SCHWELLENZEIT (10.JH.)

 

 

Das sogenannte Mittelalter

Schwellenzeit

Das ostfränkische Reich (Herrschaft, Recht)

Italien

Das westfränkische Reich

England

Randgebiete: Skandinavier und Slawen

Iberische Halbinsel

 

Völker, Volk und Stämme

Freie, Herren, Adel

Adelsmacht und Adelsherrschaft

Gewalt und Leid

 

 

Das sogenannte Mittelalter

 

Mit den Ostgoten, die Byzanz vernichtet, den Westgoten, deren Reich von einem muslimischen Heer vernichtet wird, und und die in den Norden der iberischen Halbinsel abgedrängt werden, den Karolingern, die unter anderem mangels Nachwuchs nach einer Zeit des Niedergangs verschwinden, und dem dann von romanisierten Normannen abgelösten angelsächsischen Königtum verschwinden die sich aus den sogenannten Völkerwanderungen herleitenden Reiche.

 

Im ostfränkischen Reich, in dem die „Franken“ nun räumlich und bevölkerungsmäßig eine kleine, sich neu definierende Minderheit sind, stellt sich bei den weltlichen und geistlichen Großen der inzwischen herausgebildeten Stämme neuen Typs, den eroberten Völkerschaften des alten Frankenreiches zusammen mit den ebenfalls theodisc sprechenden Ostfranken, ein nicht näher erklärtes Gemeinschaftsgefühl heraus, welches dazu führt, dass sie sich nach dem Aussterben ihres Karolinger-Zweiges nicht an die westfränkischen (weithin romanisierten) Karolinger um eine Herrschaftsübernahme wenden, sondern sich auf einen der Ihren einigen, den fränkischen Herzog Konrad aus einer anderen mächtigen Familie.

Da die Quellen nicht überzeugend hergeben, warum sie das tun, sind wir auf Vermutungen angewiesen. Die hier bevorzugte ist, dass einer der Ihren die inzwischen entwickelten Stammesstrukturen am ehesten respektieren und keine starke Königsherrschaft aufkommen lassen würde.

Lothringen ist einer der Reste des 843 geschaffenen Mittelreiches, welches nach seinem ersten König als Lotharingien bezeichnet wurde, und welches romanische und germanische Volksgruppen umfasst (es reichte ursprünglich von Rom über die Provence bis nach Flandern). Mit der Entscheidung für Konrad stellen sich die Großen dieser Lothringer, kein sich ethnisch begründendes Stammesgebiet wie Alemannien, Bayern oder Sachsen, unter die Oberhoheit des westfränkischen Karolingers Karl („der Einfältige“).

 

Stämme als sich ethnisch definierende Zusammenhänge hatten sich im Osten im Kontakt mit den erobernden Frankenherrschern als regna in Fortsetzung alter Königreiche verfestigt. Die Position des Herzogs, dux, ist aber dabei nicht ethnisch definiert, sondern in ihrem Rang und Prestige gegenüber dem König einerseits und den Großen im Herzogtum andererseits. Insofern ist dann auch die Einsetzung der vielen Söhne, Enkel und Urenkel Heinrichs I. in Schwaben, Bayern, Kärnten und Lothringen nicht ungewöhnlich. Als Nebeneffekt werden sie dabei den Königen in Sachsen und Franken nicht ins Gehege kommen. (Keller, S.69ff)

 

Mit dem zehnten Jahrhundert gelangen wir nun an die Schwelle zu einem einigermaßen sinnvoll so bezeichneten deutschen "Mittelalter". Über diese "Schwelle" gelangen wir dabei vor allem in den Entstehungs- und Aufstiegsprozess des Kapitalismus hinein. 

 

Dieser Übergang von einer Nachantike zu einem Mittelalter entfaltet sich in anderen Gegenden des lateinischen Abendlandes etwas anders. Der Zerfallsprozess des westfränkischen Reiches in einzelne Fürstentümer wird erst am Ende des 10. Jahrhunderts durch den Aufstieg der Dynastie der Kapetinger gebremst, aber viele andere strukturelle Veränderungen, die in die Anfänge von Kapitalismus hineinführen werden, sind ähnlich. Das angelsächsische Reich von England wird über einige Küstenstädte mit Handel und Gewerbe an diese kapitalistischen Wurzeln angebunden, bevor es erst 1066 einen größeren Bruch erlebt. Italien ist in dieser Wendezeit ein Sonderfall, da sowohl die fränkischen wie die Eroberungszüge der sächsischen Kaiser keine stabile Reichsbildung ermöglichen, sondern sich eine Entwicklung hin zu den vielen späteren Stadtstaaten andeutet, wobei Süditalien längst eine Sonderrolle spielt. Vor allem deshalb aber wird die Nordhälfte ein Vorreiter auf dem Weg zu frühkapitalistischen Neuerungen sein.

Reichsbildungen im nordgermanischen und slawischen Raum werden erst mit Verspätung auftreten, wobei aber Handel und Handwerk etwas vorausgehen.

 

Mit der Schwellenzeit ungefähr des 10. Jahrhunderts im lateinischen Abendland lassen wir als Mittelalter die Geschichte eines noch frühen Kapitalismus beginnen, weil wir hier die Grundlagen und Rahmenbedingungen für das entstehen sehen, was ihn dann später zunehmend ausmachen wird. Dabei ist immer im Auge zu behalten, dass Geschichte ein Kontinuum mit kleinen und größeren Brüchen ist.

 

Damit lassen wir hier denn auch ein langes Mittelalter beginnen, welches erst im 18. Jahrhundert langsam verschwindet. Das von Renaissancegelehrten ausgerufene vorzeitige Ende dürften die meisten Menschen nicht erlebt haben, vielmehr finden die großen Rupturen im 18. und 19. Jahrhundert statt und mit ihnen endet erst eine bis dahin eher kontinuierliche Entwicklung. Hier wird deshalb die "Neuzeit" des 16. bis 18. Jahrhunderts der gängigen Geschichtsbücher als letzte Phase des Mittelalters zu betrachten sein.

Immerhin: "Weder Arbeitstechniken noch Lebensstandards oder soziale Schichtungen änderten sich grundsätzlich zwischen 1000 und 1800." (Ertl, S.16) Dasselbe betrifft bis 1648 in groben Zügen die Grenzen der Herrschaften der großen Potentaten in diesem Raum. Und die Quote der Abgaben an Herrscher bzw. Staat bleiben im ehemals lateinischen Abendland noch länger niedrig, bis sie dann in den immer totalitäreren Staaten der letzten rund 150 Jahren massiv anschwellen. Und erst im späten 18. und oft auch erst im 19. Jahrhundert schwindet die Macht der Kirche über die Köpfe der Menschen deutlicher. Noch kurz vor 1789 besucht König Louis XVI. ein Krankenhaus, um dort Menschen durch diese immer noch beeindruckendes Handauflegen zu heilen.

 

Erst im 18. Jahrhundert findet schließlich jener Verarmungsschub statt, der dann die billige Arbeitskraft für die neuartige Industrialisierung schafft, und erst an seinem Ende (1781) werden in Frankreich die Zünfte abgeschafft und damit das Ende des produktiven Handwerks eingeläutet. Erst seitdem auch werden Bauern "befreit", was wiederum den Ruin der bäuerlichen Landwirtschaft einleitet. Dazu dient dann in den Rheinbundstaaten und in Preußen im 19. Jahrhundert die Gewerbefreiheit als grundsätzliche Entfesselung des Kapitals.

 

Insbesondere deutsche Historiker haben dann noch ein frühes, hohes und spätes Mittelalter unterschieden, und andere haben sich angeschlossen. Ich werde versuchen, diese Begriffe aus meinem Text zu eliminieren, da sie bestenfalls deutsch-zentriert durchzuhalten wären.

Sobald man anerkennt, dass die treibende Kraft des sogenannten Mittelalters die Entstehung und der Aufstieg des Kapitalismus ist, verliert diese an der Entfaltung von Herrschaft, dem üblichen Hauptthema der Geschichtsschreibung, orientierte Epochalisierung ohnehin ihren Sinn. Aber dazu müsste Geschichtsschreibung erst einmal die Identifikation mit den Machthabern und ihrer Propaganda aufgeben...

 

 

Schwellenzeit

 

Die nun folgende Betrachtung in etwa des 10. Jahrhunderts krankt weiter an der geringen Menge des zu betrachtenden Materials.Von dieser Welt wissen wir so wenig, weil die Zahl schriftlicher Quellen eher gering ist, ihre Überlieferung ein gutes Stück dem Zufall überlassen war, und das, was erhalten ist, oft nur schwer auf irgendeinen "Tatsachengehalt", also eine Relation zu einer damaligen Wirklichkeit zu überprüfen ist.

 

Man hat geschätzt, dass rund 90 Prozent aller schriftlichen Quellen eines kurzen Mittelalters der Historiker erst dem 14. und 15. Jahrhundert entstammen. Dabei kommen die meisten schriftlichen Überreste zwischen dem 10. und 13. Jahrhundert aus der Feder von Mönchen und Klerus bzw. einer kleinen weltlichen Oberschicht. An direkten Äußerungen der weit über 90 Prozent der übrigen Bevölkerung mangelt es.

 

Dort, wo mehr Kontinuität aus der Römerzeit erhalten ist, wie in Teilen Westfranziens und Italiens, bleibt etwas mehr Schriftlichkeit, während sie nach Osten und Norden bis auf Kloster und Kathedrale fast völlig verschwindet bzw. nie dagewesen ist. Insgesamt aber handelt es sich mehr noch als später um mündlich kommunizierende Welten.

 

Die Sprache der Kirche und der Verwaltung von Macht und Reichtum ist lateinisch, und das wird durch die Ausbildung von Volkssprachen gegen Ende des 8. Jahrhunderts auch in Gallien, im 9. Jahrhundert in Südgallien und Nordspanien und in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts in Italien für die meisten Menschen zur Fremdsprache. Im Ostfrankenreich bilden sich langsam jene Idiome heraus, die gemeinsam als "deutsch" bezeichnet werden. Aber auch hier sind die wenigen schriftlichen Zeugnisse weit überwiegend auf Latein verfasst.

Dabei wird Latein immer mehr - zwar weiterhin lingua franca der Reichen und Mächtigen - zu einer Kunstsprache, dem Mittellateinischen, wobei allerdings das antike Latein auch als kunstvolle Sprache weniger Gebildeter überliefert wird.

 

 

Unser Text hat inzwischen im Schnelldurchgang den Weg von den Besonderheiten der Natur des Menschen, ihrer Bewältigung durch Kultur(en) zu dem Übergang zu Zivilisationen institutionalisierter Macht, zu den städtischen Zivilisationen des Mittelmeerraums, der Bildung eines großen römischen Imperiums und dessen Zerfall im Westteil genommen, um dann die Bildung von zunächst germanisch dominierten Nachfolgereichen zu betrachten, die Ende des 9. Jahrhunderts weithin verschwunden sind, mit der Ausnahme angelsächsischer Königreiche, die erst 1066 untergehen werden. Aber in den Erbteilen dieser Reiche wird Kapitalismus entstehen.

Mit der Zeit der Reichsbildungen des 10. Jahrhunderts wird die Spanne zwischen Antike und Mittelalter beendet. Der Bezug zur antiken Welt, noch in der Zeit Karls d.Gr. deutlich, weicht langsam neuen Ansätzen.

Nicht mehr die Erinnerung an institutionalisierte Zivilisation, sondern ein Geflecht von persönlichen Beziehungen, in dem ständig Macht und Rang neu und mit Drohgebärden oder Gewalt abgewogen werden, konstituieren das west- und das ostfränkische Reich. Die meisten Menschen sind darin eingeordnet, indem sie ganz unten untergeordnet sind. Der Kapitalismus entsteht dort, wo das antike Erbe fast aufgezehrt scheint und es entsprechend zu Umbrüchen und Neuanfängen kommt.

 

 

Kapital gab es in der Antike und dann deutlich weniger in den Jahrhunderten der Nachantike bis in die Karolingerzeit, ohne dass es diese Zeiten stark prägte. Als wohl eher kleineres Handels- und Finanzkapital taucht es in den Händen von Juden, Syrern und Friesen vor allem auf, Leuten am Rande der Machtstrukturen, die ihnen eine gewisse Freiheit im Raum hochgradiger Unfreiheit der meisten Menschen gewähren.

Schwellenzeit soll meinen, dass im 10. Jahrhundert jene Schwelle erreicht wird, deren Überschreiten zu dem führt, was hier als Einnistung von zunehmend mehr Kapital im Rahmen der Machtstrukturen bezeichnet werden wird. Von nun an wird die Bedeutung des Grundbesitzes ganz langsam abnehmen und die von Kapital entsprechend zunehmen. Im Laufe der Zeit werden dann Kapitaleigner versuchen, an der Macht auf ihre Art zu partizipieren.

Geschichte hält sich natürlich nicht an die Einteilung in Jahrhunderte, und eine solche Schwelle existiert in einigen Gegenden Europas früher, in anderen manchmal erst viel später, in einigen wie Russland auch gar nicht.

 

Einnistung soll meinen, dass Kapital ein immer wichtigerer Faktor in der Entwicklung neuartiger Städte wird, wie sie nur in der abendländisch-mittelalterlichen Zivilisation entstehen. Das Entscheidende dabei ist, dass die Art von Städten, die sich zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert entfalten, sich von den antiken grundlegend unterscheidet: In den letzteren kontrollierte eine grundbesitzende „aristokratische“ Oberschicht die Stadt, und zwar alleine, während sich in den neuen Städten, die zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert entstehen, Händler und reiche Handwerker mit adeligen Grundherren zunehmend die Macht teilen werden und sie dann später von ihnen in Form von Selbstverwaltung für eine Weile lokal übernehmen. Aber zwischen der Antike und dieser Zeit liegt auch wenigstens ein halbes Jahrtausend.

 

Kapital existiert in dieser Schwellenzeit meist nur in geringem Umfang als Handels- und daneben auch schon ein wenig als Finanzkapital. Grundlegende Voraussetzung ist die Nachfrage nach Waren und nach Geld, dabei vor allem auch nach Krediten. Eine solche Nachfrage existiert vor allem bei einer wohlhabenden geistlichen und weltlichen Herrenschicht, die ihren Reichtum aus der Verfügung über die Erträge großer Landgüter bezieht, in denen sie einen Teil der Produkte der ländlichen Arbeit abschöpft und zunehmend auch auf einen Markt bringt.

Vorteilhaft für die Entstehung von mehr Kapital ist einmal eine Klimaverbesserung, mehr landwirtschaftliche Produktion, Bevölkerungs-Vermehrung und das Ende der Verheerungen durch räuberische Invasoren, die Normannen, Sarazenen und Ungarn, im Laufe des Jahrhunderts. Dabei haben die Ungarn immerhin bis 962 Streifen ihrer weiten Raubzüge bis Westfanzien und Italien gründlich verheert.

 

Warenproduktion betreiben in zunächst geringem Umfang manche Handwerker und Bauern, die produktive Basis von Stadt und Land. Die aber besitzen kaum unternehmerisches Kapital, sie arbeiten im wesentlichen, um zu (über)leben, nicht um Gewinne einzufahren. Über ihnen existiert weiter Grundherrschaft und eine kriegerische Herrenschicht, der es in der Francia und Italien gelungen ist, das Königtum erheblich zu schwächen, während ein solches sich in einem entstehenden England zeitweise etwas stabilisiert.

 

Die Teilung der Francia in ein westliches und ein östliches Reich konsolidiert sich und wird zum Ausgangspunkt für die sich auf die Dauer entsprechend ergebende Entstehung zweier neuer Völker durch Unterwerfung unter verschiedene Dynastien. Aber im 10. Jahrhundert zerfällt Westfranzien eher in viele Fürstentümer und im Ostreich in neuartige Stammes-Herzogtümer. Aus einem von ihnen geht ein neues Königtum hervor.

Italien bleibt zersplittert und gerät dann in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts in der Nordhälfte mit einem Kaiser des Westreichs in eine instabile Abhängigkeit. Im überwiegend islamischen Spanien nimmt die Rückeroberung durch lateinisch-abendländische Herrscher langsam Fahrt auf. Im Norden und Osten Europas entstehen mit Christianisierung und Zivilisierung die Wurzeln neuer Reiche.

 

Als altes Großreich hat nur der Ostteil des römischen Imperiums überlebt, dessen Versuche, wieder auf den Westen überzugreifen, mit dem Einmarsch der Langobarden in Italien einerseits und der visigotischen Rückeroberung der Region um Cartagena anderseits scheitern. Nur kleinere Gegenden auf der italienischen Halbinsel stehen im Westen jetzt noch unter nomineller oder tatsächlicher oströmischer Hoheit. Im südost-europäischen Teil wird Byzanz von Awaren, Bulgaren und anderen Völkerschaften bedroht und gerät unter slawischen Siedlungsdruck, und jenseits von Resten in Kleinasien hat es alle orientalischen und nordafrikanischen Gebiete an die stracks durchmarschierenden Heere des triumphierenden Islam abgeben müssen, an jenes Kalifat, welches nun größtes Reich auf ehedem römischem (und christlichem) Boden ist. Immerhin gelingt es Nikephoros Phokas, Kreta (960) und Kilikien zurück zu gewinnen und Vorstöße nach Syrien zu machen, nach Antiochia und Palästina.

 

Zwischen den derweil orientalisch überformten Sizilien und Hispanien gibt es muslimisch kontrollierte Küstenstädte, Militärstützpunkte und Piratennester im nördlichen Mittelmeerraum. Von Fraxinetum (La Garde Freinet) gelingt es islamischen Herren, im 10. Jahrhundert durch das Rhonetal vorzustoßen und die Westalpen mit dem Pass des Großen Sankt Bernhard zu kontrollieren. Die lateinischen Herrscher sind zunächst zu schwach für Gegenwehr. Als dann auf dem Pass der Abt Maiolus von Cluny auf der Rückreise von Italien gefangengenommen wird und das Aufsehen erregt, beginnt das Abdrängen der Muslime aus den Westalpen.

 

Von den Großstädten im christlichen Raum mit mehreren hunderttausend Einwohnern ist nur Konstantinopel übriggeblieben, das Kalifat hat mit Städten wie Antiochia und Alexandria die übrigen geerbt, unter islamischen Herrschern solche wie Cordoba oder Palermo zu neuer Blüte gebracht und neue wie Bagdad geschaffen. Aber nicht in dieser Welt großer Städte und großer Reichtümer wird der Kapitalismus entstehen, sondern in einer derzeit überwiegend bis fast ganz landwirtschaftlich geprägten Welt, in der außerhalb des Mittelmeerraumes Städte von wenigen tausend Einwohnern wie Inseln in einer agrarischen Welt mit noch oder wieder viel Naturlandschaft dazwischen herausragen, und wo die alten Städte auch im mediterranen Raum massiv geschrumpft sind.

 

 

Der Raum, den Menschen damals kennenlernen können, um daraus ihre Welten zu konstruieren, kann zu Fuß erschlossen werden, bei wohlhabenderen Leuten zu Pferd und zudem auf Booten oder Schiffen. Hilfreiche Karten gibt es kaum und sie sind fast allen Menschen nicht zugänglich. Sie taugen auch nicht zum Reisen, dafür gibt es einige wenige Itinerare, aber meist erst nach dem 10. Jahrhundert. Lateinisch iter, der Weg, zeigt schon, dass es sich um Wegbeschreibungen handelt. Vermutlich sind damals die meisten nicht schriftlich, sondern werden mündlich vermittelt. Wo kaum jemand Zugang zu schriftlich niedergelegten Texten hat, ist das Gedächtnis viel besser trainiert als heutzutage.

 

Das macht aber nichts, denn die meisten Leute sind nicht weit gereist, sie haben weder die Mittel noch die Möglichkeiten dazu. Aber es gibt einzelne Fernreisende, zum Beispiel Pilger, die sich von England nach Rom begeben und in den nächsten Jahrhunderten solche, die quer durch deutsche Lande nach Santiago de Compostela pilgern werden. Dann gibt es Boten von Königen zu Königen, zu Fürsten oder zu Pfalzen, meist wohl zu Pferd. Könige reisen in ihrem Reich herum oder zu Königen ins Nachbarland. Bischöfe dürften eine gewisse Vorstellung von dem Bistum haben, aus dem vor allem sie ihren Reichtum beziehen und von den Gegenden, in denen sie sonstwo noch Besitzungen haben. Händler reisen mit ihren Waren und verfügen darum über mehr Welt als andere. Die so furchtbar häufigen Kriege lassen Heerscharen wenigstens ein bisschen Land und Leute kennenlernen, wobei sie das eine verwüsten und die anderen töten, verletzen, vergewaltigen und (be)rauben.So lernten Franken Sachsen unter "dem großen" Karl kennen.

