Grundsätzliches: Kapital und Arbeit
Grundsätzliches: Waren und ihre Ästhetisierung
Grundsätzliches: "Wirtschaft" und "System"
Bauhandwerk
Textilproduktion
Bergbau und Metalle
Salz
Der Handwerks-Betrieb
Spezialisierung und Arbeitsteilung
Technik und Maschinen: Einstieg in Industrialisierung
Handel: Konsolidierung und Ausweitung des Raumes
Handelskapital, Markt und Nachfrage
Geld
Finanzkapital
Transportwesen
Kapitalismus entsteht unter anderem aus der möglichst ungehinderten Verbreitung zweier ineinander fließender Bewegungen: Der Anhäufung von Kapital und zugleich seinem Einsatz zu seiner Vermehrung. Das wird besonders von einigen Bürgern betrieben, aber im nordwestlichen Mittelmeerraum auch in begrenztem Umfang von Adeligen. Angehäuft und investiert wird Kapital vor allem in Handels- und Finanzgeschäfte größeren Umfangs.
Dafür werden in und außerhalb Europas von Arbeitskräften Rohstoffe marktgerecht zugerichtet und vor allem Fertigprodukte für einen Markt produziert. Ein möglichst unbehindertes und besser noch gefördertes Marktgeschehen ist dafür die Voraussetzung, was heißt, dass Warenverkehr in größerem Umfang stattfindet. Dafür muss sich der Handel zunehmend aus der Situation der schieren Auftragsbeschaffung von Gütern lösen und sich spekulativ auf Nachfrage auf dem Markt hin orientieren. Dafür wiederum muss er sich in einer langen Entwicklung aus der engen rechtlichen Einordnung in die Hofordnungen der Herren lösen. In dieser Situation befinden sich schon lange reisende Fernhändler, von denen es allerdings zunächst nur wenige gibt.
Produktion von Waren leisten in dieser Zeit einmal Menschen in Asien, dem Orient und Afrika im Bereich von Luxusgütern, die wie schon in der Antike über Fernhandel nach Europa gelangen (Gewürze und andere Preziosen).
Das wichtigste, weil häufigste Handelsgut sind aber zunächst Nahrungsmittel, und zwar über Transfer von Überschüssen vom Land in die Stadt und in Klöster. Damit bleiben Bauern und Landarbeiter die wichtigsten Produzenten. Aber da die geringe Ausbeute ihrer Arbeit am effizientesten abgeschöpft wird, bleiben sie auch bis ins hohe Mittelalter für einen sich verallgemeinernden Markt als Individuen marginal, bis sich dann im späten Mittelalter eine kleine bäuerliche Oberschicht entwickeln wird, die mit gehobenen Ansprüchen ebenfalls stärkeren Anteil am Markt nimmt. Andererseits sind die Leute, die das Land bearbeiten, in unserer Zeit die ganz große Mehrheit, und in der Masse bewegen sie durchaus die Entwicklung in Kapitalismus hinein mit.
Partiell in einen Markt integriert sind die städtischen Handwerker, die immer mehr werden. Sie kaufen Lebensmittel, Rohstoffe und Halbfabrikate ein und verkaufen selbst produzierte Fertigwaren. Mit der Verstädterung werden sie die Basis allen Marktgeschehens.
Althochdeutsch bedeutete das handwere oder handwerch noch nichts anderes als Handarbeit, deckte also ein viel weiteres Feld ab, wird dann aber im hohen und späteren, mittelhochdeutschen Mittelalter immer mehr eingegrenzt auf das, was wir noch heute darunter verstehen. Das heißt, das, was dann in der Neuzeit unter "Arbeiter" verstanden wird, auf dem Lande wie in der Stadt, wird dabei ausgegrenzt.
Als Unternehmer soll der Handwerksmeister hier nur eingeschränkt verstanden werden. Zwar ist das Wort, welches wohl über den französischen entre-preneur und vielleicht eine englische Zwischenstufe im 18. Jahrhundert ins Deutsche kommt, mit der Idee eines Kapitaleigners verknüpft, der Warenproduktion betreibt, was soweit auch auf den Handwerksmeister im Mittelalter mit seinem eigenen Betrieb verweist, aber ihm ist damals nur sehr eingeschränkt das möglich, was wir heute als unternehmerisches Handeln bezeichnen, welches sich nicht in Reproduktion erschöpft, sondern Kapitalverwertung als Kapitalvermehrung betreibt. Wachstum in Geld rechenbarer und in der Regel toter Dinge ist das Wesen des Kapitals, während der mittelalterliche Handwerksbetrieb vor allem sich selbst und seine Leute erhält.
Handwerk ist also zunächst einmal jede produktive Arbeit außerhalb der Landbewirtschaftung, und damit von vorneherein auch Sache der Frauen. Über die adelige Schwester des Bischofs Burchard von Worms heißt es vor 1025 in dessen Vita: Diese Dame (domina) war nämlich sehr begabt für Frauenarbeiten (opera mulieribus) und höchst tüchtig,, und sie hatte für die verschiedensten Textilarbeiten angelernte Frauen (feminas doctas) um sich; in der Herstellung prächtiger Kleidung übertraf sie aber viele Frauen. (Nonn, S.71)
Wenn man den wenigen überlieferten Quellen glauben kann, dann gibt es im frühen Mittelalter eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung im handwerklichen Bereich, die etwas mit den Aspekten Kraft und Nähe zu Haus, Haushalt und Kindern zu tun hat. Schmiede und überhaupt Metallbearbeiter sind Männer, textile Arbeiten liegen eher und teilweise auch noch später in weiblicher Hand. Bei der Herausbildung der Hierarchie Meister (Betriebsinhaber) - Geselle – Lehrling finden wir weithin Männer vor. Aber damit ist nicht ausgeschlossen, dass eine Frau als Meisterin einen Betrieb leitet.
Bis ins hohe Mittelalter sind beim Handwerk Produktion und Handel oft noch auf einer ersten Stufe ganz in einer Hand, und Kapitalismus wird sich erst dort entfalten, wo der Handel immer größere Teile handwerklicher (wie landwirtschaftlicher) Produktion vermarktet. Das geschieht früh bei Textilien und bei Eisenwaren für Werkzeuge, anderen Gerätschaften und insbesonderer solchen für militärische Zwecke.
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Vorläufer von Kapitalbildung ist die Aufhäufung von Schätzen. Sie dienen in Kirche, Kloster und weltlichem Herrensitz primär als Prunk und Protz zur Demonstration von Reichtum und Macht, bilden aber eine Reserve, die in Notzeiten auch zu Geld gemacht werden kann.
Schatzbildung kommt vor jeder Warenästhetik, wird aber in sie hineinwirken. Zunächst sind da die heiligen Gebrauchsgegenstände einer Kirche, goldene und silberne Kelche, Monstranzen, Tabernakel, Gefäße zur Aufbewahrung von Reliquien und kostbare Textilien. Bischöfe bauen sich steinere Residenzen, in denen ebenfalls ähnliche Schätze aufbewahrt werden. Neben Gold und Silber wird alles nach Möglichkeit mit Edelsteinen verziert, dazu kommen Stücke aus Elfenbein.
Ausgangspunkt für Kapitalanhäufung statt Schatzbildung ist sicherlich einmal der Handel, insbesondere der Fernhandel, und daneben in geringerem Maße die Rendite aus Grundherrschaften, die allerdings weitgehend konsumiert wird. Kapital ist so der Ersatz für die dem unteradligen Wohlhabenderen zunächst versperrten Grundrenten. Dieser Handel ist erst einmal vor allem auf den Mittelmeerraum konzentriert, in dessen Verlängerung aber auf drei Kontinente ausgedehnt. Soweit ist er auch Erbe des römischen Reiches.
Triebkraft ist zunächst vor allem das Luxusbedürfnis einer kleinen Oberschicht, welches aber teilweise auch schon durch Handwerk vor Ort gedeckt wird. Der Luxusbegriff des Historikers ist nicht klar definierbar, denn eine Definition kommt nicht darüber hinaus, Luxus als das nicht unmittelbar Benötigte zu benennen, - aber natürlich "benötigen" die Herrscher und kleineren Machthaber Luxus, um ihren Status zu begründen und darzustellen. Zivilisation ist der Luxus weniger auf der Basis der Arbeit von vielen.
Der im 11. Jahrhundert deutlich zunehmende Handel bezieht nun aber immer mehr Menschen ein, zum lokalisierbaren Markt(platz) kommt ein allgemeines Marktgeschehen mit einem abstrakterenden Marktbegriff; Europa wird zum Raum einer wachsenden Marktwirtschaft, in der nicht mehr nur einfach Güter, sondern zunehmend Waren produziert werden - Güter, die auf dem Markt zu Waren werden.
Für die meisten der immer mehr Konsumenten solcher Waren decken diese zunächst nur die allernotwendigsten Bedürfnisse ab, Ernährung und Bekleidung vor allem. Soweit würde kein Kapitalismus entstehen, denn wir hätten es mit einer relativ statischen Welt wie in den antiken Zivilisationen zu tun. Aber tatsächlich wächst der Handel mit der Kaufkraft von immer mehr Menschen, und der Anteil derer, die sich auf dem Markt für mehr als das schiere Notwendige eindecken, steigt, zunächst ganz langsam, an.
Kapitalismus wird sich darüber entfalten, dass das Warenangebot Nachfrage erzeugt, neue Bedürfnisse generiert, die wiederum Arbeit begründen. In einigen Gegenden Europas beginnt das schon im 11. Jahrhundert.
Grundsätzliches: Kapital und Arbeit (in Arbeit)
Der Kapitalismus des Mittelalters entsteht aus dem Aufstieg von Kapital aus Handel und Finanzen. Die steigende Warenproduktion in Land und Stadt ist nur Grundlage dafür. Erst im voll aufgeblühten Kapitalismus beginnen einzelne Kapitaleigner, auch in Produktion stärker zu investieren, in einer Zeit, in der auch die Spitzen des Handwerks mit Zugang zu etwas Kapital manchmal politisch Karriere machen. Zentral für die Bewegungen des Kapitalismus wird kapitalintensive Produktion erst mit der großen Industrialisierungswelle des 18. und vor allem 19. Jahrhunderts.
Historisch sind Kapital und Arbeit - schematisierend gesehen - zunächst in einer Hand, und zwar in soweit, als der Händler mit seiner Karawane oder seinem Schiff mitreist oder als Münzer in der Münze und dann der Wechselstube grundsätzlich vor Ort ist. Sie sind aber in soweit schnell getrennt, als der Kapitaleigner nach Möglichkeit dazu neigt, Handarbeit, physische Arbeit gegen (möglichst wenig) Entgelt zu delegieren.
Damit beginnt er sich wesentlich vom Handwerker, der eben darum so heißt, und vom Bauern zu unterscheiden, der ja auch "von seiner Hände Arbeit" lebt. Der immer mehr Arbeit delegierende Kapitaleigner ähnelt dem Adel insofern, als er (produktive) Handarbeit als Statusmerkmal immer mehr verachtet, unterscheidet sich aber zunächst insofern, als Adel die identitätsstiftende Tätigkeit privilegierter Gewalttätigkeit selbst ausübt, während Kapitaleigner im Verlauf der Jahrhunderte immer mehr nur noch zu obersten Entscheidern und Aufsehern über ihre Investitionen und deren Realisierung als Gewinn werden. Aber in derselben Zeit - mit gewisser Verzögerung - gehen dann auch immer größere Teile des edlen Gewaltmonopols vom Adel an den von ihm allerdings durchsetzten Staat über.
Kapital ist derart sehr lange von produktiver Arbeit weitgehend getrennt, damit löst es sich auch von körperlicher Betätigung, wenn man nicht das Schreiben dazu rechnen möchte. Dabei beschäftigt die "Firma" des Kapitaleigners in den ersten Jahrhunderten des zweiten Jahrtausends nur ganz wenige Lohnarbeiter direkt und auf größere Dauer. Noch für das späte Mittelalter heißt es: "Allenfalls famuli oder knechte (Gesellen oder Kapitalführer in einer Handelsgesellschaft) und Lehrjungen werden in den Kaufmannsbüchern und anderen Quellen erwähnt und als wichtigste Partnerin die Ehefrau des Kaufmanns (...) Die Handelsbetriebe waren somit in der Regel auf die Kernfamilie beschränkt, wobei die Tätigkeiten des Geschäftsführers, Faktors, Buchhalters und Schreibers vom Kaufmann selbst und seiner Ehefrau verrichtet werden." (Hanse, S.101)
Weitere Lohnarbeit geht in den Transport und die Lagerhaltung, und die Tendenz geht dahin, zumindest den Transport weitgehend anderen Firmen mit ihrer wiederum beschränkten Lohnarbeit zu überlassen.
Die Trennung von Kapital und Arbeit in der jeweiligen Firma belässt den Kapitaleigner nicht untätig, sondern überlasst ihm nur die entscheidenden Tätigkeiten, jene allerdings, über die er selbst verfügt und nicht ein anderer. Dabei wird auf die heute formale Trennung zwischen Arbeiter und Angestelltem verzichtet, die sich damals und vom Wortsinn her auch nicht unterscheiden. Länger vom Kapital eingestellte (Lohn)Arbeit umfasst dabei so wenig Leute, dass der Kapitaleigner sie zunächst noch persönlich kennt und auch einstellt, in ferneren Niederlassungen kennt er dann nur noch deren Chefs, als die er gerne Verwandte einsetzt.
Ein früher (subjektiver) Gegensatz von Kapital und Arbeit in der Firma ist nur als höchst persönlicher erkennbar, ansonsten ist die direkte Arbeit für den Kapitaleigner Karrierechance und lässt höchstens den Faktor Arbeit untereinander konkurrieren. Grundlegende Kritik an Kapitaleignern taucht denn auch vorwiegend als religiöse bzw. moralische auf. Der wesentliche Gegensatz entsteht im sogenannten späten Mittelalter als politischer zwischen denen, die Kapitalvermehrung betreiben und denen, die wesentlich mit nicht kapitalisierbarem Eigentum wirtschaften.
Dabei fehlen hin und wieder die klaren Trennlinien, auch wenn sie die von den großen Kapitaleignern wie vom Handwerk betriebene Politik immer wieder neu ziehen möchte. Der seltene, wohlhabend gewordene Handwerker, der erst ein Haus in der Stadt kauft und dann später vermietet und selbst in ein anderes zur Miete zieht, welche er mit der Miete aus dem ersten Haus finanziert, hat dieses auch noch nicht kapitalisiert, wenn er deshalb nicht mehr von seiner Hände Arbeit leben müsste. Jetzt wäre er theoretisch kleiner Rentier. Dazu muss aber wohl sein Erbe erst noch wenigstens eine bedeutendere Immobilie, vielleicht im Umland der Stadt, erworben haben. Vielleicht investiert er dann in Handels- oder Finanzgeschäfte und wird kleiner Kapitalist. Eine solche Karriere gibt es im Verlauf des Mittelalters, aber sie ist selten.
Die allermeisten Menschen in der mittelalterlichen Stadt leben nicht mit der Möglichkeit, ihr Eigentum zu kapitalisieren und arbeiten darum entweder selbständig oder in Abhängigkeit. Kapital in der Stadt sehen sie wirtschaftlich meist aber als Vorzug, da es das eigene Wirtschaften oder die Möglichkeiten für abhängige Arbeit verbessert.
Die Stadt, die sich im Mittelalter entwickelt, ist also wesentlich dreigeteilt. Ein winziger Teil lebt von der Vermehrung von Kapital, ein großer Teil von selbständiger Arbeit, für welche mehr oder weniger Eigentum vonnöten ist und manchmal abhängige Arbeitskraft hinzukommt, und der Rest von abhängiger Arbeit und/oder von Almosen. Letztere Gruppe fassen wir als Proletarier zusammen, also die Leute, die kein Eigentum haben, welches ihnen Selbständigkeit ermöglicht.
