Neuzeit. Eine neue Zeit? (1450-1650) (Materialsammlung!)

 

Neuzeit?

Atlantische und pazifische Wende

Machtpolitik und Kriege

Staatlichkeit: Königreiche. Nationalstaaten / Territorialstaaten

Monarchen: Maximilian / Karl V / Francois I / Henry VIII

Fürstliche Justiz

Totaler Staat: Sittlichkeit statt Sitte

Der Krieg

Adel

Kapital und Macht (Habsburger, Spanien / Frankreich / Kirchenstaat)

Gemeinwohl?

Der Geschlechtstrieb als Triebkraft des Kapitals

(Das Land)

Natur?

 

 

Neuzeit?

 

Irgendwann zwischen 1400 und 1500 verabschieden Avantgardisten der neuesten Moden das Mittelalter, indem sie es erfinden. Mit zwei sehr modern anmutenden und immer noch propagandistisch verwertbaren Schlagworten, Renaissance und Humanismus, wird dann das Programm entworfen, die dunkle Zeit germanischer Barbarei durch Wiedererweckung einer wie auch immer gemeinten Antike hinter sich zu lassen. Natürlich bekommen die meisten Menschen im nunmehr immer weniger lateinischen Abendland davon nichts mit, viele starren einfach nur auf die in kürzeren Abständen sichtbaren Neuerungen.

 

Eine sinnvollere Epocheneinteilung für jenen Großraum, in dem sich Voraussetzungen für Kapitalismus entwickeln und dann dieser selbst sich entfaltet, scheint mir die zu sein, von einer sich von den orientalischen Despotien absetzenden abendländische Antike von etwa 1000/800 vor der Zeitenwende bis ca 400/450 danach zu sprechen, von einer Nachantike in dem bald durch die islamische Expansion reduzierten Raum bis nach 900,  und von einem ersten kapitalistischen Zeitalter, welches im 18. Jahrhundert ausläuft und durch eine gewaltige Industrialisierung und Säkularisierung abgelöst wird.

Noch besser wäre es wohl eigentlich, mit dem späten 10. Jahrhundert eine Entwicklung einsetzen zu sehen, die bis heute linear und relativ bruchlos anhält. Der immer heftiger triumphierende Kapitalismus wird dabei begleitet von globaler Bevölkerungsvermehrung, Zerstörung aller noch existierenden Kulturen weltweit und Zerstörung des Lebensraums Erde. Wenn man einen Endpunkt sehen möchte, dann wäre der das völlige Verschwinden der Zivilisation des ehedem lateinischen Abendlandes im 20./21. Jahrhundert.

 

Es erscheint auf jeden Fall wenig sinnvoll, Epochalisierung durch eine sogenannte "Geistesgeschichte" bestimmen zu lassen, die nur ganz wenig Leute erreicht und die selbst zwischen etwa 1400 und 1800 kaum eine Rolle für Veränderung spielt. Humanismus als Neuinterpretation antiker Texte und Renaissance als Neuinterpretation antiker Künste stehen in einer Tradition, die im 9./10. Jahrhundert einsetzt und erst im 18. Jahrhundert zu Ende geht. Selbst der Rationalismus des 17. und die sogenannte Aufklärung des 18. Jahrhunderts betrifft nur extrem wenige Leute und bleibt für fast alle bis heute völlig unverständlich und unzugänglich. Zudem sind sie nichts anderes als die Endphase einer Entwicklung, die im 11. Jahrhundert einsetzt.

 

Zu Endpunkten: Die diffuse Mischung aus persönlichem Abenteurertum und Kapitalinteresse in der großen französischen "Revolution" bedient sich zwar wenig verstandener Schlagworte aus der Geistesgeschichte, hat ihren Anlass aber eher in der Koppelung einer Adelsreaktion auf Modernisierung mit der Unfähigkeit von Monarchen, letztere durchzusetzen.

Der Nationalismus in jenen Kolonien mit starken Anteilen europäischer Siedler, 1776 in Nordamerika begonnen, entspricht einer zwischen dem 12. und 15. Jahrhundert einsetzenden Traditionslinie in Europa. von der nur die deutschen und italienischen Lande ausgenommen sind, und lässt sich als deren Übertragung auf andere Kontinente verstehen.

 

Das Mittelalter endet weder im 15. noch im 16. Jahrhundert, sondern es läuft für die meisten Menschen frühestens erst im 18./19. Jahrhundert aus, in Teilen Osteuropas erst im 20. Jahrhundert. Kolonien gibt es verstärkt wieder seit der Zeit der Kreuzzüge, aber Kolonisierung war schon Sache der Antike gewesen . Und die stärkere Einbeziehung Afrikas und Asiens und der neue Markt in den Amerikas im 16. Jahrhundert sind nur die beschleunigte Erweiterung von Vorgängen, die schon in der Antike begannen und nie ganz aufgehört haben.

 

Gewiss: Inzwischen haben die Osmanen Byzanz erobert, Columbus macht sich von Italien nach Spanien auf, wo Handels- und Finanzkapital jetzt immer unternehmungslustiger werden, und dann auf dem Seeweg nach Indien. Mit der Eroberung von Granada geht die Vereinigung von Kastilien und Aragon unter den "katholischen Königen" einher. Macchiavelli schreibt mit dem 'Fürsten' (Il Principe) den ersten deskriptiven und nicht mehr bloß normativen politischen Text und Luther wird sich an die Rettung der Christenheit machen, die zur erneuten Zerstörung ihrer Einheit und zu einem weiteren Säkularisierungsschub führen wird.

Aber das einzige wirklich einschneidende Ereignis, das Ende der Osthälfte des römischen Reiches tausend Jahre nach dem Umschwung im Westen, der viel weniger ein Ende war, und die Islamisierung und Orientalisierung dieses nunmehr für immer verschwundenen Reiches wird von den Herstellern von Epochalisierung fast völlig übersehen. Für die Entwicklung des Kapitalismus spielt aber auch dieses Ereignis kaum eine Rolle.

Immerhin verschwindet Griechenland bis ins 19. Jahrhundert aus der abendländischen Geschichte und wird nicht unerheblich orientalisiert, wie auch stattliche Teile des nördlicheren Balkans. Um ein Haar wäre das Osmanenreich auch bis nach Mitteleuropa gelangt. Immerhin stand sein Heer vor Wien.

 

Wenn man die große Industrialisierung des 18./19. Jahrhunderts als Beendigung des Mittelalters bezeichnet, kommt man deshalb aber noch nicht an gegen die leider immer noch gängige Version, das Mittelalter um 1500 zu beenden und danach eine Neuzeit anzusetzen, jene Version, die damals sogenannte Humanisten und Renaissance-Ideologen erfanden. Hier soll aber diese Neuzeit zwischen etwa 1450 und 1750 wesentlich als Teil jenes Mittelalters verstanden werden, wie es tatsächlich existierte.

 

Mit dem behelfsmäßigen Begriff der Moderne wäre dann das durch Großindustrie gekennzeichnete Zeitalter danach und bis heute zu benennen, dessen radikale Veränderungen durch den Untergang der bäuerlichen Landwirtschaft und des produktiven Handwerks sowie des Krämergewerbes gekennzeichnet ist. Die direkte Unterwerfung aller unter das Kapital und seine Bewegungen bedeutet dabei nicht nur wirtschaftliche Unselbständigkeit für fast alle, sondern auch den Aufstieg totalitärer, dass heißt alle Lebensbereiche durchdringender Staaten. Indem diese zu schieren Agenturen der Kapitalbewegungen werden, lässt sich von einem Vorgang immer radikalerer Entzivilisierung sprechen, an dessen Ende das Aussterben der abendländischen Völkerschaften steht, die zunächst alleinige  Träger des Kapitalismus waren, samt Kolonisierung aus anderen Kontinenten, und dem ähnlich absehbare Ende des Lebensraumes eines ausgeplünderten Planeten Erde. Nichts spricht mehr dafür, dass diese beiden Entwicklungen noch aufzuhalten wären.

 

Entzivilisierung heißt, dass die Priester und Herrscher ihre Macht an die Bewegungen des Kapitals verlieren, als deren Agenturen die Staaten für das allerdings immer noch furchterregende Kleingedruckte der Macht auftreten, während die Massen den Entwicklungen nicht nur ohnmächtig gegenüberstehen, sondern zu deren zugleich willfährigem wie potentiell widerspenstigen Material degenerieren. Die Versuche von Bolschewismus, Faschismus, Franquismus und Nationalsozialismus, sich mehr oder weniger mithilfe dieses willfährigen Menschenmaterials gegen die Übermacht dieser Kapitalbewegungen zu stemmen, sind allesamt gescheitert, was zu Recht nicht betrauert wird.

 

Bei genauerem Hinsehen ist aber Moderne das, was im 10. Jahrhundert an einigen Orten einsetzt und dann immer mehr überhand nimmt: Unaufhörliche und tendentiell immer schnellere Modernisierung durch Kapitaleinsatz, das, was im eigentlichen Wortsinn eine einzige und die einzig wirkliche Revolution in den letzten 10 Jahrtausenden darstellt. Sie anzuhalten wäre der erste Schritt auf dem Weg zum Überleben der Menschen als Gattung, und nur insoweit hat die Geschichtsbetrachtung von Karl Marx recht behalten, aber wohl zu spät.

 

Um es noch einmal deutlich zu machen: Für die meisten Menschen des lateinischen Abendlandes fängt weder mit Kolumbus noch mit Macchiavelli eine Neuzeit an, sondern sie leben in einem bruchlosen Kontinuum, das wesentlich von der Entwicklung des Kapitalismus und zudem von Fürsten und Königen bestimmt wird. Sie kommen auch fast alle bis ins 19. Jahrhundert mit keinem wissenschaftlich geprägten Weltbild in Kontakt. Manchmal wie die sogenannte Kopernikanische Wende als eine Art Neuanfang propagiert. Diese findet 1542 mit dem Hauptwerk des Koppernigk/Kopernikus zwar ihren Text, aber kaum Leser. Vor dem 17. Jahrhundert wird die Vorstellung eines sonnenzentrierten Systems von Himmelskörpern praktisch nicht wahrgenommen und frühestens im 18. Jahrhundert erreicht sie andere Leute als die wenigen Gelehrten. 

 

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Der Weg zu einigermaßen maßstabs-getreuen Karten beginnt im 15. Jahrhundert. Flüsse und Straßen stimmen in ihrem Verlauf, ganze Länder wie Bayern oder gar die ganzen deutschen Lande werden halbwegs richtig auf Papier gebracht. Im Auftrag der Stadt Nürnberg schafft der weitgereiste Beheim einen Globus, auf dem Europa einigermaßen richtig dargestellt wird, dazu Teile Afrikas, während er weiter östlich ins Fabulöse ausufert. 

 

 

Die atlantische und pazifische Wende

 

Das 15. Jahrhundert bis in die Anfänge des 16. schafft neue Handelswege über die Meere. Bessere Schiffe umrunden von Italien aus die iberische Halbinsel und bringen ihre Waren dann nach Antwerpen.

In den 1420er und 1430er Jahren unternimmt Prinz Heinrich von Portugal jährlich Reisen auf den Atlantik. Er besetzt die Azoren, Madeira und die Kanaren, segelt entlang der Westküste Afrikas bis zur Gold- und Elfenbeinküste, bis wohin nun der portugiesische Handelsraum reichen wird.

Portugiesen segeln die afrikanische Küste entlang und konkurrieren mit den Spaniern um die Kanaren. Schließlich gelangt Kolumbus auf drei Fahrten bis nach "Westindien" und Vasco da Gama nach "Ostindien". Magellan schließlich umrundet die Erde auf dem Meer.