 

Fürsten von Anjou oder bayrische Herzöge müssen wohl eine Vorstellung von den Regionen haben, die sie beherrschen, aber wir wissen heute nicht, welche es waren, wie detailliert, wie (geographisch) korrekt. Aber das sind die wenigen, die ihre Reichtümer aus der Arbeit der vielen beziehen, die so wenig reisen wie fast alle Menschen in Europa bis ins 20. Jahrhundert - oder wenigstens bis es erschwingliche Postkutschen und dann die Eisenbahn gab.

Ob die Erde eine Kugel oder eine Scheibe ist, ist den Menschen gleichgültig, außer der Kirche, die Welt aus Geschichtsmythen, Sagen und Legenden konstruiert. Man weiß, dass es westlich der iberischen Halbinsel und eines weithin unbekannten Afrikas einen riesigen Ozean gibt und sonst nichts. Man weiß im Osten vom Reich des Kaisers von Konstantinopel samt römisch-griechischem Reich, vom sogenannten Heiligen Land, wo es einst Juden gab, von Indien und China, wo Luxusgüter über Zwischenhändler herkommen, - man weiß, dass es da etwas gibt, aber man weiß fast nichts außer mehr oder weniger unterhaltsamem Unsinn darüber.

 

 

Das ostfränkische Reich

 

Die wenigen Mächtigen drücken allen anderen ihre Sprachregelungen auf, und so behalten die beiden aus einer Francia entsprungenen Reiche den Namen bei, wiewohl Franken im Westen inzwischen weitgehend in den heimischen Völkerschaften aufgegangen sind und im Osten vor allem im unteren Maingebiet auftauchen und ansonsten meist eine sehr dünne Herrenschicht sind.

 

Die Königsmacht ist im Verlauf des 9. Jahrhunderts zugunsten der von regionalen Großen zurückgegangen und Macht wird stärker von Bischöfen, Grafen und Duces, Herzögen ausgeübt. Im Osten verstärkt sich diese Entwicklung unter Arnulf von Kärnten und Ludwig ("dem Kind") bis 911, und das Machtvakuum füllen nun sogenannte Stammesherzöge wie in Alemannien (Schwaben) und Bayern als Nachfolger karolingischer regna und das zunehmend unter Liudolfingern zusammengefasste Sachsen.

 

Gegen Ende des 9. Jahrhunderts gelingt es im Ostreich einigen Familien, sich, zunächst immer noch als Grafen oder Markgrafen, durch Ansammlung mehrerer Grafschaften und von immer mehr Privilegien von den anderen abzuheben, dabei eben Ämter, Besitz, Klöster, Lehen, Vasallen usw. auf sich zu vereinen. Solche (zunächst noch) Amtsträger ordnen sich dann als Duces bzw. Herzöge von geradezu fürstlichem Rang "Stammesgebiete" zu: Konradiner in Franken, Liudolfinger in Sachsen, wobei erst die Billunger nach 953 ein Stammesherzogtum herstellen, die Luitpoldinger in Bayern, Reginare in Lothringen. Den Ottonen wird es im Ostreich einigermaßen gelingen, sie zu königlichen Amtsinhabern zu machen.

 

Die Entstehung der Machtposition der inzwischen mächtigen Herzöge hatte dabei die Schwäche des Königtums und ihre Unfähigkeit, äußere Feinde abzuwehren, zur Voraussetzung. Die Position des Herzogs, dux, ist aber dabei nicht ethnisch definiert, sondern in ihrem Rang und Prestige gegenüber dem König einerseits und den Großen im Herzogtum andererseits. Insofern lässt sich auch die Einsetzung der vielen Söhne, Enkel und Urenkel Heinrichs I. in Schwaben, Bayern, Kärnten und Lothringen als nicht ungewöhnlich erklären. Als Nebeneffekt werden diese königlichen Nachkommen dabei den Königen in Sachsen und Franken nicht ins Gehege kommen. (Keller, S.69ff) Mit der Einsetzung von Herzögen durch die Könige erhalten ihre Positionen dann zunehmend Amtscharakter, auch wenn diese im Laufe der Zeit erblich werden.

 

In die Reihe der Fürstentümer steigen unterhalb bzw. neben der herzoglichen Ebene Markgrafen an den Grenzen Ostfrankens / der deutschen Lande auf.

 

Die Bildung der neuen Reiche ist dabei, Besitzungen und Verwandtschaften zu zerschneiden. Es handelt sich beim Besitz wohlhabenderer Herren um Streubesitzungen, die sich über das ganze ehemalige Reich Karls des Großen verteilt hatten. Adelsfamilien heiraten zudem zunächst weiter über neue Reichsgrenzen hinweg und verklammern so vor allem vorläufig noch Gallien und Germanien. Seit Karl der Große Franken als Verwalter seiner Herrschaft nach Nord- und Mittelitalien schickte, die sich dort einwurzeln und dann romanisiert werden, gibt es solche Bindungen auch dorthin.

 

Es existiert insgesamt eine großgrundbesitzende und kriegerische "adelige" Herrenschicht, aus der die von Historikern heute geschätzten gut 200 Personen hervorgehen, die eine Art Führungsschicht im Ostreich bilden. Sie gewinnen Reichtum und Macht auch dadurch, dass sie verliehenes Gut und Amt als erblich ansehen, was oft geduldet wird, um ihre Treue zu erhalten. Bei Keller heißt das, "dass trotz des rechtlichen Charakters des Lehnsverhältnisses in ihm kaum noch institutionelle Garantien liegen, sondern dass sein Funktionieren als Treueverhältnis weitgehend von der aktuellen Gestaltung personaler Beziehungen abhängig geworden ist." (S.16) Diese Oberschicht heiratet untereinander und schließt sich so immer weiter ab. (Althoff S.239)

 

Die gesamte Herrenschicht außerhalb fast jeder Form von Staatlichkeit regelt ihr Leben im wesentlichen selbst, wobei sie gemeinsame Vorstellungen von Ehre (honor), Rang und Status weiter entwickelt, die mehr oder weniger ineinander fallen. Werden sie verletzt, gibt es das Recht auf den bewaffneten Konflikt und zumindest bis tief in die Zeit der sächsischen Könige ganz selbstverständlich auch gegen den König selbst als obersten Edlen.

Zu den mächtigen Herren gehören auch die der Erzbistümer und wichtiger Bistümer von enormer auch weltlicher Macht, dazu mächtige Abteien.

 

Wesentlich für die Entstehung des Kapitalismus wird, dass Status und Rang nicht nur als kriegerische Macht, Macht über Menschen und Grund und Boden auftreten, sondern sich in Statussymbolen als Reichtum äußern. Dabei gehen Kirche und Kloster mit ihren goldenen, silbernen und mit Edelsteinen verzierten heiligen Gegenständen voran, bei denen es vor allem blitzen und funkeln muss.

Daneben spielen in einer fast schriftlosen Welt symbolische Handlungen eine wichtige Rolle, Unterwerfen als Kniefälle, das sich flach auf dem Boden Prosternieren, oder die Rituale der Aufnahme in die Huld des Mächtigeren. In der Regel werden solche Vorgänge vorbesprochen und dann öffentlich inszeniert, was ihnen fast Urkundencharakter gibt, wenn auch mit tatsächlich beschränkter Gültigkeit.

 

Unter dieser geistlichen und weltlichen Herrenschicht gehen in einer gemeinsamen Schicht mit Sklaven und persönlich abhängigen Landbewohnern Reste freier Bauern auf, die Schutz suchen vor den verheerenden Einfällen von Normannen, Ungarn oder Slawen oder von Adeligen aus der Nachbarschaft. Im 9. Jahrhundert gewinnen sie erste Ansätze von „Rechtssicherheit“ über ihren Status (Althoff/Keller S.228) und in ersten Einzelfällen einen gehobeneren Status über Dienste für ihre Herren, die solche „Ministeriale“, Dienstleute, dann manchmal in Wohlstand und viel später sogar in den Adelsstand erheben werden.

 

Rechtlich genauso in die Familien der Herren eingeordnet sind die wenigen produktiv arbeitenden Stadtbewohner, die bei allgemeiner Bevölkerungszunahme und anfangender Landflucht langsam zu einer stärker wahrnehmbaren Gruppe werden. Herrschaft über sie, manchmal über die des Herrn seiner familia hinaus, übt eine Art Stadtherr aus. Da das meist Bischofsstädte sind, ist das nach Maßgabe seiner Bevorrechtung (Privilegierung) der Bischof selbst, der geistlich und zum Teil weltlich über seine Diözese herrscht.

 

Konrad I.

Möglicherweise stellt sich bei weltlichen und geistlichen Großen der inzwischen herausgebildeten Stämme neuen Typs (Sachsen, Franken, Alamannen und Bayern) ein in den erhaltenen Texten nicht näher erklärtes Gemeinschaftsgefühl heraus, welches dazu führt, dass sie sich nach dem Aussterben ihres Karolinger-Zweiges nicht an die westfränkischen, weithin romanisierten Karolinger um eine Herrschaftsübernahme wenden, sondern sich auf einen der Ihren einigen, den "fränkischen" Herzog Konrad (911-18) mit Macht und Besitz an Mittelrhein und Mainfranken. Dieser hatte sich zuvor gegen die anderen mächtigen Adelsgeschlechter, vor allem die fränkischen Konkurrenten der Babenberger-Familie und die sächsischen Liudolfinger behauptet und die Nähe zum König gesucht und gefunden.

 

Mit der Entscheidung für Konrad stellen sich die Lothringer, kein Stammesgebiet wie Alemannien, Bayern oder Sachsen, unter die Oberhoheit des westfränkischen Karolingers Karl („des Einfältigen“). Damit fehlt Konrad ein beträchtlicher Teil seiner Besitzungen.

 

Im schwierigen Versuch, die Zentralgewalt gegen die Stammesherzöge herzustellen und die Verheerungen durch die Ungarn abzuwehren, verschleißt sich die sehr geringe Königsmacht.

Um 900 haben die Ungarn die Morawier/Mähren besiegt und das spätere Ungarn eingenommen. Als der Sachse Heinrich die slawischen Daleminzier bedrängt, rufen diese 906 die Ungarn zur Hilfe, was dazu führt, dass ihr Gebiet von nun an zum ungarischen Aufmarschgebiet in den Westen wird. Dies wiederum gibt den Kämpfen sächsischer Heere im Osten eine zusätzliche Bedeutung. Konrad und zunächst auch Heinrich I. werden auch an der Ungarn-Gefahr scheitern.

 

Das Königtum der Karolinger basierte nicht zuletzt auf ihrem ursprünglichen enormen Grundbesitz. In den Nachfolgereichen mit abschwächender Königsmacht geht dieser ein gutes Stück weit verloren. Konrad I. baut auf fränkischen Familienbesitz und einem Rest-Erbe königlichen Besitztums aus der Zeit zuvor auf. Das Königsgut in Alemannien und Bayern ist dabei zur Gänze verloren. Daraus folgt vorläufig „das nahezu völlige Fehlen herrscherlicher Tätigkeit im Bereich dieser Herzogtümer.“ (Althoff/Keller, S.212) 

 

Auch die Ansätze von Staatlichkeit, die der "große" Karl entwickelt hatte, Befehlsgewalt durch Kapitularien und über Synoden, Einsetzung von Grafen und deren Kontrolle durch Königsboten, all das auf gewaltigem Krongut basierend, sind verschwunden. Verwaltung über Schriftlichkeit findet zunächst kaum noch statt.

 

Ohne Hauptstadt, also ohne geographisch fixiertes Zentrum, wird königliche Herrschaft auch weiter auf Reisen mit Höflingen und Hofkapelle ausgeübt, vor Ort, und zwar nicht nur für das jeweilige Gebiet, sondern theoretisch für das ganze Reich. Der erste Konrad stützt sich dabei auf Bistümer (die alten lothringischen sind erst einmal verloren), die seines Schutzes bedürfen, und versucht zudem mehr Reichsabteien für sich zu gewinnen. Man kommt zu ihm, so wie er in die Nähe seiner Fürsten kommt.

 

Heinrich I.

Offenbar versteht schon Konrad, dass das Königtum eine stärkere Machtbasis braucht, und zumindest die fränkischen Großen sehen das und entscheiden sich mit den sächsischen Großen für den sächsischen Liudolfinger Heinrich mit seiner starken Stellung in Sachsen und immerhin reichem Besitz am Westharz und westlich davon (Gandersheim, Grone usw.).

Es wächst die Einsicht in die Nützlichkeit stärkerer Könige, die ein entsprechendes Vasallenheer vor allem gegen die Ungarn aufstellen können. Vielleicht gehört dazu auch der Wunsch, die Sicherung des inneren Friedens mit gesteigerter Schutzmacht des Königs besser zu gewährleisten. 

 

Könige sind als oberste Kriegsherren einerseits weiter auf persönlich untergebene Vasallenkrieger angewiesen, die kleine militärische Einheiten führen, wie ebenso die Herzöge, Markgrafen, die Bischöfe und großen Äbte unter ihnen, und auf deren Heeresfolge, die erst in der zweiten Hälfte des zehnten Jahrhunderts stärker durchgesetzt wird. Dabei bilden bischöfliche Gefolgschaften die Masse des königlichen Heeres, dessen Kern schwerbewaffnete Panzerreiter sind.

 

Königliches Herrschen als Regieren ist der stete Versuch der Konsensbildung mit Großen im Reich und findet in allen Konfliktfragen im Geheimen statt, so dass wir davon erst erfahren, wenn entweder ein Konsens bereits gefunden und dann öffentlich inszeniert nachberaten wird, oder wenn ein Dissenz dazu tendiert, in Gewalttätigkeit hinein zu führen. Dabei bestimmt der König die Themen und die Rede geht dann zunächst an den Ranghöchsten. Eine "kontroverse Diskussion in der Öffentlichkeit war mit der Ehre der Beteiligten nicht vereinbar." (Althoff(3), S.17) Eingebunden in Entscheidungen sind dann diejenigen, die an ihr beteiligt waren. Wir haben es also im sogenannten römischen Reich der Deutschen wie in dem des entstehenden Frankreich zunächst nach antiken Schemata mit einer Mischform aus Aristokratie und königlicher Herrschaft zu tun.

 

Könige sind zugleich oberste Entscheider über Recht und Unrecht dort, wo sie sich durchsetzen können. Das Recht wird dabei nicht nach irgendwelchen „Gesetzen“ gesprochen, sondern als Versuch, durch Verständigung Frieden im Inneren herzustellen, wobei ein auf Traditionen und Konventionen sich berufendes Gewohnheitsrecht gilt. Erst wenn das nicht mehr hilft, kommt es zur blanken Gewalt. Könige versuchen das zu vermeiden, da sie sich in einem fast permanenten „Kriegszustand“ nach außen befinden, zumindest im kriegsfreundlichen Sommerhalbjahr, und dann der Großen für ihre Heerzüge bedürfen.

 

Recht ist einmal das Volksrecht der verschiedenen Stämme, ius der gentes. Wenn der König mit seinen Getreuen über hohen Adel zu Gericht sitzt, wo auch immer im Reich, hat er dieses traditionelle Recht zu beachten. Insbesondere die Sachsen legen darauf sehr lange Wert, wie unter anderen Thietmar von Merseburg berichtet. Unterhalb davon existieren die einzelnen Rechtsvereinbarungen und Rechtsetzungen in den einzelnen Grundherrschaften und in der Summe solcher in der Hand eines Herrn. Erst im 11. Jahrhundert beginnt der Emanzipationsprozess einzelner "Bürger" und "Bürgergruppen" in den Städten und dann auch von Bauern in entstehenden Dorfgemeinschaften. Oberhalb steht angestammtes königliches Recht als Ausdruck seiner Machtvollkommenheit. In deutschen Landen muss dieses zusammen mit den mächtigen Fürsten entwickelt werden, und seine Interpretation hängt nicht zuletzt mit der Stärke königlicher Persönlichkeiten zusammen.

 

 

Nach der Krönung wird das Gebiet königlicher Hoheit in einem Umritt „besichtigt“ und die Huldigung entgegengenommen. Im 10. Jahrhundert findet diese erste Rundreise zunächst nur in Sachsen und Franken statt, bis dann am Ende der Ottonenzeit Herrscher genauso auch in Schwaben und Bayern präsent sind.

Heinrich reist weiter mit Kapelle, nun auch auch mit daraus entstehender Kanzlei, dem Personal und Gefolge, von einer seiner befestigten Besitzungen (dem palatium oder Pfalz) zur nächsten und beköstigt „Hof“ und Gäste aus denselben, oder der Weg geht über Bischofssitze und Abteien.

In diesem Jahrhundert werden, nachdem die Herrscher immer größere Teile des Kroneigentums und Familienbesitzes an geistliche und weltliche Große verleihen oder verschenken, um sich ihre Freundschaft und Gefolgschaft zu sichern, die Pflichten der Gastgeberschaft als servitium regis, Königsdienst, insbesondere an geistliche Magnaten übertragen. Was ihnen vom König gegeben wurde, sollen sie an ihn auch gewissermaßen wieder zurückgeben, wenn er sie mit seinem Besuch beehrt. Das kann allerdings, wenn regulär hunderte und bei großen Hoftagen Tausende zu Gast sind, eine enorme Belastung werden.

 

Herrschen auf Reisen ist auch Leben auf Reisen. Ein Familienleben sesshafter Menschen findet nicht statt, die Königskinder werden zur Erziehung weggegeben, und auch die Gemahlinnen der Könige sind nicht immer dabei, Geliebte oder inoffizielle Nebenfrauen werden derweil unter dem Einfluss des Bündnisses Kirche - weltliche Macht nur noch stillschweigend geduldet.

 

Aus der mit ursprünglich geistlichen Aufgaben betrauten mitreisenden Hofkapelle fällt erst einmal langsam das Notariat heraus, die Schreibkunst der zunehmend hochadelig-geistlichen Notare. Dabei wird bald immer mehr eine Art weltliche Kanzlei ausgegliedert, die Ansätze von Verwaltung betreibt. Zu Kanzlern werden dann bald mächtige Erzbischöfe wie die von Köln und Mainz gemacht. Die Fürsten unterhalb des Königs entwickeln später nach und nach ähnliche Hofkapellen und Kanzleien.

 

 

Heinrich I. gelingt es im Verlauf seiner Regierungszeit, sich Arnulf von Bayern (920/21) zu unterwerfen und einen von ihm abhängigen Herzog Hermann in Schwaben durchzusetzen (926), obwohl er in beiden Gebieten kaum herrscherlich eingreifen kann. Zudem kann er in westfränkischen Thronkonflikten bereits 925 Lothringen an sein Reich binden, wobei er das Elsass abspaltet und an Schwaben abgibt. Im Laufe der Zeit wird es sich in Nieder- und Oberlothringen aufspalten und weiter wenig inneren Zusammenhalt besitzen.

 

Heinrich I. kann erst spät und nach einem Waffenstillstand mithilfe einer Art Militarisierung des Reiches in einer großen Schlacht 933 die Ungarngefahr für eine gewisse Zeit ausschalten. Im Grenzgebiet zu den Westslawen kommt es immer wieder zu Kämpfen zwischen ihnen und Sachsen, an denen der König manchmal auch teilnimmt. Es kommt zur Gründung von Meißen. Weiter südlich wird ein böhmischer Herrscher tributpflichtig. Im Norden gilt es, sich zunächst der ("heidnischen") Wikinger und Normannen und ihrer Piraterie zu erwehren, die dann durch die Bildung zunächst instabiler skandinavischer Herrschaftsräume abgelöst wird. Heinrich I. gelingt am Ende seines Lebens eine gewisse Unterwerfung der Dänen, deren Christianisierung nun einsetzt.

 

Alle diese Probleme schließen aus, dass Heinrich I. südlich der Alpen präsent sein könnte. Immerhin reicht seine Macht, um Sohn Otto den Großen als Nachfolger präsentieren zu können, womit sich nun endgültig das monarchische Prinzip gegen Erbteilungen durchsetzt. Seiner Gemahlin Mathilde übergibt er mit anderen Besitzungen Quedlinburg mit seinem Stift, wo er auch begraben wird, und welches nun als sakrales Zentrum der Liudolfinger Gandersheim etwas ablöst.

 

Otto I ("der Große")

Zwischen 936 und 941 muss der neue König erst einmal einen gangbaren Weg finden, um die Herzogtümer unter seine Hoheit zu bringen und zugleich seine Verwandtschaft abzufinden. Es gelingt dann dadurch, dass er beides miteinander verbindet, wozu auch Heiratspolitik gehört. Aber die Kontrolle von Schwaben und Bayern bleibt geringer als die weiter nördlich. Immerhin wird nach dem Tod des aufständischen Eberhard von Franken 939 das Herzogtum nicht wieder ausgegeben.

