INTELLEKT 2: INTELLEKTUALITÄT UND WISSENSCHAFT (1250-1400)

 

Lesen und Schreiben

Universitäten

Scholastik

Früher "Humanismus"

Verwissenschaftlichung

Recht

Der Literat: Schriftstellerei

 

 

Thomas von Aquin 1225-74

Roger Bacon um 1220-1292

Dante Allighieri 1265-1321

Duns Scotus 1265-1308

William Ockham um 1288-1347

Francesco Petrarca 1304-74

Giovanni Boccacio 1313-75

Geoffrey Chaucer 1343-1400

 

 

Lesen und Schreiben

 

Aus den Sinneswahrnehmungen konstruieren sich Menschen ihre Welten, zunehmend ergänzt durch das, was sie durch Hörensagen und viel seltener durch Lesen erfahren. Zumindest aus Zivilisationen wissen wir, dass die meist schon in früher Jugend träge werdenden Köpfe fast aller Untertanen, von den Machthabern dazu ermutigt, sich dabei auf einen kleinen Gesichtskreis beschränken und ansonsten besser brav nachplappern, was ihnen vorgesetzt wird. Alles andere ist schnell auch gefährlich und wird es bis heute mal mehr, mal weniger, so bleiben.

 

Nach der Antike wird "Welt" über das Hausfenster und den Gartenzaun hinaus im wesentlichen ein Konstrukt, welches den Untertanen vorgesetzt wird. Einen Epikur, Lukrez oder Cicero gibt es nicht mehr. Aber in Klöstern und im Umkreis der Kathedralen gibt es im 11. 12. Jahrhundert Einzelne, die das antike Erbe im Privaten weiter kennen, auch wenn ein Berengar oder ein Abaelard gemaßregelt und manchmal ganz zum Verstummen gebracht werden. 

 

Langsam gibt es einzelne Leute, die wissen, dass die Erde eine Kugel ist und der Mond um die Erde kreist und sein Licht von der Sonne empfängt, sowie auch, wie eine Sonnenfinsternis zustande kommt. 

Es gibt eine Zunahme von "geographischen" und "historischen" Büchern, von solchen über Alchemie und die Jagd, also von Bereichen, die nicht (mehr) von der Kirche kontrolliert werden. Bald wird die Signoria von Florenz den Dante-Biographen Boccaccio mit Vorlesungen über das Werk Dantes beauftragen, die sie bezahlt.

 

Aber das Lesen und Schreiben bleibt die Sache weniger. Ein Buch aus Pergament verbraucht die Häute einer ganzen Herde von Kälbern, Ziegen oder Schafen (besser noch Lämmern). Das macht es an sich schon zu einem ungeheurer Wertgegenstand, der noch dadurch erhöht wird, dass ein oder mehrere Schreiber für die Schönschrift mit Feder und Tinte enorm viel Zeit verbrauchen. Bücher gibt es darum in unserer Zeit vor allem in Klöstern und Kathedralen, der Zugang zu ihnen ist also schwierig und extrem beschränkt, und in England vor allem beginnt man sie im späten Mittelalter anzuketten.

Bücher beinhalten darum vor allem die biblischen Texte, liturgische Gesänge und andere Texte für den kirchlichen Gebrauch, daneben Heiligenlegenden, aber auch Chroniken und Annalen. Antike Dichtung, Philosophien und die Kirchenväter gibt es in Abschriften. Das würde fast alle Menschen nicht interessieren, selbst wenn sie es lesen könnten.

 

Um 1200 kann man am englischen Hof halbwegs lesen, und hundert Jahre später trifft das auf die Mehrzahl des niederen Adels und sogar einige  Bauern zu.

Bis tief ins 14. Jahrhundert kann man bei der großen Mehrheit der Bevölkerung auch in deutschen Landen davon ausgehen, dass sie soviel rechnen und lesen kann, wie sie das unbedingt benötigt - und zwar meist ohne jedes schulische Lernen. Das betrifft auch den Großteil der weltlichen Herren und die niederen Ränge der Geistlichkeit. Das sie in ihrer Mehrzahl geneigt wären, auch da zu lesen, wo sie es nicht unbedingt müssen, kann bedenkenlos verneint werden.

 

Schriftkundigkeit, die mit hinreichenden Lateinkenntnissen verbunden ist und möglichst auch wenigstens ansatzweisen rechtlichen Vorstellungen, ist noch bis ins späte Mittelalter hinein professionalisiert und bietet vor allem niederen Klerikern, die im Deutschen dann als scholer bezeichnet werden, einen Karriereweg, - besonders bei engeren Beziehungen zu Mächtigeren. Sie sind meist verheiratet und besitzen nur die niederen Weihen, die sie von den Laien nur geringfügig unterscheiden.

 

Im Verlauf des 13. Jahrhunderts gibt es Texte in den Volkssprachen, die mehr Leuten zugänglich werden, aber wohl hauptsächlich an Fürstenhöfen zirkulieren. Erst im 14. Jahrhundert wird mit Texten von Leuten wie Boccaccio oder Chaucer deutlich, dass sie auch Kreise der städtischen Oberschicht, also mehr Leute erreichen. Aber seine ernsthafteren früh"humanistischen" Texte schreibt er weiter auf Latein.

