INTELLEKT 2: INTELLEKTUALITÄT UND WISSENSCHAFT (1250-1400) (Umarbeiten)

 

Lesen und Schreiben

Universitäten

Pariser Reglementierungen

Scholastik

Verwissenschaftlichung (Magie und das Unheil der Vernunft)

Intellektualität und Religion

Recht

Der Literat: Schriftstellerei

Das Amüsiergewerbe

 

 

Eine gemeinsame Vorstellung von Welt kann es natürlich nicht geben, und einen Konsens predigt nur die Kirche. Aber einige Leute wissen schon, dass die Erde eine Kugel ist und der Mond um die Erde kreist und sein Licht von der Sonne empfängt, sowie auch, wie eine Sonnenfinsternis zustande kommt. 

Es gibt eine Zunahme von "geographischen" und "historischen" Büchern, von solchen über Alchemie und die Jagd, also von Bereichen, die nicht (mehr) von der Kirche kontrolliert werden. Die Signoria von Florenz beauftragt den Dante-Biographen Boccaccio mit Vorlesungen über das Werk Dantes, die sie bezahlt.

 

 

Lesen und Schreiben

 

Zwei Dinge vor allem werden die Welt des Schreibens und Lesens erheblich verändern: Der Ersatz des enorm teuren Pergamentes durch das Papier und noch erheblich später der Buchdruck. Das Papier, ein pflanzliches Produkt, gelangt von China über die Islamische Welt nach Spanien und Süditalien und im späten Mittelalter auch über die Erfindung von Papiermühlen und die Verfeinerung von Herstellungsmethoden ins Zentrum Europas, ist aber für unsere Zeit hier noch nicht im christlichen Raum in Gebrauch.

 

Ein Buch aus Pergament wiederum verbraucht die Häute einer ganzen Herde von Kälbern, Ziegen oder Schafen (besser noch Lämmern). Das macht es an sich schon zu einem ungeheurer Wertgegenstand, der noch dadurch erhöht wird, dass ein oder mehrere Schreiber für die Schönschrift mit Feder und Tinte enorm viel Zeit verbrauchen. Bücher gibt es darum in unserer Zeit vor allem in Klöstern und Kathedralen, der Zugang zu ihnen ist also schwierig und extrem beschränkt, und in England vor allem beginnt man sie im späten Mittelalter anzuketten.

Bücher beinhalten darum die biblischen Texte, liturgische Gesänge und andere Texte für den kirchlichen Gebrauch, daneben Heiligenlegenden, aber auch Chroniken und Annalen. Antike Dichtung, Philosophien und die Kirchenväter gibt es in Abschriften.

 

Bis tief ins 14. Jahrhundert kann man bei der großen Mehrheit der Bevölkerung davon ausgehen, dass sie soviel rechnen und lesen kann, wie sie das unbedingt benötigt - und zwar ohne jedes schulische Lernen. Das betrifft auch den Großteil der weltlichen Herren und die niederen Ränge der Geistlichkeit.

 

Schriftkundigkeit, die mit hinreichenden Lateinkenntnissen verbunden ist und möglichst auch wenigstens ansatzweisen rechtlichen Vorstellungen, ist noch bis ins späte Mittelalter hinein professionalisiert und bietet vor allem niederen Klerikern, die im Deutschen dann als scholer bezeichnet werden, einen Karriereweg, - besonders bei engeren Beziehungen zu Mächtigeren. Sie sind meist verheiratet und besitzen nur die niederen Weihen, die sie von den Laien nur geringfügig unterscheiden.

Immerhin schreibt Tuchman für die Zeit um 1400, "mehrere tausend Schreiber" seien "ständig damit beschäftigt, für die fünfundzwanzig Buchverkäufer und stationarii von Paris Abschriften herzustellen. Aber Paris ist eben bedeutende Universitätsstadt.

 

Ein Karriereweg spätestens im 14. Jahrhundert ist in deutschen Landen der des besoldeten Stadtschreibers (scriptor civitatis). Von dort kann dann im 15. Jahrhundert in Trier der Weg bis in das Schöffenamt führen, für das erheblicher Reichtum in der Regel die Voraussetzung ist.

 

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Universitäten (Umarbeiten)

 

Universitätskollege in Paris: Bis ins 14. Jahrhundert werden solche Kollege größer. Sie nehmen Stipendiaten auf, erhalten Bibliotheken und werden dann öfter auch Ort von Lehranstalten. Andere dauerhafte Orte der Lehre werden von der Universität erst im 15. Jahrhundert erworben und vorher unterrichtet man oft auch in Kirchen, Kapellen oder im Freien.

 

Wenn man sich eine Karte der europäischen Universitäten um 1300 anschaut, erkennt man schnell, dass sich unter den inzwischen mehr werdenden keine in deutschen Landen befindet. Bis 1300 gibt es aber rund 13 Universitäten, fast alle im Mittelmeerraum.Dazu gehören inzwischen auch Salamanca, Lissabon und Lérida.

 

Als Karl IV. als böhmischer Landesfürst 1348 die erste in seiner Residenzstadt Prag gründet, begründet er das damit, dass er nicht möchte, dass seine Untertanen weiter zum Studium nach Italien reisen müssen, wobei er insbesondere die Juristen meint.

(...) auf dass unsere getreuen Untertanen, die unablässig nach dem Genusse der Wissenschaften dürsten nicht gezwungen in der Fremde um Brocken zu betteln, im Königreich ihren gedeckten Tisch finden und dass diejenigen, die eine angeborene Feinheit der Anlage zu Ratgebern vorbestimmt, sich wissenschaftlich schulen können und nicht einfach genötigt sind, ja es für überflüssig halten, zur Erwerbung von Wissen den Erdkreis zu durchwandern, fremde Völker aufzusuchen (...) Wir (...) haben beschlossen (..) ein Generalstudium einzusetzen, einzurichten und neu zu schaffen. An diesem Studium soll es Doktoren, Magister und Scholaren geben in jeglicher Fakultät. (in: Monnet, S.45f)

 

Dieser pompös-propagandistische Ton, typisch für die Machthaber des späteren Mittelalters, verdeckt kaum, dass es sich um obrigkeits-staatliche und zugleich klerikale Einrichtungen handelt, die für die Herrscher Beamte, Juristen, Lehrer und Priester ausbilden sollen. Was man damals in Prag für Wissenschaft erklärte, wird deutlich in der Trauerrede des Prager Erzbischofs auf Karls IV. Tod:

Er besaß Sinn für die Wissenschaften. Wie jeder weiß, war er so gebildet, dass er als Gelehrter und Magister der Theologie hätte auftreten können, denn er erklärte die Psalmen verschiedentlich sehr schön, ebenso das Evangelium. (in: Monnet, S.47)

 

Finanziert wird die Prager Universität mit den Einkünften aus zwölf Dörfern in der Umgebung von Prag.