Nachdem Otto das monarchische Prinzip gegen seine aufbegehrenden Brüder durchgesetzt hat, designiert er unangefochten Sohn Liudolf, den er zuvor mit der Tochter des sohnlosen Hermann von Schwaben verheiratet hatte. Der wird 950 Herzog von Schwaben, stirbt aber schon wenige Jahre später. Bruder Heinrich wird schließlich Herzog in Bayern, Bruder Brun in Lohringen und Sohn Liudolf in Schwaben

In der ersten Krisenzeit muss Otto I. um Lothringen gegen den westfränkischen König kämpfen, und hat 942 dann Erfolg damit. 948 kann er sogar zwischen dem König Ludwig und Hugo ("dem Großen") in Ingelheim vermitteln.

 

Bis 941 herrscht also viel Krieg im Reich und es bedarf brutaler Gewalt, um königliche Macht überhaupt durchzusetzen. Dabei nimmt die Bedeutung der gepanzerten Reiter weiter zu. Solche edle Krieger führen Krieg mit in der Regel unedlen Mitteln, die sie sich manchmal gegenseitig vorwerfen. Dazu gehört der Hinterhalt, jede Form von List, von Täuschung und Betrug. Menschen benehmen sich ganz offen gegeneinander wie Raubtiere auf Nahrungssuche, nur geht es ihnen längst um mehr. Motive sind Ruhm und Ehre, aber vor allem Gier nach Beute. Der besiegte Feind, die eingenommene Burg oder Ansiedlung sind in der Regel zum Plündern freigegeben. Im zehnten Jahrhundert spielt dabei zunehmend Geld eine wichtige Rolle. Gefangene werden, wenn wohlhabend oder „edel“ genug, als Geiseln betrachtet, für die man Geld einlösen kann.

 

Königliche Hoheit über die Herzöge besteht einmal darin, ihnen Verpflichtungen wie die Heeresfolge und die gelegentliche Anwesenheit und Mitarbeit bei königlichen Hoftagen und Festen aufzuerlegen, oder aber darin, die Herzogtümer mit dem König verpflichteten Getreuen zu besetzen bzw. sie ganz unter königliche Regie zu stellen. Solche Hoheit muss immer wieder neu durchgesetzt werden, denn die Fürsten haben die Möglichkeit, sich königlichen Entscheidungen zu widersetzen, was zu kriegerischen Konflikten führen kann und oft auch führt.

 

Dabei finanziert sich der König über das Reichsgut, also den dem König zugeordneten Besitz, und durch das Hausgut der herrschenden Familie, oft kaum davon unterschieden. Dazu kommen Steuern, wo möglich Tribute, Gerichtseinnahmen, Heeresgelder, Zölle usw.

 

Mit dem ersten Otto beginnt eine intensivere Sakralisierung des Königtums, nachdem sich schon die Karolingerherrscher deo gratia (von Gottes Gnaden) eingesetzt sehen. Dies drückt sich in der Rolle des Erzbischofs bei der Thronerhebung aus, aber danach auch in intensiverem religiösem Engagement, zu dem dann demonstrative Akte und Zur-Schau-Stellungen von Frömmigkeit gehören. Zur religiösen Verbrämung von Königsherrschaft gehört, dass Könige weiterhin Schutz der Untergebenen und damit Frieden im Reich gewährleisten sollen, aber das gelingt über weite Strecken, soweit überhaupt nur, mit kriegerischer Gewalt.

Indem die sächsischen Könige die Bischöfe zunehmend mit ihren Verwandten und Vertrauten besetzen und materiell immer besser ausstatten, können sie bei ihnen auf militärische Gefolgschaft und gastliche Aufnahme bei ihrer Reisetätigkeit hoffen.

 

Auf der Suche nach dem, was das eigentlich ist, dieses Reich der sächsischen Könige und Kaiser, fällt zunächst einmal seine Undefiniertheit auf, wenn man es mit heutigen Augen betrachtet. Es gibt kein klares Staatsgebiet, sondern einen Bereich, der der Hoheit des Königs untersteht. Diese Hoheit muss nach innen stets und überall durchgesetzt werden, wenn sie nicht gerade einmal irgendwo eine Weile Bestand hat. Dazu braucht der Herrscher Mitglieder des Hochadels, die sich ihm unterwerfen und seine Hoheit samt seinem Schutz anerkennen. Tun sie das, sind sie ihm gegenüber zum Dienst verpflichtet, und der wichtigste ist der, an der Spitze von Kriegern mit ihm dorthin zu ziehen, wo der Herrscher seine Macht mit militärischer Gewalt demonstrieren oder durchsetzen will.

 

 

In einem ersten Heerzug nach Italien wird Otto I. 951 nicht nur Gemahl der Königswitwe, sondern auch König der Langobarden. Offenbar will er schon da vergeblich vom Papst die Kaiserwürde erlangen.

Zunächst ist das regnum, welches mehr oder weniger Italia meint und als das der Langobarden bezeichnet wird, formell von einem Reich der Franken abgetrennt, und die Grenze ist einigermaßen eine zweier Völker. Dabei ist der „deutsch"-stämmige König der Langobarden in Italien immer nur soweit präsent, wie seine Truppen in hinreichender Zahl anwesend sind und er königliche Amtsträger benutzen kann.

 

Aus einer Art Stammeskulturen werden weiter östlich an Punkten der Verdichtung von Macht Kerne für Reiche, die nicht wie einst bei Germanen aus mehr oder weniger kriegerischen Wanderungsbewegungen entstehen, sondern eben erst deutlich danach, aber eben auch aus Kontakten mit Zivilisation, wie das zum Beispiel schon in der Karolingerzeit für Großmähren galt, wo eine Familie mit Christianisierung und Verbindung mit den östlichen Karolingern Fürstenstatus erreichte.

 

Mit Böhmen und Polen kristallisieren sich zwei neue „christliche“ Reiche heraus, die wiederum gegenseitig kriegerisch ihre Grenze zu bestimmen suchen. Um das Handelszentrum Prag (wie um Brandenburg) bildet sich das Zentrum einer Fürstendynastie, die sich aus der Unterwerfung unter den ostfränkischen Königen immer einmal wieder zu befreien sucht, während die nördlichen Westslawen, zwischen Reich und Polen eingeklemmt, langsam in eine bedrohliche Situation geraten.

 

Im Südosten und Osten wird das Reich nach und nach seinen Einfluss ausdehnen, weil die Nachbarn dort slawische Stammeskulturen am Übergang in einen zivilisierten Status sind, die missioniert und damit auch ansonsten überfremdet werden können. Kriegerisch wie die vor noch nicht langem zwangs-christianisierten Sachsen neigen auch Slawen östlich der Elbe zu Raubüberfällen, die gegenseitig zunehmend im Namen von Kult bzw. Religion legitimiert werden. Die sächsischen Großen sind dabei daran interessiert, von den heidnischen Nachbarn Tribute und Abgaben und dafür mit erheblicher Brutalität eine gewisse Oberhoheit zu erzwingen. In den (lateinischen) Texten der sehr langsam zu Deutschen zusammenwachsenden Völker sind sie vorwiegend Barbaren, Ausdruck von Verachtung, wie sie schon Griechen und Römer kannten.

 

Gegen regelmäßige Ungarneinfälle zwischen 937 und 954 richtet Otto I. Marken von der Unterelbe bis zur Saale ein. 937 gründet er ein Kloster in Magdeburg und richtet 948 zwei Bistümer in Brandenburg und Havelberg östlich der Elbe ein. 955 werden die Ungarn in der Schlacht auf dem Lechfeld bei Augsburg dann endgültig besiegt. Franken, Bayern, Schwaben, einige Sachsen und Böhmen sind beteiligt. Der Machtanspruch des Königs ist damit gesichert.

 

Vor seinem zweiten Italienzug lässt Otto seinen Sohn Otto (II.) dann zum Mitkönig und damit Nachfolger machen - und dann auch zum Mitkaiser.

Die Entscheidung, wie seine karolingischen Vorgänger Italien zu erobern und 962 durch einen Kaisertitel mit dem Norden zu verklammern, wird fatale Folgen für die entstehenden deutschen Lande haben. Nur militärische Präsenz wird herrschaftliche Präsenz im Süden gewährleisten, und die häufige Abwesenheit der Herrscher in Italien wird die zentrifugalen Kräfte im Norden begünstigen, so dass es nie zu einem Reich der Deutschen kommen wird. Dazu kommt der mörderische Verschleiß an Menschen und der finanzielle Aufwand, der vom Norden abgezogen wird. Schließlich wird die Bindung an zunächst willfährige und dann widerspenstige Päpste, derer es für den Kaisertitel bedarf, Unheil über die deutschen Lande bringen, wie sich im nächsten Jahrhundert schon zeigen wird und dann bis heute. Die derzeitige Verteidigung dieses ruinösen deutschen Sonderwegs durch politisch korrekte Historiker der BRD zeigt, wie konsequent sie Historie als Rechtfertigung der Mächtigen und als die Masse der Menschen verachtende Legendenbildung begreifen.

 

In der nächsten Zeit ist der Kaiser im Norden vor allem mit der Instrumentalisierung der Kirche für seine Macht beschäftigt. Gegen den langen Widerstand des Mainzer Erzbischofs und des Bischofs von Halberstadt wird Magdeburg 968 zum Erzbistum erhoben und ihm werden die Bistümer Brandenburg und Havelberg aus der Mainzer Diözese zugeordnet. Außerdem sollen in Merseburg, Meißen und Zeitz neue Bistümer errichtet werden.

 

967 kommt es zu einem weiteren Kriegszug nach Italien, schließlich zu neuer Annäherung an Byzanz und 972 zur Heirat des Thronfolgers mit der byzantinischen Prinzessin Theophanu.

 

Otto II.

Nach dem Tod des Vaters 973 findet für den Sohn nur noch ein förmlicher Huldigungsakt statt. Aber es offenbart sich schnell die tatsächliche Schwäche königlicher Macht. In den ersten Jahren müssen Aufstände niedergeworfen werden, die sich gegen königliche Eingriffe im Süden des Reiches richten. Otto macht seinen Neffen zum Herzog von Schwaben, unterwirft mühsam seinen Vetter Heinrich ("den Zänker") 974/946 und 977, worauf der in Haft muss, und bindet Bayern unter Abtrennung Kärntens, Veronas und Friauls an den Schwabenherzog an. Daneben gibt es Kriegszüge gegen Böhmen und Dänen und gegenseitige Drohgebärden mit Westfranzien um Lothringen, einen Feldzug des einen bis nach Aachen und des anderen bis vor Paris.

 

Seit 980 ist der Kaiser in Italien, von wo aus er auch den Norden regiert. Er versucht nun, auch Venedig und Süditalien in sein Reich einzubeziehen, was aber am Ende nicht gelingt. Er verbringt mehr als die Hälfte seiner Zeit mit Kämpfen im Süden, vor allem auch gegen die Sarazenen. Derweil werden von ihm immer ungenierter befreundete Päpste eingesetzt, die es aber schwer haben, sich ohne kaiserliche Anwesenheit zu halten.

983 gelingt es den ostelbischen Slawen, den deutschen Einfluss durch einen großangelegten Aufstand wieder und für lange Zeit abgesehen vom sorbischen Raum bis an die Elbe zurück zu drängen. In der nächsten Zeit kommt es zu brutalen Überfallen in slawisches Gebiet, die von Sachsen und Meißen aus geführt werden.

 

Machtansprüche an den umstrittenen Grenzen bedeuten immer neue Kriege, und die zunehmenden Eingriffe und Erfolge im Inneren sind nicht nachhaltig, wie das elfte Jahrhundert zeigen wird. In Nachfolge des Vaters werden nun neben der Einsetzung von Verwandten in weltlichen Machtpositionen immer rücksichtsloser Kirche und Kloster in die Machtbehauptung eingespannt. Äbte und Bischöfe bilden inzwischen die Masse des königlichen Heeres und ihre königliche Einsetzung wird immer wichtiger. Mit der königlichen Besetzung von Bischofsämtern aus der Hofkapelle entsteht das, was Historiker dann als Reichskirchensystem bezeichnen werden. Mit der Privilegierung solcher Bischöfe für ihre Städte beginnt deren nun deutlicherer Aufschwung.

983 kann der zweite Otto seinen dreijährigen gleichnamigen Sohn zum Mitkönig machen, der dann in Aachen geweiht wird.

 

Otto III.

Der minderjährige König ist sehr lange unter der Regentschaft von Mutter Theophanu und dann Großmutter Adelheid. Dabei kämpfen geistliche und weltliche Große wie der wieder frei gekommene Heinrich ("der Zänker") um Einfluss und Machtausbau. Lothar bemüht sich um die Anbindung Lothringens an Westfranzien. Die Feindseligkeiten zwischen beiden Reichen nehmen zu.

 

Nach Herrschaftsantritt des dritten Otto 994 kann dieser die Verhältnisse im Norden einigermaßen stabilisieren, wobei er die Machtstrukturen seiner beiden Vorgänger weiter zu verfestigen sucht. Er regiert weniger als drei Jahre von Ostfranzien aus, und seit 996 vorwiegend von Rom (Kaiserpfalz auf dem Palatin) und Ravenna, wo er mit von ihm eingesetzten Päpsten zusammenarbeitet. Kritik gegen seine Italien-Orientierung und der Konzentration auf das Kaisertum hin (Renovatio Imperii Romanorum) übt beispielsweise Willigis. Auf Abbildungen wird dem Kaiser von Gallia (Lothringen), Germania, Italia und Sclavinia (ostfranzische Westslawen) gehuldigt.

 

Mit einer Pilgerreise nach Gnesen demonstriert der Kaiser die auch sonst offensichtliche Frömmigkeit, die gut zu seiner Unterstützung durch Bischöfe und Äbte passt. Die Erzbistümer Gnesen und Gran lösen Polen und Ungarn aus dem Reich. Im wesentlichen hält sich Otto aber in Italien auf, wo er mit seinen Päpsten Hand in Hand arbeitet. 1101 wird Kaiser Otto III. von den Römern aus ihrer Stadt vertrieben und stirbt bald danach. Das ostfränkische Kaisertum, 962 begründet, erlischt damit zunächst. Ottonische Herrschaft über Italien bricht zusammen wie ein Kartenhaus.

 

 

Königsherrschaft, Reich, Staat

 

Herrschaft nach innen bleibt bescheiden und für fast alle Untertanen im Vergleich zu heutigen Staaten oft kaum spürbar. Königliche Macht reagiert vor allem, und zwar dort, wo sie es für erforderlich und möglich hält, und im Kontakt mit höherem Adel.

Dabei ist selbst die schiere Präsenz der römischen (sächsischen) Könige im größten Teil Alemanniens und Bayern im 10. Jahrhundert im wesentlichen auf Durchzüge nach Italien begrenzt, ähnlich wie westfränkische Könige sich nicht in den Süden ihres (nominellen) Reiches begeben. Erst ab Otto III. werden Bischofsstühle in Alemannien und Bayern mit Mitgliedern der Hofkapelle besetzt, überall nimmt die Privilegierung der Bischöfe (und von Äbten) zu und nun werden Hoftage eben in wesentlich höherem Maße überall in Bischofsstädten abgehalten. Anders als in Westfranzien findet dann spätestens mit Konrad II. der Umritt nach dem Herrschaftsantritt im ganzen Reich statt: Der König herrscht nun erst vom ganzen Reich aus im ganzen Reich. (siehe Keller(2), S.53ff)

 

In Urkunden verleiht oder schenkt der frühe ottonische König Reichsgut und Reichsrechte, verwaltet vor allem sein eigenes Gut und trifft Entscheidungen im Verein mit den Großen, indem er zu Reichs- und Hoftagen reist und auch ansonsten sich von Pfalz zu Bischofssitz zu Pfalz begibt.

 

Hohe Ämter werden am Hof angesiedelt und von hohem Adel ausgeübt. Gelehrtere Geistlichkeit versammelt sich in der Hofkapelle, die als Kanzlei den Schriftverkehr ausübt. Weltlicher Hochadel mit großem Besitz ist insbesondere in Ostfranzien als Graf mit erheblichen, vom Königtum abgeleiteten Herrschaftsfunktionen ausgestattet, wobei sich mächtige "Grafensippen" entwickeln, die auf Erblichkeit und Machtanhäufung beruhen, auch wenn das alles formell auf Lehen beruht. (Goetz)

 

Unter dem König stehen also hohe Herren eines sich langsam klarer entwickelnden Adels, der aber noch nicht eindeutig als Stand abgegrenzt ist und welcher erhebliche Teile späterer Staatsgewalt auf sich vereint. Unterhalb der großen gibt es kleine Grundherren, und diejenigen, die als Abhängige für sie arbeiten, also die meisten Menschen damals, unterstehen ihrer Grundherrschaft. Das ist die große familia, während die kleine wiederum dem Hausherrn untersteht. Kirche und Kloster mit ihren Immunitätsbezirken bilden aus dem weltlichen Raum ausgegrenzte Bereiche. Alles das zusammen schafft einen Verbund von Personen, die mittels persönlicher Machtverhältnisse zusammengehören.

 

Die Ottonen basieren ihre Macht ideologisch weiter auf göttliche Berufung, müssen sie aber tatsächlich weiter als große Krieger, Jäger und geschickte Verhandler belegen und durch Prachtentfaltung zeigen. Dazu gehören seit dem Aachener Tierpark Karls ("des Großen") auch ähnliche Tiergärten zum Beispiel der Ottonen. Hugo ("der Große") schenkt zwei Löwen, der Pole Mieszko ein Kamel, und selbst der tuszische Markgraf Bonifaz hält Löwen. Tiere zum Vergnügen und als Ausdruck von Macht einzusperren gehört eben zum Repertoire aller Natur verachtenden Zivilisationen.

 

Das zehnte Jahrhundert ist in Europa auch Schwellenzeit für jene übergeordneten Machtstrukturen, aus denen später Staaten werden.

Nach dem Mittelalter entwickelt sich aus dem lateinischen status der italienische stat , eine Form verfasster Macht. Staat (aus dem Lateinischen) und Stand (aus dem Germanischen) sind im sich entwickelnden Französischen beides état. Es gibt den Stand der Ehe, den état als Zustand der Kasse, also den Haushalt des Machthabers und seine Hofhaltung, aber eben auch den geistlichen Stand, den der Freien, die des Adels sind, und den von fast allen, die noch im französischen 15. Jahrhundert aus höfischer Sicht vilains sind, ein Wort, welches ursprünglich die Bauern bezeichnet und bald nur noch den dummen Pöbel bezeichnen wird.

 

Gerd Althoff spricht in einem Buchtitel von den Ottonen und ihrer "Königsherrschaft ohne Staat" (siehe Literaturverzeichnis), Hagen Keller in einem Aufsatz von "Staatlichkeit" in Anführungsstrichen. (Keller (2). Tatsächlich verschwinden die sehr kleinen Ansätze von "Staatlichkeit" im Reich Karls ("des Großen"), nämlich "Zentralität, Amt, Gesetzgebung, Schriftlichkeit" (Keller(2), S.16) im Verlauf des neunten Jahrhunderts, und das dann auch noch besonders im ostfränkischen Reich. Vielmehr sind die Ottonen um des Machterhaltes willen darauf angewiesen, immer mehr ihrer Machtmittel an den Adel abzugeben und in Westfranzien verläuft all das noch viel drastischer.

 

In der Lebensgeschichte des Johannes von Gorz, den Otto um 956 zum Kalifen Abderrahman III. von Cordoba geschickt hatte, lässt der Autor den Kalifen folgendes zu ihm über Ottos Reich sagen:

Er behält die Herrschaftsgewalt (potestas) in seinem Machtbereich nicht sich selbst vor, sondern lässt in weitem Umfang jeden der Seinen eigene Herrschaftsgewalt (potestas) ausüben. Er teilt die Gebiete seines Reiches unter sie auf, gewissermaßen, um ihre Treue und Unterwerfung noch fester zu machen. Doch es kommt ganz anders: Daraus gehen Hochmut (superbia) und Auflehnung (rebellio) gegen ihn hervor. Gerade jetzt ist dies wieder bei seinem Schwiegersohn geschehen, der durch Treulosigkeit (per perfidiam) auch noch den Königssohn auf seine Seite gebracht und eine Art öffentlicher Gegengewalt (publica tirannis) gegen den Herrscher ausgeübt hat, und zwar bis dahin, dass er das auswärtige Volk (gentem externam) der Ungarn zum Plündern durch die Reiche des Königs geleitete.(Deutsch in Keller, S.20, lateinisch S.192)

 

Solche eingeschobene wörtliche Rede ist wie immer entweder nachempfunden oder mehr oder weniger frei erfunden. Es ist hier durchaus möglich, dass der Autor seine eigene Einschätzung wiedergibt und – sicher ist sicher – dem Kalifen in den Mund legt, ohne dessen Ansichten aber dabei zu widersprechen. Die Kenntnis und Einsicht in das Geben und Nehmen zwischen Monarch und Hochadel dürfte bei einem Despoten in Cordoba eher weniger gegeben gewesen sein.

