.

 

Soweit die Biologie und soweit ist heute alles bekannt. Selbst die anatomische Beschreibung der Klitoris als einer Art unter- bzw. andersentwickeltem Penis geschah bereits im 16. Jahrhundert. Interessanter ist die Vermittlungsarbeit, in der sich Kultur, kultische Traditionen, Religionen um die Integration einer quasi wildgewordenen Sexualität in sozialverträgliche Zusammenhänge bemühen.

 

Mit folgendem vor allem hatten sich menschliche Kulturen dabei auseinanderzusetzen:

1. Mit der Formulierung und Durchsetzung einer gewissen Form der Verbindlichkeit zwischen den Geschlechtspartnern wegen des langwierigen Angewiesenseins des Nachwuchses auf Vater und Mutter und offenbar möglichst auch auf Großeltern. Diese Verbindlichkeit funktioniert aber nur unter einem gewissen Ausschluss der dem Menschen ansonsten naturgegebenen Promiskuität, was innere und oft genug dann nach außen bewegte Konflikte mit sich bringt.

 

Damit findet die Familie ihren ersten Ausgangspunkt. Erweitert wird sie durch die Definition solider Verwandtschaftsbeziehungen. Die erste Kulturleistung des Mannes wird also eine partielle Unterdrückung seines sexuellen Begehrens in dessen weitgehender Orientierung auf die Mutter/Mütter seiner Kinder. Diese Unterdrückung wird notwendig ergänzt durch das Inzesttabu in seinen vielfältigen Ausformungen, welches vermutlich nicht genetischen Einsichten entsprang, sondern vielmehr der Erfahrung, dass Formen des Inzests ein gedeihliches Familienleben und Heranwachsen gefährden. Die periodische Unterdrückung weiblichen Begehrens wird in gewissem Maße auch durch die Dauerhaftigkeit der Mutterschaft gewährleistet.

 

2. Es gilt sich auseinanderzusetzen mit der aggressiven Natur des männlichen Geschlechtstriebes, die nicht nur in ihrem invasiven Charakter beim Akt der Fortpflanzung sichtbar wird, sondern ebenso in der Steuerung durch jene Hormone, die auch ansonsten für Aggressionen zuständig sind (im übrigen beim Testosteron auch für die Hirnaktivität, wobei Frauen dafür weibliche Hormone umwandeln).

 

Die zeitweilige Unterdrückung des Auslebens des Geschlechtstriebes, bei vielen Kulturen zumindest während der weiblichen Monatsblutung, in der Schwangerschaft und selbst noch eine Weile danach, kann nur dadurch geschehen, dass das aggressive Moment umgewandelt wird, zum Beispiel auf dem Wege der Sublimation, oder indem es zum Beispiel in geregelte Gewalttätigkeit besonders unter Männern oder in Formen harter körperlicher Arbeit ausgelebt wird. Bei manchen Kulturen gehörte zur Initiation der jungen Männer wohl ein Kriegszug zu Nachbar-Stämmen oder Sippschaften, um die Erfahrung des Abbaus aggressiver Spannung in legitimer Gewalttätigkeit zu erlernen.

 

Kultivierung männlicher Sexualität bedeutete also bald, dass die Männer einen hohen Preis zahlten – den des Verlustes der Spontaneität beim Ausleben sexuellen Begehrens. Der Preis, den die Frauen dafür zahlten, war in der Regel der der Anerkennung männlicher Dominanz. All das fällt unter den Begriff Kultur, also genauer: Kultivierung von Sexualität.

 

3. Das Abdrängen sexuellen Begehrens beim Mann (und der Frau) aus dem Raum des Impulsiven in den des Kultivierten ließ bzw. lässt dieses nicht einfach verpuffen, sondern führt dazu, dass es als Verdrängtes, Verbotenes ins Unbewusste abgeschoben und dort verändert wird. Die Häufigkeit offener oder symbolisch verklausulierter sexueller Träume und die von sexuellen Tagträumen und Phantasien zum Beispiel zeigt, dass nicht ganz verschwunden ist, was verdrängt wurde. Eines aber bewirken diese ganzen Vorgänge auf jeden Fall, sie können unsere Emotionen in Gefühle verwandeln, eines unserer wichtigen Unterscheidungsmerkmale von der Tierwelt. E-Motionen, Bewegungen von innen heraus, werden durch massive und mühsame Kulturleistungen in jene Gefühle verwandelt, die wir zwar zeigen können, deren Wesen jedoch ist, dass sie länger bei uns, in uns verweilen können. Auch mit ihrem vielfältigen Ausdruck, ein besonderes Kennzeichen von Menschlichkeit, wird differenziertere vorsprachliche Kommunikation hergestellt und Sprache vorbereitet.

 

Durch das kulturelle Erlernen einer Gefühlspalette verstärken wir andererseits überhaupt erst das Talent zur Empathie, dem Wahrnehmen und Mitfühlen von Gefühlen anderer. Menschliche Gesellschaften würden ohne dieses Talent zerbrechen. Es ist wichtiger noch als jede sprachliche Kommunikation und bekanntlich bis heute nicht jedem gegeben.

 

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Das, was heute Wissenschaft formuliert, war bis in die Zeit des frühen Kapitalismus zum Teil unbekannt, aber es war, soweit und so wie jeweils bekannt, tradierte Erfahrungssache und hatte darum seine ganz eigene Verlässlichkeit. Kenntnisse dazu erlangten die Menschen, soweit dem archäologische Forschung nachspüren kann, nicht zuletzt durch Gartenbau, Ackerbau und Viehzucht, also durch die Erfahrungen mit der Geschlechtlichkeit in der Nahrungsproduktion. In der Jungsteinzeit, wo das stattfindet, ist offensichtlich das menschliche Reflektionsniveau bereits recht hoch, also: Menschen denken nicht mehr nur, sie denken manchmal auch ausgiebig nach, einige mehr, andere weniger.

 

Betrachten lässt sich seitdem, dass Geschlechtlichkeit bewusster reflektiert wird: Es gibt Deutungsstrategien für das nicht Sichtbare wie für die inneren Vorgänge der Menstruation, über die noch im hohen Mittelalter merkwürdige Ansichten herrschen, über die Rolle des Sperma bei der Fortpflanzung und die angenommene Rolle der weiblichen Sexualsekrete dabei.

 

Zentrales Moment wird die Entwicklung von Scham und Ekel: Im Unterschied selbst zu den anderen Säugetieren ekelt sich der Mensch vor dem eigenen Kot und oft auch vor dem Urin. Zu dem Ekel verhelfen ihm die Wertungen seines Geruchs- und Geschmackssinnes. Ähnliche Ekelgefühle traten in vielen Kulturen auch gegenüber Sperma und Monatsblut auf. Der Ekel ist sicherlich ein Verstärker der Scham: Schamgefühle sind aber nicht unmittelbar sinnlich begründet, denn im Kern sind sie Schuldgefühle, die sich mit sinnlichem Erleben verbinden.

 

Verstärkt wird die Scham auch durch die enge Nähe von Ausscheidungsorten der Verdauung und Orten der Fortpflanzung (inter faeces et urinas nascimur, schreibt Augustinus, also: wir werden zwischen Scheiße und Urin geboren), aber diese Nähe besteht auch bei den ganz und gar schamlosen Säugetieren. Die Scham ist also ein Kultur- und kein Natur-Phänomen. Erklärbar ist sie darum nur durch einen Riss im Selbstbild der Menschen ab einer bestimmten Kulturstufe, als sie sich nämlich getrennt von einer nun objektivierten Natur zu erleben beginnen: Die Menschen werden für sich etwas besonderes, sind keine Tiere wie alle anderen mehr. In der Wahrnehmung ihrer Verdauung und Fortpflanzung bleiben sie es aber, - und das wird verständlicherweise als beschämend erlebt. Kultur und Scham gehören so zusammen wie der heute auslaufende Kapitalismus und die Schamlosigkeit.

 

Zwei Aspekte menschlicher Geschlechtlichkeit sind dafür besonders augenfällig: Der eine betrifft die Unwillkürlichkeit sexueller Vorgänge insbesondere beim Mann. Seine Erektionen, seine Pollutionen, seine Potenz unterliegen nicht einfach seiner Willkür. Ein Mann kann sich sein sexuelles Begehren auch nicht einfach verbieten. Frauen haben es da aufgrund ihrer sexuellen Konstitution zumindest manchmal ein wenig leichter, aber im Kern gilt dasselbe auch für sie.

 

Kein Mensch kann sich also als Geschlechtswesen ganz und gar als „Herr“ im eigenen Haus betrachten, vielmehr muss er "sich" zumindest auch als Objekt seiner Triebe erleben. Die Kulturleistung ist so deren schwierige Subjektivierung, das Ideal ihrer Beherrschung.

 

Der zweite Aspekt betrifft das rauschhaft flutende Moment bei ansteigender sexueller Erregung, bis dann der Verstand aussetzt und der Mensch kurz mal seine angemaßte Würde verliert und auch in seiner eigenen Wahrnehmung wieder "ganz zum Tier" wird.

 

Da sind dann Frauen wiederum stärker ausgestattet, denn ihre scheinbar winzige Klitoris, zum größten Teil den Blicken entzogen, ist ein reines Lustorgan. Daraus werden kulturelle Irritationen hervorgehen und sich in Zivilisationen versteifen. Weibliche Sexualität kann dabei als bedrohlich empfunden werden und so besondere Bändigung und Unterwerfung provozieren. (Dabei wäre näher zu untersuchen, in welchem Umfang monogame Familie und Verwandtschaftskonstruktionen Männerwerk sein könnten.)

 

Zu diesen zwei Aspekten kommt ein schwer zu gewichtender dritter, deshalb nicht leicht einzuordnen, weil Kulturen damit ganz verschieden umgingen: Es ist die sich bei Mann und Frau verschieden ausformende und leicht verschieden äußernde Verbindung des Schmerzes mit der Lust – sowohl im Begehren wie insbesondere in der Triebabfuhr. Im Stöhnen, Wimmern, diversen Klagelauten usw. äußert sich das bekanntlich – im Orgasmus verschmelzen dann Schmerz und Lust ganz kurz miteinander.

 

Diese eigenartige Verbindung von Schmerz und Lust wirkt reichlich irritierend, besonders wenn man sie als gerade Außenstehender erlebt. Sie wird darum gerne ignoriert, viele versuchen ihre Wahrnehmung für nichtig zu erklären. Gelegentlich werden sie als sadistische und masochistische Momente benannt, was wenig hilfreich ist. Aber in den Texten von de Sade und von Sacher-Masoch wird deutlich, was geschieht, wenn eine Seite deutlich dominant wird – wenn die Lust durch das bewusste Zufügen oder Erleiden des Schmerzes gesteuert oder gar gesteigert wird.

 

Dem dummen Geschwätz, es gebe mehr als zwei Geschlechter, schließen wir uns nebenbei gesagt nicht an. Offenbar ermöglicht u.a. auch die partielle Entkoppelung von sexueller Gier und Fortpflanzung zunehmend (abartige) sexuelle Orientierung von Frauen auf Frauen und Männern auf Männer zum Beispiel, wobei es sich aber dennoch immer um Frauen und Männer handelt. Darüber hinaus verirrt sich der männliche Phallus auch schon mal in von der Natur dafür nicht vorgesehene Körperöffnungen der Frau, um der sexuellen Notdurft auch so und eher einseitig Abhilfe zu schaffen. All dies wie auch die an Päderastie grenzende Knaben"liebe" im antiken Griechenland belegt nur, dass ein sich von der Fortpflanzung lösender Geschlechtstrieb jedenfalls der Kultivierung bedarf, damit Menschen nicht sexueller und daraus resultierend psychosozialer Verwahrlosung verfallen.

 

 

Kultur(en)

 

Die Evolution ist zufällig und blind und gehorcht keinem klugen Gott, sondern ihren eigenen Regeln, die beim Menschen selbstzerstörerisch werden. Sie verläuft über Erfolg und Misserfolg, trial and error. Dabei ist immer die Verbindung des kurzfristigen Erfolges mit dem langfristigen Misserfolg möglich. Die nun beim geschlechtsreifen Menschen einsetzende "Allgegenwart" des Geschlechtstriebes führt zu einer nicht mehr nur auf eine kurze Phase im Jahr begrenzten sexuellen Konkurrenz untereinander, die nun wiederum gebändigt werden muss, um das Überleben der Gattung und ihre weitere Karriere zu sichern: Formen von Ehe und Verwandtschaft bezähmen diesen Konkurrenzkampf mehr oder weniger intern, - und tragen ihn dafür nach außen.

 

Zu den Besonderheiten in der Menschwerdung gehört die lange Zeit, bis Kinder so weit sind, sich selbst ernähren und schützen zu können. Zur notwendigen, nun lang anhaltenden Elternschaft kommt so die Gruppenbildung über biologische Verwandtschaft und darüber hinausgehende ideelle (nur vorgestellte) Formen von "Verwandtschaft", um den Erfolg von Elternschaft zu sichern. Wichtigste Aufgaben solcher Gruppen sind Ernährung und Schutz insbesondere auch des Nachwuchses vor konkurrierenden Tieren und anderen Menschengruppen.

 

Geschlechtlichkeit ist ein Erfolgsprogramm der Evolution und dient der Entwicklung immer komplexerer Spezies. Da sie beim Menschen mit der Geschlechtsreife nicht mehr zur kurzzeitigen Geilheit mit ihren Konkurrenzkämpfen führt, sondern durchs Jahr die Menschen antreibt, die Kinderaufzucht aber für viele Jahre gewährleistet werden muss, muss eine besondere Beziehung zwischen Eltern und Kindern gewährleistet sein, welche offenbar nun nur über Ehe und Familie hergestellt werden kann. 

Daraus entwickelt sich weitergehende Verwandtschaft, die dann durch ideelle Verwandtschaft Vergesellschaftung in Gemeinschaften hervorbringt. Gemeinschaften seien hier definiert als Gesellschaften, die ein gemeinsames Leben führen. Gesellschaften können aber, wie noch zu sehen sein wird, auch von solchen Menschen gebildet werden, die darin nur einen oder mehrere Aspekte des Lebens gemeinsam haben, einen Kult oder ein Gewerbe zum Beispiel.

Ehe, Familie und Verwandtschaft haben, was die kurzzeitige Befriedigung des Geschlechtstrieb betrifft, erhebliche Verzichtsleistungen zur Voraussetzung: Sie beinhalten den steten Versuch des Verzichts auf die Kopulation mit anderen als dem zweiten Elternteil. Dazu kommt für den langfristigen evolutionären Vorteil der Verzicht auf die Partnerwahl unter engen Verwandten: Man paart sich nicht mit den Geschwistern, Eltern und manchmal auch darüber hinaus nicht.

 

Wie massive Verzichtsleistungen diese Mühen der Kultivierung des Geschlechtstriebes bedeuten, erweist sich heute, wo in verfallenden Zivilisationen bei durch Kapitalinteresse induzierte Orientierung auf ungebundene Triebbefriedigung die Mühen der Herstellung von Vergemeinschaftung subjektiv zunehmen und diese immer mehr verunmöglichen. Die erkennbare Folge ist das Absterben selbst großer Völkerschaften, für die die politischen Vertreter des großen Kapitals als Ersatz andere als neues Menschenmaterial importieren - wie zum Beispiel in der immer weniger mehr deutschen BRD.

 

Zurück in die Frühzeit der Menschen. Es muss bei alledem Spekulation bleiben, was damals geschah. Aber es erscheint plausibel, eine Art Interdependenz von allgegenwärtigem Geschlechtstrieb, einem menschliche Sprache (und entsprechendes Denken) ermöglichendem Gehirn und den zugleich notwendigen Sprechorganen anzunehmen, denn sie bedingen sich für das Überleben und den Erfolgsweg des Menschen gegenseitig.

Die Bezähmung des spezifisch menschlichen Geschlechtstriebes, seine Domestizierung in Gemeinschaften, die hier zunächst nur vage als Gruppen bezeichnet werden können, ist jedenfalls die erste Kulturleistung des Menschen, die ohne sprachliche Kommunikation kaum denkbar gewesen wäre.

 

 

Die ursprüngliche Kulturleistung, wie sie als erster Sigmund Freud reflektierend begriffen hat, verlangt nach einer Impulskontrolle, die im immer wieder zu leistenden Verzicht auf das Ausleben von Triebhaftigkeit, also Aggression, in den menschlichen Gemeinschaften gipfelt, dem entscheidenden gemeinschaftsbildenden Akt. Die Unterdrückung von Aggression bei gleichzeitiger Vermeidung ihrer Verwandlung in Depression oder der Verwandlung in die Gattungsgeschichte bedrohende Perversionen nach der Abdrängung ihrer Neigungen ins Unterbewusste bzw. zur Gänze Unbewusste wird durch jene Vorgänge von Reflektion begleitet, die nach spezifisch menschlicher Sprache verlangen. Sie leistet zudem auch jene Kommunikation, die das ganzjährig aggressive Gehabe, welches zur sexuellen Triebabfuhr drängt, gemeinschaftsbildend umformt. Reflektion aber bedeutet auch ein weites Feld des möglichen Irrtums.

 

Das Maß an Aggression, welches das Raubtier Mensch nicht mehr in den lebensnotwendigen Gemeinschaften ausleben kann, wird nach Möglichkeit kultivierend nach außen abgeleitet: So wird das Töten von Menschen im biologischen wie ideellen Verwandtschaftsverband trotz und zugleich wegen der erhöhten, durch die Permanenz des Geschlechtstriebes begründeten Aggression, also dem in der Fortpflanzung gipfelnden Kampf ums Dasein tabuisiert und nach außen abgedrängt. Damit bescheiden sich Menschen aber nicht mehr mit gegenseitiger Verdrängung im Kampf um Nahrung, sondern sie führen massiver als Primaten das Töten von Artgenossen außerhalb der eigenen Gemeinschaft als Teil ihrer Lebensführung ein und zugleich den Mord als verbotenes, aber offenbar immer wieder einmal unvermeidliches Töten in ihr.

 

Kultur als Bezähmung von Triebhaftigkeit bedeutet deren immer wieder neue Frustration, und deren Aushalten bedeutet Leidensfähigkeit. Sprache liefert dafür erste Begründungszusammenhänge als Erklärungsversuche. Die Kompensation des Leidens liegt aber zunächst im Erleben des Erfolges von Kultur als Überlebensstrategie im Kampf ums Dasein. Menschen erobern sich immer mehr Lebensräume auf der Erde und passen sich an diese an.

 

Zur Bezähmung des Geschlechtstriebes kommt eine zweite, mit der ersten aller Wahrscheinlichkeit nach interdependente Leistung, nämlich der aufrechte Gang und die unterschiedliche Nutzung der Vorder- und Hinterbeine. Erst in dieser Summe seiner Möglichkeiten gelingt es den Menschen, sich massiv zu vermehren und über die Erde auszubreiten.

 

Der aufrechte Gang verändert Menschen ganz massiv: Anders als bei seinen nächsten Verwandten erweitert sich nicht nur das Sichtfeld, sondern man kann die Beine auf das Stehen und Laufen und die Arme und Hände auf andere Tätigkeiten spezialisieren. Însbesondere kann man Werkzeuge aus besonders geeignetem Gestein herstellen, die zunächst wohl besonders als Waffen dienen. Damit kann der Fleischkonsum gesteigert werden, was besonders dem Gehirnwachstum dank erheblicher Energiezufuhr dient. Die Nutzung eines gezähmten Feuers vergrößert die Energieausbeute insbesondere aus Fleisch noch einmal.

 

Zugleich hat der aufrechte Gang gravierende Auswirkungen auf den Fortpflanzungstrieb: Der noch bei den verwandten Tieren wenig lustvolle kurze Koitus von hinten, hervorgerufen durch die signalisierte Fortpflanzungsbereitschaft des weiblichen Geschlechtes, wird ersetzt durch den von Angesicht zu Angesicht, personalisierter nun, und die stets gerundete weibliche Brust als Signal fast dauernder Empfängnisbereitschaft, als Ersatz nämlich für die Hinterbacken. Das wird ergänzt durch mehr Lust erzeugende und nachfragende Geschlechtsorgane, die immer wieder nach Befriedigung, also Erschöpfung des Triebes rufen.

 

Dabei spricht alles, auch die Kenntnis bis vor kurzem noch nicht ausgerotteter bzw. zerstörter Kulturen, dafür, dass das ursprüngliche Kulturwesen Mensch sich noch weitgehend als integralen Teil der lebendigen Natur versteht. Das, was ihn auch für sich selbst deutlich von der übrigen Natur trennt, Formen von Scham und Ekel, die sich auf die Ausscheidungen der Verdauung und die sichtbaren Fortpflanzungsorgane beziehen, löste ihn offenbar bewusstseinsmäßig noch nicht völlig aus den lebendigen Zusammenhängen der Natur heraus, zeichnete ihn aber zugleich bereits wesentlich als Kulturwesen aus.

 

Mit den nun auf das Sammeln und Erjagen von Nahrung spezialisierten Armen und Händen, der mit den Mitteln sprachlicher Kommunikation gelingenden Zähmung des Geschlechtstriebes und der Vergesellschaftung in Gruppen, der Objektivierung von "Natur" im reflektierenden und spekulierenden Denken erweist sich der Mensch als seinen unmittelbaren tierischen Konkurrenten auf die Dauer als überlegen und bevölkert nach und nach immer größere Teile der Erde.

Zähmung der Triebhaftigkeit bis hin zur Impulskontrolle als elementarer Aspekt von Vergesellschaftung sollen hier als wesentlicher Ansatz menschlicher Kulturbildung verstanden werden. Verwendung findet dabei hier ein antik-römischer Begriff, auch wenn der unter ganz anderen Umständen etwas ein Stück weit anderes meint: Dabei ist natura für uns hier die lebendige Welt jenseits menschlicher Eingriffe und cultura der pflegliche und dann auch gestaltende Umgang mit dieser Natur, abgeleitet von den Wörtern für die Tätigkeiten des Gebärens und des Pflegens (nasci und colere). Dabei bleibt "Natur" in seiner Reichweite oft ungenau. Cicero schreibt darum: naturam ipsam definire difficile est. (De inventione I), also, dass es schwierig sei, Natur zu definieren. Ist Natur nur die belebte, oder auch die unbelebte Welt? Ist etwa alle Welt "belebt"? Inwieweit sind Menschen auch "Natur"? Auf jeden Fall sollten wir vermeiden, natürlich mit selbstverständlich gleich zu setzen und damit seines originären Inhalts zu berauben oder gar dies Eigenschaftswort als Argument misszuverstehen.

 

Unter Kultur war sicherlich ursprünglich vor allem die agricultura gemeint, der pflegliche Umgang mit Erde und Leben. Für die Römer wird der Raum der „Kultur“ der spezifisch menschliche, und sie beziehen ihn vor allem auf sich selbst und später dann auch auf die griechischen Nachbarn. Er wächst dabei immer mehr aus dem Bereich produktiver Landbearbeitung heraus, und zwar für jene kriegerische Gutsbesitzerschicht, die körperliche Arbeit ganz „aristokratisch“ verachtet und die ihre Sprache auch mittels Verschriftlichung immer mehr durchsetzt.

 

Solche späte Begriffsbildung unter Bedingungen von (latinischem) Ackerbau und Viehzucht und dann (römischer) Zivilisierung, taugt für unseren Text nur notgedrungen und in soweit, als es unserer Sprache an anderen Begriffen mangelt. Sprache ist und bleibt dabei ein mächtiger und gefährlicher Stolperstein auf dem Weg jeglicher Geschichtsschreibung, und dies zuallererst auch deswegen, weil sie raum- und zeitgebunden ist und schon darum klarer Definitionen bedarf.

 

Der aus den Zusammenhängen der hippokratischen Texte stammende Satz medicus curat, natura sanat beschreibt in der cura einen Aspekt von Kultur und setzt ihn im Rahmen einer entfalteten Zivilisation in eine gewisse Opposition zur Natur. Aber schon sobald Menschen einen Begriff von Natur haben, treten sie ihr in ihm gegenüber, -wie in jedem Begriff. Der Mensch erwächst zwar als Lebewesen aus der Natur, aber er erhebt sich nach dieser Ansicht entwicklungsgeschichtlich über sie in der Kultur. Entsprechend repräsentieren Vorfahren der Götter zunächst Naturkräfte, aber sie wachsen darüber hinaus in ihrer zunehmenden Menschenähnlichkeit und in der kunstvollen Gestalt, in der die Menschen sie schließlich betrachten.

 

Für unsere Untersuchung ist allerdings auch wichtig, dass Kultur als Wort bis ins 17. Jahrhundert der lateinischen Sprache verhaftet bleibt und erst dann langsam in die deutsche Sprache eindringt. Es hat also bis in den späten Kapitalismus keinerlei Bedeutung tragende Tradition deutscher Art. Recht häufig ist das Gegensatzpaar Natur-Kultur zuvor auch in den lateinischen deutschen Landen eher als natura-ars ausgedrückt, also adjektivisch als natürlich und künstlich/kunstvoll. So schreibt beispielsweise Kaiser Friedrich I. an Otto von Freising, dass er Tortona belagerte, eine civitas munitissimam natura et arte, also eine durch Natur wie Menschenwerk stark befestigte Stadt (OttoGesta, S.84). Hier wie anhand vieler anderer Beispiele lässt sich erkennen, dass aus fremden Sprachen entlehnte Wörter leichthin eher der Verunklarung als einer klaren Begrifflichkeit dienen.

 

Hier soll Kultur als die Leistung der vergesellschafteten Bewältigung der natürlichen Absonderlichkeiten dienen, die sich in der Menschwerdung entwickeln. Wenn man sich für einen Moment aus dem angeborenen Gefängnis der kausalen Struktur unseres Denkens befreit, dann sollte man dabei besser von Interdependenzen reden, auch wenn wir uns solche schwerer vorstellen können. Aufrechter Gang, spezifische Geschlechtlichkeit, Sprache und Vergesellschaftung hängen dabei im Ursprung voneinander ab bzw. miteinander zusammen.

 

Das Wort Kultur in seiner lateinischen Form taucht zunächst in der römischen Antike auf und bezeichnet seitdem ständig Neues und Anderes. Die Entscheidung, seinen Gehalt zunächst einmal auf dem kritisch zu betrachtenden Gegensatzpaar Natur und Kultur zu fundieren, und dann Kultur bzw. Kultivierung als jenen Menschwerdungsprozess zu begreifen, der in den sogenannten jungsteinzeitlichen Neuerungen aufgeht, auf denen dann Zivilisationen beruhen, begründet sich darauf, das Wort erst einmal aus seinem zivilisatorisch-propagandistischen Nebel herauszunehmen, der an entsprechender Stelle weiter unten beschrieben wird, und es einer analytischen (bzw. kritischen) Wissenschaftlichkeit zugänglich zu machen.

 

Dabei soll Gesellschaft als Begriff in seiner ursprünglichen Bedeutung beibehalten werden, nämlich als das bewusste sich zueinander Gesellen mit dem Ziel einer gewissen Dauerhaftigkeit. Das seit dem 19. Jahrhundert modische Soziologen-Kauderwelsch, welches unter anderem verunklarend Gesellschaft mit Einwohnerschaft oder Untertanenverband gleichsetzt, soll hier grundsätzlich außen vor bleiben. Die beiden letzteren Begriffe genügen völlig für das, was sie bezeichnen.

 

Vermutlich ist für die spezifisch menschliche Form der Vergesellschaftung in der Zeit der Kulturbildung noch ein weiterer Faktor elementar: Die mehr oder weniger feine bloße Gesichtshaut und die menschliche Gesichtsmuskulatur erlauben es, sehr detailliert innere Regungen außen darzustellen und beim anderen wahrzunehmen. Dabei dürfte das zu einer Interdependenz mit der Entwicklung eines differenzierteren Gefühlshaushaltes über grundlegende Emotionen hinaus geführt haben. Das wiederum dürfte die Empathie, das Einfühlungsvermögen also, gefördert haben, welches Sprache als Mittel gehobenerer Kommunikation und nicht nur der schieren Bezeichnung durch Laute gefördert haben mag. Solche verbale Interaktion schließlich scheint Voraussetzung für spezifisch menschliche Vergesellschaftung zu sein.

 

In der Kultur vereinen sich so die Vorteile des Menschen vor den übrigen Lebewesen mit der Bewältigung ihrer Nachteile, die diese zugleich sind.

 

Am Ende von 'Warum Krieg' formuliert Freud an Einstein: Ich meine das Folgende: Seit unvordenklichen Zeiten zieht sich über die Menschheit der Prozess der Kulturentwicklung hin. (Ich weiß, andere heißen ihn lieber: Zivilisation.) Diesem Prozess verdanken wir das Beste, was wir geworden sind, und ein gut Teil von dem, woran wir leiden.

Das, was Freud als Leiden an der Kultur bezeichnet, ist das Leiden an der Bewältigung der Menschwerdung, der Teil-Bezähmung von immer aggressiver Triebhaftigkeit und überhaupt aggressiven Impulsen, die Kulturbildung als Vergemeinschaftung verhindern würden. Solche Unterdrückung als Verzichtsleistung führt zu wiederkehrenden Frustrationen unmittelbar und zur Verlagerung von Triebenergie aus den (immer kleinen und überschaubaren) Gesellschaften heraus nach außen. Was in manchen Kulturen als rituelle Raubüberfälle auf Nachbargemeinschaften stattfindet, wird aber in Zivilisationen zur Institution von Kriegen mit professionalisiertem Militär werden. Ein noch dunkleres Kapitel ist die Verlagerung von Triebenergie in nicht mehr unmittelbar bewusste Areale im Menschen, ihre Transformation und ihr Wieder-Auftauchen in ganz anderen Zusammenhängen. Dies soll aber erst im Zeitalter des Kapitalismus beschrieben werden, wo so etwas langsam besser dokumentiert ist.

 

Der Begriff Kultur kann natürlich ohnehin wie jedes historische Begreifen erst im Nachherein entstehen und ist erst dort dokumentiert, wo angemessene Schriftlichkeit vorhanden ist. Voraussetzung für Kultur aber ist Sprache und damit das Tradieren von Erfahrung als unmittelbarer Bezug zu wahrgenommener Wirklichkeit. Solche Voraussetzung für Kultur wird dort zerstört, wo sie unter das Diktat institutionalisierter Macht gerät, das, was hier Zivilisation heißen soll, - anders als bei Freud, der den moralisch-überheblichen Unterton in "Zivilisation" vermeiden wollte. Das aber gehört in ein späteres Kapitel.

 

Nach der römischen Antike mit ihrem zivilisatorischen Kulturbegriff  gerät dieser unter die Fuchtel eines judäo-christlichen Zerrspiegels und verkommt schließlich zum Religionsersatz eines gehobenen "bürgerlichen" Amüsierprogramms ("Bildung"), welches mit dem hier favorisierten Begriff überhaupt nichts mehr zu tun hat und heute in der durchkommerzialisierten Amüsierindustrie für eine Bevölkerung als ohnmächtiger und immer verblödeterer Konsumentenmasse verendet. Wir bleiben hier bei der historisch erworbenen Vorstellung, die sich noch an den letzten überlebenden Kulturen der letzten Jahrhunderte verifizieren ließ, bevor auch diese zerstört wurden.

 

 

Kultur als Prozess: Sigmund Freud

 

Es gibt in Wirklichkeit keine Trennung zwischen inneren Bewegungen und äußerem Handeln der Menschen. Beide bilden eine Einheit. Von dem, was in Menschen in jenem Vorgang, den wir hier als Kultur verstehen wollen, vor sich geht, beschrieb Geschichte als Text bislang nur das, was sie als (scheinbare) Selbstverständlichkeiten der Reflektion entziehen möchte. Es war die Leistung des älteren Sigmund Freud, angesichts der untergehenden abendländischen Zivilisation in einer Anzahl kleinerer Schriften und Briefe das Innenleben der Menschen mit ihrem sichtbaren Handeln in Beziehung zu setzen. Dies leistete er durch Analogiebildungen und Schlüsse, die als Resultat der durchaus ansonsten in manchem problematischen Psychoanalyse des Mediziners Freud entstammen.

 

Ein allerdings schematisierender Kernsatz ist der folgende:

Diese Ersetzung der Macht des einzelnen durch die der Gemeinschaft ist der entscheidende kulturelle Schritt. Ihr Wesen besteht darin, dass sich die Mitglieder der Gemeinschaft in ihren Befriedigungsmöglichkeiten beschränken, während der einzelne keine solche Schranke kannte. ('Das Unbehagen in der Kultur' III)

 

Als Erben eines abendländischen (versprachlichten) Bewusstseins können wir etwas anders formulieren, der Mensch wird vom Naturwesen zum Kulturwesen, oder besser, er entwickelt Kultur in der Natur. Dabei verwandelt er Unmittelbarkeit in kulturelle Vermitteltheit, solche, die nur solange erfolgreich ist, wie Erfahrung sie nicht bricht und nur solange, wie sie tagtäglich eingeübt wird.

 

  

 

Lust und Frustration

In all dem bewegen naturgegebene Aggression und damit verbunden das, was Freud das „Lustprinzip“ nennt, alle Vorgänge. Zu letzterem schreibt er:

Es ist, wie man merkt, einfach das Programm des Lustprinzips, das den Lebenszweck setzt. Dies Prinzip beherrscht die Leistung des seelischen Apparates vom Anfang an; an seiner Zweckdienlichkeit kann kein Zweifel sein, und doch ist sein Programm im Hader mit der ganzen Welt , mit dem Makrokosmos ebenso wie mit dem Mikrokosmos. Es ist überhaupt nicht durchführbar, alle Einrichtungen des Alls widerstreben ihm; man möchte sagen, die Absicht, dass der Mensch „glücklich“ sei, ist im Plan der „Schöpfung“ nicht enthalten. Was man im strengsten Sinne Glück heißt, entspringt der eher plötzlichen Befriedigung hoch aufgestauter Bedürfnisse und ist seiner Natur nach nur als episodisches Phänomen möglich. Jede Fortdauer einer vom Lustprinzip ersehnten Situation ergibt nur ein Gefühl von lauem Behagen; wir sind so eingerichtet, dass wir nur den Kontrast intensiv genießen können, den Zustand nur sehr wenig. ('Das Unbehagen in der Kultur', II)

 

Um das deutlicher zu machen: Das Getriebensein in aller Natur äußert sich beim Menschen, sobald er in Sprache sich selbst (formulierend) gegenüber tritt, als Lust und Unlust. Das Streben nach angenehmem Gefühl trifft dabei bekanntlich immer wieder einmal auch auf seine Frustration, seine Vereitelung. Die Leistung von Kulturen besteht dann darin, in der Ernährung und im Geschlechtstrieb einmal Frustrationstoleranz zu erlernen, zum anderen sein Anspruchsniveau der jeweils vorhandenen Wirklichkeit anzugleichen: Kultur ist so die (jeweils) gelungene gemeinschaftliche Konstruktion von Welt.

 

Menschen entwickeln also im Prozess der Menschwerdung gegen die Bedrohungen, denen sie sich gegenüber sehen, Besonderheiten wie die Sprache und eine spezifische Geschlechtlichkeit, die wiederum, und zwar zugleich, das herausfordern, was wir Kultur nennen. Diese wiederum ist eine Form gemeinschaftlich entwickelter und vor allem individuell praktizierter Selbstbeherrschung.

 

Herr ist man immer über etwas oder jemand, und sei es nur ein wenig über sich selbst. Letzteres erreicht man auch über die Internalisierung der Ansprüche einflussreicher Anderer. Das betrifft sowohl Männer wie Frauen, auch wenn der "Herr" männlichen Geschlechts ist. Da der Vorläufer des deutschen "Herrn", was mit "hehr", mit "geachtet, würdig sein" zu tun hat (was der senior der römischen Antike war, der zum seigneur wie signore wird) aus demselben Stamm wie das Wort "Frau" herkommt, war diese sinngemäß die Herrin, wie sie denn auch in der frühen Neuzeit manchmal tatsächlich genannt wird, als die frouwe langsam ihre moderne Bedeutung erhält (sie löst das wîp ab, welches nun weiter abgewertet wird).