 

Waren das Mittelmeer und in etwas geringerem Umfang auch die Nord- und Ostsee als Handelswege maßgeblich an der Entstehung und Entwicklung des Kapitalismus beteiligt, so geraten sie jetzt nach und nach etwas ins Abseits. Die großen Ozeane übernehmen ihre Rolle. Damit endet nun auch zur Gänze die Vorreiterrolle Italiens und wird erst durch Portugal, dann zudem Spanien und schließlich durch Holland und England abgelöst, zwischenzeitlich auch durch Süddeutschland. Entsprechend schwindet auch die Bindekraft der Hanse immer mehr.

 

Zur allgemeinen atlantischen Wende gehört nicht nur die Portugals, sondern auch die Englands. Dieses hat 1453 seine kontinentalen Gebiete verloren und besiegelt das 1475 mit dem Vertrag von Picquigny.  Damit beginnt die langsame Umorientierung in Richtung Atlantik.

 

Die Schiffe und Händler der neuen Vormächte beherrschen zunehmend das Mittelmeer. Selbst Florenz wird zunehmend von genuesischen und kastilischen Händlern abhängig und versucht mit einem internationalen Freihafen Livorno den Anschluss zu halten. Mitte des 16. Jahrhunderts werden dort neue Docks und ein Arsenal gebaut samt einem Kanal, der es mit Pisa und dem Arno verbindet. Der Ort steigt von wenigen hundert auf 12 000 Einwohner.

Genuesen und Venezianer stellen in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ihre Schiffahrt in den Norden ein, während von dort insbesondere englische und holländische Schiffe kommen. Ende des Jahrhunderts setzen sich Engländer und Franzosen aus Marseille mit Handelsposten in der Levante fest.

 

Die Konflikte um Flandern seit Maximilian führen mit zum Abstieg Brügges. Antwerpen ist nun vorläufig Dreh- und Angelpunkt des Welthandels. 1508 beschließt die portugiesische Krone, die Stadt zum Verteilerzentrum seines Gewürzhandels aus dem fernen Osten zu machen. Der von süddeutschen Firmen kontrollierte Silbermarkt löst sich von Venedig und wendet sich Antwerpen zu. Neben den portugiesischen Gewürzen laufen nun Tuche aus England, Silber, Kupfer, Metallprodukte und Barchent aus Deutschland über die Stadt.

Mitte des 16. Jahrhunderts ziehen sich die Portugiesen aus Antwerpen nach Lissabon zurück und werden mit der Förderung von Karl V. durch Spanier ersetzt, die einen Teil ihrer amerikanischen Edellmetalle dorthin fließen lassen. Von etwa 1500 bis 1565 steigt die Bevölkerung von 30 000 auf 100 000 an, um dann im 17. Jahrhundert mit dem Aufstieg von Amsterdam wieder erheblich zurückzufallen. Im Aufstand der Niederlande gegen die spanischen Habsburger kommt es 1575 zur Sperrung des Antwerpener Hafens und zur Abwanderung eines Teils seines Geschäftes.

 

Zunächst sieht Antwerpen im 16. Jahrhundert die Dominanz süddeutscher Firmen mit ihrer Nähe zum Kaiser und die Abwanderung der Italiener, bleibt aber "internationales" Handels- und Finanzzentrum. Ab 1580 steigt die holländische Wirtschaft rapide auf und macht das nicht fürstlich, sondern direkt vom Kapital regierte Amsterdam zum neuen Weltzentrum im Norden. Daneben haben die von Genuesen beherrschten Messen von Besancon zentrale Bedeutung.

 

Im 16. Jahrhundert löst sich der Nordwesten Europas mit Flandern, den Niederlanden und England  von einem Fallen Resteuropas in eine gewissen Stagnation. Die Produktivität der Landwirtschaft in Flandern und den Niederlanden ist höher als im Rest Europas, die Bevölkerung deutlich wohlhabender und verdichteter sowie der internationale Seehandel gemessen an der Flottengröße im Verhältnis zur Einwohnerzahl am größten. Damit sind die beiden Gebiete an STand der Urbanisierung längst an Nord- und Mittelitalien vorbeigezogen.

 

1507 erscheint die 'Einführung zur Kosmographie'  des Matthias Ringmann samt Weltkarte und Globus des Freiburgers Martin Waldseemüller.

Darin heißt es: Nun sind aber die Erdteile umfassender erforscht und ein anderer vierter Erdteil ist durch Americus Vesputius entdeckt worden. Ich wüsste nicht, warum jemand mit Recht etwas dagegen einwenden könnte, diesen Erdteil nach seinem Entdecker Americus, einem Mann von Erfindungsreichtum und klugem Verstand, Amerige, nämlich Land des Americus, oder America zu nennen. (in: Freiburg, S.292)

 

Dies ist eine der Reaktionen auf einen Reisebericht des Florentiners Amerigo Vespucci. Die europäische Variante des zivilisierten Raubtiers Mensch wird nun über beide neubenannte Amerikas herfallen, seine Kulturen und Zivilisationen zur Gänze mit der altvertrauten zivilisatorisch-frommen Grausamkeit vernichten und dann alle seine Kräfte erst selbst und dann als sich verselbständigende Herrenmenschen dort in die gnadenlose Vernichtung von Naturräumen einsetzen, die noch heute mit immer schnellerem Tempo weitergeht. 

Bis heute aber werden Historiker und andere Propagandisten von Völkermord und Naturzerstörung die Katastrophe des Doppelkontinents als großen Fortschritt feiern.

 

Die Küsten Afrikas und die beiden Amerikas werden die Opfer brutalster Söldnerheere, die der Ausplünderung, Unterjochung und teilweisen Ausrottung ganzer Völkerschaften dienen. Das kapitalistische Europa überzieht beide Kontinente mit einem grausamen Terror und etabliert dort Plantagenwirtschaft mit Sklavenarbeit. Während in Europa der Kapitalismus sich immer weiter entfaltet, kehrt man auf den beiden anderen Kontinenten vor allem zum Großgrundbesitz als Quelle des Reichtums zurück.

 

Auf der anderen Seite werden die islamischen Reiche ausgespart, und es geht Richtung Osten. Die russischen Machthaber lassen den Ural überschreiten und beginnen Sibirien zu erobern, Richtung pazifischer Ozean. Durch den indischen Ozean geht es für Portugal und Spanien nach den Küsten (Ost) Indiens, dann Hinterindiens und der indonesischen Inselwelt. Schließlich erreichen die Spanier die Philippinen und den pazifischen Ozean.

 

Welthandel über vier Kontinente verändert die Welt. Keine Gegend dort, die nicht für den global agierenden Handel erschlossen wird, Kapital erfasst die ganze Welt Schritt für Schritt und macht sie ihren Interessen untertan. Finanzen, Handel und Produktion sind dabei auf eine Vielzahl von Metropolen des Kapitals ausgerichtet, und die politische Macht unterstützt sie dabei.

Weltweit agierendes Kapital an florentiner Beispielen: Der ursprünglich für die florentiner Cambini-Firma in Lissabon agierende Marchionni macht sich in den 80er Jahren des 15. Jahrhunderts dort selbständig, investiert in Fahrten nach den Indien und in den Gewürzhandel, 1486 bis 1495 kauft er sich in das Nigerdelta ein, von wo er Handelsprivilegien insbesondere für den Sklavenhandel in Westafrika erlangt. Vermarktet wird über Partner in Sevilla und Valencia. Neben den Fuggern und Welsern finanziert auch Marchionni die Fahrten von Vespucci 1501-02 und von Vasco da Gama 1502-03. Ein anderer mittlerer Florentiner Kaufmann finanziert 1510 die vier Schiffe, die nach Malacca fahren. (Goldthwaite, S.158/59)

 

Eine ebenfalls mittelgroße Firma mit den Partnern Strozzi und Capponi in Florenz und Partner-Firmen in Südspanien exportiert nun um 1535 Sklaven, Wein und Fertigtuche nach Mexiko und handelt dort Silber ein. Eine weitere operiert um 1550 von Florenz aus über Firmen in Sevilla, Cadiz und Valladolid, verhandelt dabei über 150 Warenarten, und zwar durch die ganze damals bekannte Welt. (Goldthwaite, S.156). Genuesische und florentinische Banken agieren überall in Südspanien, in Lissabon vorläufig noch vor allem die Florentiner, in Zentralkastilien bald nur noch die Genuesen.

 

Tatsächlich ist es Genua, welches im 15. Jahrhundert langsam zur ersten Handelsstadt im Mittelmeerraum aufsteigt. Als die Messe von Medina del Campo 1500 sowohl offizielles spanisches wie internationales Finanzzentrum wird und in Bedeutung an Lyon und Antwerpen heranreicht, behaupten sich dort Genueser Banken neben süddeutschen, solange Karl V. herrscht, und danach beherrschen sie dort den Markt. Umgekehrt verhilft katalanischen Firmen Förderung durch die toskanischen Herzöge zu immer mehr Präsenz in Florenz.

 

Welches Unheil bei der Zerstörung gewachsener Kulturen und Zivilisationen und der Entwurzelung der Menschen ganzer Kontinente angerichtet wird, wird sich erst im zwanzigsten Jahrhundert deutlich für die Europäer zeigen. Nichts macht das heute offensichtlicher als die Besiedelung Westeuropas durch die Völker der ehemaligen Kolonialreiche.

 

Was den einen Macht und Reichtum verschafft, schadet den anderen. Für den bis dato auf Zypern, Kreta, auf Sizilien und um Granada angebauten Zucker bedeutet die Kolonisierung der Kanaren und Madeiras samt menschenverachtend günstigem Anbau von Zuckerrohr einen erheblichen Preisrückgang. Solcher Zucker ist nicht länger ein Luxusprodukt, so wie nun auch Pfeffer im 16. Jahrhundert von breiteren Massen konsumiert wird.

 

Atlantische und pazifische Wende bedeuten keine Wende für die Machtverhältnisse in den Zivilisationen Europas, sondern eine auf den anderen Kontinenten. Im kapitalistischen Europa herrschen Potentaten und Kapitaleigner in relativer Kontinuität bis ins 18. Jahrhundert weiter, einträchtig zusammen mit ihrer hohen Geistlichkeit.

 

 

Machtpolitik und Kriege (in Arbeit)

 

Große Untertanenverbände bilden inzwischen Nationalstaaten mit Ausnahme von Italien und den deutschen Landen. Monarchen gewinnen immer stärkeren Zugriff auf die Untertanen, das "Volk", welches für sie zu leben, zu arbeiten und zu kämpfen hat. Dieses wird durch massive Propaganda nicht zuletzt auch von den damaligen Historikern dazu angeleitet, die jeweils eigenen Machthaber zu bewundern und zu verehren.

 

In großem Maßstab ist die Situation die folgende: Das Osmanenreich dringt über den Balkan in Richtung Mitteleuropa vor und versucht in Italien Fuß zu fassen. Auf der anderen Seite hat Spanien sich dort schon etabliert und Frankreich versucht, vom Norden her dort einzudringen.

 

1477 heiratet Erzherzog Maximilian I. mit Maria die Erbin des Burgunder-Reiches. Dann ist da ihr Sohn Philipp, den die Flamen als ihren natürlichen Herrscher ansehen, und Maximilian, der direkt in die Niederlande hineinregieren möchte.