 

Herrschaft bedeutet nach außen Kriegszüge, Verhandlungen mit anderen Herrschern und damit zusammenhängend Heiraten und Verheiratungen von Kindern. Heiraten werden wesentlich aus machtpolitischen Überlegungen heraus geschlossen, aber offenbar nicht immer ganz. Thietmar von Merseburg berichtet vom (späteren) Heinrich I., er habe um die Erbtochter eines Grafen wegen ihrer Schönheit und der Nützlichkeit der Erbschaft und des Reichtums geworben, später aber sich in Mathilde wegen deren Schönheit und Besitz verliebt, und sich darum von seiner Frau getrennt. (I,5 und I,9)

 

Recht

Die Vorstellung von Recht, also von dem, was "allgemein" für richtig angesehen wird, sich also bewährt hat und Gewohnheit geworden ist, geht weiterhin davon aus, dass die christlich gedeutete Weltordnung schon ein Recht enthalte, welches von den Altvorderen her tradiert immer wieder neu hergestellt (reformiert) werden müsse, um erhalten zu bleiben. Von daher setzen die Machthaber nach ihrer Auffassung kein Recht, sondern sie beschützen es und setzen es dabei durch. Diesen Charakter ändert es nur sehr eingeschränkt dadurch, dass es als Volksrecht in der Merowingerzeit in mehreren Reichen aufgeschrieben und so vereinheitlicht wird. Welche Bedeutung das dann in einer immer schriftloseren Zeit bekommt, bleibt für uns heute eher unklar. Rechtswesen und Gerichtsbarkeit bleiben erst einmal weitgehend der mündlichen Sphäre verhaftet. Oberster Rechtswahrer hat dabei der König zu sein. Zudem gibt es zunehmend auch ein wenig königliche Rechtsetzung. Tatsächlich wird die dann aber immer wieder auch neuen Verhältnissen angepasst.

Was der relativ schrumpfenden Zahl der Freien dabei noch lange erhalten bleibt ist das Fehderecht, also die eigene (auch gewaltsame) Suche von mächtigeren "Freien" nach Recht dort, wo es einem nicht von oben gewährt wird.

 

Mehr oder weniger Unfreie fallen da heraus, da sie dem allerdings erst seit dem 11. Jahrhundert aufgezeichneten Hofrecht ihres Grundherrn unterliegen und seiner Gerichtsbarkeit.

Selbst hier in der familia des Grundherren ist der Friede offenbar auch immer wieder gefährdet, wie man dem Hofrecht des Bischofs Burchard von Worms von etwa 1025 entnehmen kann, wo es im Paragraphen 30 heißt:

Wegen der Morde aber, die fast täglich in der Hausgemeinschaft von St.Peter wie bei wilden Tieren geschahen, weil häufig wegen einer Nichtigkeit oder in Trunkenheit oder aus Übermut einer wie wahnsinnig über den anderen so in Wut geriet, dass im Laufe eines Jahres 35 Knechte von St.Peter unschuldig von Knechten dieser Kirche umgebracht wurden und die Mörder sich dessen mehr gerühmt und gebrüstet haben als dass sie Reue gezeigt hätten. Mörder müssen Wergeld zahlen, und sollen mit glühendem Eisen an der Wange gebrandmarkt werden. (in: Goetz, S.125)

Dabei soll aber der Rachegedanke durch ausgleichendere Genugtuung ersetzt werden, aus welcher Friede zwischen der Verwandtengruppe der Opfer und derjenigen der Täter hervorgehen soll. Ein Teil des Wergeldes soll deshalb an die Freunde des Opfers gehen. (alles cap.23)

 

Geistliche unterliegen dem kirchlichen Recht und seiner Gerichtsbarkeit. Die oft nicht mehr allzu vielen Freien wiederum unterliegen dem Grafengericht. Seit Karls ("des Großen") Zeit finden Schöffen (scabini) das Urteil, welches der Gerichtsherr vollstrecken lässt. Schöffen, Zeugen etc. werden zunehmend auf einen kleinen Kreis von boni homines eingeschränkt. Bevor diese immer wichtiger werden, spielen Eidhelfer für beide Seiten eine wichtige Rolle.

 

Oberstes Interesse der hohen Herren ist der Friede unterhalb von ihnen, mit dem ihren wirtschaftlichen und militärischen Machtmitteln am ehesten gedient ist. Deshalb ist nach Unterwerfung unter ein Gericht für Freie bzw. Herren der (Interessen)Ausgleich in der reconciliatio, der Aussöhnung das vorzugsweise Ziel, und dazu muss der unterlegene (also schuldige) Teil satisfactio leisten, also Genugtuung bzw. compositio. Funktioniert alles nicht, spricht der König als oberste Instanz bei höheren Herren ein Machtwort seiner Willkür. Bevor später die Strafe immer wichtiger wird, ist also die Buße als Wiedergutmachung, also Schadensausgleich von vorrangiger Bedeutung.

 

In der Kriegergesellschaft auch des 10. Jahrhunderts ist Gewalt weiterhin das konstitutive Element der Zivilisation. Damit gewinnt das Moment der Ehre eine über das psychische Moment weit hinausgehende Bedeutung: Ehrverletzung macht den Krieger zum Opfer auch zukünftiger Gewalt, wenn die Ehre nicht wiederhergestellt wird. Und gerade deshalb geht es im Gerichtsverfahren unter den Herrenmenschen weniger um exakte Gesetzestreue, sondern um das "Wahren des Gesichtes", denn nur so kann Friede wieder hergestellt werden, manchmal allerdings eben auch nur bis zur nächsten Ehrverletzung

 

 

Italien

 

Ein langobardisches Königtum kontrollierte einst vor allem den Norden, während im Süden sich selbständige langobardische Fürstentümer breitmachen und ganze Regionen mehr oder weniger byzantinisch bleiben. Die fränkische Eroberung ändert an dieser Aufteilung wenig, wobei Sizilien längst unter nordafrikanisch-islamische Herren geraten ist.

Eine Sonderrolle nimmt Rom mit dem Papsttum ein, welches Ansprüche auf ein größeres Territorium erhebt.

 

In der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts versuchen wie in den Jahrzehnten zuvor wechselnde Könige/Kaiser (lockere) Herrschaft über den Norden Italiens auszuüben. Hauptstadt ist weiterhin Pavia mit königlichem Hof und bedeutender zentraler Rechtsprechung. Hierhin appellieren die von iudices bestückten und von Grafen oder ihren  Vertretern geleiteten Gerichtsversammlungen.

 

Friaul, Ivrea, Toskana, Spoleto sind teilautonome Herzogtümer bzw. Markgrafschaften, in denen sich wiederum bedeutende Städte verselbständigen, so dass am Ende des Jahrhunderts nur noch die Toskana (Tuscien) nördlich von Rom als einigermaßen zusammenhängende Regionalherrschaft funktioniert.

 

889 setzt sich Wido gegen Berengar als König durch. 891 macht er seinen Sohn Lambert erst zum Mitkönig und dann 892 zum Mitkaiser. 896 erzwingt Arnulf seine Kaiserkrönung, 901 Ludwig III., den Berengar 905 blenden lässt.

Von den  Sarazenen wird die Westküste Süditaliens erst 915 durch eine Allianz von Papst Johannes X. mit Byzanz und dem norditalienischen Großen, Markgraf Berengar I., befreit, den der Papst in Rom im selben Jahr noch mit dem Kaisertitel belohnt, worauf der bald wieder von dort abzieht. Damit ist der frühe Aufstieg von Handelsstädten wie Amalfi und Salerno ansatzweise gesichert.

 

Ab 899 und bis nach 950 überfallen ungarische Reiterscharen die Osthälfte Norditaliens. Lamberts Nachfolger Berengar von Friaul scheitert militärisch dabei, sein Reich zu schützen und fördert darum den Bau von Mauern und Kastellen, die allerdings in "privater" Initiative entstehen. Auch ansonsten ist er gezwungen, immer mehr königliche Rechte und Machtbefugnisse wegzugeben, um seinen königlichen Status wenigstens pro forma aufrecht zu erhalten. Die Macht teilen sich zunehmend Laienadel auf dem Lande mit Gerichtsrechten und Bischöfe in den Städten, die allerdings mit dem städtischen Adel kooperieren müssen. Dennoch lässt sich Berengar 915 zum Kaiser krönen.

 

Als Berengar 920 ungarische Söldner ins Land holt, um sein Heer zu verstärken, nutzen das italienische Große im Nordwesten, um den Welfen König Rudolf II. von Burgund zu rufen. Der lässt sich 921/22 zum König von Italien erheben und besiegt 923 Kaiser Berengar.

924 brennen Ungarn Pavia nieder. Im selben Jahr wird Berengar ermordet. Graf Hugo von Vienne gelingt es 924, sich Niederburgunds zu bemächtigen. Danach

holen 926 italienische Große den Markgrafen Hugo von Vienne/Provence, Graf von Arles; der wendet sich in Italien mit dortigen Großen gegen Rudolf II. und dieser wird vertrieben.

Er macht bald Sohn Lothar zum Mitherrscher und versucht überhaupt (bis 947) , durch die Besetzung von (Mark)Grafschaften und Bischofsämtern mit Verwandten zu herrschen. Sohn Boso wird Bischof von Piacenza. Bruder Boso und ein illegitimer Sohn werden nacheinander Markgrafen von Tuscien. 932 verheiratet er sich mit der in Rom herrschenden Hochadeligen Marozia, deren Sohn Alberich aber die Mutter gefangen nimmt und den Stiefvater aus Rom vertreibt.

Vorläufig gibt es unter dem römischen Stadtpräfekten Alberich keine Kaiser mehr, dafür gibt es alleine zwischen 882 und 914 fünfzehn Päpste, und danach solche, die Alberich höchst persönlich einsetzt.

 

Ein Versuch des bayrischen Herzogs Arnulf 934, auf Einladung von Bischof und Graf von Verona den italienischen Königstitel zu erringen, scheitert militärisch. Bischof Rather muss zum ersten Mal ins Exil. Hugos Herrschaftsversuche werden offenbar immer gewalttätiger.

 

937 wird er nach dem Tod Rudolfs versuchen, dessen jungem Erben Konrad Niederburgund zu entreißen, was an König Ottos I. Unterstützung für ihn scheitert. In den vierziger Jahren versucht er, Berengar II. von Ivrea zu übertfallen, der, von Hugos Sohn Lothar gewarnt, kann aber zu Otto I. entkommen und kehrt 945 mit Militär nach Italien zurück.  Hugo muss in die Provence fliehen und Lothar behält einen zumindest nominellen Ttel für Italien.

 

Markgraf Berengar von Ivrea rebelliert 940 gegen Hugo, scheitert und muss in die deutschen Lande fliehen. 945 marschiert er mit deutschem Militär in Norditalien ein, wobei immer mehr Bischöfe und weltliche Große zu ihm überlaufen. 947 stirbt Hugo, und Berengar kämpft weiter gegen Hugos Sohn Lothar, der 950 stirbt, was Berengar und Sohn Adalbert die Königskrone bringt.

 

Als Lothars ebenfalls junge und schöne Witwe Adelheid, Tochter des burgundischen Welfen Rudolfs II., sich weigert, Adalbert zu heiraten, wird sie als Nukleus der Anti-Berengar-Fraktion in einen Turm am Gardasee eingesperrt. Sie kann bis zum befestigten Reggio im Machtbereich der tuszischen Markgrafen entkommen und König Otto um Hilfe anrufen, was sich dieser zunutze macht, um einzumarschieren, die junge Königswitwe Adelheit zu "retten", und dann bis hinunter nach Rom durchzumarschieren. Es kommt zu der fast stillschweigenden Übernahme des langobardischen Königstitels

Der erste Heerzug Ottos d.Gr. 951 trifft auf ein nicht nur von inneren Machtkämpfen, sondern auch von den regelmäßigen Einfällen und Raubzügen von Sarazenen und Ungarn geschädigtes Land. Adel und Landbevölkerung ziehen darum vielerorts in Burgen und befestigte Orte, was einer gewissen Verstädterung Vorschub leistet. In Kathedralstädten übernehmen die Bischöfe die Stadtherrschaft auch ohne königliche Förderung, wie sie in deutschen Landen üblich ist.

Dabei hat Norditalien als Besonderheit mit Pavia eine auf die Langobarden zurückgehende Hauptstadt.

„Dort hatte die königliche Kammer ihren Sitz, der regelmäßige, zentral verwaltete Einkünfte zuflossen: die Einnahmen aus den Zöllen an den Alpenklausen, aus Flusszöllen, aus der Goldwäscherei in den von Alpen und Appenin herabströmenden Wasserläufen. Bestimmte Waren, die die Kaufleute Venedigs oder Amalfis aus den Mittelmeerländern in das Regnum brachten, sollten nur dort zum Verkauf angeboten werden. Von Pavia aus organisierte der Pfalzgraf an Stelle des Königs die Rechtsprechung im Reich, dort lag das Orientierung gebende Zentrum für die im Regnum tätigen Pfalz- und Königsrichter. Dort besaßen vor allem viele der Bischöfe, Klöster und weltlichen Großen Ober- und Mittelitaliens ein Haus, das sie bei ihren Aufenthalten am Königshof aufsuchen konnten und das ihnen sozusagen institutionell eine Präsenz in der Haupstadt des Reiches sicherte.“ (Althoff/Keller, S.192)

 

Otto I. schickt von Pavia eine Gesandtschaft, die mit dem Papst Agapet II. über die Kaiserwürde verhandelt. Dort herrscht Alberich II. im weltlichen Bereich und kontrolliert das Papsttum. Er ist an keinem Kaiser über sich interessiert. Otto zieht wieder nach Norden ab, ohne Berengar II. nennenswerten Schaden zugefügt zu haben. 960 dann die Wende. Papst Johannes XII., Sohn Alberichs, war wegen seines wenig frommen Lebenswandels und durch Berengar II. von Ivrea unter Druck geraten und bietet nun Otto die Kaiserkrone an. Der wird 962 in Rom gekrönt.

 

Wesentliches Herrschaftsinstrument Ottos ist dabei die Überlegenheit der fränkisch-"deutschen" Armee, wenn sie denn einmal auftaucht.

Während er sich dann gegen Berengar wendet, aber dabei offenbar dem Papst in Italien zu mächtig wird, nähert sich dieser Berengars Sohn Adalbert an. Otto kehrt nach Rom zurück, verjagt Johannnes und macht Leo VIII. zum Papst. Kaum ist der Kaiser abgezogen, holt Rom Johannes zurück und Papst Leo muss flüchten. Johannes stirbt kurz darauf und wird in Rom durch Benedikt V. ersetzt. 964 kehrt Otto mit militärischer Gewalt nach Rom zurück und lässt Benedikt nach Hamburg eskortieren, um dann selbst nach Norden aufzubrechen. Seine Statthalter in Rom setzen nach dem Tod Leos Papst Johannes XIII. durch.

 

966 zieht Otto wieder mit einem Heer nach Italien, vor allem offenbar, um seinen jungen Sohn Otto (II.) zum Mitkaiser krönen und so würdig erscheinen zu lassen für eine byzantinische Prinzessin. Der byzantinische Kaiser lehnt ab, eine solche zu schicken, was der Situation in Süditalien Schärfe verleiht. Hier herrscht seit 961 Pandulf Eisenkopf als Fürst über Capua und Benevent, der sich für seine Interessen an Apulien mit dem Kaiser verbündet.  Der Fürst fällt kurzzeitig in die Hände der Byzantiner, die nun ganz Kalabrien und Apulien kontrollieren. Otto schickt ein Heer, welches gegen die Byzantiner vorgeht. Pisa leistet Unterstützung.

 

Im Norden Italiens setzt sich im Verlauf des Jahrhunderts die Tendenz durch, königliche Herrschaft wie auch nördlich der Alpen zunehmend auf die Bischöfe zu stützen, und nur noch in wenigen Gegenden auf Markgrafen wie die Canossa und einzelne Hochadelige wie die Obertenghi, während die ursprünglich fränkischen Grafen ein Eigenleben führen und an Bedeutung für die Könige verlieren. Überall herrscht Eigeninteresse vor dem königlichen vor, in Dörfern, Städten, bei Bischöfen und entstehendem Adel.

 

978 zieht Otto II. auf einen Hilferuf von Papst Benedikt erneut nach Italien, wo er versucht, gegenüber Venedig und den langobardischen Fürsten direktere königlich-kaiserliche Herrschaft durchzusetzen und sowohl die Sarazenen als auch Byzanz zurück zu drängen. Nach ersten militärischen Erfolgen scheitert er und stirbt 983 in Italien.

Im Unterschied zum recht griechisch geprägten Kalabrien gelingt es Byzanz nur recht oberflächig, das lateinische Apulien zu kontrollieren, an dessen Küste sich dann Anfang des 11. Jahrhunderts Städte wie Bari oder Trani immer mehr verselbständigen.

 

Seit 996 ist der dritte Otto hauptsächlich in Italien. In den neunziger Jahren baut Markgraf Arduin von Ivrea seine Macht insbesondere gegen Bischöfe aus. 998 lässt ihn Otto III. verurteilen und entmachten.

Kaum ist Otto III. tot, lässt sich Arduin von Ivrea mithilfe italienischer Großer zum langobardisch-italienischen König krönen. Er gewinnt Unterstützung auch dadurch, dass er die Reformbewegung in den Klöstern unterstützt, die dabei ist, auf die Kirche überzugreifen. Ein erster Versuch eines Heeres deutscher Großer gegen ihn scheitert. Heinrich II., der sich auch in Italien ganz auf die von ihm eingesetzten Bischöfe verlässt, tritt ebenfalls auf die Seite der Reformbewegung. 1004 lässt er sich in Pavia krönen, ohne Arduin besiegen zu können. Einwohner Pavias empören sich gegen ihn, und brennen die Königspfanz nieder. und er kehrt in die deutschen Lande zurück, während die ihn unterstützenden Bischöfe den Kampf gegen Arduin fortsetzen

 1003/04 besiegt ihn dann Heinrich II. persönlich und lässt sich in Pavia zum 'König der Langobarden' krönen. Als Reaktion darauf rebellieren die Einwohner Pavias und brennen die Königspfalz nieder. Heinrich lässt Teile seiner Hauptstadt niederbrennen, um dann nach Norden abzuziehen. So schwindet auch noch das letzte Symbol von Königsmacht in Italien.

 

Unter Ottos I. Nachfolgern wird der Versuch gemacht, auch Süditalien zu erobern, was aber an den Sarazenen, Byzantinern und der fehlenden Bereitschaft langobardischer Fürsten scheitert, sich dauerhaft unterzuordnen.

Die Halbinsel mit ihren nahen großen Inseln ist also unter Herren von ganz unterschiedlichen ethnischen Wurzeln und Rechtsvorstellungen aufgeteilt, römischen, langobardischen, fränkischen, dann ostfränkischen, oströmischen und nordafrikanischen.

 

 

Das Westfranken-Reich

 

Das Westfranken-Reich wird am Ende vom Namen her das Erbe der Francia antreten. Schon seit den Karolingern entwickeln dabei südliche Regionen jenseits der Loire bzw. deren Machthaber ein Autonomiebedürfnis. Zwei romanische Großdialekte werden gesprochen, die langue d'oeil im Norden und die näher am Lateinischen bleibende langue d'oc im Süden, die im Laufe der Zeit immer weiter südlich abgedrängt wird.

Wie in Italien ist auch im Süden Galliens die Kontinuität römischer Strukturen und Rechtstraditionen stärker geblieben, und französische Könige werden ihn erst im Zuge der Vernichtung der sogenannten Katharer sich einverleiben können.

 

Neben diese grobe Zweiteilung treten eine Vielzahl von Fürstentümern, die sich zwar zumindest nominell dem König unterordnen, tatsächlich aber immer ungestörter ihre Eigeninteressen vertreten. Sie sind nicht ethnisch begründet, sondern schaffen sich eigene Regionen durch Ausweitung von Familienbesitz und Hoheit. Unter ihnen zerfallen besonders in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts die Regionen in lokale Burgherrschaften.

 

Einen Fremdkörper im Norden stellt die Normandie dar, jenes Gebilde, welches der französische König den Normannen zur Verfügung stellt. Der Herzog betrachtet hier wie später in England alles Land als seinen Besitz, duldet also keine Allodien, sondern gibt Land nur als Lehen aus, auf deren Status er aufmerksam bedacht ist.

 

Ein weiterer ist die Bretagne mit ihren keltischen Besonderheiten. Umstritten ist zunächst (Rest)Lothringen, welches dann an das Reich der Sachsenkönige fällt. Im späteren 9. Jahrhundert entstehen Hoch- und Niederburgund neu, vereinigen sich 933 zum Arelat, und dieses nähert sich unter Konrad I. (937-93) etwas dem römisch/deutschen Reich an.