 

Wien, Erfurt und Heidelberg werden im 14. Jahrhundert noch folgen. . Am Ende der Herrschaft Karls IV. werden bereits rund 7000 Studenten eingeschrieben sein, die in vier nationes eingeteilt sind.

 

Aber in der Zahl der Juristen, der für die Machtausübung wichtigsten Berufsgruppe, wird um 1400 Italien an erster Stelle stehen, knapp gefolgt von Frankreich, welches immer noch zehn mal mehr Juristen besitzt als die deutschen Lande (Dirlmeiern, S.93).

 

 

Pariser Reglementierungen

 

Im 13. Jahrhundert kommt es zu zwei einschneidenden Entwicklungen. Die eine betrifft Versuche der Kirche, die Kontrolle über die Hochschulen auszuweiten, und die andere den massiv zunehmenden Einfluss der Bettelorden auf Studium und Lehre.

 

Im Konflikt mit dem Bischof von Paris muss die dortige Universität ihre Selbständigkeit im Bund mit den Päpsten behaupten. 1270 verdammt Bischof Stephan von Tempier den Averroismus in 13 "Irrtümern", 1274/77 jede Form von Aristoteles-Anhängerschaft mit 219 "Irrtümern", was sogar den Thomismus des Aquinaten betrifft. Siger von Brabant muss fliehen und erhält sein Denkmal bei Dante. Die Artisten stehen seitdem unter enger Zensur und die Theologen geraten unter engere päpstliche Aufsicht. 

Da die Pariser Universität eine kirchliche Einrichtung ist, verbietet die Kirche dort nicht nur, sondern subventioniert auch; so verteilen die Päpste seit 1265 Pfarr- und Vikarseinkünfte sowie andere Wohltaten an bedürftige Magister und statten einzelne Studenten mit Stipendien aus.

 

Dafür kann sich von nun an das Studium des Rechts in Paris freier entfalten und wird zum Karriereweg auch für bürgerliche Jugend, weil man so in den Dienst des Königs, des Hochadels, der Kirche und der Städte treten kann. Hier und an den anderen Universitäten entsteht die dienstbare Beamtenschaft für Verwaltungen, mit denen der moderne Staat sich entfaltet: Eine immer weniger politisch-inhaltlich ambitionierte Zwischengruppe zwischen Herrscher und seinen Untertanen, nach oben gehorsam und nach unten Druck ausübend..

 

Bettelorden: Franziskus hatte Gelehrsamkeit auf dem Weg zur Heiligkeit abgelehnt. Das hindert  Franziskaner nach ihm bald nicht mehr daran, sich in die belesenen Diskurse der Zeit einzumischen. Mit Franziskus geschieht sehr früh das, was bei Jesus etwas länger dauerte: Die wesentlichen Positionen werden ignoriert. Die Dominikaner wiederum, bewusst als Predigerorden gegen die Ketzer gegründet, legen von vorneherein mehr Wert auf Gelehrsamkeit.

Neben die hohen Schulen unter der Kontrolle von Kirche oder der etwas offeneren der weltlichen Macht tritt im 13./14. Jahrhundert die „außeruniversitäre“ Lehrtätigkeit wie die des franziskanischen Bonaventura, des dominikanischen Thomas von Aquin oder des Albertus Magnus in Köln.

Nur in Paris versuchen Bettelmönche, sich in die universitären Sphären von Logik und Theologie zu integrieren.

Der englische Scholastiker Alexander von Hales tritt 1236 den Franziskanern bei und behält seinen Lehrstuhl, der dann zu einem franziskanischen wird. Zwei sichern sich etwa in derselben Zeit die Dominikaner.

 

Gegen diese Mendikanten an der Universität wenden sich die übrigen Lehrer 1252 unter der Führung von Wilhelm von Saint-Amour. König und Papst wiederum sympathisieren mit den Bettelorden, die inzwischen auch antikaiserliche Werkzeuge sind. Ludwig IX. neigt zu einer Teilung der Universität, wogegen sich Papst Alexander IV. wendet, der Wilhelm sogar die Lehrerlaubnis entzieht. 1257 werden Thomas von Aquin und der franziskanische Bonaventura nur auf päpstlichen Druck hin geschützt. In diesen Konflikt spielt der größere zwischen einem französischen Episkopalismus mit seiner Betonung bischöflicher Eigenständigkeit in eigenen Angelegenheiten und der Unterstützung eines päpstlichen Zentralismus durch die Bettelorden hinein.

Ansonsten findet Konkurrenz und kritische Auseinandersetzung nicht nur zwischen den beiden Orden statt, sondern auch innerhalb von ihnen. Dabei kann es auch mehr und mehr zu Lehrverboten, Verurteilungen und Schlimmerem kommen. Dafür erscheinen nun Texte von Ruteboeuf und Adam de la Halle, die die Bettelorden angreifen.

 

"Scholastik"

 

Scholastik als Begriff kommt erst im 18. Jahrhundert in die deutsche Sprache, um eine der Theologie ein- und untergeordnete Philosophie zu bezeichnen. Seit einiger Zeit wird darunter die von Aristoteles und der Dialektik/Logik abgeleitete Methode wissenschaftlichen Argumentierens verstanden, wie sie sich seit dem 12. Jahrhundert ausbreitete. Dabei wird eine Fragestellung dadurch diskutiert, dass zwei sehr unterschiedliche Ansichten dazu durch Argumente be- bzw. widerlegt werden, wobei die Kunst des Schließens, der Deduktion ein vernunftgemäßes Ergebnis erzielen soll. Auf diese Weise ist Welt ein theoretisches Konstrukt, dessen Basis allerdings die kirchliche Lehrmeinung ist.

 

Die "klassische" Scholastik blüht dort auf, wo der zunehmend besser verstandene Aristoteles die Oberhand über platonisch geprägte Vorstellungen gewinnt. Noch bei Albertus Magnus (Albert von Bollstädt, 1204-1282) wird der Versuch unternommen, beide Vorstellungswelten zu versöhnen. Dieser kommt aus einem ritterlichen schwäbischen Amtmanns-Geschlecht. Während seines Studiums wird er für den Dominikanerorden gewonnen. Über Köln gelangt er nach Paris, wo er die Lehrbefähigung erlangt, wieder nach Köln, und wird dann Bischof von Regensburg. Er ist Botaniker, Anatom, aristotelischer Theologe/Philosoph, der aber gegen Aristoteles dennoch die Welt als geschaffen und endlich versteht.

 

Alberts Schüler Thomas von Aquin beseitigt die platonischen Reste und begründet einen reinen (katholischen) Aristotelismus.

Zeitgenosse Roger Bacon setzt gegen die extreme Theorielastigkeit der Scholastik unter anderem die Erfahrungswissenschaft, scientia experimentalis,  eilt dabei aber seiner Zeit etwas voraus.