 

Immerhin schreibt Tuchman für die Zeit um 1400, "mehrere tausend Schreiber" seien "ständig damit beschäftigt, für die fünfundzwanzig Buchverkäufer und stationarii von Paris Abschriften herzustellen. Aber Paris ist eben bedeutende Universitätsstadt.

 

Mit der steigenden Verrechtlichung steigen zunächst in Italien lateinkundige Notare auf. Ein Karriereweg spätestens im 14. Jahrhundert ist in deutschen Landen der des besoldeten Stadtschreibers (scriptor civitatis). Von dort kann dann im 15. Jahrhundert in Trier der Weg bis in das Schöffenamt führen, für das erheblicher Reichtum in der Regel die Voraussetzung ist.

 

 

Universitäten

 

Universitäten sind Einrichtungen, die Kirche und Machthaber mit Nachwuchs versorgen sollen, und seit dem 19. Jahrhundert vor allem auch dem Kapital zu Diensten sind.

Im 13. Jahrhundert kommt es zu zwei einschneidenden Entwicklungen. Die eine betrifft Versuche der Kirche, die Kontrolle über die Hochschulen auszuweiten, und die andere den massiv zunehmenden Einfluss der Bettelorden auf Studium und Lehre.

 

Im Konflikt mit dem Bischof von Paris muss die dortige Universität ihre Selbständigkeit im Bund mit den Päpsten behaupten. 1270 verdammt Bischof Stephan von Tempier den Averroismus in 13 "Irrtümern", 1274/77 jede Form von Aristoteles-Anhängerschaft mit 219 "Irrtümern", was sogar den Thomismus des Aquinaten betrifft. Siger von Brabant muss fliehen und erhält sein Denkmal bei Dante. Die Artisten stehen seitdem unter enger Zensur und die Theologen geraten unter engere päpstliche Aufsicht. 

Da die Pariser Universität eine kirchliche Einrichtung ist, verbietet die Kirche dort nicht nur, sondern subventioniert auch; so verteilen die Päpste seit 1265 Pfarr- und Vikarseinkünfte sowie andere Wohltaten an bedürftige Magister und statten einzelne Studenten mit Stipendien aus.

 

Dafür kann sich von nun an das Studium des Rechts in Paris freier entfalten und wird zum Karriereweg auch für bürgerliche Jugend, weil man so in den Dienst des Königs, des Hochadels, der Kirche und der Städte treten kann. Hier und an den anderen Universitäten entsteht die dienstbare Beamtenschaft für Verwaltungen, mit denen der moderne Staat sich entfaltet: Eine immer weniger politisch-inhaltlich ambitionierte Zwischengruppe zwischen Herrscher und seinen Untertanen, nach oben gehorsam und nach unten Druck ausübend..

 

Neben die hohen Schulen unter der Kontrolle von Kirche oder der etwas offeneren der weltlichen Macht tritt im 13./14. Jahrhundert die „außeruniversitäre“ Lehrtätigkeit wie die des franziskanischen Bonaventura, des dominikanischen Thomas von Aquin oder des Albertus Magnus in Köln.

 

Gegen die Mendikanten an der Universität wenden sich die übrigen Lehrer 1252 unter der Führung von Wilhelm von Saint-Amour. König und Papst wiederum sympathisieren mit den Bettelorden, die inzwischen auch antikaiserliche Werkzeuge sind. Ludwig IX. neigt zu einer Teilung der Universität, wogegen sich Papst Alexander IV. wendet, der Wilhelm sogar die Lehrerlaubnis entzieht. 1257 werden Thomas von Aquin und der franziskanische Bonaventura nur auf päpstlichen Druck hin geschützt. In diesen Konflikt spielt der größere zwischen einem französischen Episkopalismus mit seiner Betonung bischöflicher Eigenständigkeit in eigenen Angelegenheiten und der Unterstützung eines päpstlichen Zentralismus durch die Bettelorden hinein.

Ansonsten findet Konkurrenz und kritische Auseinandersetzung nicht nur zwischen den beiden Orden statt, sondern auch innerhalb von ihnen. Dabei kann es auch mehr und mehr zu Lehrverboten, Verurteilungen und Schlimmerem kommen. Dafür erscheinen nun Texte von Ruteboeuf und Adam de la Halle, die die Bettelorden angreifen.

 

 

Universitätskollege in Paris werden bis ins 14. Jahrhundert größer: Mehr Leute studieren nun auf kirchlich-herrscherlich geregelten Wegen korrekte Ansichten. Kollegien nehmen Stipendiaten auf, erhalten Bibliotheken und werden dann öfter auch Ort von Lehranstalten. Andere dauerhafte Orte der Lehre werden von der Universität erst im 15. Jahrhundert erworben, und vorher unterrichtet man oft auch in Kirchen, Kapellen oder im Freien.

 

Wenn man sich eine Karte der europäischen Universitäten um 1300 anschaut, erkennt man schnell, dass sich unter den inzwischen mehr werdenden keine in deutschen Landen befindet. Bis 1300 gibt es aber rund 13 Universitäten, fast alle im Mittelmeerraum. Dazu gehören inzwischen auch Salamanca, Lissabon und Lérida.

 

Als Karl IV. als böhmischer Landesfürst 1348 die erste in seiner Residenzstadt Prag gründet, begründet er das damit, dass er nicht möchte, dass seine Untertanen weiter zum Studium nach Italien reisen müssen, wobei er insbesondere die Juristen meint.