 

Im romanischen Raum des Mittelalters wird der senior durch die seniora ergänzt, und der volkssprachlich bis auf den "don" verschwindende dominus durch die domina, die zur italienischen donna (okzitanisch dompna) und zur französischen (ma)dame mutiert.

Insofern kann man getrost die (Selbst)Beherrschung auf Männer wie Frauen beziehen. Sie ist zunächst Verzicht auf das spontane Ausleben von Triebregungen, dann die Beschränkung der eigenen Emotionalität und am Ende in extremo die Auferlegung von Restriktionen auf das Gefühlsleben.

 

Geschlechtlichkeit

Der Geschlechtstrieb ist genauso aggressiv wie der nach Nahrungsaufnahme trachtende, er wird als genauso fordernd empfunden und geht genauso aggressiv vor. Das gilt bis hin zum aggressiven Eindringen des erregten Mannes in die zu befruchtende oder seinen Trieb einfach nur abführende Frau. Unter Menschenaffen gibt es eine ganze Palette offen aggressiven Verhaltens von Männchen gegenüber Weibchen. Die Erotisierung des Sexuellen verändert dann  das Verhalten und die Vorstellungen, nicht aber den Trieb selbst.

 

Im Moment der Bindung des Mannes an die Frau als Mutter seiner Kinder muss das aggressive Moment des Geschlechtstriebes in ein stärker konstruktiv-produktives umgeformt werden. Es ist davon auszugehen, dass die fehlende notwendige Übereinstimmung der Aspekte von Lust und Fortpflanzung in der Sexualität, die, wie Freud sagt, den ganzen Körper zur "erogenen Zone" machen können, und die sexuelle Interaktion damit ein Stück weit von dem Fortpflanzungsziel trennen, dabei helfen, den Sexus erotisch zu transformieren, so dass die konstruktiv-produktiven die aggressiven Anteile in gewissem Sinne übertreffen können.

 

Da die ausbleibende Befriedigung von Hunger und Durst zum Tod führt, wird sie in der Regel als erste Notwendigkeit erlebt und der Geschlechtstrieb gilt dann als sekundär. In Wirklichkeit aber gehören beide zusammen, damit Leben sein kann. Zudem bewirkt der Umgang mit der Geschlechtlichkeit beim Menschen Vorgänge, die aus der Verhaltensveränderung Veränderungen in ihm bewirken, die wiederum auf sein Verhalten einwirken. Für die Kulturbildung ist darum die menschliche Geschlechtlichkeit gleichrangig.

 

 

Da Leben nur möglich ist, indem es sich selbst hervorbringt, lässt sich erahnen, dass der Fortpflanzungstrieb überhaupt das Lebendigste, Intensivste ist, was wir von uns kennen. Tatsache ist nun, dass dieser Sexualtrieb – was sich bei Primaten schon andeutet – bei befriedigtem Hunger und Durst beim Menschen übermächtig wird: Abgesehen von den Besonderheiten von Kindheit und hohem Alter unterliegt er beim Menschen keiner saisonalen Periodizität mehr als der des Wechsels zwischen Aufbau und Abbau jener triebhaften Spannung, die nach Befriedigung drängt.

Fast alle Tiere haben nur eine kürzere oder längere Fortpflanzungssaison, bei den kleinsten Affen ein Tag, bei Hirschen bis zu anderthalb Monate, die wohl am Geburtendatum hängt, welches durch Klima, Vegetation bzw. Verfügbarkeit von Beutetieren gebunden ist. Freud schreibt dazu:

Vermutlich hing die Gründung der Familie damit zusammen, dass das Bedürfnis genitaler Befriedigung nicht mehr wie ein Gast auftrat, der plötzlich bei einem erscheint und nach seiner Abreise lange nichts mehr von sich hören lässt, sondern sich als Dauermieter beim einzelnen niederließ. Damit bekam das Männchen ein Motiv, das Weib oder allgemeiner: die Sexualobjekte bei sich zu behalten; die Weibchen, die sich von ihren hilflosen Jungen nicht trennen wollten, mussten auch in deren Interesse beim stärkeren Männchen bleiben.('Unbehagen', IV)

 

Auch hier versucht Freud eine Analogie zwischen dem heranwachsenden Einzelnen und dem Prozess der Kulturbildung, der Menschwerdung im Allgemeinen herzustellen. Dabei zerstört er die Unschuldsvermutung beim Kind, wie sie das Christentum formulierte, und erklärt den Menschen von Anbeginn zu einem Geschlechtswesen. Die noch nicht genital fixierte kindliche Sexualität ist erst einmal ungerichtet und übt sich dann daran, beliebige und notwendige Objekte des Begehrens zu finden. Die des erwachsenen Menschen ist im Kern nicht mehr ausschließlich auf die Fortpflanzung ausgerichtet, sondern vermittelt sich primär als spannungslösende Befriedigung in der kurzen Phase bei ihm nun intensiverer Lust. Im Fetischismus erinnern sich Erwachsene an die kindliche Fähigkeit beliebiger Besetzung von Gegenständen mit ihrem nun genital zentrierten Begehren. In der Fetischisierung von Waren werden diese dann  jenseits unmittelbarer Nützlichkeit zu Objekten des Begehrens werden.

 

Die spezifische menschliche Sexualität war wohl dasjenige Moment organischer Entwicklung, in dem der Mensch vor allem "zum Menschen wurde". Im Umgang mit ihr wurde er zum Kulturwesen. Dazu bedurfte es der sozialen Bindungen, aus denen Familie entstand. Diese sind aber nur möglich unter Einhalten von Verboten, die ein sich Versagen von Formen der Triebbefriedigung beinhalten, bzw. ein Hemmen des Sexualtriebes, wobei es Freud darum geht, was dabei im Menschen bzw. beim Menschen geschieht. Voraussetzung für das Verständnis ist, dass Triebe dort nicht weniger werden oder gar verschwinden, wo sie nicht ausgelebt werden, also Befriedigung finden, sondern an Kraft eher zunehmen:

Man darf sagen, die Aufgabe der Bewältigung einer so mächtigen Regung wie des Sexualtriebes anders als auf dem Wege der Befriedigung ist eine, die alle Kräfte eines Menschen in Anspruch nehmen kann. Die Bewältigung durch Sublimierung, durch Ablenkung der sexuellen Triebkräfte vom sexuellen Ziele weg auf höhere kulturelle Ziele gelingt einer Minderzahl, und wohl auch dieser nur zeitweilig, am wenigsten leicht in der Lebenszeit feuriger Jugendkraft.

(...) Denn der psychische Wert der Sexualbefriedigung erhöht sich mit ihrer Versagung

(...) Das sexuelle Verhalten eines Menschen ist oft vorbildlich für seine ganze sonstige Reaktionsweise in der Welt. ('Die „kulturelle“ Sexualmoral und die moderne Nervosität')

 

Während der altsteinzeitliche Jäger und Sammler möglicherweise keine Bedenken hatte, sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu ernähren und soweit im Tierreich verbleiben konnte, steht ihm irgendwann im sexuellen Bereich kein bedenkenloses Triebleben mehr zu. Die christliche Diffamierung des Geschlechtlichen hat hier ihren Ursprung, aber aus dieser maximalen Irritation erwächst im Zuge der Säkularisierung des 19. Jahrhunderts auch ein Reflektionspotential. Dass dieses zunächst als Ärgernis auftaucht und dann im Warencharakter von Sexualität im Gegenschlag des 20. Jahrhunderts pornographisiert werden kann, deutet ebenfalls die enorme Macht des Sexuellen in der Menschheitsgeschichte an.

 

Die Tatsache des "Inter urinas et faeces nascimur" des Augustinus, wir werden  zwischen Urin und Faezes geboren (und auch gezeugt), führte wohl  dazu, dass die menschliche Geschlechtlichkeit neben der metabolischen Ausscheidung in Kulturen schambesetzt wurde, und erst die vollständige Eroberung der menschlichen Körper durch das Kapitalinteresse hat das in der sogenannten "westlichen" Welt zunehmend reduziert. Der moderne Mensch des spätesten Kapitalismus ist schamloser als seine früheren Versionen (Dürr).

 

Aus alledem geht hervor, dass menschliche Sexualität ohne Kultur entweder anarchisch und chaotisch ist und damit die Art bedrohend, oder aber, unter den Machtstrukturen von Zivilisationen mit Hilfe von Priestern oder ähnlichen Progagandisten der Macht gelenkt und "von oben" für ihre Interessen kanalisiert wird. Was nun heute unter den Bedingungen der völligen Abkoppelung des sexuellen Begehrens von der Fortpflanzung geschieht, kann jeder um sich herum sehen: Das Absterben von Völkern einerseits und der biologische Triumph andererseits derjenigen, die weiter die derzeitige (unheilvolle) Massen-Vermehrung der Menschheit als anderes Extrem betreiben.   

 

Aggression

Die Existenz dieser Aggressionsneigung, die wir bei uns selbst verspüren können, beim anderen mit Recht voraussetzen, ist das Moment, das unser Verhältnis zum Nächsten stört und die Kultur zu ihrem Aufwand nötigt. Infolge dieser primären Feindseligkeit der Menschen gegeneinander ist die Kulturgemeinschaft beständig vom Zerfall bedroht. Das Interesse der Arbeitsgemeinschaft würde sie nicht zusammenhalten, triebhafte Leidenschaften sind stärker als vernünftige Interessen. Die Kultur muss alles aufbieten, um den Aggressionstrieben der Menschen Schranken zu setzen, ihre Äußerungen durch psychische Reaktionsbildungen niederzuhalten. (Freud, 'Unbehagen in der Kultur', V)

Dabei sind die psychischen Reaktionsbildungen in vielem solche, die unbewusst bleiben, und allerdings: "Kultur" ist kein Subjekt der Geschichte, das ist in Kulturen vielmehr jeder Einzelne in Beziehung zu seinen Nächsten.

Im weiteren heißt es:

Für alles weitere stelle ich mich auf den Standpunkt, dass die Aggressionsneigung eine ursprüngliche, selbständige Triebanlage des Menschen ist, und komme darauf zurück, dass die Kultur ihr stärkstes Hindernis in ihr findet. ('Unbehagen in der Kultur', VI)

Im Unterschied zu Freud sehen wir, wie schon angedeutet, Aggression nicht als Neigung und nicht als "selbständige" Triebanlage an, sondern als Kern der allen Lebewesen gegeben Lebendigkeit. Darüber hinaus scheint es sinnvoller, wohl eigentlich auch im Sinne von Freud, von den Triebhemmungen und dem domestizierenden Charakter von Kultur zu sprechen.

 

Die vitalen Triebe treten im Lebewesen nicht nur aggressiv fordernd auf, sondern sie werden auch aggressiv ausgelebt. Lebewesen ernähren sich von Lebewesen, vorwiegend solchen anderer Arten: Sie töten, lösen die Nahrung auf, verdauen sie und scheiden alles Unbrauchbare aus. Was natürlich ist, wird für den heutigen "zivilisierten" Menschen gerade mit seinem naturfern-christlichen Hintergrund und vor allem dessen profanen Weiterungen egoistisch und grausam, es muss verniedlicht werden.

 

Leben ist darauf aus, zur Befriedigung des eigenen Interesses Leben zielgerichtet zu vernichten. Das hindert Menschen nicht am Appetit und der Nahrungsaufnahme, aber in Kulturen führt es zu Schuldgefühlen, die kultisch abgearbeitet werden. Der Ursprung dieser Schuldgefühle kann natürlich nicht in menschlicher Gewalttätigkeit liegen, sondern er muss dort liegen, wo ihre Wahrnehmung als solche möglich wird. So wohl sind Opferkulte entstanden.

 

In Kulturen und mehr noch in fortgeschrittenen Zivilisationen führt dieser Vorgang zudem zum Ekel. Die menschlichen Ausscheidungs- und Fortpflanzungsorgane und alles Ausgeschiedene selbst werden für den Gesichtssinn wie insbesondere für den Geruchssinn unleidlich. Wir stehen in einer besonderen Linie von Primaten, deren Geruchsorgane sich seit Jahrmillionen zugunsten einer besonderen Art des Sehens zurückgebildet haben. Das Riechen ist eben das stärker der Willkür entzogene Sinnesorgan, im Unterschied zum Sehen lässt es sich kaum vermeiden. Kulturen setzen bereits stärker auf das Auge.

 

Mit dem Ekel verbindet sich die Scham. An diesem Punkt beschreibt Freud, was er „organische Verdrängung“ nennt, (...) „die den Weg zur Kultur gebahnt hat“, - etwas versteckt in eine Anmerkung:

Es wäre auch unverständlich, dass der Mensch den Namen seines treuesten Freundes in der Tierwelt als Schimpfwort verwendet, wenn der Hund nicht durch zwei Eigenschaften die Verachtung des Menschen auf sich zöge, dass er ein Geruchtstier ist, das sich vor Exkrementen nicht scheut, und dass er sich seiner sexuellen Funktionen nicht schämt. ('Unbehagen', IV, Anmerkung)

 

Dazu kommt, dass Menschen gegenseitig offensichtlich eine höhere Neigung zu aggressivem Verhalten bis in die Zerstörung des anderen entwickelten, als sie ohnehin ansonsten im Tierreich vorhanden ist. Das mag mit der gehemmten Triebabfuhr zusammenhängen, mag aber in vorzivilisatorischen Kulturen auch mit dem Bedarf an größeren Lebensräumen bei zunehmenden Populationen zusammenhängen. Diese gesteigerte Aggression durch die Kulturbildung wird in ihr dann bei erfolgreicher Kultivierung wiederum kanalisiert, d.h. kulturell ausgerichtet.

 

In Zivilisationen mit ihren höheren Bevölkerungszahlen ist schließlich die Gewalt verrechtlicht und wird zum Monopol des Staates. Kriegerische Gewalt wird nun nicht mehr kulturell vermittelt, sondern von den Mächtigen im Staat angeordnet und in ihrem Interesse durchgeführt.

 

Ambivalenz: Schuld, Ethos und Moral

Es gab keinen sinnvollen Kulturbegriff vor Freuds psychoanalytischem Ansatz zum Verständnis von Aggression in der Geschichte. Dieser krankt allerdings an zwei Schwächen: Einmal setzt er Kultur und Zivilisation in eins. Am Ende von 'Warum Krieg' formuliert Freud in einem Brief an Einstein:

 Ich meine das Folgende: Seit unvordenklichen Zeiten zieht sich über die Menschheit der Prozess der Kulturentwicklung hin. (Ich weiß, andere heißen ihn lieber: Zivilisation.) Diesem Prozess verdanken wir das Beste, was wir geworden sind, und ein gut Teil von dem, woran wir leiden.

Freud reagiert damit auf die Neigung seiner Zeit, "Zivilisation", deutsch unsinniger Weise oft durch "Hochkultur" ersetzt, eindimensional als "Fortschritt" gegen die "Unterentwicklung" der "Wilden" der kolonisierten Kontinente anzusetzen und unterscheidet zudem nicht zwischen Kultur und Zivilisation, wie wir das hier tun. Aber was andererseits bei ihm wichtig ist, ist die Abschaffung des längst  vorherrschenden Fortschrittsglaubens zugunsten der Erkenntnis  einer grundlegenden Ambivalenz in der Geschichte der Menschheit: Alle von Menschen betriebene Veränderung löst Probleme und schafft zugleich neue, und diese werden längst immer übermächtiger.

 

Freud übersieht dabei auch, dass seine Übertragung psychischer Vorgänge im Einzelnen, auf die er sich spezialisiert hat, auf Gruppen oder Massen von Menschen in Kulturen auf der gemeinschaftlichen Verarbeitung und Tradierung von Erfahrung beruht und in Zivilisationen auf der Durchsetzung von Machtinteressen durch wenige, die die originären Erfahrungen einzelner Menschen als Untertanen ideologisch und mit meist latenter Gewalt überdeckt. Die Zähmung der Aggressionen wird dabei am Ende eine doppelte.

 

Kultur ist so ein Vorgang der Bezähmung der eigenen Triebhaftigkeit als Grundlage aller Aggression, einer der Domestikation. Welch enorme und zugleich schmerzhafte Leistung sie darstellt, fasst Freud so zusammen:

Welcher Mittel bedient sich die Kultur, um die ihr entgegenstehende Aggression zu hemmen, unschädlich zu machen, vielleicht auszuschalten? ... Wir können (das) an der Entwicklungsgeschichte des einzelnen studieren. Was geht mit ihm vor, um seine Aggressionslust unschädlich zu machen? Etwas sehr Merkwürdiges, das wir nicht erraten hätten und das doch so naheliegt. Die Aggression wird introjiziert, verinnerlicht, eigentlich aber dorthin zurückgeschickt, woher sie gekommen ist, also gegen das eigene Ich gewendet. Dort wird sie von einem Anteil des Ichs übernommen, das sich als Über-Ich dem übrigen entgegenstellt und nun als „Gewissen“ gegen das Ich dieselbe strenge Aggressionsbereitschaft ausübt, die das Ich gerne an anderen, fremden Individuen befriedigt hätte. Die Spannung zwischen dem gestrengen Über-Ich und dem ihm unterworfenen Ich heißen wir Schuldbewusstsein; sie äußert sich als Strafbedürfnis. Die Kultur bewältigt also die gefährliche Aggressionslust des Individuums, indem sie es schwächt, entwaffnet und durch eine Instanz in seinem Inneren, wie durch eine Besatzung in der eroberten Stadt, überwachen lässt. ('Unbehagen' VII)

 

Ich möchte lieber schreiben, dass Kultur die innere Kolonisierung des Menschen durch den Menschen zur Schaffung überschaubarer menschlicher Gemeinschaften ist, so wie Zivilisierung den Menschen zunächst zusätzlich einer äußer(lich)en Form von "Staats"gewalt unterwirft. Womit wir bei zwei Wörtern angelangt sind, die es in sich haben.

 

Freud schreibt, wie gesagt, auch da von Kultur, wo Franzosen eher von civilisation reden würden, wobei er den technischen Fortschritt, die Künste und die Ausformung von Machtverhältnissen alle einbezieht. Immerhin beginnt bei ihm Kultur mit der Menschwerdung des Menschen, seiner Sonderentwicklung im Tierreich.

Eine Möglichkeit dahin nennt Freud Verdrängung des Triebes oder eher eines Teiles, Abdrängung in Form einer Umwandlung: Wenn eine Triebstrebung der Verdrängung unterliegt, so werden ihre libidinösen Anteile in Symptome, ihre aggressiven Anteile in Schuldgefühl umgesetzt. ('Unbehagen', VIII)

 

Unübersehbar sind das weithin unbewusste, wenn auch nachvollziehbare Vorgänge, in denen Menschen mehr oder weniger neurotisch werden, wie Freud das nennt. Wesentlich bewusster und raffinierter ist die Verfeinerung des Triebhaften in seiner Verwandlung. In diesem Vorgang bringt Freud die Künste unter. Die Triebsublimierung ist ein besonders hervorstechender Zug der Kulturentwicklung... ('Unbehagen' III) Dabei übernimmt Freud allerdings den bürgerlichen Kunstbegriff, der in seiner Zeit gerade im Untergang begriffen ist.

 

Über alle diese Vorgänge wacht das Über-Ich als Gewissen und Zensor, in dem Forderungen, die von außen gestellt werden, als eigene wahrgenommen werden. Wir haben es also mit der Internalisierung jener Anforderungen zu tun, die Menschen ein gemeinschaftliches Leben ermöglichen: Man darf ... annehmen, dass aller innere Zwang, der sich in der Entwicklung des Menschen geltend macht, ursprünglich, d.h. in der Menschheitsgeschichte, nur äußerer Zwang war. ('Zeitgemäßes über Krieg und Tod', I)

 

Die produktiven Ziele der Kultur müssen mit den zerstörerischen Komponenten der Aggression umgehen, was Freud als Erziehungsprozess bezeichnet. Unter dem Eindruck der Bezähmung des Aggressiven findet auch eine Erotisierung von Aspekten des Sexuellen statt:

Man lernt das Geliebtwerden als einen Vorteil schätzen, wegen dessen man auf andere Vorteile verzichten darf. Und: Durch die Zumischung der erotischen Komponenten werden die eigensüchtigen Triebe in soziale umgewandelt. Etwas später: Die Kultureinflüsse leiten dazu an, dass immer mehr von den eigensüchtigen Strebungen durch erotische Zusätze in altruistische, soziale verwandelt werden. ('Zeitgemäßes', I)

 

Wenn man genau hinschaut (und man möge mich korrigieren), dann entwickelt sich der Mensch einmal in der Entwicklung von Bewusstsein - das sich in Sprache darstellt - einem formulierenden (Welt schaffenden) Ich, welches nur ermöglicht wird, indem es große Teile des im Hirn verankerten Eigenen ins Unbewusste, Freuds ES, abtrennt, um Kultur zu ermöglichen, und gleichzeitig in einer von Freud ÜBER-ICH genannten regierenden Instanz, die die verinnerlichten, ursprünglich äußerlichen Anforderungen der Kultur als quasi eigene speichert, damit Gemeinschaft entsteht als alltägliche Routine, über die nicht ständig neu entschieden werden muss.

Im zwanzigsten Jahrhundert einer totalen Warenwelt werden die Vorgänge der Erotisierung des Sexuellen auf den Markt geworfen und so durch Pornographisierung zerstört. Mit dem kulturellen Rest-Erbe in der Zivilisation verrottet dabei unübersehbar diese selbst und vollendet so ihr Verschwinden.

 

Im unmittelbaren Zusammenhang damit steht der zweite, sozusagen gleichzeitige Weg, in dem die Bezähmung aggressiver Impulse soziale Einstellungen und Haltungen hervorbringt, wobei der Geschlechtstrieb oder Aspekte von ihm erotisiert werden.

Eros und Ananke sind ... die Eltern der menschlichen Kultur geworden. Der erste Kulturerfolg war, dass nun auch eine größere Anzahl von Menschen in Gemeinschaft bleiben konnten.(...) Diese Personen machen sich von der Zustimmung des Objekts unabhängig, indem sie den Hauptwert vom Geliebtwerden auf das eigene Lieben verschieben, sie schützen sich gegen dessen Verlust, indem sie ihre Liebe nicht auf einzelne Objekte, sondern in gleichem Maße auf alle Menschen richten, und sie vermeiden die Schwankungen der genitalen Liebe dadurch, dass sie von deren Sexualziel ablenken, den Trieb in eine zielgehemmte Regung verwandeln."('Unbehagen' IV)

 

Dies klingt fast so erfreulich oder zumindest beruhigend wie der in den Schulklassen und von der Politik gepredigte Fortschrittsglaube. Aber der Schein trügt und der Vorgang ist in Schmerzhaftes und Bedrohliches eingebettet. Noch einmal:

Wenn eine Triebstrebung der Verdrängung unterliegt, so werden ihre libidinösen Anteile in Symptome, ihre aggressiven Anteile in Schuldgefühl umgesetzt. ('Unbehagen', VIII)

 

Ausgehend davon, dass das Über-Ich Auslöser von Schuldgefühlen ist, die auf der Verdrängung und Umformung aggressiver Triebregungen beruhen, kommt es zur Verdopplung des triebhaften Strebens in ein bewusstes partielles oder vollständiges Nein bei gleichzeitigem Weiterbestehen des ins Unbewusste abgedrängten Triebanteils. Freud spricht dabei von Ambivalenz, die als Ambivalenz im Gefühlsleben erlebbar ist. Je stärker die Gefühle, desto stärker auch ihr ins Unbewusste verdrängter Konterpart. Nirgendwo wird das so deutlich, wie wenn Liebe in Hass umschlägt, oder, wäre hinzuzufügen, wenn aggressive Wut in sexuelles Begehren umschlägt und umgekehrt. Die Erotisierung des Sexus gibt ihm eine sadomasochistische Qualität, deren eklatanten Ausbruch allerdings erst die Zivilisationen markieren.

...das Schuldgefühl ist der Ausdruck des Ambivalenzkonflikts, des ewigen Kampfes zwischen dem Eros und dem Destruktions – oder Todestrieb. Dieser Konflikt wird angefacht, sobald den Menschen die Aufgabe des Zusammenlebens gestellt wird. ('Unbehagen', VII) Und wenige Zeilen später: Ist die Kultur der notwendige Entwicklungsgang von der Familie zur Menschheit, so ist unablösbar mit ihr verbunden, als Folge des mitgeborenen Ambivalenzkonflikts, als Folge des ewigen Haderns zwischen Liebe und Todesstreben, die Steigerung des Schuldgefühls vielleicht bis zu Höhen, die der einzelne schwer erträglich findet.

 

Im Schuldgefühl findet sich der Ursprung der „Religionen“, besser, des kultischen Umgangs mit der Natur, was Freud indirekt andeutet: Die Religionen wenigstens haben die Rolle des Schuldgefühls in der Kultur nie verkannt. ('Unbehagen', VIII)

Hier wird es notwendig werden, die Kulte von den Religionen abzusetzen, für das Abendland insbesondere von Judentum, Christentum und Islam. Es ist nicht sinnvoll, in Europa von Religion zu sprechen vor Durchsetzung eines Christentums, für das überhaupt erst der Begriff „Religion“ entwickelt wird.

 

Nietzsches 'Jenseits von Gut und Böse' entwickelte vor Freud in einer Art tastender Selbstanalyse, dass die abendländische christlich geprägte "Moral" ein böses Instrument im Spiel von Macht und Ohnmacht ist, und entdeckte im Ressentiment wie in der Heuchelei Auswüchse dieser Moral. Der Arzt Freud verbindet Selbstanalyse mit der des unmittelbaren Gegenübers und entwickelt dabei eine analytisch-therapeutische Distanz, die ihn athletischer Anspruchs- und Anforderungsthesen enthebt. Er schreibt am Eingang zu obigem Kapitel des 'Unbehagens' entgegen aller Konstruktionen von Religion und philosophierender Ethik:

Ein ursprüngliches, sozusagen natürliches Unterscheidungsvermögen für Gut und Böse darf man ablehnen. Das Böse ist oft gar nicht das dem Ich Schädliche oder Gefährliche, im Gegenteil auch etwas, was ihm erwünscht ist, ihm Vergnügen bereitet. ('Unbehagen' VII) Und an anderer Stelle heißt es bei ihm zur Erklärung: Die Untersuchung zeigt ... dass das tiefste Wesen des Menschen in Triebregungen besteht, die elementarer Natur, bei allen Menschen gleichartig sind und auf die Befriedigung gewisser ursprünglicher Bedürfnisse zielen. Diese Triebregungen sind an sich weder gut noch böse. ('Zeitgemäßes über Krieg und Tod', I)

 

Polemisch formuliert und in ein Bonmot verwandelt ist das Böse jenes Gute, welches im Prozess der Menschwerdung den Verboten der Kultur zum Opfer fällt.

Es war ihm vor allem versagt, sich der außerordentlichen Vorteile zu bedienen, die der Gebrauch von Lüge und Betrug im Wettkampfe mit den Nebenmenschen schafft. ('Zeitgemäßes über Krieg und Tod', I).

 

Lüge und Betrug gegenüber dem anderen entspricht die Illusion von sich selbst. Illusionen empfehlen sich uns dadurch, dass sie Unlustgefühle ersparen und uns an ihrer Statt Befriedigungen genießen lassen. Wir müssen es dann ohne Klage hinnehmen, dass sie irgend einmal mit einem Stück der Wirklichkeit zusammenstoßen, an dem sie zerschellen.('Zeitgemäßes', I) Mit der Illusion betrügen wir uns um die eigene Beunruhigung.

 

Die Menschwerdung als kultureller Prozess wird bei Freud im Umgang mit der sozial bedingten Hemmung seiner Triebe beschrieben. Er setzt dabei, wie schon gesehen, den Vorgang des Heranwachsens des Einzelnen mit dem Hineinwachsen der Menschheit in die Kultur analog, wenn nicht gar gleich:

Diese primitiven Regungen (Aggression und Geschlechtstrieb) legen einen langen Entwicklungsweg zurück, bis sie zur Betätigung beim Erwachsenen zugelassen werden. Sie werden gehemmt, auf andere Ziele und Gebiete gelenkt, gehen Verschmelzungen miteinander ein, wechseln ihre Objekte, wenden sich zum Teil gegen die eigene Person. Reaktionsbildungen gegen gewisse Triebe täuschen die inhaltliche Verwandlung derselben vor, als ob aus Egoismus - Altruismus, aus Grausamkeit - Mitleid geworden wäre. Diesen Reaktionsbildungen kommt zugute, dass manche Triebregungen fast von Anfang an in Gegensatzpaaren auftreten, ein sehr merkwürdiges ... Verhältnis, das man die "Gefühlsambivalenz" benannt hat. Am leichtesten zu beobachten und vom Verständnis zu bewältigen ist die Tatsache, dass starkes Lieben und starkes Hassen so häufig miteinander bei derselben Person vereint vorkommen. Die Psychoanalyse fügt dem zu, dass die beiden entgegengesetzten Gefühlsregungen nicht selten auch die nämliche Person zum Objekt nehmen. ('Zeitgemäßes',I)

 

Was am individuellen Menschen betrachtet wird, geschieht in der Interaktion zwischen Individuen. Kulturbildung ist Gemeinschaftsbildung. Die Entstehung von Kultur ist die Entstehung der Familie. Darüber hinaus kann die Archäologie und die Ethnologie für steinzeitliche Kulturen die Ausbildung von kleinen Gruppen aus mehreren Familien vermutbar machen, die Gemeinschaft bilden in einer gemeinsamen Lebensweise.

Der Vorteil eines kleineren Kulturkreises, dass er dem Trieb einen Ausweg an der Befeindung der Außenstehenden gestattet, ist nicht geringzuschätzen. Es ist immer möglich, eine größere Menge von Menschen in Liebe aneinander zu binden, wenn nur andere für die Äußerung der Aggression übrigbleiben. ... Nachdem der Apostel Paulus die allgemeine Menschenliebe zum Fundament seiner christlichen Gemeinde gemacht hatte, war die äußerste Intoleranz des Christentums gegen die draußen Verbliebenen eine unvermeidliche Folge geworden... ('Unbehagen', V)

 

Hier taucht eine Schwierigkeit auf, an deren Rand sich Freud nur selten begibt: Der archäologisch erschließbare "Kulturkreis", in dem dem Anschein nach eine gemeinsame "Kultur" vorliegt, kann große Regionen umfassen, während Kultur als primär Gemeinschaft hervorbringender Prozess nur kleine, für jeden einzelnen überschaubare Gemeinschaften hervorbringt, hervorbringen soll.

 

Dabei setzt ein über wirkliche Gemeinschaft hinausgehendes Bewusstsein von Gemeinsamkeit ein, welches tatsächlich nicht mehr auf Gemeinschaft, wesentlich eine Erfahrung, sondern auf einer Vorstellung von Ähnlichkeit beruht. In der abendländischen Völkerwanderungszeit lässt sich vage erschließen, wie wirkliche, überschaubare Gemeinschaften sich über kulturelle Ähnlichkeiten soweit in ihrer Vorstellung miteinander verbinden, dass man später von Stämmen reden kann, ideellen Abstammungsgemeinschaften, die auf dem gemeinsamen Kult und dann auch dem gemeinsamen Mythos beruhen.

 

Die ideale Voraussetzung für diesen Vorgang ist der Krieg, das heißt die Erfindung des gemeinsamen Feindes, das noch heute weithin funktionierende Instrument zur Beseitigung wirklicher Gemeinschaft durch vorgestellte Gemeinsamkeit und zudem der Vater aller zivilisatorischen Anstrengungen und damit des Staates.


 

 

Produktive Ernährung: Jungsteinzeit

 

Innovation und Kompensation bilden in der menschlichen Natur eine Einheit. Die Produktion von Welt in den Köpfen der Menschen und ihre Absetzung von unmittelbar sinnlich erfahrbarer Wirklichkeit hängt mit der Veränderung der Gehirne und der Entstehung der spezifisch menschlichen Sprechorgane zusammen und kompensiert die daraus entstehenden Irritationen. "Technische" Verbesserungen kompensieren Bevölkerungswachstum und beruhen auf ihm.

All das ist als menschliches Erfolgsprogramm zugleich eine erste Krise für die übrige lebendige Natur, und zwar als sich entwickelnde Überlegenheit des Menschen über seine irdischen Mitbewohner, die er alles in allem rücksichtslos auszunutzen beginnt.

 

Vor der Zucht von Pflanzen und Tieren steht die Entfaltung von Vorratshaltung bei Fleisch und Fisch und selbst bei Pflanzen. Massenhaft gesammelte Haselnüsse werden dort, wo sie vorkommen, geröstet. Damit werden Voraussetzungen dafür geschaffen, dass man durch die Jahreszeiten nicht mehr so weit wandern muss und schließlich länger sesshaft bleiben kann.

Die erste schwerwiegende Krise für die übrige Natur wird dann die Entwicklung von Gartenbau/Ackerbau und Viehzucht, dabei wohl zunächst die Domestizierung des Wolfes bei den Jägern, womit die von einer technisch fixierten Archäologie so bezeichnete Jungsteinzeit beginnt. All die folgenden Erfindungen, Annehmlichkeiten, "Fortschritte", welche in mancherlei Sinn eine enorme Leistung sind, sind zugleich deshalb bedrohlich, weil sie nun als notwendige existentielle Bedingungen zu den naturgegebenen hinzutreten: Befreiung von natürlichen Bedingungen wird Abhängigkeit von den neuerlich geschaffenen, neuartige Unfreiheit.

 

Der Eingriff in die Natur ist bald erheblich: Domestizierte Kulturpflanzen verdrängen am mittleren Euphrat die Wildpflanzenarten, aus denen sie hervorgingen, und neue Wildformen von Kulturpflanzen verändern das alte Ökosystem zum Beispiel am mittleren Euphrat (Scharl, S.17)

 

Ab etwa 12 000 setzen so im nahen Orient vermutlich durch äußere Zwänge bedingte Veränderungen ein. Wildgräser werden erst durch Sammeln genutzt und im Gebiet des fruchtbaren Halbmondes dann wohl in intensivem Gartenbau mit Grabstock oder Hacke zu Getreide domestiziert (Emmer, Einkorn, Gerste). Dazu kommen bald Erbse, Linse und Lein. Sesshaftigkeit fördert Züchtung, aber Züchtung erleichtert auch Sesshaftigkeit. Die Menschen müssen über das Jahr bei ihren Feldern bleiben, während manche Viehzüchterkulturen weiter ein nomadisches Dasein führen. Bei Mischformen von Ackerbau und Viehzucht müssen die Tiere mittels Vorratshaltung durch die weidelose Jahreszeit gebracht werden. Dauerhaftes Zusammensiedeln nun erfordert ein ausführlicheres Regelwerk, dessen Formulierung Frühformen von Machtausübung hervorbringen kann. Aber ohne schriftliche Zeugnisse wissen wir heute kaum etwas davon.

 

Frühe Fälle relativer Sesshaftigkeit könnten im Nahen Osten auch zu jagdlicher Übernutzung geführt haben, die wiederum zu Viehzucht und Ackerbau genötigt hätten. Da insbesondere Ackerbau meist erheblich mühsamer ist als Jagen und Sammeln, kann man davon ausgehen, dass sein Einsatz aus der Not geboren ist. Darum wird er auch alttestamentarisch als jener Sündenfall beschrieben, der den Verlust des Paradieses nach sich zieht. Andererseits löst dieser Vorgang eine bis heute anhaltende Dynamik aus. 

 

Die Kenntnis der Natur und damit auch der eigenen wird erheblich erweitert, insbesondere im Bereich der Geschlechtlichkeit bzw. Fortpflanzung, Zum Getreide kommen nach Erbsen und Linsen später Oliven und Wein hinzu.

Daneben entsteht Tierzucht (Schafe, Kühe, Schweine, Ziegen). Es kommt zur Nutzung erst von Fleisch und Fell und dann von Milch. Schließlich werden Zugtiere im Ackerbau eingesetzt.

 

Das mühsam errungene bessere Nahrungsangebot steigert die Fruchtbarkeit der Menschen enorm. Folge sind erheblich mehr Menschen, die allerdings nun auf die neue Wirtschaftsweise angewiesen sind: Es gibt für sie keinen Weg mehr zurück ohne massenhaftes Sterben. Offenbar treten auch neue Krankheiten wie die Tuberkulose auf, was sicher auf die Verdichtung von Bevölkerung zurückzuführen ist.