Franziskaner wie Grosseteste, Bonaventura und Duns Scotus wenden sich dann bald gegen den reinen Aristotelismus und versuchen vor allem im Menschenbild augustinisch-platonische Gedanken zu erhalten.

Schließlich bildete sich eine eng an Aristoteles besonders in der Version von Averroes anschließende Richtung, die nun  weniger Rücksichten auf kirchenchristliche Lehre nehmen und wegen Verfolgung weniger öffentlich werden.

Noch weiter gehen Leute wie William of Ockham (gest.1347), die als sogenannte Nominalisten den Ideen (Universalien) Platos keinerlei reale Existenz zugestehen und damit ebenfalls in scharfen Widerspruch zur Kirche treten. Von dort aus wird dann im Verlauf der nächsten Jahrhunderten, ebenfalls wie in aller Scholastik nur von wenigen, der Weg in wissenschaftliche Empirie beschritten werden.

Schon vorher aber wendet sich der sogenannte "Humanismus" zwischen Petrarca und Erasmus von Rotterdam gegen das engstirnig-vernunftgläubige Theoretikertum der Scholastiker.

 

 

 

Verwissenschaftlichung (in Arbeit)

 

Bis nach 1240 lebt Leonardo Fibonacci, ein Kaufmann aus Pisa, der bei Reisen in Nordafrika und Syrien die indisch-arabischen Ziffern und damit damals mögliche Rechenoperationen kennenlernt, darüber forscht und das dann auch veröffentlicht. Aus dem arabischen Raum wird auch ein stärkeres lateinisches Interesse an der Geometrie inspiriert.

 

Das Interesse Kaiser Friedrich II. an Mathematik und Geometrie sowie seine persönlichen Beziehungen zu Fibonacci und anderen zeigt, wie der despotische Trend zu neuer Staatlichkeit auf das engste mit dem Aufstieg dieser Wissenschaften und zugleich des Kapitalismus verbunden ist. Die Art, wie sich solche Wissenschaftlichkeit weiterentwickelt, wird nur durch solche Zusammenhänge erklärlich sein.

Die Mathematik hatte eine erste abendländische Blüte in den griechischen Handelsstädten gehabt. Sie war in ihrer Entwicklung gehemmt worden, als damals Handelskapitalien keinen Kapitalismus ausgelöst hatten. Der neue, jetzt stattfindende Anlauf zur Verwandlung von Welt in ein Potential für Kapitalverwertung und Warenproduktion wird zugleich zur Mathematisierung von Welt, ihrer illusorischen Berechenbarkeit führen. Von der Auflösung der Welt als Lebensraum in eine zur Verwandlung von Welt in Formeln kalkulierbare wird sie zu einem technischen Projekt werden, so wie die Menschen darin als neuartige Untertanen in neuer Staatlichkeit.     

 

Wissenschaftlichkeit ist ein letztlich trügerisches Projekt, da es einmal die Wirklichkeit als Welt dem menschlichen Vernunftgebrauch unterwirft, der die göttliche Allmacht in dafür untaugliche menschliche Köpfe versetzt, zum anderen, indem es eine aus Erfahrung stammende (und natürlich immer fragwürdige) Plausibilität durch mathematisierbare Wahrheiten ersetzt, von denen behauptet wird, sie seien "den Dingen" immanent. Damit wird das, was einst als Schöpfung angesehen wurde, nun zum technischen Projekt einer "Natur", die damit gottgleichen Rang einnimmt, ohne dass sie als Subjekt überhaupt erfahrbar ist. Sie bleibt Objekt tendenziell zunehmend irregeleiteter Menschen.

 

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Der Versuch, sich aus den engen Fesseln kirchlicher Dogmatik zu befreien, indem man zunächst seine Gedanken nicht gegen sie, sondern auf Pfade an ihr vorbei richtet, macht deutlich, dass stärker an die Antike anknüpfendes neues Philosophieren im damaligen Wortsinn sich darauf vorbereitet, Aufgaben der Religion zur Welterklärung zu übernehmen. Der Einsatz der Vernunft, also logischer Mittel, macht das Denken zu einem Surrogat für Glauben.

Deshalb nimmt im späten Mittelalter die Rezeption des Ordnungsdenkens des Aristoteles weiter zu. Der Versuch der systematischen Synthese von Religion und aristotelischer Vernunft hat seinen Höhepunkt schon mit Thomas von Aquin, danach bewegen sich Duns Scotus und William Ockham argumentierend in ganz kleinen Schritten dort heraus. Die Betonung der Erfahrung gegen das spekulative Philosophieren beim Machtmenschen Kaiser Friedrich II. wird aber bei der Philosophiererei keinen Nachfolger finden: Sie wird überwiegend in der Selbstverliebtheit des gedachten Wortes verharren. Die Befreiung des Denkens wird jenseits davon und jenseits von den Lehranstalten stattfinden. Dabei wird sie partiell der Selbstverliebtheit des eher einsamen Genius erliegen, da sich ihr kein diskursiver Raum mehr öffnet. Machiavelli wird ein Musterbeispiel dafür als früher neuzeitlicher Denker. 

 

Überhaupt hebt mit den Frühformen von Staatlichkeit politisches Denken an, auch wenn Politik als politeia noch eher in Begriffe wie polizey übersetzt wird. Die spekulativen Konstruktionen eines Dante oder Marsilius von Padua beginnen zwar, das Denken in vernünftigen Argumenten aus den Fängen sich unter die Kirche duckenden Glaubens zu befreien, sie reagieren auch auf Entwicklungen der Wirklichkeit, können sich aber nicht aus einem idealisierenden Menschenbild befreien. Nicht nur gewinnen sie keinen sonderlichen Einfluss, sie müssen sich auch in den Schutz derjenigen Mächtigen begeben, die sie gerne für sich instrumentalisieren.

Das Politisieren jenseits eines auf Erfahrung beruhenden Menschenbildes, welches immer einmal wieder in utopisch-totalitären Unheilskonstruktionen endet, oder aber liebedienerisch den Mächtigen und den Machtstrukturen hinterherläuft, die sie oft auch finanzieren, wird dann im 19. Jahrhundert noch durch das spekulativ durchsetzte Soziologisieren ergänzt werden, dessen individuelle Fundamente oft so wenig offengelegt werden wie seine ideologische Durchsetztheit.

 

Mit dem neuerwachenden Interesse an den Himmelskörpern und der Ordnung, in der sie sich bewegen, kommt es im heutigen Wortsinn nicht nur zu einem Aufschwung der Astronomie, sondern auch der Astrologie, die beide noch eine Einheit bilden. Mit dem seit dem 13. Jahrhundert und dem zweiten staufischen Friedrich häufiger werdenden Amt des Hofastrologen wird deutlich, wie sehr Verwissenschaftlichung und Machtinteressen zusammengehören.