(...) auf dass unsere getreuen Untertanen, die unablässig nach dem Genusse der Wissenschaften dürsten nicht gezwungen in der Fremde um Brocken zu betteln, im Königreich ihren gedeckten Tisch finden und dass diejenigen, die eine angeborene Feinheit der Anlage zu Ratgebern vorbestimmt, sich wissenschaftlich schulen können und nicht einfach genötigt sind, ja es für überflüssig halten, zur Erwerbung von Wissen den Erdkreis zu durchwandern, fremde Völker aufzusuchen (...) Wir (...) haben beschlossen (..) ein Generalstudium einzusetzen, einzurichten und neu zu schaffen. An diesem Studium soll es Doktoren, Magister und Scholaren geben in jeglicher Fakultät. (in: Monnet, S.45f)

 

Dieser propagandistische Ton verdeckt kaum, dass es sich um obrigkeits-staatliche und zugleich klerikale Einrichtungen handelt, die für die Herrscher Beamte, Juristen, Lehrer und Priester ausbilden sollen. Was man damals in Prag für Wissenschaft erklärt, wird deutlich in der Trauerrede des Prager Erzbischofs auf Karls IV. Tod:

Er besaß Sinn für die Wissenschaften. Wie jeder weiß, war er so gebildet, dass er als Gelehrter und Magister der Theologie hätte auftreten können, denn er erklärte die Psalmen verschiedentlich sehr schön, ebenso das Evangelium. (in: Monnet, S.47)

 

Finanziert wird die Prager Universität mit den Einkünften aus zwölf Dörfern in der Umgebung von Prag. Am Ende der Herrschaft Karls IV. werden bereits rund 7000 Studenten eingeschrieben sein, die in vier nationes eingeteilt sind.

 

Wien 1365, Erfurt und Heidelberg 1386 werden im 14. Jahrhundert noch folgen. Eine Besonderheit wird die Gründung der Universität Köln 1388 auf Initiative der Bürgerschaft und auf ihre Kosten. Sie wird dennoch von Papst Urban VI. genehmigt.

 

Aber in der Zahl der Juristen, der für die Machtausübung wichtigsten Berufsgruppe, wird um 1400 Italien an erster Stelle stehen, knapp gefolgt von Frankreich, welches immer noch zehn mal mehr Juristen besitzt als die deutschen Lande (Dirlmeiern, S.93).

 

 

Scholastik: Der verschulte Weg in spekulativ gewonnene Erkenntnis

 

Scholastik als Begriff kommt erst im 18. Jahrhundert in die deutsche Sprache, um eine der Theologie ein- und untergeordnete Philosophie zu bezeichnen. Seit einiger Zeit wird darunter die von Aristoteles und der Dialektik/Logik abgeleitete Methode wissenschaftlichen Argumentierens verstanden, wie sie sich seit dem 12. Jahrhundert ausbreitete. Dabei wird eine Fragestellung dadurch diskutiert, dass zwei sehr unterschiedliche Ansichten dazu durch Argumente be- bzw. widerlegt werden, wobei die Kunst des Schließens, der Deduktion, ein vernunftgemäßes Ergebnis erzielen soll. Auf diese Weise ist Welt ein theoretisches Konstrukt, dessen Basis allerdings die kirchliche Lehrmeinung ist.

 

Die "klassische" Scholastik blüht dort auf, wo der zunehmend besser verstandene Aristoteles die Oberhand über platonisch geprägte Vorstellungen gewinnt. Noch bei Albertus Magnus (Albert von Bollstädt, 1204-1282) wird der Versuch unternommen, beide Vorstellungswelten zu versöhnen. Dieser kommt aus einem ritterlichen schwäbischen Amtmanns-Geschlecht. Während seines Studiums wird er für den Dominikanerorden gewonnen. Über Köln gelangt er nach Paris, wo er die Lehrbefähigung erlangt, wieder zurück nach Köln, und wird dann Bischof von Regensburg. Er ist Botaniker, Anatom, aristotelischer Theologe/Philosoph, der aber gegen Aristoteles dennoch die Welt als geschaffen und endlich versteht.

 

Alberts Schüler, der Grafensohn Thomas von Aquin, wird Dominikaner, studiert und lehrt dann in Paris und zeitweise in Neapel. Seine philosophierende Theologie, falls man so etwas sagen kann, ist unduldsame Dogmatik aus an Aristoteles angelehnten Behauptungen, die er für vernunftgemäß hält, weil er sie vernünftig konstruieren zu können meint. Mehr und umfassender als andere lässt er sich dabei von den Fallen täuschen, die (die lateinische) Sprache anbietet. Anstatt seine Sinne zu öffnen, wie es andere zu tun beginnen, lässt er sich in die hermetischen Fangnetze von abstrakten Begriffen fangen.

 

Franziskaner wie Grosseteste, Bonaventura und Duns Scotus wenden sich dann bald gegen den reinen Aristotelismus und versuchen vor allem im Menschenbild augustinisch-platonische Gedanken zu erhalten. Johannes Duns Scotus geht einen großen Schritt über Thomas hinaus, indem er Theologie und Philosophie verschiedenen Sphären mit verschiedenen Erkenntnismöglichkeiten zuordnet. Andererseits führt auch sein Vernunftglaube dazu, mit Hilfe vernünftiger Argumentation die Freiheit Mariens von der "Erbsünde" bei ihrer Geburt zu erweisen.