 

Werkzeuge aus Stein erhalten bessere Holzgriffe. Saisonaler Garten- und Ackerbau nötigt zur Vorratshaltung, und so wird die Keramik erfunden, vorläufig noch ohne Töpferscheibe und bei niedrigen Temperaturen gebrannt. Nicht nur dichtere Bevölkerung, sondern auch Spezialisierung führt zur Arbeitsteilung. Dazu kommen auch Ansätze vertikaler Aufteilung in Richtung auf Häuptlingstum und Priesterschaft. Technische Arbeitsteilung ist dabei Effektivierung, wird aber zugleich im Laufe der Zeit auch Vereinseitigung in spezifische Tätigkeiten und zudem abnehmende Übersichtlichkeit der menschengemachten Welt.

 

Eine weitere schwerwiegende Veränderung stellt die Entstehung von Besitzformen mit unterschiedlich großem Eigentum dar, was ebenfalls zur Verwandlung vieler Kulturen hin zu Zivilisationen führen wird. Eigentum parzelliert den Lebensraum Erde, schafft die Unterscheidung in ärmere und reichere Menschen und schließt schließlich immer mehr Menschen von der freien Verfügung über Land aus. In Zivilisationen wird dann nach und nach die (schließlich religiös begründete) Hoheit einzelner Mächtiger über alles Land erfunden, die für alle anderen bestenfalls ein Eigentum zweiter Klasse ermöglicht, wie es heute überall für die Untertanen von Staaten gilt. 

 

Schließlich wird so nun Natur durch Kulturlandschaft ersetzt, was die Erde im Laufe der Zeit enorm verändert. Dabei beginnt ein immer heftigerer Verdrängungsprozess von Tier- und Pflanzenarten, Anfang des Weges hin zu ihrer Ausrottung. In Mitteleuropa wird für den Anbau von Pflanzen und für das Weideland der Wald zurückgedrängt, nicht zuletzt wohl durch Niederbrennen, "sodass sich im Lauf des 4. Jahrtausends v.Chr. regelrechte Wirtschaftwälder herausbildeten, deren Entstehung durch Viehhaltung und Brandwirtschaft erklärt werden könnte." (Scharl, S.150)

 

Bis heute werden übrigens Werkzeuge und Waffen eng verwandt bleiben und gleichermaßen auf Mensch und Tier angewandt werden. Niemand tötet bzw. mordet dabei so technisch gekonnt und versiert wie die Menschen.

 

Um 10 000 tauchen Bauern in Anatolien auf. Um 7500 kommt es zu ihrer Einwanderung nach Europa, wobei Pflanzensamen und Tiere mitgenommen werden. Die einen wandern über Kleinasien und den Balkan nach Mitteleuropa, die anderen über das Mittelmeer bzw. Nordafrika nach der iberischen Halbinsel und dann nach (dem viel späteren) Frankreich. Die alte Bevölkerung wandert dabei zum Teil nach Norden ab und hinter den großen Wildtier-Herden her.

In Europa beginnt eine neue Phase mit den Bandkeramikern um 5500/5000, die sich zunächst in fruchtbaren Lössböden Mitteleuropas niederlassen. Sie verwenden erhebliche Mühen auf dauerhafte große Langhäuser (20x6m) aus massiven Baumstämmen mit Wänden aus mit Lehm bestrichenem Flechtwerk., die zu mehreren zu kleinen "Dörfern" zusammenfinden. Schon vor 5000 gibt es hier hölzerne Brunnenbauten. (Bick, S.36)

Viel Handel gibt es dort wohl noch nicht, obwohl es bereits mehrere zentrale Feuerstein-"Bergwerke" gibt und vielfach das Hämatit zum Rotfärben der Haare der Frauen verwendet wird.

 

Um 4500 verschwinden diese weite Gebiete übergreifenden Kulturen. Was nun folgt, ist deutlich regionalisierter. Inzwischen tauchen denn auch frühe Anzeichen dafür auf, dass nicht nur im Orient schon länger, sondern nun auch in Mitteleuropa ganze Orte überfallen und massakriert und die jungen Frauen geraubt werden. Die Menschenwelt wird deutlich gewalttätiger. Zugleich wird sie organisierter: Gemeinschaftlich in mühsamer Arbeit errichtete Kreisgrabenanlagen mit einigermaßen konzentrischen Kreisen tauchen in Europa auf. Das Unheil der Zivilisation deutet sich bereits an.

 

Um 4000 gibt es dann vor allem an stehenden Gewässern am nördlichen und südlichen Alpenrand Pfahlbausiedlungen aus kleineren und weniger dauerhaften Holzhäusern. Menschen leben in dorfähnlichen Siedlungen zusammen. Das hier deutlich weniger stabile Haus aus dünneren Stämmen ist mit seiner Familie eine eigenständige Wirtschaftseinheit. Seine Hauswirtschaft wird im Griechischen später wortwörtlich zur "Ökonomie" werden. Überall gibt es die gleichen Haushaltsgeräte und Werkzeuge und den jeweils eigenen Getreidevorrat. (Bick, S.136) Fast drei Viertel der Kalorien liefert Getreide, Erbsen die Proteine. Daneben werden weiter Wildfrüchte gesammelt. Lein wird angebaut und damit Flachs hergestellt, aus welchem die Fischernetze bestehen. Aus dem Lein werden auch feine Textilien gewebt. Aus dem Bast von Gehölzen werden Sandalen hergestellt.

 

Kulturlandschaften als offene, entwaldete Landschaften mit Sekundärwäldern und Hecken entstehen. Im vierten Jahrtausend treten Rinder als Zugtiere auf, sie ziehen Transportschlitten, dann Hakenpflüge und schließlich ab Mitte des 4. Jahrtausends in Europa wie im Orient Wagen mit hölzernen Rädern. Im Verlauf des 3. Jahrtausends wird die Wolle von Schafen zusätzlich zum Fleisch verwertet, und am Ende des Jahrtausends tauchen dann frühe großwüchsige Wollschafe auf. Textilproduktion nimmt Fahrt auf.

 

Handel insbesondere mit Feuerstein findet nun auch in Europa über immer weitere Strecken statt. Bei Pfahlbauten am Bodensee werden Meerestier-Schalen aus dem Mittelmeer und dem Atlantik gefunden, die als Schmuck Verwendung finden. Sogar eine Kupferscheibe taucht hier am Ende auf. Vielleicht als Handelsware werden am Bodensee ganz viele weiße Kalksteinperlen hergestellt.

Mit Ackerbau, Viehzucht, Handwerk und Handel nimmt die Arbeitsteilung immer weiter zu. Am Federsee scheinen sich ganze Siedlungen schließlich auf Flachsanbau und Textilproduktion spezialisiert zu haben. (Bick, S.141)

 

Der Prozess der Menschwerdung ist einer der Bildung von Kulturen, die an die jeweiligen natürlichen Lebensbedingungen geknüpft sind. Er macht den größten Teil der Menschheitsgeschichte aus. Ihre Betrachtung sollte sie weder verächtlich machen, wie das in Zivilisationen bis heute üblich ist, noch sollte man in jene Idealisierung verfallen, wie sie im 18. Jahrhundert bei wenigen Belesenen einsetzt, wo dann von "edlen Wilden" und ähnlichem die Rede ist.

 

Ackerbau und Viehzucht sind erste Voraussetzungen dafür, dass einmal viel später ganz wenige Menschen Kapitalismus entstehen lassen, während die meisten dabei zunächst Bauern bleiben. Nicht als "Steinzeit", die mit der "Bronzezeit" bereits endet, aber als vornehmliche Welt von Ackerbauern, Viehzüchtern und Gärtnern wird dies je nach Gegend bis ins 18.-20. Jahrhundert andauern und erst mit der Industrialisierung der Landwirtschaft und Zerstörung des produktiven Handwerks enden.

 

 

Zivilisation: Eine Definition des zweiten Sündenfalls

 

Um etwa 3500 im östlichen Mittelmeerraum und nahen Orient und zwischen etwa 2200 und 800 in Mitteleuropa wird die Welt dort auf das rabiateste in Herren und Knechte geteilt, Herrscher, Untertanen und Sklaven, in wenige Schwerreiche und viele vergleichsweise Arme, in Menschen, die ihre Berufung in Gewaltausübung und Luxusleben vor allem sehen und solche, die vor allem dafür für diese arbeiten müssen: Es tauchen Zivilisationen auf, deren Ursprünge im quellenlosen Dunkel solcher Kulturen liegen, die nun Städte hervorbringen, in denen Priester und weltliche Machthaber die Nahrungsmittel-Produzenten in Untertänigkeit zwingen.

 

Gemeinhin setzt die seit Jahrhunderten im wesentlichen staatlich finanzierte Historikerzunft den Beginn von "Geschichte" bzw. "Historie" (griechisch-lateinisch historia) mit dem Auftreten entwickelter Zivilisationen gleich, insbesondere, sobald dort (für Zwecke von Machtausübung) Schrift erfunden wird und Texte produziert werden. Das ist natürlich Unfug: Geschichte ist alles, was geschehen ist - und zugleich das durchaus zumindest etwas andere, was davon bleibt bzw. daraus gemacht wird. Tatsache ist allerdings, dass man von einer Vergangenheit deutlich weniger "weiß", wenn von ihr keine schriftlichen Quellen überliefert sind. Tatsächlich weiß man auch von den frühen Zivilisationen deutlich weniger, als die vielen dicken Bücher über sie suggerieren. Man darf dabei nie vergessen, dass Archäologie und Historie in der Regel zu allererst dem Gelderwerb und darüber hinausgehenden kommerziellen Interessen dienen und zudem der Propagierung von Ideologie, wie man an den Hochschulen sehr eindrücklich beobachten kann.

 

Die offizielle (akademische) Geschichtsschreibung und ihre populären Ableger zeichnen sich bis heute entsprechend durch eine ungenierte Gedankenlosigkeit aus, was ihre zentralen Benennungen angeht, die nirgendwo zu Begriffen werden. Das ist nicht nur gedankliche Bequemlichkeit, sondern passt in die allgemeine Ideologieproduktion propagierter Selbstverständlichkeiten, die auf Konsens mit der Macht und deren andächtige Bewunderung abzielt. Hier aber soll weiterhin versucht werden, sich dem Nebel hoch professioneller Geschwätzigkeit so weit als möglich zu entziehen. Das gilt nicht zuletzt für das von Anfang an propagandistisch gebrauchte Wort Zivilisation, welches in deutschen Landen oft auch noch durch das schlimme Wort Hochkultur ersetzt wird, beides im allgemeinen Gebrauch keine Begriffe, sondern unbegriffene "Selbstverständlichkeiten". 

 

Während es mir sinnvoll erscheint, den lateinischen Begriff Natur (natura) als den der Welt alles Lebendigen einfach zu übernehmen und dabei sorgfältig von den Begriffen Wirklichkeit und Welt abzugrenzen, erscheint der römische Kulturbegriff zu unscharf, um mit ihm im weiteren Klarheit zu gewinnen. Das ist deutlich zu belegen an der Unklarheit totaler Beliebigkeit, mit der er bis heute gehandhabt wird. Er ist vielmehr zu allererst aus seiner propagandistischen Funktion für die antike römische Oberschicht herauszuschälen, und das geht nur, indem ein Zivilisationsbegriff davon abgetrennt wird.

 

Was dann bleibt, ist eine Vorstellung von Kultur, die historisch weit vor dem schriftlich überlieferten antiken Rom anzusiedeln wäre und aus der sich dann ein Zivilisierungsprozess ableiten lässt. Kultur ist so ein zunächst aus dem Jäger- und Sammlerdasein und dann aus der Produktivität von Ackerbau, Viehzucht und Handwerk abzuleitendes Menschheitsstadium, in dem Gemeinschaften auf Traditionsbildung beruhen und Machtstrukturen noch kaum in Ämter institutionalisiert, sondern höchstens zeitlich begrenzt und auf wenige Aufgaben beschränkt an Personen gebundenen sind. Die Menschen sind dabei noch relativ stark in die sie hervorbringende und umgebende Natur eingebunden.

 

Mit dieser Definition sind natürlich Probleme verbunden, denn was der Klarheit dienen soll, hat wie überall ein Moment darunter verborgener Komplexität eingeschlossen, die offenzulegen ist. Wenn wir, soweit mit Sigmund Freud, Menschwerdung historisch als Kulturbildung, Kultivierung verstehen, dann bleiben Menschen dabei doch auch Naturwesen, wenn auch nicht mehr "einfach so" wie alle anderen Lebewesen. Und in Zivilisationen ist der Mensch nicht nur weiter (auch) ein Tier, ein Säugetier und Raubtier, sondern diese setzen selbst auch Kultivierung voraus, gehen aus ihr hervor und vereinnahmen sie dann. Dabei schwindet allerdings der Aspekt der Traditions- und Gemeinschaftsbildung im wesentlichen: Kultur erstarrt gewissermaßen unter der Faust von Machthabern, die ihr ihre Interessen und ihren Willen überstülpen und ihr so ihre Lebendigkeit ein gutes Stück weit nehmen.

 

Kultur ist so einmal der Vorgang der Vergesellschaftung in (kleinen) Gemeinschaften mit allem, was dazu gehört und dafür nötig ist, und sie beruht zum anderen vorwiegend auf Tradition. Dies Wort kommt so im 16. Jahrhundert als Ableitung des lateinischen traditio in die deutsche Sprache und bezeichnet wie dort Überlieferung. In Kulturen findet Tradition als überlieferter und ständig fortgeführter Lernprozess statt, der zudem gemeinschaftlich ist, wobei die Lernfähigkeit und Möglichkeit der internen Beeinflussung vermutlich schon früh unterschiedlich verteilt ist. Elementar für Kulturen ist darum das Fehlen von Schriftlichkeit, welche später von Machthabern fixiert, was in Kulturen in stetem Fluss bleibt.

Das kann auch so verdeutlicht werden: Dieser mehr oder weniger gemeinsame Lernprozess wird in Zivilisationen, die immer auf Kulturen aufbauen, durch Gewalttaten der Unterwerfung und Machtworte, die dann in Gesetze münden, zunehmend verringert. An erster Stelle steht nun nicht mehr Lernen aus Erfahrung, sondern stehen die Vorgaben der Machthaber. Das erste, was Menschen darum nun lernen müssen, ist Gehorsam. Die vordringliche Erfahrung wird nun die des überlebenswichtigen Umgangs mit der institutionalisierten Macht. Das wird bis heute so bleiben und ist inzwischen so alltäglich, dass es für "natürlich" gehalten wird.

 

Der Macht nützliche Aspekte von ansonsten absterbender Kultur werden übernommen und so verändert, dass sie der Machtausübung dienlich sind. Wer darum heutzutage zum Beispiel von der Kultur des Pharaonenreiches spricht, verwechselt Kultur und Zivilisation bzw. versucht, einen klaren Zivilisationsbegriff zwecks bequemer, d.h. machtkonformer Unklarheit  zu vermeiden. Das ist heute besonders kurios, wo andererseits das derzeit politisch korrekte Newspeak-Denglisch der BRD die Amüsierindustrie als Kultur bezeichnet.

 

Besser beschreiben können wird man die Restphänomene absterbender Kultur später dort, wo die Einheit aus christlicher Kirche und gewalttätigem Machtappparat keltische, germanische und slawische Kulturen zerstören wird sowie später die außereuropäischer Gegenden, und einige wenige Autoren etwas von deren verschwindenden, allerdings oft dann schon anzivilisierten Verhältnissen überliefern. Dabei gibt es in Machtstrukturen aufgehende Gemeinschaften, die sich gegen die Vernichtung wehren, andererseits aber auch die Erfahrung, dass Zivilisationen nicht selten verlockend erscheinen, wie bei jenen vielen germanischen Gruppen der Völkerwanderungszeit, die sich in der römischen Zivilisation etablieren und von ihr über Warenkonsum vor allem "profitieren" wollen. Zivilisationen sind nicht nur ihrem Wesen nach Korruption, sie korrumpieren auch die, die von ihr vereinnahmt werden sollen.

 

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Um dem Begriff Zivilisation auf seinen sinnvollen Grund zu kommen, sollten wir ihn auf seine Ursprünge zurückführen und von daher entwickeln. Die römische civitas war das, was den römischen civis im Vollbesitz seiner Rechte auszeichnete und zugleich dessen Ort. Griechisch (mit allen implizierten Problemen) ausgedrückt, handelt es sich dabei um eine „politische“ Begrifflichkeit, ganz jenseits des Dialoges von Natur und Kultur.

 

Der civis ist kein Bürger in einem mittelalterlichen Wortsinn, denn die civitas lebt nicht von dem Gegensatz Stadt und Land. Er zeichnet sich nicht durch die Eigenarten aus, die den Bürger einer (befestigten) mittelalterlichen Stadt ausmachen. Aber bei allen Schwächen einer ahistorischen Übersetzung ist er eine Art Staatsbürger, Teil eines staatlichen Gebildes, als das die Urbs Roma eingerichtet wurde.

 

Bei der Ausweitung römischer Staatlichkeit über die eponyme Stadt hinaus wird der "Römer", bald kein „ethnischer“, sondern ein „politisch-staatlicher“ Begriff, Teil seiner civitas, die Teil des Imperiums ist, welches sich von der urbs Roma ableitet. Da das imperium Romanum als Flächenstaat bald immer weniger Zentralstaatlichkeit kennt und diese sich vor allem auf das Heer (deshalb vor allem Imperium, Befehlsgewalt) konzentriert, findet die römische „Zivilisation“, die in der civilitas der einzelnen wohlhabenderen cives aufgehoben ist, im wesentlichen in den jeweiligen civitates statt, die ein „städtisches“ Zentrum und viel ländliches Umland umfassen und sich an Roma, der urbs, orientieren

Zivilität ist also als Vorstellung in unserem Sinne scharf geschieden von Kultiviertheit, - auch wenn sie Staatlichkeit auf Voraussetzungen von Kultur baut. Und die römische civilitas ist ein gutes Stück weit dabei noch etwas anderes: Sie ist nicht einfach den cives zu eigen, sondern nur jener Oberschicht, die sie als ihre spezifische Lebensform begreift.

 

Als im sich ausweitenden französischen Königreich im Spätmittelalter der Begriff civilité aufkommt, ist er der civilitas nachgebildet und meint zunächst die durch Institutionen durchgebildete spätmittelalterliche Stadt mit ihren „bürgerlichen“ Rechten in der aus unterschiedlichen Gesellschaften bestehenden Kommune, Gemeinde. In der frühen Neuzeit, als die Fürstenherrschaft den „bürgerlichen“ Charakter der meisten Städte zumindest partiell zerschlägt, verschwindet der „politische“ Bedeutungsgehalt mit dem ursprünglichen Stadtbürgertum, und civilité gleicht sich immer mehr dem höfischen Begriff der politesse an, der Geschliffenheit im Verhalten und Umgang, den Manieren. Dieser löst im frankophonen Raum die courteoisie ab, die in deutschen Landen in der Neuzeit vom höfischen Verhalten zur „Höflichkeit“ wird. Zivilisiert ist in diesem völlig entpolitisierten Zusammenhang im Fürstenstaat nun ein Mensch mit einem gewissen Standard an aktuell gerade propagierten Manieren.

 

Zivil wird der französische Stadtbürger auch im Unterschied zum Kriegeradel, der „Militär“ ist. Poli ist er wiederum in der Angleichung seiner höfisch geschliffenen Manieren an ihn. Schon am Ende des Mittelalters wird die incivilité zur „Unhöflichkeit“, und bald erreicht man dann politesse durch das Sich Zivilisieren (civiliser). Damit verschwindet – und das für die meisten bis heute – die mögliche politische Substanz eines später nachträglich konstruierten pseudo-römischen Zivilisationsbegriffes.

 

Mit der neuzeitlichen Staatlichkeit Frankreichs, die die alte Bürgerlichkeit zerschlägt, steigt das Wort police auf, welches Regierung und Verwaltung meint, staatliche Herrschaftsausübung eben, im Deutschen die policey. Das ist eine späte Anverwandlung der griechischen politeia über die spätantik-lateinische politia. Parallel dazu entwickelt sich politique als Regierungskunst in Theorie und Praxis.

 

Im 18. Jahrhundert, als der sich absolut setzende Staat alter Couleur verfällt und kurz bevor er durch den totalitären der demokratischen Konstruktion ersetzt wird, kommt endlich der Begriff civilisation auf, der zunächst den der police ersetzt, die nun langsam die Polizei(gewalt) des zunehmend totalitären Staates bezeichnet. Mit totalitär meine ich hier: Uneingeschränkt alle Lebensbereiche umfassend und das zunehmend aus diverser „demokratischer" Legitimation herleitend.

 

Diese "Zivilisation" wird aber sofort entpolitisiert und darauf noch im 18. Jahrhundert in die deutsche und englische Sprache übernommen. In Deutschland bleibt „zivil“ bestehen als Gegensatz zu „militärisch“ und zugleich als Fremdwort zu dem, was inzwischen landläufig als „bürgerlich“ gilt, worunter sich recht unklar die nichtadeligen und nicht unmittelbar mit produktiver Handarbeit beschäftigten Mittelschichten verstehen.

 

Hier soll Zivilisation jene Stufe der Menschheitsentwicklung bezeichnen, in der Machthaber institutionalisierte, also dauerhafte Macht ausüben, nicht vorübergehende, wie die des Anführers einer germanischen Bande, die auf Raubzug geht zum Beispiel, oder des Häuptlings einer Gruppe von umherziehenden Prairie-Indianern, der noch an seinen Leistungen und Geschenken gemessen wird. Aber mit ihm befinden wir uns bereits an der Schwelle zur Zivilisation, die Pueblo-Indianer im Südwesten der USA kurzzeitig ein wenig überschreiten und die bei den Inkas bereits zur Gänze überschritten wird, auch wenn sie den Spaniern bei deren Überfällen auf sie mit kolonialer Arroganz gänzlich unzivilisiert erscheinen, da sie anders sind als diese und militärisch und technisch unterlegen.

 

Es soll entsprechend Zivilisation nicht als Kampfbegriff von Missionaren und Entwicklungshelfern gelten, sondern als das, als was sie historisch in Erscheinung getreten ist: Als ein System von Herr und Knecht, von wenigen Herren und vielen Knechten, wobei die Knechte gezwungen sind, mit einem von "oben" definierten Überschuss ihrer Produkte die Mächtigen zu ernähren, mit Statussymbolen zu versorgen und mit den Gewaltmitteln, die ihre Macht erhalten und erweitern.

 

Aus dem lateinischen Begriff vom cives (mit Stadt- bzw. Staatsbürger schlecht übersetzt) und dem Adjektiv civilis konstruiert, dient "Zivilisation" bald dazu, hochkapitalistische Staaten von den "Wilden" des Kolonialzeitalters propagandistisch abzugrenzen. Im Deutschen wird das noch deutlicher, indem gerne stattdessen dafür das Wort "Hochkultur" verwendet wird, welches Kulturen, wie wir sie hier verstehen, als entsprechend niedrig einstuft: Sie sind damit überall der Vernichtung anheim gegeben.

 

 

***Apropos "Hochkultur"***

 

Dies Wort ist ein Spezifikum der deutschen Sprache, die anderen Europäer sprechen stattdessen von Zivilisation, ein auch dort für fast alle kaum noch verständliches Wort gedankenloser Geschwätzigkeit.

Das deutsche Wort hat es aber besonders in sich: Verbunden wird dabei ein Wort, welches nie eine klare Bedeutung hatte, nämlich Kultur, mit einem Präfix, welches nach oben weist. Oben ist aber in der (sprachlichen) Regel immer besser als unten, dort ist nämlich Gott („in der Höhe“) zum Beispiel und waren die antiken Götter (oft auf Bergeshöhen). Unten ist der Untergebene, oben der Vorgesetzte, der Herrscher, der Machthaber. Vor ihm beugt man sein Haupt, kniet man oder wirft sich zu Boden, um zu zeigen, dass man ganz unten ist.

 

Die Hochkultur steht so für (deutschsprachige) Arroganz gegenüber der niedrigeren ( wirklichen) Kultur, eine Arroganz, die die anderssprachigen Europäer auch so ausüben. Als das Wort vor wenigen Jahrhunderten in der deutsch sprechenden Welt erfunden wurde, war für die meisten selbstverständlich, dass vor der Hochkultur und neben ihr eher die Unkultur stand und steht, genau das, zu dessen Vernichtung sich der Kolonialismus aufgemacht hat. Hochkultur ist das, was die Deutschen für sich in Anspruch nahmen, bevor proletarisierte Massen dem damaligen Bildungs“bürgertum“ den Garaus machten, an seine Stelle traten und inzwischen Kultur mit ihrem durchkommerzialisierten Freizeitamüsement identifizieren. Damit dann wird der heutige Konsumismus der Massen als Kultur verkauft, während das Wort „Hochkultur“ inzwischen entweder bezeichnet, was im Museum eingesperrt ist oder aber ins Museum gehört.

 

Seitdem ist Hochkultur dadurch zum Gegenstand eines Besichtigungstourismus und der Neugier von Besuchern von Museen und Ausstellungen geworden. An der Spitze stehen dann das ägyptische Pharaonenreich, das antike Rom und Griechenland und seltener auch andere. "Hochkultur", also mehr oder weniger Despotie, und die Ergebnisse brutaler Gewalt werden angestaunt, als ästhetisch wertvoll goutiert, bewundert, wenn auch von sich erlaucht fühlenden kleinen Minderheiten und in der Regel ohne entsprechende Kenntnisse als Hintergrund.

 

Die signifikantesten Erben einer solchen Haltung sind immer wieder terroristische Machthaber gewesen. Der von wenig Kenntnissen getrübte Kult römischer Antike, den französische Revolutionäre nach 1789 betrieben, fand fleißige Nachfolger. Hitler orientierte sich in manchem gerne am Monumentalismus des antiken Rom, ähnlich wie Mussolini, und stalinistische Prachtbauten waren eine Mischung aus antiker orientalischer Prachtentfaltung der einst dort Herrschenden und großkotzigem kapitalistischem Machtgebaren à la Manhattan/Wallstreet. Dass stattliche Teile des damaligen sogenannten „Bildungsbürgertums“ von solchen terroristischen Machthabern fasziniert waren, ist schon alleine darum verständlich. Hoch und groß und großartig liegen (nicht nur) für solche Menschen nahe beieinander.

 

Die meisten sogenannten frühen Hochkulturen waren despotische Regime, ihrem Wesen nach allesamt kriegerisch, gewalttätig, von gnadenloser Unduldsamkeit, und begründeten sich auf der Einheit von Macht und Priesterkult, waren gelegentlich vielleicht zunächst, wie in Teotihuacan oder dem frühen Chavín, despotische Priesterregime. Gewirtschaftet wurde in der Regel mit Sklavenarbeit und der Schufterei untergebener und kultischen Phantasmagorien unterworfenem und für dumm verkauftem "Volk".

 

Es ist bezeichnend für den heutigen westlichen Menschen, dass seine Bewunderung und Hochschätzung sich auf die Relikte solcher brutaler und zugleich der offiziellen Politdoktrin widersprechender Regime richtet. Der heutige „westliche“ Mensch des sozialdemokratisch globalisierten Kapitalismus hat meist keine affirmativ-emotionale Beziehung oder gar Bindung an die Machtstrukturen, unter und in denen er lebt. Der Zweckrationalismus des globalisierten, hochkonzentrierten Kapitals lässt so etwas nicht zu, und der moderne „demokratische“ Staat lädt über die schnell wechselnden und nach Amtsantritt schnell enttäuschenden Figuren nicht zur Identifikation ein, sofern man nicht gerade unmittelbar von ihm profitiert. Die für die meisten nicht durchschaubaren staatlichen Strukturen bleiben fast allen fremd. Durch Jahrtausende auf Unterwerfung und Unterordnung geprägt, faszinieren darum Regime, deren Despotie für die meist schlichten Gemüter personal fassbar ist, und zwar zumindest, solange man nicht auf die Lebensrealität der vielen dahinter schaut.

 

Als im 18./19. Jahrhundert die Geschichtswissenschaft erfunden wurde, entzauberte sie zwar ein wenig den rückwärts gewandten Mythos, ersetzte ihn aber dafür durch den nach vorne gerichteten vom Fortschritt: Die ihren Herrschern und Staaten verpflichteten Historiker betrachten nun Geschichte als innerweltliche Heilsgeschichte hin zum jeweils gerade existierenden status quo, mit Ausnahme jener, die größere (in der Regel nicht reflektierte) Distanz zur jeweiligen Gegenwart in die Idealisierung der von ihnen verwalteten alten „Hochkulturen“ trieb.

 

Erst rund hundert Jahre später begann die Verwissenschaftlichung der Archäologie, die den stark textgebundenen Historikern neues Material liefern soll. Zum Problem der Historiker, kritisch mit den in der Regel propagandistisch gefärbten Quellen-Texten umzugehen, kam nun die Neigung der Archäologen, ihr fast rundweg dürftiges Material spekulativ in Texte hinein aufzuwerten und so in die gerade herrschenden Ideologien zu integrieren.

 

 

Frühe Zivilisierung: Städte

 

Mit Göbekli Tepe im späteren Südost-Anatolien treten ab 11 000, kurz vor dem Übergang zu Ackerbau und Viehzucht, frühe kultische Megalithbauten auf. Die Größe und Schwere der dorthin zu transportierenden riesigen Steine verweist auf die enormen gemeinschaftlichen Mühen beim Errichten solcher Stätten, und damit auf die Mobilisierungskraft phantasievoller Produktion von Welt durch Kultexperten. Seitdem werden die ausgeklügelten Hirngespinste der Produzenten von Ideengebäuden Menschen viel stärker mobilisieren als aus Wirklichkeit gezogene Kenntnisse.

 

Zivilisationen entstehen zunächst aus auf Ackerbau und Viehzucht basierenden Kulturen mit Produzenten, die mehr als das für sie unbedingt Lebensnotwendige erzeugen. Sie gehen hervor aus Zusammensiedeln und erheblicher Bevölkerungsverdichtung durch die Machtergreifung von Priestern und "weltlichen" Herrschern, das heißt durch Konzentration von potentiellen Untertanen in Städten mit zumindest einem Zentralheiligtum. Stadtbildung und Entstehung von Zivilisationen gehen geradezu Hand in Hand. Entsprechend wird die Zerstörung von Urbanität seit dem 20. Jahrhundert Entzivilisierung bedeuten.

 

Als Vorläufer städtischer Siedlungen gilt Jericho ab 9000. Der Ort ist zwar relativ klein und hat wohl zunächst weniger als tausend Einwohner, dafür aber bereits eine drei Meter breite Steinmauer. Diese "Stadt" wie andere nach ihr liegt an einer Fernhandelsroute, und Handel ist es wohl, aus dem damals im Nahen Osten stadtähnliche Siedlungen hervorgehen: Obsidian kommt bald 900 km entfernt aus dem südlichen Kleinasien, Türkis später von der Sinai-Halbinsel und Muscheln aus dem Roten Meer. (Bick, S.107) Es geht dabei vor allem um Waffen und Schmuck für die immer mehr Macht gewinnende kleine Oberschicht.

 

Mit größeren Städten beginnt dann oft eine deutliche Trennung in Bauern "auf dem Lande", wie wir das seit dem Mittelalter in deutschen Landen nennen, und in die städtische Arbeitskraft. Wegen der Abhängigkeit der Stadt vom Land bezüglich der Ernährung wird dieses an den oder die Machthaber und seine Sorge für die städtische Ernährung gebunden.

 

Zwischen Niltal, Anatolien und Zweistromland reicht die Produktivität der Bauern früher als in Europa aus, um Vorgänge von Zivilisierung in städtische Siedlungen zu überführen. Um 6500 besitzt Catal Hüyük auf der Hochebene des heutigen Konya Ausmaße, die für vielleicht bis zu 8000 Einwohner ausgereicht haben.

"Schreine mit reichen Wandmalereien, die Jagd- und Kultszenen und selbst Landschaften darstellen, waren der Muttergöttin und dem Stiergott geweiht.. Die Toten wurden in deren Hut, nach erfolgter Exkarnation der Leichen durch Aasgeier, beigesetzt. (...) In Wände und Bänke der Schreine waren Stierschädel und Hörner eingelassen. (...) Handel mit Obsidian, Meermuscheln, Luxusgegenständen wie Gefäßen aus wertvollen Steinsorten und Schmuck verband die frühe Stadt mit der oberen mesopotamischen Region und der Levante." (von Reden, S.29)

 

Spätestens im 4. Jahrtausend beginnen die Herrscher in größeren Städten, mit Hilfe ihrer nunmehrigen Untertanen immer mehr Umland zu unterwerfen. Dann bringen Stadtherrscher auch immer mehr andere Städte mit ihren Potentaten unter ihre Macht. Die ersten Reiche entstehen und mit ihnen wachsen zentrale Herrschersitze immer stärker an.

Uruk im Land der Sumerer wird bald nach 3000 vermutlich wenigstens 40 000 Einwohner haben, schätzen Archäologen, Babylon fast zweieinhalbtausend Jahr später etwa 60 000 und in etwa dieser Zeit wird Ninive eine Fläche von rund    750 ha bedecken. (Frahm, S.47f). Das sind Größenordnungen, in denen massive Macht über allgemeine Ohnmacht herrscht und seltener enormer Reichtum vergleichsweiser Armut der meisten Menschen gegenübersteht.

 

Am Ende entsteht (Handels)Kapital in einer bestimmten Art von Städten, was aber in den Despotien der Bronzezeit erst spät und nur gelegentlich möglich wird, da sehr lange Händler wohl derselben Untertänigkeit wie alle übrigen Menschen unterliegen: Kapital hingegen basiert auf einem gewissen Maß an (wirtschaftlicher) Freiheit seiner Eigner.

 

 

Als Despoten bezeichnen wir hier jene Herrscher, die im Sinne des altgriechischen Wortes despotes (Herr) danach trachten, möglichst unumschränkte persönliche Macht über ihre Untertanen zu erhalten und dabei Angst und Schrecken sowie instrumentalisierte Kulte als propagandistische Herrschaftsmittel einsetzen.

 

Steinzeitliche Zivilisationen entstehen auch anderswo, in Amerika schon lange vor der Zeitenwende. Zwischen 3000 vor und 1300 nach unserer Zeitrechnung existieren die stadtbasierten Mayareiche. Tiahuanaco beginnt um 1500 v.d.Zt., Teotihuacan floriert zwischen 600 vor und 700 nach unserer Zeitrechnung. Um 3200 v.d.Zt. entsteht mit dem chinesischen Liangshu eine komplexe große Stadt.

 

Die Wahnhaftigkeit von zum Despotischen tendierender Zivilisation lässt sich nirgendwo besser erkennen als an den gigantomanischen Großbauten der späten Steinzeit und der Bronzezeit, wo mit geringen Hilfsmitteln abstruse Grabmähler für Potentaten wie die ägyptischen Pyramiden oder mit riesigen Steinblöcken errichtete Kultanlagen für die Machtentfaltung von Priesterschaften errichtet werden. Die Instrumentalisierung von Menschenmassen im Machtinteresse wird augenscheinlich, die dann ihre Vollendung in uniformen militärischen Massen findet, die sich gegenseitig zermetzeln, berauben und töten. Mit diesem Instrumentarium wird der Mensch dann zum schrecklichsten aller Lebewesen.

 

Solche Entwicklungen geschehen nicht überall zeitgleich und erst in den letzten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung werden die letzten Kulturen von Jägern und Sammlern auf Erden im Namen eines alles zerstörenden Fortschritts vernichtet. Fortschritt sei dabei von Veränderung unterschieden, aus der sich ohnehin Wirklichkeit zusammensetzt. Vielmehr sei damit jener Glaube an die Fähigkeit des Menschen als Weltverbesserer gemeint, der sich im Verlauf des Kapitalismus an die Stelle des außerweltlichen Schöpfergottes zu einer Art Gott aus eigener Kraft hinauf-"adeln" wird.

