NACHANTIKE 2: ZEIT DER KAROLINGER

 

Das Reich der Karolinger (Francia / Machtstrukturen / Gewalt / Geschlechtlichkeit)

Vor den Anfängen von Kapitalismus

Produktion: Grundherrschaft

Produzenten

Kirche auf dem Land

Handwerk

Konsum und Handel

Frühe Städte im Norden (Nachfolger / Römerstädte)

Bischofsstädte (Trier / Mainz / Westfranzien)

Klosterstädte

Pfalzstädte

England

Stadt und Land in Italien (Venedig / Rom / Das Land)

Spanien

 

 

Das Reich der Karolinger

 

Unter den reichen und mächtigen Familien der Merowingerzeit, die miteinander und mit den Königen konkurrieren, gelingt es derjenigen, die später als Karolinger bezeichnet werden wird, über das mächtige Hausmeier-Amt so weit aufzusteigen, dass sie unter Karl ("Martell") die legitimen Könige beiseite drängen und selbst die Herrschaft übernehmen können. Das zerfallende Reich versucht er in jährlichen Kriegszügen gegen Südgallien, sich verselbständigende Alemannen und Bayern und in der Abwehr eines islamischen Raubzuges bis ins fränkische Kernland 732 zusammen zu halten.

Inzwischen kann Ostrom/Byzanz die formal noch unter seiner Herrschaft stehenden Bischöfe von Rom immer weniger vor den Langobarden schützen und sie wenden sich, wie schon zu Karls Zeiten, um Hilfe an dessen Nachfolger Pippin, der im wesentlichen die Aktivitäten seines Vaters fortsetzt, aber zur Annäherung an Rom bereiter wird, was in einen Bescheid des Papstes mündet, der die Annahme der Königswürde durch Pippin legitimiert, die durch Salbung wie die sagenhafte eines Königs David zusätzliche sakrale Weihe erhält. Es kommt zum Besuch des Papstes bei den Franken und dann zu Kriegszügen Pippins gegen die Langobarden.

 

Pippins Sohn Karl ("der Große") setzt wie sein Großvater und Vater Alleinherrschaft durch und unterwirft effizienter als sie Aquitanien, mit Heimtücke Bayern und in Jahrzehnte langen brutalen Kriegen Sachsen, wodurch er in Konflikt mit Slawen und Dänen gerät. Er greift sogar im Südwesten etwas auf das islamische Spanien über. Neben Bischöfen und Äbten versucht er sich auf von ihm eingesetzte Grafen und Königsboten zu stützen. Daneben ideologisiert er seine Herrschaft stärker christlich und kontrolliert die Kirche dabei massiver.

773 marschiert er in das Langobardenreich ein, welches wieder einmal das päpstliche Rom bedroht. Weitere "Besuche" in Italien steigern wohl seine Faszination für imperial-antike Überreste und bedeuten wohl auch ein etwas erweitertes Geschichts-Bewusstsein. Das alles mündet 800 in seine religiös eingekleidete Kaiserkrönung durch den Papst, die seinem Riesenreich wenigstens nominellen Zusammenhalt gibt. Inzwischen hat "der große" Karl die Fläche des Reiches beim Tode von Karl ("Martell") in etwa verdoppelt. .

Von Aachen als Alterssitz aus und umgeben von belesenen Bischöfen und Äbten versucht er ohne großen Erfolg, die kaiserliche Machtentfaltung in seinem Reich zu intensivieren.

 

Als Karl sein Ende nahen sieht, sind seine Söhne Karl und Pippin bereits gestorben. Anders als es fränkisches Recht vorsieht, will der Kaiser 812 die Interessen von Pippins Sohn Bernhard gewahrt sehen, und übergibt ihm Italien. Ein Jahr später wird Sohn Ludwig dann in Aachen zum Mitkaiser erhoben.

 

Chlodwig (Ludwig "der Fromme") konzentriert sich auf die religiöse Durchdringung der Machtstrukturen, schafft sich mit seinem Reformeifer und der Vertreibung bislang einflussreicher Leute vom Hofe Gegner und stärkt zugleich bischöfliches Selbstbewusstsein, welches sich dann auch gegen ihn richten wird. Versuche, das Riesenreich auf seine Söhne als Unterkönige samt einem Mitkaiser als Nachfolger aufzuteilen, führen zunächst zu einer Dreiteilung, bei der Karlsenkel Bernhard übergangen wird. Der wehrt sich und wird mit Blendung und Tod bestraft. Etwas später kommt es zu heftigen Machtkonflikten der Söhne mit dem Kaiser und untereinander, an denen die großen geistlichen und weltlichen Herren teilnehmen. Sie verschärfen sich, als mit einem weiteren Sohn Karl und dann dem Tod von Sohn Pippin neue Machtkämpfe ausbrechen, aus denen die königlich-kaiserliche Macht geschwächt hervorgeht. Kurz darauf verschärft sich die Lage durch Normanneneinfälle im Norden und solche von Sarazenen im Süden.