Erst die wesentlich nachmittelalterliche Moderne der letzten paar Jahrhunderte hat das völlig verändert: In dieser Zeit verschwindet bis heute weithin der klassische Kapitalist, der patriarchal-selbstständig eine Firma betreibt, es verschwindet das handwerklich-produktive Gewerbe und die übrige auf Eigentum beruhende Selbständigkeit und fast alle Bewohner der Stadt und fast alle des zu Suburbia verkommenden Landes sind aufgrund mangelnden ausreichenden Kapitals und der globalisierten Marktmacht riesiger Kapitalkonglomerate zur Unselbständigkeit verurteilt, die sie an den praktisch alles regulierenden Staat mit Haut und Haaren binden.
Der Gegensatz von Kapital und Arbeit, wie ihn Marx quasi philosophisch als "Widerspruch" formuliert, lässt sich so nur für seine Zeit nachverfolgen. Er ist vorher in den quantitativ noch überwiegenden Agrar- und Handwerkerpopulationen nicht wesentlich und heute zumindest in den Metropolstaaten des Kapitalismus auch nicht mehr, da fast alle Menschen ihren Lebensunterhalt in abhängiger Arbeit erringen und sich Kapital im Vergleich zum Staat kaum noch personalisieren lässt.
Immer aber lässt sich, und jedes Jahrhundert mehr, von Kapitalismus reden, denn dieser hängt nicht an der Zahl von selbständigen Kapitaleignern, sondern an dem Maße, in dem Kapitalverwertung die Lebensverhältnisse und die Köpfe der Menschen bestimmt.
Grundsätzliches: Waren und ihre Ästhetisierung
Wahrheit wurde ursprünglich einmal warheit geschrieben. Mancher aus der Zunft der Etymologen hält darum einen Zusammenhang mit der Ware für möglich, die in England schon länger eine commodity ist. Letztere englische aber hat ursprünglich mit Wohlfahrt zu tun, mit welfare, dem Kommoden, Wohltuenden, und verengt sich dann auf das nützliche Produkt. Vorher konnten die alten Engländer namentlich von der sehr germanischen ware sprechen, als dem Produkt nämlich, dem von Menschen hergestellten Gegenstand.
Mit der zunehmenden Marktwirtschaft, dem Rückgang der Hauswirtschaft, der Arbeitsteilung und mit zunehmender Kapitalisierung von immer mehr (Geld, Land, etc.) gelangen immer mehr Waren auf den Markt, worauf sich die Bedeutung des Wortes (Ware) im Deutschen (nicht im Englischen) immer stärker verengt: Ware wird das Produkt, welches auf den Markt geworfen wird, am Ende die einzige ware, die noch zählt.
Wie Kapital ist auch Ware Ausdruck der Verdinglichung eines Vorgangs, in dem Menschen in (wirtschaftliche) Beziehung treten: Waren stellen eine Beziehung zwischen Verkäufer und Käufer dar, ein Gegenstand, ein Gut wird Ware im Moment des Verkaufs. Gegenständlich werden Kapital und Ware nur im Moment ihrer Zweckbestimmung, einer Absichtserklärung also. Verständlich werden sie nur als Vorgang.
Die Ware als Vorgang hat zwei Seiten, die des Verkäufers und die des Käufers. Der erstere zielt ab auf einen Gegenwert beim Verkauf, der sich möglichst in Geld rechnen lassen muss und höher sein soll als der, der für Produktion bzw. Erwerb der Ware nötig war, er will einen geldwerten Gewinn, während der Gewinn des Käufers in der Nutzung und dem Verbrauch der Ware besteht.
Im Konsum, deutsch: Verbrauch, findet sich jener Sinn der Ware, der für Kapitalismus elementar ist: der Verbrauch vernichtet sie. Wo er das nicht hinreichend tut, muss es die Mode tun oder kriegerische Gewalt, zwei konstitutive Elemente jedes Kapitalismus. Dabei ist Konsumption, also Verbrauch toter Ressourcen und vor allem lebendiger Natur, auch schon der Ausgangspunkt. Die nämlich haben Menschen mit allen Lebewesen gemeinsam, erst im Kapitalismus nimmt sie aber einen Umfang und ein Tempo an, wie es in der Geschichte unseres Planeten nie dagewesen war: Vor 1000 waren fast alle Menschen in Europa von Produktion und Kauf von Waren ausgeschlossen, neun, zehn Generationen später waren sie fast alle wenigstens ein bisschen in einen großen Warenmarkt integriert.
Ware und Konsum lassen sich in zwei Sphären aufspalten, in Waren für jenen Konsum im engeren und üblicheren Wortsinn, die „nur“ zum Verbrauch bestimmt sind, und solche, die wiederum nur für die Produktion und Verteilung von Waren zuständig sind, und die (nicht nur) Marx Produktions- und Distributionsmittel nannte. Diese werden aber ebenfalls im Vorgang der Kapitalvermehrung („Verwertung“) verbraucht bzw. durch Innovation obsolet.
Das hat damit zu tun, dass die Gegenstände, die unmittelbar für die Produktion, den Transport, die Lagerung und den Verkauf von Waren eingesetzt werden, eine andere Qualität von „Gebrauchswert“ haben als die, die in einem nicht in den Prozess der Kapitalverwertung eingesetzten, privaten Konsum verbraucht werden. In der idealisierenden Politökonomie von Marx erscheint der Gegensatz von Gebrauchswert und Tauschwert klar definierte Größen abzustecken, dem ist aber leider nicht so in der historischen Wirklichkeit.
Immerhin kann man ihm ein gutes Stück weit folgen: Kapital ist jenes Eigentum, welches zu seiner (wirtschaftlich hergestellten) Vermehrung eingesetzt wird. Im Vorgang seiner Verwertung, in dem es erst Kapital wird, wird es investiert, wobei am Ende immer Waren an einen Kunden gelangen sollen. Diese kann der Kapitalist selbst besitzen wie zum Beispiel Geld, selbst produziert haben oder aber aufkaufen und weiterverkaufen. Die wundersame Kapitalvermehrung geschieht zu allererst durch Arbeit, zudem durch den Einsatz von Rohstoffen, durch Kapital, welches in Produktionsmittel, Transport und Verkauf investiert wird, zunehmend im Kapitalismus aber durch Lohnarbeit, welche das Produkt schafft, das auf den Markt kommen soll.
Für den Kapitalisten ist die einzige Funktion, die seine Ware hat, die, auf einem Markt einen Tauschwert zu haben, der lohnenswert höher ist als das eingesetzte Kapital. Der Tauschwert ist eine vage Größe, während der Preis der Ware, in dem er sich verwirklicht (realisiert, sagt Marx, der da schon länger in England lebt), im Moment des Verkaufes von einer spekulativen zu einer berechenbaren wird. Dieses Ziel der Kapitalvermehrung, welches überhaupt erst Eigentum zu Kapital macht, ist also abhängig von einer Kundschaft, die die Waren kauft. Dazu, sagt Marx, muss die Ware einen Gebrauchswert haben, ein, wie man unschwer erkennen kann, etwas unglücklicher Begriff, denn er lässt sich nicht klar definieren, da dem Objektivieren ein subjektiver Faktor entgegensteht.
Die ursprüngliche Konsumption aller tierischen Lebewesen und darum auch des Menschen besteht in der von Pflanzen und/oder Tieren bzw. wenigstens Teilen von ihnen. Ihr Gebrauchswert besteht in ihrem Nährwert, da sie der Ernährung dienen, auf der alles Leben basiert. Das Leben der einen basiert auf dem Tod der anderen. Aber schon in vorkapitalistischen Zivilisationen stimmt das zumindest für Teile ihrer Mitglieder so einfach nicht mehr. Während sich in traditionellen Kulturen die Ernährung zunächst tatsächlich aufgrund der Erfahrung zahlreicher Generationen auf den Nährwert konzentriert, erhält sie später in Schichten, die mehr besitzen als sie benötigen, den Charakter eines Genussmittels, welches den Gaumenkitzel nicht mehr nur aus dem Nährwert oder auch gar nicht mehr daraus erlangt.
In diesem Moment löst sich der Gebrauchswert von einem klar definierbaren Nutzen und wird zu einer Sache sinnlichen „Genusses“. Die sinnliche Wahrnehmung und damit auch die Weise der Ansicht, Betrachtung des sinnlich Wahrgenommenen heißt im Altgriechischen aisthesis, und daraus hat sich im Deutschen im Zeitalter der Aufklärung (im 18. Jahrhundert) das Wort Ästhetik entwickelt. Warenästhetik ist ein Begriff, den ich zum ersten Mal 1971 bei Haug gefunden habe, dem moralisierend braven Schüler von Sartre und Marx. Ich werde versuchen, dem Begriff jene Sprengkraft zu geben, die beim wesentlich polit-ökonomisierenden Menschen notgedrungen fehlen muss.
Sobald eine Ware vor allem einen im Ästhetischen liegenden Nutzen hat, wie im Extremfall sogenannte Lebensmittel (fast) ohne Nährwert oder gar solche mit gesundheitsschädlichen Nebenwirkungen, überwiegt ihr ästhetischer Wert den originären Nutzen. Der Kapitalismus operiert bei Konsumartikeln für den privaten Verbrauch, soweit er kann, mit diesem warenästhetischen Aspekt, er wäre ohne ihn gar nicht in die Welt gekommen. Das stimmt aber eben nur ganz begrenzt für jene Waren, die Marx in das weite Feld der Produktionsmittel einreihte, und deren Produktion im Laufe der Zeit für den Kapitalismus immer wichtiger wird.
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Vorläufer allen Marktgeschehens ist das sexuelle Machtspiel in der Natur, Grundlage von Evolution. Es ist das Elementarium auch aller menschlichen Geschichte, die sich im Ablauf der Generationen (der Erzeugten) entfaltet. Warencharakter erhält es am deutlichsten in der Prostitution, der Vermarktung der sexuellen Attraktivität insbesondere der Frauen, typisches Kennzeichen von ausgebildeten Zivilisationen. Was dort offenen Warencharakter in der Konsumierung von Körpern hat, zeigt sich in den Versuchen der Huren, ihr Talent zur sexuellen Anreizung von Kunden möglichst herauszustellen. Diese Ästhetisierung des mehr oder weniger bekleideten Leibes geht mit der Erfindung der (Kleider)Moden im frühen Kapitalismus der Städte vor allem auf die Frauen über, die sich nicht für die männliche Notdurft prostituieren, sondern Ehe und Familie suchen und dann in ihnen weiter dazu neigen, ihre sexuelle Attraktivität (Macht) zu zeigen.
Die Ästhetisierung von Waren geht also aller Wahrscheinlichkeit nach auf die Hervorhebung menschlicher sexueller Attraktivität als dessen modische Ästhetisierung zurück, auf das originäre Machtspiel der Natur.
Der entscheidende Schritt ist die Übertragung der Ästhetisierung des menschlichen Aussehens auf Waren. Was die Natur als den gesunden und darum mächtigen Körper erkennt, der den besten Nachwuchs hervorbringt, wird zum Akzessoire des dauerpräsenten menschlichen Geschlechtstriebes, der sich ein gutes Stück weit von seiner Fortpflanzungsaufgabe gelöst hat: Die Ästhetisierung wird auf Waren übertragen, die nun die (ursprünglich sexuelle) Macht des Individuums im Dekor darstellen und verstärken. Die sexuelle Geilheit wird dabei zur solchen im Warenerwerb, die nicht lebensnotwendigen Waren werden immer stärker "sexualisiert". Im Verlauf von tausend Jahren Kapitalismus werden dabei in Wellenbewegungen die zivilisatorischen Schranken mit zunehmendem Erfolg eingerissen, vor allem in den größeren Städten, bis am Ende das Ausleben des Geschlechtstriebes einzige sinnstiftende Sphäre bleibt, - das, wo wir heute in den Metropolen des Kapitals angekommen sind.
Solange in den ersten Jahrhunderten des Kapitalismus der sich immer mehr erweiternde Markt noch im Widerspruch zur kirchlichen Lehre steht, die den diesseitsgewandten Egoismus des einzelnen Haushaltes als Sünde etikettiert, schwanken die Akteure des Marktes im Ausmaß der (sexuell fundierten) Ästhetisierung der nicht unmittelbar lebenswichtigen Waren, der einzigen, die solcher Ästhetisierung damals bedürfen. Außerdem haben dazu nur die Zugang, die das, was jeweils Luxus ist, überhaupt konsumieren können, auch wenn sie als Leitbilder für die anzusehen sind, die davon notwendig noch verschont sind.
Wieweit das ganze aber am Ende des sogenannten Mittelalters gediehen ist, zeigen in den rabiaten Gegenbewegungen von Wiclif über Hus und Savonarola bis zu den Wiedertäufern schlagartig die öffentlichen Verbrennungen von Luxus-Waren, die Bilderstürmerei und manches mehr.
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Der Grund für spezifische Warenästhetik, wie sie im Mittelalter sich ausbreitet, besteht in der erstaunlichen Bipolarität, auf der der Kapitalismus beruht, nämlich auf der von Sparsamkeit/Knappheit und Verschwendung. Die Sparsamkeit liegt beim Kapitalisten, der erst einmal Eigentum aufspart und dann so sparsam wie möglich einsetzt, damit es sich auch tatsächlich dabei vermehrt: Er spart es aus seinem Konsum aus, und er spart dann an den Kosten (für Rohstoffe, Arbeit, Transport usw.). Umgekehrt ist er darauf angewiesen, dass der Konsument mit dem, was er hat und zu Markte trägt, verschwenderisch umgeht, also möglichst viel Ware(n) kauft.
Die Knappheit im Kapitaleinsatz wird noch verstärkt, wenn mehrere Kapitalisten auf dem Markt konkurrieren, wobei bei gleicher Qualität (welcher Art auch immer) der Käufer immer den niedrigeren Preis vorzieht, weswegen in dieser Konkurrenz der Kapitalist mit der knappesten Kalkulation gewinnt. Er wird sich also beim Erwerb seiner Produktionsmittel auf jene Effizienz, jenen Nutzen konzentrieren, der ihm tatsächlich den größtmöglichen Gewinn beschert, und sich kaum durch warenästhetische Kriterien ablenken lassen. Umgekehrt wäre die seit dem 10./11. Jahrhundert steigende Warenflut für den privaten Konsum teilweise und immer mehr so gar nicht mehr an den Mann und die Frau zu bringen gewesen.
Warenästhetik dient also der Verstärkung, Anheizung des Konsums und darin der Durchsetzung der eigenen Waren in der Konkurrenz. Sie ist von einer ursprünglicheren naturgegebenen Sinnlichkeit zu unterscheiden, obwohl Warenästhetik sich davon zunächst nicht völlig lösen kann. Am Beispiel des ursprünglichsten menschlichen Bedürfnisses, der Ernährung, lässt sich das gut erklären. Der Geschmacksinn ist zum Zweck der Energiezufuhr eher auf süß geprägt, bitter warnt vor Giften und ähnlich Unzuträglichem, sauer wird nur begrenzt positiv wahrgenommen. Ähnlich wird potentielle Nahrung auch durch den Geruchs- und Gesichtssinn und manchmal auch ein wenig den Tastsinn eingeordnet.
Bis zur industriellen Produktion von Lebensmitteln seit dem 19. Jahrhundert blieb es auch dabei. Seitdem haben Lebensmittel visuelle Qualitäten angezüchtet bekommen, die vom Nährwert ablenken bzw. diesen vortäuschen können. Schon damit werden sie warenästhetisch umgeformt. Bei Halbfertig- und Fertigprodukten kann durch den Geschmack Nahrhaftigkeit vorgetäuscht oder Appetit auf bestimmte Geschmacksviarianten anerzogen werden. Die Verpackung kann einen Nährwert vortäuschen, der durch Gewöhnung längst als „Geschmack“ dominiert. Und ein Großteil der Menschen nimmt inzwischen als Lebensmittel deklarierte Waren zu sich, die in einigen Aspekten offensiv gesundheitsschädlich sind, was zum Beispiel durch die Gewöhnung an unmäßigen Zucker oder Salz möglich wird. Der Beispiele wären viele.