 

 

***Eigentum, Arbeitsteilung, Handel***

 

Ackerbau bei Sesshaftigkeit führt in größerem Umfang zu Eigentum insbesondere an Grund und Boden. Mit diesem entstehen entsprechende neue Rechtsvorstellungen, die auch mit dem steigenden Konkurrenzverhalten zu tun haben. Es beginnt die Parzellierung der Erde und eine erste Entsolidarisierung. Der größere Eigentümer kann mit dem Vorzeigen von mehr Schmuck und Waffen eine Vorstufe von Machtausübung über andere erreichen. In unterschiedlich großen Grabbeigaben wird das sogar für ein phantasiertes Leben nach dem Tode perpetuiert.

 

Besonders ein Faktor führt auf dem Weg von der Kultur zur Zivilisation Veränderung herbei: Während Jagen und Sammeln nur soweit stattfinden, wie Bedarf nach Nahrungsmitteln besteht, ergibt die tägliche Arbeit in Ackerbau und Viehzucht mit Kulturböden, Weideflächen und der Herstellung von Gefäßen und immer effizienteren Waffen in unterschiedlichem Maß die Möglichkeit, über den eigenen Bedarf hinaus zu produzieren.

Als zunächst wohl gelegentlicher Nebeneffekt kommt es so in manchen Gegenden zur Produktion von Überschüssen. Diese können Warentausch bzw. Handel in etwas größerem Maßstab ermöglichen, dabei auch mehr Abtrennung von nun vollberuflichem Handwerk ermöglichen, welches seine Waren gegen Lebensmittel eintauscht.

Schon im Verlauf der Jungsteinzeit gestaltet sich der Abbau des Arnhofer Hornsteins wohl zu regulärer Warenproduktion. Regelrechte Bergwerke für Feuerstein und serielle Produktion von Werkzeugen und Waffen beginnen in ersten Einzelfällen. Muscheln der Stachelauster Spondylus gelangen aus dem Mittelmeer und dem Schwarzen Meer nach Mitteleuropa, wo sie zu Schmuck verarbeitet werden. Bernstein wird über den halben Erdball gehandelt.

 

So wie das Fachwissen der Kultexperten als Welterklärer kommt nun zu dem Fachwissen der Lebensmittelproduzenten das des Handwerks und dann auch des Handels. Damit fallen selbst in Gemeinschaften durch solches Spezialistentum die unmittelbaren Welterfahrungen und die individuellen Interessen immer weiter auseinander. Das alles "von oben" zusammenzuhalten wird eine Legitimations-Grundlage von Macht, die sich dafür der Priester bedient.

 

Arbeitsteilung und unterschiedlich vorkommende Rohstoffe fördern neben der Überschussproduktion Warentausch. Beide schaffen neue Abhängigkeiten über die Gewöhnung an Offerten des Marktes: Es entstehen neue Bedürfnisse und die wecken offenbar in zumindest vielen Menschen angelegte Gier. Der Weg in die Zivilisation wird auch der in die Tendenz zur Unzufriedenheit: Es gibt immer mehr, was die Begehrlichkeit weckt, als die meisten Mittel zum Erwerb haben.

 

Die Menschen vernichten nun nicht nur Wälder, lassen nicht nur Steppen und Wiesen abweiden und verwandeln Naturland in Äcker, sie beginnen Ton der Erde zu entnehmen, mit denen sie Gefäße vor allem zwecks Vorratshaltung und dann auch für Warentausch formen. Schließlich beginnt auch der Raubbau an Metallen und an für edel gehaltenen Steinen. Der Lebensraum Erde wird von nun an gnadenlos ausgeplündert.

 

 

***Macht***

 

Macht ist, soweit wir das in der deutschen Sprache zurückverfolgen können, ganz allgemein das, was das Lebewesen zu tun vermag. Im lateinischen Sprachraum ist die Basis der potentia das Verb posse, welches können meint. Macht ist so zu allererst jene über andere Lebewesen, die verspeist oder verdrängt werden. Für unsere Zwecke wird die Bedeutung des Wortes aber vor allem darauf reduziert, was Menschen mit Menschen zu tun vermögen. Da ist zunächst einmal über die Fortpflanzung ausgeübte Macht, welche die natürliche Evolution befügelt. Dabei kann beispielsweise sexuelle Attraktivität von Frauen unter Umständen ihnen Macht über Männer geben, physische Kraft Männern Macht über Frauen oder über Kinder.

 

Zwei Faktoren gehören dazu: Ein der Natur eingeborener Wille zur Macht, wie Nietzsche das nennt, also ein Lebenswille, und das ebenfalls fast allen (komplexeren?) Lebewesen offenbar eingeborene Phänomen der Gier. Der Wille zur Macht treibt ursprünglich dazu, sich möglichst gute Möglichkeiten zu verschaffen, um erfolgreich Nachkommen zu bekommen und groß zu ziehen.

 

Der Wille zur Macht ist aggressiv, und zwar im Bereich der Ernährung wie dem der Fortpflanzung, also der Geschlechtlichkeit. Das Wort Aggression leitet sich vom lateinischen aggredi ab: irgendwo hingehen, etwas unternehmen, angreifen. Ihr Gegenstück im Deutschen ist seit dem 19. Jahrhundert die dem Französischen entnommene Depression. Diese bezeichnete das Niederdrücken und dann auch das Bedrücktsein. Es machte die Kunst von Kulturen aus, eine Mitte zwischen Aggression und Depression auszutarieren. Machthaber in Zivilisationen wiederum werden Aggressionen stärker instrumentalisieren.

 

Physische Aggression als körperliche Gewalttätigkeit ist in fast allen Kulturen überwiegend, wenn auch nicht ausschließlich, Männersache. Das mag wenig mit der etwas größeren Körperkraft der Männer zu tun haben, deutlich mehr aber mit der Mutterschaft der Frauen. Das Testosteron, welches den Männern etwas stärkere Muskeln aufbaut, ist zuvörderst ein Fortpflanzungshormon, welches die Produktion von Sperma befördert und den natürlichen Drang nach deren Insemination in Frauen. Testosteron macht darum physisch aggressiv. Das hindert Frauen nicht daran, ebenfalls Aggressionen aufzubauen, aber diese blieben in der Vergangenheit tendenziell stärker im verbalen Raum.

 

Aggression verläuft bekanntlich in Wellen, in denen Energie(n) aufgebaut und in der aggressiven Aktion wieder abgebaut werden. Sie ist also kein Zustand, sondern ein sich immer neu aufbauendes Potential, das sich in der aggressiven Aktion vorübergehend erschöpft.

 

Dazu kommt das Naturphänomen der Gier, welches ursprünglich dafür sorgt, dass man in Zeiten des Überflusses mehr Nahrung zu sich nimmt als gewöhnlich nötig, also gierig wird, weil die Natur immer wieder auch Phasen des Mangels kennt. Diese Gier kann sich beim Menschen aber auf alles mögliche andere als nur Nahrung übertragen und dabei eben auch Suchtverhalten annehmen. Gewisse Talente, ausgeprägterer Wille zur Macht und Gier bringen dort, wo das geschieht, die Herrenschicht hervor und verurteilen die anderen dazu, Knechte zu werden.

 

 

Vor allem soll Macht hier die Möglichkeit Einzelner beinhalten, über Tätigkeiten bzw. deren Ergebnisse oder gar über den Glauben von vielen Menschen zu verfügen.

Zu den allerdings nicht hinreichenden Voraussetzungen gehört auch naturgegebene Ungleichheit. Entsprechend unterscheiden sich alle Menschen und nicht nur die Geschlechter voneinander, und zwar von Geburt an wie auch durch die Bedingungen, unter denen sie aufwachsen. Nur extrem wenige besitzen zum Beispiel das Talent, Erfindungen zu machen, Neuerungen einzuführen. Alle anderen müssen dazu angeleitet werden, damit dann wenigstens mehr oder weniger umgehen zu können.

Und so gibt es die, die grundsätzlich, sei es aus Körperkraft, Intelligenz, Geschicklichkeit, besonders klug eingesetzter Rücksichtslosigkeit oder der Fähigkeit, andere besonders gut für dumm zu verkaufen (oder noch anderer Talente), mehr Macht als andere haben. Aus ihren Reihen kommen die, die Macht über ihre Mitmenschen gewinnen und diese dann für sich nutzen. Die Trennung in Herren und Knechte, wie sie das deutsche Mittelalter bezeichnen wird, basiert zudem natürlich auch auf Zufällen des Glückes, welches Menschen zuteil wird, der fortuna, wie das Lateiner nennen werden.

 

Von solchen Machtverhältnissen erfahren wir erst dann Genaueres, wenn etwas davon schriftlich beschrieben und so überliefert ist. Für die Vorgeschichte des Kapitalismus ist zunächst da der Raum des östlichen Mittelmeeres und des sich anschließenden nahen Orients von Bedeutung. Hier ergreifen offenbar überall in den entstehenden Städten einzelne besonders wohlhabende Männer im Verbund mit Priesterschaften die Macht und gewinnen dann auch Macht über die sakralen Kollegien. Sie werden zu Herren über eine dabei mehr oder weniger verknechtete und entsprechend gehorsame Bevölkerung, wobei sie sich neben den Priestern auch anderer Gehilfen der Machtausübung bedienen, die wir schon damals als Beamte bezeichnen können, sobald ihnen bestimmte Aufgabenbereiche zugeordnet werden.

 

Das Wesen der Herren als Despoten ist, dass sie ihre Macht über die anderen Menschen von irgendeinem "göttlichen" Willen ableiten, sich selbst als gottähnlich oder göttlich bezeichnen und versuchen, diese Macht an einen, meist den ältesten Sohn mit einer Hauptfrau, zu vererben. Sie demonstrieren damals ihre allgemeine Potenz auch gerne sexuell, indem sie sich entsprechend viele Frauen in einer Art Harem reservieren.

 

Wohl erst im letzten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung entstehen Oligarchien, also von mehreren Reichen und Mächtigen kontrollierte Machtstrukturen. So wie sie sich dann im archaischen Hellas der frühen Eisenzeit herausbilden, bezeichnen wir sie als Aristokratien, da diese Art von Herren sich als die "Besseren" (aristos) bezeichnen und daraus und aus ihrem Landbesitz ableiten, nicht mehr selbst arbeiten zu müssen, sondern andere für sich arbeiten zu lassen. Derweil kann man sich als Aristokrat Vergnügungen hingeben, zu denen oft auch bewaffnete Gewalt bis hin zu größeren Raubzügen gehört.

In Analogie dazu nennen wir dann auch die Kollegien der Mächtigen im frühen Rom und anderswo in Europa mit diesem Begriff, auch wenn solche "Aristokratien" überall verschieden sind: Gemeinsam wird ihnen sein, dass sie ihren Reichtum nicht auf Arbeit oder Handel begründen, sondern auf landwirtschaftlich genutztem Großgrundbesitz. Aber auch alle frühen Despoten verfügen über besonders große Latifundien, wie die antiken Römer ihre großen (latus) Güter (fundi) nannten.

 

 

Macht über ihr untertane Menschen tendiert dazu, diese von übergeordneten Entscheidungsprozessen auszuschließen, wie das auch noch für heutige "Demokratien" gilt. Umgekehrt aber führt das auch dazu, dass diese aus vielen Gründen unfähig werden, über jenen Bereich hinaus selbst zu entscheiden, den die antiken Römer als den privaten (privatus) bezeichneten, den des persönlichen Haushaltes. Römer sahen dabei den öffentlichen (publicus) als jenen an, in dem Macht weniger Machthaber über die vielen übrigen privaten Haushalte ausgeübt wird.

 

Ein Aspekt dieser Trennung in allgemeine Entscheider und den privaten Raum der ihnen Untertanen wird sein, dass komplexere Strukturen möglich werden, in die hinein den meisten Menschen dann der Einblick fehlt, insbesondere, wenn ihnen produktive Arbeit auch noch die Zeit dafür raubt. Als durchgehende Regel kann gelten, dass die Masse der Menschen umso ohnmächtiger wird, je komplexer die menschengemachten Strukturen werden, in denen sie existieren. Eine zweite Regel besagt, dass, je größer die Wahrnehmung eigener Ohnmacht ist, desto größer auch die Neigung zur Identifikation mit besonders übermächtig wirkenden Anführern, welche die eigene Ohnmacht vergessen lässt. Beides scheint auch heute noch zu gelten.

Priester können zudem damit operieren, dass es in komplexer werdenden Kulturen offenbar immer unerträglicher wird, anzuerkennen, wie immer weniger man wirklich weiß und wissen kann, so dass man aus dem Manko stärker in den emotional viel intensiveren Bereich des Glaubens entkommen möchte. Erst wenn der späte Kapitalismus in seinen Metropolregionen die Macht der Priester bricht, werden politische Ideologien als Religionsersatz die Oberhand gewinnen und die Köpfe der Untertanen entsprechend einnebeln.

 

Die Machtergreifung Einzelner in der späten Jungsteinzeit und Bronzezeit lässt sich heute an einem wichtigen Resultat vor allem erkennen: Es wurde schon darauf verwiesen, dass die monumentalen archäologischen Zeugnisse früher Zivilisierung durch schweißtreibende Massenarbeit (die keine Lohnarbeit ist) entstehen, die erst einmal organisiert werden muss. Solche Organisation bedeutet Hierarchisierung in Befehl und Gehorsam, die solide eingeübt wurde. Das funktioniert aber kaum, ohne dass den Menschen dafür ein motivierender Glaube eingeflößt wird.

 

 

***Priestermacht und Herrschaft***

 

Es gibt keinen "Fortschritt", der beim Menschen nicht zugleich Rückschritt ist. Das gilt auch für den Weg von einfachen Versöhnungsritualen mit "Natur" zu den von mächtigen Priestern und priesterlichen Herrschern konstruierten, von komplexen Phantasiegebilden begleiteten Kulten bis hin zu den monotheistischen Religionen, oft begleitet von den gelegentlich haarsträubenden Phantastereien eines "Lebens nach dem Tode". Die Inakzeptanz des Todes ist unübersehbar ein Musterbeispiel für menschliche Wirklichkeitsverweigerung zwecks Unlustvermeidung.

 

Wie schon weiter oben beschrieben, ist das sprachbegabte menschliche Gehirn nicht dazu da, Wirklichkeit zu erfassen, sondern sie in eine erträgliche individuelle und darüber hinaus auch kollektiv definierte Welt umzuwandeln. Dazu gehört, sich mit der Tatsache des Todes nicht mehr abfinden zu wollen und auch manches anderes mehr oder weniger wegzulügen und zugleich das als unangenehm empfundene Nichtwissen durch zusammenfabulierte Glaubensinhalte zu verdrängen.

Leute, die meinen, dafür besonders zuständig zu sein, beanspruchen dort, wo Überschüsse produziert werden, einen Teil davon, um nun als Spezialisten für Weltproduktion Opferkulte für geheimnisvolle Mächte zu inszenieren, wobei die als (Nahrungsmittel)Produzenten aus der Natur heraustretenden Menschen wohl gelegentlich Schuldgefühle wegen der zunehmenden Ausplünderung des Lebensraumes Erde haben oder sie sich einreden lassen.

Bei den Kulten handelt es sich zunächst wohl um Versöhnungsrituale mit einer Natur, auf deren Kräfte eingewirkt werden soll und der man zunehmend mehr als andere Tiere und frühere Menschen etwas entnimmt. Offenbar entwickeln Kultspezialisten einer ansatzweise theoretisierenden Vernunft dann in diesem Zusammenhang sich bis hin zu Mythen entfaltende Erklärungsversuche, die nicht nur die eigene Bedeutung steigern, sondern erfahrbare Wirklichkeit in gedeutete Welt verwandeln.

 

Was in der erfahrbaren Wirklichkeit als vorgegebene "Mächte" erlebbar ist, vom Wetter über die Jahreszeiten bis hin zu Phänomenen lebendiger Natur, wird von solchen Experten der Umdeutung von Wirklichkeit in geglaubte Welt immer stärker personifiziert, damit die Priester als Mittler zwischen Mensch und Naturkräften treten können. Aus diesen werden so am Ende Götter, bald die neuen Verbündeten der Machthaber. Diese können Tier- oder Menschengestalt haben oder aber eine Verbindung aus beidem. (Ehr)Furcht vor den Göttern wird dann ziemlich bald in Furcht vor den diesen angeblich nahestehenden Machthabern transferiert. Erst in den hellenischen poleis des 5. Jahrhunderts v.d.Zt. hören wir dann von Sophisten ansatzweise Kritik zu solchen Phantastereien.

 

Richtig mächtig werden diese Experten des Zusammenfabulierens erst mit größeren Ansiedlungen, in denen auch machtvolle Kultstätten errichtet werden können. Dazu müssen ihnen die "Gläubigen" nicht nur Abgaben entrichten, sondern auch mühsamste Arbeitsleistungen verrichten wie das Steinebrechen oder -produzieren und den oft weiten Transport großer Steine aus weiter Entfernung.

Zuvor dürften spätere megalithische Kultorte von Göbekli Tepe bis Stonehenge wohl im wesentlichen einfachere Pilgerorte gewesen sein, so wie es noch viel später Kultorte der Germanen und Slawen vor ihrer vollständigen Zivilisierung sein werden.

 

 

Neben den Fabulierkünsten entwickeln frühe Kultexperten auch handfest Nützliches wie die Beobachtung des Sonnenlaufes wohl nicht zuletzt zur Fixierung eines Aussaatdatums. Während man über die Beobachtung des Himmels bei Tag und Nacht mit dem bloßen Auge zunächst nicht wirklich zum Astronomen wird, kann man doch Kultstätten mit einer urtümlichen Kalenderfunktion entwickeln. Manches, was man dabei dann nicht erkennen kann, wird wiederum zum Fabulieren eingesetzt, wobei richtige Wahrnehmungen und Zusammenphantasiertes wohl von den "Laien" schwerlich unterschieden werden können.

 

Priestermacht etabliert sich dabei auch über magische Rituale, die aus ihnen staunenswerte Zauberer machen. Dabei häufen solche Priester magisches "Wissen" an, welches sie monopolisieren. Ihren Gipfel erreicht das Opferritual, wenn es den Blicken der Laien stärker entzogen wird und die Aura des Geheimnisvollen erhält. Mysteriös wird der Kultort auch dann, wenn die "heilige" Götterstatue dort so aufgestellt wird, dass sie nur die Priester sehen können.

Seit längerem wird sehr missverständlich dann pauschal von "Tempeln" gesprochen. Das lateinische templum ist ursprünglich der sakrale Bezirk, in dem Auguren ihrem Gewerbe nachgehen, und daraus wird jener Gebäudetypus nach griechischem Vorbild (naós) mit einer Säulenvorhalle und der abgeschlossenen und dunklen cella (griechisch: sekós), in der die den Laien unzugängliche Götterstatue steht. In diesem "heiligen" Bezirk findet die Gottesverehrung der Laien wie auch das Opfer außerhalb und als öffentliches Spektakel statt.

Mir erscheint es eigentlich unsinnig, bei ägyptischen Sakralbauten wie auch bei den mesopotamischen Zikkurat oder dem zentralen altjüdischen Kultgebäude in Jerusalem von Tempeln zu sprechen, da es sich um andere Gebäudetypen für etwas andere Opferkulte handelt. Die Ägypter des Pharaonenzeitalters zum Beispiel nannten ihre vergleichsweise riesigen Sakralbauten "Wohnsitz des (jeweiligen) Gottes", und die Vielzahl von Räumen und Höfen dienten einer Vielfalt von unterschiedlichen Ritualen, die eine ganze Schar von Priestern durchführte. Aber gelegentlich wird auch hier mangels anderer Namen notgedrungen von Tempeln für verschiedene Kultanlagen gesprochen werden.

 

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Es ist aufgrund der archäologischen Funde und Ausgrabungen zu vermuten, dass die Priestermacht zumindest häufig vor der der "weltlichen" Herrscher erscheint.

Die Hoheit über den Glauben der Menschen ist dabei bereits Macht und wird es bleiben. Eine der ersten Grundlagen für Zivilisierung ist also der Ersatz von Nichtwissen durch Glauben, ein offenbar allgemeinmenschliches, allerdings zutiefst unheilvolles Bedürfnis, welches aber durch ein mächtiges Priestertum aus Eigennutz weiter geschürt wird.

Gläubigkeit als grundlegende Haltung ermöglicht Domestizierung der Massen in Untertänigkeit. Die Macht von Priestern ist aber dort besonders groß, wo sie sich mit aggressiver Gewalt verbindet, deren Repräsentanten am Götter"himmel" die Priester immer mit verwalten.

Irdische Gewalttätigkeit nimmt derweil auf dem Weg in Zivilisierung zu, wobei sie sich entweder überfallartig gegen andere richtet oder deren Überfälle abwehrt. In dem Maße, in dem es Anführern dabei gelingt, auch in Friedenszeiten Häuptlingsstatus zu gewinnen, etablieren sie sich neben den Priestern als Vertreter nunmehr ganz und gar irdischer Macht.

 

 

Priester legitimieren zunächst lokale Machthaber "religiös" und verschaffen ihnen Akzeptanz bei den Untertanen. Diese werden darauf orientiert, sich mit ihren "Chefs"  "zu identifizieren", wobei sie als von Göttern eingesetzt gelten oder selbst vergöttert werden. Die Herrscher umgeben sich dabei mit einer Pracht, die offenbar ebenfalls zur Identifikation einlädt, auch wenn sie aus den Abgaben dieser produktiv arbeitenden Menschenmassen herrührt.

 

Betrügen Priester und dann auch die von ihnen legitimierten Machthaber ihre Untertanen und Befehlsempfänger bewusst? Das mag in Einzelfällen in gewissem Maße der Fall gewesen sein, aber es ist in der Regel sicher viel einfacher, selbst an das zu glauben, was einem viel Macht und Reichtum beschert und einem auch schon mit der Kindheit eingeflößt wird. Darüber hinaus darf man nicht vergessen, dass es vor allem die Wichtigtuer sind, die Eitlen, die Selbstgefälligen, aber eben auch zugleich die Brutalen und Rücksichtslosen, die sich zu Macht und Reichtum aufschwingen, also eine erfolgreiche Negativauswahl der Menschen. Wer möchte, kann es auch anders wenden: Es sind auch die Cleveren, die Intelligenten, die organisatorisch und rhetorisch Begabten, welche in den entstehenden Zivilisationen nach oben gelangen. Und das wird auch so bleiben.

 

 

***Handel, Luxuskonsum und Kapital***

 

Der Glanz, Glitzer und Glitter von Gold, Silber und Edelsteinen erweckt die Gier vor allem in jenen besonders zu bösartiger Gewalttätigkeit neigenden Menschen, die dann auch noch Kupfer als Statussymbol nutzen können, bevor sie mit Bronze, der Legierung von viel Kupfer mit wenig Zinn, jenes harte Metall in die Hände bekommen, mit dem die Waffen hergestellt werden, mit deren Hilfe Herrschaft dauerhafter institutionalisiert und Räuberei nach außen besser durchgesetzt werden können.

 

Der auf sie konzentrierte Luxus der Mächtigen, erstes Etappenziel von Zivilisierung, wird nicht nur durch die Abgaben der unterworfenen Bauern und kriegerische Räuberei, sondern darüber auch von abhängigen Handwerkern und Händlern bedient. Insbesondere im Handel kommt es in der späteren Bronzezeit zu gelegentlicher früher Kapitalbildung und dabei über die steigende Bedeutung von Geld und Kreditwesen nach und nach wohl auch zu ersten seltenen Ansätzen von Finanzkapital.

 

Die Schatzbildung in den Händen von Despoten und Aristokraten ist von ihrer Gier nach steter Vermehrung geprägt, und wenn man nicht mehr Abgaben aus Untertanen bzw. abhängigen Menschen herauspressen kann, dient der Krieg mit seiner Beute an Land und Menschen zur Vermehrung solcher Schätze. Schon frühe Zivilisationen sind entsprechend oft von Kriegen geprägt, die mit der Propagierung von Feindseligkeit die Identifikation mit den eigenen Mächtigen und ihren Reichen verstärkt.

 

Kapitalbildung ist ihrem Wesen nach von Schatzbildung verschieden, da sie zwar von Kriegen nicht selten profitiert, selbst aber wesentlich unkriegerisch ist: Kapital entsteht dadurch, dass angesammeltes Eigentum vom Konsum abgezweigt wird, also nicht in Konsum verbraucht wird und dabei verschwindet. Es wird vielmehr investiert, um sich zu vermehren. Das geschieht in frühen Zivilisationen im wesentlichen im Handel, und zwar im Warentausch großen Stils, den Geld, zunächst einfach als Edelmetall, nun erheblich vereinfacht. Warentausch ist ursprünglich ein Ergebnis von Arbeitsteilung, und er nimmt nun in dem Maße zu, in dem Arbeitsteilung sogar über große Regionen hinweg in größerem Maßstab stattfindet. Sobald eine erhebliche zeitliche Distanz zwischen Kauf und Verkauf entsteht, muss der Händler oder sein herrschaftlicher Auftraggeber für den Einkauf Kapital quasi für eine Weile vorschießen, um daraus beim Verkauf Gewinn zu machen - sein Kapital zu vermehren. Auf die Dauer entstehen dabei auch Finanzspezialisten, die das Kapital des Händlers durch Kredite ergänzen.

 

Selbst das Wort Kapital taucht erst auf, nachdem es solches schon lange gegeben hat, und fast überall erst Jahrhunderte, nachdem Kapitalismus bereits in großen Teilen Europas seinen Siegeszug angetreten hat. Seine lateinische Wurzel ist das Wort caput, welches für den Kopf bzw. das Haupt steht. Daraus leitet sich capitalis ab, welches man unter anderem mit "hauptsächlich" übersetzen kann. In spätmittelalterlichen norditalienischen Volkssprachen wird dies Wort wieder substantiviert, um von dort dann später in den Norden zu wandern, wo es im Deutschen zum Beispiel als hauptgut auftaucht.

In italienischen Städten des späten Mittelalters mit ihrem blühenden Kapitalismus bezeichnet es beim Geschäft/Unternehmen die Hauptsache. Diese aber ist das, was nicht die Nebensache ausmacht, nämlich was für den persönlichen Konsum abgezweigt und damit dem (eigenen) Geschäft verloren geht, sondern das, was eingesetzt wird, um es zu vermehren, ohne dabei allzu viel physische (bzw. militärische) Gewalt einsetzen zu müssen.

 

Umgangssprachlich ist Kapital so heute in Tauschwerten bzw. Geld rechenbares Eigentum. Das aber ist Kapital nur als Option, potentiell, tatsächlich wird es nur als Vorgang, nämlich als der seiner Investition, seines Einsatzes zu seiner Vermehrung. Wird potentielles Kapital nicht zum Zweck seines Wachstums eingesetzt, verfällt es bald.

 

Die Dynamik der Gewalttätigkeit von Despoten und Aristokraten ergänzt der Kapitalist also durch die friedlichere des Warentausches. Dabei bleibt Kapital in frühen Zivilisationen in der Regel den Machthabern und ihren Bedürfnissen unterworfen. Es wird eine ausgesprochene Ausnahme der Menschheitsgeschichte sein, dass große Kapitaleigner selbst seit dem 10. Jahrhundert unserer Zeitrechnung für eine längere Zeit immer mehr Macht in Städten des lateinischen Abendlandes gewinnen werden, und nur dort wird Kapitalismus entstehen.

 

 

***Was  von den Kulturen bleibt***

 

In den frühen Zivilisationen wird der Kultus zivilisiert mithilfe seiner Kultbauten, anthropomorphen Göttergestalten, Opferkulten und ihrer Priesterschaft, das heißt, er wird von den Mächtigen benutzt und in den Machtapparat integriert. Dabei entstehen Zivilisationen auf dem Boden von Kulturen, und das eine oder andere an ihnen wird als nützlich integriert, allerdings weithin der Tradierung und das heißt auch Veränderung durch die große, nunmehr ohnmächtige Bevölkerungsmehrheit entzogen. In Zivilisationen erstarrt Kultur, soweit sie hineingerettet wird, weitgehend. Sie wird transformiert in eine Sache der Machthaber.

 

Das aber geschieht nicht gleich zur Gänze. In jenen privaten Nischen, in denen das den Mächtigen gleichgültig sein kann, halten sich erstarrende Traditionsreste, und manches davon wird in das Neue hineintransformiert, dabei aber dem Einfluss der Betroffenen immer weiter entzogen. Bis in die lateinische Spätantike hält sich unterhalb der Kulte der Mächtigen fast überall der untergeordnete "private" Kult, was unter den Bedingungen polytheistischer Gottesvorstellungen ohnehin unproblematisch ist.

 

Das Überleben von sogenannten "Volkskulturen" in Zivilisationen führt in immer größeren Teilen Europas spätestens im 18. Jahrhundert zu einem gewissen Missverständnis von "Volk" und "Kultur" durch ein Bildungsbürgertum. Das "Volk" ist nun auf die Landwirtschaft betreibenden Produzenten reduziert, deren Wirtschaften und Lebensalltag längst in kapitalistische Strukturen eingebunden wurde, und das Missverständnis derjenigen, die dabei nie zu diesem Volk gehörten, produzierte dann Volkstümelei, den Einfluss von idealisierter Dorfmusik auf die des neuen Bürgertums zum Beispiel seit Ende des 18. Jahrhunderts.

Das parallele Missverständnis bezeichnet die Status ausdrückenden gehobenen Amüsierwelten der machthabenden Oberschichten (Musik, bildende Künste, Literatur) als Kultur in dem Maße, in dem wirkliche Kultur verschwindet. Das aufstrebende neuartige Bürgertum der Neuzeit ersetzt schließlich den schwindenden Anteil an der Macht in der Mittelstellung zwischen Fürsten und Adel einerseits und Produzenten andererseits dadurch, dass es im Zuge der Säkularisierung den "Künsten" immer mehr Offenbarungscharakter beimisst und sie bis in die Romantik hinein nach und nach zu einer Art Religionsersatz hochstilisiert. Mit der Industrialisierung des 18./19. Jahrhunderts und der Verbreitung eines großen Industrieproletariats versucht dieses "Bürgertum" seinen Status ideologisch durch "Bildung" (Schule/Universität/Konversationskanon) und "Kultur" (Warenkonsum von Büchern, Musik etc.) zu definieren. Der alles ergreifende Kapitalismus des 20. Jahrhunderts als Welt eines Konsums auch auf diesem Wege weiter verblödender Massen lässt all das dann zur Gänze verschwinden.

 

 

Bronzezeit nördlich des Mittelmeers

 

Von der Bronzezeit im größten Teil Europas, die dort deutlich später einsetzt, wissen wir noch weniger als von der des Orients, da jenseits von ihm Schrift noch unbekannt ist, wir nur archäologisch zu gewinnende Zeugnisse haben und fast völlig auf Vermutungen angewiesen sind.

 

Seit etwa 3500 legen Menschen in Norddeutschland Megalithgräber für ganze Gemeinschaften an. Den Toten wird Nahrung in Keramikgefäßen mitgegeben, Pfeil und Bogen, Werkzeug und Schmuck. Mehr noch als bei den Kreisgrabenanlagen seit dem 5. Jahrtausend mit ihren Erdbewegungen nehmen die Menschen gemeinsam erhebliche Anstrengungen auf sich, um die riesigen Steine zu bewegen, die schon mal 50 Tonnen wiegen können. Für einzelne dieser Anlagen sollen (schätzt man) hundert Menschen fast dreieinhalb Monate lang zehn Stunden am Tag gearbeitet haben. Sie müssen dazu bewegt und dafür organisiert werden: Hierarchien werden immer deutlicher.

 

Um 4000 gelangen Siedler aus der Ägäis nach England und um 3000 beginnt die Anlage von Stonehenge.  Über 20t schwere Sarsensteine müssen über 30 km heranbewegt werden und Blausteine sogar aus Südwales. In der Gegend werden nun auch größere Landschaften entwaldet.

Megalithanlagen entstehen unter anderem auch bei Carnac in der Bretagne und auf Malta. Wo immer solche Bauten auftreten, weisen sie auf die Unterordnung vieler unter Einzelne hin, wobei unklar ist, ob es sich um frühe Kultexperten oder auch schon um eher "weltliche" Herren handelt.

 

 

Im Vergleich zu den Regionen zwischen Ägäis, Mesopotamien und Ägypten verlaufen die Entwicklungen im Zentrum und Westen Europas langsamer. Als Beispiel mag ein archäologisch erschlossenes "Fürstentum" von Leubingen (im heutigen Thüringen) um 1950 v.d.Zt. dienen, von dem ein 8m hoher und mit 34m Durchmesser großer Grabhügel untersucht wurde. Dort fand man Goldschmuck, Bronzewaffen und Werkzeuge als Grabbeigaben. In der Nähe des Fürstengrabes wurde ein fürstliches Langhaus von über 450 Quadratmetern gefunden. Die meisten Gräber der Zeit sind allerdings vergleichsweise ärmlich

Aus etwa derselben Zeit stammt die Himmelsscheibe von Nebra, vermutlich Auftragsarbeit eines anderen Fürsten. Das Kupfererz der Scheibe stammt aus den Alpen, Gold und Zinn aus Cornwall.

 

Die Axt dient auch der Holzbearbeitung und Pfeil und Bogen sind auch für die Jagd geeignet, aber das Schwert, welches um 1600 in Mitteleuropa auftaucht, dient nur der Gewalt gegen Menschen, auf welcher dann alle bronzezeitlichen Zivilisationen beruhen. Bald werden Streitäxte zu diesem Zweck auch seriell hergestellt.

 

 

Beschleunigung

 

Was immer in  dicken Büchern steht, unsere Kenntnisse von Menschen auf rein archäologischer Basis sind extrem gering, und das, was Inschriften, Tontäfelchen und Papyri aus entwickelten Zivilisationen der Bronzezeit enthalten, hilft auch nur in geringem Umfang. Eines aber ist unübersehbar: Nicht überall, aber doch in manchen Gegenden steigert sich das Tempo der Veränderung im Verlauf der sogenannten Steinzeit erheblich, was inbesondere mit der Nahrungsmittelproduktion und den Anfängen sie begleitenden Handwerks immer deutlicher wird.

 

Um 3000 tauchen Räder in Sumer auf. In Mitteleuropa gibt es Wagenmodelle aus Ton, während die hölzernen Wagen selbst nicht erhalten sind. In derselben Zeit steigt das Schlachtalter von Rindern an: Sie ziehen nun Pflüge und Wagen und dürfen dafür länger leben.

 

Produktion und dann gesteigerte Produktivität ermöglichen deutliche Bevölkerungsvermehrung, aber diese selbst wiederum treibt Produktion voran - von Nahrung, Behältern, Bekleidung etc. All das verändert Leben und Vorstellungen der Menschen und führt nicht nur zu neuen Kenntnissen und Fertigkeiten und zugleich zunehmend haarsträubenden Interpretationen von Wirklichkeit als Welt durch sich selbst heiligende Bauernfänger, sondern auch zur Konzentration von Menschen auf Gegenden und Orte, wo geschickte Machtgierige ihnen unter Vorwänden zumindest einen Teil ihrer Produktion abnehmen können, um damit eigene Macht und den Aufbau von Herrschaft zu ermöglichen.  

 

Mit der Entfaltung solcher Machtstrukturen kommt es zu einem Schub der Beschleunigung von Veränderung. In diesen integriert sich dann die Entdeckung der Nutzung von Metallen im wesentlichen durch die Reichen und Mächtigen.

Schon in der späten Steinzeit ab dem 7. Jahrtausend in Nord-Mesopotamien im Raum des Khabur, eines Nebenflusses des Euphrats, werden Schmelz- und Gießtechniken für Kupfer und Blei entwickelt, wobei die Verfügung über das Metall unter die Kontrolle der Mächtigen gerät. Damit beginnen Menschen mit dem mühseligen Ausgraben von Erzen und ihrer Verwandlung in Metalle, und zwar zuerst von Kupfer. Da dieses nur an wenigen Stellen leicht zugänglich ist, befördert das den Handel, aber auch die Macht Einzelner, die sich die Kontrolle über solch frühen Bergbau und über den (Fern)Handel sichern. Mit der Verfügung über die Rohmaterialien wie Fertigprodukte können sie dann ihre Macht ausbauen. Macht und Ohnmacht, arm und reich bestimmen nun die Menschenwelt und werden als gerecht und von Göttern gewollt propagiert.