Vom Loireraum bis zum Mittelmeer und den Pyrenäen führen also Herrschaften ein Eigenleben so wie im Norden die Bretagne und die Normandie.

 

Das (schwache) Königtum ist insbesondere zwischen der immer schwächer werdenden Familie der Karolinger und den aufsteigenden Robertinern umkämpft. Das Ostfrankenreich entwickelt sich zur überlegenen Macht, die gelegentlich in die inneren Konflikte im Westreich eingreifen und dort ihre Interessen vertreten kann.

 

Um 840 kommt ein Robert ("der Tapfere") vom Rheingau aus an den Hof Karls ("des Kahlen"), wo er palatinus wird. Er zeichnet sich als Heerführer des Königs gegen Bretonen und Normannen aus. 888 wird sein Sohn Odo westfränkischer König bis 899, und dessen Bruder Robert wird Graf von Paris. Odo kann sich aber südlich der Loire nicht durchsetzen. 893 führen die Misserfolge gegen die Normannen dazu, dass der Erzbischof von Reims den inzwischen erwachsenen Karolinger Karl ("der Einfältige") einsetzen kann, wofür Robert nicht nur für Paris, sondern auch für die Robertiner-Besitzungen zwischen Seine und Loire bestätigt wird. Damit ist der König auf den Hauptort Laon angewiesen. Ihm fehlt auch die Macht, Grafen oder Herzöge einzusetzen und dasselbe gelingt ihm auch nur für wenige Bischöfe im Norden.

 

Um 900 beginnt die Zersplitterung der großen Regionalmächte zuzunehmen. Die Robertiner, Heribert von Vermandois, Graf Balduin von Flandern, Fulko von Reims, der Herzog Richard von Burgund, Herzog Wilhelm   (" der Fromme") von (Ost)Aquitanien und der Graf von Toulouse kontrollieren tatsächlich nur noch Teile ihrer nominellen Herrschaften. Strukturen von Vasallität derer, die sich eine entsprechende militärische Ausrüstung leisten können, nehmen zu.

Immerhin: Die Ansiedlung der Normannen 911 unter Rollo als Grafen von Rouen beendet die Normannengefahr.

 

920 rebellieren laut Flodoard fast alle Grafen der Francia. 922 wird Karl von den Großen abgesetzt und Robert wird König. Er wird allerdings schon im nächsten Jahr in einer Schlacht getötet. Sein Nachfolger wird sein Schwiegersohn Rudolf I. von Burgund (923-36).

Mit dem ersten König aus dem Haus der Robertiner (später: Kapetinger) beginnt die Abkapselung des Westreiches vom Ostreich Fahrt aufzunehmen. Da aber anders als dort oder in England die Herrschaft über das Reich nur eine nominelle ist, es also überhaupt erst hergestellt werden muss, werden im 10. Jahrhundert die ersten Funken von etwas geschlagen, was viel später sich zur Flamme eines allerdings vorläufig noch diffusen Nationalgefühls entfalten wird.

 

König Rudolf regiert vorwiegend in Burgund und von dort aus. Karl ("der Einfältige") wird von Heribert II. von Vermandois gefangen genommen und als Druckmittel gegen den König benutzt. 925 nutzt Heinrich I. das, um auf Lothringen zuzugreifen, wo sich ihm Herzog Giselbert unterwirft.

927 macht Heribert Karl im Konflikt mit Rudolf zum König, behält ihn aber als Gefangenen, bis er 929 im Gefängnis stirbt.

 

936-87 regieren Karolinger in unmittelbarer Folge. Der Robertiner Hugo ("der Große") holt beim Tod Rudolfs Ludwig IV., Sohn von Karl, aus dem englischen Exil zurück. Hugo als dux Francorum kontrolliert mehr oder weniger gleichgewichtig zum König das Zentrum des Westfrankenreiches, während die Fürstentümer faktisch unabhängig sind. 945-46 sperrt Hugo seinen König gar ein. 948 reist der zu Otto ("dem Großen") nach Ingelheim, um Unterstützung zu bekommen. 950 schließen beide Frieden.

 

Nach dem Tod des Vaters 954 wird der dreizehnjährige Lothar König und seine Mutter Gerberga regiert für ihn, und mit dem Tod Hugos 956 nimmt ihr Spielraum zu: Hugos Sohn Hugo ("Capet") ist erst elf Jahre alt. Ottos I. Bruder Brun sorgt dafür, dass Hugo Sohn 960 den Herzogtitel (dux) bekommt.

 

987 stirbt Lothars Sohn, und Erzbischof Adalbero von Reims setzt mit des Hugo ("Capet") Vasallen und verwandten Fürsten durch, dass Hugo in Noyons zum König gekrönt wird. Der hat fast nur noch Besitzungen und Einfluss zwischen Paris, Orléans und Angers und muss sich bis 991 gegen Karl von Niederlothringen durchsetzen. Zwischen 991 und 997 kommt es zu schweren Auseinandersetzungen um das Erzbistum Reims.

Die Grafen von Anjou und Blois verselbständigen sich immer mehr, und bald wird der von Blois auch noch die Champagne erwerben (1021). 927 sterben die Herzöge von Aquitanien aus, und westlich von ihnen steigen die von Poitou auf, die bald nach der Auvergne greifen und zu einer weiteren Großmacht werden. Daneben sind die Grafen von Toulouse und von Barcelona ebenso mächtig wie selbständig. In vielen Gegenden zerfallen Herrschaften aber weiter in Grafschaften und diese in kleinere Burg-Herrschaften.

 

 

England und keltische Gebiete

 

Alfred ("the Great") stirbt als "König der Angelsachsen", und das Reich scheint nun langsam mit England zusammenzufallen. Sein Sohn erobert East Anglia und schließt 919 Mercia ganz an sein Königreich an. Herren (ealdormen) aus Wessex bilden bald dort die Oberschicht.

Dessen Sohn Aethelstan erklärt sich 931 zum "König von Britannien" und 938 zum basileus "der Engländer und aller umliegendenVölker". (Wickham(3), S.458)

 

Dabei entwickeln die Könige im 10. Jahrhundert mit einer auf sie orientierten Herrenschicht ein stärker durchverwaltetes Reich als die Nachbarn auf dem Kontinent zur selben Zeit, wiewohl hier fränkischer Einfluss durchscheint (Wickham).

Das Reich wird in Grafschaften, die shires aufgeteilt, und die werden königlichen "Beamten", shire reeves (späteren sheriffs), unterstellt. die für Gerichtsbarkeit und Heeresaufgebot zuständig sind. Bei solchen Gerichtsverhandlungen soll auch der Bischof und der ealdorman anwesend sein samt den edlen thegn, es ist ein placitum wie im karolingischen Frankenreich (Wickham(3), S. 453f)

 

Unter Edgar werden Klosterreformen durchgeführt und einige Kathedralkirchen werden von Bischöfen aus dem Mönchtum in Klöster verwandelt. Englische Mönche reisen in diesem Zusammenhang auch in fränkische Klöster.

 

Es kommt zu Versuchen, eine lockere Oberhoheit über Cornwall, Wales und Schottland herzustellen, die allerdings ihren keltischen Charakter vorläufig beibehalten.

Um 980 nehmen die dänischen Angriffe wieder zu, sind dann um 1000 bereits ziemlich wirkungsvoll und werden seit den 90er Jahren unter Aethelred II. mit großen Tributzahlungen abgewehrt, die durch eine sehr efektive Art Dänensteuer mit großer Härte eingetrieben werden.

 

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Kelten waren aus dem einst großen antiken Siedlungsgebiet durch Romanisierung, Anglisierung und Vertreibung zum großen Teil mit ihren Sprachen verschwunden. Geblieben sind sie in Cornwall und zunächst auch noch Devon, in Wales, in Schottland und Irland.

In Wales entwickelt sich wegen der englischen Bedrohung ein Gemeinschaftsgefühl als Cymri und seit der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts zudem der immer neue Versuch eines Fürstenhauses von Gwynedd, das ganze Land unter seiner Macht zu vereinen, ohne ihm allerdings Verwaltungsstrukturen aufzwingen zu können.

Im schottischen Alba setzt sich im 10. Jahrhundert immer mehr irischer Einfluss durch. Der hohe Norden und die Inseln sind allerdings skandinavisch und Moray verselbständigt sich, während Lothian gegen Ende des Jahrhunderts hinzu gewonnen wird.

Mitte des 9. Jahrhunderts gehen die Nordmänner in Irland von räuberischen Überfällen zu Ansiedlungen über und entwickeln mit Dublin, dann Waterford, Cork und Limerick erste Städte auf der Insel. Dublin wird ein relativ bedeutendes Handelszentrum mit Produktion von Gegenständen aus Knochen, Leder, Holz und von Textilien. So wie etwa zeitgleich in Wales versuchen auch in Irland Häuptlinge ein zentrales "Hochkönigtum" zu errichten.

 

Überall  entwickelt sich jene Zivilisierung, die sie nach und nach in einen europäischen Markt integriert, einmal über Christianisierung mit Kirche und Kloster, dann über die Etablierung von Normannen vor allem in Irland, deren Orte später zu Städten werden. Ähnliches wird in Teilen Schottlands unter englischem Einfluss seit dem 11. Jahrhundert geschehen.

 

 

Randgebiete: Skandinavier und Slawen

 

Im 10. Jahrhundert befinden sich Skandinavier und Slawen noch weitgehend außerhalb des seit längerem extrem geschrumpften lateinischen Abendlandes. Das nur in geringem Umfang für Landwirtschaft geeignete Skandinavien verleitete schon länger zu Raubzügen und Handel. Die Masse der Menschen sind aber Bauern wie fast überall in Europa, in der Merowingerzeit bereits in anzivilisierte kleine Herrschaften aufgeteilt, wie ein Häuptling im Süden Jütlands, der den Handelsort Ribe gründet.

 

Zur Zeit der Karolinger entsteht in Dänemark dann eine Art  Königtum, welches aber nach 870 auseinander bricht. Erst die Könige Gorm und Harald ("Blauzahn") errichten es neu und letzterer nutzt Konversion und Christianisierung vom Erzbistum Hamburg/Bremen aus für Herrschaftszwecke.

Das Gebiet wird sich dann als eigene Kirchenprovinz Lund verselbständigt. Sein Sohn Svein erobert England und Knut herrscht Anfang des nächsten Jahrhunderts von Norwegen bis England.

 

Norwegischen Mächtigen gelingt es noch im 10. Jahrhundert nicht, eine zentrale Macht zu etablieren. Schwedische Häuptlinge beherrschen die Gegend um (Alt)Upsala und kontrollieren Birka. Im späten 10. Jahrhundert beginnt auch die Christianisierung der Svear, die die Götar besiegen und eine eigene schwedische Reichsbildung versuchen.

 

 

Die Leute der großen Sprachfamilie der Slawen sind zunächst in kleine Gruppen unter eher schwachen Häuptlingen aufgeteilt, änhlich wie die Nordgermanen. Im Süden geraten sie unter die Hoheit der Awaren und des Turkvolkes der Bulgaren.

 

Die Rus beginnen als skandinavische Besiedler von Handelsstationen, zunächst Staraya Ladoga und dann Nowgorod. Siedlungen entstehen in der dichten Waldlandschaft im wesentlichen entlang von Flüssen. Im Norden kommt es zu einer Reichsbildung von Nowgorod aus und zur Herausbildung kleinerer Fürstentümer, in denen Skandinavier (Waräger, Rus) zusammen mit finno-ugrischen Völkern und Slawen in den Städten zu einem Volk verschmelzen werden. In Kiew beginnen Rus mit dem Aufbau eines Fürstentums, wobei das Ziel die Unterwerfung von Völkerschaften soweit geht, dass man ihnen Tribute abzwingen kann. Fürst Igor versucht, in der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts ein Großreich der Rus aufzubauen und scheitert. Seine Witwe Olga (Helga) übernimmt die Aufgabe und tritt zum byzantinischen Christentum über. Sohn Swjatoslaw erweitert das Reich vom Ladogasee bis zum Schwarzen Meer. Halbbruder Wladimir tötet Swjatoslaw und tritt um 988 nun auch zum Christentum oströmischer Machart über. Die Hauptstadt Kiew hat um das Jahr 1000 mehrere tausend Einwohner, große Kirchenbauten, und kann sich mit gleichzeitigen deutschen Städten messen. Die städtischen Rus sind dabei längst in ihrer slawischen Umgebung aufgegangen.

 

Derweil ist die herrschende Schicht der benachbarten Chasaren jüdisch und etwa um dieselbe Zeit tritt Selschuk am Aralsee mit seinen Oghusen zum Islam über.

 

Weiter westlich schaffen morawische Fürsten ein großmährisches Reich, welches die Ungarn um 900 zerstören, während ein kroatisches Fürstentum länger überlebt. Im Südosten stabilisiert sich ein Bulgarenreich. Ganz im Westen formiert sich im 10. Jahrhundert unter böhmischen Fürsten von Prag aus ein durch Gebirge abgegrenzter Machtraum, von dem aus dann versucht wird, sich in Richtung des entstehenden Polens und des geschwächten Mährens hin auszudehnen. Die um Gnesen und Posen beheimateten Polen schaffen unter dem Piasten Mieszko eine rapide Expansion Richtung Ostsee, die ohne klare Grenzen bleibt. Aber ähnlich wie slawische Stämme gegen deutsche Herrschaft, so stehen andere auch vorläufig gegen die polnische auf.

 

 

Iberische Halbinsel

 

Dasselbe Toledo, von dem die adoptianische Häresie ausging, befindet sich zwischen 852 und 932 immer wieder in Rebellion gegen den Emir von Cordoba. Gegen die harten Abgaben und das despotische Regiment der Omayaden gibt es auch in anderen Regionen bis tief ins zehnte Jahrhundert immer wieder Aufstände von oft muslimischen wie auch christlichen Leuten, und besonders auch Kämpfe zwischen Berbern und Arabern.

 

Den Emiren von Cordoba gelingt es in dieser Epoche nicht, ihr Gebiet weiter auszuweiten. Ganz im Gegenteil: Den asturischen Königen gelingt es bis 910, León, Astorga, Zamora und Burgos einzunehmen  so dass sie in fünzig Jahren ihr ursprünglich kleines Gebiet verdreifacht haben.

 

912-61 schafft es Abdalrahman III., den islamischen Zentralstaat wieder herzustellen. 932 fällt Toledo in seine Hand, aber erst 937 gelingt es, mit Zaragoza das letzte Widerstandsnest einzunehmen.

Dieser Abderrahman beginnt nach Unterwerfung von Al-Andalus sehr erfolgreich mit jährlichen Raub- und Zerstörungszügen in die christlichen Reiche hinein. Immer wenn das Getreide hoch steht oder zur Ernte gereift ist, wird es abgefackelt oder niedergeritten. Mit seinen Heeren ziehen beutehungrige Freiwillige des Heiligen Krieges, wie sie sich nennen. Es geht daneben auch darum, Tribute einzutreiben, und es kommt zunächst selten auch zu Beutezügen christlicher Herrscher gegen Al-Andalus. Asturien-León gelingt es 939, den Emir wenigstens einmal zu besiegen. Es sind eher unruhige Zeiten für die Halbinsel.

Inzwischen besteht das islamische Heer zum großen Teil aus "Slaven", zu denen auch überhaupt Nordeuropäer gezählt werden. Ein großer Teil der Bevölkerung ist arabisiert und auch islamisiert.

 

Die christlichen Reiche geraten dann unter faktische Oberhoheit und Tributpflichtigkeit von Cordoba, León 959 unter Sancho I.  Könige von Leon und Navarra wie auch Grafen von Kastilien reisen nach Madinat Al-Zahrá, um dem Kalifen ihre Aufwartung zu machen, oder schicken wenigstens hochrangige Delegationen.

 

Derweil bildet sich eine Grafschaft Aragon heraus, die 924 vorübergehend in das navarresische Königreich von Pamplona  integriert wird.

Die Grafschaft Barcelona kann das Bistum Vic (Vich) wiederherstellen und daneben entstehen die Grafschaften von Urgell und der Cerdanya am Rand des Pyrenäen-Hauptkamms. In die drei teilen sich Söhne des Grafen Wifred, ohne dabei noch auf Weisungen des fränkischen Königs zu warten.

865 werden die Markgafen von Barcelona formell von der Markgrafschaft Toulouse getrennt, bleiben aber zunächst noch in engem Kontakt mit Westfranzien.

 

 

Während die Abbassiden in Bagdad in interne Konflikte geraten und ihr Einfluss schwindet, steigen neben den Omayaden in Nordafrika die Fatimiden auf, eine Familie, die sich von Alí, dem Vetter von Mohammed, herleitet und von dessen Frau Fatima, der Tochter des Propheten. Sie proklamieren als Machtmittel die Wiederherstellung der Reinheit eines schiitischen Islam als Basis ihrer Herrschaft. 909 nehmen sie Kairouan ein, das heutige Tunis, und begründen dort ihr maghrebinisches Kalifat. Als sie dann in Marokko in gefährliche Nachbarschaft zur Omeya-Herrschaft gelangen, erklärt sich Abdalrahman III selbst zum Kalifen und wird von nun an als solcher dann in allen Moscheen von Al-Andalus im Freitagsgebet erwähnt.

 

Kurz darauf lässt der spanische Kalif Melilla und Ceuta erobern und breitet seine Herrschaft über Marokko soweit aus, dass der Import von afrikanischem Gold und Elfenbein und von Berbern zur Besiedlung erheblich zunehmen kann. Gegen die fatimidische Frömmigkeit setzt er seine eigene, die auch härtere Despotie begründet. Dann erklärt er aber ganz unislamisch seinen noch minderjährigen Sohn Al-Hakam von seiner Lieblingsfrau des Harems, einer ursprünglich christlichen Sklavin, zu seinem Nachfolger, der kaum noch den Alcázar und dann Medinat Al-Zahrá verlassen und sich auf keine Frau einlassen darf, während die zahlreichen übrigen Söhne über das Land verstreut werden.

 

Der unermessliche Reichtum des Kalifen beruht auf den immer größeren Abgaben, die er aus der Bevölkerung eintreibt, wobei eine kleine reiche Oberschicht davon ausgenommen bleibt, zudem aus seinen riesigen Privatbesitzungen, die er ansammelt, und aus den oft erfolgreichen Beutezügen gegen die christlichen Herrschaften, denen er erhebliche Tribute aufbürdet. Einnahmen, die er mit der Oberschicht teilt, resultieren auch aus den christlichen Sklavenmassen, die diese Raubzüge ebenfalls einbringen. Mit dem Bau der großen und ungeheuer prächtigen Palast- und Verwaltungsstadt Madinat Al-Zahrá neben Cordoba 940, auf dem Höhepunkt seiner Macht, erreicht er eine Pracht, wie sie im übrigen Europa weithin unbekannt ist.

 

Es floriert vor allem eine Wirtschaft, die Luxusgüter für diese Oberschicht herstellt, Seidenstoffe, golddurchwirkte Tuche, Edelstein- und Elfenbeinschmuck. Die hochprivilegierte kleine Oberschicht wird durch eine mittlere Schicht von Besitzern von Ländereien ergänzt, die diese durch Kleinpächter bewirtschaften lassen, und die Dienste wie Abgaben mit einer gewissen Ähnlichkeit zu fränkischen, asturischen oder aragonesischen Adeligen verlangen.

Die Landwirtschaft produziert wie in christlichen Gegenden Südeuropas weiter Getreide, Oliven und Wein, zusätzlich aber bringen die neuen Herren Reis, Apfelsinen, Zuckerrohr, Safran, Baumwolle und anderes mit. Große Maulbeerplantagen entstehen für die Seidenproduktion. Zudem entwickeln sie in ihrem teils ariden Andalusien hervorragende Bewässerungssysteme, deren Ansätze sie vielleicht auch schon aus Nordafrika und dem Orient kennen.

 

Derweil entwickelt sich in den christlichen Reichen eine frühe neuartige Adelsschicht aus aufsteigenden reicheren Bauern und vom König Privilegierten, die versucht, sich über Bauerndörfer zu setzen und Bauern in Abhängigkeit zu bringen. Mit einem Einkommen, welches den Besitz eines kampffähigen Reitpferdes ermöglicht, wird man in Galizien, León und Kastilien dann zum infanzón, aus dem sich in den nächsten Jahrhundert die Schicht der Fidalgos/Hidalgos entwickeln wird, der Söhne (fijos) von denen, die etwas (algo) besitzen.

Immer mehr arme und verschuldete Bauern müssen sich einem Herrn anvertrauen, was in Galizien dann incomunicación heißt. Außerhalb Kataloniens und des östlichen Aragon entwickeln sich so recht unabhängig von den fränkischen Entwicklungen ganz ähnliche Strukturen. Über dem niedrigen Landadel teilt sich das Land in Machtbereiche oft selbsternannter condes auf, von Grafen also.