 

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Wenn die allermeisten Menschen bis heute mit Wissenschaften und Wissenschaftlichkeit auch nicht in Berührung kommen und eher mit ihnen auf Kriegsfuß stehen, so gibt es doch Punkte der Begegnung. Mit dem Aufschwung der Mathematik und der Technik beginnt nach dem ersten Maschinenzeitalter der Mühlen nun eines technischer Innovationen, welche den Lebensalltag der Menschen zunehmend verändert. Daraus entwickelt sich ein durchaus neuzeitlicher Technik-Optimismus, der sich seit dem 14. Jahrhundert bei immer mehr Menschen durchsetzt und seitdem jeder kritischen Auseinandersetzung widersteht. Das reicht von der Erfindung der Lesebrille, die sich aber nur wenige Betuchtere auf die Nase setzen können bis zur Erfindung mechanischer Uhren mit ihren Möglichkeiten der Reglementierung von Lohnarbeit. Im 13. Jahrhundert gibt es die ersten Papiermühlen in Italien, gegen Ende des 14. Jahrhunderts verbreiten sie sich nördlich der Alpen, wobei sich Papier aber erst im 15. Jahrhundert verbreiten wird, als nicht mehr Baumwolle, sondern billigere Textilabfälle das Rohmaterial abgeben. Nun beginnen sich erst so richtig die Aktenberge in den Archiven zu stapeln: Die Verwaltung der meisten Menschen durch die zunehmende Zahl der Handlanger der Macht wird immer detaillierter, Staatlichkeit nimmt überhand.

 

Das anhebende späte Mittelalter, in dem der Kapitalismus irreversibel geworden ist, moderne Staatlichkeit sich in einzelnen Gegenden durchsetzt und zugleich, damit untrennbar verbunden, der sich vom kirchlichen Dogma lösende Forschergeist Fahrt aufnimmt, nimmt nun Dämonen, Geister und andere okkulte Wesen stärker in das sich verwissenschaftliche Denken auf, um die der Vernunft nicht erreichbaren Lücken zu schließen. Im verwissenschaftlichten Hexenwahn wird dann Wissenschaft zum ersten Mal ihre mörderische Seite offenbaren, die ihr als ein Aspekt geblieben ist.

 

Es werden im zwanzigsten Jahrhundert die begabtesten und fortgeschrittensten Physiker sein, die den atomaren Suizid der Menschheit möglich machen, der seitdem wie ein bewusst ständig verleugnetes Damoklesschwert über allem komplexerem Leben auf dem Planeten steht. Die nächsten Generationen von Wissenschaftlern werden nichts daraus lernen. Insofern wird der „philosophische“ Aufschwung, der im hohen Mittelalter einsetzt, ein enormer Rückschritt gegenüber allen jenen antiken Denkschulen sein, die Skepsis im weitesten Sinne gegen Gläubigkeit und übelste Formen ideologisierender Geschlossenheit eingesetzt hatten.

 

Wenn Verwissenschaftlichung auch die der Fragestellungen betrifft, auf die es keine Antworten außer Unfug geben kann, dann betrifft dies nicht nur die Fragen, die Kaiser Friedrich II. an seinen Hofgelehrten Michael Scotus stellte, wie die nach dem Ort der Residenz Gottes, nach dessen Verwaltung durch seinen himmlischen Hofstaat, nach den Namen von Geistern und Dämonen und dem Wirken Verstorbener aus einem Jenseits in das Diesseits. (siehe Stürner S. 416 zu Michaels 'Liber introductorius'); es betrifft vielmehr auch die in (pseudo)wissenschaftlichem Gewand auftretenden ideologischen Unterbauungen, mit denen "Geschichte" vorangetrieben wird bis Leute wie Lenin oder Hitler ihr massenhaftes Morden begründen werden.

 

Mit der für die Kirche noch viel bedrohlicheren Trennung beider im Verlauf der frühen Neuzeit wird Astrologie im modernen Sinne dann langsam absinken in die Welten jener, deren psychische Widerständigkeit gegen die Folgen der Verwissenschaftlichung sie bis heute in esoterische Bereiche eintauchen lässt, jene, in denen auch politische Theorien und Ideologieabfälle aller Arten landen.

 

****Magie und das Unheil der Vernunft****

 

Im Kern geht es beim menschlichen Bewusstsein um die Herstellung der Illusion einer stabilen Welt, die sich dem steten Werden und Vergehen entzieht. Nur aus ihr heraus bewältigen wir unseren Alltag. Sie wird wesentlich über Sprache, aber auch über Bilder hergestellt. Aber so wie wir gelegentlich wahrnehmen, dass wir uns selbst in Zeit und Raum bewegen, so wird uns auch sonst punktuell Bewegung bewusst.

Nicht die illusorische stabile Welt, sondern jeder Einbruch der wirklichen, bewegten, alles, was Unruhe ausmacht und in uns auslöst, veranlasst uns, nach Erklärungen zu suchen. Daraus resultiert das, was wir als magisches Weltbild bezeichnen können - eines, welches nach Ursache und Wirkung sucht und das in ein Handeln mit Absicht und Wirkung übersetzen möchte. Magisch ist jede Erklärung von Bewegung, die nicht auf Kenntnis beruht.

Die Alternative sei hier als Wissenschaftlichkeit bezeichnet, die sich auf überprüfbares Wissen bezieht. Sie beginnt überall dort, wo es in frühen Zivilisationen um Machtausübung und Kommerz geht, verbindet sich aber auch dort mit magischen Elementen.

So wie die jüdische Tempelpriesterschaft verlangt auch die Kirche das Monopol über magische Kenntnisse und Rituale. Mehr als die anderen beiden Schriftreligionen ist sie selbst auf Magie und magische Vorstellungen angewiesen, aber da sie mit ihnen so ausgiebig operiert, kann sie die volkstümlicheren unterhalb der kirchlichen Kontrolle bis ins 11. Jahrhundert kaum irgendwo abstellen. Das ändert sich mit der Zeit der Kirchenreform, als die Kirche ihren Zugriff auf die Menschen erweitert und dabei immer strenger dogmatisch wird. Aber ausgerechnet aus ihr heraus erwächst in derselben Zeit mit der Philosophie ein Zweig, der der kirchlichen und der volkstümlichen Magie die der Sprache unter Bedingungen des Vernunftgebrauchs entgegensetzt.

 

Im Kern geht es seit dem 12. Jahrhundert um die Lösung von Wissenschaftlichkeit aus einem religiös aufgeblasenen und verhärteten magischen Weltbild. Dabei kommt es zu einer immer massiveren Ungleichzeitigkeit der Entwicklung. Während Abaelard im Anschluss an Aristoteles auf magische Momente verzichten kann, gewinnt sie in der Astrologie immer mehr Bedeutung im Zuge zunehmender Textproduktion, - und zeigt deren fatale Seite auf. Mitte des 13. Jahrhunderts veranlasst Alfonso X von Kastilien die Übersetzung eines 'Lapidario', in dem die Eigenschaften von Steinen und Mineralien in Beziehung gesetzt werden zu Einflüssen, die von den "Sternen" ausgehen. Ein anderes von ihm gefördertes Buch beschäftigt sich mit der Vorzeichenlehre.