 

Nach seinem Tod 840 geht der Reichszusammenhang in Bruderkriegen seiner Nachkommen schnell unter, wobei sich 843 ein westliches, romanisch geprägtes Reich, ein Mittelreich samt Italien und ein germanisch geprägtes Ostreich bilden. Îm Westen ist Karl ("der Kahle") vor allem seit der Mitte des 9. Jahrhunderts mit dem Aufstieg regionaler Fürsten wie einer flämischen Dynastie und den Robertinern in nördlichen Loireraum sowie mit Normannen- und Sarazenen- Einfällen konfrontiert. Im Osten wird die königliche Macht unter Ludwig ("dem Deutschen" 843-876) durch sogenannte Stammesherzogtümer eingeschränkt. Die meiste Zeit verbringt dieser Ludwig damit, Slawen, die sich in den fränkischen Bruderkriegen verselbständigt hatten, wieder tributpflichtig zu machen, einmal die Abodriten im Norden, insbesondere aber die Böhmen und Mähren (Moravier). West und Ostreich gelingt es nach Phasen erheblicher Feindseligkeit derweil, das Mittelreich bis 870 (Vertrag von Meersen) unter sich aufzuteilen.

 

Das Kaisertum ist nicht mehr mit Hoheit über mehr als zunehmend kleinere Teile Italiens verbunden, es wird marginal und gelangt gegen Ende des 9. Jahrhunderts in die Hände minderer Machthaber. 881 macht der Papst den ostfränkischen Karl III. zum Kaiser, der kurze Zeit Ost- und Westreich vereint, und dann von Arnulf von Kärnten abgelöst wird.

 

 

Nachdem West- und Ostgotenreiche, die der Sueben, Vandalen und Langobarden längst untergegangen sind, verschwindet in einem langen Prozess im 9. Jahrhundert auch das Frankenreich. Die westliche Francia entwickelt sich in den nächsten Jahrhunderten zur France, die östliche in die deutschen Lande, die mit Otto I. ("dem Großen") als Kaiser wieder auf Italien zugreifen werden. Ein angelsächsisch-englisches Königreich geht 1066 unter und wird durch ein normannisches ersetzt.

 

Die aus dem Zusammentreffen germanischer und antik-römischer Elemente entfalteten Kräfte der Reichsbildung schwinden, und auf der Basis der darunter liegenden Verhältnisse entstehen nun neuartige Reiche. Diese Gebilde werden im Laufe der Zeit (neue) Nationen erfinden und zusammen mit neuartigen Ansätzen von Staatlichkeit gewalttätig durchsetzen.

 

***"Francia"***

 

Die genauere Abfolge von Ereignissen, welche manchmal Historiker seit längerem als "politische" Geschichte bezeichnen, ist hier im Anhang angesiedelt, da es vorrangig um die Entstehungsgeschichte des Kapitalismus gehen soll, für die auch die Karolingerzeit noch Vorgeschichte ist. Aber die Strukturen, die sich in dieser "Ereignisgeschichte" entwickeln, gehören notwendig hier hin.

 

Das Reich der Franken mit seinen beiden Dynastien ist der Versuch, mit den Mitteln militärischer Eroberung auf dem Boden Westroms neue Macht- und Eigentumsverhältnisse herzustellen. Es ist eine in sich konfliktreiche Interessengemeinschaft aus Herrschern und auf großen Ländereien und Delegation von herrscherlichen Aufgaben beruhenden weltlichen und geistlichen sowie monastischen Großen, die insgesamt nur wenige Prozent der Bevölkerung ausmachen.

Das gemeinsame Interesse ist die Nutzung der Arbeitskraft  der etwa 95% der Bevölkerung, die in persönlicher und/bzw. herrschaftlicher Abhängigkeit und Unterwerfung leben. und in zunehmend geringerem Maße auch noch des militärischen Potentials der Freien unter ihnen.

Diese Interessengemeinschaft drückt sich ansatzweise darin aus, dass in den Texten der Zeit das Volk (populus) nur diese kleine Schicht der Oberen oder zumindest nur die persönlich Freien meint.