 

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Staatlichkeit: Königreiche, Fürstentümer und Städte

 

Staat ist einer der Begriffe, die bis heute gerne im Unklaren gelassen werden. Wenn wir ihn als einen differenzierten Machtapparat aus unterschiedlichen Institutionen definieren, rechtlich losgelöst von den Personen in diesen Institutionen, mit einem wenigstens kurzzeitig jeweils klar definierbaren Territorium und darauf lebenden Untertanen, dann ist das zu allgemein, um die spezifischen Gebilde zu definieren, die zwischen dem 10. und 18. Jahrhundert im lateinischen Abendland entstehen, - und es passt auch nur eingeschränkt.

 

Vor aller Staatlichkeit entsteht Herrschaft, wie sie sich in der Bronzezeit zum ersten Mal erkennen lässt, also die Machtergreifung weniger über die vielen, die so zu Untertanen werden. Solche Machthaber versuchen in aller Regel, die Macht in ihrer Familie zu halten, zwischen dem 10. und 18. Jahrhundert gelingt ihnen das sehr häufig für längere Zeit.

Erstes Ziel aller solcher Machthaber ist es, sich zu bereichern, und das erste Element von Staatlichkeit ist die Legalisierung der partiellen Beraubung der Untertanen. Zwei weitere Elemente kommen zu diesem Zweck hinzu: Eine Verwaltung zum Einziehen der erzwungenen Abgaben und ein Gewaltapparat, der dazu Zwang ausübt.

Schließlich sind die Machthaber, die Herrschaft ausüben, anderen Machthabern benachbart und konkurrieren mit ihnen, und zwar nicht selten gewalttätig. Der Gewaltapparat nach außen und nach innen kann sich ähneln oder sogar derselbe sein. In den letzten Jahrhunderten hat sich im Deutschen eingebürgert, dabei zwischen Polizei und Militär zu unterscheiden.

 

Neben den Herrschaften von Königen und denen von Fürsten in Spanien, den deutschen Landen und Teilen Italiens bilden sich im lateinischen Mittelalter auch als abendländische Besonderheit solche städtischer Oligarchien reicher und mächtiger Kapitaleigner heraus. Von ihnen überleben Venedig und einige Hansestädte am längsten.

In Florenz werden im 14./15. Jahrhundert die relevanten politischen Institutionen, die Arti der Gewerbe und die Marcanzia entmachtet und die Macht geht an einen miteinander konkurrierenden Klub schwerreicher Kapitalisten, von denen insbesondere die Medici aus dem Hintergrund operieren. Indem Italien in das Machtspiel der Spanier, der französischen Krone und von Habsburg gerät, verlieren die Städte dann aber ihre politische Bedeutung an Fürsten, die ihre wirtschaftliche Bedeutung nun nutzen. Florenz wird Hauptstadt eines (Groß)Herzogtums, das von fürstlicher Verwaltung beherrscht wird.

 

Das Kapital lernt, grob gesagt, im 15./16. Jahrhundert, dass der Staat auf seine Bewegungen längst angewiesen ist, und verzichtet so nach und nach auf politische Macht, da es von ihr als Juniorpartner anerkannt wird. Staaten sind inzwischen die Vertreter verallgemeinerter Kapitalinteressen, ja, diese definieren Staatlichkeit erst so recht.

 

Auch Herrschaft mit staatlichen Mitteln bedarf eines Territoriums, wobei es erklärtes Ziel vieler Machthaber ist, dieses mit friedlichen oder oft genug kriegerischen Mitteln zu vergrößern. Nach innen heißt das Unterwerfung von Fürsten, Adel und  Städten innerhalb des Territoriums durch Könige wie die von England oder Frankreich.

 

Staatlichkeit ist dabei wesentlich die Konzentration von Zuständigkeiten über den Lebensalltag der Untertanen, die diese wiederum finanzieren müssen. Je mehr Zuständigkeiten, desto mehr Verwaltung, in der eine alternative Karriere zu Adel und Kapital in der Identifikation mit der Machtzentrale gesucht werden kann. Das machen im 13./14. Jahrhundert die Stadtstaaten vor und zum anderen der süditalienische Staat Kaiser Friedrichs II. als Erbe der Normannen dort.

 

Von der Hoheit zur Souveränität: In seinen 'Sechs Büchern über den Staat' formuliert Jean Bodin 1576 im Zusammenhang mit den konfessionellen Bürgerkriegen in Frankreich das im König verkörperte Recht des Staates, Entscheidungen und Rechtsetzungen ungeachtet jeden Willens der Untertanen durchsetzen zu dürfen. In letzter Instanz formuliert Bodin damit das bis heute geltende staatliche Gewaltmonopol, anders gesagt, die legalisierte Wehrlosigkeit des Untertanen gegenüber dem Staat.

 

Die königliche Macht reicht allerdings selbst im fortgeschrittenen England des 16. und 17. Jahrhundert überall gerade so weit wie die Männer des Königs. An der Peripherie der Königreiche ist sie minimal, und im ganzen ländlichen Raum beschränkt sich die Obrigkeit auf lokale Grundherren und die Geistlichkeit. Letztere unter staatliche Kontrolle zu bekommen, wird ein zentrales Herrschaftsthema dieser beiden Jahrhunderte, und Reformationen sind die dienstbaren Geister auf diesem Weg, indem sie Kirche von Rom lösen und damit Fürsten anheim stellen. So wird der Protestantismus die Bewegung zur Verstaatlichung der kirchlich verwalteten Religion.

Diese in den Griff zu bekommen gibt es in deutschen Landen wie in England einen zweiten guten Grund: Bischöfe und Äbte sind oft sehr reich und inbesondere mit enormem Grundbesitz ausgestattet. Zudem reicht die Macht der Geistlichkeit eben bis in den hintersten Winkel: Moderne Staatlichkeit verlangt damals geradezu nach Verstaatlichung von Religion und Kirche.

 

Mit den starken Tudorkönigen, insbesondere mit Henry VIII und Elisabeth I wird in England aus der formalrechtlich feudalen Monarchie in kleinen Schritten die Frühform eines Staatswesens, in dem Förderung möglichst reibungsloser Kapitalverwertung als erstes gemeinwohl-orientiertes Staatsziel auftritt.

 

In Frankreich dauern die Kämpfe der Adelsfraktionen gegeneinander und gegen den Monarchen das 16. Jahrhundert hindurch an bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts, bis zur sogenannten absoluten Monarchie, die Richelieu und Mazarin für Louis XIV. schaffen. Hier wird der Adel fast zur Gänze unter die Fuchtel des Monarchen und seines sich ausweitenden Apparates gebracht, genauso wie auch das Bürgertum. Ein aus Herrschaftsinteresse unflexibel gewordenes Ständesystem korreliert mit einer zentralistischen Verwaltung mitten in die Regionen hinein. Wo sich in England Mitwirkung entwickelt, ist es in Frankreich rabiate Unterordnung. Für verfolgte Franzosen seit dem 16. Jahrhundert wird England Auswanderungsland, im 18. Jahrhundert sicherer Hafen für Schriftsteller und freie Geister.

 

In Nationen teilen sich die Studenten von Universitäten, also in Herkunftsregionen. In Pisa 1409 und in Konstanz 1414-18 teilt sich das Konzil ebenfalls in nationes auf, in Konstanz sind das Italica, Galicana, Germanica, Anglica und am Ende auch Hispanica. Die Germanica umfasst unter anderem auch Böhmen, Polen und Ungarn.

 

In die deutsche Sprache kommt das Wort Nation erst spät, im 16. Jahrhundert, und zwar wie so vieles aus Frankreich importiert. Inzwischen gibt es mit England, Frankreich und Spanien drei Nationen neuen Typs, alle drei verschieden erfunden, aber das ihnen gemeinsame Wort Nation bedeutet ohnehin etwas völlig anderes als früher einmal.

Was in England und Frankreich geschieht, lässt sich als Zerstörung der Regionen und ihrer - insbesondere sprachlichen - Eigenheiten zugunsten eines einheitlichen Herrschaftsraumes beschreiben. Nur so schafft sich das Machtzentrum sein Volk neuen Typs, einen zunehmend zu vereinheitlichenden Untertanenverband. So ist es denn auch die Herausbildung von zwei Nationen bildenden Machtzentren, die auf der iberischen Halbinsel Portugal aus einem spanischen Staatsverband ausgliedert  und dabei im Nordwesten die Galizier in zwei Herrschaftsräume aufteilt. Die Dominanz der kastilischen über die übrigen romanischen Sprachen und eines kastilisch-aragonesischen Herrscherhauses schafft dann jenes Spanien, welchem es aber bis heute nicht gelingt, alle Basken und Katalanen ganz zu integrieren.

 

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Seit dem 11./12. Jahrhundert ist der Weg des römischen Königreiches in eine Föderation von immer mehr erstarkenden Fürstentümern unter einem schwachen Königtum vorgezeichnet. Für das Deutschtum heißt das, dass es bereits im Verlauf des sogenannten Mittelalters im Westen und Süden zurückgedrängt wird, was man am Rückzug der deutschen Sprache dort am besten erkennen kann, während es sich nach Osten ganz erheblich ausdehnt, bis es nach den beiden Weltkriegen des zwanzigsten Jahrhunderts zum größten Teil auf das brutalste vernichtet wird und nur ein kleines Restdeutschland übrig bliebt.

 

Zwar gibt es einzelne Bildungsbürger in einigen deutschen Städten, die ein vages Bewusstsein von einer gemeinsamen deutschen Geschichte entwickeln, aber die Masse der Untertanen wird auf die jeweils herrschende Familie und ihr Territorium orientiert, ein Zustand, den Reformationen und Augsburger Religionsfriede noch vertiefen. Die komplette Entsolidarisierung der Deutschen findet dann in Kriegen gegeneinander statt, deren Krönung die der preußischen Hohenzollern im 19. Jahrhundert sein werden, die am Ende 1871 ein preußisches Großreich als Deutsches Reich definieren und damit alle auch ausschließen, die sie sich nicht unterwerfen können. Es ist dann nur noch konsequent, wenn Adolf Hitler 1933 de facto das Ende der deutschen Geschichte einläutet und eine Art Großreich weithin nach dem Muster des "Sowjet"Bolschewismus mitsamt den Hitlerschen Rassephantasien etablieren möchte. 

 

Wesentliche Opposition gegen die deutschen Fürstenstaaten leisten vor allem größere, sich selbstverwaltende Städte. Darum ziehen die Fürsten aus ihren angestammten Burgresidenzen in solche willfähigerer Orte, wie die fränkischen Zollern, der Kölner Erzbischof oder die sich von Braunschweig nach Wolfenbüttel bewegenden Welfen. Die Magdeburger Erzbischöfe weichen den massiven Konflikten in "ihrer" Stadt aus, unterwerfen Halle 1478 und bauen sich dort mit der Moritzburg eine modernere palastartigere Residenz. 1479 untersagen sie ihrer neuen Hauptstadt den Abschluss von Bündnissen und sorgen damit für ihre Trennung von der Hanse, die nur vullmechtige Städte als Mitglieder akzeptiert.