 

Ganz anders entwickeln nun aber Handel und Finanzen einen auf Empirie beruhenden Vernunftgebrauch, der die Logik des Kapitals zu verstehen beginnt. Kapitalistisches Wirtschaften kennt keine andere Magie als die der Warenästhetik.

Man könnte ganz vergröbernd sagen, dass sich neben der immer dogmatischeren Kirche ein sprachmagisch operierendes Philosophieren als Idealisieren und ein ungebremster ökonomischer Materialismus breit machen, Bewegungen, die parallel bleiben und manchmal ungestört in einer Person nebeneinander existieren können. Alle drei operieren mit dem, was hier als das Unheil der Vernunft benannt werden soll. Dabei handelt es sich um das Verfertigen von Konstruktionen, die bei allen dreien logische Elemente enthalten, deren Voraussetzungen aber unhinterfragt bleiben: Eine unbelegbare jenseitig-überirdische Sphäre reiner Geistigkeit, was immer das sein mag, der Glaube an die Wirklichkeit von Wörter, die bloße Konstrukte des Denkens sind, und der Glaube an die Natürlichkeit des Verwertungszwangs von Kapital.

 

Gerne wird seit einiger Zeit von der Entzauberung der Welt im 16./17. Jahrhundert geredet, die aber, wenn es sie je gegeben hätte, ihre Anfänge im 11./12. Jahrhundert und dabei im Anschluss an antike Vorstellungen gehabt hätte. Was tatsächlich einsetzt, ist eine langsame Entzauberung der Natur durch ihre Vernutzung, die als ihre Beherrschung wahrgenommen wird. Ihr Zauber geht in eine sich rapide ausweitende Warenwelt ein, versinnbildlicht in der immer duetlicher werdenden Macht des Geldes.

Fortschritt in der Natur, ihre Geschichtlichkeit, wird erst im 19. Jahrhundert von ganz wenigen verstanden, während fast alle seitdem überhaupt kein wirklichkeitsnahes Naturverständnis mehr haben. Aber der Fortschritt als technischer, als Zunahme von Geld, Waren und Kapital bekommt seit dem hohen Mittelalter magische Qualitäten, die nun an Faszination jene ablösen, die einst von den Naturkräften ausgingen.

Dem faulen Zauber der sich verallgemeinernden Warenwelt wird im 18. und frühen 19. Jahrhundert mit einer poetisierenden Rückverzauberung der Welt geantwortet werden, ihrer Romantisierung als Ablehnung schnödester Wirklichkeit, einem Zauber, der dann in Kitsch und Schund verenden wird. Der Grundzug von tausend Jahren Kapitalismus aber - die meisten Menschen betreffend - ist Rückverzauberung als magische Besetzung von Warenkonsum.

 

 

Im übrigen wird die winzige Nische von Wissenschaftlichkeit, wie sie auch mein Text hier bejaht, bis tief ins 19. Jahrhundert von einer immer breiteren Front von sich bloß (pseudo)wissenschaftlich gebenden Autoren begleitet werden - die auch heute noch in der Öffentlichkeit überwiegend den Ton angeben. Und daneben existiert wie selbstverständlich die Ansicht, dass moralgesättigte Ideologie überall dort den Ton anzugeben habe, wo es nicht um Mathematik, Naturwissenschaft und Technik geht. Da das auch Schulen und in etwas geringerem Maße Universitäten betrifft, besteht auch in dieser Beziehung kein Grund, auf das Mittelalter herabzuschauen.

 

Intellektualität und Religion

 

Intellektualität soll hier einmal verstanden werden als ein Phänomen Weniger in den antiken Mittelmeer-Zivilisationen und zum anderen als dessen Neugewinnung und Anverwandlung seit dem hohen Mittelalter. Als sich selbst befreiendes Selbstdenken kann es immer nur als Vorgang von Befreiung verstanden werden und ist so abhängig von den jeweiligen Fesseln, aus denen es sich zu lösen gilt. Sie ist so auch immer beschränkt in den Umständen, die sie umgeben und gemeinhin zu ersticken suchen. 

 

Im hohen Mittelalter sind es die Freiheiten, die sich der aufblühende Kapitalismus herausnimmt, indem sie ihm gegeben werden, welche dem Denken bei seiner Befreiung helfen. Die beiden wichtigsten Fesseln sind der erwartete und in der Regel als selbstverständlich gegebene Gehorsam gegenüber der Gewalt der Macht und den ihr innewohnenden Denkverboten, die bis heute die Welt der Menschen weithin erfolgreich beherrschen, und zum anderen der nur allzu menschliche Wunsch, aus Angst Wahrheiten wie den Tod oder das Fehlen einer den menschlichen Gehirnstrukturen entsprechenden Sinnhaftigkeit des Lebens durch Glauben oder andere Formen von Erkenntnisverweigerung zu vermeiden.

 

Im hohen und späten Mittelalter entwickelt sich Intellektualität notgedrungen als ein Denken über die vorgegebene Religion hinaus und an ihr vorbei, anders gesagt, als gedankliche Befreiung von der Macht der Kirche, und sie ist zunehmend von Folter und grausamer Tötung bedroht. Intellektualität ist notwendig immer ein Aspekt von Dissidenz.

Vor dem Christentum bestand abendländische Weltsicht aus der Anerkennung und Erforschung von "Natur"kräften, die in mythischen Gestalten repräsentiert und kultisch verehrt wurden. In den entwickelten Zivilisationen wurden die Kulte in die Machtstrukturen eingebaut. Das Christentum, insbesondere seitdem es zunehmend rejudaisiert wurde, basiert dann auf der Satanisierung der Welt, in der die Naturkräfte walten und der Vergöttlichung eines Jenseits, in dem sie außer Kraft gesetzt sind. Die (Neu-)Entstehung von Intellektualität wendet dem Diesseits ein neues Interesse zu, so wie der Konsumismus einer immer reicher und breiter werdenden Oberschicht zugleich die Anfänge eines Kapitalismus anheizt.

Der Kapitalismus wiederum drängt nicht nur die Reste tradierter (Volks)Kultur zurück, sondern schafft sich immer mehr eigene Räume, in denen er alleine herrscht. Er ist ja Selbstentfesselungskünstler einer menschengemachten zweiten Natur auf der Basis der Kenntnis und Anwendung der Gesetze der vorgefundenen ersten. Die sprachliche Möglichkeit, Natur und Kapital jeweils als Subjekte darzustellen, enthält dabei -  dies ist wichtig anzumerken - ganz offensichtlich die Gefahr, wirkliche Subjektivität zu anonymisieren!