 

Dieses Reich, nach den Eroberern Francia benannt, ist von vorneherein kein völkisch bzw. sprachlich einheitliches Gebilde. Schon die imperiale Zivilisation der Römer hatte es mit der Durchsetzung ihrer Machtstrukturen mit nur teilweisem Erfolg geschafft, solche Unterschiede einzuebnen. "Völkisches" kommt erst mit ihrem Zerfall wieder deutlicher zum Vorschein, wird dann mit Verbänden germanischer Eroberer wieder relevant, soll dann aber in einer Francia erneut eingeebnet werden. Das scheitert diesmal noch deutlicher als in der Antike, nicht zuletzt in Reaktion auf "fränkische" Großreichs-Bildung, die nicht die Mittel hat, die Formierung kleinräumigerer Einheiten zu verhindern und dort aktive Traditionen ganz zu zerstören.

 

Hier soll übrigens besser von Volk als dem mindestens genauso unklaren (griechischen) ethnos gesprochen werden, um wenigstens ansatzweise Stamm vom Volk unterscheiden zu können. Wir lassen uns damit anders als die offizielle Propaganda in der BRD auch das Adjektiv völkisch nicht von den Nationalsozialisten nehmen. 

 

 

Ein Verwirrspiel liefern die Quellen der Nachantike und der Zeit der Karolinger und noch weit danach, und das nicht ganz außerhalb antik-römischer Gebräuche. Dieses kreist einmal um das lateinische Wort für Volk, den populus, der vor allem in den Texten des Frankenreiches und seiner Nachfolger dort auftaucht, wo es um von Königen einberufene Versammlungen und offizielle Akte wie Königswahlen geht. Tatsächlich ist hier aber nur ein Ausschnitt der Reichen und Mächtigen versammelt.

Ein anderes Wort dieses Zeitraumes, vulgus, verweist hingegen auf die sich langsam im nächsten Jahrtausend durchsetzende Bedeutung von Volk zunächst als die der nichtadeligen Leute, und noch später der Bauern und der städtischen Unterschichten hin.

 

In den Annalen von St. Bertin heißt es zum Jahr 859:

Die Dänen verwüsteten das Land hinter der Schelde. Das gemeine Volk (vulgus promiscuum) zwischen Seine und Loire, das sich miteinander verschworen hatte (inter se coniurans) leistete den Dänen, die sich an der Seine festgesetzt hatten, tapferen Widerstand; da aber ihre Verschwörung unvorsichtig betrieben war (incaute sumpta est eorum coniuratio), so wurden sie von unseren Großen ohne Mühe getötet. (Quellen karolReichsgeschichteII, S.99)

 

Gemeint ist hier, dass die nicht zu kriegerischem Handeln befugten kleinen Leute, die sich nicht die Erlaubnis von oben eingeholt haben, um sich gegen Raub, Vergewaltung, Mord und Zerstörung verteidigen zu dürfen, wo es für sie sonst niemand tut, in den Augen ihrer christlichen Obrigkeit kein Lebensrecht haben, also abgeschlachtet werden dürfen; dies umso mehr, als sie sich zu gemeinsamem Handeln verbündet haben, was spätestens seit Karl ("dem Großen") ihnen wie auch allen anderen verboten ist.

 

Völker neuen Typs entstehen aus der Groß-Francia mit seiner Teilung in drei Reiche,  das westfränkische, das ostfränkische und das Königreich Italien , welche im Laufe der Zeit neue Völker hervorbringen werden: Franzosen, Deutsche und Italiener, von denen die Italiener erst im 19. Jahrhundert und die Deutschen nie einen gemeinsamen Staat errichten werden.

Solche Völker neuen Typs entstehen anderswo anders: England entsteht aus Christianisierung und der gemeinsamen Kirchenorganisation einerseits und andererseits aus einer Entwicklung, die die angli dauerhaft eben auch durch Expansion eines Königreiches von Wessex aus als pars pro toto (die späteren Engelonde) etabliert. Dabei entsteht mit dem Altenglischen eine erste gemeinsame Sprache.

 

Als die Familie, die später als Karolinger benannt wird, von der der Merowinger die Königsrolle übernimmt, steht das winzige gemischt fränkisch-romanische Herrenelement im Westen einer Bevölkerung sich unterschiedlich entwickelnder romanischer Sprachen gegenüber, eine Gruppe im Norden Westfranziens wird später als langue d'oeil eingeordnet werden, eine südlich davon als langue d'oc, wobei sich, als der Norden übermächtig wird, auch seine Sprache durchsetzt.