 

 

Früher "Humanismus"

 

Zwei Wege führen von der Scholastik weg in zwei sehr verschiedene neue Richtungen: Der eine führt aus ihr heraus in Tendenzen von Ansätzen von Wissenschaftlichkeit, der andere entwickelt eine zunehmende Faszination einer völlig idealisierten Antike, in der ein Demokrit und Heraklit, ein Epikur und Lukrez keinen Platz haben, eher schon bedeutende Stilisten und Rhetoriker wie Cicero oder Vergil.

 

Das Wort Humanismus ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Wenn es irgendeinen Sinn machen sollte, müsste es von den studia humanitatis des  Mittelalters abgeleitet werden, der Grammatik und Rhetorik vor allem, wozu in der kapitalistischen „bürgerlichen“ Stadt wie an Fürstenhöfen die Ethik, die Dichtkunst und die Geschichtsschreibung kommen. Tatsächlich ist dem aber nicht so. Das Wort entspringt vielmehr den historischen Selbst-Verklärungsversuchen eines sogenannten "Bildungsbürgertums", welches sich in Absetzungsbewegungen von einer allgegenwärtigen Industrialisierung mit ihren Arbeitermassen, aber auch von der zunehmenden Kommerzialisierung der Untertanenverbände in etwas flüchtet, welches seine Wurzeln schon im 18. Jahrhundert hatte: In Geistesgeschichte, in Phantasien von der Bedeutung der Ideen weniger.

 

Die Anfänge dieses "Humanismus" gehen vor allem auf jene Gruppe in Italien zurück, die Schriftlichkeit (Notare) und Rechtskundigkeit (Juristen) miteinander verbindet und dann in den neuen politischen Strukturen ihrer Stadt einsetzt: Ein Musterbeispiel ist Dantes Lehrer Brunetto Latini.

 

Die Sprache ist das Lateinische und über dieses deutlich später auch das Griechische. Es ist die Wiedergewinnung eines klassischen Lateins der beiden Jahrhunderte vor und nach Augustus, jenes von Cicero, Vergil, Horaz, Seneca. Schon vor Petrarca beginnt die Orientierung auf ein solches „klassisches“, das heißt idealisiertes Rom, welches römische Geschichtsschreiber mit ihren Heroisierungen und ihren Oberschichtidealen für bare Münze nimmt.

 

In der Rhetorik finden sie eine Fertigkeit, die sie der Politik andienen können: In den Reden, den Korrespondenzen, der Diplomatie, im politischen Teil des Rechtswesens. Als Gelehrte brauchen sie Mäzene oder einen privilegierten Platz in der entstehenden Welt der neuen Herren,  Zudem sind sie politisch in dem Sinne, dass sie aus dem Studium der Alten legitimatorische Rezepte für die neuen Mächtigen und ihren Staat entwickeln möchten.

 

Aus der versuchten Identifikation eines neuen Zeitalters mit dem „klassischen“ Rom entspringt die Überzeugung von einem dunklen Zeitalter dazwischen, von tausend Jahren der illiteraten Barbarei. Die Idee eines „Mittelalters“ wird geboren, zu der auch das engstirnig-vernunftgläubige Theoretikertum der Scholastiker gehören soll.

 

Im Verlauf weniger Jahrhunderte wird aus der in diesen tausend Jahren vertretenen Überzeugung, dass schon vor Jesu Geburt „heidnische“ Autoren christliches Gedankengut vorweggenommen hätten, ein davon immer unabhängigeres Interesse an diesen in ihrer antiken Umgebung für sich genommen „säkularen“ Autoren.

 

 

Verwissenschaftlichung

 

Duns Scotus Zeitgenosse Roger Bacon setzt gegen die extreme Theorielastigkeit der Scholastik unter anderem die Erfahrungswissenschaft, scientia experimentalis,  eilt dabei aber seiner Zeit etwas voraus, was zu seiner Verfolgung führt. Bezeichnend ist, dass er Mathematik inklusive Astronomie studiert, Alchemie und Optik und sich so der reinen Spekulation entzieht. Naturerkenntnis muss den Respekt vor Autoritäten überwinden und sich mit vorurteilsfreier Forschung beschäftigen, was er selbst auch macht. Religion soll sich auf die Bibel beziehen, nicht auf (pseudo)philosophische Vernunftgläubigkeit.

 

Schließlich bildete sich eine eng an Aristoteles besonders in der Version von Averroes anschließende Richtung, die nun weniger Rücksichten auf kirchenchristliche Lehre nimmt und wegen Verfolgung weniger öffentlich wird.

 

Noch weiter gehen Leute wie William of Ockham (gest.1347), der als sogenannter ("gemäßigter") Nominalist den Ideen (Universalien) Platos keine reale Existenz zugesteht, da sie nur Konzepte im menschlichen Gehirn seien, und damit ebenfalls in scharfen Widerspruch zur Kirche tritt. Von dort aus wird dann im Verlauf der nächsten Jahrhunderten, ebenfalls wie in aller Scholastik nur von wenigen, der Weg in wissenschaftliche Empirie beschritten werden.