 

Parallel zur Logik des Kapitals lässt sich vermuten, dass zwischen 1100 und 1200 Einzelne imstande waren, sich eines judäochristlichen Gottesbegriffes als Voraussetzung ihres Denkens zu entledigen, auch wenn es keine entsprechenden Texte gibt, die die Betreffenden wohl auch das Leben gekostet hätten. Es waren vermutlich nicht die dem Klerus oder dem Mönchtum angehörenden bekannten Autoren. Aber um 1200 tauchen Quellen auf, die empört von Aussagen über die drei Betrüger Moses, Jesus/Christus und Mohammed berichten, und nach 1240 wird Kaiser Friedrich II. vermutlich fälschlich von der Papstkirche unterstellt, zu denen zu gehören, die so etwas verbreiten. 

Der Staufer betrieb eine Art eingeschränkter Duldung gegenüber Juden und Muslimen, denen er als eine Art Untertanen zweiter Klasse die Ausübung ihrer Religionen zugestand. Überhaupt scheint er in der Tradition normannischer Herrscher in Sizilien Religion und Kirche stärker bzw. rationaler nach ihrer Nützlichkeit für seine Machtausübung und seine Ansätze von Staatlichkeit hin betrachtet zu haben.

 

Der Gleichsetzung der drei vermeintlichen Religionsgründer (als Betrüger) entspricht eine Öffnung bei einzelnen abendländisch-christlich geprägten Intellektuellen seit dem 10. Jahrhundert für von Juden im islamischen  Raum und von Muslimen in die jeweilige Gegenwart transportierte antike Gelehrsamkeit. Ein wenig entsteht so etwas wie eine winzige transkontinentale, an der Mittelmeer-Antike orientierte geistige Gelehrtenrepublik, an der Cordoba, Toledo, Palermo, Salerno und wohl auch Foggia, auf jeden Fall aber auch Paris, Chartres und bald auch andere Orte beteiligt sind. Nicht nur der Betrugsvorwurf an alle drei (Schrift)Religionen. sondern auch und viel mehr noch ihre Beteiligung an der Aufbewahrung und Anverwandlung antiken Erbes relativiert den Absolutheitsanspruch der jeweiligen Religion und macht sie zunehmend mehr bei ersten Einzelnen zur Trägersubstanz für intelligenteres Denken.

 

In diesen Vorgängen wird das Christentum größeren Schaden nehmen als die anderen Religionen, da es mehr als diese Elemente des Unglaublich-Mysteriösen enthält wie die Dreifaltigkeit des einen Gottes, die göttliche Zeugung und Jungfrauengeburt Jesu, die Transsubstantiation in der Messe, die Wundertätigkeit von Reliquien und so manches mehr. War es einzelnen Intellektuellen in der islamischen Welt schon gelungen, grob gesagt zwischen Religion als Glaube für das dumme Volk und freiem Denken des Intellektuellen zu unterscheiden, so verleitete das Unglaubhaft-Mysteriöse speziell im Christentum auch nichtintellektuelle Menschen sicherlich zumindest situativ zum Zweifel an dem einen und anderen. 

 

Wenn Päpste Kaiser Friedrich II. vorzuwerfen beginnen, er bezweifle diese offenkundig unglaubwürdigen Aspekte, dann sind sie der Kirche ebenso offenkundig als solche (die man nur glauben kann) bewusst. Das Volk und insbesondere das entstehende neue Bürgertum, welches sein Bewusstsein und damit seine Welt immer stärker kompartmentalisiert, wird vornehmlich stillschweigend der Abteilung Religion, die institutionell ganz auf die Kirche beschränkt ist, immer mehr Bedeutung entziehen, indem es sie nun unabhängiger von den kirchlichen Institutionen für ihre Bedürfnisse herrichtet und dabei die Kirche hinter sich herzieht. Dieser Vorgang wird erst am Ausgang des Mittelalters (welches genau damit auch endet) abgeschlossen mit dem geistigen Abschluss der römischen Kirche von den außerkirchlichen Entwicklungen und einem diesen Anpassungsprozess nun übernehmenden Protestantismus.

      

Zwei große Erschütterungen werden diese erste Phase der Säkularisierung beschleunigen. Einmal der Konflikt zwischen Papstkirche und weltlicher Macht um den sogenannten Investiturstreit herum und zum zweiten und viel stärker noch der, welcher mit Kaiser Friedrich II. vor allem verbunden ist.

Die Weltuntergangsphantasien, die der evangelische Jesus von älteren jüdischen Texten übernommen hatte, tauchen im Verlauf des Mittelalters immer wieder neu auf, in der wortwörtlichen Akzeptanz des sogenannten Offenbarung (Apokalypse) des Johannes seit dem 12. Jahrhundert wieder virulenter werdend. Wenn der Kaiser 1239 in der Sprache dieser Apokalypse Kaiser Friedrich verdammt, wird die christliche Welt von einem ungeheuerlichen Bruch zwischen kirchenchristlicher Welt und weltlicher Macht erschüttert:

Es steigt aus dem Meer eine bestia voller Namen der Lästerung, die mit den Tatzen eines Bären und dem Rachen eines Löwen wütet und an den übrigen Gliedern gestaltet wie ein Panther sein Paul zu Lästerungen des göttlichen Namen öffnet und nicht aufhört, auf Gottes Zelt und die Heiligen, die im Himmel wohnen, die gleichen Speere schleudert. ( Enzyklika Gregors IX. vom Juni 1239)

 

Was derart Angst machen soll, die Bildersprache romanischer Kleinplastiken mitten in der sich entfaltenden Gotik, wird bei den Gegnern Zweifel an der Autorität der Kirche vertiefen. Und die Möglichkeit des Zweifels, einmal anerkannt, wird die Autoritäten bei Menschen mit der Neigung zum Selberdenken unter der Gegnerschaft zu solchen Kirchenfürsten weiter ins Wanken bringen, denn sie wird nicht mehr aus der Welt zu schaffen sein.

 

(ff)

 

Recht (in Arbeit)

 

Bekanntlich sind Recht und Gerechtigkeit zwei sehr verschiedene Konzepte. Das Recht legitimiert Macht, die von Herren nämlich, die es durchsetzen und mit Gewalt aufrechterhalten, und die von Kapitaleignern, die für den Ausbau von Reichtum für wenige zuständig sind. Recht ist die Möglichkeit, Gewaltverhältnisse friedlich kaschieren zu können. Als Alternative zu ständigen anarchischen Gewaltausbrüchen wird es im lateinischen Mittelalter und bis heute meist auch von denen akzeptiert, die als 90 oder 99% der Menschen bei der Rechtsetzung nichts zu sagen haben. Erst wo die Gewalttätigkeit von Zivilisierungsprozessen einsetzt, legitimiert sich Recht als Machtmittel von entstehenden Machthabern.