 

Am Beispiel der weichen Metalle Kupfer, Gold und Silber, die zunächst wenig allgemein nützlich sind, wird einiges von dem deutlich, was viele Menschen spätestens jetzt ausmacht: Sie lassen sich offensichtlich schon früh und gerne blenden durch alles, was glitzert und glänzt und selten ist. Schon ab etwa 7000 gelingt die "Nutzung" von glänzendem Gold, Silber und Kupfer, die allesamt nicht für Werkzeuge taugen. Sie dienen als Schmuck für Aristokraten und Despoten, aber auch zur Herstellung von schmückenden Gefäßen etc. für sie. Wer selbst nichts davon besitzt ist wohl oft wenigstens dumm genug, es bei anderen zu bewundern.

 

Auf das Kupfer folgt die Bronze, eine Legierung aus Kupfer und Zinn. Sie ermöglicht härteres Metall, welches nun für Werkzeuge und Waffen tauglich wird. Bergbau gewinnt an Bedeutung und Schmelzöfen tauchen auf. Mit Gußformen entsteht dann auch im Bereich der Metallverarbeitung serielle Massenproduktion, wie schon ansatzweise zuvor bei Schmuck und Keramik.

Da beide Metalle kaum an einem Ort vorkommen und Zinn darüber hinaus selten ist, erweitert das den Fernhandel insbesondere auch per Schiff und übers Meer.

Kupfer gibt es in der Bronzezeit zum Beispiel im Süden der iberischen Halbinsel und auf Zypern, der Kupferinsel, Zinn fast nur im heutigen Cornwall, in Armenien und im heutigen Afghanistan. Intensiver Handel rund um den Mittelmeerraum und bis weit in den Osten setzt ein.

Mit diesem Handel tritt der organisierte Kampf um Rohstoffe und Handelshoheit im heutigen Wortsinn auf, das Pferd, als Reittier und Zugtier domestiziert und schließlich vor Streitwagen gespannt, macht weit ausgreifende Kriege möglich. Die Waffen werden mit härterem Metall effizienter. Herrschaft und Krieg, Macht und Gewalt finden damit immer besser zusammen.

 

Mit dem 3. Jahrtausend erscheint Bronze zunächst im Nahen Osten, um 2600 auf Zypern mit seinen reichen Kupfervorkommen, um 2000 in der minoischen Zivilisation und nach 1600 in der mykenischen.

In Asien kommt es zum Beispiel zu den bronzezeitlichen frühen Zivilisationen Turkmenistans, in denen teilweise bereits Massenproduktion von Keramik stattfindet. In Amerika lässt sich die späte Inka-Zivilisation der Bronzezeit zurechnen.

 

Vermutlich schon um 1800 kennen Hethiter (noch weiches) Eisen, und um 1400 beginnen sie mit der Verhüttung und der Nachbehandlung des Eisens zur Herstellung von Stahl. Im letzten Jahrtausend löst das Eisen dann allgemein die Bronze ab. Nachdem es sich durchgesetzt hat, wird bis zur großen Industrialisierung des 18. bis 20. Jahrhunderts n.d.Zt. das Tempo der Veränderung weniger durch neue Materialien, Produkte und Produktionssteigerungen vorangetrieben als durch die Gier einzelner oder kleiner Gruppen nach Macht und Reichtum, während die Masse der ihnen unterworfenen Untertanen bis dahin bestenfalls so etwas wie Subsistenz, das Überleben also, erreicht, und als mehr oder weniger verdummtes Arbeitsvieh und "Kanonenfutter" für die wenigen Reichen und Mächtigen dient.

 

Die Gier der Machthaber kanalisiert die Aggressionen der Untertanen in Kriege hinein, die schon in der Bronzezeit immer alltäglicher werden. Lange bevor das, was die Propagandisten der Macht und des Unheils bis heute Fortschritt nennen, der Menschheit die Mittel in die Hand geben wird, den gesamten Lebensraum Erde zu vernichten, wie inzwischen längst geschehen, werden sie die Mittel in  der Hand haben, sich massenhaft gegenseitig abzuschlachten und ganze Städte und Landschaften zu zerstören. 

Es ist der Krieg, der nun vor allem Veränderung bedeutet, mit immer neuen Waffen, Rüstungen und Gerätschaften, die den Menschen zum größten Feind seiner eigenen Gattung machen, zur wohl größten und abartigsten Verirrung in der Tierwelt. Die größten Verbrecher von damals werden nun von jetzt an bis heute die größten Helden der "Geschichte".

 

 

Despotische Großreiche: Ägypten und Mesopotamien

 

Vor 8000/7000 Jahren waren Teile der Sahara als Trockensavanne noch bewohnbar, und noch nach 5000 ziehen Viehzüchtergruppen dort von Wasserstelle zu Wasserstelle, wohl geleitet von Anführern mit großer Erfahrung. Bei dem von Archäologen so genannten Nabta-Playa rund hundert Kilometer westlich von Abu Simbel entsteht mit dem Sommerregen vorübergehend ein See, bei dem um 5000 megalithische Steinkreise mit Kalenderfunktion zwecks Vorhersage der Regenfälle erbaut werden. Deren Ankunft wird mit dem Dankopfer einiger geschlachteter und in Gräbern beigesetzter Rinder begangen (Wilkinson, S.34).

 

Danach wird die Sahara zunehmend zu der Wüste, wie wir sie noch heute kennen, der Sommerregen zieht sich nach Süden zurück. Nun wird das Niltal dichter mit dauerhaft bewohnten Dörfern besiedelt. Mit seinem durch die fast regelmäßigen Überschwemmungen fruchtbaren Land von Äckern, Gärten und Viehweiden, jagbarem Wild und Fischreichtum fördert es in der dortigen Jungsteinzeit Bevölkerungsvermehrung und schließlich Zusammensiedeln in Städten. Am Rand des fruchtbaren Niltales gibt es weiter nomadische Viehzüchter, besonders in Libyen und Richtung Sinai. 

 

Der fruchtbare Nilschlamm bietet nicht nur die Grundlage für Landwirtschaft, sondern auch für Tongefäße und luftgetrocknete Ziegel. Nur für die Sakralbauten und die Gräber derer, die es sich nach der Reichsbildung leisten können, wird es bald Steinbauten geben.

 

Mehrere regionale frühe Zivilisationen auf städtischer Basis entstehen, mit einer Großgrundbesitzer-Oberschicht, die bei Handwerk und Handel prestigeträchtige Luxusgüter und Materialien nachfragt und sich in abgeschlossenen Gräberfeldern mit luxuriöseren Beigaben beerdigen lässt. Die Bevölkerung wächst, die frühen Städte werden befestigt.

 

Das Land wächst über den verbindenden Nil zusammen, der auf 900 km bis zum ersten Katarakt schiffbar ist, gegen den Strom mit Segel und Ruder. Überhaupt sind Fließgewässer wichtigste Verkehrswege. Schilfboote mit Rudern gibt es wenigstens seit dem 4. Jahrtausend und später dann Holzboote mit Stecksystem ohne Metallnägel. Solche Boote können zerlegt und mit Ochsenkarren transportiert werden. Was viel später Ägypten heißen wird, ist vorläufig das "Schwarze Land" nach dem dunklen Nilschlamm, im Unterschied zum "Roten Land", der Wüste.

Nicht die verzweigten Kanalsysteme und die Bewältigung der Nilschwemme dürften allerdings vorrangig zur (Groß)Reichsbildung beigetragen haben, sondern die Machtgier der Herrscher. Ist das Reich erst einmal geschaffen, hilft das allerdings bei der Wasserbewirtschaftung, was unter anderem auch der um 1850 (v.d.Zt.) unter Amenemhet II. geschaffene aufwendige Kanal ins Fayumbecken belegt.

Grundsätzlich aber ist festzuhalten, dass die Machtapparate schon der frühen Zivilisationen hauptsächlich deshalb entstehen, damit sich selbst für besonders qualifiziert haltende Herrenmenschen als Potentaten die produktiv arbeitende Bevölkerung ausplündern können.

 

Nechen (griechisch später: Hierakonpolis, Falkenstadt, also Stadt des Gottes Horus), südlich von Theben, entsteht seit dem 5. Jahrtausend als zunächst agrarische Siedlung und wird im 4. Jahrtausend wohl durch das Zusammenwachsen mehrerer Dörfer um das Kultgebäude des falkenköpfigen Horus zu einer aus Lehmziegeln gebauten Handelsstadt für das aus dem nubischen Süden stammende Ebenholz, Gold und Elfenbein. Daneben lebt es nun auch von Handwerk wie Töpferei, Bierbrauerei und Bäckerei. Es kommt um 3000 auf vielleicht 10 000 Einwohner.

 

Eine zweite Stadt mit Herrschaftsbereich ist Negade/Nubt, welches ebenso wie Nechen den Zugang zu den Goldminen in der östlichen Wüste kontrolliert, und eine dritte, Tjeni/Abydos mit Zugriff auf die Handelsroute nach dem goldreichen Nubien. Die Herausbildung regionaler Reiche am Nil beruht unübersehbar auf der Gier von Herrschern samt einer entstehenden Oberschicht nach Luxus und Schatzbildung, für die Macht eingesetzt werden. Diese Machtkonzentration wird dadurch erleichtert, dass alle Siedlungen nahe einer einzigen Verkehrsader liegen und so leicht kontrolliert werden können.

 

Man weiß sehr wenig über die inneren Strukturen der sich in solchen Städten entwickelnden Herrschaften, die in brutal auftretende Krieger-Fürsten mit ihrem sich entwickelnden Hofstaat, Beamtenapparat, Priesterschaften, eine Kriegerschicht, aber auch Bauern, Handwerker, Händler und Sklaven von unterschiedlichem Rechtstatus unterteilt sind.

Man weiß auch kaum etwas über die Machtergreifung solcher Stadtherrscher, wohl einer Art Priesterkönige, und über ihre Koexistenz mit der Priesterschaft von Kultgebäuden. Unbekannt ist auch, wie Priesterkollegien zu Großgrundbesitzern werden, die sich von immer mehr Abgaben ernähren, und wie die "weltlichen" Machthaber die Kontrolle über sie gewinnen, wobei sie sich wohl mit einer sich zunehmend bereichernden Oberschicht verbinden. Das gilt auch für die aufsteigenden Stadt"staaten" von Süd-Mesopotamien ("Sumer").

 

Gemeinsam ist diesen Herrschern ihre stolz propagierte brutale Gewalttätigkeit, ihr öffentlich ausgestelltes Selbstbild als Totschläger schon lange vor der Herstellung eines ägyptischen Reiches. Um 3800 findet sich in der Nekropole von Abydos (Abidju) das Bildnis eines Herrschers, der "mit einer Keule in einer und einem Seil in der anderen Hand drei Gefangene zusammenbindet." In einem anderen Grab bei Nechen von etwa 3500 sieht man den König beim Erschlagen von drei gefesselten Gefangenen. Um 3000 zeigt eine Prunkpalette den Herrscher "als riesigen Löwen, der auf dem Schlachtfeld seine unterworfenen Feinde niedertritt und durchbohrt." (Wilkinson, S.57f) Seine übermenschliche bestialische Kraft hat ihm ein Gott verliehen. Um 2000 lässt sich ein Mentuhotep mit vier hintereinander knienden Gefangenen abbilden, einem Ägypter, einem Nubier, einem Asiaten (aus dem vorderen Orient) und einem Libyer, die allesamt darauf warten, vom Pharao erschlagen zu werden (Wilkinson, S.177).

 

Gewaltverherrlichung muss nicht am Anfang von Vorgängen der Zivilisierung stehen, aber immer am Beginn von Reichsbildungen. Im Pharaonenreich wird der brutale Charakter von Herrschaft durchgängig bestehen bleiben, und sobald er irgendwo nicht mehr durchgesetzt werden kann, kommt es zu Unruhen, Aufruhr und Rebellion.

 

Im Norden steigt Heliopolis (am Rand des späteren Kairo) mit dem Kult für den Schöpfergott Atum und Sonnenkult für Re weit vor 3000 auf. Es entwickelt sich wohl um einen zentralen Kultbau herum und ist um 3000 bereits mit Handel zur Levante und nach Oberägypten befasst.

 

Noch in der Jungsteinzeit, inzwischen mit ihrem Gebrauch von Kupfer, beginnt der Kampf einzelner Stadtherren um eine zunächst regionale Vormachtstellung, aus der die Vormacht von Nechen und Tjeni/Abydos hervorgeht. wobei es ein Herr von Abydos (?) es wohl noch im 4. Jahrtausend schafft, zum Herrn über ganz Oberägypten mit seinen anderen Tempelstädten aufzusteigen.

 

Der Machtkampf kulminiert schließlich in dem Konflikt zwischen Unter- und Oberägypten. Reichsbildung geschieht wie immer seitdem als Erweiterung des Herrschaftsbereiches von erst lokalen, dann regionalen Machthabern. Das von ihnen erfundene Ägypten heißt zunächst kemet - schwarzes Land nach der Farbe des Nilschlamms. Als Ergebnis von Eroberung erfindet sich so der Herrscher sein Reich und sein Volk, einen Verband von Untertanen. Dabei helfen die engen Beziehungen zwischen den Siedlungen entlang des unteren Nils. Dort sollen um 3000 bereits eine Million Menschen leben.

 

Irgendwann um 3000 (plus-minus etwa einhundert Jahre) gelingt einem Narmer die militärische Unterwerfung Unterägyptens, wie es die prächtige (Schmink)Palette hier dokumentiert. Die keulenschwingende Pose gegen Unterworfene ist typisch für fast alle Pharaonen. Überhaupt ist das Abbilden des Erschlagens von "Feinden" eine Art  Markenzeichen der Herrscher hier wie in Mesopotamien und vielen anderen frühen Zivilisationen. Noch ein später Herrscher von Ugarit, ganz am Ende der großen Zeit dieser Stadt, wird sein Bett mit seiner Abbildung in der Pose des siegreichen Kriegers mit dem Schwert in der Hand schmücken, wobei er den Unterworfenen am Schopf packt. Auf der Rückseite der Narmer-Palette bewegt sich der Pharao auf zehn geköpfte Männer zu, deren Köpfe ganz ordentlich zwischen ihren Beinen angeordnet sind. Wer wissen will, worauf Zivilisierung hinausläuft, kann das hier ganz anschaulich dargestellt sehen.

 

Narmer trägt auf der einen Seite der Palette die Krone Unterägyptens, auf der anderen auch die Oberägyptens. Aus beiden wird eine Doppelkrone. Pharao (großes Haus, also Palast) heißen die Herrscher allerdings erst im Neuen Reich seit Thutmosis III. Im Alten Reich bildet sich zuvor eine Art fünffache Titulatur heraus: Drei der Namen vergöttlichen ihn mehr oder weniger und zwei beziehen sich auf die zwei Teile seines Reiches.

Ihn als König zu bezeichnen, gibt zu Missverständnissen Anlass, weswegen er hier als Despot benannt wird. Damit wird auch deutlich, dass es sich um Männer handelt. Selbst Hatschepsut, gelegentlich von Historikern als "Königin" bezeichnet, die eine Zeitlang regiert, lässt sich in der Regel als Mann darstellen.

 

An der Narmer-Palette lässt sich sehr schön erkennen, was "Kunst" seitdem vor allem ist: Propagandainstrument, Statussymbol und dekoratives Luxus-Element für die Reichen und Mächtigen. Im pharaonisch beherrschten Ägypten wird vor allem machterhaltende Religion propagiert und es werden die Heldentaten der Despoten verherrlicht. Luxus zeigt sich dabei vor allem in den kostbaren Materialien. Das alles hat nichts mit dem Kunstgerede einer Romantik des 18./19. Jahrhunderts zu tun, welches sich vergeblich gegen den sich massiv durchsetzenden spezifisch spätkapitalistischen Warencharakter von "Kunst" wendet.

Tatsächlich kann man aber an obigem Kunstwerk auch erkennen: Kunst kommt von Können, und ars spezifisch von handwerklichem Können, etwas, was "Künstler" seit der Romantik meist zunehmend weniger beherrschen, während obiges Relief-Kunstwerk das durchaus bezeugt.

Im übrigen lässt sich schon im Pharaonenreich gut erkennen, dass auch andere Bereiche, die später als "Kunst" zertifiziert werden, wie zum Beispiel die Literatur, wie sie seit dem Mittleren Reich überliefert ist, vor allem Propaganda sind. Im wohl bekanntesten erzählenden Text von 'Sinuhe' heißt es gegen Ende: Möge der König Ägyptens mit mir zufrieden sein, damit ich zu seiner Freude leben kann. (etc)

 

 

Die ersten Phasen dieser Hierarchisierung, die Gemeinschaften in Herrschaften verwandelt, dürften mehr oder weniger noch auf Zustimmung zumindest eines wesentlichen Teils der Bevölkerung dort gestoßen sein, da sie meinten, daraus Vorteile zu ziehen. Als dann die Tempel der Priester, die darin - ungestört von den bäuerlichen Produzenten - vorgeben, die Götter durch Opfer freundlich zu stimmen, mit immer mehr Land und darauf arbeitenden Menschen versehen werden und die Herrscher selbst auch immer mehr Land mit seinen darauf lebenden Arbeitern für sich zusammenraffen, wird es zu einer Überlebensfrage, zu glauben und zu gehorchen. Wer ohnehin den ganzen Tag mühsam arbeitet, empfindet es wohl auch als bequem, sich über das, was darüber hinausgeht, möglichst wenig den Kopf zu zerbrechen.

 

Der historisch wichtigere Teil im Prozess der Zivilisierung, die Unterwerfung und Untertänigkeit der zu instrumentalisierten Massen werdenden Untertanen, wird von den Machthabern nicht dokumentiert und ist für die Historiker, die sich mit den Machthabern identifizieren, bis heute überwiegend uninteressiert. Wenn sich das seit einiger Zeit etwas zu ändern beginnt, hat das damit zu tun, das sich im heutigen Kapitalismus Macht immer weniger personalisieren lässt, da sie fast zur Gänze an Bewegungen der Kapitalverwertung abgegeben ist, als deren Agenturen sich Staaten verstehen. Die ziemlich vollständige Unterwerfung aller unter die Bewegungen des Kapitals schärft vielleicht etwas den Blick dafür, dass es unterhalb der Macht auch noch andere zu betrachtende Menschen gibt.

 

Erheblich früher als in Mesopotamien entsteht hier ein Reich mit theokratischen Zügen, also einem Herrscher, der seine Macht aus von Priestern vorgegebener kultisch exekutierter Ideologie und aus seiner Gottessohnschaft, Gottähnlichkeit oder Göttlichkeit heraus begründet. "Für den Tempel als autonome große Institution war in Ägypten kein Platz. Er war integraler Bestandteil der königlichen Bürokratie mit der ausschließlichen Aufgabe, das Wohlwollen der Götter sicherzustellen." (Sommer(2), S.30)

 

Für fast 3000 Jahre wechseln sich dann am Nil Pharaonendynastien ab, und die Historiker haben diese in ein Altes, ein Mittleres und ein Neues Reich eingeteilt, zwischen denen sie zwei Zwischenzeiten erheblicher Unruhe und Zersplitterung Ägyptens wahrnehmen.

Das Wort Dynastie gelangt erst im 16. Jahrhundert aus dem griechischen dynasté͞ia bzw. dem spätlateinischen dynastīa (Macht, Herrschaft oder Oligarchie) ins Deutsche, wobei die im spätlateinischen bereits vorliegende Bedeutung Herrscherhaus erst im 18. Jahrhundert übernommen wird.

 

Wir wissen heute extrem wenig über die frühen Reichsbildungen in Ägypten und dem Zweistromland, aber immerhin so viel lässt sich erschließen: Schon damals ist Voraussetzung die gewalttätige Anhäufung von Macht und Reichtum für einen städtischen Palastherrscher im Bündnis mit einer bereits hochprivilegierten Priesterschaft, die die ideologische Basis für die Machtergreifung liefert, und dazu kommt dann brutale Gewalttätigkeit.

Zur Verdummung der Massen durch Glaubensinhalte wie die Unterwerfung unter Götter und deren Diener samt immer aufwendigerer Kulte kommt ihre Indoktrination dahin, sich als möglichst großen Untertanen-Verband zu sehen, wiewohl dessen Einheit tatsächlich nur an dem einen Machthaber hängt. Diesen Verband von Untertanen wiederum bezeichnen Historiker dann gerne als "Volk" oder nutzen entsprechende Benennungen in anderen Sprachen, insbesondere dann, wenn dieses eine gemeinsame Sprache spricht, die möglicherweise erst mit der Reichsbildung durchgesetzt wird.

 

Der gottähnliche bis gottgleiche Charakter, den sich die Machthaber dann anmaßen und über die Priesterschaft durchsetzen, verhilft ihnen zur Vererbung der Macht in der eigenen Familie, und so wird Ägypten zum Beispiel eine Erbmonarchie. Das verschafft dem Reich zeitweilig eine gewisse Stabilität, andererseits schafft die massive Polygamie der Herrscher mit vielen Söhnen Rivalität unter ihnen. Der Harem selbst wird aber offenbar auch immer wieder Ausgangspunkt von Palastverschwörungen und Staatsstreichen.

 

Die Idee, despotische Herrschaft nicht nur religiös zu begründen, sondern sich als Herrscher selbst von einem Gott oder einer ganzen Götterschar einsetzen zu lassen und schließlich selbst als Gott aufzutreten wie ein Mentuhotep zu Beginn des Mittleren Reiches, der sich selbst als lebenden Gott bezeichnet, taucht unter Überspringen der wesentlich weltlicheren griechischen Polis und des römischen Stadtstaates im römischen Kaiserreich zumindest ansatzweise wieder auf und bleibt dann europäische Herrschaftsbegründung bis ins 18. Jahrhundert wenigstens. 

 

***Mesopotamien***

 

Wie die Bezeichnung für "Ägypten" stammt auch diese für das Zweistromland von antiken Griechen, wobei erst der römische Gelehrte Plinius darunter das ganze Gebiet von Euphrat und Tigris versteht. Im Neolithikum entwickelt sich intensivere Besiedlung zunächst im von Regen geprägten Norden, und es ist dann vielleicht zunehmender Bevölkerungsdruck, der im 6. Jahrtausend Leute in den Süden abwandern lässt, wo Landwirtschaft einerseits auf Dämme und Kanäle angewiesen ist, aber bald auch ein Verhältnis zwischen Aussaat und Ernte von 1:30 erreicht. (Im Reich Karls ("des Großen") ist es viel später bestenfalls schon mal 1:3). 

Hier entstehen mit der Ubaid-Zivilisation ab dem 6. Jahrtausend Siedlungen, in denen sich mit der Zeit kleine Kultstätten mit Opferaltar in größere Gebäude mit Götterstatuen verwandeln. Ab etwa 4300 entwickeln sich mit dem Zentrum Uruk Städte mit Tempeln und ihrer Priesterschaft, die bald von einer Mauer umgeben werden. Eine von Tempeln kontrollierte "städtische Zivilisation" entsteht, wobei die zunehmende Bevölkerungskonzentration Verbesserungen in der Wasser-Bewirtschaftung erfordert. (Sommer(2), S.18f)

 

Von später überliefert ist die Behauptung, die Götter hätten die Menschen geschaffen, um sie für sich arbeiten zu lassen. (Frahm, S.93) Daraus leiten dann Tempelpriester ab, dass nun für sie zu arbeiten ist, da das mit der Arbeit für die Götter in eins fällt. Bis zum Ende eines langen Mittelalters werden Europäer deshalb Zwangsabgaben an die Kirchen leisten müssen. Zur Erfolgsgeschichte der Machtergreifung solcher bald "sumerischer"  Priesterschaften gehört, dass sich ihre Art städtischer Zivilisation bis nach Nordmesopotamien ausdehnt.

 

Tell Brak an einem Nebenfluss des Khabur etwa in der Mitte zwischen Diyarbakir und Mossul ist der Ort einer solchen Stadt, die im 4. Jahrtausend die Größe von 55 ha erreicht. In der Zeit, als Uruk im Land der Sumerer seine Macht entfaltet, entsteht auf einer terrassierten Fläche mit dem sogenannten Augentempel auf einer terrassierten Fläche von 65x40 Metern und einem mittleren Saal von 18x6 Metern der Neubau eines schon lange existierenden Tempels. Mit seinen Ornamenten aus Gold, Silber und Kupfer ist er von enormer Pracht, für die wohl vor allem die bäuerliche Bevölkerung und die Handwerker sich mühen müssen.

 

Solche Städte des vierten Jahrtausends, meist von Tempelpriesterschaften beherrscht, besitzen schon mal Hauptstraßen, die mit Kies gehärtet sind und offene "und gedeckte Kanäle und tönerne Rohrleitungen sorgen für die Wasserabfuhr." (von Reden, S.45) Es gibt Töpferei, Metall- und Steinbearbeitung auf hohem Niveau. Fernhandel zwischen Kleinasien, der Levante und dem Land Sumer findet statt.

 

Im obersten Tempelpriester, "Bindeglied zwischen göttlicher und menschlicher Ordnung, kulminierten religiöse und herrscherliche Gewalt, die funktional noch nicht geschieden waren." (Sommer(2), S.20). Der Tempel versorgt den jeweiligen Gott mit Lebensmitteln, Kleidern und Prestigegütern. "Das Tempelpersonal kontrollierte das Gros der wirtschafteten Überschüsse, entsprechend sah die Tempelarchitektur auch regelmäßig ganze Gebäudetrakte für Bewirtschaftung und Magazinierung unterschiedlicher Güter vor. (...) Der Tempel (...) verfügte außerdem über angegliederte Werkstätten für produzierendes Gewerbe. (Sommer(2), S.21)

 

Mit der extrem unterschiedlichen Verteilung von Macht und Verfügung über landwirtschaftliche Produkte entsteht wie im Niltal aus ökonomischem Interesse der Mächtigen eine zunächst viele Zeichen umfassende Schrift, die schließlich in eine Keilschrift "vereinfacht" wird, die zunehmend dann auch Laute wiedergibt.

 

Anders ist aber, dass es unterschiedliche Völkerschaften in verschiedenen Gegenden des Zweistromlandes sind, die jeweils für eine Anzahl von Jahrhunderten despotische Großreiche von städtischen Zentren aus bilden werden (Uruk, später Ur, Babylon, Akkad, Assur/Ninive usw.

Über weite Strecken versteht sich Mesopotamien darum nicht als Einheit, sondern zumindest als zweigeteilt. Im Laufe der Zeit setzt sich gelegentlich durch, von den zentralen Städten Assur und Babylon aus von Assyrien im Norden und Babylonien im Süden zu sprechen.

 

Das in Keilschrift überlieferte Sumerisch wird bis etwa 2000 vor allem im Süden gesprochen und überlebt dann noch als Sprache tradierter Texte. Danach dominiert das semitische Akkadisch mit seinen zwei Hauptdialekten Babylonisch und Assyrisch. Im Norden ist seit etwa 1000 das semitische Aramäisch statt dem Akkadischen lingua franca. (Eckart Fram). Ähnlich wie im Niltal nördlich des (späteren) Sudan gibt es auch in Mesopotamien gewisse Verwandtschaft in Lebensformen und Vorstellungswelten.

Dabei ist klimatisch der Süden und das große Flussdelta ähnlich regenarm wie das ägyptische Niltal, wobei die Fruchtbarkeit nach sich ziehenden Überschwemmungen von Euphrat und Tigris in die Erntezeit fallen, was dort  andere Formen der Wasserbewirtschaftung nach sich zieht. Weiter nördlich gibt es auf Niederschlag basierenden Ackerbau, der im Ägypten der Pharaonen völlig fehlt.

 

Despotische Macht entsteht aus Gewalt und muss sich erst zu ihrem Erhalt rechtfertigen. Dabei entwickelt sie zwei bis heute beliebte Propagandaparolen: In Ägypten vor allem Ordnung (maat) im Gegensatz zu Chaos, welches ohne Despotie entstehen würde, und in Mesopotamien zudem Gerechtigkeit, also im wesentlichen das Versprechen, dass die produktiv arbeitende Bevölkerung und insbesondere die Massen an Bauern ein elementares Minimum an Konsumgütern zur Verfügung bekommen.  

 

Im Verlauf des 3. Jahrtausends entwickeln sich in Mesopotamien eine Vielzahl von Stadtstaaten, die miteinander Handel treiben, aber auch infolge von Bevölkerungsvermehrung und Bodenverknappung sowie Kontrolle von Handelswegen für Prestigeobjekte Kriege gegeneinander führen. Vermutlich sind es die resultierenden militärischen Spezialisten, die langsam dem Tempel herrscherliche Funktionen abnehmen. So tritt neben den Hohepriester der lugal, was heute oft mit König übersetzt wird, und dieser demonstriert mit seinem Titel wohl auch die Tendenz zur Reichsbildung auf militärischem Weg.

 

Nicht nur dieser "König", sondern auch eine zunehmende Schar von Beamten bzw. Bediensteten, die der Güterproduktion entzogen sind, beanspruchen nun den Konsum von agrarischen Überschüssen, aus denen über Fernhandel auch Luxusprodukte als Statussymbole kommen, sowie eine Palasthandwerkerschaft.

 

Aus Zeiten der Priestermacht stammen kollektive Eigentumsformen, die die neuen weltlichen Machthaber für den Bedarf ihres Palastes übernehmen. Daneben gibt es auch weiter Privateigentum, dessen Überschüsse über Steuern und Abgaben abgeschöpft werden. Aus der herrscherlichen Verfügung über Land werden Beamte mit der an ihre Funktion gebundenen Versorgung durch zugeteilte Felder "entlohnt", wenn nicht bereits mit Nahrung und/oder Wolle.

 

Die Versorgung des Palastes mit dem, was das Reich nicht hergibt, also hier mit Holz, Erzen, Edelmetallen etc. leisten Fernhändler, die als Agenten des Despoten unterwegs sind (tamkaru). Nach und nach werden sie wohl nebenbei auch etwas für eigenen Gewinn abzweigen können, aber es handelt sich bei dem, womit sie operieren, kaum um Kapital.

 

Einem Herrn von Uruk gelingt es dann, sich ganz Südmesopotamien zu unterwerfen und von einem Palast aus mit einem Beamtenapparat zu regieren.

Wahrnehmbar ist solche Macht noch in den Beigaben in Herrschergruften, in denen Gold, Silber, Lapislazuli, Karneol und daraus hergestellte Luxusgegenstände versammelt sind. Wie bei den frühen Dynastien Ägyptens scheinen Herrscher auch hier wie zum Beispiel in Ur von extra dafür getötetem Gefolge bei ihrer Beisetzung begleitet worden zu sein. Die Tempel eroberter Städte werden nun für die Lokalverwaltung eingesetzt.

 

Um 2350 wird Mesopotamien von zwei kriegerischen Despoten beherrscht, von denen sich ein Sargon von Akkad dann durchsetzt und ein Großreich gründet, welches Naramsin bis in den Libanon ausdehnt. Die Tendenz zur Vergöttlichung der Herrscher setzt sich auch hier nun durch. Akkadisch löst an Bedeutung das Sumerische ab.

 

Das semitisch sprechende Akkad wird etwas nordöstlich vom heutigen Bagdad vermutet. Noch im 3. Jahrtausend lässt eine Dürrezeit und der Einmarsch halbnomadischer Steppen- und Bergvölker dies Reich in etwa der Zeit beenden, in der in Ägypten auch das Mittlere Reich zu Ende geht. Erneut steigen einzelne Stadtstaaten auf. In den letzten hundert Jahren des Jahrtausends dominiert eine Herrscherfamilie der Hafenstadt von Ur große Teile Mesopotamiens. Hier kommen Kupfer aus dem heutigen Oman und Waren aus dem Indusgebiet an. Die Stufentempel (Zikkurat) erreichen nun ihre vollendete Form.

 

Noch gegen Ende des 3. Jahrtausends ist private Initiative von Kapitaleignern ein Randphänomen.

"Zur Zeit der III. Dynastie von Ur waren Handel und Gewerbe, soweit sie nicht nur für die unmittelbaren Bedürfnisse der Bevölkerung arbeiteten oder bäuerlicher Nebenerwerb waren, praktisch staatliches Monopol. Der Kaufmann erhielt seine Exportgüter oder sonstigen Mittel vom Palast oder Tempel, also aus dem Bereich der staatlichen Großwirtschaft, die vom König und seiner Bürokratie beherrscht wurde. In ihrem Auftrag unternahm er seine Handelsreisen (...)". Solche Händler reisten bis Dilmun (Bahrain), von wo sie dann Waren aus dem Indusgebiet übernahmen. Aber Händler aus Assur überwanden in dieser Zeit auch die 1000 km bis ins ostanatolische Kanesch (Kültepe), wo es eine dauerhafte assyrische Handelsniederlassung gab, die mit Textilien und Metallen handelt. Auch hier profitiert ein Herrscher in seinem Palast von den Abgaben aus dem Handel.

 

Das Handwerk in Mesopotamien "war gleichfalls von den Bedürfnissen von Palast und Tempel abhängig und den Großwirtschaften beigeordnet. Die Handwerker erhielten bestimmte Mengen an Rohstoffen zur Verarbeitung geliefert. So etwa die Textilhandwerker, die in großen >staatlichen< Werkstätten zusammengeschlossen waren und ihren wichtigsten Rohstoff, die Wolle, aus dem umfangreichen Wolleinkommen von Palast und Tempel erhielten.Die Produkte ihrer Arbeit wurden dann teilweise exportiert." (Klengel, S.77)

 

 

Man ist so kriegerisch-gewalttätig wie fast alle Großreichs-Herrscher der Bronzezeit. Um 2000 kontrollieren allerdings mit den Amurritern ursprünglich halbnomadische Stammesvölker Mesopotamien und Syrien, welche erneut in einzelne Stadtstaaten wie Mari, Ebla, Assur, Babylon und Uruk zerfallen.

 

 

 

Vom Norden Mesopotamiens über Syrien bis zur Levante fehlen die hohen agrarischen Erträge des ägyptischen Niltals und des südlichen Mesopotamiens, mit deren Hilfe dort Paläste ihre Macht und ihre Pracht entfalten können. Zwar steht ein Großteil des Landes unter dem Herrscher als oberstem Grundherrn, aber neben ihm gibt es auch viele kleine lokale. Ökonomisch zentral wird hier der Fernhandel, daneben kunstvolles Handwerk, beide vom Palast kontrolliert und auf seine Bedürfnisse zugeschnitten.

 

Mari und Ebla sind Musterbeispiele für Stadtstaaten, die sich aus zentralen, von Herrschern kontrollierten Städten entwickeln, in denen diese für sich enorme Reichtümer ansammeln.

Der Palast von Mari, in seiner Spätzeit aus über 300 Räumen, Höfen und Korridoren auf mehr als zweieinhalb Hektar bestehend, "war mehr als 1000 Jahre lang die Zentrale eines Fernhandels, der von Kreta, Palästina, Zypern, Anatolien und dem Iran bis nach Afghansitan und Tilmun (die Insel Bahrain) reichte. Kupfer und Zinn gehörten zu den wichtigsten Importgütern. Das erstgenannte Metall kam aus Zypern. Aus dem Nordwestiran bezog man große Mengen Zinn, aus Afghanistan Lapislazuli und Karneol, Holz, Wein und Öl spielten ebenfalls eine wichtige Rolle im Austausch. Die hohen Einnahmen des Palastes bestanden aber hauptsächlich aus den Zöllen, die ihm die Kontrolle des Warenverkehrs über den Euphrat und die Landrouten einbrachten." (von Reden, S.51)

 

Manche Archäologen vermuten, dass das in seiner Spätzeit rund 55 ha große Ebla mehr noch als Mari am Ende zunehmend von einer Oberschicht reicher Handelskapitalisten dominiert wird, die hier starken Einfluss auf den Herrscher in seinem vielleicht 10 000 m² großen Palast ausüben.