 

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Staaten sind von oben nach unten strukturiert und Erfindungen von Machthabern. Mit ihnen entsteht einer der neueren Volksbegriffe, der vom Untertanen-Verband. Dieser wird flankiert durch pseudo-ethnische Arroganz, auch als Patriotismus oder Nationalismus fungierend. Was im späten Mittelalter englische Ausländerfeindlichkeit ist oder entstehender französischer Nationalismus, entwickelt an abgespalteten oder sich abspaltenden Rändern der deutschen Lande besonders kuriose Phänomene, die sich aber nicht als Nationalismus erweisen, aber aus derselben psychosozialen Wurzel auftauchen:

"Erst in den 1480er und 1490er Jahren entsteht plötzlich und mit überraschender Vehemenz eine tiefgreifende Feindseligkeit zwischen denen, die als Kuhschweizer und denen, die als Sauschwaben beschimpft werden. Leute aus Appenzell werden in Konstanz als >Kuokiger< beschimpft, als >Kuhficker<. Und umgekehrt wird in der Eidgenossenschaft >Schwab< zum Schimpfwort. Raubzüge stellungsloser Söldner und rauflustiger Bauernsöhne aus der Innerschweiz hatten zu den Spannungen zwischen Schweizern und Schwaben im jetzt erst entstehenden Grenzraum ebenso beigetragen wie die unverhohlen auch gegen die Eidgenbossen gerichtete Gründung des Schwäbischen Bundes 1488. Aber die Schimpfworte begleiten nicht etwa die Politik, sie gestalten sie mit." (SchubertAlltag, S.319)

 

 

Monarchen: Maximilian / Karl V / Francois I / Henry VIII (Bis jetzt nur eine Idee)

 

***Der Glanz einer obsoleten Ritterlichkeit***

 

***Der Glanz der zunehmenden Prächtigkeit***

 

Das Mittelalter ist eine Erfindung des 15./16. Jahrhunderts, die Renaissance eine des 19. Sehr derb ausgedrückt handelt es sich um Vermarktungsstrategien von Intellektuellen, Literaten und Künstlern. Eine auch nur ansatzweise Wiedergeburt der Antike hat es nach ihr nie mehr gegeben, vielmehr in jeder Beziehung eine kontinuierlich zunehmende Entfernung von ihr.

 

Die bei Einzelnen feststellbare Emanzipation des später so genannten Kunsthandwerks in das hinein, was dann später in den extrem verengten neuen Kunstbegriff mündet und ihre zunehmende Verweltlichung, ist wesentlich eine Folge des sich immer weiter entfaltenden Kapitalismus. Die neue Kunst ist Prachtentfaltung immer reicher werdender Reicher.

 

Die Paläste hoher Adeliger und Fürsten wie die reicher Kapitalisten werden immer größer und immer kostspieliger ausgestattet. ob in Florenz, an der Loire oder in England. In sie fließt viel produktive Arbeit und distributive Macht: Macht muss als Reichtum dargestellt und offensichtlich werden.

 

1229 lässt Henry VIII die Küchen von Hampton Court erweitern. Es handelt sich nun um 55 Räume mit einer Fläche von rund 300 m², in der 200 Leute für 600 Menschen bei Hofe arbeiten. Es gibt 3 große Keller für Wein und Bier. 27 000 Hektoliter Bier sollen pro Jahr konsumiert worden sein. In 300 Eichenfässern lagert Wein vorwiegend aus der Gascogne, aus denen 680 Hektoliter jährlich entnommen werden. Es wird vorwiegend Fleisch gegessen, und alleine zum Grillen desselben an Spießen wird täglich eine Tonne abgelagertes Eichenholzes verbraucht. Der Tudormonarch ist allerdings selbst ein besonderer Fall von Verfressenheit und verfettet im Laufe seines Lebens so stark, dass er sich irgendwann kaum noch bewegen kann.

 

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***Je mächtiger, desto gieriger***

 

Fürstliche Justiz: Obrigkeit und Staatlichkeit in deutschen Landen

 

Die städtische Obrigkeit wie die Fürsten-Herrlichkeit annektieren zunehmend die verrechtlichte Konfliktlösung wie die Justiz als Herrschaftsinstrumente. Das Gericht tagt zunehmend hinter verschlossenen Türen und schließt damit die Öffentlichkeit aus.

"Im Verlauf des 16. Jahrhunderts stößt die Rechtssitte des Abbittens immer härter mit der an den Fürstenhöfen entstehenden Auffassung zusammen, dass das Strafrecht auf Normen beruhe, die durchzusetzen seien, denn die auf Privilegien gestützte städtische Freiheit vertrug sich nicht mit dem neuen Gedanken des landesherrlichen Gesetzes und seinen erheblichen verfassungsgeschichtlichen Konsequenzen. Das Gnadenrecht wurde den Städten in der frühen Neuzeit von den Landesherren bestritten." (Schubert Räuber, S.60)

 

Die Sitte, bis ins 13./14. Jahrhundert männlich, dann über den Plural weiblich werdend, waren in Kulturen jene Gebräuche, aus denen gemeinschaftliche Lebensformen bestehen und die durch Tradierung fortgesetzt und verändert werden. In den mittelalterlichen Zivilisationen sind sie durch christliche Doktrin und weltliche Macht bereits gebrochen, behalten aber im Plural unter solchen Bedingungen immer noch Einfluss. Mit der Annektierung der Rechtssetzung durch die Fürstenmacht wird ihre Bedeutung immer weiter eingeschränkt. Das Resultat ist die Begriffsverengung des Sittlichen hin zum Moralischen, welche Kirche wie weltliche Macht vorantreiben und welche durch den Kapitalismus parallel gefördert wird.

 

Genau parallel dazu verengt sich auch der Tugendbegriff. der ursprünglich Tauglichkeit meint und dann besonders auf die kriegerischen freien Männer zugeschnitten wird, ähnlich wie areté und insbesondere virtus. Unter christlichem Einfluss wird dieser, dem evangelischen Jesus so fremde Begriff zunehmend bei Frauen auf ihre Keuschheit, also voreheliche Enthaltsamkeit und eheliche Treue eingeengt. Mit den Tugenden und Lastern wird er parallel dazu moralisiert.

 

Öffentlichkeit besteht aber weiter auf dem Weg des Verurteilten zur Hinrichtung und bei dieser selbst. Dabei wird das Moment der Abschreckung als Wesenszug der Strafe immer stärker, um dann insbesondere im 17./18. Jahrhundert zuzunehmen, als die Machthaber die dabei allerdings seltener werdenden Todesstrafen als "aufwendige Spektakel" (Ernst Schubert) inszenieren. Sie erzieht damit die Untertanen zu einer Schaulust am Schrecklichen, welche allerdings sowieso bei vielen fast als anthropologische Konstante erscheint.

 

Nun zu Schaulustigen degradiert, wird der Öffentlichkeit oft schon im 16. Jahrhundert das Recht des Abbittens von Verurteilten (siehe...) genommen und das Gnadenrecht erst zu einem Standesrecht und dann zu einem Monopol der Fürsten gemacht. Ein so berühmter Theologe wie Philip Melanchthon wenigstens kann noch 1553 einen Giftmörder vom Strang losbitten. In dieser Zeit beschließen aber schon Gemeinden, das "Losheiraten" von Verurteilten zu verbieten. Am frühesten versucht schon im 15. Jahrhundert Straßburg, das Abbitten abzuschaffen. Um 1600 hat der Nürnberger Rat das Abbitten vom Galgen fast völlig unterbunden.

 

Das führt immer wieder zu Konflikten, auch wenn sich im Verlauf des 16. Jahrhundert das ausschließliche Begnadigungsrecht der Fürsten durchsetzt.

 

"1551 erheben in der Stadt Hof die Frauen den Anspruch, Gnade zu erwirken. Zwei Mordbrenner sollten damals die Spiegelstrafe des Verbrennens erleiden. Prozessionsartig ziehen die Frauen der Stadt vor das Haus des für diesen Prozess abgeordneten fürstlichen Richters und Erbitten das Leben des Verurteilten. Sie werden brüsk zurückgewiesen. Schon bei der Hinrichtung werden wegen dieses arroganten, mit dem Rechtsstandpunkt der Bürger unvereinbaren Verhaltens des Richters, des Vorsitzenden der fürstlichen Komminssion, Schimpfworte und Drohreden laut, und nach deren Vollzug, als die Kommissionsmitglieder Mittagstisch halten, kommt es zu einer Zusammenrottung, die da fordert: Schießt sie tod! Stecht sie tod! Lasst der Schelme, der Bluthunde keinen leben! Nicht die gefährlichen Mordbrenner  sind die Bluthunde, sondern die Mitglieder der herzoglichen Kommission. Sie haben sich mit der Hinrichtung an Christen vergangen, als ob es sich um Juden handele (...) und vor allem haben sie das Recht der Frauen zu Hof und damit zugleich das Recht der Bürger missachtet. Sie haben arme Christenmenschen verbrennt, als wenn es Juden wären! Sie haben unserer frommen Weiber Vorbitte verschmäht. Sie haben uns Hofer Bürger verachtet. Bei dem anschließenden Aufruhr kamen fünf Adelige aus der fürstlichen Kommission, darunter der Kommissar selbst, ums Leben. Dennoch ließ der Fürst die Angelegenheit (...) schließlich ohne Bestrafung auf sich beruhen. (SchubertRäuber, S.60f)

 

Im 16. Jahrhundert wird die Folter im Beweisverfahren immer häufiger, worauf die Gesetzgebung wie die Peinliche Halsgerichtsordnung Karls V. 1531 mit gewissen Einschränkungen reagiert. Zudem müssen nun Indizien vorliegen, die auf Tat und Täter hinweisen. Manchmal werden Geständnisse schon erzwungen, wenn man dem Verdächtigten die Folterwerkzeuge zeigt.

Die Formen des Folterns werden dabei unter dem Einfluss der Hexenprozesse allerdings immer grausamer, ja: sadistischer. Man hält Feuer unter die Achselhöhlen, schneidet die Fußsohlen ab und streut Feuer in die offene Wunde. Die Beinschraube wird erfunden. Was bis ins 15. Jahrhundert noch undenkbar war, geschieht nun ebenfalls: Man befragt das arme Opfer während der Folter.

 

Ansatzweise im 17. und dann im 18. Jahrhundert setzen juristische Vertreter der "Aufklärung" sich für Einschränkungen ein, die zur Hinzuziehung von Ärzten in einzelnen Fällen führen und die 1771 im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel als "aufgeklärter" Herrschaft zur letztmaligen Anwendung der Folter führen.

 

Mit der Fürstenherrlichkeit breitet sich im 16. Jahrhundert der Beruf des Henkers weiter aus, eines der sichtbaren Zeichen von Staatsmacht. Dabei ist er nun den kleinen Amtsstädtchen zugeordnet. Die Gebühren ernähren ihn dort nicht, er ist auf Nebeneinkünfte angewiesen.

Henker als Instrument der Obrigkeit werden durch bestimmte Kleidung markiert und in städtischen Ordnungen des 16. Jahrhunderts immer stärker ausgegrenzt.

Der Straßburger Nachrichter "soll auf der Straße frommen, ehrsamen Leuten Platz machen, soll auf dem Markt keine Waren anfassen, es sei denn, er wolle sie kaufen, in der Kirche darf er sich nur an ein sunder ort stellen, und vor allem darf er in keinen weg in Gesellschaft der Bürger essen und trinken.(...)" Anderswo durfte er "an Hochzeiten ehrbarer Leute (...) nicht teilnehmen, angesehene Gasthöfe waren ihm verschlossen; Gnade bedeutete es schon, wenn er in einem Dorfwirtshaus auf einem besonderen, abseits stehenden Stuhl sitzen durfte. Auch seine Wohnung am Stadtrand, in verachteter Gegend, oft in Brückennähe, fast stets aber isoliert von den Häusern der Bürger, ließ ihn als Außenseiter erkennen." (SchubertRäuber, S.75)

 

Mit den Einnahmen aus dem Schindanger, wo auch verendete Tiere landen, einer im 16. Jahrhundert steigenden Besoldung und den vielen Einzeleinkünften aus Körperstrafen wie dem häufigeren Abschneiden von Ohren oder dem selteneren von Fingern oder dem Blenden zum Beispiel gewinnen einzelne Henker eine gewisse Wohlhabenheit, an der aber die Schinder selbst kaum teilhaben.