Gerechtigkeit ist ein vorzivilisatorisches Konzept, welches auf dem Doppel von Erfahrung und Tradition beruht. Sie wird nirgendwo in schriftlicher Form als aufokroyiert auftauchen, da Tradition immer auch Veränderung bedeutet. Ihr Wesen besteht in Regeln, die als für möglichst viele zufriedenstellend gelten. Ungerechtes Verhalten ruft dann nach Genugtuung, die Gerechtigkeit wiederherstellt. Als satisfactio zunächst noch ins Mittelalter eingegangen, wird sie im Verlauf von diesem immer mehr durch Strafkataloge abgelöst, die den Mächtigen zu Gute kommen und die Genugtuung der Geschädigten entmaterialisieren: Sie bekommen keine entsprechende Gegenleistung mehr und müssen sich damit abfinden, dass sie (auch hier) nicht mehr zuständig sind. Heutzutage werden die Opfer sogar dazu verpflichtet, die Verwahrung und Alimentierung der Täter mitzufinanzieren, die insgesamt enorme Summen ausmacht. Dabei schützt der Staat die Täter vor den Opfern und nicht umgekehrt. Jede Vorstellung von Gerechtigkeit ist damit inzwischen auf den Kopf gestellt.

 

Bevor es zu allgemeinem Recht kommt, ein Vorgang, der sich bis in die sogenannte Neuzeit hinein hinzieht, sammeln die Mächtigen Rechte (in der Mehrzahl!) an, die oft als Privilegien bezeichnet werden. Zu deren korrekter Niederschrift gibt es immer mehr Notare und zur Durchsetzung neben handfester Gewalt die Advokaten. Die Nutzung beider verlangt (bis heute) einen erheblichen Aufwand an Geld, weswegen Recht nicht nur mit Macht, sondern auch mit Reichtum Hand in Hand geht.

 

Für die deutschen Lande bedeutet das zum Beispiel folgendes: Neben der Trierer Ofizialatskurie betreibt der Erzbischof gegen Ende des 13. Jahrhunderts eine zweite in Koblenz. Diese beiden sind "ein entscheidendes Instrumentarium zur Durchsetzung seiner Herrschaft" mit den Mitteln des Rechtes. In Trier alleine hat der Offizial einen "Stab von schätzungsweise 150-200 juristisch versierten Rechtsverrtetern, Advokaten, Notaren und Mitarbeitern mit engen, sich teilweise überlappenden Verbindungen zu den erzbischöflichen Klerikern und Kaplanen..."(Burgart in: Anton/Haverkamp, S.380) 

 

Neben solchen festangestellten Notaren gibt es die selbständigen, die allen zahlenden Kunden zur Verfügung stehen. Vermutlich unterrichten sie angehende Juristen, die nach der Ausbildung im 14. Jahrhundert vom Kaiser, Papst oder von diesen beauftragten ein Zertifikat erhalten, welches sie zur Ausübung ihres Berufes ermächtigt. 

1381 gründen in Trier 26 Personen eine Juristen- und Notarsbruderschaft als Interessenvertretung.

 

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Schriftstellerei: Der Literat

 

Im 13. Jahrhundert kommt auch das auf, was ich hier einmal als Schriftstellerei in einem engeren Sinne bezeichnen möchte. Es handelt sich um ein mehr oder weniger belesenes, aber nicht immer sehr nach Wissenschaftlichkeit strebendes Literatentum, um wenig spezialisierte Autoren, die ein weites Feld mit einer über den durchschnittlichen Anspruch schlichter Unterhaltung hinausgehenden Ernsthaftigkeit beackern und dabei "Weltanschauung" verbreiten.

 

Ein früher Protagonist ist der um 1235 auf Mallorca geborene Ramón Lull, der zunächst als Ritterssohn an den Vergnügungen höfischer Gesellschaft am Königshof teilnimmt, um dann in seinen Dreißigern recht plötzlich in christliche Frömmigkeit zu verfallen. Er verlässt Frau, Kinder und Güter und nimmt sich vor, zur Bekehrung von Muslimen zum Christentum beizutragen. Er lernt Arabisch, was er besser beherrschen soll als Latein, lehrt an der Pariser Universität und unternimmt Missionsreisen nach Nordafrika, wo er wenig willkommen ist und auf der letzten laut legendären Berichten gesteinigt wird, und gerade so nach Mallorca gerettet werden kann, wo er an den Verletzungen stirbt.

 

Dieser Raimundus Lull schreibt "über Gott und die Welt", über Philosophie, Alchemie, Astrologie, Medizin und vieles mehr. In einem Buch konfrontiert er einen Heiden (gentil) mit drei Weisen (savis), die ihn jeweils von ihrer Religion und damit von der Existenz Gottes überzeugen wollen, wobei er als Christ relativ offen bleibt. Ein anderer Text erzählt die Geschichte eines Bürgersohnes und einer Adeligen, die sich in einen Bischof und eine Äbtissin verwandeln. Im 'Llibre de meravelles' reist einer umher und erlebt die göttlichen Wunderbarkeiten und menschlichen Schlechtigkeiten der Welt.

 

Solche "gebildeten" Literaten und Allesschreiber dienen vor allem der Popularisierung und Vereinfachung von Kenntnissen. Dabei tritt Lull als (Ver)Mittler zwischen den christlichen, jüdischen und islamischen Welten der Zeit auf. Das betrifft vor allem seine Texte zur Logik mit ihrer Tendenz zum Vernunftoptimismus, in denen er nach Methoden zur Unterscheidung von Wahrheit und Unwahrheit sucht.

Mit seinen Texten wird er zu einem Vorläufer von Dante, der Generationen später ebenfalls in der Volkssprache versuchen wird, Summen des bisherigen Kenntnissstandes als Literat zu verbreiten.

 

Andere Literaten bedienen ein gehobenes Unterhaltungsbedürfnis, wie zum Beispiel die Autoren mittelhochdeutscher Rittergeschichten. Der Unterhaltung des englischen Königshofes dient ein Walter Map in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts mit seinen Geschichten. Entsprechend setzt sich die Volkssprache der weniger Gebildeten als Medium durch. Dabei unterliegt das Okzitanische nach der Annektion durch die französische Krone dem Mittelfranzösischen des Nordens und wird nach und nach verdrängt. Sprache ist Ausdruck und Medium von Macht.

 

Mit Dante tritt die "Literatur" als Dichtkunst in ein neues Stadium. Aus den Banalitäten der Erotisierung des Sexus und der Romantisierung des Rittertums entwächst er in ihre philosophisch durchsetzte Idealisierung, zunächst für ein vornehmes Städtebürgertum mit Adelsanspruch und viel Kapital im Hintergrund, um nach einem gescheiterten Ausflug in die Barbarei der städtischen Politik in die höfische Klientel von norditalienischen Gewaltherrschern zu entfliehen. Dort entsteht in kunstvollen Reimen der gehobenen Volkssprache mit der 'Divina Comedia' der Versuch, einer benannten grauenhaften Wirklichkeit menschlichen Handelns in die begrifflichen Nebel eines summum bonum zu entkommen, dem er notdürftige, scheinbar christliche Züge unterschiebt. Literatur wird von schierer höfischer Unterhaltung in kunstvollen, hochbelesenen Eskapismus veredelt, die sprachliche Begleitung der ersten Hochblüte des Kapitalismus, wie sie sich auch in den Formen der bildenden Künste und der Musik darstellt. 