Produktionsmittel im weiten Marxschen Sinne sind hingegen in ihrer Verbreitung vom jeweiligen Wachstumspotential des Kapitals abhängig, dessen Zweckrationalität ästhetische Komponenten eher fremd ist.
Grundsätzliches: "Wirtschaft" und "System"
Begriffe sind umso beliebter, je weniger sie solche sind. Fangen wir mit der "Wirtschaft" an. Der Wirt, welcher ein Haus hat, in dem er Gäste bewirten kann, führt zunächst einen Haushalt. In der Bedeutung von Hauswirtschaft taucht das Wort, ohnehin dem germanischen Sprachkreis vorbehalten, schon im Mittelhochdeutschen auf. Wirtschaften tut da der Herr des Hauses, mehr oder weniger in Kooperation mit der Hausfrau, indem er Einnahmen und Ausgaben verwaltet, insbesondere, indem er Einnahmen erzeugt, als Bauer, Handwerker oder Kapitaleigner vor allem.
Dass Wirtschaft sich auf den einzelnen Haushalt bezieht, wird auch dadurch deutlich, dass die aus dem Griechischen übernommene Ökonomie dasselbe meint: Haus(Wirtschafts)-Lehre. Im weitesten Sinne mag eine Kapitalgesellschaft bzw. eine "Firma", ein Unternehmen mit gemeinsamer Unterschrift, ebenfalls wirtschaften, im sogenannten Mittelalter oft nur auf Zeit.
In diesem Sinne gibt es keine Wirtschaft eines Ortes oder eines Landes, sondern nur die vieler Einzelner dort, nicht leicht erfassbar und kaum verallgemeinerbar. Das Wirtschaften nicht wirtschaftlich definierter Einheiten gibt es erst in dem Maße, in dem sich Formen von Staatlichkeit durchsetzen. Diese leben von dem, was sie ihren Untertanen wegnehmen können, und darum kann man dann davon sprechen, dass sie auch (damit) wirtschaften, ohne allerdings etwas zu produzieren oder zu verteilen: Staaten sind dabei Organisationen von Konsumenten-Rentiers, die Einnahmen und Ausgaben verwalten. Für ihren Haushalt haben die Franzosen das Wort état entwickelt, was der Stand der Dinge ist.
Ein Wirtschafts"system" kennt das Mittelalter nicht, auch nicht zwei oder drei. Das wie die Ökonomie dem Griechischen entnommene "System" besagt nicht anders als ein aus verschiedenen Teilen zusammengesetztes Ganzes. Als Begriff war das Wort sinnvoll in spezifischen Bereichen der Philosophie, aber da alles, angefangen von den Atomen Systeme darstellt, ist das Wort ansonsten eher unbrauchbar.
Seine Beliebtheit hat das Wort in den letzten Jahrhunderten als Vortäuschung eines nicht vorhandenen Verstandesvorgangs, der einem menschlichen Wunsch nach Verständnis nach vernunftgemäßen Vorgaben nachkommt: Die Vernunft sucht nach Ordnung und die Psyche wird durch deren Nichtvorhanden-Sein schnell beunruhigt.
Wo das von Wunschvorstellungen geleitete utopische Konstruieren seit dem 16. Jahrhundert im politischen Denken durch Systemdenken aus Erfahrung (Hobbes) oder durch aus Spekulation abgeleitete Pseudo-Erfahrung ergänzt und ersetzt wird, beginnt man von politischen Systemen zu reden; gemeint sind aber tatsächlich Machtkonstruktionen, Herrschaftsverhältnisse, was man so meist nicht sagen möchte.
Der Kapitalismus ist auch kein Wirtschaftssystem, sondern eine von den politischen Machthabern mehr oder weniger entfesselte Unordnung, die sich darüber hinaus (wie sowieso alles) ständig ändert, auch wenn die Worte damit nie schritthalten. Dabei ist zum wiederholten Male darauf hinzuweisen, dass das Wort "Kapitalismus" eine Notlösung für einen Begriff ist, der keine modische Ideologie, sondern die Prädominanz von Kapitalverwertung in allen Lebensbereichen meint.
Systematisieren heißt also, einer den Beschränkungen der menschlichen Verstandestätigkeit folgenden Notdurft Raum zu geben, die die Wirklichkeit in ein verbales Korsett steckt, welches zugleich der Bereitschaft unterliegen sollte, es ständig und überall zu sprengen. Ansonsten wird die Wirklichkeit in Gedankengebäuden versteckt...
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Bauhandwerk
Ein Sonderfall handwerklicher Produktion wird seit dem späteren 10. Jahrhundert der Bau von Gebäuden. Kirchen, Paläste, Burgen; überhaupt werden vornehmere Wohnhäuser mit mehreren Stockwerken bei großer Grundfläche nun von professionellem Handwerk gebaut. Da sie jetzt länger haltbar sein sollen als die üblichen Wohngebäude des frühen Mittelalters, werden sie zu einer ganz besonderen (immobilen) Ware. Meist in Auftragsarbeit gebaut, bekommen ihre Erbaung und Unterhaltung Bedeutung für einen Markt einmal durch die Nachfrage nach Rohstoffen, handwerklicher und einfacher Lohnarbeit, und ansonsten erst dort, wo sie verkauft oder vermietet werden. Aber so wie das langsam immer häufiger zur Ware werdende Land werden auch sie zu einem renditeträchtigen immobilen Gut, welches den Risiken des übliche kapitalistisch-spekulativen Geschäftslebens weniger ausgesetzt ist.
Von Bischöfen, Äbten und (seltener) weltlichen Herren betriebene große Bauprojekte mit ihrer über Jahre stattfindenden Massierung von Handwerk und vor allem einfacher Lohnarbeit stimulieren den Markt seit dem 10. Jahrhundert mit der Nachfrage nach Lebensmitteln und Bekleidung für die dort Arbeitenden.
Wenn Frank Hirschmann von Großbauten als "Konjunkturprogrammen" spricht, verwechselt er natürlich ein Stück weit Ursache und Wirkung. Aber wenn in Lüttich um 1000 ein doppelchoriger Dom mit zwei Querschiffen gebaut wird, zudem der Bischofspalast ebenso wie Kreuzgang, die Häuser der Kanoniker und die Wirtschaftsgebäude renoviert werden und mehrere neue Stifte entstehen, die bald auf insgesamt sieben anwachsen, dann fördert das im Ergebnis natürlich die Stadtbildung.
Deutlicher noch tut das die Erweiterung der Stadtmauer aus dem 9. Jahrhundert für die Marktsiedlung. Diese beherbergt in der Zeit um 1000 bereits Handwerk und Handel, sogar Fernhandel bis nach London, obwohl ein Großteil der Mittel für die Bauten immer noch vom Lande her kommt.
Eher als "Konjunkturprogramm" ansprechbar, also als Wirtschaftsförderung, ist die Anlage eines neuen Maasarms, der eine Insel entstehen lässt, die offenbar planmäßig besiedelt, in Pfarreien geteilt und mit einem zweiten Marktplatz versehen wird. Am neuen Flussarm werden Mühlen angesiedelt.
Der bischöfliche Bauherr erkennt also schon um die erste Jahrtausendwende, dass seine Macht samt seinen Einnahmen zunehmend von der auch baulichen Entwicklung seiner Stadt abhängen. Andere, Domherren und weltliche große Eigentümer schließen sich dann an.
Verdun entwickelt sich um drei Pole herum. Da sind die Kathedrale samt Baptisterium im ehemaligen römischen Siedlungskern mit einem zugehörigen Makrt samt Handwerk und Kaufleuten auf einer Maasinsel, da ist das Kloster St.Vanne mit einem Hospital und drei Kirchen sowie vier Mühlen an der Maas und ein Pauluskloster mit Hospital und zwei Mühlen.
Der Bischof selbst lässt nun ein Mauruskloster erbauen, unterstützt aber ansonsten vor allem die Bauten anderer hoher Geistlicher, wie des Magdalenen-Stiftes durch einen Archidiakon, eines weiteren durch einen Domkanoniker und des Neubaus der Abteikirche von St.Vanne durch dessen Abt, der zudem Weinberge, vier neue Mühlen und Brauhäuser erbaut.
Die bischöfliche Unterstützung für diese Initiativen besteht darin, dass er Zölle und andere Einnahmequellen verleiht, so dass seine eigenen städtischen Einnahmen erheblich zurückgehen (Hirschmann in: Konsumentenstadt, S.69f. Weitere Bischofsstädte siehe Großkapitel 'Städte 3')
Bauwirtschaft im sakralen Bereich wird dadurch gefördert, dass es im Verlauf des Frühmittelalters zu einer zunehmenden Ästhetisierung des eigentlichen Kirchengebäudes über alle Funktionalität hinaus kommt, aus der ein erster nachantiker „Stil“ hervorgehen wird, die sogenannte Romanik.
In seinen 'Fünf Bücher der Geschichte' schreibt der burgundische Mönch Rudolf (Rodolfus) Glaber für die Mitte des 11. Jahrhunderts:
Fast im ganzen Erdkreis erneuerte man die Gotteshäuser. Obwohl die meisten gut und schön gebaut waren und es gar nicht erforderlich gewesen wäre, versuchte doch jede christliche Gemeinschaft, die anderen dadurch zu übertreffen, dass sie ein noch schöneres besaß. Es war gleichsam so, als würde die Welt selbst, nachdem sie, sich schüttelnd, das Alter abgeworfen hatte, allerorten ein hell leuchtendes Kleid aus Kirchen anlegen. Damals bauten die Gläubigen fast alle Kirchen der Bischofssitze prachtvoll aus und ebenso viele andere Klöster und auch die kleineren Kirchen in den Dörfern. (III,4)
Neu, hell, leuchtend, prachtvoll, alles als lateinische Wörter, lässt sich schwer anschaulich machen. Es handelt sich um Kirchen aus Naturstein, Holz und Lehm. Der Verdacht liegt allerdings nahe, dass schöner und prachtvoller vor allem größer und technisch perfekter (zum Beispiel mit geraderen Mauern und elaborierterem Gewölbe) meint. Ausbauen heißt dabei vor allem Vergrößern und Neubauten haben ebenfalls größer zu sein. Solange es (bis ins 18. Jahrhundert) "Stile" geben wird, werden sie auch etwas mit technischer Innovation zu tun haben.
Am Ende kann Weinfurter zusammenfassen: "Nur wenig Karolingisches hat die Mitte des 11. Jahrhunderts überlebt." (Geschichte, S.58)
Beim Kirchenneubau des Klosters von St.Trond bei Lüttich, der nur deshalb stattfindet, damit das Gebäude größer und prächtiger wird, werden die Säulen „wegen der Schönheit des Steins in der Gegend von Worms beschafft und zu Schiff nach Köln transportiert. Eine jubelnde Menschenmenge habe sie – gewissermaßen um die Wette und ohne jede Hilfe von Zugtieren, selbst die Maas ohne Brücke überquerend -von dort bis zum Kloster gezogen: über Aachen und Maastricht eine Strecke von mindestens hundertdreißig Kilometern.“ (KellerBegrenzung, S.65)
Das, was in der Neuzeit als "Kunst" bezeichnet wird, ziert bis ins hohe Mittelalter die Macht der Wenigen, und zwar sowohl die der geistlichen wie der weltlichen Großen. Nur sie können sich steinerne Architektur, Bildhauerkunst, Malerei und Goldschmiedearbeiten leisten. Dort, wo der Kapitalismus die Städte zu prägen beginnt, wie in Venedig, Amalfi oder Pisa, beginnen Kapitaleigner, sich daran zu beteiligen und schließlich dabei eine Führungsrolle zu übernehmen.
Textilproduktion
Nach der Landwirtschaft und neben der Metallproduktion wird die Textilwirtschaft, die auf Schafswolle, Hanf (Leinen), Seide und Leder bzw. Pelzen beruht, zum großen Antriebsmotor für die Entstehung von Kapitalismus, vielleicht zum größten.
Sie befriedigt zunächst stark Luxusbedürfnisse einer adeligen und dann auch einer bürgerlichen Oberschicht, bevor schließlich mehr Massenproduktion daneben tritt. Die zweite frühe kapitalistische Städtelandschaft nach der italienischen entsteht in Flandern durch eine Verknüpfung günstiger Umstände mit Brügge, Gent, Ypern und mindestens fünfzig anderen dicht nebeneinander liegenden Städten. Hier wie dann auch an der Scheldemündung, der mittleren Maas, im Rheintal von Straßburg bis Köln ist der städtische Kapitalismus in Territorien eingebettet, die von hochadeligen Herren kontrolliert werden, Bischöfen, Grafen, Herzögen, die den Kapitalismus ökonomisch fördern, seine ökonomische Macht aber für sich instrumentalisieren wollen.
1043 geht es in einem Brief von Abt Siegfried von Gorze an Abt Poppo von Stablo um die kanonische Unkorrektheit der Ehe von Agnes von Poitou mit dem König. „Daneben gab der Abt auch seiner Sorge Ausdruck, dass in diesen Zeiten allerorten und gerade auch am Königshof eine neuartige Prunksucht ausgebrochen sei, dass man sich in Kleidung, Haartracht, Rüstung und Reiterei nun herausputze und sich dabei am Vorbild der Bewohner des Westfrankenreiches (Francisci) orientiere.“ (WeinfurterGeschichte, S.88)
Drei Dinge kommen zusammen: Die größeren Geldmittel der Herren, das zunehmende Raffinement im Körperschmuck und die zunehmende Sensibilität von Kreisen des Klerus auf dem Weg in die Kirchenreform.
Was in obiger Klage über "Prunksucht" deutlich wird, wird sich in deutschen Landen in der Salier- und Stauferzeit weiter verstärken. Der Adel und insbesondere die Fürsten unter ihnen stellen ihren Status zur Schau, indem sie sich schmücken, und der Schmuck muss zwei Kriterien erfüllen, und zwar teuer, also kostbar, und kunstvoll, also technisch auf dem neuesten Stand sein. Da die Geistlichkeit solches in ihren Kirchen, und Kirchenfürsten in ihren Palästen ebenfalls betreiben, sind Mahnungen eher selten und zudem wirkungslos.
Die Moden, die sich entwickeln, und die wir im großen Maßstab später als "Stile" zu erfassen suchen, lassen sich an den immer schneller werdenden Veränderungen in der Bekleidung und der Haartracht deutlich wahrnehmen, wobei sich in deutschen Landen Einflüsse aus dem Westen und Süden erkennen lassen.
Die Verlagerung der Tuchproduktion vom Land in die Städte, das heißt aus den ländlichen Grundherrschaften heraus macht aus der hörigen Weberin einen selbständig arbeitenden Handwerker. Damit setzt sich stärker eine Trennung der Produktion von Rohstoffen und Fertigprodukten durch. Dabei kommen die Rohstoffe für die Herstellung von Textilien aus der Landwirtschaft oder zumindest vom Lande: Schafwolle, Flachs, später Baumwolle im Süden und Farbstoffe von Pflanzen, die extra dafür angebaut werden.
Parallel dazu entwickelt sich die Bearbeitung von Tierhäuten durch Gerber, Lederer und Kürschner.
Erste nicht mehr mit menschlicher Energie betriebene Gerätschaften, sondern mit Wasserkraft betriebene Maschinen werden die Mühlen. Zunächst zum Mahlen von Getreide verwendet, gelingt es im 11. Jahrhundert, sie an einige Orten für früheste "industrielle", also maschinenbetriebene Produktion einzusetzen. Das beginnt in unserer Zeit mit den Walkmühlen für die Textilproduktion, die aber zunächst noch wenig verbreitet sind.