 

Während die Grafen von Kastilien im 10. Jahrhundert nach mehr Selbständigkeit streben, werden im Duero-Raum Städte wie Zamora und Burgos ausgebaut. Das Land ist hier in sich teils selbst verwaltende Siedlungen aufgeteilt und in Festungen. In fueros werden bäuerliche Rechte festgeschrieben, für die aber militärische Dienste geleistet werden müssen.

 

Abderrahman III beginnt nach Unterwerfung von Al-Andalus sehr erfolgreich mit jährlichen Raub- und Zerstörungszügen in die christlichen Reiche hinein. Immer wenn das Getreide hoch steht oder zur Ernte gereift ist, wird es abgefackelt oder niedergeritten. Mit seinen Heeren ziehen beutehungrige Freiwillige des Heiligen Krieges, wie sie sich nennen.

Die christlichen Reiche geraten unter faktische Oberhoheit und Tributpflichtigkeit von Cordoba. Könige von Leon und Navarra wie auch Grafen von Kastilien reisen nach Madinat Al-Zahrá, um dem Kalifen ihre Aufwartung zu machen, oder schicken wenigstens hochrangige Delegationen.

 

 

Al-Hakam setzt die Maßnahmen seines Vaters fort und nutzt das Machtvakuum, welches die Fatimiden nach ihrem Abzug nach Ägypten hinterlassen haben, für Feldzüge nach Marokko.

Er stirbt 976 und hinterlässt nur einen möglicherweise schwachsinnigen Sohn Hisham, der zum Spielball hoher Funktionäre in Cordoba wird. 981 gelingt es einem in diese Machtkämpfe verwickelten Mohammed ibn Abi Amir, sich mit einer Berbertruppe gegen eine "slavische" militärisch durchzusetzen und seine Gegner umzubringen. Er steckt den jungen Kalifen in komfortablen Hausarrest und herrscht nun ab 981 selbst mit dem Titel hayib und gibt sich den Beinamen "der Siegreiche", Almansor. Er lässt bei Cordoba die neue Residenzstadt Madinat-al-Zahira bauen.

 

Als Heerführer ist er schnell enorm erfolgreich. Selbst Orte wie Pamplona, später Barcelona und Santiago de Compostela werden kurz überfallen, ausgeraubt und zerstört, bevor das Heer sich schnell wieder zurückzieht. Im Chronicon de Sampiro heißt es zu Santiago: Er riss alle Kirchen, Klöster und Paläste ein und verbrannte sie im Feuer. (Quelle in: Manzano, S.812)

Da die Muselmanen das "Grab des Jakobus" in Santiago als Kaaba der Christen ansehen, lassen sie es intakt, während die Stadt komplett zerstört wird. Coimbra wird ebenfalls zerstört, dann aber dauerhaft gehalten und muslimisch neubesiedelt.

 

Immer mehr Leute in Al-Andalus lösen, wie auch später in geringerem Umfang in den Frankenreichen  und noch später in England ihre Militärpflicht mit Zahlungen ab. Das führt dazu, dass zunehmend Berbertruppen aus Nordafrika von Almansor ins Land geholt werden, was die Herrenschicht ethnisch weiter verändert. Das wird Folgen haben.

 

 

Völker, Volk und Stämme

 

Bislang ist die Schwellenzeit als eine neuer Reichsbildungen und der Weiterentwicklung von Machtstrukturen bestimmt worden. Dabei wurde das Wort Politik ausgeklammert. Der Begriff des Politischen ist etwa so jung wie der Staatsbegriff. Über das Französische und Englische ins Deutsche gekommen, ohne dass die Wurzel in der griechischen Polis und dem Politischen der Politeia bewusst ist, bezeichnet er sinnvollerweise eher einige nicht gewalttätige oder gar kriegerische Formen der Machtausübung in später entstehender Staatlichkeit. Hier sollen Wörter wie "herrschen" oder "regieren" vorgezogen werden.

 

Volk taucht in den (fast nur lateinischen) Quellen abwechselnd als gens, natio oder populus auf, die nicht klar voneinander abgesetzt sind. (Brühl, S.79ff) Mit den neuen Reichen lässt sich nun auch ein neuer Volksbegriff verbinden: Unter monarchischen Herrschern entsteht in den stabileren Kerngebieten Bevölkerung, die unter ihnen zum engeren Zusammenleben gezwungen wird. Das wird sich langsam in Richtung auf eine gemeinsame Sprache und gemeinsame Rahmenbedingungen bewegen, die zusammen mit der propagierten Identifikation mit den Herrschern ganz langsam ein vorläufig noch eher vages Gemeinschaftsgefühl erzeugen. Davon erfahren wir zunächst in den Quellen nur, was eine kleine Machtelite betrifft. Dieser Vorgang wird sich bis ins 15. Jahrhundert hinziehen und die Sonderwege in den deutschen Landen und auf der italienischen Halbinsel nur sehr wenig betreffen.

 

Grundsätzlich entstehen so im Verlauf vieler Jahrhunderte Völker neuen Typs durch möglichst durchgängige Beherrschung durch königliche Machthaber-Dynastien. Dafür sollen einige Beispiele dienen.

England entsteht zweimal, einmal durch ein von Wessex ausgehendes Königtum, welches zeitweilig den ganzen Raum der Engelonde beherrscht, und ein zweites Mal unter den romanisierten Normannen seit 1066. Die Jahrhunderte überdauernde Verbindung mit großen Gebieten eines entstehenden Frankreichs ändert daran nur wenig, da der Ärmelkanal beide Teile trennt und sich im Laufe der Zeit ein Mittelenglisch herausbildet, welches starke Elemente des Altenglischen behält, durch erheblichen romanischen Wortschatz ergänzt.

 

Die Briten, durch die Angelsachsen auf das spätere Wales reduziert, werden von diesen als Grenzbewohner bezeichnet, was sie dann auf Lateinisch zu Wallenses macht. Sie besitzen in groben Zügen eine gemeinsame keltische Sprache und viele "Könige", die man zunächst besser als regionale Häuptlinge bezeichnen sollte. Ihr rudimentäres Christentum erlaubt ihnen das Konkubinat mit mehreren Frauen, die Gleichstellung aller Kinder, die leicht zu erreichende Ehescheidung und manches mehr. Sie werden dann im späten Mittelalter durch weitere Christianisierung und sonstige Überfremdung verändert, schließlich durch Eroberung und Anglisierung unter eine gemeinsame (englische) Verwaltung gebracht, die sie zunächst eher als französisch bezeichnen.

Die gälisch sprechenden Leute von Alba, dem Zentrum des späteren Schottland, die Albanaic, werden von außen und lateinisch als Scotti bezeichnet. Mit der Übernahme anglonormannischer Machtstrukturen durch ihre Könige und immer größere Kreise der zum Teil aus dem Süden einwandernden Oberschicht und die damit verbundene Ausweitung des Reiches wird Scocia zu dem Namen, den sie dann selbst ihrem Land geben.

 

Auf dem Kontinent sind die Verhältnisse komplizierter. Das große Reich der Karolinger ist in drei Hauptteile zerfallen, in eine westliche und eine östliche Francia und in Italien. Über deren Benennungen herrscht durchs 10. Jahrhundert reichlich Unklarheit.

Otto I. setzt sich nach Kriegszug in den Süden keine italienische Krone auf, sondern die der Langobarden. Die Halbinsel zerfällt in Regionen.

Im 9. Jahrhundert sprechen die Annalen von St.Bertin für 840 vom Westreich der Franken als von Gallien und die Annalen von Xanten nennen Karl ("den Kahlen") noch für 871 Karolus rex Galliae. Ansonsten handelt es sich dort um die Francia, und im Laufe der nächsten Jahrhunderte werden die dortigen Herrscher den Begriff für sich zu monopolisieren versuchen.

Kurz nach seiner Krönung nennt Otto d.Gr. sein Reich Francia ac Saxonia. Bei Widukind ist von omnis populus Francorum atque Saxonum die Rede. Als Völker werden hier also noch Stämme aufgefasst, wobei einige von ihnen einfach übergangen werden, wie die Bayern oder die Alemannen, die erst langsam stärker unter "ostfränkische" Herrschaft sächsischer Könige/Kaiser gelangen.

 

Der Sachse Widukind ist in seiner Sachsengeschichte ganz auf seinen eigenen Stamm und die daraus hervorgehenden frühen "ostfränkischen" Könige fixiert. Francia wird von ihm wesentlich im Ostreich verortet, das Westreich ist Gallia, wo man "Gallisch" spricht.

Thietmar von Merseburg ist auf sein Bistum und wie Widukind auf sächsische Geschichte und die der sächsischen Kaiser fixiert, insofern eben auch auf Ostfranzien. Westfranzien ignoriert er weitgehend und setzt seine Sachsen vor allem von den ihn umgebenden Slawen ab.

 

Wenn im 10. Jahrhundert zunächst aus dem damaligen Sachsen und dann auch dem damaligen Franken heraus geherrscht wird, dann auch deshalb, weil Alemannien und Bayern alte Königsherrschaften sind, als deren Erben nun Herzöge auftreten. Das wird sich erst gegen Ende des Jahrhunderts und dann im nächsten ändern. Bis dahin behalten sich beide Herzöge viele königliche Rechte vor. Dabei vertreten sie nicht irgendwelche Stammesrechte, sondern die Interessen ihrer Familien, was besonders dort deutlich wird, wo es weder alemannische noch bayrische Große mehr sind, die dort herrschen, sondern Mitglieder der Königsfamilie, die so versorgt werden.

 

Aber es gibt ein Gemeinsamkeitsgefühl zum Beispiel der Sachsen, deren Oberschicht deutlich die Fremdheit der Griechin und Kaisergemahlin Theophanu bemerkt. Leider erfahren wir von solchen Gemeinschafts-Bindungen der Masse der produktiven Bevölkerung kaum etwas in Texten, da diese sich für sie kaum interessieren.

 

Im späteren 10. Jahrhundert beginnen Vertreter der hohen gallischen Geistlichkeit im Westfrankenreich ein Zusammengehörigkeits-Gefühl zu entdecken, welches sie von Ostfranzien trennt. Das hat aber noch wenig mit einem allgemeinen Gefühl von Volkszugehörigkeit zu tun, so wenig, wie davon auch damals in den deutschen Landen zu spüren ist.

Andererseits beginnt eine Konzentration zeitgenössischer Historiker auf ihren Teil des Frankenreiches. Der in die Wirren der Zeit heftig verwickelte Kanoniker Flodoard von Reims (bis 966) tendiert bereits in der ersten Hälfte des Jahrhunderts dazu, sein Augenmerk vorwiegend auf das Westreich zu richten, wobei Francia die Nordhälfte des Westreiches meint, verliert aber das Ostreich noch nicht ganz aus den Augen. Dabei sind die Menschen östlich des Rheins für ihn transrhenenses, keine Franken mehr. Richer von Reims (bis etwa 998), Schüler von Gerbert von Aurillac, setzt das Werk Flodards für die zweite Jahrhunderthälfte fort, nunmehr ganz auf Westfranzien und das Königtum dort konzentriert.

 

Westfranzien, immer etwas geteilt in seinen auch sprachlich unterschiedlichen Norden und Süden, zerfällt in viele Regionen, und der tatsächliche Machtraum "westfänkischer" Herrscher reduziert sich auf die Île de France um Paris. Von hier aus werden Könige, die sich nun nach und nach als französische bezeichnen lassen, im 11. Jahrhundert beginnen, ihre Macht wieder auszudehnen.

Den sächsischen Königen und dann auch Kaisern wiederum gelingt es im Verlauf des 10. Jahrhunderts, die germanisch verwurzelten Stämme stärker unter ihre Zentralmacht zu bringen, wobei solche "Stämme" neuen Typs sich auch über den Machtbereich ihrer Herzöge definieren, die nicht unbedingt diesen entstammen. In summa gibt es aber im 10. Jahrhundert weder ein französisches, noch ein deutsches oder ein italienisches Volk.

 

Es gibt ein dialektal unterschiedliches Altfranzösisch im Norden des Westreichs und die langue d'oc im Süden. Das Altdeutsche zerfällt in das Niederdeutsche und Oberdeutsche, und beide wieder in Stammesidiome. Theodisc bedeutet dabei Volkssprache, was seit dem 10. Jahrhundert stärker von teutonicus abgelöst wird. Von Katalonien bis nach Norditalien entsteht eine gemeinsame Sprachzone mit regionalen Unterschieden, Süditalien entwickelt sich sprachlich selbständig weiter. Deutsch und Französisch sind hier Hilfsbegriffe für noch weithin fehlendes Selbstverständnis.

 

Wie sich die meisten Menschen, die vor allem Nahrung produzierende Bevölkerung, dabei einordnet, lässt sich nur vermuten. Sie orientieren sich nach ihrem Grundherrn, nach den Herren darüber wohl auch noch, und vermutlich mithilfe der Sprache, die sich sprechen. Wo sie auf anderssprachliche Leute treffen, entsteht wohl ein Ansatz von Volkszugehörigkeit. Deutsch als teotonici werden Leute in den Quellen zunächst von jenen Italienern genannt, die sie auf ihren militärischen Italienzügen kennenlernen, als Vertreter von geistlicher und weltlicher Macht und dann auch als Händler.

 

Ein Sonderfall sind die Juden in Europa, die einzige geduldete  Religionsgemeinschaft neben den Christen. Mit eigenen Gewohnheiten, unduldsam wie Christen und Muslime, grenzen sie sich nach außen ab und werden selbst mehr oder weniger ausgegrenzt.

Geschützt von Königen und Fürsten, gewinnen sie ihren Sonderstatus wohl auch deshalb, weil das Christentum längst massiv rejudaisiert und das sogenannte Alte Testament in den Glauben integriert ist. Sie bilden damit aber einen eigenen Genpool, in dem sie eigene natürliche Eigenschaften herausbilden, die dann allerdings - je nach Gegend – sehr verschieden sind. Sie integrieren sich nach Möglichkeit in die Machtstrukturen, assimilieren sich aber nicht durch Heirat mit Nichtjuden, was auch von deren Seite nicht erwünscht ist. Volk im hier gebrauchten Sinne sind sie allerdings nicht; Juden sind auch zeitweilig Äthiopier, Jemeniten, Leute in Europa bis zum Kaukasus und selbst in Asien.

 

Zum schwierigen Volksbegriff gehört auch, dass der populus in lateinischen Quellen damals oft nur der kleine Kreis der Großen ist, die sich gerade um den Herrscher versammeln, oder aber das Vasallenheer, welches der König führt, und an dem die meisten Männer nicht mehr aktiv beteiligt sind. Langsam wird dann aber ein Prozess einsetzen, in dem gerade das "Volk" nun zur großen Masse der Produzenten wird (laboratores als Bauern und Handwerker), von dem sich die Edlen dann ständisch absetzen.

Bevölkerung wiederum ist eigentlich ein Wort für das Bevölkern einer Gegend, soll aber in Ermangelung eines besseren hier auch für die benutzt werden, die allemal schon da sind.

Das dem soziologischen Kauderwelsch des 19. Jahrhunderts entspringende (Un)Wort Gesellschaft dagegen lässt sich leicht wieder auf jene Phänomene beschränken, in denen sich Menschen tatsächlich zueinander gesellen, ob dies nun eine Festgesellschaft ist oder ob es dann Bruderschaften oder Zünfte sind. Die im selben Zeitraum aufkommende "Demokratie" soll hier ganz auf die attische Polis beschränkt bleiben, danach gibt es bis heute kein Volk mehr, welches herrscht, wie es das Wort behauptet. Schließlich lassen wir auch das ebenfalls in diesem Jahrhundert in Mode kommende Wort "Revolution" mit seinen emotionalen Untergründen aus, schon alleine deswegen, weil es wenigstens bis durch das lange Mittelalter nichts derartiges geben wird.

 

 

Freie, Herren, Adel in den beiden Francia-Reichen

 

Unterhalb der Monarchen und Großen im Reich, die nun zunehmend zu Fürsten (principes) werden bzw. zu Herzögen und Markgrafen, teilen sich die Menschen in Freie, mehr oder weniger Halbfreie und Unfreie, welche letztere Herren gegen Kost und Unterkunft für sich arbeiten lassen. Dabei verschwindet langsam die Sklaverei als zu unrentabel; es verschwinden aber nicht die Sklaven als Handelsware.

 

Freiheit (libertas) ist ein Rechtsstatus, der freien Zugang zur Gerichtsbarkeit und Wehrfähigkeit beinhaltet, damit auch die Pflicht zur Teilnahme am Gericht und zur Heeresfolge.

Die möglichst klare Trennung von Freiheit und Unfreiheit wird vor allem für die wichtig, die sich langsam deutlicher als Adel verstehen. Für das Jahr 1027, etwas nach unserer Zeit, aber diese schon erhellend, verfasst der königliche Kaplan Wipo in seinem Tatenbericht Konrads II. eine Rede von zwei Grafen, die ihre Haltung zum König und dem aufständischen Schwabenherzog Ernst diesem gegenüber begründen:

Wir wollen nicht, dass es verdunkelt würde, dass wir euch unverbrüchlich Treue (fidem) schworen gegen alle außer denjenigen, der uns euch gegeben hat. Wären wir Unfreie (servi) unseres Königs und Kaisers, und von ihm eurer Rechtsgewalt (iuri vestri mancipati), dann würde es uns nicht erlaubt sein, uns von euch zu trennen. Nun aber, da wir frei (liberi) sind und als höchsten irdischen Beschützer unserer Freiheit (nostrae libertatis) unseren König und Kaiser haben, verlieren wir, sobald wir jenen verlassen, die Freiheit (libertatem), die, wie jemand gesagt hat, kein guter Mann verliert, es sei denn mit seinem Leben. (in: Esders, S.102) 

 

Als sich im neunten, zehnten Jahrhundert in Frühformen des Deutschen der Begriff neben dem lateinischen dominus der Herr als frô entwickelt, ist das noch nicht wie seit einigen Jahrhunderten eine manchmal leicht unterwürfige und ansonsten oft inhaltsleere Anredeform, sondern es drückt einen handfesten Status aus: Herr ist jemand, der irgendwelchen anderen befehlen kann, seinen Knechten oder seinem Mann.

Herren sind also nicht nur frei, sie haben Macht über andere. Diese beruht wie in der Antike meist darauf, dass man (oft viel) Landbesitz hat. Wenn man dann auch noch den Wohlstand seiner Familie über Generationen zurückverfolgen kann, kann man sich im bald deutschsprachigen Raum edel nennen, bzw. von Adel. Das ist aber vorläufig noch kein fest definierter Standesbegriff.

 

Der dominus, frô ist der Herr über großen Grundbesitz (terra) der späten lateinischen Antike, den er von inzwischen schollengebundenen Kolonenfamilien und von Sklaven bearbeiten lässt. Das wird durch die ganze Nachantike und zum Teil bis ins 10. Jahrhundert so bleiben. Solche große Herren sind Könige, duces, comites, Bischöfe und spätestens seit dem 7. Jahrhundert auch Klöster. Aber in einer Urkunde Konrads II. von 1025 werden als Zensualen bestätigte ehedem Hörige auch als domini ac domine angesprochen werden. (Esders, S.106)

 

Der frô verschwindet schließlich außer im christlichen Fest Fronleichnam zugunsten des Herrn, vom althochdeutschen herro abgeleitet, dem Komparativ von hēr "edel, würdig, wichtig, erhaben, welches im Mittelhochdeutschen bereits herre heißt. Dafür überlebt die weibliche althochdeutsche Form frouwa über die mittelhochdeutsche frouwe als Herrin, neben der auch die von der domina abgeleitete französische Dame um 1200 in etwas gleichbedeutend in die deutsche Sprache gelangt.

 

Neben dem dominus, der auch zunehmend als senior auftaucht (seigneur), erbt unsere Schwellenzeit begrifflich auch die nobiles, ursprünglich die senatorischen Familien, zunehmend aber eine eher dünne großgrundbesitzene Oberschicht. Nach und nach wird in den romanischen Sprachen daraus die Entsprechung zum deutschen Wort "Adel" werden.

 

Zum Rechtsstatus der Freiheit gehört im Frankenreich auch die Pflicht zur Teilnahme am Gericht und die Heeresfolge, also Militärdienst. Diesen kann man sich mit der dazugehörigen Ausrüstung nur leisten, wenn man genügend Grund und Boden besitzt. Der Herr, der sich langsam zum Adeligen entwickelt, ist also grundbesitzender Krieger, miles. Wer kein Krieger ist, verliert auf dem Lande oft seine Freiheit. 