Der Franziskaner William studiert in Oxford und lehrt dann in London. Er wird der Häresie angeklagt. Er begibt sich nach Avignon, muss aber von dort fliehen und genießt dann seit 1330 in München den Schutz Kaiser Ludwigs ("des Bayern").

Die Welt ist für ihn nur eine von vielen möglichen, die Gott hätte erschaffen können,- und nicht notwendig so, wie sie ist. Warum sie so ist, bleibt unbeantwortet. Gott ist insofern vernunftgemäß, als er kein widersprüchliches Handeln übt. Schließlich sind Hypothesen und Elemente einer Theorie auf das notwendige Maß zu beschränken.

 

Mit alledem entzieht er der Religion die Begründung für Herrschaft und definiert sie als vom Volk gegebene zur Pflege eines Gemeinwohls, so dass man gegen ihn aufstehen kann, wenn er dieses verletzt. Das wendet er dann unter der Obhut des Kaisers auch auf die Kirche an.

 

Überhaupt hebt mit den Frühformen von Staatlichkeit politisches Denken an. In Dantes 'Monarchia' sind Vernunft für das irdische und Glauben für das himmlische Paradies voneinander getrennt. Gott setzt einerseits den Kaiser, andererseits den Papst ein.

Zu etwa derselben Zeit, 1327, verurteilt Marsilius von Padua im 'Defensor Pacis' den politischen Machtanspruch des Papsttums und fordert einen säkular begründeten Staat, der den Willen des Volkes exekutieren soll, welches mit Mehrheitsentscheidungen beteiligt ist.

Der Klerus soll der staatlichen Gerichtsbarkeit unterstellt werden. Ihre Hierarchie soll beseitigt werden, die Amtsträger sollen durch die Gemeinden oder ähnlich gewählt werden, Bischöfe sollen gleichberechtigt sein und der Papst soll auf ausführende Funktionen beschränkt werden. Strittige Glaubensfragen sollen durch ein allgemeines Konzil geklärt werden. Schon bevor er wegen Häresie verfolgt wird, tritt er in den Dienst Ludwigs ("des Bayern").

 

Die spekulativen Konstruktionen eines Dante oder Marsilius von Padua beginnen zwar, das Denken in vernünftigen Argumenten aus den Fängen sich unter die Kirche duckenden Glaubens zu befreien, sie reagieren auch auf reale Entwicklungen, können sich aber nicht aus einem idealisierenden Menschenbild befreien. Nicht nur gewinnen sie keinen sonderlichen Einfluss, sie müssen sich auch in den Schutz derjenigen Mächtigen begeben, die sie gerne für sich instrumentalisieren.

 

Auf dem Weg in Wissenschaftlichkeit, die erst im 19. Jahrhundert Eingang in die Köpfe wenigstens einer schulisch und universitär gebildeten (kleinen) Minderheit findet, ist so der erste Schritt die rudimentäre Trennung in Glauben und Wissen. Der zweite ist das zunehmend weniger spekulative Studium einer vor allem unbelebten "Natur", wobei Erfahrung über Glauben siegen soll und das Experiment Wissen herstellen.

 

Der aufstrebende Kapitalismus führt zu einem gesteigerten Interesse an abstrakten Quantitäten. Bis nach 1240 lebt Leonardo Fibonacci, ein Kaufmann aus Pisa, der bei Reisen in Nordafrika und Syrien die indisch-arabischen Ziffern und damit damals mögliche Rechenoperationen kennenlernt, darüber forscht und das dann auch veröffentlicht. Aus dem arabischen Raum wird auch ein stärkeres lateinisches Interesse an der Geometrie inspiriert.

 

Das Interesse Kaiser Friedrich II. an Mathematik und Geometrie sowie seine persönlichen Beziehungen zu Fibonacci und anderen zeigt, wie der despotische Trend zu neuer Staatlichkeit auf das engste mit dem Aufstieg der Wissenschaften und zugleich des Kapitalismus verbunden ist. Die Art, wie sich solche Wissenschaftlichkeit weiterentwickelt, wird nur durch solche Zusammenhänge erklärlich sein.

Die Mathematik hatte eine erste abendländische Blüte in den griechischen Handelsstädten gehabt. Sie war in ihrer Entwicklung gehemmt worden, als damals Handelskapitalien keinen Kapitalismus ausgelöst hatten. Der neue, jetzt stattfindende Anlauf zur Verwandlung von Welt in ein Potential für Kapitalverwertung und Warenproduktion wird zugleich zur Mathematisierung von Welt, ihrer illusorischen Berechenbarkeit führen. Von der Auflösung der Welt als Lebensraum in eine zur Verwandlung von Welt in Formeln kalkulierbare wird sie zu einem technischen Projekt werden, so wie die Menschen darin als neuartige Untertanen in neuer Staatlichkeit.     

 

Wissenschaftlichkeit ist ein letztlich trügerisches Projekt, da es einmal die Wirklichkeit als Welt dem menschlichen Vernunftgebrauch unterwirft, der die göttliche Allmacht in dafür untaugliche menschliche Köpfe versetzt, zum anderen, indem es eine aus Erfahrung stammende (und natürlich immer fragwürdige) Plausibilität durch mathematisierbare Wahrheiten ersetzt, von denen behauptet wird, sie seien "den Dingen" immanent. Damit wird das, was einst als Schöpfung angesehen wurde, nun zum technischen Projekt einer "Natur", die damit gottgleichen Rang einnimmt, ohne dass sie als Subjekt überhaupt erfahrbar ist.