Jenseits dieser sich erst langsam differenzierenden Sprachgrenze werden untereinander schwer verständliche germanische Idiome gesprochen oder sich in einem Streifen links des Rheins nun durchsetzen.

In Italien machen sich romanische Sprachen breit, die viel später im Norden und in der Mitte der Halbinsel als italienisch zusammengefasst werden.

 

Damit aber nicht genug, entsteht in der frühen Merowingerzeit durch Einwanderung aus Südwestbritannien eine zunehmend keltisch sprechende Bretagne, die bei nomineller „fränkischer“ Oberhoheit sich allen Eroberungsversuchen entzieht, sich dann aber nach weiterer Anzivilisierung im 9. Jahrhundert in ein weithin eigenständiges „Reich“ verwandelt. Solche Reichsbildung gelingt den westlich der Pyrenäen beheimateten Basken nicht, die aber nur gelegentlich von „fränkischer“ Herrschaft betroffen sind, während die Basken auf der iberischen Seite mit Herrschaften in Pamplona bzw. Navarra sich spanisch orientieren, in ihren Bergregionen aber gegen massive Zivilisierungsversuche standhalten. Noch weiter südwestlich teilen sich zunehmend romanisierte gotische und fränkische Herren die Macht, während in Spanien mit karolingischer Unterstützung Katalonien mit dem Zentrum Barcelona entsteht und sich dann langsam vom „fränkischen“ Einfluss löst, aber mit Aquitanien eine fast gemeinsame romanische Sprache entwickelt. Letzeres wiederum, stärker in gallo-römischem Erbe verwurzelt, bewahrt bis in die Entstehung Frankreichs hinein eine gewisse Eigenständigkeit.

 

Im Norden sind Flamen und Friesen nur mühsam zu zivilisieren, also zu christianisieren und in „fränkische“ Machtstrukturen einzugliedern. Daneben bilden sich seit den merowingischen Eroberungen Stämme der Sachsen, Thüringer, Alemannen und Bayern deutlicher heraus, die zusammen mit einem Streifen links des Rheins und einer stärker fränkisch besiedelten Zone um den Main eine Art deutsche Sprachfamilie bilden werden.

 

Mit der teilweisen Eroberung Nord- und Mittelitaliens durch Karl („den Großen“) wird das Vielvölker-Reich der Karolinger komplett, bevor es dann im 9. Jahrhundert zerfällt.

 

Wie Leute unterschiedlicher Sprache sich in der Francia unterhielten, wissen wir nicht. In Grenzgebieten mag es eine gewisse Zweisprachigkeit gegeben haben. Die schriftliche Kommunikation der Großmächtigen im Reich findet in einem zunehmend vereinfachten Latein statt.

 

In den Straßburger Eiden äußerst sich zwar keine Reichsteilung nach Sprachen, aber eine in Reiche, in denen zwei Sprachen dominant sind. Geteilt wird auch nicht exakt nach Sprachgrenzen, neuzeitlich gesprochen, also auch nicht nach Volksgrenzen, aber mit den Grenzen, die gezogen werden, entstehen Ansätze zu Völkern im neuzeitlichen Sinne.

Als die Straßburger Übereinkunft von 842 von beiden Gefolgschaften beschworen werden soll, fallen für das sich aufteilende fränkische Reich die Texte in zwei Sprachen aus: in einen romanischen und einen althochdeutschen Dialekt.

Pro Deo amur et pro christian poblo et nostro commun salvament, d'ist di en avant, in quant Deus savir et podir me dunat, si salvarai eo cist meon fradre Karlo, et in adiudha et in cadhuna cosa, si cum om per dreit son fradra salvar dist, in o quid il mi altresi fazet, et ab Ludher nul plaid numquam prindrai qui meon vol cist meon fradre Karle in damno sit.

 

In godes minna ind in thes christanes folches ind unser bedhero gehaltnissi fon thesemo dage frammordes so fram so mir got geuuizci indi mahd furgibit so haldih thesan minan bruodher soso man mit rehtu sinan bruodher scal in thiu thaz er mig so sama duo indi mit ludheren in nohheiniu thing ne gegango the minan uillon imo ce scadhen uuerdhen.