Damit zusammen geht eine andere Entwicklungslinie, die die kleine Gruppe karolingischer Aristokraten um 800 immer mehr erweitert: Ein später deutlicher als "adelig" definierter Status entsteht aus den wirtschaftlichen Möglichkeiten, sich eine militärische Gefolgschaft heranzuziehen, was gelegentlich mit dem schwierigen Begriff "Vasallen" bezeichnet wird, seit den Karolingern aber eher fidelis heißt, der Getreue also. Vasallen und ihre Vasallen wiederum beginnen im 10. Jahrhundert hohen und niederen Adel zu bilden.

 

Der Grundbesitz dieser Leute ist in der Regel weit verstreut. Oft verfügen solche Familien über Eigenkirchen oder Teilverfügung darüber, und sie machen Schenkungen an Klöster, um dort Einfluss zu gewinnen. Sie benutzen ähnliche oder immer wieder auftauchende Namen als Vorläufer viel späterer Familiennamen

 

Wo dabei der Übergang vom Herren zum Adeligen stattfindet, ist eine Frage, die die erhaltenen Quellen nicht zu interessieren scheint. Aber es gibt Andeutungen: Immerhin schimpft schon Thegan in der Zeit Ludwigs des Frommen gegen die Unfreien, welche zu hohen Positionen aufgestiegen sind und dann gleich versuchen, ihre niedrig geborene Verwandtschaft durch Verheiratung mit Adligen gesellschaftsfähig zu machen.  (GoetzEuropa, S.318) Der Kaiser hat dich zum Freien gemacht, nicht zum Edlen, was unmöglich wäre. (Vita Ludwigs, cap.44) Geadelt wird man nicht, sondern einen adeln Ahnen, Besitz und Macht.

 

Adel ist ein sehr deutsches Wort mit germanischen Wurzeln. Franzosen, Spanier und Italiener greifen auf Ableitungen von der lateinischen nobilitas zurück, während englischsprachig im Konzert der Historiker gerne von aristocracy die Rede ist.

Nobilis wird damals ähnlich gebraucht wie viel später edel. Es kann einen Menschen oder ein Gebäude bezeichnen. Indirekt wird dabei auch nobles Aussehen, Benehmen oder Großzügigkeit eingeschlossen.

 

Dabei ist der Adel vorläufig kein klar abgegrenzter Stand, auch wenn er sich durch vornehme Geburt auszeichnet und soweit ansatzweise erblich ist. Vermutlich sind adelig diejenigen, die sich durch eine entsprechende Lebensführung auszeichnen und diese sich auch leisten können. Zudem hat der Adelige nach Möglichkeit ein "Gefolge", welches er, wenn es ihm folgt, verpflegt und das er manchmal auch mit Kleidern, Waffen und Pferden versorgt. (Fichtenau, S.82)

 

Für den Mönch und Geschichtsschreiber Ademar von Chabannes aus Angoulême sind um das Jahr 1000 in Westfranzien duces und comites Adel (nobilitas). Es ist offenbar eine Schicht, die nur noch untereinander heiratet, zu Beziehungen von amicitia fähig ist, die auch die von (vielen) Vasallen sein können. Auf jeden Fall besitzt er honor, also vielen Besitz vor allem

 

Wahrscheinlich gibt es ohnehin solange noch keinen klaren Adelsstand, wie es keine agnatisch definierten Adelsgeschlechter gibt, sondern breiter verwandtschaftlich gestreute Sippen, die dementsprechend auch nicht jeweils einen Stammsitz haben.

 

Wann sich dieser Wandel von cognatischer zu agnatischer Familienstruktur einstellt, dessen Anfänge einige Forscher zwischen 880 und 930 ansetzen, ist nicht deutlich sichtbar. Vielleicht bestehen beide Formen noch viel länger nebeneinander als offene Möglichkeiten.

Besonders in den nördlichen Fürstentümern Westfranziens setzt sich im 10. und 11. Jahrhundert nach und nach sich die agnatische Familienlinie durch, welche sich auf einen gemeinsamen Vorfahren in der väterlichen Linie beruft und das Eigentum und die Rechte dem ältesten Sohn vererbt. Geheiratet wird dann mit Unterstützung der Kirche immer exogamer. Diese Verbindung von Adel und Familie taucht in Südfranzien erst viel später auf.

Es wird üblicher, dass nur einer die Macht erbt. Andere werden als Kinder ins Kloster gesteckt oder zum Weltklerus gegeben. Wo das versäumt wird, müssen edelfreie Jungs sich sonstwie durchschlagen. Mädchen werden früh verlobt und dann verheiratet und so aus einer Hand in eine andere gegeben.

 

Jedenfalls benehmen sich die späten Karolinger, dann die Welfen, die Liudolfinger und Billunger bereits wie agnatische Linien, das, was dann zu Adels-Geschlechtern wird. Sie vererben grundsätzlich unteilbare Titel und Ämter zunehmend an den ältesten Sohn und betrachten sie dabei als vererbbar. Dazu kommt dann die Tendenz zur Vererbbarkeit von Lehen, die ebenfalls nicht geteilt werden:

"Hatte der Verstorbene sich nichts zuschulden kommen lassen und hatte er einen erwachsenen Sohn, dann sprach nichts dagegen, diesem das Lehen oder Amt zu übergeben. Es sprach sogar alles dafür, denn das Lehns- oder das Amtsgut war ja in den Jahrzehnten zuvor zusammen mit den Allodien, den Eigengütern, und anderen Lehen bewirtschaftet und verwaltet worden. Es aus diesen gewachsenen Strukturen herauszulösen, war ein schwieriger Vorgang, weil man zumeist über die genauen Grenzen und Gegebenheiten gar nicht Bescheid wusste." (Althoff(5), S.54) Was zunächst nur praktisch ist, wird dann im Laufe der Zeit zur erwarteten Gewohnheit.

 

In den Annalen des Lampert von Hersfeld zu 1071 wird das rückblickend für Flandern zusammengefasst:

In der Grafschaft Balduins und in seiner Familie war es schon seit Jahrhunderten ein durch ein ewiges Gesetz geheiligter Brauch, dass einer der Söhne, der dem Vater am besten gefiel, den Namen des Vaters erhielt, und allein die Würde eines Fürsten von ganz Flandern erbte, die übrigen Söhne aber entweder ihm untertan und seinen Befehlen gehorchend, ein ruhmloses Leben führten oder außer Landes gingen und es lieber durch eigene Taten zu etwas zu bringen versuchten, als sich in Müßiggang und Stumpfheit über ihre Dürftigkeit mit eitlem Stolz auf ihre Vorfahren hinwegzutrösten. Das geschah, damit nicht durch Aufteilung der Provinz der Glanz des Geschlechts durch Mangel an Vermögen getrübt würde.

Unübersehbar ist, in welchem Maße ein Mönch hier adelige Wertvorstellungen bedenkenlos übernimmt.

 

Dabei sah das fränkische Erbrecht bislang die reguläre Erbteilung vor. Diese, und damit die Zersplitterung von Besitz und honores (Titeln) wird vermieden, wenn man "überzählige" Söhne für den geistlichen Stand bestimmt. Oft beginnt das allerdings erst mit dem dritten Sohn, da der erste in gefährlichen Zeiten vorzeitig sterben könnte.

 

Größeres Alter der Familie, viel Privatbesitz (Allodien) neben den Lehen sein Eigen nennender Adel wird zum Hochadel, den principes (Fürsten) neuen Stils, die sich von den übrigen Herren absetzen. Darunter entsteht ein Adel, den diese Fürsten von sich abhängig zu machen versuchen, darunter solche, die auch zur nobilitas dazugehören möchten, und dann jene milites, denen das nicht gelingt.

 

 

Die lokale Konzentration der neuen Adelsgeschlechter wird befestigt durch die Gründung von Hausklöstern der einzelnen vornehmeren Familien. Für die sächsischen Liudolfinger ist das zunächst Gandersheim und dann später Quedlinburg. Hier werden Familienmitglieder als Abtissinnen eingesetzt und es wird regelmäßig für die Familie gebetet. Weniger reiche und mächtige Familien folgen dann im 10./11. Jahrhundert mit kleineren Gründungen.

 

Das Denken in dynastischen Linien führt zu mehr Aufmerksamkeit für die Familiengeschichte. In Hausklöstern findet nun Geschichtsschreibung der jeweiligen Adelsdynastien statt. Dabei werden dann gerne auch Berühmtheiten als (fiktive) Ahnen eingesetzt, um Vornehmhalt als alten Adel zu benennen. In der Historia Welforum, die allerdings vielleicht erst um 1120 entsteht, wird bis in die Römerzeit zurück gegangen werden. Die Staufer führen sich am Ende bis auf Chlodwig zurück. Inwieweit die Herrschaften solche Geschichten selbst glauben, ist eine andere Sache und etwas näher an der Wirklichkeit sind dann auch die im späten 10. Jahrhundert einsetzenden Genealogien, die auch wichtig werden für Verwandtschafts-Beziehungen im Falle von Heiraten. (Althoff(5), S.71ff) Von 951/59 ist mit der im Kloster St-Bertin aufgezeichneten Stammtafel Arnulfs von Flandern zum ersten Mal eine Genealogie überliefert (Ehlers, S.49f).

Sich selbst als solcher darstellender Adel besitzt vornehme Kleidung, ist sehr demonstrativ Krieger, und zeichnet sich wie die Könige durch jägerisches Können aus.

 

Eine Entwicklungslinie hin zu neuartigem Adel führt von der Infanterie, den Fußsoldaten, zur Reiterei. War diese unter Karl Martell und mehr noch unter Karl d. Gr. schon von Bedeutung, so steigt sie noch einmal unter dem römischen Sachsen-König Heinrich I. in der Auseinandersetzung mit den Reiterhorden der Ungarn. Im Laufe der Zeit werden unter milites nur noch schwer bewaffnete Reiterei verstanden, loricati, eine Entwicklung, die mit großem Tempo die Normannen in der Normandie vormachen.

 

Das reine Vasallenheer Ottos II. im Indiculus loricatorum von 981 besteht im Kern aus der Oberschicht der Panzerreiter, ergänzt durch leichte Reiterei. Für Fleckenstein spiegelt sich darin die Ambivalenz eines entstehenden neuen Adels: Er gehört in der militia zu den Vasallen, "steht aber gleichzeitig über ihnen, da er der Senior seiner Vasallen ist (…)." (S.53)

 

Ein zweiter Schritt lokaler Festsetzung beginnt mit stärker befestigten Häusern.

Im Westfrankenreich beginnt der Burgenbau von meist hölzernen, befestigten  Gebäuden verstärkt Ende des 9. und im 10. Jahrhundert mit dem Absinken königlicher Machtbefugnisse erst auf regionale und dann auf immer lokalere Herrschaften. Schon im Edikt von Pîtres legt Karl ("der Kahle") fest, dass castella et firmitates, die ohne seine Erlaubnis erbaut wurden, verboten sind, denn sie sind mit vielen Räubereien und Behinderungen für ihre Nachbarn verbunden. (in: Wickham(3), S.517)

"Die militärische Gefolgschaft eines solchen Burgherren bestand zu Anfang des 10. Jahrhunderts üblicherweise aus kleinen Leuten der Umgebung, die um ihres Schutzes willen dienten und nicht mit einem Dienstlehen ausgestattet waren. Erst um das Jahr 1000 finden sich bei den Burgen ansässige milites, die sich dem castellanus für ein Gut kommendieren und zur Burghut als ihrem wichtigsten Dienst verpflichtet sind." Das gilt zunächst für Kirchengut. Das Lehnsrecht führt dann zu einem "Geflecht von vasallitischen Beziehungen" (Ehlers, S.50/51)

 

Mit der Bevölkerungsvermehrung, zugleich steigender Produktivität auf dem Lande, zunehmender Geldwirtschaft und städtischer Produktion entwickelt der alte Adel in Italien seit dem späteren 9.Jahrhundert zunehmend das Vermögen, selbst Land gegen Dienste zu verleihen. Die milites als vassi spalten sich so auf in große und kleine vavassores, wobei erstere sich dann später als capitanei definieren.

Dort, wo die gräfliche Amtsgewalt schwindet, übernehmen alte nobiles-Familien in Italien als bedeutende miles dann öffentliche Funktionen wie Gerichtsbarkeit, mit Immunität verbunden, die sie später auf dem Lande zu Bannherren machen und in der Stadt zum beratenden und kriegerischen Gefolge in der Lehnskurie der Bischöfe oder zu Königsboten im bischöflichen Gericht. Neben vom König und vom Bischof oder Abt verliehenen Kastellen erbauen sie spätestens in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts eigene, manchmal, indem sie ihre curtes, Höfe, einfach nur befestigen.

 

 

In deutschen Landen beginnt Burgenbau im 10. Jahrhundert mit gehöftartigen Holzbauten mit hölzenen Palisaden. Später kommt ein Turm hinzu. Im Flachland entstehen, vielleicht nach normannischem Vorbild, Motten, befestigte und von Palisaden umgebene Turmhäuser auf künstlich aufgeschütteten Hügeln mit einer Vorburg als befestigtem Ort für Wirtschaftsgebäude. Vor allem im 11. Jahrhundert wird es dann zum Umzug des Adelsgeschlechts auf eine Burg, oft auf einer leicht zu verteidigenden Anhöhe kommen.

 

Arno Borst gibt ein Bild vom frühmittelalterlichen Krieger:

...der niedere Adel Frankreichs war eine Horde von Draufgängern, die nur Erfolg und Faustrecht anerkannten. Sie paktierten mit Tod und Teufel und überfielen jeden Schwachen. Rücksichtnahme war Feigheit, der tapferste Gegner wurde ohne jede Ritterlichkeit rabiat niedergehauen. Neben dem Raubkrieg war der Lieblingssport dieser Frischluftfanatiker die Hetzjagd auf Großwild... Das Geraubte und Erjagte gab man mit vollen Händen wieder aus; knausern mochten die Schwächlinge, die selber arbeiteten. Keuschheit und Zucht galten gleichfalls als Geiz; die engen Holztürme, in denen sie wohnten, wimmelten von unehelichen Kindern und niemand schämte sich ihrer. Das Leben im Turm spielte sich in lärmendem Gedränge ab. Man saß dicht nebeneinander auf langen Bänken und griff sich das Fleisch aus der Schüssel mit den Fingern; was übrigblieb, schnappten die Hunde, oder es fiel ins Stroh, das den kalten Boden deckte. Lesen und Schreiben konnten die Herren selten. Höchstens ließ sich einer vorlesen von gewaltigen Recken, die waren, wie er es sich wünschte, muskelstark, tollkühn, von unerschöpflichem Appetit. Man war eher abergläubisch als fromm; die Frauen wurden wenig geachtet und viel geschlagen. (Borst, S.219f)

 

Das ist natürlich ein wenig die übertreibende Verallgemeinerung eines akademischen Schreibtischtäters, der mit gepflegten Fingernägeln hier ein emotional gefärbtes Kontra zu modischen Ritterlichkeitsvorstellungen darlegen möchte. Aber die Quellen geben sowohl ein solches Bild des Kriegeradels her wie auch ein etwas domestizierteres.

 

 

In Italien wird eine langobardische Oberschicht von einer vorwiegend fränkischen, manchmal auch alemannisch- oder bayrischstämmigen abgelöst und zunächst in die zweite Reihe verwiesen, wobei man die Herkunft an ihrer Zugehörigkeit zu unterschiedlichem Recht und ihren Namen erkennen kann. Dieser Bruch von langobardischer Herrschaft zu der einer karolingischen Reichsaristokratie ist eine norditalienische Besonderheit. Im zehnten und elften Jahrhundert gelingt den alten langobardischen nobiles manchmal der Wiederaufstieg in diese höheren Ränge mit dem Titel eines miles, wie er sich im zehnten Jahrhundert als Inhaber von Grundherrschaft, Besitzer eines Kastells, mehr oder weniger noch Vasall des Königs, vor allem aber zunehmend des Bischofs darstellt.

 

Hagen Keller beschreibt das Besondere der norditalienischen Situation so: "Die Machtstellung der fränkischen Zuwanderer, die die Karolingerherrschaft in Italien trugen, war vor allem auf Ämter, auf Amtsgut und Amtsgewalt, auf Lehen und Leihegut gegründet, kaum dagegen auf "autogene" Herrschaftsrechte." (Oberitalien, S. 372) Anders als im Norden müssen also Eigengüter erst einmal aus dieser Machtstellung heraus erworben werden, um dann durch bischöfliche Lehen ergänzt zu werden. Daraus kann sich dabei keine fürstliche Spitzengruppe entwickeln. Und die Folge ist: " Nicht ein Königs- oder Fürstenhof mit seinen durch die Nähe zum Herrschenden bestimmten Rangordnungen prägt diese Adelsschicht, sondern die bischöfliche Lehnskurie, oft neben das Domkapitel gestellt." (s.o. S.374) Bischof, hoher Klerus und diesen beschickender Adel bilden dabei gemeinsam die städtische Führungsgruppe.

 

Im 8. Jahrhundert beruht in Italien Macht auf Landbesitz, im 10. auf Verfügung über Land. Aufsteigende Aristokratie kann ihre gesamte Macht auf Pachtgüter aufbauen, die an mehr oder weniger abhängige Pächter-Produzenten weiter verpachtet werden. Wenn sie wie in Lucca im wesentlichen vom Bischof pachtet,  der damit weltliche Machtausbauen möchte, dann tauchen sie nun als seine vassi auf. Zentrum solcher aristokratischer Machtfülle sind vom Bischof gepachtete Taufkirchen (pievi) samt davon abhängigen Kirchen. Kirchenpacht heißt im Kern Pacht des Zehnten. (Wickham, S.142ff)

Bis weit ins 11. Jahrhundert ist das Land überwiegend in riesige Güter von Klöstern und aus der Karolingerzeit stammendem altem "Adel" aufgeteilt, der in der Toskana in der Spitze 20-40 Burgen und dazu gehöriges Land besitzen kann.

 

 

Töchter dienen ebenso wie Söhne zur Herstellung von Familienverbindungen im abendländischen Raum. So wie die Töchter des Großfürsten Jaroslaw von Kiew mit den Königen von Frankreich, Norwegen, Ungarn und Polen verheiratet werden, so Söhne und Töchter deutscher Adelsfamilien mit fürstlichen Familien in Ungarn, Böhmen, Polen, Dänemark oder Reichsitalien. Vor allen Dingen aber fühlt sich ein in der Karolingerzeit aufgestiegener Adel bis ins 11. Jahrhundert noch nicht an die Grenze zwischen West- und Ostreich gebunden. Man hat Besitzungen in beiden Reichen, heiratet über die "Grenze" hinweg und kann sich dabei zu wechselnden Loyalitäten verstehen.

 

 

Weltliche Adelsmacht und Adelsherrschaft

 

Mit der Entstehung von Adelsgeschlechtern in männlicher Linie beginnt es für Könige zunächst schwieriger zu werden, mit ihrer Hilfe das Reich zusammen zu halten. Die Ottonen weichen dabei dann bereits stärker auf Bischöfe und Reichsäbte aus.

 

Schon Karl ("der Kahle") kann seine Grenzen kaum noch schützen und muss insbesondere im Süden gegen Verselbständigungs-Tendenzen kämpfen. Nach ihm fällt das Reich weiter in größere Herrschaften auseinander. Einige von ihnen können sich in das 10. Jahrhundert halten, andere zerfallen in einzelne Grafschaften, wobei die Grafen teilweise die Kontrolle über lokale Herren auf ihren Burgen verlieren.

"In der alten Grafschaft des Mâconnais war jetzt der Graf auf die Stadt Mâcon und ihren Umkreis beschränkt; seit der Spätzeit des 10. Jahrhunderts kamen dazu fünf oder sechs Burgherrschaften, die von dem Gebot des Grafen bald unabhängig waren und vererbt werden konnten." (Fürstenau, S.466) Ähnlich sieht es im Poitou und der Maine aus.

Solche Burgen sind meist aus Erdwällen und Holz.

 

Das regnum eines rex, des Königs, reduziert sich in Westfranzien vor der Jahrtausendwende auf sein Reich rund um Paris, die innere Francia. Formalrechtlich unter ihm und tatsächlich neben ihm stehen hochadelige duces und comites.

 

In deutschen Landen ist Burgenbau königliches Recht, aber es entstehen erste "Adelslandschaften" (Fichtenau), wobei Burgen künstliche Hügel mit Turm darauf und Ringwall sind.

 

Der Aufstieg der Vasallen mit großer Grundherrschaft verbindet diese mit dem Amtsadel als Träger von honores. Die Verbindung von Vasallität und größerem Benefizium tendiert zunehmend zur Erblichkeit dessen, was zukünftig einmal im Deutschen als "Lehen" fixiert werden wird. Dabei wird das Eigengut (Allod) des Vasallen mit dem Lehen zunehmend verbunden, und dieses wird zur Grundlage von Adelsherrschaft. Der vassus wird dabei begrifflich durch den miles ersetzbar und immer häufiger ersetzt. Aus diesem wird dann im 11./12. Jh. die Ritterschaft hervorgehen.