Eine frühe Textil-Landschaft entwickelt sich in Flandern. Schon bevor die Römer kamen, gab es dort eine Tuchproduktion, deren Transport im frühen Mittelalter friesische Händler über die Flüsse besorgten. Nach und nach konzentrieren sich die Weber in den entstehenden Städten, wo sie die Rohstoffe finden und auf Walker und Färber treffen.
Bereits um das Jahr 1000 führte die Nachfrage zur Einfuhr englischer Wolle. Da diese besser war als die flämische, verbreiten sich flämische Tuche über ganz Europa. Die technischen Verbesserungen sorgen nicht nur für bessere Qualität, sondern auch für höhere Produktivität, wie sie Pitz beschreibt:
„Die Weberei aber veränderte sich tiefgreifend, als man den alten Webstuhl, dessen senkrecht hängende Kettfäden man mit Tongewichten beschwerte, durch einen Webstuhl mit horizontalem Rahmen ersetzte, dessen Kettfäden an beiden Enden über Walzen liefen und mit Fußhebeln so gegeneinander versetzt werden konnten, dass der Weber das Schiffchen mühelos und rasch hindurchführen konnte. Dieses Gerät, das zum ersten Mal im Talmud-Kommentar des nordfranzösischen Rabbi Salomon Izhag Rashi (1040-1105) erwähnt wird, nahm mehr Raum ein und erforderte eine gewisse Investition von Geldmitteln, die es zur Verwendung im bäuerlichen Nebenverdienst ungeeignet machte. Auch trug es dazu bei, die Weberei, die vorher hauptsächlich Frauenarbeit gewesen war, zur Beschäftigung für spezialisierte männliche Arbeitskräfte zu machen. Vor allem aber konnte man damit feinere und längere Tuche herstellen als je zuvor (…) Für diese Tuche und ihre kunstvolle Fertigung lohnte es sich nun auch, als Rohstoff statt der einheimischen die feinere englische Wolle zu verwenden, obwohl dies höhere Kosten verursachte.“ (Pitz, S. 231)
Mit der Entwicklung des neuen Webrahmens übernehmen Männer die Weberei, während die Vorarbeiten wie Wollkämmen, wie Kunkel-Spinnen als auch Fadenproduktion von Frauen gemacht werden. Nach dem Weben wird das Rohtuch dann gewalkt, geschlagen, erneut gewalkt und manchmal gefärbt, bevor der Stoff in den Handel kommt. Verschiedene Materialien und verschiedene Arbeitsschritte führen dabei zu immer größerer Spezialisierung.
Diese Tuche sind Luxus für eine kleine Minderheit, die sie sich leisten kann. Sie tauchen dann später auf den Champagnemessen genauso wie auf der von Nowgorod auf, und nicht zuletzt auch in den italienischen Seehandelsstätten. Mit ihnen werden Städte wie Gent, Brügge, Lille und Arras reich. Pirenne spricht vom Scheldebecken als einer ersten „industriellen Gegend“ (S.41) Bezeichnend dafür, also für diese räumliche Spezialisierung, ist der Verzicht auf den eigenen Transport, den bald die Frühformen der Hanse und italienische Firmen übernehmen werden.
Industrie gehört so jenen Worten, die lange in einer Sphäre der Unklarheit bleiben. Aus dem Lateinischen, von wo es als beharrlicher Fließ im 18. Jahrhundert über das Französische und Englische dann erst spät ins Deutsche gelangte, wird es dann als Großgewerbe verstanden und mit dem Fabriksystem vor allem identifiziert.
Grundsätzlich ist aber in fast allen Städten damals Tuchproduktion verbreitet, wie in Huy, wo der Bischof von Lüttich als Stadtherr 1066 ausdrücklich die Entstehung eines städtischen Rechtsbezirks fördert, der indirekt auch die Handelsbeziehungen bis England, Schweden und Nordrussland unterstützt.
In der zweiten Städtelandschaft, in der sich Kapitalismus einnistet, Norditalien und Toskana, werden im 11. Jahrhundert einfache Wollstoffe für den lokalen und regionalen Verbrauch produziert, die auf italienischer Wollproduktion beruhen. Ganz langsam werden die Tuche in Florenz, Mailand, Verona und wenigen anderen Städten besser, um so in den Nahen Orient und den Mittelmeerraum verkauft werden zu können.
Über China, den Nahen Osten und Byzanz gelangt die Seidenproduktion ins lateinische Europa. zunächst wohl nach der Residenzstadt Salerno. In dieser Zeit, also um 1050, zählt man in dem noch byzantinischen Kalabrien bereits 24 000 Maulbeerbäume, ein kostbares Gut. (Mitterauer, S.191) Von Salerno sind Anfänge der Seidenproduktion damals wohl schon nach Lucca gelangt.
Bergbau und Metalle
In der späten Jungsteinzeit kommt der Gebrauch von Kupfer, Gold und Silber auf, seitdem gibt es Bergbau da, wo solche und dann auch andere Metalle wie Zinn und viel später Eisen vorkommen sowie auch sogenannte Edelsteine. In diesen Zeiten werden zugleich Kulturen von aufsteigenden Machthabern in zum Teil langsamen Prozessen in Zivilisationen verwandelt. Bekannt ist die Gier nach edlen und unedlen Metallen, die die Kriege der antiken "Römer" begleiten und ganze Landschaften wie zum Beispiel in Baetica dafür durch Einsatz von Sklaven zerstören lassen.
Insbesondere Edelsteine, Silber und Gold erwecken in Männern wie Frauen die schlimmsten Laster wie Besitzgier und Eitelkeit, für die sie immer wieder auch über Leichen gehen. Bronze und dann Eisen werden zu Mitteln seiner Machtgier und grenzenlosen Brutalität.
An alledem ändert sich nichts in den Reichen der Nachantike. Alles was den neuen Herrenmenschen den Einsatz von Gewalt wert ist, und dazu gehören Edelsteine und Metalle, eignen sie sich zunächst genauso an wie die alten Herren.
Propagandisten der Mächtigen wie ein Otfried in seinem Evangelienbuch des 9. Jahrhunderts, welches er Ludwig ("dem Deutschen") widmet, feiern das fränkische Ausplündern der Erde beim Gewinnen von Gold, Silber, Kupfer und Edelsteinen. Das sogenannte "Christentum" der Machthaber feiert Gier, Brutalität und Naturzerstörung als höchste Werte und wird dies bis zu seinem Untergang tun, ähnlich wie das Tempel-Judentum zuvor und dann auch der Islam.
Wo es nicht Könige sind, sind es vor allem mächtige und reiche Klöster, die eben nicht nur von Agrarprodukten und handwerklichen Erzeugnissen einer von ihnen unterdrückten Bevölkerung Reichtümer und Macht aufbauen, sondern auch vermittels des Bergbaus. Dazu kaufen sie erzreiche Gebiete, die zum Teil viele hundert Kilometer von ihrem Zentrum entfernt sind. St. Denis bei Paris besorgt sich so erzhaltige Gebiete im Breisgau, ähnlich wie Lorsch und St. Gallen (usw.). An Klöstern angesiedelte Waffen- und Alltagsgüter-Produktion deckt so ihren Rohstoffbedarf.
Ähnliche Bedeutung hat der Bergbau für Stadtherren. Der Basler Bischof schafft es so, im Zuge der Burgundpolitik deutscher Könige/ Kaiser die Kontrolle über den ganzen Breisgauer Bergbau, die Silberproduktion und die Münze im Breisgau zu erlangen. Indem er zugleich den Wildbann dort erhält, kann er die Ausplünderung der Erde mit jener rabiaten Nutzung des Holzes der Wälder als Brennstoff verbinden, die aus Erzen erst Metalle macht.
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Die Erzgewinnung, bislang siedlungsnah und durch Schürfen an der Oberfläche durch Bauern betrieben, gerät im 10./11. Jahrhundert stärker in den Blickpunkt der Adelsherrschaften, die Leute losschicken, um ortsfernere Vorkommen zu suchen. Schächte werden dann bald auch in die Erde getrieben, es wird mit Förderkörben oder einfachen Grubenkarren gearbeitet. Werden Stollen tiefer in die Erde getrieben, muss Wasser abgeführt werden, was erst gegen Ende des 12. Jahrhunderts durch Ablaufstollen gelingen wird.
Die Bereitschaft, die harte und elende Arbeit des Erzabbaus zu betreiben, verweist auf die Not in den Reihen der ländliche Produzenten, die solchen zusätzlichen Erwerb erstrebenswert macht. Tatsächlich wird die erste Industrialisierung, die nun langsam einsetzt, auf dem Rücken eines breiten ländlichen Proletariats betrieben, welches mit seiner zunehmend erfolgreichen Vermehrung seine eigene Verarmung betreibt.
Seit der Antike wird das Eisenerz in Rennöfen bei Temperaturen von 1200 bis 1400 Grad mit Hilfe von Holzkohle herausgeschmolzen.Was sich dabei langsam ändert ist die Höhe der Öfen und die gesteigerte Temperatur durch mechanisch betriebene Blasebälge, welche dem Feuer Sauerstoff zuführen.
Südlich von der Tuchindustrie, an der mittleren Maas, entsteht aus eigenen Rohstoffvorkommen eine Kupfer- und Messingindustrie mit Zentren in Namur, Dinant und Lüttich. Dinant hatte schon in der Karolingerzeit einen Übergang über die Maas, der den Niederrhein, die Nord-Champagne und Ostflandern miteinander verband. Über den Fluss ist die Stadt mit der Nordsee verbunden. Der Herr, der Graf von Namur, sorgt dafür, dass die seinen Reichtum fördernden, zunächst noch unfreien Leute eine Art Rechtsgleichheit in der Stadt erhalten und Schutz vor rechtlichen Ansprüchen von Herren von außerhalb.
Aufgrund der Nachfrage müssen bald Rohstoffe aus der Ferne eingekauft werden, so wie die Produkte in immer größere Ferne geliefert werden.
Ende des 11. Jahrhunderts beginnt auch in diesem Bereich das Maschinen-Zeitalter mit Eisenhämmern und Schleifmühlen. Im Rheinland und in Oberitalien entstehen weitere Städtelandschaften eisenverarbeitenden Gewerbes, die sich vor allem wie insbesondere Mailand als Waffenproduzenten hervortun.
Die Problematik des Begriffes Gebrauchswert, der der idealisierenden Gedankenwelt von Marx entstammte, die er so offensiv zu verleugnen suchte, zeigt sich noch in einem anderen Bereich, in dem auch die Begriffe Konsumwaren und Waren als Produktionsmittel unklar werden, nämlich in der Rüstungsindustrie, die neben der Bekleidungsindustrie den frühen Kapitalismus dominierte.
In dieser Zeit teilt sich die Rüstung auf in die ritterlich-höfische und die des in Lohnarbeit stehenden Kriegers, zunächst meist ein Infanterist.
In der Prunkrüstung des zunächst noch zu Pferde kämpfenden Adeligen wird das, was als lederne und metallene Schutzbekleidung und hölzerne mit Metall versetzte und dann ganz metallene Waffe den Krieger ausmachte, zu einer seinem ursprünglichen Zweck entzogenen Ware, aber eine auf dem Markt immer wichtiger werdende. Sie ist soweit ästhetisiert, dass sie für den originären Gebrauch kaum noch tauglich ist. Im Gegensatz dazu werden Rüstung und Waffen des nur noch für Geld kämpfenden Söldners bzw. Soldaten, nunmehr die Masse der Krieger, zunehmend auf Effizienz ausgelegt, denn er soll möglichst effizient verletzen und töten und zerstören.
Waffen sind Gebrauchs- und Verbrauchsartikel, wenn sie kriegerisch eingesetzt werden, und entstammen natürlich Warenproduktion. Sie werden aber zweckrational-effizient kaum warenästhetisch aufgewertet, da ihre Käufer sie nicht danach bewerten. Prunkrüstungen und Prunkwaffen, zunehmend vom Adel nachgefragt, unterliegen hingegen in hohem Maße ästhetischen Kriterien. In ihnen konkurriert der Adel anders als der Krieger auf dem Schlachtfeld und ihr Gebrauch unterliegt ästhetischen Kriterien.
Dass der Krieg der Vater aller Dinge sei (polemos patér), ein Heraklit in der Antike nachgesagter Satz, meint im heraklitischen Sinne, soweit man das noch nachvollziehen kann, dass der Streit, der Konflikt und nicht irgendeine Harmonie die Welt konstituiere. Aber der Krieg im engeren Wortsinn (polemos ist ein fast so schwierig ins Deutsche übersetzbares Wort wie das altarabische dschihad) ist mit den despotischen Zivilisationen und bis heute zum Normalfall geworden wie die dazwischen liegenden Friedenszeiten, und er ist so einer der Antriebe für die Entstehung des Kapitalismus geworden, und dies vor allem durch die steigende Nachfrage nach ausgeklügelteren Produkten der Metallindustrie.
Bekanntlich war der Krieg und seine Professionalisierung das Mittel zur immer größeren Ausweitung des Imperium Romanum (des militärischen Befehlsbereiches Roms) gewesen. Die Nachfolgereiche unter Führung germanischer Völkerschaften entstanden durch kriegerische Einwanderung und Eroberung und etablierten einen Adel, der eine Kriegerschicht war, die mit großem Grundbesitz entschädigt wurde. Der Kampf mit Waffen war sein erstes „Geschäft“, und Beute und Landbesitz der „Lohn“, Rüstungs- und Waffenproduktion also elementare frühe „handwerkliche“ Warenproduktion und erster Ort der Innovation.
In der frühmittelalterlichen Kriegergesellschaft war natürlich zunächst der Gebrauch und damit der Gebrauchswert der Waffen für den Kampf Voraussetzung für den Besitz von Waffen für die Zurschaustellung von Status als Prächtigkeit. Wenn Notker in seiner Vita Karoli beschreibt, wie Ludwig der Deutsche die Vorzüge eines Schwertes daran erklärt, dass er eines immer weiter biegt, ohne dass es zerbricht, es damit als flexibile et rigida für tauglich hält, während ein anderes zerbricht, macht er seinen kriegerischen Gebrauchswert deutlich, der mehr bedeute als Gold und Silber. (I, 29)
Massenproduktion eines solchen Gebrauchsgegenstandes war also etwas ganz anderes als Luxushandel, der Status und Luxus förderte. Aber in beiden Fällen waren im damaligen Latein artifices die Produzenten, sofern es sich nicht um Nahrungsmittel handelte.
Das Salz
Ohne Salz kein Leben von Tier und Mensch. Letztere verbrauchen im Jahr maximal 2 kg (wohl inklusive Konservierung bei Borgolte 15 kg), Kühe über 30 und Pferde an die 18 kg. Darüber hinaus ist Salz zum Konservieren von Lebensmitteln von erheblicher Bedeutung. Fisch und Gemüse werden eingesalzen und ebenso nicht direkt verbrauchtes Fleisch. Ungesalzenes Brot schmeckt europäischen Gaumen nicht.
Salz ist also ein enorm wichtiges Handelsgut und die Verfügung darüber bedeutet Macht und Reichtum. "Nach Brot und Wein behauptete es sich respektabel auf dem dritten Platz." (Spufford, S.223)
Meersalz wird an vielen Stellen durch Verdunsten in Salinen und dem manchmal darauf folgenden Sieden gewonnen, wofür im wesentlichen Massen an Holz und manchmal auch Torf verwendet werden. In Salzgärten wie bei Bourgneuf kann es dank hinreichender Sonnenwärme auch einfach durch Verdunsten gewonnen werden. Die Salzgärten von Chioggia machen noch im 10. Jahrhundert einen Großteil des Wohlstandes Venedigs aus.