"Meister Augustin, der Henker des Brandenburger Markgrafen Kasimir, verdiente 1525 ein Vermögen von 114 fl., als er nach dem Bauernkrieg bei der Strafexpedition seines Herren durch das Frankenland 80 Enthauptungen vollzog und 69 Aufständischen die Augen ausstach oder die Hände abschlug." (SchubertRäuber, S.78)

 

Schließlich wird das Nachrichten zum Lehrberuf mit Meistertitel und er selbst nun langsam in belesenen Kreisen zwischen "Humanismus" und "Aufklärung" ehrbarer, beim "einfachen Volk" aber kaum.

 

Immer häufiger wird die von den Städten übernommene Strafe der Verbannung als "Landesverweisung": Die Obrigkeit sucht sich die tauglichen Untertanen aus. Die Strafe trifft im 17. Jahrhundert "den harmlosen Vaganten und den kleinen Bienendieb ebenso wie den Schwerkriminellen." (Schubert Räuber, S.124) Dabei wird der Kreis der Landfahrer, Jauner und Gauner anderswo erweitert. Zuvor gibt es die Brandmarkung - erst im Gesicht und dann zwischen den Schulterblättern, die noch im 18. Jahrhundert üblich ist.

 

Ähnlich wie die Verbannung bedeutet auch der Verkauf verurteilter Verbrecher durch die städtische und fürstliche Obrigkeit insbesondere aus Süddeutschland als Galeerenhäftlinge an Genua und Venedig vor allem, in welchem Maße neue Staatlichkeit Untertanen als eine Art Eigentum und Verfügungsmasse für Staatseinkommen betrachtet. Ein erster Gipfel wird erreicht, wenn dann teilweise gepresste hessische Soldaten im 18. Jahrhundert nach Nordamerika dauerhaft vermietet bzw. verkauft werden. Die Strafe auf den Galeeren wird in Frankreich erst im 19. Jahrhundert abgeschafft.

 

Im späten Mittelalter kennen die Städte das Stäupen am Pranger und überhaupt die Prügelstrafe, die ohnehin Zivilisationen kennzeichnet, in denen der Herr den Knecht nach Gutdünken schlägt. Zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert entwickelt sich sich auch jenseits jeden Strafrechts das Einprügeln von Stadtknechten, Amtsleuten und früher Polizei auf Unterschicht und Randgruppen, Mittel zum Vertreiben herumziehender Vagabunden, von Zigeunern und anderen unliebsamen Menschen.

 

Im späten Mittelalter taucht Haft in den Städten nur zum Erpressen von Geldstrafen und zur kurzen Einsperrung vor dem Strafvollzug statt. Ab dem 15. Jahrhundert entwickelt sich an ersten Orten der Gedanke von Einkerkerung als Strafe. Ein frühes Beispiel ist Erfurt, wo der Rat 1447 eine zucht unde ein beheltenisz erbauen lässt, unde nanten das Pardisz. Es sollte aber nur zur Disziplinierung der unruhigen Studentenschaft dienen. (SchubertRäuber, S.136) Im 16. Jahrhundert werden dann Haftstrafen häufiger bei Sittlichkeitsdelikten. In der Regel dient ein Stadtturm als Verließ unter schrecklichen Bedingungen.

 

Wenn dann eigene Gefängnisse gebaut werden, ist der Aufenthalt dort nicht viel annehmlicher. Die Gefangenen sind der Willkür brutaler Wärter ausgesetzt wie auch deren Prügeleien. Noch Charles Dickens wird die schrecklichen Bedingungen in englischen Gefängnissen des 19. Jahrhunderts beschreiben.

 

 

Mit dem tuchthuis von Amsterdam 1595 als Vorbild entstehen dann in großen deutschen, zunächst norddeutschen Städten Anfang des 17. Jahrhunderts Zuchthäuser. Von der Fassade her als Prachtbauten angelegt, handelt es sich, wie schon der Name sagt, um eine Kombination von Strafe und Erziehung durch die Staatsmacht. Die Erziehung besteht dabei in Zwangsarbeit vom Brillenschleifen bis zum Spinnen. Zum Teil findet solche Arbeit auch draußen in Ketten oder mit Fußfesseln statt, als Straßenbau, Straßenreinigung oder Festungsbau.

 

Die Idee, dass missglückte Integration in den Untertanenverband des Staates in Bereichen der Unterschichten durch staatlich verordnete Erziehung kompensiert wird, beruht auf dem sich immer mehr durchsetzenden Gedanken, dass zumindest unterhalb von Kirche und Adel Untertanen quasi Eigentum in der Verfügungsgewalt dieses Staates sind, ein Gedanke, der sich dann bis heute für alle durchsetzt. Die Idee korrelliert mit jenem Gedanken, der im 20. Jahrhundert als "Resozialisierung": Strafe auch zum Zweck der "Besserung". Unter den Bedingungen des 17. bis 19. Jahrhunderts mit Überfüllung, fehlender Hygiene, miserabler Ernährung und Wärterwillkür mit regelmäßigem Prügeln wird mehr noch als heute eher das Gegenteil erreicht. Dazu kommt, dass Urteile oft nicht einmal die Dauer der Strafe festlegen.

 

Die Idee, dass sich Zuchthäuser als Anstalten der Zwangsarbeit selbst tragen oder gar Gewinn abwerfen könnten, bleibt ebenfalls illusorisch, auch wenn dann reine Strafanstalt und Zwangsarbeits-Haus getrennt werden.

 

Spätestens im 18. Jahrhundert sind Zuchthäuser überall überfüllt, da man neben Dieben Vagabunden, Zigeuner, ja Alkoholiker und Faulenzer, Bettler und selbst Kinder hier einsperren will. Schon in Hamburg 1614 soll das neue Zuchthaus dazu dienen, dass dadurch die Armen unterhalten und die Bettler abgeschafft werden. Die Straße soll, heißt es andernorts, so viel als muglich von dem Gesindel gesäubert werden.  (SchubertRäuber, S. 148)

 

1743 schafft der preußische zweite Friedrich die Todesstrafe ab und 1771 geschieht dasselbe in den Herzogtümern Schleswig und Holstein. Das ist sicher auch Resultat von Argumentationen akademischer Juristen, die jener Vorstellungswelt verpflichtet sind, die sich dann im Nachhinein Aufklärung nennt und in Cesare Beccaria einen bedeutenden Vertreter hat. Dieser neue Rationalismus aber wirkt nur auf wenige Fürsten, den kleinen Kreis eines "Bildungsbürgertums", darunter auch einige Richter, ein und bleibt ein zweischneidiges Schwert, vertritt er doch am Ende im Ergebnis einen immer totalitäreren Staat.

 

Totalitärer Staat: Sittlichkeit statt Sitte

 

Sitte bezeichnet im Mittelalter zunächst die gebräuchliche und auf Konsens beruhende Lebensform. Schon im 15. Jahrhundert deutet sich eine Tendenz zur Normierung, also auf Transformation von Sitte in das an, was dann Moral heißen wird. Das Wort Moral erscheint dann auch im 16. Jahrhundert in der deutschen Sprache.

Was da sprachlich geschieht, reagiert auf einen Verfall tradierter Vorstellungen im Zuge des alles durchdringenden Kapitalismus. Es verbindet sich aber einerseits mit den Reglementierungsbestrebungen der Reformationen und andererseits mit den totalitären Bestrebungen der Fürsten in der Durchsetzung von Staatlichkeit.

 

Das mag auf den ersten Blick kurios wirken, findet doch im 20. Jahrhundert in den klassischen Metropolstaaten des Kapitals unter den Bedingungen des Konsumismus der Massen eine genau gegenteilige Bewegung statt, die seit dem Ende des zweiten Weltkrieges insbesondere ein völlig bindungsloses Ausleben des Geschlechtstriebes und damit verbunden einen auf rauschhaften Konsum orientierten Amüsierbetrieb propagiert. Verständlich wird das nur, wenn man die Operationen global operierender Kapitalgesellschaften als ein Verfallsstadium von Kapitalismus versteht, in dem Sittlichkeit zum Hemmschuh für Konsumismus wurde. Sie wird darum ersetzt durch parareligiöse Politideologie, ein Vorgang, der schon 1776 und 1789 durchbricht - und wird im 20. Jahrhundert beantwortet durch einen zunehmend die Erde umspannenden archaischen, also re"politisierten" Islam.

 

Schon die Kirche hatte den Sündenbegriff massiv um die menschliche Geschlechtlichkeit kreisen lassen, aber da sie ihre Rechtfertigung aus der allgemeinen Sündigkeit der Menschen herleitete, griff sie bis in die Frühzeit des 15. Jahrhunderts nur in bescheidenem Umfang ein. Das beruhte einmal auf der Tatsache, dass sie des weltlichen Armes dafür bedürfte, aber auch darauf, dass die menschliche Sündhaftigkeit bei den meisten Menschen gar nicht zu beseitigen war.

Es ist der immer weltlichere Staat, der nun aus der Sünde auch im geschlechtlichen Raum das Verbrechen macht, ein Wort, was sich überhaupt erst jetzt in der deutschen Sprache verbreitet. Dabei wird nicht nur die Liste der Delikte größer, sondern sie werden zunehmend auch als "Unzucht" strafverfolgt. Dazu gehören die beiden Formen der "Sodomie", des Geschlechtsverkehrs mit Tieren und die gleichgeschlechtliche zwischen Menschen, der voreheliche Koitus und der Ehebruch und vieles mehr. Gelegentlich wird sogar  eine andere als die übliche Stellung beim Koitus strafbewehrt.

 

War all das vor allem auf dem Lande oft mit einem Mantel des Schweigens bedeckt, wurde es nun von der weltlichen Strafverfolgung in die Mitte ihres Interesses gerückt. Damit werden "Sittlichkeitsverbrechen" nun häufiger verfolgt als selbst der so häufige Diebstahl. In manchen Gegenden wird alleine schon die Homosexualität nach Diebstahl und Mord zum dritten am häufigsten verfolgten todeswürdigen Delikt. Todeswürdig wird nun auch der Inzest.

 

Viele Dinge kommen da zusammen: Die bürgerlichen Ehrbarkeitsvorstellungen im Handwerk, die Gnadenlosigkeit reformatorischer Bewegungen, aber am wichtigsten ist wohl die Vorstellung der Vertreter der Staatlichkeit, dass die Untertanen Eigentum der Machthaber seien: Die Triebhaftigkeit dieser Untertanen ist ganz auf Fortpflanzung zu konzentrieren, denn mit der Vermehrung der Untertanen steigt das Maß an Einnahmen der Obrigkeit, die ihnen abgepresst werden können. Später wird dazu kommen, dass männliche Bevölkerungsüberschüsse für Heere genutzt werden können, die der fürstlichen Machterhaltung und - Erweiterung dienen sollen.

 

In diesen Zusammenhang gehört die immer rabiatere Verfolgung von Abtreibung und Kindstötung, im wesentlichen Armutsphänomene einer weiblichen Unterschicht, der immer weiter von ihren Dienstherren sexuell nachgestellt wird und die mangels brauchbarer Empfängnisverhütung keine andere Möglichkeit sieht, Lebensunterhalt und minimale Ehrbarkeit aufrecht zu erhalten. Wenn die Reichen und Mächtigen im Sinne neuer Sittlichkeit sich selbst den Normen entziehen, regeln sie solches, sofern überhaupt Reglungsbedarf besteht, im wesentlichen untereinander.