Auf diese Weise trennen sich die Miles von den nicht mehr für den Krieg zuständigen rustici. Als laboratores werden diese dann in den ersten literarisch-ständischen Modellen von den miles (Kriegführenden) und den Betenden (oratores) abgetrennt werden.

 

Der dominus, bewaffneter Herr eines befestigten Platzes, der Grundherrschaften innehat, eine oder mehrere Vogteien, Gerichtsrechte hat, kann dann unter sich milites haben, die ihm für den Kampf zur Verfügung stehen, und der eine oder andere unter ihnen kann sich selbst einen befestigten Platz zulegen oder zugeordnet bekommen. Das Land teilt sich vor allem in Westfranzien in solche Burgenlandschaften auf. Nur die Mächtigeren gelten dort als nobiles, principes, proceres, bei nicht rechtlich festgelegten Begriffen.

 

Nutzung einer oder mehrerer Burgen verbindet sich immer häufiger mit der Nutzung eines oder mehrerer Rechte, die einst königlich waren (bannum), und nun nach unten durch Verleihung oder Aneignung absinken: Verpflichtung von Mannen zur Burgwacht, Einquartierung oder Beköstigung militärischer Einheiten, Straßengebühren, Hafengebühren, Marktgebühren; mehrmals im Jahr Spanndienste mit Karren, Mühlzwang usw.

Der Radius des durch Immunität ausgezeichneten Banngebietes des Klosters Cluny beträgt im 10. Jahrhundert am Ende sieben Kilometer. Außerhalb davon gibt es Burgbezirke mit ihren Vögten. Diese tendieren dazu, sich zu verselbständigen und ihre Eigeninteressen stärker zu vertreten.

 

 

Der aus dem 9. und 10. Jahrhundert stammende alte "Adel" (milites) Italiens zeichnet sich inzwischen sowohl durch großen Grundbesitz auf dem Land und Immobilien in der Stadt aus wie auch durch Land, welches ihm vom König/Kaiser und zunehmend vom Bischof verliehen wird. Solcher Besitz ist weithin verstreut, manchmal auch über mehrere Diözesen bzw. Grafschaften hinweg.

Hagen Keller beschreibt anhand eines Diploms Ottos ("d.Gr.") von 969 die Dimensionen des Besitzes eines solchen Hochadeligen namens Ingo. Diesem fidelis bestätigt der Kaiser Besitz in Grafschaften von Bulgaro, Lomello, Pombia, Mailand, Ivrea, Pavia, Piacenza und Parma. Dazu gehören wenigstens 10 Herrenhöfe (curtes, meist mit einem castrum versehen, "darunter eine curtis cum castro in derr Stadt Novara selbst." (Oberitalien, S. 254). In der Urkunde wird Ingo samt Söhnen weitgehende Immunität gewährt, was Abgaben und Gerichtsbarkeit betrifft. Von anderen solchen Herren ist das Privileg erhalten, beim Kastell Jahrmarkt abzuhalten, ohne dafür selbst Abgaben zu zahlen. Wenige Jahre später taucht Ingo dann als miles des Novareser Bischofs auf, wie eine Generation später einer seiner Söhne. Vermutlich hat ihm der Bischof Land verliehen, um sich seiner Treue zu versichern.

Von solchen Kastellen aus können Adelige dann selbst Funktionen von Herrschaft ausüben und ausweiten, während sie oft zugleich mindestens ein Haus, manchmal auch mehrere und ganze Häuserkomplexe in der Stadt bzw. in mehreren Städten besitzen.

Leute mit großen Pachtkontrakten (Libellare) zahlen zum Einstand an Klöster große Summen, um dann danach einen geringen Anerkennungszins zu leisten. Mit dieser Geldverpflichtung treten sie fast schon aus der Grundherrschaft heraus. Wenn sie dann das Pachtgut (illegal) mit dem Familienbesitz verschmelzen, können sie sogar in den Adel aufsteigen.

 

Dezentralisierung bildet sich dann auch in zwei Entwicklungen des Münzwesens ab, die zusammengehören: Es gibt die langsam zunehmende, immer noch nur ansatzweise Monetarisierung und zugleich das Ende zentraler Münzen, die sich nun über die Länder verteilen. Noch im 11. Jahrhundert werden sie nur lokale oder regionale Gültigkeit haben, was dann von einem enormen Aufschwung des Wechselgeschäfts begleitet wird, einer der Wurzeln von Finanzkapital.

 

Neben Burgen werden Familienklöster für neuartigen Adel immer wichtiger, die entweder der Familie gehören, die dann auch den Abt stellt, oder aber durch Förderung familien-nah ist.

In Klöstern wird das Totengedächtnis, die memoria, bedeutender. Man betet für die eigenen Toten und die der Stifterfamilien. Geschenke an das Kloster können den Einschluss in solche Gebete erkaufen. Darüber hinaus beginnen befreundete Klöster Gebetsverbrüderungen einzugehen, in denen sie Namenslisten austauschen, die in die jeweiligen Gebete eingehen sollen.

 Schon 762 verpflichteten sich unter der Führung des bedeutenden Bischofs Chrodegang von Metz in Attigny "44 fränkische Bischöfe und Äbte dazu, im Todesfall eines Verbrüderten je 100 Messen zu lesen oder 100 Psalmen zu singen, und ähnliche >Vorsorgen< unter Bischöfen durchziehen noch den gesamten Zeitraum." (GoetzEuropa, S.246) 200 Jahre später gilt das dann auch für den Stifteradel.

Besonders hervor tut sich da Cluny insbesondere dann im 11. Jahrhundert, wo  viele Priester an zahlreichen Altären fast unentwegt Messen für die Toten lesen. Da derartige Memorialstiftungen oft mit Armenspeisungen verbunden werden, kann das Kloster dabei an die Grenzen seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit kommen.

 

Adelsherrschaft entwickelt sich auch dort, wo es Edelfreien gelingt, die Schutzfunktion über Kirche oder Kloster zu gewinnen. Der adelige Krieger kann sich dann als Vogt in einer schon vorhandenen Burg niederlassen, die Mittel von Kirche und Kloster für seine Zwecke nutzen, und von dort aus herrschaftliche Befugnisse über das zugestandene Maß erwerben. "Die Vogtei bot also vorzügliche Möglichkeiten der Herrschaftsbildung, ohne dass der Besitz der Güter oder der Hörigen dafür erforderlich war. Außerdem war die Vogtei ein Amt, das heißt, sie unterstand nicht der erbrechtlichen Teilung." (Weinfurter, S.72)

 

 

Alle Macht geht nun einerseits wirtschaftlich von den in Privatbesitz befindlichen allodialen und den verliehenen Grundherrschaften aus und andererseits rein physisch von der kriegerischen Gewalt, zu der die Herren mehr oder weniger berechtigt sind und die ihnen nach Maßgabe ihrer wirtschaftlichen Verfügungsmasse möglich ist. Aus der Macht ergeben sich Rechte, solche des Grundherren selbst und solche, die ihm verliehen werden. Darüber hinaus entwickelt der höhere Adel immer mehr Amtsgewalt, das heißt, er partizipiert an der königlichen Macht und vergibt Teile davon an niederen Adel.

 

Die einhergehende massive Dezentralisierung der Macht findet vor allem in Westfranzien statt, aber nicht überall dort. Die Grafen von der Normandie, von Flandern, von Anjou und Toulouse können ihre Gebiete stärker zusammenhalten und den Adel darin besser kontrollieren. Aber neuer Adel entsteht dann darunter auch hier.

 

Fragmentierung findet im Ostreich unter den Bedingungen von sogenannten Stammesherzogtümern weniger und später statt. Aber Italien ist um 900 bereits weitgehend fragmentiert. "Italien ist ein Netzwerk von Klientelen, Patronage-Gruppen, die entweder von Grafen oder nichtgräflichen Familien abhängig sind, die es auf kleinere Ämter absehen (sowohl weltliche wie geistliche) oder zunehmend auf die Bischofsämter." (Wickham, S.140)

Dabei setzt sich für dieses Klientelwesen weniger das fränkische beneficium durch als vielmehr der öffentlich beurkundete Pachtvertrag, ergänzt durch mündliche Vereinbarungen bis hin zu einem Treueeid. Im fränkischen Teil tendieren die Verträge zu größerer Kürze, während im ehedem byzantinischen Bereich die emphyteusis (eine Mischung aus Leihe und Pacht) noch mit Laufzeiten über mehrere Generationen überwiegt.

Fragmentierung der Macht heißt auch, dass die einst vom König verliehenen weltlichen Ämter (Markgraf, Graf, Vizegraf) in den Besitz von Familien übergehen und manchmal Teil ihres Namens werden. Entsprechend wird der mit dem Amt einst verbundene Grundbesitz Privateigentum.

 

Mit wachsender Bedeutung treten die Bischöfe, unterstützt von Königen, neben die Markgrafen und Grafen und deren Macht geht zurück, es gelingt ihnen nicht wie weiter nördlich, Positionen wie die Stammesherzöge oder westfränkische principes einzunehmen, ihre schieren Titel erheben sie in der Lombardei bald nicht mehr über die realen Machtvollkommenheiten der übrigen alten nobiles-Familien, und am Ende erheben sie sich als Teil der bischöflichen Lehnskurien auch formal nicht mehr über die allgemeine Oberschicht der Vasallen, der direkten Vasallen von Bischof und König.

 

Im zehnten Jahrhundert verschwinden diese alten "fürstlichen" Familien der karolingischen Reichsaristokratie und es bilden sich neuartige Marken in den Händen neuer Familien aus, von denen nicht wenige langobardischen Ursprungs sind. In der Nordhälfte Italiens steigen so neue Familien als eine Art großgrundbesitzender Hochadel angelehnt an Könige auf. Dazu gehören die Obertenghi in den nordwestlichen Alpen, die Canossa in dem Marschland des Po und die toskanischen Grafenfamilien der Guidi, der Cadolingi und der Gherardesca. Sie erleben Italien ohne starke Zentralmacht. Es gelingt ihnen, zusammenhängenderen Grundbesitz zu erlangen und sich dabei als Herren ihres Gebietes stärker zu verselbständigen.

Mit dem Rückgang der als solche gekennzeichneten Freien ist im 10./11. Jahrhundert eine Schichtung einer sich zunehmend als solche begreifenden Adelsschicht verbunden, die sich in Italien in Kapitane und Vavassoren teilen, während sie in deutschen Landen etwas anders und später sich in Adel und Ministeriale aufteilen.

 

Im Unterschied zum familiengebundenen weltlichen Adel, dessen neuartige Herrschaft bei fehlender männlicher Nachkommenschaft immer vom Aussterben bedroht war, sind die in der Regel adeligen Bischöfe aufgrund ihres Amtscharakters durch Kontinuität ausgezeichnet. Die Urbanität bischöflicher Herrschaft drückt sich auch in einem dem weltlichen Adel vorausgehenden Effizienzdenken aus, welches das Wirtschaften (Erzielen von Einnahmen) und die Verwaltung gleichermaßen betrifft. Dabei verwandeln sich die klerikalen Untergebenen des Bischofs immer mehr in Beamte mit spezifischen Aufgaben.

 

Effizienz erscheint in den Urkunden in der zunehmenden Forderung nach Gehorsam (oboedientia) und in den übrigen Quellen als Klage über die zunehmende "Strenge" der bischöflichen Herren. In der Effizienz treffen sich die klerikalen Herren mit dem Handel und dem Handwerk ihrer Städte.

 

 

Ein Geflecht von personalen Beziehungen unterschiedlicher Mächtiger mit ihren befestigten Plätzen und ihren Vasallen durchzieht das Land. Funktionen von Staatlichkeit sind zunächst immer weiter dezentralisiert und verschwinden zunehmend. Im Verlauf des 10. Jahrhunderts wird eine staatliche Hauptaufgabe, die Friedenssicherung nach Innen bzw. Schutzfunktion nach unten in den Bereich der Unbewaffneten durch die Friedensbewegungen eingefordert.

 

In der Schwellenzeit des 10./11.Jahrhunderts hin zu den Anfängen eines Kapitalismus beginnt - zunächst im Süden - eine enorme Mobilisierung der Verhältnisse, deren wichtigste Grundlage vielleicht einmal zunehmende Agrar-Produktion für den Markt ist und dann auch die Vermarktung von Grundbesitz, zunehmend auch von geliehenem, und schließlich auch die Vermarktung von Rechten und anderen Einnahmen. In dieser Zeit verschwindet der Großteil übriggebliebener freier Bauernschaft bis auf wenige Gegenden, zugleich aber auch die völlige Unfreiheit. Freie Bauern steigen hin und wieder in Ministerialität und niederen Adel auf, der sich am Ende nach unten abschließt, oder sie begeben sich in neuartige Formen von Abhängigkeit. Damit entsteht langsam ein neuer Volksbegriff, der die Menschen unterhalb des Adels umfasst.

 

Um dieser Welt in Bewegung neue Stabilität zu verleihen, beginnen dann neue Abgrenzungsversuche zwischen milites und rustici, Kriegern und Bauern, zwischen Capitanen und Valvassoren in der Nordhälfte Italiens, zwischen Fürsten, Adel und Ministerialien in deutschen Landen usw. Erste Ständetheorien entstehen etwa gleichzeitig mit den Friedensbewegungen des 10./11. Jahrhunderts. Bischof Adalbero von Laon wird in einem 'Carmen' seine Hoffnungen auf einen sich auf die Bischöfe stützenden König Robert von Francien richten.

 

Die Verhältnisse zwischen denen, die Grund und Macht verleihen und denen, die Lehen nehmen, beginnen normiert, d.h. verrechtlicht zu werden. Ein systematisierendes Lehnswesen entsteht, womit wir allerdings bereits über die Schwelle des 10. Jahrhunderts hinaustreten.

 

Besonders unruhig sind dabei die Verhältnisse in Italien. Entstammen die großen noblen Grundherren der alten fränkischen Herrenschicht, so stammen ihre Vasallen, ihr militärisches Gefolge, wiederum vor allem aus der Gruppe jener wehrfähigen karolingischen freien Bauern, die mittels der Vasallität dem Abstieg in zunehmende Unfreiheit entkommt. Ausgestattet sind bzw. werden diese kleinen Untervasallen zunächst mit Bauerngütern mit Haus und Wingert von einem Wert von 30-50 solidi, die den Lebensunterhalt sichern und zunächst von ihnen selbst bewirtschaftet werden.

 

Daneben begeben sich einzelne nichtadelige Geschäftsleute und Rechtskundige in die Vasallität großer Herren und werden so zu Vavassoren. Andere Städter begeben sich in eine Art "klientelartiger Abhängigkeit" zum alten Adel (KellerOberitalien, S.366). Schließlich beginnen die ersten vavassores minores selbst eine Art Kleinstvasallen heranzuziehen, denen allerdings die vollwertige Integration in die militia nicht mehr gelingt. Unterhalb der grundherrlichen Oberschicht ist also seit dem späten neunten und zunehmend dann im zehnten Jahrhundert eine Mobilität im Gange, die am Ende Unsicherheit verursacht, die zu Konflikten führt und auch die Stadt ergreift. Friedensbewegung, religiöse Reformbewegungen und kommunale Bewegung verbinden sich nach und nach damit und führen dann zur Entwicklung ständischer Vorstellungen und lehnsrechtlicher Lösungen wie auch zur städtischen Gemeindebildung.

 

"Soziale" Mobilität: In seinen Praeloquia schreibt Bischof Rather von Verona um 940 modellartig:

Ponamus namque ante oculos quemlibet praefecti filium, cuius avus iudex, abavus tribunus, vel scoldascio, ataavus cognascatur miles fuisse: quis illius militis pater? ariolatur, an pictor; aliptes, an auceps; cetarius, an fingulus; sartor, an fartor; mulio, an sagmio fuerit; postremo eques, an agricola; servus, an liber? (I,23)

Von hinten nach vorne gelesen, ergibt sich eine Stufenleiter sozialen Aufstiegs zum Grafen (preafectus), die für eine ferne Vergangenheit fragt, ob am Anfang ein berittener Krieger stand oder ein einfacher Bauer, ein Freier oder gar ein mehr oder weniger Unfreier. Die nächste Stufe jedenfalls sind spezifische Dienste in der curtis eines Herren, wie der des Mediziners, des Falkners oder des Schneiders. Von dort aus wird man bei ihm miles mit den Aufstiegssprossen Schultheiß (scoldascio), Tribun, Richter (iudex) und dann eben Graf. Bei ihm genügen für diese Karriere noch nur fünf Generationen. Im weiteren Verlauf wird allerdings das Grafenhand in Familien erblich.

Diese Karriereleiter vom miles aufwärts beschreibt nun Adel, der allerdings, wie man erkennen kann, keine Vorstellung eines Geblütsadels beinhaltet.

Dort, wo dann Grundbesitz und Kastelle durch Lehen des Königs und des Bischofs ergänzt sind und mit Ämtern des Richters und des Schöffen, Funktionen des Notars (und dazugehörige Schriftlichkeit) verbunden werden, kann von jenem Hochadel geredet werden, der sich langsam von den einfachen Valvassoren als Capitane abhebt. Ämter, Besitzungen , erblich werdende Lehen und Kastelle machen sie nun aus, die Summe aus Grundherrschaften und darüber hinausgehender öffentlicher Funktionen.

Während diese herrschaftlich-adelige Gruppe sich nach unten abschließt, kann man im 10. Jahrhundert noch weiter vom einfachen Freien zum niederen Valvassoren aufsteigen.

 

 

Gewalt und Leid

 

Wer auch immer auf die Idee kommt, solche Könige, Fürsten und andere edle Herren mit positiven Beinamen ("der Große" etc.) zu versehen, ignoriert, dass ihr Hauptberuf es ist, die Grauen von Gewalt, Fehde und Krieg über das Land zu bringen. Sie metzeln und töten auch, aber Kriegführen bedeutet zu einem großen Teil schlimmste Verwüstung, also "Verheerung", um dem Gegner die materiellen Grundlagen zu entziehen.

"Als etwa König Ludwig IV. im Mai 945 Reims belagerte, wurden in der Umgebung der Stadt systematisch die Saaten verwüstet, Siedlungen zerstört und teilweise verbrannt, ja auch Kirchen nahmen Schaden." (Fürstenau, S.545)

 

So berichtet Thietmar von Merseburg, wie Heinrich II. die Gegend von Metz verwüstet und darum wegen  des Hungers und anderer Not 800 Leute aus der familia des Domstiftes wegziehen, selbst ohne auf die Erlaubnis des Herrn zu warten, und andere dann mit Erlaubnis ebenfalls gehen müssen. (VI,51)

 

Alles, was man nicht mitnehmen kann, wird zerstört, Wein- und Obstgärten,. Brunnen werden unbrauchbar gemacht, und man hat am Gürtel Feuerstein, Feuereisen und Eichenmoder, um mordbrennen zu können. Landbevölkerung des Feindes wird gequält und verstümmelt. Beute ist das Ziel der Vasallen und angeworbener Truppen, die damals noch kaum Sold bekommen. Die Gegner sind besonders darauf aus, Gefangene zu machen, die man dann später gegen Lösegeld wieder freilässt.

Grausamkeit: In Wipos Tatenbericht König Konrads II. werden "heidnische" Gefangene geblendet und verstümmelt.

Kein Wunder, wenn verarmte Bauern sich in Räuberbanden zusammenfinden, um es dann ihren Herren in bescheidenem Umfang gleich zu tun.

 

 

Der Wunsch der Machthaber als Herrscher ist es in aller Regel, in ihrem Machtbereich offene Gewalt in latente zu verwandeln, also es im Idealfall bei der möglichst leisen Gewaltandrohung zu belassen. So viel Staatlichkeit wird aber im 10. Jahrhundert fast nirgendwo im lateinischen Abendland erreicht, und sie wird danach dann am ehesten in Städten einiger Regionen und unter Normannen und ihren Nachfolgern angestrebt werden können.

 

Der Gewaltcharakter von Herrschaft schafft technischen Fortschritt in der Gewaltausübung, der wiederum eng verbunden ist mit jenem Fortschritt, der Gewalt und Wirtschaften so miteinander verbindet, dass daraus im 10./11. Jahrhundert ein neuartiger Adel hervorkommen kann, der sich dann mit dem Begriff vom Ritter verbinden wird.

Solch technischer Fortschritt wie die Nutzung der Trense beim Schlachtross, und besonders die die Erzförderung und Metallverarbeitung vorantreibenden Hufbeschäge, die Steigbügel und die Eisenhüte noch ohne Gesichtsschutz sowie die Kettenpanzerungen deuten bereits an, was als "Rüstungsproduktion" bis heute zu immer neuen Scheußlichkeiten geführt hat, in denen sich Menschen als eine Art Abschaum der Schöpfung erweisen.