Ebla beliefert Mesopotamien mit Holz und vielen anderen Waren und dazu "kamen auch Handelsverbindungen zu Palästina, die vielleicht bis zur Sinaihalbinsel mit ihren seit dem vierten Jahrtausend ausgebeuteten Kupfer-, Malachit- und Türkisvorkommen reichten, sowie zu dem Erzlieferanten Anatolien." (von Reden, S.121)

 

In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gelingt es Hammurabi von Babylon, das Reich von Mari und seine Hauptstadt zu zerstören und schließlich ganz Mesopotamien zu kontrollieren. Während nach seiner Zeit immer mehr Kassiten einsickern, entsteht in Anatolien das Hethiterreich. 1595 ziehen Hethiter unter Mursili I. bis nach Babylon und zerstören es.

 

 

Sind Stadtstaaten eher Krisensymptome im Pharaonenreich, so verschwinden sie in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrtausends ganz aus Mesopotamien, wo nun das Kassitenreich von Babylon, Assyrien und das Hurriter-Reich der Mitanni dominieren. Ab etwa 1300 steigt dann ein neuartiges Assyrerreich auf, welches den alten Fernhandel zunehmend durch Raubzüge und Eroberungen ergänzt und ein aggressiv-kriegerisches Herrscherbild religiös verbrämt.

 

***Palast und "Tempel"***

 

Während die meisten Menschen mit der Bewirtschaftung des Landes beschäftigt sind, sind die Mächtigen, also Herrscher, Priester und privilegierte Oberschicht in Städten zu Hause, insbesondere in bzw. bei zentralen Hauptstädten.

 

Der ägyptische Palast, noch in der Pyramidenzeit relativ schnell aus vergänglichen luftgetrockneten Ziegeln gebaut, besitzt ähnlich wie der Mesopotamiens eine Art "öffentlichen" Bereich für Audienzen und Besuche hoher Beamter, überhaupt den ganzen Hofstaat, und einem privaten Bereich, der in Mesopotamien manchmal "aufwendige Sanitärinstallationen" aufweist (Frahm, S.66). Hier befindet sich u.a. der Harem, der schon mal mehrere hundert Frauen umfassen kann, die zum Teil auch als Dienerinnen, Musikantinnen und Tänzerinnen fungieren. Daneben gibt es dort Kulträume, Gästezimmer, Vorratskammern usw.

 

Schon Zimri-Lim von Mari, den Hammurabi von Babylon besiegen wird, besitzt einen Palast auf einer Fläche von 120x200 Metern mit rund 260 Höfen, Räumen und Korridoren. In Mesopotamien steigert sich die Größe eines solchen Palastes bis zu den 100 000 m² von Sanherib um 700 in Ninive.

 

Herrscher leben fern von den Untertanen, umgeben von Verwandtschaft des Monarchen, Harem, großem "Hofstaat" und zahlreichen Dienstboten. Der Herrscher zeigt sich nur bei wenigen Zeremonien dem "Volk". Dieselbe Unzugänglichkeit gilt für die immer größeren Kultgebäude, laut offizieller Propaganda Wohnort jeweils eines Gottes, von dem behauptet wird, dass er in der nur wenigen Privilegierten zugänglichen Statue im Inneren des "Tempels" anwesend sei.

 

Keine Reichsbildung im Niltal, ohne dass die neuen Machthaber im Zusammenspiel mit den Hohepriestern die vielen lokalen und regionalen Kulte zu einer reichsweiten pharaonischen Götterlehre samt zentralen Kulten zusammenschweißen. Damit wird Religion Königsideologie, so wie das Christentum im 4. Jahrhundert zur Kaiserideologie wird.

 

Die offiziellen Kulte und Glaubensinhalte, die dazu da sind, die Macht der Herrscher und Priester zu begründen, werden offensichtlich ausschließlich von diesen selbst definiert, wie übrigens bis fast heute, wo sie durch kaum weniger wahnhafte Politideologien abgelöst worden sind. Die Untertanen müssen sich mit einer Zuschauerrolle begnügen und mit vergleichsweise wenig aufwendigen häuslichen Kult-Gewohnheiten.

 

Am extremsten offenbart Amenhotep/Amenophis IV (Echnaton), wie Herrscher nicht nur physische Gewalt, sondern auch Glaubensinhalte definieren. Er befindet sich wohl im Konflikt mit der reichen und mächtigen Amun-Priesterschaft und versucht, ihren Einfluss durch die Überordnung eines anderen Sonnengottes, Aton, zurück zu drängen, den er vielleicht sogar als einzigen Gott anerkennt. Dabei kann man auch an die spätere monotheistische Position eines nunmehr jüdischen Herrschers denken, - Monotheismus und verschärfte Despotie passen zumindest damals gut zusammen.

Dazu passt auch, dass Echnaton in drei Jahren Achetaton (Amarna) als neue Hauptstadt für vielleicht 50 000 Untertanen von diesen aus dem Boden stampfen lässt. Ein besonders exzessiver Opferkult passt dazu ebenso wie extrem viele Soldaten auf Abbildungen dort. Eine ihm wohl durch besonders starke Privilegierung verbundene Oberschicht lebt in besonderem Luxus, während die Arbeiter direkt im Sand beigesetzt werden und ihre Leichen Unterernährung und abgearbeitete Knochen schon bei jungen Leuten zeigen. Danach restauriert ein Tutanchamun dann den alten Glauben.

 

In Mesopotamien wird die Auseinandersetzung zwischen Palast und "Tempel" etwas später als in Ägypten, aber noch im 3. Jahrtausend entschieden.

"Der König war Vertreter seiner Untertanen gegenüber den Göttern, und Naram-Sin von Akkad sowie die Nachfolger des Ur-Nammu von Ur haben für sich sogar die Vergöttlichung in Anspruch genommen. Sie setzten das Gottes-Determinativ vor ihre Namen, ließen sich mit der Hörnerkrone darstellen, die in der Ikonographie die Göttlichkeit anzeigte, und ihnen wurden Kapellen errichtet." (Klengel, S.136)

 

Mit der Kontrolle über Tempel und Kulte werden die Herrscher laut ihrer Propaganda von den Göttern dazu berufen, dahin erhebliche Güter zu überweisen, um so und mit den Opfern diese gnädig zu stimmen. Ihre Aufgabe ist es entsprechend auch Kultstätten zu renovieren und neue zu bauen. In Mesopotamien ist das besonders "wichtig", denn hier werden auch sakrale Gebäude aus Lehmziegeln gebaut.

 

Für die Entstehung von Herrschaft sind Geschichten von "Göttern" flankierende Ideologie, der Kern ist das Opfer. Ursprünglich wohl dazu da, diese Götter mit dem Handeln von Menschen zu versöhnen und sie ihnen geneigt zu machen, gerät es in die Hand von Kultexperten, die sich dabei das Opfer aneignen, und dann in die Hände von Herrschaft gewinnenden Machtgierigen, die es entweder partiell in Steuern für sich verwandeln oder aber von nun an analog zu den Opfergaben Abgaben an sich einfordern. Man kann wohl davon ausgehen, dass der Opferkult Voraussetzung für die Besteuerung von Untertanen ist, die erst so überhaupt komplett untertänig werden. Religiös legitimierter und dann weltlich legalisierter Diebstahl an den produktiven Massen ist die Basis aller Herrschaft bis heute.

 

Zum Kern des Untertänigkeit produzierenden und von oben durchgesetzten Glaubens gehört in Ägypten einmal der Kult eines Sonnengottes und besonders auch der der allgegenwärtigen Göttin Maat, die Wahrheit, Gerechtigkeit, überhaupt Ordnung repräsentieren soll. Da diese Ordnung auf der Macht von Herrschern, Priestern, Beamten und einer wohlhabenden Oberschicht beruht, besagt der Maatkult auch, dass nur der Despot Ordnung schafft und ohne ihn Anarchie droht. Überliefert ist die Lehre für Merikare aus der 10. Dynastie, die Despotie mit einem hohem moralischem Anspruch und damit besonderer Härte versieht. Nach Einrichtung der Despotie erfüllt sich solche Drohung natürlich von selbst: Ist einmal eine streng hierarchische Ordnung geschaffen, dann bricht sie ohne den Despoten ganz oben zusammen. Diese Ordnung aber besagt tatsächlich, dass die einen für ihre Subsistenz arbeiten, dabei den Überschuss abgeben, und die anderen es sich von dieser Arbeit gutgehen lassen.

 

Pharaonen und mesopotamische Priesterkönige sind aber tatsächlich auch nicht nur in Machtgelüsten und Luxus schwelgende Potentaten, sondern sie übernehmen mit der Organisation und Verwaltung von Land, Kanälen (vor allem in Mesopotamien) und Dämmen (vor allem zur Kontrolle der periodischen Überschwemmungen) und nicht zuletzt den an Recht und Gesetz gebundenen Konfliktlösungen auch handfest nützliche Aufgaben für ihre Untertanen. Grundsätzlich lässt sich dazu feststellen, dass die Machthaber sich auch damit rechtfertigen, dass sie die Probleme versuchen in den Griff zu bekommen, die sie mit der Entfaltung von Zivilisationen erst hervorgebracht haben. Nicht zuletzt gehört dazu auch die Bevölkerungsvermehrung.

 

Zwei Elemente zeichnen die solche despotische Herrschaft ermöglichenden Glaubensvorstellungen aus: Einmal sind da die als Tiermenschen dargestellten Götter, welche in den Statuen im nur hohen Priestern und dem Pharao zugänglichen und dunklen Allerheiligsten der Sakralbauten präsent sind. Davon gibt es immer mehr dank der zunehmenden Vielzahl an Kultstätten.

 

Priester reden dabei den Menschen im Niltal wie in Mesopotamien und in ähnlichen entstehenden Zivilisationen ein, Götter seien einerseits lebendig wie Menschen und andererseits anwesend in ihren Statuen in dem Allerheiligsten der Kultstätten. Deshalb verschleppt der assyrische Despot Tukulti-Ninurta um 1220 die Statue des Marduk aus Babylon und beraubt die Menschen dort so ihres Gottes. Der neuassyrische Despot Salmanassar III. nimmt in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts einen Ort im Krieg ein: Achuni mitsamt seinen Göttern, seinen Wagen, seinen Pferden und 22 000 seiner Soldaten verschleppte ich mit Gewalt und führte sie in meine Stadt Assur. (in: Pettinato, S.101) Es sind natürlich die Statuen der Götter, die er entführt, wie der nicht entsprechend religiös indoktrinierte Mensch erkennt.

 

Diese Statuen (Götter), in Mesopotamien oft in der Darstellung von (Oberschicht)Menschen kaum zu unterscheiden, werden jeden Morgen von Priestern und in Ägypten manchmal wohl auch von Pharaonen gewaschen und angezogen. Zudem bekommen sie (als Opfer) reichlich zu essen (Brot, Oliven, auch Fleisch) und zu trinken (Wein), was dann tatsächlich die Priester im Inneren ihrer Kultstätten mit ihren Familien selbst zu sich nehmen. Zumindest für Mesopotamien ist belegt, dass dort die Götter(statuen) auch mit kultischen Gesängen erfreut werden. Sie sollen so dazu bewegt werden, den Menschen genehm zu handeln. Wichtig ist es in Ägypten vor allem, jeden Tag dem Sonnengott zu opfern, damit er es morgens schafft, aus der Unterwelt (dem Westen) zurück zu kommen.

 

Die Grenzen zum bewussten Betrug durch die Priester und Machthaber bleiben unklar, da natürlich keiner von ihnen sich schriftlich zu so etwas bekennt und sich damit der Grundlagen von Macht und Reichtum benimmt. Zudem würde er das wohl kaum überleben.

 

Da immer mehr Priester für solch ein Kultgebäude zuständig sind und großzügig versorgt werden sollen, wird diesen ägyptischen "Tempeln" zunehmend mehr Land mit darauf arbeitenden Leuten zugeordnet, fast so, wie das seit der lateinischen Spätantike bis tief ins Mittelalter auch für Kirchen und Klöster geschehen wird.

 

Für die Spätzeit um 1000 weiß man etwas mehr von solchen Kultstätten: "Der Tempelanlage des Amun-Re in Ipetsut unterstanden riesige Ländereien mit Tausenden von Pächtern. In ihren Werkstätten arbeiteten hunderte Handwerker, und ihre Kornspeicher, die an die Totentempel Ramses' II. und Ramses' III. angegliedert waren, dienten als wichtigste Staatsreserve." (Wilkinson, S.479)

 

In Mesopotamien tauchen solche Kultgebäude samt Priesterschaft etwa genauso früh wie in Ägypten im Süden (in Sumer) auf, und zwar in Form der Zikkurat, bald mehrstufiger turmartiger Gebäuden.

Über das Verhältnis der beiden wesentlichen Großgrundbesitzer im Reich, den Pharaonen mit ihren riesigen Krondomänen und großen "Tempel"-Priesterschaften wie der des Amun von Ipetsut/Theben wissen wir wenig.

 

Wie mächtig jemand wie der Hohepriester dieser Amun-Kultstätte war, belegen Inschriften über einen von ihnen zur Zeit des Thutmosis III., in seiner Grabanlage, wo es zum Beispiel heißt, er sei Leiter der Bauten des Pharao gewesen. "Noch wichtiger war die Verwaltung der Wirtschaftsgüter des Tempels: riesige Rinderherden, Ländereien in ganz Ägypten und Bergbaubeteiligungen in der Östlichen Wüste sowie in Nubien. Mencheperre-seneb brachte einen Großteil seiner Zeit damit zu, Herden zu inspizieren, den Eingang der Abgaben aus der Landwirtschaft und den Minen zu überwachen und Sorge dafür zu tragen, dass sich die Speicher der Tempel füllten." (Wilkinson, S.311f)

 

Neben männlichen Priesterkollegien gibt es auch ebenfalls privilegierte weibliche wie die von Klengel als "Stiftsdamen" bezeichneten Priesterinnen des Gottes Schammasch in Sippar am Euphrat nördlich von Babylon. Sie leben unverheiratet in eigenen Häusern im Kultbereich und sind für die Opfergaben zuständig. Ihr Reichtum belegt, dass sie aus einer kleinen Oberschicht kommen. Eine von ihnen "besaß nach Aussage ihrer Urkunden etwa 325 Hektar Land, das abhängige Bauern und Pächter für sie bewirtschafteten", und "240 Rinder und 1085 Stück Kleinvieh." (Klengel, S.94) Als Personal dieser vornehmen Damen dienen Sklavinnen, die weben, kochen, Getreide mahlen usw.,

 

Musterbeispiel priesterlicher Phantastereien über das, wovon man damals nichts wissen kann, ist der ägyptische Schöpfungsmythos mit einem Urmeer und einem ersten heraus steigendem Hügel, der dort sein soll, wo dann auch das erste Sonnenkultzentrum in Heliopolis (Kairo) entsteht.

 

Dabei ist Atum ein sich selbst hervorbringender Schöpfergott. Mit dem Sonnengott Re kommt dann das Licht in die Welt. Schöpfungsmythen wie auch der im sogenannten Alten Testament rechtfertigen Gottes- bzw. Götterphantasien, in Ägypten mit zahllosen Göttern. Anubis herrscht im Totenreich, Seth steht für Gier und Gewalt. Er tötet seinen Bruder Osiris und dessen Schwester und Ehefrau Isis erweckt ihn wieder zum Leben. Mit solchen phantastischen Erzählungen werden Auferstehungsphantasien begründet.

 

Für die Pharaonen steht der Falkengott Horus. Die Herrscher sind gottähnlich bis gottgleich, was ihnen unumschränkte Macht sichern soll. Sie werden bald zu Söhnen des Re oder sonstwie göttlicher Abstammung und darum mit gottgleicher Autorität ausgestattet. Spätestens mit Amenhotep III bzw. Ramses II. werden sie dann selbst zu Göttern und ihre Statuen werden immer riesiger und erreichen wenigstens die Größe von denen der hohen Götter.

 

Das zweite Element von despotische Herrschaft legitimierendem Glauben wird speziell in Ägypten immer prächtiger entwickelt: Der Glaube an ein Leben nach dem Tode in einer dem Niltal ähnlichen, westlich davon gelegenen Welt, deren paradiesischer Aspekt in einem eher mühelosen Luxusdasein gestaffelt nach dem Status im Vorleben besteht. Erreicht wird das durch immer elaboriertere Formen von Mumifizierung für Pharaonen, ihre Familie und einen kleinen Kreis wohlhabender und mächtiger Würdenträger, allerdings unter der Voraussetzung, dass ein göttliches Wesen sie für ein so angenehmes zweites Leben würdig befindet.

In Mesopotamien dagegen ist das Land der Toten ein dunkles Schattenreich mit Schattenwesen, zu denen man ähnlich wie später in Hellas über ein Gewässer gelangt.

 

Gräber der Könige sind zunächst im 4. Jahrtausend unterirdische Kammern mit einem Sandhügel darüber. Im Alten Reich kommen dann Mastabas für Pharaonen auf, eine große hat eine Länge von knapp 100m und ist 18m hoch. Hohe Beamte werden in Holzsärgen in unterirdischen Grabkammern begraben. Das verlangt kunstvolle Mumifizierung, da die Leichen nun vom konservierenden heißen Wüstensand getrennt sind.

 

Dazu gehört die Vorstellung, dass eine "Seele" der Toten immer wieder in ihren einigermaßen intakten Körper zurückkehren muss, um überleben zu können. Sie muss diesen dafür wiedererkennen, weswegen schließlich sogar immer realistischere Totenmasken für die Reichen und Mächtigen hergestellt werden. Man stellt sich vor, dass eine Seele in der Nähe des Toten bleibt, eine ins Jenseits hinüberwechselt, eine weitere überhaupt erst mit dem Tod entsteht.

 

Götter kann man sich mit viel Einbildungskraft wenigstens in den Statuen im Allerheiligsten vorstellen wie auch in ihren übrigen Darstellungen, was aber vom Körper getrennte Seelen sein sollen, lässt sich nur noch als gänzlich wahnhaft erklären. Solche Wahnvorstellungen aber sind elementar für den Aufstieg von Zivilisationen.

 

Mit der Anwendung von Harz, Ölen, Leinenwickeln und Natron kann die Mumifizierung inklusive Gehirnentfernung und Organentfernung im Neuen Reich 70 Tage dauern. Daneben werden vier Kanopen (Gefäße) mit mumifizierten Organen befüllt. Schutzamulette kommen auf Genitalien und Herz. Das alles leisten professionelle Mumifizierungswerkstätten.

Danach kommt für die Eliten und insbesondere die Herrscher die Prozession zum aufwendigen Grab, wo ein kurioses Belebungsritual mit der "Öffnung" von Mund, Nase, Augen stattfindet. Der Pharao lebt dann angeblich unter den Göttern, die toten Untertanen immerhin in einem dem Niltal nachgebildeten Paradies. Für Herrscher sind in ihren Gräbern dazu riesige Mengen an Nahrungsmitteln vorgesehen.

 

Diese Auferstehungsphantasien im Niltal fehlen beim propagierten Glauben an Euphrat und Tigris, wo schattenhafte Seelen in einer dunklen Unterwelt ein ähnlich tristes Dasein fristen wie dann auch in Hellas. Dafür werden hier die Vorfahren gelegentlich unter der eigenen Behausung begraben, damit man ihnen wenigstens derart nah sein kann.

 

Zum priesterlichen Zauber gehören besonders in Mesopotamien auch die Eingeweideschau, die noch die antiken Römer praktizieren, und die Zeichendeutung bis hin zur Omendeutung und Formen von Schadens- und Abwehrzauber.

 

Was die Masse der Menschen dort glaubte, bevor Priester und Herrscher für ihre Indoktrination sorgten, bleibt unbekannt. Der größte Teil des kultischen Treibens von Priestern und Pharaonen dürfte den Untertanen ohnehin auch weiter verborgen bleiben, sie müssen sich darauf verlassen, dass das seine Ordnung hat. Besonders seit Ramses II., aber auch in Mesopotamien bringen wenigstens zu hohen Festen öffentliche Prozessionen mit den Götterstatuen und der Priesterschaft die hohen Götter den Menschen etwas näher, ähnlich wie später auch im Christentum.

 

Eine ansatzweise dokumentierte Aktivität der Untertanen ist das Pilgern. Im Tempelbezirk von Sakkara, aber auch anderswo sind zahllose Tiermumien ausgegraben worden, die wohl als Votivgaben dienten: Heilige, mit Göttern assoziierte Tiere und Haustiere oder Teile davon werden offenbar in Tempelwerkstätten mumifiziert und dann wohl von Priestern an Pilger verkauft. Ein stattlicher Teil dieser Mumien ist auch leer, vielleicht besonderer Priesterbetrug am Laienvolk. In Abydos dient eine Totenstadt mit Osiris-Heiligtum seit dem Mittleren Reich wohl Pilgerscharen. Totentempel der verstorbenen Pharaonen mitsamt ihren Priestern und Opferstätten werden ebenfalls Pilgerorte.

 

Glauben die Untertanen den Hokuspokus von Priestern und Herrschern? Immerhin sind die Menschen damals wohl kaum dümmer als heute, und ihr Glauben wird wohl unter anderem sehr stark daran hängen, dass es ihnen jeweils materiell einigermaßen gut geht. Nicht wenige aber verstoßen gegen elementare Glaubensregeln, wie das enorme Sakrileg beweist, welches zahlreiche Grabräuber samt Händlern und Hehlern damals immer wieder begehen. Das geht so weit, dass um 1000 zahlreiche Mumien in Verstecke umgebettet werden. Aber kaum ein Grab wird nicht ausgeraubt. Dasselbe betrifft zumindest in den gelegentlichen Bürgerkriegszeiten ganze Nekropolen und selbst Tempel, die ausgeplündert und zerstört werden.

 

Götterglauben und Kult der Mächtigen, zunächst auf Distanz zu bäuerlichen und Handwerker-Massen, wird spätestens im Mittleren Reich am Nil ergänzt durch die zunehmende Hoffnung der Produzenten, selbst an einem ewigen Leben teilhaben zu können, was der erstarkende Osiriskult und seine jährlichen Feiern fördern. Wie später im antiken Rom trennen sich Staatsreligion und "Volks"religion voneinander so wie noch später kirchliche Theologie und weit davon entfernter Volksglaube, - "Volk" jedesmal als die produktive Masse der Bevölkerung definiert.

 

***Protzbauten der Mächtigen und sonstiger Luxus***

 

Was frühe despotische Zivilisation bedeutet, erweist sich für Archäologen am besten an den Bauten. Die meisten Menschen leben in Ägypten und Mesopotamien in kleinen Häusern aus luftgetrockneten Lehmziegeln, von denen nur wenig die Zeiten überlebt hat. Möbel gibt es für sie wohl kaum und sie leben auf Matten auf einem Boden aus gestampftem Lehm. Zum Inventar gehören Gefäße und Küchengeräte aus Ton und Stein. Die Ernährung ist weit überwiegend pflanzlich und wird primär von Wasser begleitet.

 

Deutlich vornehmere Häuser besitzen Priester, Beamte und übrige reichere Oberschicht. Den Aberwitz despotischer Macht und Gewalt stellen aber die immer größeren Grabbauten und schließlich riesigen Pyramiden für jeweils einen Herrscher dar, in die massenhafte Arbeitskraft und Abgaben eingehen, und zudem die ebenfalls immer größer werdenden Kultgebäude. Sie alleine werden aus (Fels)Steinen gebaut. Götterkult und Totenkult verschlingen dabei möglicherweise bis zur Hälfte des gesamten erwirtschafteten (erarbeiteten) Vermögens Ägyptens und dienen doch nur einer kleinen Elite.

 

Dieser monströse Bauwahn der Despoten beginnt im gewaltsam geeinten Alten Reich neben dem neuen Zentrum Memphis in der Nähe von Heliopolis mit etwa 30 000 Einwohnern und dem Haupttempel von Ptah, der später griechisch als aigyptos bezeichnet wird, was dann noch später dem Land den Namen gibt.

 

Westlich von diesem Memphis entsteht um 2700 in der "Totenstadt" Sakkara mit der gut 62 m hohen Stufenpyramide Djosers eines der ersten Steingebäude Ägyptens. Die gigantischen Organisations- und Verwaltungsanstrengungen, die von nun an für solche Großbauten unternommen werden müssen, stärken die Staatlichkeit des Reiches.

 

Snofru, der selbst den Titel der vollkommene Gott annimmt, treibt den Wahnwitz weiter auf die Spitze. Zunächst lässt er zehn Jahre an einer achtstufigen Pyramide bauen. Dann lässt er seinen Baumeister eine geometrische Pyramide (um 2650) versuchen. Sie soll 125m hoch werden, was technisch scheitert. Darauf lässt er eine neue stabile Pyramide von 105m errichten. Zeitweilig werden immer mehr Ressourcen gleichzeitig für drei Pyramiden eingesetzt. Bei der ersten Pyramiden werden so etwa 35 000 Kubikmeter Steine verbaut, bei der zweiten rund 80 000 und bei der dritten "zwischen 100 000 und 150 000 Kubikmeter pro Jahr" (Wilkinson, S.105)

 

Pharao Cheops (Chufu) lässt dann 147m hoch bauen. Erst die gotischen Kathedral-Protzbauten eines frühen Kapitalismus werden in etwa so groß. Außen ist die Pyramide komplett mit weißen Steinen glatt überdeckt, die in der Sonne weithin leuchten und demonstrieren, wer Herr des Landes ist.

Solche monströsen Grabmäler, deren Erbauung sehr lange dauert, werden mit dem Amtsantritt des Despoten begonnen, um überhaupt zu seinem Tode fertig zu sein.

Die Arbeiter für die Pyramiden seit Djoser kommen aus dem ganzen Land, vermutlich zumindest für den Arbeitsdienst in den vier Monaten der Nilüberschwemmung.

 

Neben dem Totenbezirk für den Pharao entsteht eine Handwerkerstadt und ein primitives Hüttendorf für einfache Arbeiter. Insgesamt arbeiten ca. 20 000-30 000 Menschen an den großen Pyramiden. Für die Errichtung der Chufu-Pyramide soll rund eine Milliarde Arbeitsstunden nötig gewesen sein und es sollen 2,3 Millionen Steinblöcke à 1-2,5 t aus dem Fels gehauen, bewegt und auf einer Fläche von 5,2 ha verbaut worden sein. Für ihre Arbeit wird den Malochern ihre Subsistenz gesichert: Einfachste Unterkunft, ausreichende Ernährung mit Brot und Bier, oft wohl auch mit Fleisch. Sie sollen schließlich Schwerstarbeit überleben, wenn auch mit Knochenbrüchen, verschlissenen Wirbelsäulen oder schmerzhaften Gelenkarthrosen.

 

Die Mobilisierung so vieler Untertanen Jahr für Jahr geht aber weit über die Pyramidenbauten hinaus. Mit einer 73 m langen und 20 m hohen aus einem Fels geschlagenen Sphinx aus der Pyramidenzeit von Gizeh entsteht neben einem Pyramidenbau ein zweites Monumentalobjekt. Als nicht mehr der Bau von riesigen Pyramiden angeordnet wird,werden sie zum Beispiel durch riesige Sonnentempel abgelöst. Bis zur 12. Dynastie ab etwa 1950 v.d.Zt. waren Tempel bescheidene Lehmzieglbauten gewesen und groß waren nur die Pyramiden. Das ändert sich nun.

 

Im Neuen Reich werden die gewaltigen Felsengräber bei Theben mit enormem Aufwand in die Felsen getrieben. Dazu kommen riesige Totentempel, von deren Größe man sich anhand von dem der Hatschepsut noch ein Bild machen kann. Solche Tempel besitzen eine Statue des Herrschers, auf die der Kult ausgerichtet sein soll.

 

Erschreckende menschenverachtende Monumentalität erreicht der Kultbezirk von Karnak mit dem Tempel des Amun-Re mit einer Gesamtfläche von ungefähr 30 ha und zahllosen riesigen Säulen. Nicht nur der Bau macht die Menschen klein, sondern auch die Größe der Pharao-Statuen. Monströs sind auch die zahlreichen Obeliske, manchmal 40 und mehr Meter hoch und über 1000 Tonnen schwer, die nicht nur aus dem Fels geschlagen, sondern auch von Elephantine nach Theben auf dem Nil von zahllosen Ruderbooten geschleppt werden müssen.

 

Pharao-Statuen: Amenophis III. lässt an den Eingang seines Totentempels zwei sitzende Statuen von sich erstellen, die beide mehr als 18 Meter hoch sind.

 

Nicht Trotzki erfand im Rahmen der bolschewistischen Machtergreifung in Russland die "Militarisierung der Arbeit", sondern die pharaonische Despotie mit der Mobilisierung von arbeitenden Massen in quasi-militärischen Einheiten für ihre Protzbauten. Ähnlich wie auch die Formierung von Heerscharen für innere Unterdrückung und Kriege nach außen handelt es sich dabei um eine wichtige Schule für die Produktion und (Uni)Formierung von Untertanen-Massen in solchen Großreichen.

 

Neben diesen abartigen Protzbauten demonstrieren die Pharaonen ihren extrem despotischen Machtanspruch damit, dass sie sich soweit irgend möglich mit exzessivem Luxus umgeben. Alles bei Hofe soll aus Silber, Gold, Elfenbein sein, verziert mit den damals kostbarsten Edelsteinen wie Türkis, Lapislazuli und Karneol. Königinnen wie die Hauptfrau des Snofru häufen kästchenweise Juwelen und Silberringe an. Massiver Luxus umgibt auch die höheren Beamten. Das wird auch bis hin zur letzten Pharaonin so bleiben.

 

Eine bessere Vorstellung dieser von den ärmlichen bäuerlichen Massen erarbeiteten Luxuswelt geben die Titel von Hofämtern: Da gibt es die hochprivilegierten Aufseher über die königlichen Maniküren, die Aufseher des königlichen Ankleideraumes, die Vorsteher der Kleider, Vorsteher der Geheimnisse des Baderaumes und Aufseher des königlichen Frühstücks und den der königlichen Friseure (alle so in: Wilkinson, S.130 für das späte Alte Reich).

 

Gemälde, Reliefs und Texte vermitteln den Eindruck, als ob der ganze Machtapparat des Pharaonenreiches auf das Luxusleben des Herrschers und einer kleinen Oberschicht ausgerichtet ist. Soweit Kriege nicht Angriffe abwehren sollen, dienen sie vorwiegend der Aneignung und dem Handel mit Rohstoffen, Halbfabrikaten und Fertigprodukten für dieses Luxusleben. Immer wieder senden die Pharaonen aufwendige Expeditionen in alle Himmelsrichtungen aus, um Luxusgüter zu erwerben, durch Tauschgeschäfte oder mit Gewalt. Elefanten-Stoßzähne, Pantherfelle, Ebenholz, Weihrauch usw. Auch ein Hofzwerg gehört einmal dazu.

 

Mit Luxus protzen und sich an ihm erfreuen ist nicht nur Sache von Pharaonen, sondern dann auch von allen bronzezeitlichen Herrschern wo auch immer im Orient. In Ugarit findet man am Ende der Bronzezeit, kurz vor dem Untergang der Stadt, eine Liste der Mitgift einer Königin:

"Ihr Schmuck - Armbänder, Ringe, Halsketten, Diademe, Gürtel - bestand aus zwölf Kilogramm Gold und neun Kilogramm Silber." Dazu kommen unzählige kostbare Gewänder. "Die Liste der Möbel umfasst Lehnstühle, Sessel und Taburette mit Einlagen aus Gold und Lapislazuli, drei mit Elfenbein intarsierte Ruhebetten und Fußschemel. Das Gewicht der zahlreichen Bronzegeräte ihrer Ausstattung betrug 350 Kilogramm. Abschließend werden sechs bemalte Parfumbehälter, 20 Puderdosen und vier elfenbeinerne Salzfässer genannt" (... von Reden, S.242)

 

***Die Schrift, Gesetze, Beamte und Untertänigkeit***

 

Wir wissen kaum etwas Konkretes über die Anfänge von Zivilisierung, also Institutionalisierung von Macht, aber danach setzt dann in einigen Gegenden Schriftlichkeit als elementares Machtinstrument ein, was wenigstens spärliche Kenntnisse ermöglicht.

Am Nil entsteht irgendwann vor 3000 Schrift aus der Verwandlung einer Abbildung in ein Symbol. Dies wird damals als magischer Vorgang betrachtet, weswegen Ägypter die Schriftzeichen als "heilig" betrachten und weshalb die Griechen sie in "Hieroglyphen" übersetzen. Später werden den Zeichen Lautwerte beigegeben, da sie ja ursprünglich gesprochene Wörter darstellen.

 

Magie als Handlung wie als Deutungsmuster ist wesentlich ein sehr frühes Machtmittel einer erstarkenden Elite. Vermutlich fallen dabei nicht selten Betrug und Selbstbetrug ineinander. Man kann annehmen, dass bereits Menschen der späteren Steinzeit im Abbild magische (Zauber)Kraft walten sahen, und dass sich in den Zivilisationen der Bronzezeit daran wenig ändert bis auf die Tatsache, dass nun nicht nur Kultspezialisten, sondern mit ihnen verbündete "weltliche" Machthaber sehr kalkuliert magische Mittel anwenden, was bei Erfolg dazu führt, dass sie auf ihre Weise eben auch daran "glauben".

Mustergültig für Magie im Ägypten der Pharaonen wird dann die sogenannte "Mundöffnung" der mumifizierten Toten und ihnen beigegebener Statuen, denen direkt vor der Bestattung so neues Leben sozusagen eingehaucht wird. (Ian Shaw)

 

Schriften wie die ägyptischen Hieroglyphen und die Keilschrift der Sumerer und ihrer Nachfolger in Mesopotamien dienen zunächst vor allem wohl der Beschriftung von Waren und am Anfang standen in Mesopotamien vielleicht die Plomben aus Ton, die um den Knoten einer Warenverschnürung angebracht und dann gesiegelt wurden. Es folgen Täfelchen, die die Menge versandter Güter angeben und dann bildliche Darstellungen der Waren. (von Reden, S.46)

 

Schrift geht mit der Institutionalisierung von Macht und Reichtum Einzelner einher und dient dann der Verwaltung des wachsenden Eigentums der neuen Herrenmenschen und von Abgaben und anderen Einnahmen, der Verwaltung des wachsenden Untertanenverbandes, also der Beaufsichtigung der Beamten und schließlich der Verschriftlichung von Gesetzen, wobei sie zugleich auch zum Propaganda-Medium der Mächtigen werden.

 

Mit solchen Gesetzen, Willkürakten von Mächtigen, wird in die Tradierung und damit Fortentwicklung von Kultur eingegriffen, die - wo sie erst noch überlebt - zu erstarren beginnt und sich nur noch im Interesse der Mächtigen verändert. An die Stelle von Selbstorganisation von Menschen tritt ihre Verwaltung durch eine Obrigkeit.

 

Zivilisierung verwandelt - oft wohl ganz langsam - bislang immer dagewesene Selbstverständlichkeiten in Rechte und damit in Gnadenakte von Mächtigen, die sie ihren Untertanen zuteilen. Deren Ausmaß geht in der Bronzezeit immer so weit, wie es der Machtausübung der Despoten förderlich ist. Für Mari am Euphrat in Nord-Mesopotamien ist für die frühbabylonische Zeit zum Beispiel dokumentiert, wie Gemeindeälteste "in Organe der königlichen Verwaltung umfunktioniert" werden (Klengel, S.171), die in ein königliches Rechtswesen eingegliedert werden. Ihnen werden dann von der Zentrale noch königliche Beamte zugeordnet.

 

In verschiedenen Sprachen taucht hier bald das Propagandawort Gerechtigkeit auf, welches besagt, dass es gottgewollte Arme und Reiche, Mächtige und Ohnmächtige gibt und dass es ein Verbrechen sei, daran zu rütteln. Auch wo heute nicht mehr primär ein Gott oder Götter in Europa dafür herhalten, ist genau das noch heute im Kern der europäischen Verfassungen enthalten, auch wenn sie derzeit überwiegend keine Despotien beschreiben.