 

Nicht so leicht zu fassen ist das in der (Unterhaltungs- und Belehrungs)Literatur eher greifbare Phänomen der Verunsicherung der Menschen angesichts der Umwertung aller Werte, die sich in der immer deutlicheren Käuflichkeit der Menschen insbesondere in den Städten niederschlägt, also der Erfahrung, dass vor allen Sitten und Gebräuchen, allen kirchlichen Predigten Geld oberster Wert geworden ist. Eine solche Verunsicherung durch Haltlosigkeit neigt dazu, dem Staat immer weitergehende Eingriffe in das zu erlauben, was bislang de facto noch privat war.

 

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In diese Entwicklung ist auch der Zug zur Illegalisierung der Prostitution einzuordnen. Zwar wird das Schließen von Badehäusern und oft auch bislang legalen Bordellen gerne mit der Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten begründet, aber es entspricht auch den neuen Moralvorstellungen. Die Syphilis als allgemeine Seuche wird seit der Rückkehr von Kolumbus aus Amerika als sich rasch ausbreitende Seuche wahrgenommen und es sagt viel über das Sexualverhalten der Menschen in den Städten, wenn sie gelegentlich die anderen Seuchen in den Städten übertrifft.

Mit der Illegalisierung wird die Prostitution aus dem städtischen Regelwerk genommen und einer weitergehenden Kommerzialisierung unterworfen. Zugleich verteilt sie sich stärker über die Straßen und Plätze und die Landschaft. In der Illegalisierung verbindet sie sich mit der sonstigen Kriminalität zu einer gemeinsamen Unterwelt.

 

Sind es zwar vor allem Sexualdelikte, die nun verfolgt werden, so hängt sich daran ein ganzer Rattenschwanz an Geboten und Verboten, die zum guten Teil damit zusammenhängen: Züchtigkeit der Kleidung, der Tänze, Diskriminieren des übermäßigen Alkoholkonsums mit seiner enthemmenden Wirkung und vieles mehr. Obrigkeit und Kirche vereinen sich in einer zunehmenden Erziehungsdiktatur, die ihren ersten Höhepunkt viel später in der Pflicht zum Besuch staatlich lizensierter Schulen als Propagandainstrument, der Wehrpflicht zur weiteren Normierung und der Arbeitspflicht (im Fabriksystem) haben wird.

 

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Was Verbrechen ist, bestimmen in Zivilisationen die Machthaber, wobei sie allerdings das Einverständnis der Untertanen suchen müssen. Deshalb gelten Mord und Totschlag von Militärs im Krieg und durch Büttel der Macht wie die Polizei so wenig als Verbrechen wie das Berauben der Bevölkerung durch Abgaben und Steuern.

Wenn man die Selbst-Legalisierung von Verbrechen durch den Staat abzieht, betreibt er in großem Maßstab organisierte Kriminalität. - und das heute mehr denn je. Deshalb duldet er illegales organisiertes Verbrechertum als Schattenwirtschaft auch heute, soweit es zum Steueraufkommen beiträgt und soweit es, wie in der BRD, nicht mit dem Staat konkurriert, sondern sich in ihn einordnet. Überhaupt macht gerade Professionalisierung organisierte Kriminalität zum wohlgeordneten Partner der Staaten.

Die Bandenbildung im späten Mittelalter ist ihrem Wesen nach verschieden von moderner organisierter Kriminalität. Vielmehr ist es damals so, dass das Raubtier-Verhalten von Fürsten und bewaffnetem Adel von "kleinen Leuten" kopiert wird, um selbst auf Raub in größerem Maßstab auszugehen. Zwischen der Piraterie als Kaperschiff im Auftrag der Hanse oder von Fürsten des 16.-18. Jahrhunderts und der selbst initiierten Seeräuberei bestehen bis ins Personelle hinein fließende Übergänge. Dasselbe betrifft das Söldnerwesen, legalisiert als Auftrag von Fürst oder Stadtrepublik, illegalisiert, sobald der Auftrag vorbei ist. Alleine insofern lässt sich Obrigkeit ganz allgemein auch als Förderbetrieb von Verbrechertum beschreiben.

 

Die Idealisierung der Räuberbanden zur See und an Land geschieht bei Robin Hood wie bei den Vitalienbrüdern erst, nachdem deren Grausamkeiten verblasst sind. Sie kommt den werdenden Staaten gelegen, soweit sie Opposition in Konkurrenzverhalten zum Staat ableitet, und beschäftigt die Gemüter der Untertanen dann als Tröstung gegenüber staatlicher Übermacht. Die wenigstens haben es ihnen gezeigt...

In der Moderne seit 1776/1789 hingegen geschieht etwas neues: Unter dem Revolutionsbegriff, unter dem nunmehr politisierte Verbrecherbanden sich der Staatsmacht mit Mord und Raub und allem, was sonst noch dazu gehört, bemächtigen, wird das Verbrechen schon dadurch im Nachhinein legalisiert, dass  im Namen irgendeinen "Fortschritts" sich des Staates bemächtigt. Ob Jakobiner, Bolschewiken, Nationalsozialisten oder Islamisten, keine Zeit ist von soviel nun politisch deklariertem Verbrechen heimgesucht wie die Moderne, die sich dabei weiterhin aber die beste aller bisherigen Epochen feiert.

 

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ln den Zusammenhang der Ausweitung von Staatsmacht und Untertänigkeit ist auch die Verfolgung von Zauberern und Hexen einzuordnen, die im Verlauf des 16. Jahrhunderts eine neue Qualität erhält und zum Massenphänomen insbesondere auf dem Lande wird. Das Wort Hexe kommt erst Anfang des 15. Jahrhunderts in den deutschen Sprachgebrauch, das Wort Hexerei im 16. Zunächst verfolgt wird nur der aus dunkler Vergangenheit herrührende Schadenszauber, den Männer wie Frauen ausüben können.

Ende des 15. Jahrhunderts findet ein Vorgang der "Verwissenschaftlichung" statt, der mit dem Hexenhammer (Malleus maleficarum) des dominikanischen Inquisitors Heinrich Kramer (Institoris) beginnt, der 1486 in Speyer gedruckt wird. Damit versucht der Inquisitor seine drastischere Verurteilung von Hexerei zu begründen, ohne zunächst damit großen Einfluss zu gewinnen. Gipfeln wird die Verwissenschaftlichung in dem Propagandisten fürstlich-totalitärer Staatlichkeit Jean Bodin mit seiner Dämonologie von 1580.

 

Bevor die Hexenverbrennungen zwischen 1580 und 1650 in England und den deutschen Landen zu einem Massenphänomen werden, zieht seit Institoris die Misogynie in das Hexenthema ein. Dabei werden ländliche Vorstellungen von Schadenszauber durch protowissenschaftliche Argumentationen immer mehr von oben in der vor allem ländlichen Bevölkerung kriminalisiert und dabei zunehmend auf Frauen und ihre magischen Talente konzentriert. Das verbindet sich dann mit der sexualisierten obrigkeitlichen Moral, wobei Moral dieser Art immer an Angstphänomene gekoppelt ist. Ländliche Vorstellungen von Hexensabbat mitsamt Besenflügen und Hexentanz werden mit der "Buhlschaft" mit dem Teufel, der in die Frauen hineinfährt, wie auch immer, gekoppelt.

 

Die vergleichsweise harmlosen Vorstellungen in der Landbevölkerung von Dämonen und ihrem Treiben werden durch Pseudowissenschaftlichkeit zu Doktrinen, die dann systematisch in die Bevölkerung hinein missioniert werden. Damit wird immer mehr vom archaischen Aspekt des Schadenszaubers abgesehen und das Augenmerk vom Delikt auf den Delinquenten gerichtet. Es sind die Gelehrten und ihr Staat, der dann die vom Kapitalismus angereicherten Konflikte in den Dörfern zum einen nutzen, um Denunzianten zu finden und über die Anwendung von Folter und Verbrennung Massen-Hysterie zu erzeugen. Das "nachbarschaftliche Denken muss zutiefst zerrüttet gewesen sein, wenn Hexenrichter Erfolge verzeichnen konnten." (SchubertRäuber, S.244)

 

Vor dem vom Staat inszenierten Hexenwahn stand der aus der Bevölkerung aufsteigende Judenwahn. Solcher Wahn, vom klinischen Wahnsinn durchaus zu unterscheiden, ist in dieser Zeit wohl ein Spezifikum der Umbrüche, die Kapitalismus hervor ruft, wobei Ängste auf geeignete Objekte gerichtet werden, die erlebten Opferstatus in den von Tätern verwandeln. Das Beunruhigende am Hexenwahn zwischen 1580 und 1650 ist das Bündnis von Massenhysterie mit der Macht, etwas, was sich dann bis heute immer neue Formen suchen wird.

 

 

Der Krieg

 

Seit dem 12. Jahrhundert werden Kriege oft mit einem durch Söldner verstärkten Adelsaufgebot geführt, wobei Kosten des Adels auch zunehmend auf die Kriegsherren abgeladen werden. In den nächsten Jahrhunderten nimmt der Söldneranteil immer mehr zu, wobei das Söldnerwesen von unternehmerisch handelnden Söldnerführern organisiert wird, die sich von den kriegführenden Machthabern bezahlen lassen und die Bezahlung dann an ihre militärischen Abteilungen weiterleiten. Im Hundertjährigen Krieg und in den Kriegen der norditalienischen Stadtstaaten und Roms verselbständigen sich solche Söldnertruppen immer mehr, was dazu führt, dass sie in Zeiten ohne Auftrag auf eigene Rechnung marodieren, zerstören, verletzen, vergewaltigen und töten.

 

Der Landsknecht-Unternehmer Georg von Frundsberg wirbt im Auftrag Karls V. rund 12 000 neue Söldner an. Bei Piacenza vereinigen sie sich mit spanischen Truppen des Charles de Bourbon. Diese rund 22 000 Deutschen, Italiener und Spanier warten auf Sold, der nicht kommt. Papst Clemens VII. verspricht einem kaiserlichen Gesandten 60 000 Gulden (neben zu erwartender Beute), was für die Soldateska zu wenig ist, die sich gegen ihre Oberen empört. Charles de Bourbon flieht, und Frundsberg kann sie bei Bologna nur damit beruhigen, dass er das Geld selbst in Rom abholen wolle. Als er einen Schlaganfall erleidet, kehrt Charles de Bourbon zurück und verspricht immer höhere Summen.

Am 5. Mai erreichen die empörten Truppen Rom, im Verlauf des nächsten Tages wird die Stadt gestürmt. Die Kardinäle flüchten in die Engelsburg, die Häuser von arm und reich werden geplündert, den Reichen werden zudem hohe Summen abgepresst. Auch die Kirchen werden ihrer geldwerten Schätze beraubt.

Im Sommer flieht die Söldnerschar in die Berge, um bis zum Herbst den Römern immer mehr abzupressen. Zwischen Herbst und Spätwinter ziehen die Truppen dann wieder ab; ein stattlicher Teil war trotz der Beute inzwischen gestorben, teils an Hunger, teils an Krankheit. Die übrigen suchen neue Kriegsschauplätze.

 

 

Adel

 

Die Ausgaben des Adels verlagern sich schon im späten Mittelalter immer mehr auf die Bezahlung von Söldnern und eine sta desgemäße Hofhaltung. Um sich insbesondere letztere weiter leisten zu können, wird versucht, in Verbesserungen der Grundherrschaft und in kommerziellen Investitionen einen Ausweg zu finden wenn nicht gar ritterliches Kriegertum offener als zuvor in Räuberei ausartet.