 

(Für die Liebe Gottes und des christlichen Volkes und unser aller Erlösung, von diesem Tage an, soweit mir Gott Wissen und Können gibt, werde ich meinem Bruder Karl beistehen, sowohl in der Hilfeleistung als auch in jeder anderen Angelegenheit, so wie man seinem Bruder beistehen soll, auf dass er mir genauso tue, und ich werde niemals ein Abkommen mit Lothar treffen, das willentlich meinem Bruder Karl zum Schaden sei.)

 

***Machtstrukturen: Herrschaft***

 

Die Interessengemeinschaft jener kleinen Oberschicht, wie sie sich unter den Merowingerkönigen herausgebildet hat, wird nirgendwo klar definiert und tritt damals sehr unklar als "Volk" in den (lateinischen) Dokumenten und Historien-Erzählungen auf. Es sind dies in neuerem Deutsch die bedeutenderen "Herren". Die Gesamtheit der Herren sind darüber hinaus die "Freien", denen die Knechte (servi) zu dienen haben. Aber auch diese Wörter sind keine klaren Begriffe und verändern ihre Bedeutung im Laufe der Zeit etwas. Das Volk als Gruppe hoher Herren wird sich viel später in die Bezeichnung für Unterschicht-Massen verkehren.

 

Klar ist die Schichtung in die, die Eigentum an Grund und Boden haben, und die vielen, denen es fehlt. Aber Freie können auch auf Grund und Boden von Herren leben und arbeiten, auch wenn das nicht so häufig ist. Und Freie gibt immer weniger, entweder weil es ihnen günstiger erscheint, sich unter den Schutz eines Herrn zu stellen, wobei Schutz immer auch ein Stück weit Unterwerfung ist, oder aber weil sie von Herren unterworfen werden.

 

Eine definitive Abschichtung zwischen großen und kleineren Landbesitzern gibt es dabei nicht, aber der Abstand zwischen ihnen wird immer größer. An der Spitze stehen in der Zeit der Karolinger Bischöfe, Äbte reicherer Klöster und weltliche Herren. Die Familie der Karolinger steigt auch deshalb bis zum Königsthron auf, weil sie direkt oder indirekt über enorm große Ländereien verfügt. Dieses Eigentum macht sie wie alle anderen aber erst dadurch so recht zu Herren, dass sie darauf andere arbeiten lassen. Dabei ist produktive Arbeit ehrlos. Große Grundherren verfügen über tausende solche Arbeitskräfte.

 

Eine allerdings nicht stabile Spitzen-Gruppe unter den großen Herren sind weiter die mit direktem Zugang zum König. Historiker sprechen für die Zeit Karls ("des Großen" von einer Art "Reichsaristokratie" aus etwa vierzig bis fünfzig Familien (Tellenbach).

Da eine Pfalz den König und seinen großen Troß auch jetzt nur kurzzeitig ernähren kann, und außerdem königliche Präsenz in den Reichsteilen vonnöten ist, ist der königliche Hof bis zu Karls ("des Großen") Ausbau von Aachen und dann der frühen Zeit seines Sohnes mit kurzen Pausen stetig unterwegs, auch um durch Präsenz Macht zu demonstrieren und aufrecht zu erhalten. Dabei nutzen herausragende Großen seine Ankunft, um sich zum Hof zu begeben. Sie besitzen nicht nur viel Land mit darauf arbeitenden Leuten, sondern damit auch viele Vasallen, aus denen sich das königliche Heer zusammensetzt. Sie haben Recht wie Pflicht, den König zu beraten und militärisch zu unterstützen, - und ohne sie kann er nicht herrschen.

Mit dem königlichen "Hofstaat" zieht auch seine Kapelle vornehmer Geistlicher, denn der Macht begründende und siegverheißende Gott ist auch ein zivilisierender, also der, mit dessen Propagierung sich (zentral gesteuerte) Herrschaft immer weiter ausdehnen bzw. intensivieren lässt. Aus der Kapelle lassen sich zudem weiter schriftbegabte Leute für hohe Ämter bei Hofe ziehen, überhaupt erweitert sich höfisches Leben langsam mit größerem Personal.

 

Einen klar definierten Adel gibt es weiter nicht, auch wenn herausragende Herren als nobilis oder edel bezeichnet werden. Aber es gibt ein ständiges Ringen um den Ehre bedeutenden Rang unter den höheren Herren, der auch symbolisch dargestellt werden muss. Wie in einem Wolfsrudel bedeutet das immer wieder Kampf und Krieg.