Nirgendwo wird das deutlicher als am Anfang des 'Inferno', wo der Dichter der grausigen Wildnis der Wirklichkeit in die Dichtkunst entweicht. Vergil wird den Dichter in seiner Dichtung retten. Kunst löst Philosophie und Religion ab, indem sie sie ersetzt. (siehe den Anhang zu Dante).

 

Finanziert von Kirche und weltlichen Machthabern, baut Petrarca die Rolle des lebenslangen erbaulichen Schriftstellers aus, die dann bei Bocaccio die Novelle aus ihren phantastischen in realistische Welten überführt. Diese Literatur ist teuer, da noch der Buchdruck und das Papier fehlen, und sie ist darum nur einer kleinen wohlhabenden Schicht zugänglich. Wenn sie dann viel später erschwinglicher wird, wird sich herausstellen, dass sie weiterhin bei den meisten Menschen auf kein Interesse stößt. Die Faustregel wird bleiben, je minderwertiger Literatur hingeschludert wird, desto größer ihr Leserkreis.

 

Leben kann man nicht direkt vom Literatentum, sondern nur von Mäzenen, denen man entsprechend lobhudeln muss. Acht Jahre lässt sich zum Beispiel Petrarca am Hof der Visconti aushalten, da ihm für ein feineres Leben die Einnahmen aus seinen kirchlichen Pfründen nicht reichen und er natürlich nicht von Einnahmen aus seinem Geseufze um eine mehr oder weniger imaginäre Laura leben kann. So wie er verhalten sich Literaten aller Arten zu dieser Zeit. Als Galeazzo Visconti sich für seine Tochter Violante und mit Hilfe von Unsummen einen englischen Königssohn eingekauft hat, sitzen 1368 an der Hochzeitstafel der Despotenfamilie neben Petrarca auch Froissart und Chaucer.

 

Im 14. Jahrhundert erweitert sich das Lesepublikum von einem Teil des höheren Adels hin zu wohlhabenden bürgerlichen Kreisen. Literatur wird für solche wenigen neben dem Unterhaltungs- und Erbauungswert auch via vorzeigbaren Büchern zum Statussymbol. Es wird mehr Papier produziert und es gibt mehr Kopierer von Texten.

 

 

Die Verslegende Keisir vnde keisirin über Kaiser Heinrich II. und seine Gemahlin Kunigunde von Ebernand von Erfurt um 1220/30 ist mit seinen etwa 4700 Verszeilen eines der frühesten Zeugnisse gebildeter stadtbürgerlicher Dichtung.

Neu ist, dass er  mit mine zungen spricht und zwar daz ich diz brêhte in dûtesch rim, nämlich die seiner thüringischen Mundart. Für ihn ist das offenbar ein Erstlingswerk, denn er hat nun ze tihtenne gevangen ane, aber vielleicht ist ihm auch bewusst, dass solch bürgerliche Dichtung überhaupt etwas neues ist. 

 

 

Das Amüsiergewerbe

 

Die Kritik von Kirche und Bettelmönchen am Amüsiergewerbe bleibt bestehen. Insbesondere die Zurschaustellung von Frauen wird weiter kritisiert, sowohl in Schauspielen wie bei Tänzerinnen. Berthold von Regensburg zum Beispiel wendet sich gegen die gumpelliude, giger und tamburer (Possenreißer, Geiger, Trommler) und dagegen, dass sich die Spielleute über die Frommen lustig machen. (Hartung, S.137)

Langsam werden aber kunstvollere Musik und Gesang davon unterschieden und das Besingen von Heldentaten. Verurteilt werden weiter zum Beispiel von Albertus Magnus diejenigen Schauspieler, die nackt herumlaufen, ihre Scham schändlich entblößen und zu schandbarem Tun herausfordern. (in: Hartung, S.141)

Der Graben zwischen Lebenspraxis und kirchlicher Doktrin wird selbst bei den geistlichen hohen Herren immer größer.

 

An den Höfen des lateinischen Mittelmeerraumes und bei den städtischen Reichen und Mächtigen ist das Amüsiergewerbe inzwischen eine unabdingbare Würze des Alltags. Ende des 13. Jahrhunderts legt Jaume II. von Mallorca, Förderer von Ramon Llull, in seiner Palastordnung fest:

An den Höfen des Fürsten dürfen die Spielleute (mimi seu joculatores) sehr wohl verweilen. Denn ihr Tun trägt zur Fröhlichkeit bei, welche die Fürsten eifrig anstreben und ehrenhaft erhalten sollen. Denn durch sie können sie Trauer und Zorn ablegen und sich allen gnädig erweisen. (in: Hartung, S.185)

An den Höfen der Montferrat, Malaspina, Este und Gonzaga mit ihren rauschenden Festen gilt das ohnehin als selbstverständlich. In seiner 'Summa de arte prosandi' kommentiert das Petrus Cantor schon im späten 12. Jahrhundert abwertend:

Ferner versammelt sich alles, was an Völkern, Berufen und Ständen unter der Sonne zu finden ist, an den Höfen der Fürsten wie die Geier beim Aas, und wie die Fliegen folgen sie dem Duft des Salböls; nämlich die Armen, die Kranken (etc. ...) ferner Trossknechte, Spielleute, Tänzer, Lautenspieler, Flötenspieler, Lyraspieler, Trompeter, Hornisten, Schauspieler, Hampelmänner, Taugenichtse Schmarotzer, Betrüger, Possenreißer, Hanswürste (etc., in: Hartung, S. 193)

 

Anfang des 14. Jahrhunderts unterhält eine Matilda ("Makejoy") den englischen Hof, die seit sie dreizehn ist, dort als saltatrix auftritt, also als akrobatische Tänzerin. Man kann erahnen, wie offenherzig ihr Gewand ausgesehen haben muss und welche weiteren Dienste sie bei Hofe sonst noch abzuleisten hat.

 

In den Städten entstehen Tanzhäuser für die wohlhabendere Gesellschaft, manchmal ins Rathaus integriert. In den Dörfern treten Spielleute draußen bei Festen auf. Sie sind so normal wie der Abscheu, mit dem Prediger der Bettelorden ihnen gegenüber treten.

 

Die Scholastik versucht, mit Vernunftkonstruktionen sowohl dem Gewinnstreben in der Kapitalverwertung wie dem Unterhaltungsbedürfnis der Menschen nachzugeben, quasi in ideologischen Rückzugsgefechten.