Rom, noch bevölkerungsreichste Stadt des lateinischen Abendlandes, kann sich relativ lange mit Meersalz aus der Tibermündung versorgen, bei Ostia und Porto. Die künstlich angelegten Salinen sind in pedica und fila, also in kleine und kleinste Einheiten, aufgeteilt. Besitzer sind fast ausschließlich etwa 25 Kirchen und Klöster, mehrheitlich innerhalb der Stadtmauern. Diese verpachten sie für viel Geld an reiche und mächtige Große, aber auch zum Teil an Priester, Handwerker und andere Geschäftsleute, die sie entweder unterverpachten oder direkt Saisonarbeitskräfte einstellen, die zeitweilig in Hütten untergebracht sind. Die salinarii haben ihre eigene scola bzw. ars, die von einem Prioren geleitet wird.
Salzsole aus Quellen gibt es zum Beispiel in Lüneburg, wo bereits 956 eine Saline in einer Urkunde Ottos I. erwähnt wird.
Steinsalz wird ausgewaschen, ausgeschwemmt und dann ebenfalls gesotten. Wie in der Eisenindustrie kommt es auch hier zu enormem Energieverbrauch mit den entsprechenden Schäden in der Landschaft und der Luft. Steinsalz aus Salzburg/Hallein wird schon seit der frühesten Antike gefördert und macht dann im frühen Mittelalter bereits den Reichtum des dortigen Bischofs aus.
Aber erst Mitte des 13. Jahrhunderts nimmt die Salzgewinnung durch Bergbau zu. Bis in das späte Mittelalter wird dabei ein enormer Raubbau insbesondere an Wald betrieben werden, dessen Holz bereits im 11. Jahrhundert in England wie auf dem Kontinents in Massen zur Salzproduktion transportiert wird. Die Not der Armen und die Gier der Reichen verbinden sich in Schüben von Industrialisierung und Kapitalbildung.
Der Handwerks-Betrieb
Handwerk und Landwirtschaft schaffen Produkte für Handel, der treibende Kraft für Kapitalisierung wird. Auf der produktiven Ebene handelt es sich noch für die nächsten Jahrhunderte zum allergrößten Teil um Kleinbetriebe, vom Familienoberhaupt geleitet, als Familienbetrieb geführt und das unter der ergänzenden Mitarbeit der Ehefrauen und meist auch der Kinder.
Das Handwerk zeichnet sich durch die Beschränktheit seiner Möglichkeiten aus, denn qua Definition unterscheidet es sich von Großbetrieben, die über investives Kapital in größerem Umfang verfügen. Dabei sind allerdings die Grenzen fließend und auch die Bezeichnung ist etwas unklar, gelten doch in unserer heutigen Benennung Meister, Geselle und Lehrling, also der Klein-Unternehmer und die im Haushalt versorgten Arbeitskräfte als Handwerker. Insofern fließen die Begriffe zum Beispiel bei Großbaustellen wie denen für Kathedralen, Burgen oder Stadtummauerungen ineinander, wenn eine begrenzte Zahl eigentlicher Handwerker und vor allem auch minderqualifiziertere Lohnarbeit eingesetzt werden. Aber das organisierte Handwerk, das Recht, es (selbständig) auszuüben wie auch seine eher geringe politische Teilhabe im Laufe der Zeit sind im wesentlichen auf die Meister beschränkt.
Während die sich im späten Mittelalter herausbildenden Gruppen der Gesellen und Lehrlinge abhängige Arbeit leisten, ist der Meister als Besitzer seines Betriebes ansatzweise Kleinkapitalist und manchmal in sehr eingeschränktem Maße Unternehmer. Im Unterschied zum ländlichen (bäuerlichen) Produzenten partizipiert er dabei ständig am Markt als Käufer und Verkäufer. Damit wird das in der Regel niedrige Niveau seiner Kaufkraft kompensiert. Es entwickelt sich wie auf dem Lande eine Schichtung nach geldwertem Einkommen, die Handwerker ebenfalls proletarisieren kann, aber sie auch eher selten in jenen relativen Reichtum führt, in dem dann in Einzelfällen Kapital unternehmerisch eingesetzt wird.
Die Arbeitszeit wird in der Landwirtschaft grundsätzlich vom Klima und der Jahreszeit bestimmt, kennt dort aber keinen freien Tag, wo es Vieh zu versorgen gibt. Die Arbeitszeit in der Stadt ist noch stärker als auf dem Land von der Dauer des Tageslichtes bestimmt, ist im Sommer also erheblich länger als im Winter. Es gibt keinen "Urlaub", dafür aber mehr Feiertage als heute. Man hat versucht auszurechnen, dass die eher wenigen Lohnarbeiter dieser Zeit im Jahresdurchschnittlich täglich etwa zwei Stunden mehr als den heutigen Achtstundentag tätig sind.
Ganz anders als heute ist es im Handwerk wie in der Landwirtschaft üblich, ins Alter hinein so lange zu arbeiten, wie die Kräfte reichen. Frauen sind meist in ihren speziellen Bereichen an der Arbeit beteiligt, und Kinder und Jugendliche müssen zumindest mithelfen. Damit herrschen die Verhältnisse, die heute auf Niedriglohnländer abgeschoben sind.
Reich wird man grundsätzlich nicht als Handwerker, sondern erst als Händler im großen Stil, werden also höchstens solche Handwerker, die am Vertrieb ihrer Waren in größerem Umfang beteiligt sind. Kapitalismus im Sinne von Karl Marx, wo ein Kapitalist von den in Einzelschritten zerlegten Arbeitsvorgängen getrennt ist, gibt es noch kaum. Eine Trennung findet zunächst überhaupt nur und auch weiterhin als die von Herr und Knecht auf dem Lande statt. Der Kapitaleigner als Handwerker arbeitet selbst in seinem Betrieb, und der Händler zieht mit seiner Ware persönlich umher.
Entsprechend können beide bis ins 11. Jahrhundert in der Regel weder lesen noch schreiben, da die Schrift als Vermittlungsebene zwischen ihm und für ihn Arbeitende und zu Käufern noch nicht nötig ist.
Spezialisierung und Arbeitsteilung
Spezialisierung im Handwerk ist horizontale wie vertikale Arbeitsteilung. Vertikal meint hier, dass mehrere Arbeitsschritte hintereinander von spezialisierten Arbeitenden vollzogen werden, was im einzelnen Handwerksbetrieb unüblich ist, weswegen unterschiedliche Betriebe diese Schritte hintereinander vollziehen. Das bekannteste Beispiel ist die Wolltuchproduktion, die sich erst auf drei, vier, dann auf zehn, zwanzig und bis zu sechsundzwanzig beschriebene verschiedene Arbeitsschritte und dann auch Betriebe verteilt - vom Spinnen über das Weben bis zum Färben.
Aber selbst dort gibt es inzwischen zugleich horizontale Arbeitsteilung, von der im Prinzip gleichzeitigen Herstellung von Bettdecken bis zu Tuchen für Oberbekleidung, also am Endprodukt orientiert. Bei der Lederverarbeitung beispielweise herrscht solche horizontale, am Endprodukt orientierte Arbeitsteilung überhaupt vor, auch wenn die Gerber zumindest diesen vorgelagert ist: Da gibt es Schuster, Gürtler, Sattler, Handschuhmacher, Taschner und andere. Ebenfalls davon getrennt sind jene Kürschner, die für eine kleine Schicht von Wohlhabenden produzieren.
Spezialisierung kann Einschränkung der Bandbreite an Rohstoffen bedeuten, eine Erleichterung im Einkauf, weswegen die Gold- und Silberschmiede schon immer vom übrigen Schmiedehandwerk getrennt waren. Es bedeutet zudem Konzentration auf weniger Arbeitsschritte, die sorgfältiger und verfeinerter durchgeführt werden können. Vor allem ist es aber Anzeichen für einen sich ausweitenden Markt - es gibt entsprechend mehr Käufer von Waren, also mehr Leute, die mit hinreichend viel Geld in das Marktgeschehen eingreifen. Der Marktanteil der Leute, die zu den wenigen Wohlhabenden gehören, ist dabei viel größer als ihre Zahl, dennoch steigt der Anteil an Waren für die Mehrzahl der Städter, die immerhin im Vergleich zum Gros der Landbevölkerung sich selbst als wohlhabend betrachten können.
Der Spezialisierung voraus oder mit ihr einhergehen konnte auch das, was man in heutigem Deutsch als Professionalisierung bezeichnen könnte. Als Beispiel kann das Bauen dienen: Bauern bauten sich ihre Behausungen oft bis ins zwanzigste Jahrhundert selbst, oft mit der Hilfe von Nachbarn und Verwandten. Der Bischof ließ sich im frühen Mittelalter seine Kirche oder seinen Palast von den Abhängigen aus der Grundherrschaft bauen. Mit steigenden technischen und ästhetischen Ansprüchen werden aber dann zum Beispiel mehr Steinmetze eingesetzt, die Quader so zurechthauen, dass das Sichtmauerwerk, wie es im 12. Jahrhundert häufiger wird, des Mörtels entbehren kann. Steinmetze, die von Baustelle zu Baustelle und durch die Lande ziehen, werden dabei zu einem spezialisierten Beruf. Dort, wo es solche Steine nicht gibt, beginnt sich im selben Jahrhundert der Ziegelbau durchzusetzen, in dem sich ein Maurerhandwerk professionalisiert. Und dort, wo immer kunstvolleres Fachwerk auf die Mauern aufgesetzt wird, entsteht ein spezialisiertes Zimmermanns-Handwerk.
Spezialistentum entwickelte sich beim Schreiben, im Kloster und am Königshof. Dabei handelte es sich um Kleriker und Mönche, bei denen man nicht immer im engeren Sinne von Professionalisierung reden kann. Aber, und vielleicht zuerst in Italien, entsteht mit den Notaren, die Urkunden auch für Bürger aufsetzen, daraus ein Beruf, wenn auch kein Handwerk, eine ars mechanica, sondern einer, der auf der Unterrichtung in den artes des trivium beruht und zunächst noch dem Adel vorbehalten ist.
Hier wie im Beruf des Lehrers, der im hohen Mittelalter in den Städten häufiger wird, entsteht Profession in jenem Wortsinn, der sich dann im Begriff des Professors niederschlagen wird. Lehrer sind dann einmal Geistliche und Mönche, die von den Abgaben ihrer Schüler ihren Lebensunterhalt bestreiten, oder aber vornehmlich Notare, die im Nebenberuf sich ein Zubrot mit Unterricht erwerben, bis dann städtischen Schulen mit hauptberuflichen Lehrern aufkommen, die ein geregeltes Salär erhalten.
Technik und Maschinen: Einstieg in Industrialisierung
Das Wort Technik ist erst im 18. Jahrhundert aus dem Französischen in die deutsche Sprache gekommen und bis heute von beachtlicher Unklarheit. Der Weg von der altgriechischen techne bis dahin war durch die mangelnden Griechischkenntnisse im Mittelalter verbaut. Hier soll das Wort die Nutzung menschlicher Artefakte, also von Werkzeugen, Geräten und Maschinen bezeichnen, also Gegenstände und die Fähigkeit, sie zu benutzen.
Der Nachantike fehlte wie der Antike ein solches Konzept, stattdessen erhielt sich das lateinische vom ingenium. Auf unseren Technikbegriff angewandt, wird daraus unter Bedingungen der Anfänge von Kapitalismus im 11. Jahrhundert der ingeniator und im ganz späten "Mittelalter" der französische ingénieur, der auch erst im 18. Jahrhundert in die deutsche Sprache einwandert.
Gerne wird gelegentlich behauptet, das Christentum sei für die Aufwertung von Handarbeit und für technischen Fortschritt förderlich gewesen und man belegt das unter anderem mit der kirchlichen Nachfrage nach Bauten und schmückenden Gegenständen (siehe z.B. Bayerl, S.18ff), aber das setzt die Kirche nicht von anderen zivilisierten Religionen und Kulten ab. Es ignoriert auch die technische (und kommerzielle) Überlegenheit der islamischen Welt und Chinas beispielsweise bis mindestens ins hohe Mittelalter.
Viele grundlegende (Produktions)Techniken für Antike und Nachantike stammen bereits aus der Jungsteinzeit wie die Töpferei und die Textilproduktion. Andere werden aus der Antike bis ins Mittelalter tradiert. Das Neue des kapitalistischen Mittelalters wird die beschleunigte Innovation, mit der Europa den Rest der Welt technisch überholt und dann in der Kombination von Kapital, Waffentechnik und besonderer Brutalität erobert, um dessen Kulturen und Zivilisationen zu verwerten und zu zerstören.
Diese Verbindung von entstehendem Kapitalismus und beschleunigter Innovation wird zu untersuchen sein. Es wird nicht einfach Nachfrage, sondern ganz wesentlich der Spielraum von Kapital sein, der die Beschleunigung der Veränderung in Gang setzt und dabei zur Nachfrage das Angebot setzt und in der Konkurrenz auf dem Markt durchsetzt. Die Erfindung oder später protowissenschaftliche Forschung selbst kann dabei manchmal den Rückhalt des Kapitals noch entbehren, aber sie findet, um öffentlich zu werden, diesen immer recht schnell.
Die Entwicklung von Technik und Kapitalismus ist ganz eng miteinander verbunden, aber technische Fortschritte hingen zunächst an adeligem Reichtum. Die Verfeinerung der Goldschmiedekunst oder der Elfenbeinschnitzerei im frühen Mittelalter bedurfte vor jedem Kapitalismus adelig-geistlicher Nachfrage vor allem oder der herrscherlichen Bereitschaft, Geschenke zu machen und mit dem Gold und den funkelnden Edelsteinen zu protzen.
Ähnlich ist die Ausbreitung der Wassermühle, der wichtigsten Maschine seit dem frühen Mittelalter, zunächst in hohem Maße eine Sache der grundherrschaftlichen Klöster.
Kapitalismus und technische Innovation sind eng verbunden. Dabei ist es nicht wichtig, ob Spieltrieb oder Freude am Erfinden oder andererseits ein wie auch immer geartetes Bedürfnis die Neuerung hervorbringen, wobei letzteres im früheren Mittelalter eher unwahrscheinlich ist, wesentlich wird beim Gewerbe die Möglichkeit der Nutzung. In der Regel dürfte bis zum Ausgang des Mittelalters nicht Nachfrage die Innovation hervorbringen, sondern umgekehrt die Innovation, so sie erst einmal da ist, Nachfrage und im Konsumbereich ein (eingebildetes) Bedürfnis herauslocken.
Das Wort Maschine beginnt seine Entwicklung vom griechischen mechané über die lateinische machina und bedeutet im Mittellateinischen noch nicht unsere moderne "Maschine", die im 17. Jahrhundert, aus dem Französischen entlehnt, zunächst die Belagerungsmaschine meint. Erst mit der beginnenden Industrialisierung des 18. Jahrhunderts setzt sich die allgemeinere Bedeutung durch. In unserem Mittelalter taucht vor allem machinari und machinationes auf, was dann sehr negativ Machenschaften heißt.
Mühlen kannte schon die Antike, und zwar sowohl solche, die von im Kreis gehenden Sklaven oder Zugtieren betrieben wurden, die als Teil der Maschinerie fungierten, wie auch Wassermühlen. Sie dienten im wesentlichen dem Mahlen von Getreide und wurden dann in die Nachantike und das frühe Mittelalter hinein übernommen, bei erheblichem Rückgang ihrer Anzahl. Für das Kloster Corbie wird dann wieder für die Zeit Karls des Großen von der Anlage von Kanälen für jeweils sechs Mühlräder berichtet und für das Kloster Prüm in der Eifel für 897 bereits von rund 50 Mühlen.
In den Klöstern sind Belesenheit zuhause und eine Finanzkraft, aus denen Maschinenbaukunst erwachsen kann. Dabei handelt es sich zunächst im wesentlichen um Getreidemühlen, die das Mahlen per Hand ablösen, welches der ländlichen Bevölkerung in den Grundherrschaften oft durchaus noch sehr lange für seine Selbstversorgung vertraut bleibt.