 

Andererseits ist es aber auch so, dass mit entfalteter Zivilisation die Notwendigkeit für die Machthaber zunimmt, mit Erlassen und Gesetzen dort zu intervenieren, wo die auf sie ausgerichteten Strukturen in Krisen geraten. In frühen Gesetzen in Babylonien werden Dienstpflichten für die Machthaber festgesetzt, Höchstpreise für einzelne Güter, Mindestlöhne für Lohnarbeit und Strafen für Verbrechen.

 

Der Regierungsalltag von zentralen Städten aus wird durch die Entwicklung von Schrift immer mehr erleichtert. In Larsa fand man rund 150 Briefe auf Tontäfelchen des Hammurabi (18.Jh.) an Beamte, und meist handelt es sich um Angelegenheiten der Palastwirtschaft, also von Ländereien des Machthabers.

 

Überall dort, wo Landbewirtschaftung auf temporärer Überschwemmung, auf Kanälen und Dämmen beruht, wird für größere Bauten zentrale Initiative und Aufsicht unumgänglich, ansonsten ist herrscherliche Kontrolle dort nötig, wo Instandhaltung von Deichen oder das Abgraben von Schlamm für mehr als einzelne Haushalte oder begrenzte Nachbarschaften wichtig ist. Auch hier findet steter "Brief"wechsel der Herrscher bzw. ihrer obersten Beamten mit den örtlichen Amtsinhabern statt.

 

Eine weitere Verwendung von Schrift wird das Urkundenwesen. Ein Beispiel liefert derselbe Hammnurabi, der königlichem Personal, anstatt es zu bezahlen, Land zuweist, das hier einmal wegen seiner Vielfalt aufgezählt sei:

"wir finden unter ihnen vor allem Heeresangehörige unterschiedlicher Ränge, Finanzbeamte, Richter und Schreiber, kultisches Personal, wie Opferschauer, Fahrer von Kultwagen, Reisigträger und Fischer des Schamasch-Tempels von Larsa, ferner Musikanten und Köche, Hirten, Vogelfänger, Fischer, und verschiedene Handwerker: Maurer, Kupferschmiede und Goldschmiede, Rohrmattenflechter, Dachmacher, Weber, Korbflicker,. Sie alle standen im Dienst des Königs und bekamen dafür Landanteile." (Klengel, S.139)

Dies Land bleibt im Besitz des Herrschers, kann aber vererbt werden.

 

Die sehr mühsam zu erlernende Schrift ist Sache ganz weniger, in Ägypten und Mesopotamien von Priestern und Beamten. Man muss dazu als Kind in eine Schule gehen und sich für die Schriftbeherrschung erheblich größerer Anstrengungen unterziehen als heutige ABC-Schützen. Danach gehört man aber zum engeren Kreis der Macht sowohl in der Zentrale wie in den 42 "Gauen" mit ihren Gaufürsten. In Ägypten gibt es unter den Beamten zahllose Spezialisten für einzelne Verwaltungsaufgaben, sie haben teilweise Polizeigewalt und sind offenbar schon damals nicht gegen Korruption gefeit.

 

Damit aus Reichen, großflächigen Zivilisationen mit einer Befehlszentrale, zumindest ansatzweise Staaten werden können, bedürfen sie (bis heute) einer solchen Schar von Beamten, die von oben Befehle bekommen und sie möglichst gehorsam nach unten weitergeben. Eine wesentliche Aufgabe dieser privilegierten Diener der Macht ist das Einziehen stattlicher Teile der bäuerlichen Produktion als Steuer, also als vor allem religiös legitimierter Diebstahl an Wehrlosen.

 

"Ein Anteil ging zur Verarbeitung direkt an staatliche Betriebe, die Rinder und Schweine zu Talg, Leder und Fleischprodukten, Flachs zu Leinen, Getreide zu Bier und Brot und Stroh zu Körben verarbeiteten. (...) Ein anderer Teil ging als >Bezahlung< an die staatlichen Beamten - zur Versorgung des Hofs und seiner Projekte. Der verbleibende Anteil (...) wurde in staatlichen Speichern eingelagert (...) Während ein Teil davon zur Versorgung von Arbeitern eingesetzt wurde, blieb ein großer Teil als Notvorrat zurück, um im Fall einer Missernte eine landesweite Hungersnot zu verhindern." (Wilkinson, S.81)

 

Zunächst, und zeitweilig auch später, entstammen sehr viele der hohen Beamten Ägyptens der Familie des Despoten. Offenbar unterstützt der Despot, dass sie in großen Mastabas in der Nähe des Pharaonengrabes begraben werden, mit Palastfassaden, die ihre Partizipation an der Macht sichtbar machen. Im Laufe der Zeit setzen sich häufiger spezialisierte Berufsbeamte durch.

Umso mehr Beamte sich zum Beispiel das pharaonische Herrschaftssystem leisten kann, umso mehr entsteht eine Art Überwachungsstaat mit einem Netzwerk aus Spitzeln und Denunzianten.

 

Beamte werden des öfteren gemäß ihrer Machtvollkommenheit mit Ackerland entlohnt, welches aber an ihre Dienstbarkeit gebunden bleibt. Dieses lassen sie in Lohnarbeit, durch Sklaven oder durch Verpachtung bearbeiten.

 

Ist der Herrscher in der Lage, für sich alles das zu rechtfertigen und später dann auch zu legalisieren, was bei jedem anderen als mitunter schwerstes Verbrechen gilt, Mord und Totschlag, Raub und Diebstahl, Freiheitsberaubung und was nicht alles, dann kann der Beamte immerhin mehr oder weniger entsprechend seinen Machtvollkommenheiten der Korruption verfallen. Diese charakterisiert bis heute bekanntlich alle Zivilisationen, und je weniger über sie ans Licht gelangt, desto sicherer ist es, das sie korrupt ist.

 

Korrupte Beamte schaden den Machthabern darüber, die sich aber dagegen eher schadlos halten können, vor allem aber den Massen der gänzlich Untertänigen. Dank der erhaltenen Archive von Tontäfelchen sind die Beschwerden von Arbeitern und Bauern im neuassyrischen Reich besonders gut überliefert. Ein in heutigen Augen extremes Beispiel sei der folgende Text über zwei Steuereinnehmer, der in Assur gefunden wurde:

Wir, die Angestellten der Ölfabriken in Irmulu, richten Tag und Nacht Gebete an Assur (... den Stadtgott). (...) Warum ergreifst du nicht Maßnahmen gegen Assur-nadin und Amur-Assur, die sich als Diebe gebärden? Sie haben alle Familien ruiniert und uns fast von Dir getrennt. Die von ihnen eingezogenen Steuern werden nur zur Hälfte des geschuldeten Betrags dem König weitergeleitet, die andere Hälfte stecken sie für sich ein. Wen auch immer die Lust ankommt, den Mund zu öffnen, der schweigt lieber still, um nicht ruiniert zu werden. Verhilf dem Schwachen zu seinem Recht, so werden die Götter (...) Deine Schritte segnen und Deine Verrichtungen im Königspalast (...) Wenn jemand der Angestellten von den Ölfabriken stirbt, so schreibt er (einer der Steuereinnehmer) ein Täfelchen mit angeblichen Schulden des Verstorbenen und geht vor Gericht: Lässt sich dessen Haus aushändigen und verkauft dessen Witwe als Sklavin (...) so wurden von ihm sieben Witwen für Geld verkauft. (in: Pettinato, S.22)

 

Korruption wird in Zivilisationen bis heute viele Gesichter haben, aber durchweg (mehr oder weniger) das Gesicht von Staatlichkeit prägen. Besonders bekannt ist sie seit der späteren römischen Republik und dann konstitutives Moment des sogenannten Mittelalters, wobei sie selten als solche überhaupt markiert wird.

 

Neben der Korruption und noch mehr als sie wird der despotische Machtapparat durch die Machtgier hoher Beamter bedroht, die schon mal nach dem Despotenthron greifen. Viele hohe Ämter auch in den Kultstätten werden darum oft von Mitgliedern der Herrscherfamilie besetzt. Da auch das nicht ungefährlich ist, treten ab dem 2. Jahrtausend immer häufiger Eunuchen an ihre Stelle, bei denen man hofft, dass sie weniger darauf erpicht sind, eigene Familieninteressen zu vertreten.

 

Schon bronzezeitliche Herrschaft ist Verfügung über Land und Leute und damit generelle Unfreiheit. Davon ist mehr oder weniger eine Art grundbesitzende Aristokratie ausgenommen, die die Ämter bis zum Richteramt und der Lokalverwaltung einnehmen.

Die Untertänigkeit der meisten Menschen als eine Art Halbfreiheit wird am deutlichsten durch die Zwangsarbeit, die alle Untertanen für den Pharao oder den mesopotamischen Potentaten auf Kommando zu leisten haben, - mit Ausnahme derjenigen, die schon ohnehin für Kulteinrichtungen oder Paläste dauerhaft arbeiten.

 

Wann immer es den Herrschern beliebt, werden Bauern aus den Dörfern und von ihren Feldern abkommandiert. Sie sind dann zum Beispiel für Arbeiten in Steinbrüchen in einfachsten Behausungen untergebracht und der Willkür von Aufsehern unterworfen. Wenn im Winter nicht Krieg geführt wird, wird auch das stehende Heer des Neuen Reiches zu solchem Arbeitsdienst eingesetzt. Mit derselben Brutalität werden Mitglieder von mehr oder weniger gewalttätigen Expeditionen behandelt, die dem Pharao Gold und andere Luxusgüter einzubringen haben.

 

Die Untertänigkeit der meisten Menschen als Haltung wird durch eine Mischung aus (oft wohl latenter) Angst und offener Identifikation mit den Mächtigen erzeugt. Da ist die Angst vor Strafe bei Ungehorsam, die, weil sie als demütigend empfunden wird, von den Untertanen selbst dadurch verdrängt wird, dass man den Machthaber und seine Vertreter als herausgehobene Repräsentanz seiner selbst annimmt. Diese Verdrängung der Angst ins Unterbewusste schwindet dort, wo der Gewaltherrscher nicht mehr wegen seiner Erfolge bewundert, sondern wegen seiner kriegerischen Niederlagen verachtet wird. Nichts zeichnet Untertänigkeit mehr aus als dieses so erbärmliche wie würdelose Schwanken zwischen Identifikation und Rebellion.

 

Identifikation wird massiv erleichtert durch die den Untertanen aufgezwungene Religion, nun kein einfacher Glaube mehr, sondern ein komplexes System aus Mythen, kultischen und rituellen Handlungen und Opfergaben. Aufgezwungen deshalb, weil es kein in kultureller Gemeinschaft entwickelter gemeinsamer Glaube mehr ist, sondern ein von Priestern weiterentwickelter, dessen Inhalte verordnet werden. Für ihn alleine soll hier das Wort "Religion" Verwendung finden, auch wenn dieses erst viel später im Christentum entsteht. Religionen sind entsprechend primär Machtinstrumente von Priestern und weltlichen Machthabern.

 

Es lässt sich ganz allgemein beobachten, dass sich mit der Zivilisierung, also der Zerstörung von Kulturen und der Schaffung untertäniger Massen eine allgemeine Neigung dieses inzwischen geduckten "Volkes" zur Identifikation mit der Macht zeigt, eine Neigung zur bequemen Abgabe von Verantwortung an die Mächtigen auch auf Basis eines zunehmenden Unverständnisses der komplexer werdenden (eigentlich eigenen) Lebenszusammenhänge. Manches davon lässt sich wohl anthropologisch mit einer eingeborenen Neigung zu Faulheit und damit tendenziell auch Verblödung unter den Bedingungen massiver Untertänigkeit, also Verantwortung nur noch nach oben erklären. Manches aber eben damit, dass analphabetische und durch den Tag mit körperlicher Arbeit beschäftigte Massen schon damals kaum etwas von den Machtspielen und legalisiert verbrecherischen (und dabei religiös geheiligten) Machenschaften mitbekommen oder gar durchschauen.

 

Wo all das nicht reicht, setzt Kontrolle der Untertanen durch eine Justiz mit harten Körperstrafen ein. Dort, wo mit Gesetzen und dahinter lauernder Gewalt Kulturen verschwinden und durch Zivilisationen abgelöst werden, können sich Machthaber darauf verlassen, dass die kulturellen Kräfte der Selbstregulierung erlahmen und das zivilisatorisch befeuerte aggressive Potential sich zunehmend untereinander austobt. Damit werden dann Gesetze und Justiz begründet, die ganz offiziell die Eigenverantwortung der Menschen massiv einschränken. Unterdrückung kann nun mit der Verantwortungslosigkeit vieler begründet werden. Auch all das ist dann bis heute so geblieben.

 

Ein verbreiteter aber schwer quantifizierbarer Teil der arbeitenden Menschen sind überall in bronzezeitlichen Zivilisationen wie auch später Sklaven, die in Privathaushalten oder denen von Palast und Tempel arbeiten. Sklave wird man einmal als Kriegsgefangener, zum anderen dann, wenn man sich überschuldet und darum sich selbst, seine Frau und/oder Kinder in Schuldknechtschaft überführt. Beide Wege in die Sklaverei werden auch durch die Eisenzeit und die klassische Antike und Nachantike ("Frühmittelalter") hindurch bestehen bleiben.

 

Um der Schuldsklaverei zu entgegen, werden verarmende (und legal ausgeplünderte) Bauern in der Bronze- und Eisenzeitzeit fliehen, emigrieren oder sich in Räuberbanden zusammenschließen, rauben und morden. Der Athener Solon wird darauf reagieren und die imperiale Verwaltung Westroms wird in ihrer Endphase dem nicht mehr Herr werden.

 

***Zivilisation und Rauschdrogen***

 

Wir wissen heute kaum etwas über eine Rolle, die Drogen in frühen Kulturen gespielt haben könnten, aber sie werden wichtig in Vorgängen der Zivilisierung und scheinen für Zivilisationen dann so wichtig wie das tägliche Brot. Sie dienen nun als Trostpflaster für die arbeitenden Massen der Untertanen, und zwar im Zuge jener Bewusstseins-Veränderung, die Flucht aus einer nicht leicht zu ertragenden Wirklichkeit ist und sie werden bis heute oft auch zur Verblödung der Massen beitragen und darum häufig von den Mächtigen gefördert. Höherwertige Drogen dienen außerdem als Luxus für eine kleine Oberschicht. Ein Sonderfall ist der Konsum besonders stark wirkender Drogen im Rahmen von Kulten.

 

Besonders verbreitet und bezahlbar ist in den frühen Zivilisationen Alkohol. Im Pharaonenreich und in Mesopotamien dient vor allem Bier zu diesem Zweck. Für das Zweistromland gilt: "Trinken bis zum Rausch sowie Kneipen , die in nicht besonderem Ruf standen, haben selbst in literarischen Texten Erwähnung gefunden." (Klengel, S.118)

 

Manches spricht dafür, dass zwischen Niltal und Mesopotamien auch Opium aus dem Schlafmohn verbreitete Handelsware ist.

 

***Reich, Volk und Staat im Vorderen Orient***

 

So wie "König" eigentlich ein anachronistischer Missgriff für orientalische Despoten der Bronze- und Eisenzeit ist, so ist auch der dem deutschen Mittelalter entstammende und dann neuzeitliche Reichsbegriff wie auch jeder damit verbundene Volksbegriff problematisch und zumindest missverständlich. Schlimmer noch wird das, wenn heute beamtete Historiker vom alten Ägypten als einem "ersten Nationalstaat" reden.

 

Wir wissen absolut nichts davon, wie sich die allermeisten Menschen entlang des Nils nördlich des ersten Katarakts selbst definierten. Zusammengehörig waren sie jedenfalls nur soweit, wie die Knute oder besser Keule von Despoten reichte. Eine völkische/ethnische Selbstbezeichnung scheint zu fehlen, und ohne die Drohung mit Gewalt eines zentralen Pharaos tendieren sie dazu, in kleine Stadtstaaten mit ihren eigenen Göttern, Priesterschaften und lokalen bzw. regionalen "Fürsten" zu zerfallen. Aber die (auch religiöse) Propaganda der Pharaonen und ihre Raubzüge und Kriege aus dem Niltal heraus machen wohl aus Nubiern, Libyern, anderen Steppen-Nomaden und den im Nordosten angrenzenden Stadtstaaten Feinde und schon darum Fremde.

 

"Ägypten" und "Ägypter" sind keine Selbstbezeichnungen der Untertanen der Pharaonen, sondern späte griechische Namen für das Land. Tatsächlich aber betrachten die Pharaonen und ihr Machtapparat die Nubier und alle außerhalb des Niltals lebenden Menschen nicht als ihre direkten Untertanen, sondern, soweit sie sie unterwerfen, als eine Art tributpflichtige Vasallen.

 

Das alte "Sumer" der Tempelherrschaften bildet überhaupt kein Reich über das Umfeld der jeweiligen Stadt hinaus. Danach bilden sich um Kernstädte wie Akkad, Babylon oder Assur Kernreiche heraus, die dazu tendieren, die Nachbarn einzuverleiben, wodurch keine Völker, sondern große Reiche mit unterschiedlichen Götterhierarchien und verschiedenen Sprachen entstehen. Mit den Großreichen entstehen aber keine Akkader, Babylonier oder Assyrer als Völker, so wenig, wie die Syrer in dieser Antike ein Volk werden, selbst wo sie gemeinsam semitisch-aramäisch sprechen. Nicht einmal das wenigstens in der Herrenschicht althebräisch sprechende Juda und Israel haben in der früheren Eisenzeit ein gemeinsames Volksbewusstsein, sondern betrachten sich immer wieder eher als Feinde.

 

Reiche werden mit Gewalt geschaffen und durch Unterdrückung und Propaganda zusammengeschweißt. Durch Eroberung von Vasallenstaaten werden dann aus Reichen in Ansätzen wenigstens Imperien. Oft können solche Vasallengebilde eine gewisse innere Selbständigkeit behalten, solange sie brav Tribute bezahlen und sich nicht mit Feinden ihrer Oberherren verbünden. Kommt es gar zu Aufständen, geht der Despot schon mal zur Zerstörung der ethnischen Identität der Rebellen über. Als um 1430 der Aufstand eines Bündnissystems der Assuwa im Nordwesten Anatoliens niedergeschlagen ist, werden von dort 10 000 Soldaten, 600 Pferdegespanne mitsamt Wagenlenkern und die eroberte Bevölkerung mit ihrem Besitz ins Kernreich der Hethiter deportiert.

 

Die bewusste und letztlich scheiternde Schaffung eines Staatsvolkes hat einen ersten Höhepunkt mit der neuassyrischen Reichsbildung und mit bewusster Bevölkerungspolitik, wie sie im 20. Jahrhundert auch von Stalin&Co, Hitler und Mussolini betrieben wird und derzeit weiterhin zum Beispiel vom spätbolschewistischen Rotchina. Die Stichworte zu diesen neuassyrischen Despoten heißen Massenmord bis hin zum Völkermord, der Versuch der Vernichtung ethnischer Identität durch Massendeportationen entweder der schriftbegabten Oberschicht oder aber ganzer Ortschaften und Gegenden, der ergänzt wird durch Neuansiedlung aus anderen Teilen des Reiches. Die dank frommer jüdischer Texte bekanntesten Beispiele stammen aus Israel und Juda.

 

***Landwirtschaft, Handwerk, Handel***

 

Reichsbildung fängt vermutlich dort an, wo weltliche Herren die Kontrolle über jene Kultstätten ("Tempel") bekommen, die bis dato Städte, die städtische Wirtschaft (Handwerk und Handel) und die Landbewirtschaftung kontrollieren. Erstes Ziel von Herrschaft und Reichsbildung ist Bereicherung, also Schatzbildung durch Aneignung von Ergebnissen der Arbeit von Unterworfenen für eigenen Luxus und zur Finanzierung des Verwaltungs- und Unterdrückungsapparates, dann aber auch zur Durchführung von Kriegen zwecks Erweiterung der Einkommensquellen.

 

Im Niltal werden Weizen, Obst und Gemüse angebaut, und es werden sowohl hier wie in Mesopotamien Ziegen, Schafe und Rinder gehalten. An Euphrat und Tigris werden Sesam zur Ölproduktion und Palmgärten für Datteln kultiviert und es dominiert statt Weizen Gerste, die zu Brot und Bier verarbeitet wird. Despoten beider Regionen unterstützen eine gewisse Alkoholisierung der Massen wie alle Machthaber bis heute, da ein dauerhaft klarer Verstand der Untertänigkeit weniger zuträglich ist.

 

Da zunächst zumindest große Teile des Landes im Zuge von Zivilisierung und dann Reichsbildung in die Hand von Palast und von ihm kontrollierte Tempel geraten, werden auf die Produkte entweder hohe Abgaben gesetzt oder sie werden ganz eingezogen, wobei ein Teil dann an die Bauern zurückgeht. Im Babylonien des 2. Jahrtausends sind wohl große Teile der Landwirtschaft, zudem riesige Herden von Schafen, Ziegen und Rindern sowie die Fische der großen Gewässer Eigentum der Herrscher. Redistributionswirtschaft verhindert dabei unternehmerisches Denken, Kapitalisierung und Kapitalismus schon im Ansatz.

 

Vom mesopotamischen Isin ist aus der ersten Hälfte des 2. Jahrtausends bekannt, dass Holz-, Leder- und Textilarbeiter unter der Oberaufsicht des Palastes stehen.

"Solange sie die vom König angeforderten Fertigprodukte lieferten, durften die Handwerker von Isin zusätzlich aber auch auf eigene Rechnung produzieren, womit sich ein Trend zur Privatisierung abzeichnet, der für die altbabylonische Zeit ingesamt charakteristisch ist. Die großen Institutionen gaben ihre Felder und Viehbestände nun immer öfter in die Hand von Unternehmern, die ihnen bestimmte Quoten der land- und viehwirtschaftlichen Erträge abliefern mussten, darüber hinaus gehende Einkünfte jedoch für sich behalten durften. Auch Aufgaben wie das Eintreiben von Steuern und Abgaben wurden in verstärktem Masße Privatleuten übertragen." (Frahm, S.159)

 

Wichtige Handwerke in Mesopotamien sind die Metallverarbeitung, die Produktion von Keramik und Textilien, wobei der Palastwirtschaft offenbar riesige Mengen an Wolle zum Beispiel zufließen. Weber im Dienst des Palastes versorgen den Palast mit seinem Bedarf und mit Textilien für den Handel. Überhaupt ist Handwerk weithin auf den Bedarf des Palastes bzw. einer kleinen Oberschicht zugeschnitten. Viel handwerkliche Arbeit geht so in den Luxusbedarf der Reichen und wird dann oft in enger Abhängigkeit von den Auftraggebern hergestellt. Luxusgegenstände sind auch das, was in den Geschenktausch und den Fernhandel eingeht.

 

Insofern kennen die bronzezeitlichen Reiche nur geringen Binnenhandel. Das wenige, was in den Dörfern und in den Stadtteilen der arbeitenden Bevölkerung gebraucht wird, wird wohl lokal hergestellt.

 

Geprägte Münzen gibt es in Mesopotamien erst in der Perserzeit, stattdessen wird allerdings schon früh abgewogenes Edelmetall, vor allem Silber, als Zahlungsmittel eingesetzt. In Ägypten dient dazu Kupfer und manchmal auch Silber. Gemünztes Geld führen hier erst die Makedonen/Ptolemäer ein.

 

Sowohl für das pharaonische Ägypten wie das südliche Mesopotamien der Bronzezeit (und später) gilt, dass Despotie und Handel zusammen gehören, denn es fehlt an elementaren Rohstoffen für die Potentaten. Im südlichen Schwemmland von Euphrat und Tigris sowie im Nildelta fehlt es an Steinen und in ganz Ägypten und Mesopotamien an Bauholz. Zudem fehlen die immer wichtiger werdenden Metalle Kupfer und Zinn und später dann auch Eisen. Schließlich fehlen auch die Prestigeobjekte Gold, Silber und Edelsteine.

Handel, Raub und Krieg sind also für hiesige Despotien grundlegend wichtig.

 

Drehscheibe für den Handel wird die Levante, wie sie viel später venezianische Kaufleute nennen werden, also das Gebiet zwischen Alexandrette, dem heutigen Iskenderun, und Gaza. Von hier kommt unter anderem Holz und über die Levantestädte werden auch Erze verhandelt. Schon um 2900 ist Byblos wichtige Handelsstation für die ägyptischen Machthaber. In der späten Bronzezeit konkurrieren in diesem Raum Hethiter mit Assyrern und Ägyptern um die Handelsplätze und ihre Regime werden auch dafür immer stärker militarisiert.

 

Ziel der Despoten ist Schatzbildung, mit der sie vor allem ihre Herrschaft finanzieren und dekorieren, und die auch dem Austausch von Geschenken mit ferneren hohen Herren dient, die sich ebenfalls mit enormem Luxus umgeben

Dolche aus Gold mit eingelegtem Lapislazuli werden versandt wie auch kostbare Textilien, Schmuck, Parfüm und vieles mehr. Der babylonische Herrscher Hammurabi bekommt so zum Beispiel im 18. Jahrhundert vom Herrscher Zimri-lin von Mari minoische Schuhe aus minoisch-kretischer Produktion geschickt.

 

Solcher Geschenke-Austausch ist für die Mitte des 14. Jahrhunderts in den Briefen des sogenannten (Tontafel)Archivs von Amarna überliefert. Von Ägypten wird dabei vor allem Gold erwartet, die anderen verschenken dahin Kupfer, Lapislazuli usw. Geschenketausch erhält dabei Bündnisse oder definiert Rangordnungen.

 

Mitte des 14. Jahrhunderts schickt ein Tuschratta von Mitanni einen "Brief" auf Tontäfelchen an Amenophis III., auf dem es heißt:

Hiermit sende ich dir einen Wagen, zwei Pferde, einen männlichen Begleiter, einen weiblichen Begleiter - aus der Kriegsbeute aus dem Lande Hatti (der Hethiter). Als das Grußgeschenk meines Bruders sende ich dir fünf Wagen, fünf Pferdegespanne. Und als das Grußgeschenk meiner Schwester Keluhepa sende ich ihr einen Satz goldene Knebelverschlüsse, einen Satz goldene Ohrringe, einen goldenen Masu-Ring und einen Parfümbehälter voll mit süßem Öl. (in: Cline, S.90) Besonders oft werden die Pharaonen dabei um Gold gebeten.

 

Man führt als Despoten nicht nur Krieg gegeneinander, sondern teilt sich zeitweilig auch brüderlich-friedlich die Macht. Zur Zeit des Neuen Reiches sind da zum Beispiel neben den Pharaonen die Despoten von Babylonien, Assyrien und Mittani, in Anatolien die Hethiter und Arzawa, und im östlichen Mittelmeer die von Zypern und der ganzen Ägäis. Erst im 6./5. Jahrhundert werden im Mittelmeerraum nicht mehr despotisch regierte Städte dominieren, wenn auch nur für wenige Jahrhunderte, und sie werden rund zweieinhalbtausend Jahre Abendland initiieren, die Welt, in der (nicht nur) Kapitalismus erfunden werden wird.

 

Neben gegenseitigen Geschenken gibt es Handel unter den hohen Herren und ihren Reichen und auch dadurch zunehmende Kontakte. Minoische Maler bemalen Anfang des Neuen Reiches ägyptische und kanaanäische Paläste und solche von Quatna, minoische Waren gelangen bis Mesopotamien. Auf Kreta wiederum finden Ausgräber Waren aus Ägypten und dem vorderen Orient. In Ägypten findet sich Lapislazuli aus Mesopotamien und dem heutigen Afghanistan sowie Türkis vom Sinai; mykenische Händler versorgen das ägyptische Herrscherhaus mit Kobalt für blaues Glas und Blei für trübes und weißes. Das alles ist natürlich für die Herrscher, ihren Hofstaat und eine kleine reiche Oberschicht bestimmt und gelangt nicht in die ärmlichen Viertel der Masse der Bevölkerung.

 

Einen wesentlichen Aufschwung für Handel über weite Strecken erzeugt wohl zu allererst die Erfindung von Bronze, der Legierung von Kupfer und Zinn, von denen vor allem Zinn selten ist. Letzteres kommt vor allem aus dem späteren Afghanistan nach Westen und Kupfer vor allem aus Zypern, welches der Insel seinen Namen gibt. Mitte des dritten Jahrtausends tauchen erste Bronzegegenstände in Ägypten auf.

 

Aber es geht auch um Getreidelieferungen, um Zedernholz aus dem Libanon für den Bau hochseetauglicher Schiffe, für Großbauten und um manch anderes. Weil es sich um Zufallsfunde handelt, bleibt der Umfang des Handels unklar. Noch unklarer ist der Handel mit verderblichen Gütern, die Archäologen kaum noch auffinden können.

 

Wie weiter oben schon gesagt, dürfte bis durch das 3. Jahrtausend der größte Teil des Fernhandels von Agenten der Despoten für die Bedürfnisse ihrer Paläste betrieben worden sein. "Akkumulation folgte keinem ökonomisch zweckrationalen Kalkül, sie diente nicht der Kapitalbildung, sondern war Teil eines Systems sozialer Normen im Dunstkreis von Status und Prestige." (Sommer(2), S.28)

 

Offensichtlich entstehen aber mit dem 2. Jahrtausend auch Städte, die nicht alleine auf Palast und Tempel konzentriert, sondern durch ihre Position im Handel ausgezeichnet sind. So wird Assur früh Drehscheibe für den Handel zwischen Südmesopotamien und Anatolien. Vornehmlich in Städten in letzterem Raum richtet die Stadt "halbautonome Kaufmannssiedlungen" ein und tauscht Zinn aus dem Osten gegen Silber und Gold und verhandelt darüber hinaus Textilien. Offenbar besitzen Kaufleute hier sogar eine Art Selbstverwaltung (Frahm, S.145)

"Das private Unternehmertum gedieh während der altbabylonischen Zeit nirgends besser als in Assur, dessen Kaufleute durch den Fernhandel mit Zinn und Textilien jährliche Profitmargen von 50 oder sogar 100% erzielten. Die Waren wurden von Assur aus mit Eselskarawanen nach Anatolien befördert, wobei ein einzelner Esel etwa 75 Kilogramm Zinn und 30 Textilien zu transportieren hatte. Um die Zölle zu umgehen, die lokale Fürsten den Karawanen auf ihrem Weg durch Anatolien auferlegten, bedienten sich viele der Handelsreisenden geheimer Schmuggelrouten." (Frahm, S.159)

 

Aber erst im 1. Jahrtausend werden Kräfte wirksam werden, welche Palast und Tempel "gleichsam von innen heraus unterwanderten, um sie zu Instrumenten privater ökonomischer Interessen zu machen." (Sommer(2), S.27)

 

Wieviel Handel damals in dieser Weltgegend getrieben wird, lässt sich an Hand von Funden untergegangener Schiffe vage erahnen. Eines, welches um 1300 bei Uluburun vor der Südwestküste der heutigen Türkei sank, transportierte etwa eine Tonne rohes Zinn und zehn Tonnen Rohkupfer,

"knapp 200 Barren gefärbtes Rohglas aus Mesopotamien, neue Keramik aus Zypern und Kanaan (Öllampen, Schalen und Krüge), dazu eine Tonne Harz vom Pistazienbaum, aus dem Parfüm hergestellt wurde, Inhalt eines Teils der rund 140 Amphoren, zwei Dutzend Ebenholzstämme aus Nubien, Elfenbein von Flußpferden vom Nil und von Elefanten, Skarabäen aus Ägypten und orientalische Rollsiegel." Dazu "Goldschmuck wie zum Beispiel Anhänger, ein goldener Kelch, elfenbeinerne Kosmetikbehälter in Entenform, Schüsseln und andere Behältnisse aus Kupfer, Bronze und Zinn". Schließlich auch Gewürze und möglicherweise Wein.(Cline, S.120) Zudem waren an Bord eine Menge Schwerter und Dolche. Das Schiff selbst ist aus libanesischem Zedernholz gebaut und in Nut- und Feder-Bauweise hergestellt.

 

Für manche Städte wie Ugarit sind Kaufleute bzw. Händler dokumentiert, die mit der Ägäis, der ganzen Levanteküste, mit Zypern und Ägypten Handel treiben, und zwar mit einer großen Vielfalt an Waren.

 

Erster Adressat von Handelswaren sind Herrscher und eine kleine Oberschicht, denn die Machtstrukturen sind ganz auf deren Luxusbedarf eingerichtet. Aber die Despoten haben ein Interesse daran, in Krisenzeiten die Grundversorgung ihrer Untertanen zu sichern, von deren Arbeit und Kriegertum sie abhängen. Das dürfte dokumentierten Getreidehandel zum Beispiel erklären. Inwieweit Bauern und Handwerker an lokalem Handel selbst beteiligt sind, ist schwer festzustellen.

 

Von Despoten angestellte Händler, auch Fernhändler, hatten zunächst möglicherweise kaum die Gelegenheit, Kapital zu bilden, wenn auch vielleicht in manchmal erheblichem Maße wie höhere "Beamte" Eigentum. Im Mesopotamien der Bronzezeit sind viele Händler offenbar Bedienstete des Palastes, die manchmal mit Land entlohnt werden, welches sie wiederum zur Bearbeitung ausgeben. Fernhändler, die sich aus dem Machtbereich ihres Herrschers begeben, sind auf deren gute Beziehungen zu ihren Nachbarn angewiesen, um Schutz zu erhalten, und schon deshalb von ihnen abhängig.

 

Wie groß im Verlauf der Bronzezeit dann zumindest zeitweise der Anteil von Kaufleuten ist, die auch oder gar ganz auf eigene Rechnung handeln, ist kaum mehr feststellbar. Aber hin und wieder tauchen einzelne auf Tontäfelchen oder Papyri auf.

 

Manchmal wird auch ein gewisses Kreditwesen dokumentiert, wobei Kredite offenbar an Bauern in Mesopotamien in Silber oder Gerste gewährt werden und mit 20 bis über 30 Prozent verzinst sind. Daraus kann dann Verschuldung bis zur Schuldknechtschaft oder der Versklavung von Familienangehörigen führen. Dass das dann die Stabilität der Machtstrukturen gefährden kann, wird an Hammurabis Versuchen, Schuldsklaverei abzumildern, deutlich.

 

Nirgendwo erhält aber Kapital die Spielräume und die Bedeutung wie dann im Mittelalter des lateinischen Abendlandes. Die Neigung von Handelskapital und von Finanzkapital im Kreditwesen geht offenbar ohnehin dahin, Gewinne in Grund und Boden und Häusern anzulegen. Man darf auch nicht vergessen, dass ein fehlendes Münzwesen durch die Bronzezeit der Tendenz hin zu einem Kapitalismus nicht förderlich ist.

 

 

Militär, Krieg und Grausamkeit

 

Das sich wohl vom Aasfresser zum Jäger wandelnde Raubtier Mensch fällt erst mit der Erfindung des Krieges in der Bronzezeit ganz massiv aus der Natur heraus: Aus in der Natur üblichen Konkurrenten werden nun unter der Anführerschaft von Herrschern Menschenmassen zum gegenseitigen Zerstören, Verletzen und Töten. Erste Voraussetzung ist ein produzierter Nahrungsmittelüberschuss, der massive Bevölkerungsvermehrung und Ernährung von Machthabern und Militär ermöglicht sowie die Entwicklung effizienterer Waffen zum massenhaften Töten.

 

Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass insbesondere mesopotamische Reiche alljährlich irgendwo Krieg führen, und ein Teil der Despoten zieht Jahr für Jahr in einen großen Kriegszug. Die Jahre der Regierung Echnatons und wohl auch der Fast-Pharaonin Hatschepsut scheinen Ausnahmen zu sein. Von Thutmosis III. sind 17 Kriege in zwanzig Jahren überliefert, und das sind wohl nur die, die er selbst angeführt hat.