 

In seinem berühmten Brief an den großbürgerlichen Pirckheimer von 1518 beschreibt Ulrich von Hutten sein elendes Burgleben, dort, wo Burgen nicht im palastartige Gebäude umgebaut werden:

Die Burg selbst, ob sie auf dem Berg oder in der Ebene liegt, ist nicht als angenehmer Aufenthalt, sondern als Festung gebaut. Sie ist von Mauern und Gräben umgeben, innen ist sie eng und durch Stallungen für Vieh und Pferde zusammengedrängt. Daneben liegen dunkle Kammern, vollgepfropft mit Geschützen, Pech, Schwefel und sonstigem Zubehör für Waffen und Kriegsgerät. Überall stinkt es nach Schießpulver; und dann die Hunde und ihr Dreck, auch das - ich muss es schon sagen - ein lieblicher Duft! Reiter kommen und gehen, darunter Räuber, Diebe und Wegelagerer. Denn fast für alle stehen unsere Häuser offen, weil wir nicht wissen, was das für Leute sind, oder uns nicht groß danach erkundigen. Man hört das Blöken der Schafe, das Brüllen der Rinder, das Bellen der Hunde, das Rufen der auf dem Feld Arbeitenden, das Knarren und Rattern der Fuhrwerke und Karren; ja sogar das Heulen der Wölfe hört man in unserem Haus, weil es nahe am Wald liegt. (in: Ertl, S.182)

 

Das, was Hutten hier beschreibt, ist nicht neu, hebt sich aber nun immer stärker von städtischen Bequemlichkeiten wohlhabender Bürger ab.

 

Kapital und Macht

 

Das Verhältnis zwischen Kapital und politischer Macht verändert sich im 16. Jahrhundert, als Staaten ihre Finanzen etwas solider ordnen und zugleich die Banken geschickter im Umgang mit Staatsschulden werden.

Die Grenzen zwischen beiden verschwimmen aber überall dort, wo vor allem in Frankreich Unternehmer über den Zugang zum Hof auch Zugang zum Adel suchen. Ein bekanntes Beispiel ist der Florentiner Antonio Gondi, der über den Aufkauf von Landgütern in den Adel aufsteigt und zugleich dem König als Steuereintreiber dient. Von seinem ersten Tätigkeitsbereich in Lyon wechselt er 1550 an den Hof von Paris. Einer seiner Söhne wird dann Bischof von Paris, ein anderer Marschall von Frankreich, während eine Linie als Bankiers in Lyon bleibt. Nachfahren werden dann zu Herzögen und Kardinälen von Retz.

 

Die Könige und Fürsten, die sich selbst und ihren Staat nunmehr auf Kredit finanzieren, besitzen die herrschaftliche und damit militärische Macht und können es sich gegenüber auch großen Kapitalien leisten, säumige Schuldner zu sein. Als Beispiel mag die Lübecker Handels-Firma Loitz/Krockow dienen: ""Gegen 1570 war Karl IX. von Frankreich Krockow 500 000 Gulden schuldig, der Markgraf von Brandenburg 200 000 Taler, die pommerschen Fürsten 100 000, der König von Polen fast 300 000." (Dollinger, S.465) Beim Tod des letzteren 1572 ist die Firma dann zahlungsunfähig-

 

****Habsburger und Spanien****

 

Im europäischen Bankwesen in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts verlieren florentinische Banken an Bedeutung gegenüber denen aus Süddeutschland und Genua. Letztere haben beide Zugang zu enormen Mengen an Edelmetallen. Die Fugger verleihen erhebliche Summen an Maximilian und erhalten dafür den Zugang zu den Bergwerken in seinem Reich. Sie und die Welser gewinnen großen Einfluss auf den Gewürzhandel in Antwerpen und Lyon. Insbesondere die Fugger besitzen 1527 bereits über 2 Millionen Gulden (dreiviertel des Florin) und 1546 über 5 Millionen, weit mehr als jede Bank in Florenz.

 

1519 benötigt Karl V. 851 000 rheinische Gulden an Bestechungsgeldern, um seine Wahl durchzusetzen. Davon können die Fugger 543 000 leisten, die Welser, 143 000 und ein Genuese und ein Florentiner zusammen 165 000. Der Versuch den Mächtigen durch die Geschichte nahestehender, insbesondere deutscher Historiker, die Tatsachen herunterzuspielen, ist blanker Unfug: Ohne solche Bestechungsgelder wäre der Habsburger nicht gewählt worden - nur deshalb wurden sie gezahlt und angenommen.

 

Deutsche Firmen bieten unter Karl V. Geldleihen an die kastilische Krone, die in etwa denen der Genuesen entsprechen. Der erste Kireg des jungen Kaisers bedurfte der Subsidien des Papstes, die auch Dank für Karls deutliche Haltung gegen Luther seit dem Wormser Reichstag sind. Zwischen 1520 und 1532 finanziert Finanzkapital in seinem Herrschaftsraum ihn mit Krediten von insgesamt etwa 5,4 Millionen Dukaten, von da an bis 1556 mit 9,6 Millionen. Die Vorteile sind beiderseitig: Der König/Kaiser kann damit seine Kriege und ihre Propagierung finanzieren, das große Kapital erzielt nicht nur geldliche Gewinne, sondern auch geldwerte Vorteile. Propagierung: "Kunst" kommt zwar damals auch immer noch von Können, aber dieses bedeutet auch weiterhin wesentlich die Verherrlichung von weltlicher wie kirchlicher Macht.

 

In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts setzen sich dann genuesische Banken in Spanien durch, von denen im Mittelfeld des Kapitals viel mehr in zahlreichen spanischen Städten vertreten sind. Zu diesem Netzwerk gehören genuesische Schiffe, die das Edelmetall nach Italien bringen und die Messe von Besancon und später Piacenza, die sie dominieren. Damit kontrollieren sie auch den Edelmetalltransfer von Amerika nach Spanien und den Transfer von Geldern, mit denen Karl V. seine Feldzüge im Norden finanziert.

In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts finanzieren sie fast alleine die Staatsschuld Philipps II., organisiert in den asientos. Zwischen 1567 und 74 leihen alleine die Brüder Cattaneo 1 125 000 Dukaten an die spanische Krone. Genuesen leihen Philipp III. zwischen 1598 und 1607 fast 23 Millionen Dukaten, 88% allen Geldes, dass er sich leiht. (Goldthwaite, S.257) 

 

****Frankreich****

 

Die kriegerische Rivalität zwischen der französischen Krone und Habsburg führt dazu, dass der Kreditmarkt von Lyon immer mehr Geld hergeben muss. Unter 127 bekannten Geldverleihern in der Regierungszeit von Franz I. dort sind 87 Italiener und darunter noch 45 Florentiner. Für eine Geldleihe von 400 000 livres 1542 liefern Florentiner die Hälfte, Lucchesen 100 000 und die Welser und französische Banken jeweils 50 000.  Die Schulden laufen immer weiter auf und betragen alleine bei drei Florentiner Banken 1555 rund 1 073 000 livres. (Goldthwaite, S.259)

 

Mit dem schwerreichen Del Bene, schon mehr Franzose als Italiener, beginnen Versuche, Banken zu Konsortien für Anleihen zu organisieren. 1550 wird er Aufseher über die königlichen Finanzen für die italienischen Kriege von Henri II. In fünf Jahren, von 1551 bis 56 bringt er so mehr als 8 Millionen Livres für diesen Zweck zusammen.

Als die Staatsschulden immer mehr außer Kontrolle geraten, entwickelt Del Bene das Konzept der sogenannten Grand Parti de Lyon. Jetzt soll ein großes Syndikat von Banken die Staatsschuld gemeinsam bewältigen, wo hinein der König vor allem florentinische und deutsche Banken zwingt. Die Millionenschulden sollen so auf möglichst viele Schultern verteilt werden, die andererseits daraus ein regelmäßiges Einkommen garantiert erhalten. (Goldthwaite, S.260)

1559 im Vertrag von Cateau-Cambrésis verzichtet der König auf seine italienischen Ansprüche, aber seine Schulden steigen weiter, so dass es kaum gelingt, Zinsen auf die Schulden aufzubringen. Nur der Grund, den wichtigen Finanzplatz Lyon nicht aufzugeben, veranlasst die ausländischen Banken zum Bleiben. Aber mit dem Niedergang von Lyon Ende des Jahrhunderts ist die französische Krone bereits dabei, mit eigenen Mitteln den Staatshaushalt zu konsolidieren, während sie nun auf ausländische Banken immer mehr verzichtet.

 

****Kirchenstaat****

 

Ein Sonderfall in der mittelalterlichen Geschichte ist die religiös begründete Entstehung eines mittelitalienischen Staates mit einem Papst als Fürst an der Spitze. Bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts gelingt es den Päpsten, dieses Staatswesen nach Norden bis nach Umbrien, den Marken, der Romagna und nach Bologna auszudehnen.

Zu den kirchlichen Einnahmen kommen so immer mehr weltliche, allerdings ist der Haushalt in Rom immer mehr im Defizit und schon im frühen 16. Jahrhundert dienen die Einnahmen hauptsächlich der Bedienung der Schulden. Finanziert wird das Staatswesen einmal über das Leihen von Geld, üblicherweise zu 12%, wobei zukünftige Einnahmen als Pfand gelten, zum anderen über das Vergeben von Zöllen, dem Hafen von Ripa, der Münze, des Salzmonopols und der Alaunminen von Tolfa. Ämter werden direkt oder indirekt verkauft, sowohl mit einem Ansehen mehrenden Titel wie mit einem verbundenen Einkommen.

 

1486 beginnt die Konsolidierung der Staatsschuld durch die Etablierung eines Konsortiums von Bankiers, die für einen bestimmten Zeitraum Geld leihen sollen gegen ihre Kontrolle über die Einkünfte. Gegen Ende des Jahrhunderts ist dieser Kreis auf knapp 50 angewachsen, im wesentlichen Genueser und Florentiner. Später wird das in monti umgewandelt, für die Anteile verkauft werden, deren Zinsen durch die Zuweisung bestimmter Einkünfte garantiert werden. Die Mehrzahl dieser Anteile sind praktisch lebenslange Renten (Goldthwaite, S.251). Mit den Monti wird die Staatsschuld übersichtlich geregelt, und sie zieht neben Banken auch private Anleger an.

 

Unter den della-Rovere-Päpsten aus ihrer Heimat beherrschen zwischen 1471 und 1513 Firmen aus Genua das Geschäft. Vorübergehend dominieren deutsche Firmen neben den Genuesen, gefördert von den Habsburgern. Sie transferieren auch die deutschen Kircheneinkünfte nach Rom. Nach dem Sacco di Roma 1526 übernehmen wieder Genuesen und Florentiner.

 

Beispielhaft für das verwickelte Netz römischer Geschäfte fasst Goldthwaite die Karriere von Benvenuto Olivieri (1496-1549) aus Florenz zusammen. Er ist Enkel eines Goldschmieds und Sohn eines Kaufmanns, dessen Firma schon über Europa Geschäfte macht. Mit zwanzig Jahren geht er nach Rom und wird nach einer Weile Partner von Bindo Altoviti und Filippo Strozzi, als Gegner von Cosimo I. im Exil. 1539 ist er so weit, dass er die Salzzölle in Rom kaufen kann, 1540 bis 43 ist er depositario der Apostolischen Kammer, 1540 kauft er mit fünf anderen 25% der Salzzölle in der Romagna, mit drei anderen 25% der Verwaltung der römischen Münze, und alleine 25% der Weinsteuer von Rom. 1541 kauft er sich mit vier anderen mit 20% in den Staatsschatz von Peruigia ein, 1542 mit 30% in den von Parma und Piacenza. Im selbst Jahr kauft er sich mit einer Anleihe den Titel eines apostolischen Sekretärs. 1543 in weitere Zölle von Rom. Von 1545 bis 46 ist er wieder depositario und 1546 erhält er mit fünf anderen 25% des Schatzes der Romagna.