 

Mit dem neuerwachenden Interesse an den Himmelskörpern und der Ordnung, in der sie sich bewegen, kommt es im heutigen Wortsinn nicht nur zu einem Aufschwung der Astronomie, sondern auch der Astrologie, die beide noch eine Einheit bilden. Mit dem seit dem 13. Jahrhundert und dem zweiten staufischen Friedrich häufiger werdenden Amt des Hofastrologen wird deutlich, wie sehr (Pseudo)Verwissenschaftlichung und Machtinteressen zusammengehören.

 

Mitte des 13. Jahrhunderts veranlasst Alfonso X von Kastilien die Übersetzung eines 'Lapidario', in dem die Eigenschaften von Steinen und Mineralien in Beziehung gesetzt werden zu Einflüssen, die von den "Sternen" ausgehen. Ein anderes von ihm gefördertes Buch beschäftigt sich mit der Vorzeichenlehre. Je mehr sich dann Pseudo-Wissenschaftlichkeit in das Abrakadbra des Abstrusen einmischt, desto mehr entpuppt sich ein zweites Unheil des Vernunftgebrauchs, - nach dem ersten, welches Vernunft und Glaube zusammenbringen will.

 

 

Wenn die allermeisten Menschen bis heute mit Wissenschaften und Wissenschaftlichkeit auch nicht in Berührung kommen und eher mit ihnen auf Kriegsfuß stehen, so gibt es doch Punkte der Begegnung. Mit dem Aufschwung der Mathematik und der Technik beginnt nach dem ersten Maschinenzeitalter der Mühlen nun eines technischer Innovationen, welche den Lebensalltag der Menschen zunehmend verändern. Daraus entwickelt sich ein Technik-Optimismus, der sich seit dem 14. Jahrhundert bei immer mehr Menschen durchsetzt und seitdem jeder kritischen Auseinandersetzung widersteht. Das reicht von der Erfindung der Lesebrille, die sich aber nur wenige Betuchtere auf die Nase setzen können bis zur Erfindung mechanischer Uhren mit ihren Möglichkeiten der Reglementierung von Lohnarbeit. Im 13. Jahrhundert gibt es die ersten Papiermühlen in Italien, gegen Ende des 14. Jahrhunderts verbreiten sie sich nördlich der Alpen, wobei sich Papier aber erst im 15. Jahrhundert verbreiten wird, als nicht mehr Baumwolle, sondern billigere Textilabfälle das Rohmaterial abgeben. Nun beginnen sich erst so richtig die Aktenberge in den Archiven zu stapeln: Die Verwaltung der meisten Menschen durch die zunehmende Zahl der Handlanger der Macht wird detaillierter, Staatlichkeit nimmt überhand.

 

 

Recht

 

Bekanntlich sind Recht und Gerechtigkeit zwei sehr verschiedene Konzepte. Das Recht legitimiert Macht, die von Herren nämlich, die es durchsetzen und mit Gewalt aufrechterhalten, und die von Kapitaleignern, die für den Ausbau von Reichtum für wenige zuständig sind. Recht ist die Möglichkeit, Gewaltverhältnisse friedlich kaschieren zu können. Als Alternative zu ständigen anarchischen Gewaltausbrüchen wird es im lateinischen Mittelalter und bis heute meist auch von denen akzeptiert, die als 90 oder 99% der Menschen bei der Rechtsetzung nichts zu sagen haben. Erst wo die Gewalttätigkeit von Zivilisierungsprozessen einsetzt, legitimiert sich Recht als Machtmittel von entstehenden Machthabern.

Gerechtigkeit ist ein vorzivilisatorisches Konzept, welches auf dem Doppel von Erfahrung und Tradition beruht. Sie wird nirgendwo in schriftlicher Form als aufokroyiert auftauchen, da Tradition immer auch Veränderung bedeutet. Ihr Wesen besteht in Regeln, die als für möglichst viele zufriedenstellend gelten. Ungerechtes Verhalten ruft dann nach Genugtuung, die Gerechtigkeit wiederherstellt. Als satisfactio zunächst noch ins Mittelalter eingegangen, wird sie im Verlauf von diesem immer mehr durch Strafkataloge abgelöst, die den Mächtigen zu Gute kommen und die Genugtuung der Geschädigten entmaterialisieren: Sie bekommen keine entsprechende Gegenleistung mehr und müssen sich damit abfinden, dass sie (auch hier) nicht mehr zuständig sind. Heutzutage werden die Opfer sogar dazu verpflichtet, die Verwahrung und Alimentierung der Täter mitzufinanzieren, die insgesamt enorme Summen ausmacht. Dabei schützt der Staat die Täter vor den Opfern und nicht umgekehrt. Jede Vorstellung von Gerechtigkeit ist damit inzwischen auf den Kopf gestellt.

 

Bevor es zu allgemeinem Recht kommt, ein Vorgang, der sich bis in die sogenannte Neuzeit hinein hinzieht, sammeln die Mächtigen Rechte (in der Mehrzahl!) an, die oft als Privilegien bezeichnet werden. Zu deren korrekter Niederschrift gibt es immer mehr Notare und zur Durchsetzung neben handfester Gewalt die Advokaten. Die Nutzung beider verlangt (bis heute) einen erheblichen Aufwand an Geld, weswegen Recht nicht nur mit Macht, sondern auch mit Reichtum Hand in Hand geht.