Längst sind Wassermühlen aber auch in und vor allem um Städte herum angekommen. Für den Winter 1073/74 konstatiert Lampert von Hersfeld in seinen Annalen Brotmangel, denn weil die Flüsse zugefroren waren, standen die Mühlen überall still, und konnten das Getreide, welches man noch fand, nicht mahlen. Bevölkerung und Heere waren also so groß geworden, dass sie längst auf Wassermühlen zur Brotherstellung angewiesen waren. Mit eigener Kraft mahlen reichte nicht mehr.
Neben dem Kapital zur Errichtung der Mühle muss bis ins hohe Mittelalter eine einigermaßen durchgehende Wasserführung des Fließgewässers vorhanden sein, dazu muss ein adquater Zuweg eingerichtet werden. Die Mühlen sind zuerst unterschlächtig, das heißt, das Wasser fließt unten gegen das Mühlrad und bewegt dieses. Oberschlächtige Mühlen bedürfen eher eines künstlich hergestellten Gefälles. Daneben gibt es horizontale Mühlräder und seit dem 10. Jahrhundert solche, die auf Schiffe montiert werden wie in Köln.
Mit insbesondere der Nutzung der Wasserkraft und der Umwandlung der Drehbewegung der Mühlen durch die Nockenwelle, die eine rotierende in eine lineare Bewegung überführt, also mit der ersten Maschine, beginnt seit dem Ende des 11. Jahrhundert eine erste Industrialisierung der Wirtschaft, die dann durch die nächsten Jahrhunderte mit immer neuen Innovationen anhält. Die Erinnerung daran ist in England dadurch erhalten geblieben, dass Fabriken bis in die Gegenwart Mühlen heißen, mills eben. Hier gibt es 1086 laut domesday book in 9250 Gutsbetrieben bereits 6082 Mühlen, von denen manche schon Jahrhunderte vorher eingerichtet worden waren. In etwa dieser Zeit sind im heutigen Département Aube (Frankreich) 14 Mühlen belegt. Im 12. Jahrhundert werden es 60 sein und im 13. Jahrhundert 200. (Ertl, S.73)
Was mit Mühlen nun an handwerklicher Arbeit oder einfacher Lohnarbeit ersetzt werden kann, wird ersetzt, und das Leben und Arbeiten von immer mehr Menschen hängt dann direkt und meist indirekt zunehmend auch von dem Betrieb der Mühlen ab, aber sie liefern nicht wie neuzeitliche Manufakturen Endprodukte ab, sondern solche für weitere Verarbeitung, wie das Mehl für den Bäcker und Eisen für den Hufschmied. Durch das Mittelalter sind so alles in allem Mühlen für die Ausweitung und Spezialisierung der Handwerkerschaft eher nützlich, während Fabriken im 19./20. Jahrhundert das produktive Handwerk ruinieren werden.
Mühlen sind teuer und bedürfen zur Errichtung und Unterhaltung größerer Geldmengen. Sie sind darum zunächst oft herrschaftliche Einrichtungen und unterliegen dem Bann. Dabei dienen sie allerdings nicht unmittelbar der Kapitalisierung von Reichtum, werden die Einnahmen aus ihrer Nutzung doch als Renten zum nicht geringen Teil in Konsum und immobiler Vermögenserweiterung umgesetzt. Das grundherrliche Monopol der Bannmühle wird Teil einer sich allgemein durchsetzenden Banngewalt, die auch den öffentlichen Backofen, die Öl- oder Weinpresse und so manches andere neben den Abgaben und Diensten an den Grundherrn betrifft.
Was Mühlen aber noch weit erheblicher beeinflussen, ist das Textil- und Eisengewerbe, dort wo sie dafür dann auch eingesetzt werden. Das beginnt im Textilbereich mit einer ersten dokumentierten Walkmühle in der Toskana 983 am Serchio. Es folgen weitere im 11. Jahrhundert in Westfranzien, 1086/87 ist eine für Saint-Wandrille in der Normandie belegt, und im 12. Jahrhundert in England (ab 1185) und Flandern. Bis dahin wurde mit den Füßen oder durch Schlagen Tierhaar oder Gewebe daraus verfilzt. Mühlenbetriebene Walkhämmer schaffen das im drei- bis vierfachen Tempo, indem sie Hämmer auf die Tuche in einer Walklauge fallen lassen und ersetzen so bis zu vierzig Fußwalker. In derselben Zeit werden auch frühe Mühlen zum Brechen von Hanf und Flachs erwähnt wie beim Kloster Admont. Aber es sind noch Einzelfälle wie mit Wasserkraft betriebene Gerbereien.
Noch seltener sind im 11. Jahrhundert Schleifmühlen, die metallene Geräte und Waffen schärfen. Laut Gilomen soll zudem bereits 1073 in Nordspanien eine Mühle das Gebläse eines Schmelzofens betrieben haben (S.71), ein molinum fornacinum. Im Domesday Book werden für 1086 "Mühlen genannt, die Eisen abzuliefern hatten." (Borgolte, S.324) Für 1135 wird eine erste Schmiedemühle in Frankreich erwähnt.
Handel
Handel vermittelt zwischen Produktion und Verbrauch und bringt frühes Kapital hervor. Dies betrifft zunächst vor allem den Fernhandel mit Luxusgütern, geschieht aber in größerem Umfang nur, wo ein allgemeiner Markt entsteht wie in großen Teilen Europas. Im frühen Mittelalter muss es also zu einer Vermehrung von Produktion kommen, und zwar zunächst der ursprünglichen von Nahrungsmitteln, und damit zu einer der Bevölkerung. Agrarische Überschüsse stehen so am Anfang, und am Ende wachsende Städte mit ihrem Bedarf.
Damit es zu Kapitalismus kommen kann, müssen dann viele Faktoren zusammenspielen. Produktion und Handel müssen für einen Markt befreit werden, was zugleich damit geschieht, dass lokale, regionale und reichsweite Binnenmärkte entstehen, die zu einem freieren Marktgefüge in all den Teilen Europas zusammenwachsen, wo entsprechende Machtstrukturen entwickelt werden. Die restliche zugängliche Welt liefert Waren, ohne selbst Kapitalismus zu entwickeln.
Ursache und Wirkung sind nützlich als Kategorien eines ordnenden Denkens, aber was geschieht entfaltet sich interdependent, vernetzt und in kaum überschaubarer Vielfalt. Wahrgenommen wird es nur als Kommerzialisierung, und es wird offenbar begierig als Chance gesehen, und zwar auch von den religiösen Einrichtungen, die es zugleich scharf kritisieren. Heute können wir (auch) um die Verheerungen wissen, die seitdem angerichtet wurden und werden, verstört und hilflos zuschauend, wissend um die wortwörtlich katastrophale Seite des Kapitalismus, aber davon kann in den Anfängen kaum die Rede sein, als bestenfalls christlich moralisierend reagiert wird, was nur wenige Leute überhaupt ernsthaft aufnehmen können und wollen. Geschichtsbetrachtung sollte aber zweierlei zugleich einbringen: Das heutige Wissen und den damaligen Horizont.
***Konsolidierung und Ausweitung des Raumes***
Nicht Städte als solche bringen den Kapitalismus hervor, sondern nur jene Art von Stadt, wie sie (zunächst) auf dem europäischen Boden des ehemaligen weströmischen Reiches entsteht, und zwar zunächst vornehmlich in der Nordhälfte Italiens. Aber selbst diese besondere Art von Stadt ist für sich noch keine hinreichende Bedingung, denn es sind bestimmte Stadtlandschaften wie die in Oberitalien bis zur Toskana, wie die am Rhein oder an der mittleren Maas, in Flandern oder einigen Gegenden des entstehenden Frankreichs, in die sich der Kapitalismus zuerst einwurzelt.
Dabei muss vor allem die Produktion von Handelswaren im lateinischen Raum gegenüber der Qualität von Waren aus dem islamischen Raum und aus dem Reich von Byzanz aufholen, was noch mehrere Jahrhunderte brauchen wird. Zudem muss der Raum, in dem sich römisch-christliche Handelsschiffe aufhalten, sicherer werden.
Noch für 1004 und 1011 wird von Überfällen auf Pisa berichtet. Erst 1015/16 sind Pisa und Genua gemeinsam stark genug, um ein sarazenisches Piratennest auf Sardinien auszuheben. In der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts werden die Pisaner eine der Vormächte zur See, zum Teil weiter im Bündnis mit Genua und Amalfi. Stärkere Wirkung zeigt aber dann vor allem auch das Festsetzen der Normannen in Unteritalien. 1060 haben sie Byzantiner und Araber aus Süditalien vertrieben. Der erste normannische Angriff auf Sizilien scheitert,
1064 gelingt es den Pisanern,mit päpstlichem Segen in den Hafen von Palermo einzufallen. Nach der Rückkehr der Flotte wird eines der Schiffe mit seiner Ladung verkauft, um damit zum Bau der großen neuen Kathedrale beizutragen (Hythe, S.30). 1087 erobert und plündert eine Flotte von Pisanern und Genuesen Mahdia, die Hauptstadt des nordafrikanischen Herrschers Tamim, mit Unterstützung durch Römer und Amalfitaner. Der muslimische Herrscher muss den freien Handel von Pisa und Genua in seinem Reich dulden.Dabei raffen die Pisaner „Marmorsäulen, Goldwaren, golddurchwirkte und purpurne Stoffe“ (Pirenne, S.33) zusammen, mit denen sie ihre Kathedrale dann schmücken.
Während die pisanischen und genuesischen Flotten nun in Scharmützel miteinander geraten, erobern die Normannen bis 1070 Unteritalien mit Ausnahme von Neapel und gewinnen bis 1091 die Herrschaft über ganz Sizilien. Damit beginnt der Niedergang der von Byzanz abhängigen apulischen Hafenstädte.
In dieser Zeit bedroht der Normannenherrscher Robert Guiskard Byzanz, während dieses gleichzeitig in Kleinasien der Gefahr von Turkvölkern ausgesetzt ist. Zum Dank für venezianische Flottenhilfe gewährt der byzantinische Kaiser Venedig Zollfreiheit für die Ägäis und das übrige Mittelmeer, was die byzantinischen Händler bald auf Kreta, Zypern und das Schwarze Meer beschränkt.
Städte identifizieren sich mit den Handelsinteressen ihrer Kaufleute und verbrämen diese wirtschaftlichen Interessen zunächst noch religiös, unterstützt von Päpsten. Diese Entwicklung kulminiert in jenem ersten Kreuzzug. Der „türkische“ Druck auf Byzanz führt zu Hilferufen an den lateinischen Westen, die 1095 im Kreuzzugsaufruf Urbans II. münden. Das Heer zieht zwar über Land, aber ab 1097 findet der Nachschub auf genuesischen Schiffen statt, worauf Genua erst Handelsprivilegien im Reich Bohemunds von Tarent/Antiochia erlangt und eine Handelsniederlassung (fondaco), und dann 1104 eine regelrechte genuesische Kolonie in Akkon.
1099 greift auch eine pisanische Flotte ein, wobei Pisaner samt den dann folgenden Verbänden Niederlassungen in den levantinischen Häfen bekommen.
Neben der Lombardei und Venedig mit seinem Einflussbereich, und neben Genua blühen vor allem toskanische Städte auf: Pisa, Lucca, später Florenz.
Binnen rund hundert Jahren hat zwar die lateinische Produktion an Handelswert noch nicht aufgeholt, sich aber dazu auf den Weg gemacht, und der lateinische Handel hat sich Räume erobert, in denen seine Schiffe nun führend Warenverkehr betreiben. Um 1100 hat dieser Handel vor allem für Venedig, Genua und Pisa transkontinentale und trans-mediterrane Dimensionen angenommen, wie Goldthwaite schreibt (S.4). Solche Städte können nun stärker wachsen.
Neben den italienischen Städten gewinnt vor allem Barcelona an Bedeutung, dessen Handel vor allem nach Carcassonne, Narbonne und Montpellier ausgreift.
Die spanische „Reconquista“ erlebt einen Aufschwung durch stärkere religiöse Begründung und findet dann als weiterer Kreuzzug ihre zweite Etappe. Und nicht zuletzt durch den Wandel, der mit dem Handel einhergeht, verwandeln sich slawische Stammeskulturen in Zivilisationen, die sich nach und nach als Königreiche darstellen. Das christliche Abendland als ehemaliges Westrom expandiert nun nach außen, und zwar bis es im 20. Jahrhundert, nicht mehr sonderlich christlich, beginnt unterzugehen. Im Inneren herrscht zwar kein dauerhafter Friede, aber wenigstens die Attacken von außen mit ihren Verwüstungen gehen massiv zurück.
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Ein ganz andersartiger Handelsraum ist der, dessen Zentren vom Ärmelkanal über Nord- und Ostsee bis in die Weiten des zukünftigen nördlichen Russlands reichen. Die Warenmenge ist noch vergleichsweise gering, die Städte sind klein und in großen Teilen Skandinaviens und östlich der Elbe nur in ersten Ansätzen vorhanden. Die später so mächtigen deutschen Städte von Lübeck bis zu den baltischen Küsten fehlen noch.
Träger des Handels sind entsprechend oft wohlhabende Bauern, Flamen, Friesen (die bis ins schwedische Sigtuna gelangen) und Skandinavier, und zwar mit vergleichsweise kleinen Schiffen.
Die Skandinavier beginnen mit Raubzügen, aus denen sie als Handelsware nicht zuletzt Sklaven gewinnen, aber wie schon gesehen, betätigen sie sich auch als Händler mit bäuerlicher Basis. Spätestens nach der Ansiedelung in der Normandie unterliegen sie dann der zivilisierenden Wirkung des Handels, die durch die „Christianisierung“ und die Ausbildung skandinavischer Reiche noch gefördert wird. Dänen und Norweger orientieren sich nach den britischen Inseln und nach dem Norden des fränkischen Reiches. In England helfen ihnen die wikingischen Kolonien ebenso wie auf beiden Seiten der irischen See, "eigentlich ein norwegisches Meer". (Dollinger, S.3)
Bindeglied zwischen Nord- und Ostsee wird nach der Zerstörung Haithabus durch die Wenden Schleswig. Man fährt zunehmend nicht mehr um Skagen, sondern eideraufwärts und entlädt die Schiffe in Hollingstedt, um sie über Land nach Schleswig zu befördern, von wo sie dann die Ostsee befahren.
Im Zentrum der Ostsee liegt Gotland, welches Mitte des 11. Jahrhunderts christianisiert und damit für den entstehenden Kapitalismus erschlossen wird. Es gibt zunächst noch kein städtisches Zentrum, es sind erfolgreiche Bauern, die in den Seehandel investieren. Zunächst fahren sie wohl nach Birka und dann zum Nachfolger Sigtuna. Die Schweden wiederum orientieren sich insbesondere von Gotland aus weiter in Richtung Russland.
Den Handel fördert die Verbindung aus Christianisierung mit der Etablierung von Bistümern, deren Verwaltung und Schriftlichkeit und dazu passender Reichsbildung
Zum Handel der Skandinavier kommt noch jener von Städten entlang des Rheins, der Maas und der Schelde. In den Städten Lüttich, Huy und Nivelles gibt es schon um das Jahr 1000 Händler, die nach England fahren. Flandern ist seit der ersten Jahrtausendwende mit den skandinavischen Handelswegen verbunden. Zugleich werden flämische Tuche schon vor 1050 bis in die Provence und nach Barcelona exportiert.
Weiter nordöstlich sinkt die Bedeutung von Tiel und die von Utrecht steigt.
Köln wird zum binnenländischen Zentrum des England-Handels, wohin man vor allem Rheinwein liefert, treibt aber auch Handel mit dänischen Städten.