Alle diese Anteile laufen jeweils über mehrere Jahre. Dazu kauft und verkauft er Kreditpapiere der Monti, lässt Getreide nach Rom importieren und gewinnt vom Genueser Großunternehmen einen Untervertrag für die Lieferung von Alaun an bestimmte französische Häfen. Bereits 1543 hat seine Hauptfirma ein Haben von 302 000 Dukaten, dreimal so viel wie die Medicibank in Rom. (Goldthwaite, S.252ff)

 

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Die Idee vom dem Gemeinwohl nutzenden Eigennutz

 

Die uns derart bekannte Natur wird getrieben von Gesetzmäßigkeiten. Zu ihnen gehört, dass Leben durch Leben ermöglicht wird. Es wäre nicht möglich, wenn es nicht bis einige Zeit nach der Geschlechtsreife anhielte, um dann fruchtbar zu werden. Dabei wird es von Eigennutz getrieben, der manchmal wie bei der Löwin ihre Jungen umfasst und wie bei Ameisen oder Bienen ein ganzes Volk. Ohne Eigennutz keine lebendige Natur. Menschen schlossen sich zu diesem Zweck zu kleinen Verbänden aus wirklichen oder ideellen Verwandten zusammen. In Zivilisationen werden sie den Interessen von Machthabern unterworfen, deren Eigennutz über dem der Untertanen steht und ansatzweise bereits als Gemeinwohl propagiert wird.

 

Mit dem beginnenden Kapitalismus treffen der politisch-rechtlich übergeordnete Eigennutz der Machthaber auf den von ihnen geförderten der Agenten des Kapitals. Dieser, von der Gier getrieben, lässt sich nicht mehr "christlich" begründen, sondern nur aus höchst irdischen Interessen heraus. Damit befasst sich schon das hohe und späte Mittelalter in vornehmlich moralisierenden Texten, die immer mehr auf antike Vorbilder zurückgreifen: Der gemeine Nutzen entsteht dabei aus dem höchst eigenen, der auf sehr verschiedene Weise zustandekommt. Die Summe des Eigennutzes aller ergibt den gemeinen Nutzen, wobei die Reichen und Mächtigen eben viel mehr beitragen als die ärmeren und machtloseren Massen.

 

Wo Kapital und Staat so zusammenfallen wie in der Republik Venedig, wird der Erfolg der großen Handelshäuser mit dem Wohlstand der Stadt gleichgesetzt. Tatsächlich fällt von dem Gold und Silber, welche in die Stadt fließen, immer auch etwas für die Handwerker, kleinen Ladeninhaber und für die Lohnarbeiter ab. Um 1500 schreibt der reiche Kaufmann Girolamo Priuli in eines seiner Tagebücher (diari): Mein Vater, der stolz auf sein Heimatland und seine Freiheit war, suchte Tag und Nacht nach Wegen, um Geld zu machen (...) Geschäfte sind etwas Gutes für die öffentliche Wirtschaft. (so in: Rösch, S.154)

 

Der Lokalpatriotismus, seit der Nachantike in norditalienischen Städten von den Mächtigeren propagiert, wird im Maße der Kapitalisierung der jeweiligen Stadt nach und nach durch den Reichtum samt resultierender Macht und seine Symbole ersetzt. Dabei wird der honor, der den Fürsten zusteht, hier auf die Stadt übertragen. Honor, also Ehre, und Stolz gehören dabei zusammen. Die Freiheit, die Venedig seit dem Zugriff auf die Terra Ferma und dem Überfall auf ihre Despoten für sich in Anspruch nimmt, besteht in der Einschränkung der Macht des Dogen, was für die Masse der Menschen dort keinen wesentlichen Unterschied macht, bleibt sie doch politisch entrechtet.

 

Vom Humanisten Konrad Peutinger ausdrücklich vertreten, ersetzt diese Gemeinwohl-Idee schließlich zunehmend die bislang gängigen Abwehrhaltungen gegenüber den Vorwürfen von Wucher, Geiz und Gier. An die Stelle der gottgewollten Ordnung alten Stils tritt ein säkularer Rationalismus, der dem von der Natur getriebenen Eigennutz eine wirtschaftstheoretische Überhöhung gibt, die bis tief ins 18. Jahrhundert dominieren wird. Lange vor einem Begriff von Kapitalismus wird dieser so zur natürlichen Grundlage von Wohlstand hochstilisiert und geradezu zu einer moralischen Anstalt.

Noch später wird die Verbindung sozialistischer Elemente mit dem ansonsten eher geförderten Kapitalismus in der Sozialdemokratie zur Variante der alten Theorie. Der Staat sorgt dafür, dass der Eigennutz in gemeinsinnige Bahnen gelenkt existieren soll.

 

Der Geschlechtstrieb als Triebkraft des Kapitals (Erster gedankl. Ansatz)

 

Der Kapitalismus entsteht in einer ersten Stufe als der einer allgemeinen Entfesselung der Besitzgier. In einer zweiten Stufe eskaliert er dann in der schrittweisen Entfesselung jener Gier, die den menschlichen Geschlechtstrieb ausmacht. Dies geschieht seit der frühen Gotik durch das Anheizen der Triebhaftigkeit mittels der dahingehend kalkulierten Darstellung von Mädchen und Frauen als Objekt männlicher Begierde und Rollenmodell weiblichen Aufreizens der Männer.

 

Kapitalismus heißt Anheizen von Begehren, dessen Befriedigung nur neues Begehren schafft. Seit dem 12./13. Jahrhundert wird mit der Darstellung von Mädchen und jungen Frauen in Formen der Entblößung, Gestik und Mimik Kapitalismus angeheizt, indem das Aufgeilen von Männern als Lebenszweck von Frauen und die unentwegte Frustration des männlichen Begehrens durch eine dafür dienende Moral und den hohen Preis, den Frauen für die männliche Befriedigung verlangen, einen Konsumismus in Gang setzen, der im 20. Jahrhundert seine Vollendung im idealisierten weiblichen Leitbild der Hure und des jungen Mannes als Rüpels aus dem US-Neger-Slum findet.

 

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Spätestens im 15. Jahrhundert beginnt jene Bilderwelt, die offensiv das Aufgeilen von Männern betreibt (welches zugleich verleugnet wird), jeden religiösen Vorwand zu verlassen und ganz ungeniert zunächst fürstliche Kabinette zu schmücken, also jene Libertinage, die den großen Penis mit dem ganzen Machthaber gleichsetzt und seine Macht durch das Besamen möglichst vieler junger und attraktiver Frauen demonstriert. Die penetrierende Gewalt des harten Penis des Machthabers und die massenmordende und mordbrennende Gewalt der bluttriefenden Waffen seiner Krieger verschmelzen völlig in ihrem Spiegel: Der sich für den reichen und mächtigen Betrachter prostituierenden Mädchen und jungen Frauen, die sich als Objekte männlicher Macht in analoge Machtillusionen hineinphantasieren.

Wohlgemerkt: Es geht nicht um die Erotisierung einer Geschlechtlichkeit, die noch etwas mit der natürlichen Bestimmung für Ehe und Familie zu tun hat, sondern gerade um ihr Gegenteil, die schrittweise Bewegung in Richtung Pornographisierung, die eben gerade mit Ehe und Familie nichts mehr zu tun hat.

 

Baldung Grien - Cranach

 

Die Faszination, die die völlige Entkultivierung der Gewalt des Geschlechtstriebes darstellt, trifft auf eine Mehrheit der städtischen Bevölkerung, die einem dumpfen Idiotismus gedankenloser Untertänigkeit hingegeben ist

 

Natur?

 

Noch immer leben die meisten Menschen auf dem Lande und von ihm und eine Mehrheit von ihnen ringt ihr nur mit großer Mühe das Lebensnotwendigste ab. Immer noch auch fehlt es an Texten von ihnen, die uns deutlich machen, ob ihnen Natur mehr besagt als den Gegner, mit dem sie tagtäglich ums Überleben riungen. Aber sie sind es, die die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die wieder langsam zunehmende Zahl von Städtern ihr "täglich Brot" bekommen.

Diese reagieren nun mehr noch als früher darauf, dass die Naturlandschaften aus ihrem Gesichtskreis verschwunden sind und es sich überall um menschengemachte "Kulturlandschaften" handelt. Generell kann man wohl davon ausgehen, dass in diesen für sie "Natur" entweder wohlfeile oder aber immer mehr zu bezahlende Ressource ist. Ein Baum ist so die nützliche Ware Holz.

 

Für wohl weiterhin ganz wenige Leute wird Landschaft aber stärker zum Erlebnisraum. So schreibt der Züricher Arzt und Naturforscher Conrad Gessner 1541 über das Hochgebirge: Welche Lust und was für eine Wonne ist das für ein empfängliches Gemüt, die unermesslichen Gebirgsmassen staunend zu betrachten und gleichsam das Haupt in die Wolken zu erheben. (in: SchubertAlltag, S.239)

 

Inzwischen sind aus städtischen Siedlungen mit von Land umgebenen Häusern längst intensiv Haus an Haus die Straßen entlang gebaute Städte geworden, wobei unterschiedliche Siedlungskerne miteinander verschmolzen wurden und weiter werden. In großen Städten wächst der Abstand zum Kulturland drumherum, und wenn man dieses noch wahrnehmen möchte, muss man sich dazu erst einmal aufmachen. Für manche Menschen im Zentrum der ganz großen Städte ist das wohl schon ein zu großer Aufwand.

 

Unkenntnis der außerstädtischen Tier- und Pflanzenwelt dürfte bereits jetzt zunehmen und zugleich auch die Wahrnehmung ökologischer Zusammenhänge, mit denen Bauern wohl noch vertraut sind. Die nunmehr in privater und öffentlicher Verwaltung stehende Ressource Kulturland, Lieferant für Waren, wird nirgendwo um ihrer selbst willen geschützt, es gibt keinen "Naturschutz" irgendeiner Art, aber sie werden nun als schwindende Ressourcen etwas mehr unter Schutz gestellt. Die Menschen treten nun Forsten gegenüber, die als Holzreservoir behutsamer verwaltet werden, die Überfischung durch Netze wird in Stadtnähe verboten, der Züricher Rat führt Schonzeiten für die Zeit des Ableichens von Fischen im See ein. Seit dem 14. Jahrhunderten wird an einigen Orten das Fangen der Vögel mit Leinruten verboten, an anderen der Vogelfang überhaupt reguliert. Um 1500 dann bemerkt man dennoch mancherorts den Rückgang von Singvögeln (mit dem Blick darauf, dass sie Nahrungsmittel sind. SchubertAlltag, S.258) 

 

Dass es bis heute keinen nennenswerten Naturschutz in Mitteleuropa gibt, liegt zum einen daran, dass es so viele Jahrhunderte lang überhaupt nur noch Kulturlandschaft gibt, was für fasst alle Menschen immer noch eine elementare Errungenschaft bedeutet, und diese puntuell als für Menschen eingerichtete Pseudonatur zum Zwecke des Tourismus und Freizeitamüsements tatsächlich ein allgemeines Missverständnis darstellt. Diese Pseudonatur muss sich eben rentieren, wirtschaftlich rechnen.

Zum anderen korrespondiert diese immer noch zunehmende Gewalt gegen alles Natürliche mit den Gewaltstrukturen zwischen Menschen, die bekanntlich in Zivilisationen solange bejaht werden, wie die Ohnmächtigen mit Leckereien und Amüsement gut gefüttert werden. Seit der kolonialen Globalisierung, wie sie im 16. Jahrhundert auf das Rabiateste einsetzt, gewährleistet das zunehmend jene globale Arbeitsteilung, die nun großflächige Naturzerstörung über alle Kontinente verbreitet.