 

Für die deutschen Lande bedeutet das zum Beispiel folgendes: Neben der Trierer Ofizialatskurie betreibt der Erzbischof gegen Ende des 13. Jahrhunderts eine zweite in Koblenz. Diese beiden sind "ein entscheidendes Instrumentarium zur Durchsetzung seiner Herrschaft" mit den Mitteln des Rechtes. In Trier alleine hat der Offizial einen "Stab von schätzungsweise 150-200 juristisch versierten Rechtsverrtetern, Advokaten, Notaren und Mitarbeitern mit engen, sich teilweise überlappenden Verbindungen zu den erzbischöflichen Klerikern und Kaplanen..."(Burgart in: Anton/Haverkamp, S.380) 

 

Neben solchen festangestellten Notaren gibt es die selbständigen, die allen zahlenden Kunden zur Verfügung stehen. Vermutlich unterrichten sie angehende Juristen, die nach der Ausbildung im 14. Jahrhundert vom Kaiser, Papst oder von diesen beauftragten ein Zertifikat erhalten, welches sie zur Ausübung ihres Berufes ermächtigt. 

1381 gründen in Trier 26 Personen eine Juristen- und Notarsbruderschaft als Interessenvertretung.

 

ff

 

Schriftstellerei: Der Literat

 

Im 13. Jahrhundert kommt auch das auf, was ich hier einmal als Schriftstellerei in einem engeren Sinne bezeichnen möchte. Es handelt sich zum einen um ein mehr oder weniger belesenes, aber nicht immer sehr nach Wissenschaftlichkeit strebendes Literatentum, um wenig spezialisierte Autoren, die ein weites Feld mit einer über den durchschnittlichen Anspruch schlichter Unterhaltung hinausgehenden Ernsthaftigkeit beackern und dabei "Weltanschauung" verbreiten.

 

Ein früher Protagonist ist der um 1235 auf Mallorca geborene Ramón Lull, der zunächst als Ritterssohn an den Vergnügungen höfischer Gesellschaft am Königshof teilnimmt, um dann in seinen Dreißigern recht plötzlich in christliche Frömmigkeit zu verfallen. Er verlässt Frau, Kinder und Güter und nimmt sich vor, zur Bekehrung von Muslimen zum Christentum beizutragen. Er lernt Arabisch, was er besser beherrschen soll als Latein, lehrt an der Pariser Universität und unternimmt Missionsreisen nach Nordafrika, wo er wenig willkommen ist und auf der letzten laut legendären Berichten gesteinigt wird, und gerade so nach Mallorca gerettet werden kann, wo er an den Verletzungen stirbt.

 

Dieser Raimundus Lull schreibt "über Gott und die Welt", über Philosophie, Alchemie, Astrologie, Medizin und vieles mehr. In einem Buch konfrontiert er einen Heiden (gentil) mit drei Weisen (savis), die ihn jeweils von ihrer Religion und damit von der Existenz Gottes überzeugen wollen, wobei er als Christ relativ offen bleibt. Ein anderer Text erzählt die Geschichte eines Bürgersohnes und einer Adeligen, die sich in einen Bischof und eine Äbtissin verwandeln. Im 'Llibre de meravelles' reist einer umher und erlebt die göttlichen Wunderbarkeiten und menschlichen Schlechtigkeiten der Welt.

 

Solche "gebildeten" Literaten und Allesschreiber dienen vor allem der Popularisierung und Vereinfachung von Kenntnissen. Dabei tritt Lull als (Ver)Mittler zwischen den christlichen, jüdischen und islamischen Welten der Zeit auf. Das betrifft vor allem seine Texte zur Logik mit ihrer Tendenz zum Vernunftoptimismus, in denen er nach Methoden zur Unterscheidung von Wahrheit und Unwahrheit sucht.

Mit seinen Texten wird er zu einem Vorläufer von Dante, der Generationen später ebenfalls in der Volkssprache versuchen wird, Summen des bisherigen Kenntnissstandes als Literat zu verbreiten.

 

Andere Literaten bedienen ein gehobenes Unterhaltungsbedürfnis, wie zum Beispiel die Autoren mittelhochdeutscher Rittergeschichten. Der gehobenen Unterhaltung des englischen Königshofes dient ein Walter Map in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts mit seinen Geschichten (De nugis curialium). Entsprechend setzt sich die Volkssprache der weniger Gebildeten als Medium durch. Dabei unterliegt das Okzitanische nach der Annektion durch die französische Krone dem Mittelfranzösischen des Nordens und wird nach und nach verdrängt. Sprache ist so auch Ausdruck und Medium von Macht.

 

Die Verslegende Keisir vnde keisirin über Kaiser Heinrich II. und seine Gemahlin Kunigunde von Ebernand von Erfurt um 1220/30 ist mit seinen etwa 4700 Verszeilen eines der frühesten Zeugnisse gebildeter stadtbürgerlicher Dichtung.

Neu ist, dass er  mit mine zungen spricht und zwar daz ich diz brêhte in dûtesch rim, nämlich die seiner thüringischen Mundart. Für ihn ist das offenbar ein Erstlingswerk, denn er hat nun ze tihtenne gevangen ane, aber vielleicht ist ihm auch bewusst, dass solch bürgerliche Dichtung überhaupt etwas neues ist.