Der immer schneller zunehmende Handel im 11. und dann stärker noch im 12. Jahrhundert lässt sich am ehesten noch abschätzen an der Vermehrung von Städten und überhaupt Marktorten und auch der vielen neuen Messeorte. Dazu kommt die erhebliche Zunahme der Zollstellen. Eine andere Möglichkeit besteht in der Wahrnehmung der in den Texten immer häufiger auftretenden Metaphern von Markt, Ware, Handel und Geschäft, die vermutlich in dieser Zeit auch in die volkstümlichen Umgangssprachen eingehen und dort bis heute bleiben werden.
Kapitalismus entsteht nicht primär im ländlichen Raum, sondern in immer enger werdenden Netzen stark wachsender Städte. Davon ist aber der nördliche Raum im 11. Jahrhundert noch deutlich entfernt. Immer noch bringt Fernhandel vor allem Luxusgüter für wenige von Ort zu Ort .
Auch für die Zeit um 1100 gilt immer noch, was Hythe so benennt: Mit Ausnahme der wenigen italienischen (und dann auch provenzalischen) Seestädte spielt Fernhandel eine geringe Rolle bei der Entwicklung der Städte und europäische Produktion noch weniger. "The chief economic role of the cities was as markets for local produce as it had been in antiquity."(S. 33, siehe auch Gilomen)
Aber zukünftig werden die wichtigsten Handelsgüter weniger Luxuswaren, sondern eher Massengüter wie Lebensmittel und Rohstoffe sein. Man wird nach Osten Wolle aus England und Salz von Bourgneuf liefern, dafür wird man Getreide aus Preußen bekommen, „Pelze und Honig aus Russland, Bauholz, Teer, getrocknete Fische und gepökelte Heringe aus Schonen.“ (Pirenne, S.146) Zentrale Drehscheibe des Handels wird dann Brügge werden.
Handelskapital
Kapitalismus bedeutet zuerst Kapitalisierung, auch wenn das alleine ihn noch nicht definiert. Und am Anfang steht dabei Handelskapital. Dies entsteht im wesentlichen dort, wo der Produzent bzw. sein Herr seine Produkte nicht mehr selbst verkauft. Zunächst ist flüssiges Kapital (in Geldform) nötig, um Waren einzukaufen, die dann woanders mit Gewinn verkauft werden sollen. Je häufiger und erfolgreicher solcher Handel wird, desto eher sind andere, keinen Handel Treibende, bereit, Erspartes zu kapitalisieren, indem sie es Händlern in Art eines Kredites zur Verfügung zu stellen, um dann am Gewinn anteilig zu partizipieren. Das beginnt beim venezianischen Seehandel des 10. Jahrhundert und taucht dann im 11. Jahrhundert in Pisa und Genua auf, nachdem die muslimische Piraterie ein wenig zurückgedrängt ist.
Die Investition von Nichtkaufleuten in Handelsgeschäfte als stiller Teilhaber wie in der Commenda des Seehandels lässt sich als investigativer „Kredit“ sehen. In der Commenda wird so nicht kaufmännisches Geld zu Risikokapital, was Handelskapital damals in hohem Maße ist. Allerdings ist das Risiko auf die Höhe der eigenen Einlage in der„Kommanditgesellschaft" begrenzt und es kann dann auch noch durch kleinere Anteile auf mehrere Schiffe gestreut werden.
Besonders in Genua wird "die Teilhaberschaft an Handelsschiffen in gleiche Anteilsscheine (partes, sortes, loca) aufgeteilt, die von jedermann in beliebiger Anzahl gekauft werden konnten. Die Anteilsscheine konnten an Dritte weiterverkauft, verpfändet oder auch in eine Gesellschaft als Einlegerkapital eingebracht werden. werden.
In der venezianischen colleganza reist ein Kaufmann mit, während andere nur Kapital einbringen.
Immerhin wird schon früh in italienischen Seestädten deutlich, wie Kapitaleinsatz von adeligen Großgrundbesitzern, geistlichen und weltlichen Großen bis hin in eine zunehmend sich als "bürgerlich" entwickelnde unteradelige städtische Oberschicht Reichtum aus Landbewirtschaftung durch Kapitaleinsatz im Handel ergänzt und dann auch ersetzt. Wie weit das im 11./12. Jahrhundert in einigen Städten schon entwickelt ist, erweist sich daran, dass dort städtische Interessen wesentlich als Handelsinteressen, Kapitalinteressen gesehen werden (Pisa, Genua, Venedig, Amalfi)
Einige Fernhändler gab es durch das ganze frühe Mittelalter, aber es waren zum Teil Juden, Griechen und Syrer. Auf welchem Wege lateinische Europäer wie die Friesen aufstiegen, um sie abzulösen, bleibt im wesentlichen im Dunkel. Auf jeden Fall müssen sie Risikobereitschaft und wohl auch eine Portion Abenteuerlust bzw. Risikobereitschaft besessen habe. An das Kapital adeliger Grundbesitzer, die in Italien zu einem guten Teil in den Städten residierten, kamen solche Leute sicher erst, nachdem sie erste Erfolge erzielt hatten.
Zumindest in italienischen Seestädten, wo der Adel entweder stadtsässig war oder aber von den entstehenden Stadtgemeinden zum Aufenthalt in der Stadt gezwungen wurde, verbindet sich dieser des öfteren mit dem Handel, zum Beispiel, indem er Geld dort investiert.
Zum anderen entwickeln adelige Grundherren in Mitteleuropa dort ihren ursprünglich grundherrlich geführten Handel weiter, wo es auf ihrem Land Bodenschätze gibt. In Reichenhall besitzen sie dann Salinen oder Anteile an Bergwerken und beauftragten von ihnen in Unfreiheit gehaltene Händler mit dem Verkauf. Daraus kann dann unter den Bedingungen eines befreiten Handels eine Art adeligen Unternehmertums entstehen.
Namentlich bekannte, reiche „bürgerliche“ Kaufleute werden als Einzelpersonen aus Nord- und Mittelitalien bekannt. Um 1000 gibt es bereits karitative Institutionen mit ihren Gebäuden, die reiche Venezianer gestiftet haben.
„Reiche und mächtige Männer waren auch Maurus und sein Sohn in Amalfi, jener Pantaleo, der zwischen 1065 und 1076 mehrere Kirchen mit byzantinischen Bronzetoren versah und in Antiochia und im Heiligen Lande Spitäler unterhielt. In Rom gab es Kaufleute, die Salinen bei Ostia und Grundstücke und Weingärten in der Sabina besaßen und ebenso hoch über den kleinen Marktleuten und reisenden Händlern standen, wie die neuen Leute, die seit der Mitte des 11. Jahrhunderts mit dem Reformpapsttum emporkamen, die Pierleoni, Boveschi und Frangipane, darunter Männer, die bereits in der Finanzierung der hohen Politik Erfahrungen sammelten und imstande waren, anderen Kredite zu gewähren.“ (Pitz, S.249f)
Neben der stillen Investition in Handelsunternehmungen entwickeln sich besonders in Norditalien zeitlich begrenzte Zusammenschlüsse von Händlern für meist drei bis fünf Jahre. Dabei können die Kapitaleinlagen recht unterschiedlich groß sein. Die Entwicklung solcher Anteile zu solchen, die auf dem Markt verhandelt werden können, findet dann erst im 13. Jahrhundert statt.
Handelswaren, Markt und Nachfrage
Handel braucht feilgebotene Waren, die sowohl immobile Güter wie solche, die erst produziert werden sein können. Frühen und weitverbreiteten Warencharakter haben Menschen, und zwar andeutungsweise solche, die in der Grundherrschaft von Herren leben und von diesem mit dem Land getauscht oder verkauft werden können. Deutlicher ist der Warencharakter von Menschen per definitionem bei den Sklaven, die es in abnehmender Zahl im Europa des Mittelalters überall gibt. (siehe Großkapitel Land...)
Sklaven sind oft das Produkt von Überfällen, Raub und Krieg. Sie sind eine bis ins 10./11. Jahrhundert nicht zu vernachlässigte Handels-Ware, auch wenn die Kirche den innerchristlichen Sklavenhandel langsam zurückdrängt. Aber der vom heidnischen Slawenland in den heidnischen Orient bleibt bis weit ins hohe Mittelalter bestehen und ist wohl ausgesprochen lukrativ. Sklavenhandel gehört so zu den bedeutenden Wegen zu Kapitalakkumulation.
Freie Lohnarbeit, die sich als Ware Arbeitskraft auf einem Arbeitsmarkt erkennen lässt, ist bis ins hohe Mittelalter untypisch.
Andere Güter müssen erst landwirtschaftlich oder handwerklich hergestellt werden. Je weniger die Herren davon als Abgaben abschöpfen, desto eher können sie auf dem Markt zu Waren werden. Das geschieht in dem Maße, als und indem Herren erkennen, dass das direkte Abschöpfen der Produkte der Arbeit weniger ergiebig wird als das indirekte Abschöpfen von Einkünften und Verteilung. Dazu gehören dann Zölle, Gebühren und Vorformen von Steuern. Die Untertanen bekommen also so viel und zugleich diejenigen Freiheiten, wie den Herren gewinnträchtig erscheint.
Waren befriedigen nicht nur Bedürfnisse, sondern sie wecken auch solche und werden so zu einer Triebkraft in Richtung auf Kapitalismus. Das scheint einerseits ein allgemein-menschliches Phänomen zu sein, kann aber im 11./12. Jahrhundert nur die wohlhabenderen Herren (und Damen) und eine kleine unteradelige städtische Oberschicht betreffen.
Keller erwähnt: „Der Vorratsverwalter des Klosters St.Trond hatte um 1100 jährlich dreißig bis vierzig Mönche einzukleiden mit Pelzmantel, kapuzenversehenem Überwurf, Kutte, Hose, zwei Hemden, acht paar Strümpfen, einem paar Stiefel und einem paar hoher Schuhe, vier paar weiterer Schuhe samt dem nötigen Schuhfett; dazu kam die Kleidung für über dreißig Diener des Konvents. All das kaufte er auf dem Markt, und die Mittel dazu musste er wenigstens zur Hälfte aus dem Verkauf der Naturalabgaben von bestimmten Höfen aufbringen.“ (Begrenzung, S.261)
Dies ist ein Sonderfall, denn zumindest ein Teil der einzukaufenden Waren sind standardisierte Mönchskleidung, und zudem verlangt wohl auch die Menge Übereinkünfte zwischen Kloster und Handel und Produktion. Markt meint hier denn vor allem auch durch Geld vermittelten Ein- und Verkauf. Insofern gibt es „Marktwirtschaft“ auch jenseits eines Ortes, der als Marktplatz definiert ist.
Aber zunehmend wird auch für einen „Markt“ produziert, auf den die Waren ohne Vorbestellung gelangen. Wenn verschiedene Handwerke in vertikaler Arbeitsteilung Tuche produzieren, sind mindestens die vorgeschalteten Produktionsvorgänge ohne Bezug zum Markt, und selbst das fertige Tuch wird zunehmend nicht mehr durch den Endproduzenten an den Kunden gebracht. Wenn nicht mehr für bestimmte Konsumenten produziert wird und der Händler zwischen Produktion und Konsum tritt, verändert sich der Charakter der Arbeit, sie verliert ein gutes Stück weit ihren unmittelbaren sozialen Bezug.
Zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert ist von Angebot und Nachfrage her nur eine Minderheit der Bevölkerung des lateinischen Abendlandes mehr als ausnahmsweise in einen Markt integriert. Für Bauern heißt das, zu Erntezeiten Überschüsse an Nahrungsmitteln und gewerblichen Rohstoffen zu vermarkten, um davon einmal die zunehmend geldlichen Abgaben an ihre Herren zu bezahlen und, seltener, auf Märkten gewerbliche Produkte zu erwerben. Eine entstehende ländliche Unterschicht (etwa ein Viertel bis gut die Hälfte der Bevölkerung) ist davon aber wohl weitgehend ausgeschlossen in dieser Zeit.
Im lateinischen Abendland nimmt zwar der Fernhandel zu, aber der größte Teil der Waren wird weiterhin und wohl noch viele Jahrhunderte lang auf lokalen Märkten umgesetzt, aber diese nehmen immerhin schnell zu. Zwischen 1086 und 1300 verdreifacht sich zum Beispiel die Zahl der Märkte fast.
Städter sind viel stärker in einen Markt integriert. Die meisten, insbesondere Händler, müssen Nahrungsmittel einkaufen oder zumindest zukaufen, und zwar von Händlern der Grundherren oder von Bauern. Handwerker kaufen zudem Rohstoffe und verkaufen Fertigprodukte. Dienstboten der Herren, die als Ministeriale in die Ritterschaft aufsteigen, haben Bedarf für einen sich hebenden Lebensstil, der aus Abgaben der Produzenten direkt oder indirekt finanziert wird. Und die hohen Herren, die als sich immer deutlicher abhebender Adel Luxusbedürfnisse entfalten, finanzieren diese ebenfalls aus den Renten ihres gewalttätigen Kriegerdaseins, die sich als Einkünfte aus Grundherrschaft ergeben.
Status und gradus erweisen sich zwar grundsätzlich an Titeln und Bezeichnungen, aber sie müssen sichtbar sein, was herausgehobene Ministeriale und wohlhabendere unter den aufsteigenden Bürgern schnell begreifen und nachahmen. Das deutsche Wort êre wird in einer stehenden Wendung mit guot verbunden, und zwar nicht nur im 'Armen Heinrich' des Hartmann von der Aue, und zur Ehre passt auch der Ruhm (prîs) und zum honor die Prächtigkeit.
Gehobener Status äußert sich dabei in dem Maße dessen, was da gerade als Luxus angesehen wird.
Im Kern entsteht der Kapitalismus nicht nur über den Reichtum der Herren und das vor allem daraus resultierende frühe und relativ freie Handels- und Finanzkapital, sondern durch die Förderung von beidem durch die Ausweitung der allgemeinen Warenwirtschaft und entsprechend des Marktes. Im Geld gerät die Ware in Gleichungen, die sinnvoll erst durch die Rechtsgleichheit der Akteure dort werden: Nur so wird die um den Markt angeordnete und von der Außenwelt abgeschlossene Stadt zu jenem Hort an Gemeinsamkeiten, aus denen Kapitalismus als ihr Kern und wesentlicher Ordnungsfaktor hervorgeht.
Laut Hagen Keller erreicht Mailand diesen Zustand bereits im Verlauf des 11. Jahrhunderts: "Nicht mehr der Hof des Königs und seine Umgebung bilden den vielleicht wichtigsten Zielpunkt des Fernhandels, die auf ihn orientierten oder sogar von ihm abhängigen Kaufleute und Handwerker treten zurück; bestimmend werden vielmehr die Bedürfnisse und die Kaufkraft "der Stadt", ihrer Einwohnerschaft und ihrer "Gäste". Bevölkerungszahl, Fruchtbarkeit des UMl, andes, die Nähe zu den Stätten der Metallgewinnung am Alpenrand und andere Faktorendieser Art verschaffen Mailand ebenso Vorteile gegenüber den Konkurrentinnen wie beispielsweise Kaufkraft, Lebensstil und Luxusbedürfnis des überaus zahleichen Klerus, was uns in den Chroniken des 11. Jahrhunderts sehr anschaulich geschildert wird, sowie der großen Vasallität des Erzstifts." (Keller in: Frühgeschichte, S.88f)
Eine sich ausweitende, durch Handel vermittelte Marktwirtschaft ist zwar noch kein Kapitalismus, aber ein notwendiges Element. Zu einem solchen wird sie erst, wo die Bedürfnisse des Kapitals, sein Vermehrungsdrang, das übrige Geschehen zu dominieren beginnen. Das geschieht dann zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert in immer größeren Teilen Europas.
Geld
Die Ausweitung eines nicht mehr wesentlich örtlich bestimmten, sondern allgemeinen Marktes bedarf einer Zunahme des Geldes. Diese findet auch statt, hält aber oft nicht Schritt mit der Nachfrage. Der Aufstieg des Handels lässt sich also an der steigenden Bedeutung des Geldwesens ablesen, welches nach der Antike allerdings nie ganz zum Erliegen kam.