 

Die Erbärmlichkeit von Untertanen erweist sich am besten dort, wo sie von Machthabern als willenloses Menschenmaterial in den nun üblich werdenden Kriegszügen eingesetzt und verheizt werden. In ihnen erweisen sich Despoten als sich selbst religiös legitimierende menschenverachtende Großverbrecher und ihre Untertanen als würdelose Befehlsempfänger. In ihnen zeigen sich Menschen und insbesondere die Machthaber nicht nur als Raubtiere, sondern als ihre extrem pervertierte Abart, Unglücksfall der Evolution: als Massenmörder an der eigenen Art. Nichts zeigt das schon am Anfang des Pharaonenreiches besser als die Darstellung Narmers beim Abschreiten von Reihen enthaupteter Leichen, "denen die Genitalien abgetrennt wurden: Ihre Köpfe und Penisse liegen zwischen ihren Beinen." (Wilkinson, S.69)

 

Töten, Rauben und Brandschatzen auf Befehl, zunächst noch Sache vom Herrscher im Kriegsfall eingezogener Untertanen, wird im Verlauf des Pharaonenreiches professionalisiert: Der Beruf des Soldaten wird erfunden. Dazu kommt dann bald der des Söldners, der sein grausiges Gewerbe an den Meistbietenden verhökert. Ägypten bedient sich so zum Beispiel nubischer Söldnerscharen und später auch griechischer Truppen.

 

In den Despotien Ägyptens und Mesopotamiens (und vielen anderen später) werden von Priesterschaft und Herrschern Gewalttätigkeit und Grausamkeit als höchste Tugenden gefeiert. Despoten identifizieren sich mit jenen Tieren, denen höchste Grausamkeit attestiert wird, Löwen, Stieren, Adlern usw. Die Despoten lassen sich gerne auch als Großwildjäger darstellen. Ein Teil des Götter"himmels" repräsentiert ebenfalls diese enorme Gewalttätigkeit.

 

Schon lokale Herrscher des 4. Jahrtausends im Niltal, so erschließen Archäologen aus den Überresten, verfügten, dass bei ihrem Tod Mitglieder ihres Haushaltes erdrosselt, geköpft oder gar skalpiert wurden, um mit ihnen begraben zu werden.

Um das Grab von Djer aus der ersten Dynastie (um 2900) sind 318 Nebengräber angeordnet. Vermutlich ist das vor allem die Dienerschaft, die den Herrscher in seinem zweiten Leben zu versorgen hat.

 

Das bezieht sich nicht nur auf die Macht der Herrscher nach innen, sondern insbesondere nach außen. Von Anfang an wohl gibt es gelegentliche überschaubare Raubzüge, um Luxusgüter für Pharao und Oberschicht zu rauben. So kommt Pharao Chufu zum Beispiel an Farbpigmente aus der Oase Dachla und kommen andere Pharaonen auf dem Sinai an Kupfer und Türkis. Handel, Raub und Piraterie gehen dabei immer wieder ineinander über. Auch kriminalisierte Räuber und Piraten bedienen einen Markt, um ihre Beute zu versilbern.

 

Der nächste Schritt ist dann der große Krieg, begleitet durch zunehmend imperialistische und chauvinistische (Greuel)Propaganda. Zunächst handelt es sich wohl um wehrpflichtige Untertanen, im Mittleren Reich Ägyptens kommen Berufssoldaten dazu, dann auch nubische Söldner.

 

Die erste Funktion von Militär für die aufkommenden Machthaber ist, dass sie einen Unterdrückungsapparat gegenüber den eigenen Untertanen darstellen, auch wenn Militär eher mit äußeren Feinden begründet wird, die Machthaber sich deswegen auch gerne zulegen, soweit die Möglichkeit gesehen wird, sie zu besiegen. Militärdienst zu leisten ist Dienstpflicht derjenigen, die dafür Land zur Nutzung zugeteilt bekommen, - es sind noch keine Soldaten, da sie keinen Sold in Form von (noch nicht erfundenem Geld) erhalten. Ihr Kriegsdienst mit Bogen, Axt, Speer und Keule verlangt noch keine Ausbildung hin zu einer Professionalisierung.

 

Im Neuen Reich schließlich verfügen die Pharaonen über eine Berufsarmee eines stehenden Heeres mit um 1600 von den Hyksos übernommenen, von Pferden gezogenen Streitwagen, wie sie nun auch in Mesopotamien Eingang finden. Damit wird Kriegertum zum Ausbildungsberuf. Es tauchen später auch griechische Söldner auf, die unter Psammetich I. im 7. Jahrhundert dann erheblich zunehmen. Im 6. Jahrhundert werden sie für ägyptische Machthaber gegen nubische Kuschiten kämpfen.

 

Überlebende Soldaten bekommen Anteil an Kriegsbeute und leben ansonsten unter den ärmlichen Verhältnissen der Masse der Bevölkerung. Eine kleine Offizierselite gehört zur wohlhabenden Oberschicht.

 

Mit der Rolle des Pharaos als oberster Krieger und Anführer im Krieg einher geht sein Training schon in jungen Jahren: Der Sport wird geboren. Dazu gehören Laufen, Springen, Schwimmen, Rudern, Ringen, Bogenschießen und dann auch Reiten, sobald man in Ägypten Pferde hat.

Eine weitere mit dem Krieg verbundene Form des Sportes wird für Pharaonen die Großwildjagd, also das Massenabschlachten großer Wildtiere. Da werden schon mal auf einen Schlag über 50 Wildstiere hingestreckt oder eine ganze Herde Elephanten.

 

Die Erfindung des Krieges und des Militärs, sicherlich die zwei widerwärtigsten und zugleich bedeutendsten Errungenschaften der frühen Zivilisationen, finden ihre frühe Blüte. Der Krieg ist die Erfindung des legalisierten Massentötens, des systematischen Verletzens, Verstümmelns und Vergewaltigens, der genauso brutalen Zerstörung, des Niederbrennens und der Erde Gleichmachens. Die Menschen, die diese grauenhaften (legalisierten) Verbrechen auf Kommando von Machthabern begehen, als willenlose und perverse Instrumente der Potentaten, in den Schlachtreihen als pervertierte Roboter des Grauens, üben ein und demonstrieren das Ideal aller kommender Untertanen, gewissenlose, verantwortungslose reine Befehlsempfänger zu sein.

 

Die Herrscher und ihre militärischen Gefolgsleute sind stolz auf ihre kriegerischen Großtaten. Der folgende Text aus der Zeit Amenemhets I. hätte so ähnlich auch aus einer der mesopotamischen Despotien stammen können:

Dann tötete ich die Nubier im gesamten verbliebenen Wawat. Ich segelte siegreich stromaufwärts, während ich die Nubier auf ihrem Land tötete. Und ich segelte stromabwärts, vernichtete die Ernten und fällte die verbliebenen Bäume. Ich brannte ihre Häuser nieder, wie es bei einem Aufständischen gegen den König üblich ist. (in: Wilkinson, S.211) Um 1820 v.d.Zt. wird Sesostris III. prahlen: Ich habe ihre Frauen verschleppt und ihre Angehörigen abtransportiert, bin losgezogen, um ihre Quellen (zu vergiften), habe ihre Stiere vertrieben und ihre Gerste niedergemäht und in Brand gesteckt. (in: Wilkinson, S.226)

Um 1485 prahlt Thutmosis I.: Nicht einer blieb übrig. Die nubischen Bogenschützen fielen im Gemetzel, und wurden über ihre Lande verstreut. Ihre Eingeweide tränken ihre Täler. Ströme von Blut rinnen aus ihren Mündern. Aasfresser fallen gedrängt über sie her, und die Vögel tragen ihre Trophäen davon. (in: Wilkinson, S.285)

Gelegentlich wird auch stolz auf die Massenvergewaltigungen erbeuteter Frauen verwiesen.

 

Ganz ähnlich ekelerregend werden sich Texte des sogenannten christlichen Mittelalters lesen. Und schon im antiken Ägypten geht es am Beispiel des nordnubischen Wawat um Gold, Kupfer und Edelsteine.

 

Neben ihren Greueltaten prahlen die Machthaber auch gerne mit ihrer Beute. Nach der Schlacht bei Megiddo in Kanaan 1458 unter Thutmosis III., so heißt es, werden zweitausend Pferde, knapp tausend Streitwagen, tausend Rinder und Ziegen und über zwanzigtausend Schafe erbeutet, dazu knapp 1800 Sklaven/Sklavinnen und viele andere Kriegsgefangene. Einige der besonders attraktiven "asiatischen" Frauen gehen in den Harem des Siegers ein.

 

Dauerhaftere Beute sind die Tribute, die nun für Jahre und manchmal Jahrzehnte von den Unterworfenen gezahlt werden müssen, und die die dortigen Herren nun der arbeitenden Bevölkerung zusätzlich abzupressen haben.

 

Das für die Mächtigen Schöne am Krieg ist, dass er immer wieder Krieg erzeugt, sei es zur Verteidigung, sei es als Angriffskrieg. Er begründet Rekrutierung von Militär, in dem extremste Untertänigkeit als Kadavergehorsam eingeübt wird und verstärkt damit die Macht von Despoten, er begründet Reichsbildungen und Waffenproduktion, - ja, er ist von Zivilisierung bislang jedenfalls überhaupt nicht zu trennen.

 

Gewalt und Krieg scheinen schon in der Bronzezeit fast der alljährlicher Normalfall zu sei. Es geht um Beute für den Pharao und seine Entrourage, um Gold und Silber, Rohstoffe von Erzen bis zu Holz, um Luxusgüter für die Despoten und ihren Hofstaat und um Getreide für die Massen, aber auch um die Akquirierung von Zwangsarbeitern. Nach erfolgreichen Feldzügen landen Tausende von Sklaven auf den Domänen der Pharaonen vor allem.

 

Als Pharao Amenhotep II. eine Rebellion in Syrien niedergeschlagen hat, bringt er nach eigener (übertreibender) Aussage als Beute "fast eine Dreivierteltonne Gold, 54 Tonnen Silber, 210 Pferde, 300 Streitwagen, 550 feindliche Reiter und fast 90 000 Kriegsgefangene, darunter über 21 000 komplette Familien" nach Ägypten. (Wilkinson, S.325)

 

Solche Kriegsbeute ist wichtig, nachhaltiger wirken von Jahr zu Jahr gezählte Tribute unterworfener Herrscher, die diese wiederum von ihren Untertanen abpressen, und noch mehr gesicherte Handelswege, die stetig mit Baumaterial, Rohstoffen und fertigen Luxusprodukten für die Mächtigen und Reichen versorgen.

 

Solide Feindseligkeiten und auch tatsächliche Bedrohungen gibt es für das Pharaonenreich gelegentlich von drei Seiten. Im Westen drohen libysche Stämme, im Nordosten mal Hyksos, mal Hethiter, mal Assyrer und andere, weswegen das semitische Kanaan immer wieder als ägyptische Einflusszone behandelt wird. Die größten pharaonischen Begehrlichkeiten sind aber auf das Gold von Nubien südlich des zweiten Kataraktes gerichtet, von wo zudem über nubische Zwischenhändler Elfenbein, Ebenholz und vieles mehr aus dem südlicheren Afrika gelangen. Zwischen 2500-1500 entsteht in Nubien unter ägyptischem Einfluss das ebenso große Konkurrenzreich Kusch mit dem Zentrum Kerma.

 

Die Dimensionen der Kriegszüge nehmen immer mehr zu. 1595 soll ein hethitischer Großfürst ein Heer von Kleinasien bis Babylon geführt haben, um die Stadt zu plündern und niederzubrennen. 1479 erfahren wir zum ersten Mal im Detail davon, wie Pharao Thutmosis III. auf einem von 17 Kriegszügen gegen Stadtfürstentümer in Kanaan bei Megiddo in einer Großschlacht mit 12 000 Kriegern siegt.

 

1274 treffen eine hethitische und eine ägyptische Armee bei Kadesch zusammen. Laut den vermutlich übertreibenden Ägyptern waren auf hethitischer Seite 3500 Streitwagen beteiligt, 37 000 Fußsoldaten und insgesamt 47 500 Soldaten. 1290 dann wird Frieden geschlossen.

 

Verletzt und getötet wird im Alten Reich der Pharaonen mit Pfeil und Bogen, Keulen, Messern und Äxten, dazu kommen im Neuen Reich Schwerter. Mit den Hyksos kommen Pferde und Streitwagen dazu. Verletzte und langsam Sterbende auf Schlachtfeldern werden Opfer von Raubvögeln, insbesondere der Geier.

Gefangene werden in Ägypten und Mesopotamien zu Zwangsarbeit eingesetzt, eroberte Städte und Reiche werden zu Tribut verpflichtet.

 

 

Danach werden Nubier und Libyer immer stärker, Seevölker vernichten das Reich der Hethiter, Ramses III. siegt in einer Seeschlacht, abgebildet in Medinet Habu. wo man die Haufen abgeschlagener Hände bzw. Penisse der Feinde sieht. Im 6. Jahrhundert wird Ägypten eine Satrapie Persiens.

 

*****

 

Nicht von den Kriegern, die das Grauen des Krieges betreiben, sondern von ihren Anführern, den Herrschern, die stolz damit prahlen, erfahren wir davon. Zivilisation, Geschöpf der Gewalt, und Krieg, direkter Ausfluss von Zivilisierung, werden wohl nirgendwo und nie so grausig gepriesen wie im neuassyrischen Reich der frühen Eisenzeit. Tukulti-Ninurta II., der von 891-884 herrscht, lässt zum Beispiel niederschreiben:

Ich näherte mich den Städten des Landes Ladani, das vom Volk Lullu bewohnt wird. Ich bemächtigte mich dreißig ihrer Städte, die zwischen den Bergen liegen: ihre Reichtümer führte ich weg, ihre Städte verwüstete, zerstörte und brannte ich nieder. Letztere Formel werden die neuassyrischen Herrscher Jahr für Jahr auf ihren Kriegszügen benutzen. (in: Pettinato S.15)

An anderer Stelle: Gegen diese Männer (...) stürzten sich meine Soldaten wie Raubvögel. 260 Kämpfer tötete ich mit meinem Schwert, schnitt ihnen die Köpfe ab und errichtete Haufen. (s.o. S.16)

 

Dieser Assurnasipal nennt sich der überstarke Held, der auf den Nacken seines Gegners tritt, der alle Feinde unter seine Füße zwingt, dessen Größe überall Angst verbreitet. Und ist: Sohn von Tukulti-Ninurta, dem Priester Assurs, der alle seine Feinde besiegt hat und ihre Leiber pfählte. (s.o.S.70f) Gefangene Könige werden gevierteilt.

 

Derselbe hat seinen Thronsaal mit Reliefplatten ausgestattet, auf denen man gepfählte Männer sieht, Soldaten, denen der Kopf abgeschnitten wird. oder Hände und Füße. Man sieht Soldaten, denen die Augen ausgerissen werden, Kinder und Frauen, die bei lebendigem Leib verbrannt werden. Das ist nicht grausige Phantasie, sondern Wirklichkeit. So lässt er über einen der vielen Kriegszüge aufschreiben:

Vor dem Stadttor ließ ich einen Turm errichten; die Köpfe aller Rebellen enthäutete ich, und mit dieser Haut überzog ich den Turm; einige von ihnen ließ ich lebendig einmauern im Turm, andere pfählte ich an Stangen rund um den Turm, wieder andere enthäutete ich innerhalb meiner Grenzen und hängte ihre Haut an meine Mauern. Die Gliedmaßen der Offiziere (...) die an der Revolte teilgenommen hatten, ließ ich abschneiden (..usw., s.o.S.75).

 

Veränderung von Naturräumen durch Menschenhand

 

Wir haben bislang vor allem gesehen, in welchem Umfang der Mensch mit der Zivilisierung zum Unheil für Menschen wird. Das wäre für den Naturraum Erde günstig gewesen, wenn das massenhafte Töten und Zerstören in den nun häufig stattfindenden Kriegen Momente des Atemholens für alle Lebewesen außer dem Menschen gewesen wären, aber dazu kommt es nicht. Vielmehr gibt es abgesehen von zeitweiligen Rückschlägen insgesamt ein Wachstum der menschlichen Bevölkerung bis zur "klassischen" griechisch-römischen Antike und letztlich bis heute, - und einen steigenden Einfluss auf das Aussehen der Erde, die von nun an immer nachhaltiger verändert und geschädigt wird: Sie wird zunehmend mehr auf die Bedürfnisse von Machthabern ausgerichtet, denen die allermeisten Menschen mit einer wechselnden Mischung aus Furcht und Gläubigkeit folgen.

 

Für die Bronzezeit und frühe Eisenzeit wird die Verwandlung von Wald in Acker- und Weideland von Bedeutung, aber in einigen Gegenden auch das Abholzen der Wälder, um sie nur in eine Handelsware zu verwandeln. Im Verlauf mehrerer Jahrtausende wird so zum Beispiel das heutige Syrien entwaldet und immer größere Teile der Zedernwälder des Libanon werden auf Dauer vernichtet. Folgendes Beispiel lässt im 15. Jahrhundert Thutmosis III. in einem Bericht niederschreiben:

Jedes Jahr werden für mich echte Libanonzedern geschlagen und an den Hof gebracht. (...) Wenn meine Armee kommt, dann bringt sie als Tribut die Zedern meines Sieges, die ich gewonnen habe aufgrund der Pläne meines Vaters, der mir alle fremden Länder anvertraut hat. Ich habe nichts davon den Asiaten gelassen, denn es ist ein Material, das er liebt. (Sein Vater ist Gott Amun-Re)

 

Ein ähnliches Schicksal erleiden seit der späten Jungsteinzeit zahlreiche Wälder Griechenlands, und Ende der Bronzezeit ist in etwa der heutige Zustand erreicht: Zahlreiche Böden sind völlig erodiert.

 

Man kann davon ausgehen, dass die Artenvielfalt insbesondere größerer Tiere seit der Jungsteinzeit zurückgeht. In der Bronzezeit wird die Jagd zum Amüsement von Machthabern, die zu ihrem Vergnügen vor allem große und als besonders gefährlich geltende Tiere (Tiger, Löwen) gerne auch schon mal in Massen töten. In Syrien gelingt es so zum Beispiel mit solchen Spaßjagden die Elefanten auszurotten, woran unter anderen Pharao Thutmosis III. fleißig beteiligt ist. Späte ugaritische Herrscher werden als Löwenbezwinger dargestellt.

 

Der Zerstörungs- und Mordlust der neuartigen Kriege ist die Jagd als Amüsement der Reichen und Mächtigen direkt benachbart. Es geht dabei nicht mehr um Ernährung oder Schutz vor tierischer Konkurrenz, sondern um eine besondere Form der Mordlust, die sich nun auch an der Tierwelt austobt. Das betrifft die Pharaonen und die privilegierte Oberschicht im Niltal wie die Herrscher und hohen Beamten in Mesopotamien - und überall sonst, wo Zivilisationen entstehen. Der schon als extrem grausamer Krieger aufgefallene Assurnasirpal mag als Beispiel für alle anderen dienen, wenn er auf einer Stele stolz von seinem Jagdabenteuer erzählt:

Ich tötete 450 starke Löwen, 390 Wildbüffel erstach ich (...), mit meinem Wagen erlegte ich 200 Strauße, 30 Elefanten nahm ich mittels Fallen gefangen, ferner 50 Wildbüffel lebend, 140 Strauße lebend, 20 Löwen erbeutete ich. Und die lebend erbeuteten Tiere werden nun wie die Menschen in die Untertänigkeit gebracht: Die Büffel, Löwen, Strauße und Affen, Männchen und Weibchen, sperrte ich in ein Gehege und ließ sie sich vermehren. (Pettinato, S.81)

Menschen in Gefangenschaft werden versklavt und Tieren geht es zum Vergnügen der Machthaber nicht besser.

 

Nichts schöner aber auch für Pharaonen, als als Großwildjäger aufzutreten und Elefanten, Tiger und Löwen zum Spaß abzuschlachten - wie meist seitdem unter Zuhilfenahme einer willigen Dienerschaft.

 

Das Ende der Bronzezeit

 

Gehen wir zunächst noch einmal etwas zurück. In der späten Bronzezeit ringen die nun stärker militarisierten Herrschaften der Hethiter, Ägypter, Mitanni und dann auch Assyrer um die Drehscheibe des Fernhandels in Palästina und Syrien, die in militärisch schwache Stadtherrschaften aufgesplittert sind.

 

1274 werden in der Schlacht bei Kadesch zwischen den Heeren der Herrscher über die Ägypter und die Hethiter noch einmal die Grenzen der Interessensphären zwischen den beiden Großmächten abgesteckt. Und noch einmal wird der Reichtum orientalischer Groß-Despoten beschrieben, als der Hethiterfürst Hattusili seine Tochter Ramses II. zur Frau gibt:

Dann ließ er seine älteste Tochter bringen, mit einem herrlichen Tribut vor ihr, bestehend aus Gold, Silber, und Kupfer in Hülle und Fülle, Sklaven, Pferden ohne Ende, zehntausenden Rindern, Ziegen und Schafen. (so in: Cline, S.128)

 

Dafür werden den Niltal-Pharaonen  anzivilisierte libysche Stammesvölker nun immer bedrohlicher. Der Krieg als Kernelement aller Reichsbildungen hat inzwischen nie dagewesene Dimensionen erreicht, die allerdings später neuassyrische Herrscher noch steigern werden..

Pi-Ramesse im Nildelta ist als Hauptstadt der Pharaonen inzwischen vor allem Rüstungszentrum. "Zu den größten Bauten zählte ein gewaltiges Bronze-Schmelzwerk, dessen mehrere Hundert Arbeiter mit der Waffenproduktion beschäftigt waren. Wenn das geschmolzene Metall herauslief, gossen schwitzende Arbeiter es in Formen für Schilde und Schwerter." (Wilkonson, S.426)

 

Einige Generationen später besiegt Elam Babylon und im Norden des Zweistromlandes sickern immer mehr Aramäer ein. Eine Dynastie aus Isin kann dann Babylon für sich gewinnen und geht mit Nebukadnezar (1123-1102) zum Gegenangriff vor. Nur wenig später können die Assyrer unter Tiglatpileser Babylon einnehmen, aber im Laufe der Zeit werden sie in Syrien immer mehr von Aramäern verdrängt, und dort entstehen kleinere Herrschaften.

 

Das Niltal, Mesopotamien und andere östliche Regionen werden weiter von Despotien beherrscht werden, schließlich ergänzt unter anderem durch Meder und Perser. Eine besondere Entwicklung macht aber ein Teil des östlichen Mittelmeersaumes mit der Ägäis und der Levante durch.

 

In der Ägäis breitet sich seit ungefähr 1650 eine nach einem ihrer Hauptorte benannte "mykenische" Zivilisation aus. Es handelt sich um (früh)griechisch, also eine indogermanische Sprache sprechende Hellenen, die sich allerdings selbst noch nicht so bezeichnen. Die Machtergreifung reicher Häuptlinge, großer Grundbesitzer, die Gefolgsleute mit Land belohnen, ist dokumentiert in ihren reich ausgestatteten Gräbern. Um 1400 tauchen bei ansatzweise städtischen Siedlungen immer stärker befestigte Palästanlagen auf, die Ort und Umland kontrollieren. Daneben gibt es auch zahlreiche Siedlungen ohne Paläste.

 

In Gräber erhalten solche Häuptlinge, große Grundbesitzer und Krieger, Gegenstände aus Gold, Silber, Elektron, Bergkristall und Bernstein. Die Wände der Haupträume mit ihrem Thronsessel werden in der Spätzeit "mit farbenfrohen Fresken dekoriert, deren Bilder Kriegs- und Jagdszenen, Opfer und Feste sowie schöne Frauen mit eleganten Frisuren und kostbarem Schmuck zeigten." (Stein-Hölkeskamp, S.21)

Auf Tontäfelchen wird in Linear-B-Schrift Buch geführt über die Palastwirtschaft auf eigenem Land und die Natural-Abgaben der untertänigen Bauern. Dazu kommen Schmiede, Töpfer, Weber, die direkt an den Palast angeschlossen sind. "In Pylos etwa waren mehr als dreihundert Frauen mit der Anfertigung von Textilien beschäftigt, die zum Teil offenbar für den Export bestimmt waren." (Stein-Hölkeskamp, S.27)

Es handelt sich wie im Orient um eine Redistributions-Wirtschaft: Der Palast sammelt Produkte ein und verteilt sie zum Teil an "Beamte", Töpfer, Weber, Gold- und Waffenschmiede. 

Wie im Orient sind diese Häuptlinge (wanaka) zugleich für den Kult zuständig, der die Götter gnädig stimmen soll.

 

Von dem fürstlichen Luxusbedarf ausgehend wird zunehmend Handel durch das ganze Mittelmeer praktiziert, in der Spätzeit mit einer eigenen Flotte. Mykenische Keramik taucht unter anderem in der Ägäis bis Zypern, in Ägypten und Sizilien auf. Für bemalte Keramik und Waffen erhalten die "Mykener" Kupfer aus Attika, Zinn von der iberischen Halbinsel, dem Taurusgebirge in Kleinasien und aus Afghanistan, Gold, Elfenbein, Buntglas und Edelhölzer aus Ägypten und der Levante.

 

Die mykenische Palastzivilisation wird ein Stück weit direkt aus dem Orient (Hethiter, Levante) beeinflusst, zudem aber auch besonders durch die andersartige sogenannten minoische Zivilisation. Hier existierten relativ luxuriöse Paläste inmitten von  städtischen Siedlungen, wobei der Reichtum der Machthaber wohl mehr auf Handel als auf Gewalttätigkeit beruht. Deren Ursprünge gehen bereits auf das dritte Jahrtausend zurück.

Der Palast von Knossos "war Zentrum einer Wirtschaftsorganisation, die von der landwirtschaftlichen Produktion des Umlandes über die Herstellung von Waffen, Gerätschaften und Luxusgütern wie Schmuck, bemalter Keramik und purpurgefärbter Stoffe bis zum Austausch der produzierten Güter alle drei Sektoren der Ökonomie umfasste." (Bringmann(2), S.39) Wie im (übrigen) Orient wird mit Linear A eine Schrift für die Wirtschaftsverwaltung entwickelt.

Gegen Ende der Bronzezeit ist Kreta dann wohl kriegerisch in die griechische Welt integriert.

 

Ein weiteres Bindeglied zwischen dem Orient und der ägäischen Welt dürfte Zypern darstellen, ebenfalls von Fürsten beherrscht, welche seit der Bronzezeit von den reichen Kupfervorkommen auf der Insel profitieren, die blühenden Handel hervorbringen. Später als Kreta gerät auch Zypern unter den Einfluss der mykenischen Zivilisation.

 

Städtische, von Palästen dominierte Zivilisationen wie zum Beispiel Ugarit gibt es auch entlang der levantinischen Küste. Solche ebenfalls von "Königen" beherrschte Städte (der Palast von Ugarit soll in der Blütezeit 10 000m² groß gewesen sein, mit hundert Räumen und Sälen) scheinen etwas selbständiger operierende Händler besessen haben. Diese levantinischen Palastzivilisationen geraten aber immer wieder unter die Aufsicht von Großreichen, im Norden der Hethiter, dazwischen der Babylonier und Assyrer und im Süden der Pharaonen.

 

Ugarit ist als Mittelmeerhafen syrische Handelsstadt, die in der späten Bronzezeit ein kleines Reich entlang einer etwa 50 km langen Küstenlinie errichtet. Kern der Macht des Palastes sind nicht die bäuerlichen Abgaben an Getreide, Wein, Olivenöl und Vieh, sondern ist eine "Kriegeraristokratie" (Sommer), die von der Verteilung der Abgaben ebenso profitiert wie die unter ihnen angesiedelten "Sippenältesten" (Sommer), die an der Regierung beteiligt sind. Erst unter ihnen sind die vom Palast angestellten (Fern)Händler und dann erst die Priester angesiedelt.

 

In Ugarit finden Archäologen Werkstätten von Steinschneidern, Töpfern, Edelmetallschmieden, Malern und Bildhauern, von denen viele sicher nur für die kleine Oberschicht arbeiten.

Am Hafen von Ugarit werden Waren von und nach Ägypten, Zypern, Kreta, Assyrien und dem Hethiterreich umgeschlagen, aber auch von und nach den Städten Karkemisch, Tyros, Beirut, Sidon und Mari. Von Tontäfelchen her weiß man, dass auch vergängliche Waren wie gefärbte Wolle, Kleidungsstücke aus Leinen, Wein, Olivenöl und Weizen verhandelt werden. Aus Schnecken wird das später für die Phönizier so wichtige Purpur hergestellt. Kaufleute residieren in großen Häusern. Die Stadt wird so reich, dass sie enorme Mengen von Gold als jährliche Tribute an den hethitischen Herrscher zahlen kann. (Cline, S.154, von Reden, S.284)

Inzwischen setzt sich (in Ugarit) die Keilschrift der heimischen semitischen und mit dem Hebräischen verwandten Sprache aus 30 "verhältnismäßig einfachen Zeichen" (von Reden, S.160) zusammen, die nun leichter zu erlernen sind. Der Weg hin zum phönizischen Alphabet ist eingeschlagen.

 

Offenbar gibt es in der Spätzeit von Ugarit eine Mixtur aus herrscherlichem und privatem Handel.

"Aus Akten geht hervor, dass ein Teil der Handelsflotte dem König gehörte. Neben anderen besaß er das Monopol des Kupfer- und Getreidehandels.  Der beträchtliche Export von Olivenöl erfolgte ebenfalls unter der Aufsicht des Palastes. Ein Hafenmeister (...) überwachte ihn und kassierte spezielle Taxen von ausländischen Käufern. Königliche Agenten wickelten auch Geschäfte mit Alaschia, Kilikien und Ägypten ab. Daneben gab es selbständige Unternehmer. Als großer Reeder wird mehrfach ein gewisser Sinaranu genannt, der Privilegien genoss und zu den reichsten Männern von Ugarit gehörte. Manchmal fungierte der Palast als Kapitalgeber für den privaten Seehandel." (von Reden, S.287)

 

Gegen Ende der Bronzezeit ist für Ugarit ansatzweise belegt bzw. zu vermuten, was vielleicht auch für andere Palastherrschaften gilt: Die Landbevölkerung wird immer unmäßiger ausgeplündert, um die Eliten zu versorgen; der Fernhandel tendiert immer mehr dazu, sich aus der massiven Bindung an den Palast zu lösen, ebenso wie auch, andere durch Landvergabe Privilegierte, und vielleicht bricht auch beim an den Palast gebundenen kunstvollen Handwerk mit seinen Handelswaren Unzufriedenheit aus.

 

Bis zum letzten Moment scheint intensiver Handel vor allem im östlichen Mittelmeerraum geherrscht zu haben. Wesentliche Förderung dieses Handels scheint bis zum Schluss über Kriege und die Herstellung von Vasallen-Stadt"staaten" sowie über Bündnissysteme stattzufinden. Um 1225 schreibt der hethitische Herrscher Tudhalija IV. an den verbündeten König von Amurru im Norden Syriens:

Dein Kaufmann soll nicht nach Assyrien gehen, und du sollst seinen Kaufmann nicht in dein Land lassen. Er soll nicht durch dein Land ziehen. Aber falls er in das Land kommt, ergreife ihn und sende ihn Meiner Majestät. (in: Cline, S.147)

 

Es bleibt bis zur großen Krise am Ende der Bronzezeit dabei, dass Handel eine Funktion von Herrschaft ist und ihr dabei zu Diensten. Zudem wird er weiter aufgrund der extremen Raubtiermentalität der Despoten durch Kriege unterbrochen, räuberische Beutezüge, und obiger Hethiterherrscher überfällt denn auch noch, kurz bevor sein Reich untergeht, das an Kupfer reiche Zypern, was er folgendermaßen dokumentiert:

Ich nahm den König von Alaschija gefangen, mit seinen Frauen, seinen Kindern (...) Alle Waren, darunter Silber und Gold, und alle Menschen, die ich zu fassen bekam, nahm ich mit und brachte sie heim nach Hattusa. Ich versklavte das Land Alaschija und machte es sofort tributpflichtig. (in: Cline, S.149)

 

Aber um 1250 werden in Mykene, Tiryns, aber auch im Hethiterreich  große Festungsmauern aus riesigen Steinen errichtet und dann, zwischen 1250 und 1100, brechen ein Großteil dieser spätbronzezeitlichen Zivilisationen aus wohl unterschiedlichen Gründen zusammen. Aus pharaonischen Texten und Abbildungen erfahren wir von Angriffen einer Vielzahl schwer zu identifizierender Völkerschaften vor allem wohl von der See her, die Historiker vor längerer Zeit als "Seevölker" zusammengefasst haben. Da sie mit Frauen und Kindern kommen, scheinen sie Siedlungsland zu suchen. Das Pharaonenreich behauptet sich in einer Seeschlacht, scheint aber zunehmend geschwächt zu sein, die Königsstädte Memphis und Theben werden bedeutungsloser, so dass das Reich schließlich von libyschen Herrschern übernommen werden kann. 

Um 1150 geht Ugarit für immer unter, die mykenisch-ägäische Welt mit ihren Palast-Siedlungen und das Reich der Hethiter in Anatolien werden völlig zerstört wie auch Qatna und die Handelszentren Palästinas. Nicht nur im griechischen Raum nimmt die Bevölkerung nun erheblich ab.

 

Es gibt wohl im Vorlauf massive Dürren im östlichen Mittelmeerraum, Erdbeben und manches andere. Hungersnöte in Anatolien, Zypern und vielleicht anderswo können auch auf Unruhen in der ausgepressten Landbevölkerung verweisen.

Vielleicht auch deswegen werden ganze Städte verlassen. In anderen werden wie in Ugarit oder Hattusa nur Palast und Tempel zerstört und nicht mehr neu aufgebaut, was auf Revolten der Untertanen hindeuten könnte.

Der Herrscher von Byblos bittet den Pharao, seinen Oberherrn, um Unterstützung gegen die Amoriter, die sich ausbreiten. "Zu den einfallenden Amoritern gesellten sich entwurzelte Bauern aus einem Gebiet von Byblos, die sich zu marodierenden Banden scharten und mit der Zeit zu einer nomadischen Lebensform zurückfanden." (Sommer(2), S.50)

 

Alle diese Palastherrschaften jenseits der großen Flusstaloasen sind auf Fernhandel angewiesen, um mit Handelswaren jene Prestigegüter anzusammeln, die neben der Ausübung der Kulte mit den Priestern und erfolgreicher Kriegführung die Massen in Untertänigkeit halten. Brechen einzelne Knotenpunkte solcher Handelsbeziehungen ein, kann das eine Art Kettenreaktion auslösen. Manche der Palastherrschaften haben auch kein ausreichendes Umland, um steigende Untertanen-Zahlen dann durch Handel noch ernähren zu können.

 

In den Flusstaloasen von Euphrat und Tigris bleiben die Voraussetzungen für despotische Reiche mit Palastwirtschaft bestehen, und das geschwächte Ägypten wird auch immer wieder erneut zu zentraler Herrschaft finden, wenn auch zunehmend unter nicht ägyptischen Dynastien. Während aber bislang vor allem Despotien zwischen dem Niltal, Anatolien und dem Zweistromland die sehr entfernte Vorgeschichte für den viel späteren Kapitalismus darstellten, wobei es im Handelsbereich gelegentlich, aber eher sporadisch zu Kapitalbildung und wohl sehr selten zu Ansätzen von Unternehmertum kommt, wird dieses nun bald von der levantinischen Küste und und dann später auch von der Ägäis aus sich etwas stärker emanzipieren können. Voraussetzung dafür ist ein tendenziell geringerer Einfluss der bisherigen Großreiche dort und vor allem auch der Zusammenbruch der Palastherrschaften in den dortigen Stadtstaaten.

 

Der für uns hier entscheidende Aspekt des Endes der Bronzezeit besteht im erheblichen Rückgang von sich despotisch äußernden Zivilisationen im nördlichen und östlichen Mittelmeerraum, aus dem neue, aristokratischer strukturierte städtische Zivilisationen hervorgehen. Eine Zeit lang spielen Phönizier/Punier dabei eine wichtige Rolle.

 

In Phönizien wird "die sich selbst organisierende Bürgergemeinde des überschaubaren Stadtstaats" (Sommer) entstehen, und dann auch im ganzen Mittelmeerraum. Damit wird der südliche Rand jenes Teils Europas stärker zivilisiert, in dem dann, immer noch viel später, Kapitalismus entstehen kann.