 

Ein Rutebeuf (roher Ochse) kommt zum Studium nach Paris, schafft es aber offensichtlich nicht, dort Fuß zu fassen. Er lebt bis etwa 1285 als Auftragsdichter wechselnder Gönner, als Unterhalter mit Text- und Gesangsdarbietungen in den Häusern reicher Leute und als Spielmann auf Volksfesten. Oft wie im 'Renart' wendet er sich gegen die Bettelorden und das, was er für ihre Heuchelei hält, sowie gegen deren Versuche, Einfluss auf die Universität zu nehmen.

 

Mit Dante tritt die "Literatur" als Dichtkunst in ein neues Stadium. Aus den Banalitäten der Erotisierung des Sexus und der Romantisierung des Rittertums entwächst er in ihre philosophisch durchsetzte Idealisierung, zunächst für ein vornehmes Städtebürgertum mit Adelsanspruch und viel Kapital im Hintergrund, um nach einem gescheiterten Ausflug in die Barbarei der städtischen Politik in die höfische Klientel von norditalienischen Gewaltherrschern zu entfliehen. Dort entsteht in kunstvollen Reimen der gehobenen Volkssprache mit der 'Divina Comedia' der Versuch, einer benannten grauenhaften Wirklichkeit menschlichen Handelns in die begrifflichen Nebel eines summum bonum zu entkommen, dem er notdürftige, scheinbar christliche Züge unterschiebt. Literatur wird von schierer höfischer Unterhaltung in kunstvollen, hochbelesenen Eskapismus veredelt, die sprachliche Begleitung der ersten Hochblüte des Kapitalismus, wie sie sich auch in den Formen der bildenden Künste und der Musik darstellt. 

Nirgendwo wird das deutlicher als am Anfang des 'Inferno', wo der Dichter der grausigen Wildnis der Wirklichkeit in die Dichtkunst entweicht. Vergil wird den Dichter in seiner Dichtung retten. Kunst löst Philosophie und Religion ab, indem sie sie ersetzt. (siehe den Anhang zu Dante).

 

Finanziert von Kirche und weltlichen Machthabern, baut Petrarca die Rolle des lebenslangen erbaulichen Schriftstellers aus, dessen wesentlicher Einfluss von seinen Gedichten ausgeht, die er einer mehr oder weniger imaginierten Laura widmet, womit er eine Welle neuartiger Liebeslyrik anstößt.

Bei Bocaccio wird  die Novelle aus ihren phantastischen in realere Welten überführt. Diese Literatur ist teuer, da noch der Buchdruck und das Papier fehlen, und sie ist darum nur einer kleinen wohlhabenden Schicht zugänglich. Wenn sie dann viel später erschwinglicher wird, wird sich herausstellen, dass sie weiterhin bei den meisten Menschen auf kein Interesse stößt. Die Faustregel wird bleiben, je minderwertiger Literatur hingeschludert wird, desto größer ihr Leserkreis.

 

Belesenheit und geistiger Horizont verlangen Mühe und Zeit und müssen entsprechend finanziert werden. Das Geld kommt entweder aus der Familie

oder aber von der Kirche wie bei Petrarca. Leben kann man nicht direkt vom Literatentum, sondern nur von Mäzenen, denen man entsprechend lobhudeln muss. Acht Jahre lässt sich zum Beispiel Petrarca am Hof der Visconti aushalten, da ihm für ein feineres Leben die Einnahmen aus seinen kirchlichen Pfründen nicht reichen und er natürlich nicht von Einnahmen aus seinem Geseufze um eine mehr oder weniger imaginäre Laura leben kann. Am Ende wird Dante von norditalienischen Despoten finanziert. Literatur wird zu einem neuen Strang des Aufstiegs wenigstens ins Umfeld der Macht. Als Galeazzo Visconti sich für seine Tochter Violante und mit Hilfe von Unsummen einen englischen Königssohn eingekauft hat, sitzen 1368 an der Hochzeitstafel der Despotenfamilie neben Petrarca auch Froissart und Chaucer.

 

Wie peinlich idealisierend auch frühe Humanisten der Macht dienen, zeigt der römische Kanzler Coluccio Salutati. Als Kaiser Karl IV. im Oktober 1368 beim Einzug in Rom das Pferd des Papstes am Zügel führt, ein in deutschen Augen damals eher peinlicher Vorgang, schreibt er an Giovanni Boccaccio:

O lieber Herr Jesus, welch ein Schauspiel, die beiden höchsten Fürsten, ja die einzigen Monarchen des ganzen Erdkreises, den Beherrscher der Seelen und den der Leiber, in solchem Frieden und solcher Eintracht, in solcher Herzensheiterkeit und solchem Wohlwollen einander verbunden zu sehen. (in: Monnet, S.81)

Die Idealisierung der Antike auf der Basis von deren Texten führt zur ungenierten Idealisierung eines Schauspiel, welches für wirklich ausgegeben wird.

 

 

 

Im 14. Jahrhundert erweitert sich das Lesepublikum von einem Teil des höheren Adels hin zu wohlhabenden bürgerlichen Kreisen. Literatur wird für solche wenigen neben dem Unterhaltungs- und Erbauungswert auch via vorzeigbaren Büchern zum Statussymbol.