Zwei monetäre Entwicklungen zeichnen den Weg in die Entfaltung des Kapitalismus aus: Die enorme Vermehrung des Geldes und dann am Ende seine Mehrstufigkeit. Bis in die Stauferzeit hinein gilt im Kaiserreich das silberne Pfenniggeld Karls d. Gr., der Denar. Schilling und Pfund bzw. Mark sind reine Rechnungseinheiten, wobei die Mark im 11. Jahrhundert das Pfund ablöst. Die Antike kannte hingegen bereits Gold, - Silber- und Bronzemünzen. Die islamische Welt kennt die Trennung in Silber- und Goldmünzen wie das oströmische Reich, welches zudem noch Kupfermünzen hat.
Die Geldvermehrung geschieht nicht nur durch eine Intensivierung der Geldwirtschaft, sondern auch ihre Ausdehnung. Die zunehmende Bedeutung lässt sich an der Münzreform des großen Karl ablesen, aber mit dem Zerfall des Karolingerreiches kommt es zu einem großen Durcheinander im Bereich des Geldwesens, den zu ordnen dann der Macht italienischer Städte und mächtiger Herrscher zukommt.
Um 900 gilt für Geldwirtschaft noch die Rheingrenze, um 1000 ist sie bis an die Elbe vorgedrungen. Ab etwa dieser Zeit beginnen die ostmitteleuropäischen und die skandinavischen Länder mit der Münzprägung. Noch im 11. Jahrhundert scheinen aberdort englische und Münzen des Kaiserreiches vorzuherrschen.
Für die Menge des umlaufenden Geldes ist die Menge den Münzen zur Verfügung stehenden Edelmetalls wichtig. Die Verfügung über Silber wird so zu einem erheblichen Machtfaktor und mit dem zunehmenden Geldbedarf steigt die Suche nach Silber in der Erde.In der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts spielen dann Silberbergwerke im Harz eine große Rolle und Goslar steigt zu einem wichtigen Münzort auf. 984 wird man in den Vogesen fündig, und dann auch im Jura und im Schwarzwald.
Der Geldwert soll dem Wert des Edelmetalls der Münze entsprechen, weswegen Edelmetall in Barrenform grundsätzlich nach Gewicht auch gemünztes Geld ersetzen kann. Aber Geldentwertung gibt es schon bei den Denaren: Zum einen werden sie immer leichter und zum anderen sinkt ihr Silbergehalt. Beteiligt daran sind die vor allem geistlichen principes, an die die römischen Könige das Münzrecht im 10. und 11. Jahrhundert vergeben, also Bischöfe, Äbte, aber auch Herzöge und einige Grafen.
Zunächst in Westfranzien erreicht der Geldbedarf einen neuen Anschub mit dem ersten Kreuzzug. Der erhebliche Geldbedarf für den einzelnen Krieger soll laut Urban II. durch Verpachtung des Grundbesitzes und Kredit auf künftige Einnahmen beschafft werden. Viele miles beschaffen sich Anleihen bei jenen Klöstern, die über viel Geld verfügen. Der Herzog der Normandie verpfändet sein Herzogtum an den englischen König, um standesgemäß ins "Heilige Land" zu gelangen.
England besitzt schon im 10. Jahrhundert landesweites königliches Geld nach karolingischem Muster aus rund 70 Münzen, meist in burhs angesiedelt. Im Umlauf sind Silberpfennige, die auch schon mal von Nutzern zerteilt werden, ist ein Penny doch bereits der Tageslohn eines Landarbeiters. Es wird alle sechs Jahre, seit 1035 alle drei Jahre eingezogen und durch neues ersetzt. Wie dort dann die Geldmenge zunimmt, lässt sich an folgenden Zahlen ablesen: 37 500 Pfund in Münzen sind um 1100 in Umlauf, 1320 werden es mehr als eine Million sein (Dyer, S.101)
Bis ins 11. Jahrhundert hinein gibt es in Spanien nur islamisches Münzgeld. Mitte des 11. Jahrhunderts beginnt sporadische Münzprägung in der Grafschaft Barcelona, die dann 1086 durch eine Münze von Jaca verstetigt wird, die Münzen aus Silber und Kupfer im Verhältnis 3 zu 2 herstellt. Etwa in dieser Zeit beginnt auch die kastilische Münzproduktion, die sich erst an solcher der islamischen Nachbarn orientiert und dann später an der von Aragón.
Die Münzproduktion im Almohadenreich ist wesentlich fortgeschrittener und differenzierter. Es gibt die silbernen Dirhems und dann auch den Dinar zu 4 Gramm, aber es existieren auch geteilte Einheiten bis hinunter zu etwa einem halben Gramm, was zeigt, das Geldwirtschaft und Markt viel verbreiteter sind als bei den christlichen Nachbarn.
Finanzkapital
Dort, wo sich die Ansätze feudaler Strukturen herausbilden, entsteht auch Kapitalismus, und das heißt auch, die Herren brauchen immer mehr Geld.
Größere Herren sind durch das Geschäft des Münzens und das, welches bei der Geldausgabe bzw. dem Umtausch gemacht wird, wenigstens im Norden an der Entstehung des Kapitalismus direkt finanziell beteiligt. Geldwechsler profitieren von der Vielzahl von Münzen in Europa und darüber hinaus. Zentrales Finanzgeschäft aber wird die Gabe von Krediten.
Gewinn machen aus Kreditgaben, also aus dem Nehmen von Zinsen, gilt zunächst als Sünde. In Norditalien wird das schon im 11. Jahrhundert nicht mehr so eng gesehen, und man nennt solche Finanzkapitalisten dann auch allgemein Lombarden. Sie werden seitdem gern gesehene Gäste von Bischöfen und hohen weltlichen Herren im Norden. Ansonsten sind dort die großen Finanziers vor allem Juden, die dafür ins Land geholt und von den Herren geschützt werden, hindert sie doch die eigene Religion nicht an ungehemmter persönlicher Bereicherung.
Ein Sonderfall in deutschen Landen ist das bewusste Ansiedeln (colligere, herbeiholen) von Juden, wie es Bischof Rüdiger Hutzmann von Speyer betreibt, der um 1084 extra Land am Rande seiner urbs für sie erwirbt und mit einer Mauer umgibt, die sie selbst verteidigen sollen. Für das freie Recht, Gold und Silber zu wechseln sowie alles zu kaufen und verkaufen, was ihnen beliebt, zahlen sie ihm eine jährliche Abgabe. Das wirtschaftliche Interesse des Bischofs verbirgt sich dabei hinter dem Ausdruck, die Ehre der Stadt tausendfach zu erweitern. (in Hergemöller, S.108)
1090 privilegiert Heinrich IV. die Juden von Mainz und Speyer und bestimmte, dass in Zukunft niemand, der unter unserer königlichen Macht mit irgendeiner Amtswürde oder Machtbefugnis ausgestattet ist, kein Geringer und kein Großer, kein Freier und kein Sklave, sich unterstehen soll, diese durch irgendwelche falsche Anklagen zu beunruhigen oder anzugreifen. Auch soll niemand es wagen, ihnen irgend etwas von ihrem rechtmäßig vererbten Besitz an Höfen, Häusern, Gärten, Weinbergen, Feldern, Sklaven und sonstigen beweglichen und unbeweglichen Gütern wegzunehmen. Wenn aber irgend jemand ihnen entgegen diesem Edikt irgendeine Gewalttätigkeit zufügt, so soll er gehalten sein, an die Schatzkammer unseres Palastes oder an die Kämmerei des Bischofs ein Pfund Gold zu zahlen und die Sache, die er ihnen weggenommen hat, doppelt zu erstatten. (in: Fuhrmann, S.228)
Seinen Kreditbedarf deckt Wilhelm der Eroberer dadurch, dass er Juden aus Rouen nach London bringt und damit die erste jüdische Gemeinde in England schafft. Dank ihrer religiös gebotenen natürlichen Vermehrung und durch Zuwanderung gibt es ein knappes Jahrhundert später (1159) bereits in neun Städten jüdische Niederlassungen und um 1190 in etwa siebzehn bei einer Gesamtzahl von vielleicht 5000 (Carpenter. Das königliche Interesse an jüdischem Finanzkapital ist überall in Europa vorläufig so stark, dass Herrscher noch darauf achten, dass ihre Kredite auch zurückgezahlt werden, insbesondere da sich Juden gut mit einer Art Schutzgeld besteuern lassen.
Nicht alle Juden betreiben großes Finanzgeschäft, aber als wichtigste Kreditgeber häufen viele doch erhebliche Kapitalien an, die sie zum Teil bald in veritablen Schatzkammern anlegen. Geduldet und geschützt werden sie, weil die hohen geistlichen und weltlichen Herren beginnen, sich in ihrer Machtgier zu verschulden und selbst ihre kleinen und großen Kriege nur unter immer größerem Geldeinsatz führen können. Schließlich ist das frühfeudale und zugleich frühkapitalistische Zeitalter zugleich auch das frühe ritterliche, und der wesentliche Charakterzug eines Ritters ist seine Geldgier, aus dem alle seine übrigen "ritterlichen" Normen abzuleiten sind.
Juden aber haben für die christlichen Herrschaften mehrere Vorteile: Wegen ihrer nicht korrekten Religion kann man sie mit erheblichen regulären und irregulären Abgaben auch wieder ausplündern, man kann als großer Herr kleinen Herren einen Gefallen erweisen, indem man ihm Schulden bei Juden erlässt, man kann Juden gelegentlich (seit dem Ende des 11. Jahrhunderts) einfach totschlagen, um seine Schulden loszuwerden, und ab dem Beginn des späteren Mittelalters man man sie auch einfach aus dem Land verjagen und wird so seine Schulden los. Damit aber beginnt dann die große Zeit der nord-und mittelitalienischen Bankiers und der Tresore der Tempelritter. Letztere allerdings kann man dann aber solcher Verfolgung aussetzen, dass dadurch ebenfalls die Schulden getilgt werden und zudem das Kapital in die Hände der christlichen Machthaber kommt. Erstere wiederum ziehen unter anderem dann den kürzeren, wenn auf Kriegsbeute ausgesetzte Kredite bei verlorenen Schlachten mit verloren gehen. Aber im angehenden Spätmittelalter gibt es dann soviele Banken, dass man problemlos nach der Pleite sich der nächsten willigen bedient.
Im frühen Mittelalter sind es aber oft auch Klöster und Kirchen selbst, die über reiche Schätze an Edelmetallen und Münzen verfügen und gewinnbringend einsetzen können. Um das mit der kirchlichen Lehre zu vereinbaren, wird mit dem Trick gearbeitet, genutzten Grund und Boden als Pfand zu nehmen und die Erträge bis zur Rückgabe der Schuld einzustecken.
Spätestens am Ende des 11. Jahrhunderts kann man feststellen, dass nicht christliche, feudale oder ritterliche Werte Zukunft haben, sondern ausschließlich jene allgemeine Gier nach Geld, die das weitere Mittelalter bestimmen wird.
Transportwesen
Die Wege bzw. Straßen verfielen nach der Antike, und der Handel bekam zusätzliche Belastungen aufgeladen, zeitlicher Natur wegen der notwendigen Pausen, finanzieller wegen der dadurch bewirkten Kostensteigerung, die die Waren verteuerte.
Waren die antiken Straßen oft gepflastert gewesen, so wurden die nachantik-frühmittelalterlichen zunächst oft zu Erdwegen, die im Winter oder nach langen Regenfällen unpassierbar werden. Manche sind nur mit Lastenträgern oder mit Lasttieren (Packtieren) karawanenartig begehbar, andere, eher seltener, nur mit einachsigen Karren. Für solche mit vier Rädern sind die Wege zunehmend unpassierbar. Das Transportwesen über Land bis tief ins hohe Mittelalter bietet oft zunächst keine guten Voraussetzungen für die Entstehung von Kapitalismus.
Das ändert sich an einigen Stellen bereits im 10. Jahrhundert auch mit der Entstehung neuer Wege, mit Furten, zunehmendem Fährbetrieb und Brücken und dazu gehörigen Handelsansiedlungen. Die römische Fähigkeit, Steinbrücken zu bauen, ist erst einmal mit diesen verloren. 813 lässt Karl ("der Große") bei Mainz auf den römischen Ruinen eine hölzerne Rheinbrücke bauen, die allerdings im nächsten Jahr bereits abbrennt. Solche Holzbrücken wird es vielerorts bis ins 18. Jahrhundert geben wie die Münchener Isarbrücke. Sie werden schnell morsch, enthalten dann Löcher und werden des öfteren bei Hochwasser oder Eisgang zerstört.
Einige Fern"straßen" gibt es imn 11. Jahrhundert wieder oder weiter. Da ist die Via Francigena von Südengland über die Alpen nach Rom, der Camino de Santiago, beide wichtige Pilgerwege. Dann geht es noch von Norditalien über den Großen Sankt Bernhard nach Südfrankreich, die Rhone und Saône aufwärts und dann entlang der Seine nach Paris.
Die Flüsse bleiben in Mitteleuropa wichtigste Handelswege, wobei flussaufwärts getreidelt werden muss, was Anlage und Unterhalt der Lein- bzw. Treidelpfade voraussetzt. Die (Fluss)Schiffe werden für Strecken, wo das möglich ist, tiefer, breiter und gedrungener, können nun mehr transportieren, brauchen aber bald Kais und Schiffsbrücken, werden nicht mehr einfach an Land gezogen. Das bedarf laut Stoob einer "Genossenordnung" der Schiffstransporteure "vom befahrenen Matrosen und uferbezogenen Stauer oder Träger bis zum Wiegeknecht und Lastwagenfuhrmanns" (in: Frühgeschichte, S.5) und sowohl von beaufsichtigten Zwischenlagern bis hin zu Rastplätzen.
Ursprünglich wurde ein Wegezoll (teloneum) erhoben, um Mittel für die Instandhaltung zu bekommen. Aber im Mittelalter wandelt er sich zu noch einer Steuer, die nicht mehr zweckgebunden ist und findet immer neue Orte zu seiner Erhebung. Zölle gibt es natürlich auch für die „Wasserstraßen“, am Rhein sind es Ende des 14. Jahrhunderts über 60 Zollstationen, an der Elbe über 30. Für kleinere Fürsten und andere Herren wie die Grafen von Katzenellenbogen und die Pfalzgrafen bei Rhein kann sich der Rheinzoll zur wichtigsten einzelnen Einnahmequelle auswachsen. Vorteilhaft ist für sie auch, dass der Zoll in Münze und nicht in Naturalabgaben entrichtet wird.
Handel, vom Handel stärker lebende Städte und Herrscher entwickeln ein gemeinsames Interesse daran, dass Zölle den Handel nicht über die Maßen behindern. Aber zunächst sind Erleichterungen in diesem Bereich stärker von Macht-Kalkül geprägt. Deutsche (römische) Könige suchen Bundesgenossen so wie zum Beispiel Heinrich IV. im Konflikt mit sächsischen und thüringischen Großen. Als die Wormser Bürger auf seine Seite treten und ihn in einer entscheidenden Situation gegen ihren Stadtherrn unterstützen, belohnt er sie mit einem Zollprivileg:
...sie, von denen wir wissen, dass sie in der ganz großen Erschütterung des Reiches mit ganz großer und besonderer Treue zu uns gehalten haben, obgleich wir sie weder durch ein mündliches, noch durch ein in einem Brief von uns selbst oder einem Boten vermerktes, noch überhaupt irgendein Wort zu dieser so hervorragenden Treue gewonnen hatten. … Denn die Abgaben, die man in deutscher Sprache als „Zoll“ bezeichnet, welche die Juden und die anderen Wormser in allen Zollstätten,die der königlichen Gewalt zugehören (…), bei der Durchreise zu zahlen verpflichtet waren, haben wir den Wormsern erlassen. (in: Engel/Jacob, S. 19ff)