 

Die Interessengemeinschaft aus solcher "Oberschicht" und dem König besteht darin, dass diese ihn unterstützen, und er dafür ihre Interessen zu wahren hat. Das ist hochgradig konfliktgeladen, da diese hohen Herren immer wieder aneinander geraten und der König dann Frieden stiften muss, was nicht immer zur Zufriedenheit von jedem von ihnen gelingt. Zudem stoßen sie mit ihm da zusammen, wo er seine Macht zu ungunsten von ihnen erweitern will, was er eigentlich muss, da sie notgedrungen ohnehin sehr begrenzt ist.

 

Bis etwa zur Kaiserkrönung Karls profitieren diese Großen, Bischöfe, Äbte und mächtigere weltliche Herren von der Beute aus den alljährlichen Kriegszügen, und sind einigermaßen loyal. Gelegentliche, auch gewälttätige Opposition kleinerer Machthaber kann problemlos niedergeschlagen werden. Bis zu Karls Tod hält dann der einigermaßen eingespielte Machtapparat des Herrschers mit Grafen, Bischöfen, Äbten und Königsboten das Reich zusammen, und man kann nur vermuten, dass einige hohe Herren, Bischöfe, Äbte und Grafen vor allem Hoffnungen auf die Zeit nach seinem Tod entwickeln.

 

Die "Verwaltung" des Riesenreiches geschieht über Delegation. An die Söhne Karls ("des Großen") geht neben Italien und Aquitanien auch ein Dukat Le Mans. Ludwig ("der Fromme") teilt seinen Söhnen Unterkönigtümer zu. Darunter leiten regionale Grafen placita, Versammlungen der Gerichtsbarkeit und der Propagierung königlicher Politik. Grafschaftsversammlungen leisten seit 789 auch den neuartigen Treueeid für Karl, und in ihrem Bereich sind Grafen auch für das Heeresaufgebot zuständig. In dieser hierarchischen Struktur kontrollieren  hochgestellte Königsboten (missi), inwieweit königlicher Wille eingelöst wird.

Grafen und Königsboten werden weit ins 9. Jahrhundert hineinreichen, insbesondere dann im karolingischen Ostreich bis gegen sein Ende, aber der Zugriff der Könige auf einzelne Regionen nimmt dabei in dem Maße ab, in dem "Adel" sich entwickelt und aufsteigt und sich dabei Besitzungen und Rechte zum Beispiel auch von Kloster und Kirche aneignet.

 

Wirtschaftliche Basis der königlichen Machtausübung sind die riesigen Ländereien aus merowingischer und karolingischer Herkunft, in große Domänen und darunter villae aufgeteilt, die weithin autark sein sollen, was Ernährung und Handwerk angeht. Dazu kommt erhebliche Kriegsbeute auch an Land, kommen Tribute Unterworfener, und von ihnen können getreue Große mit beneficia, Wohltaten versorgt werden. Um diese zu behalten und zu vererben ist es nötig, sich den König zu verpflichten, unter anderem durch Königsnähe. Jedes Jahr vor der Heeresversammlung im Frühjahr findet so unter Karl ("dem Großen") eine größere Versammlung bei Hofe unter dem König statt.

 

Ganz langsam geht das aus dem Militärischen stammende Gefolgschaftsprinzip in ein von Historikern so genanntes Lehnswesen über, wobei die Übergabe (Kommendierung) entweder aus Not heraus geschieht und zu servitium et obsequium, Dienst und Gehorsam führt, oder aber bei Mächtigeren und Wohlhabenderen zu consilium et auxilium, Rat und Hilfe. Dafür, dass der Mann dem Herrn einen solchen Treueid leistet, bietet dieser ihm Schutz, also in letzter Instanz militärische Unterstützung an.

Diesem mündlichen "Vertrag" fehlen genauere Festlegungen, sie unterscheiden sich auch deshalb von der Beauftragung mit einem "Amt", also einer konkreten Aufgabe.

Zu Karl Martell heißt es, es wurde

wegen der drohenden Kriegsnot und des Ansturms der umliegenden Völker ein Teil des Kirchengutes als zinspflichtige Landleihe zur Unterstützung des Heeres auf einige Zeit zurückbehalten. (ut sub precario et censu aliquam partem ecclesialis pecuniae in adiutorum exercitus nostri cum indulgentia Dei aliquanto tempore retineamus) (in: Althoff(5), S.150)

Zumindest unter ihm kommt auf diese Weise zu Geschenk und Beute als Belohnung für den Gefolgsmann nach und nach das Lehen hinzu, welches den Vasallen solider als zuvor an den Herrn binden soll.

 

Hat schon der große Karl Bischöfe wie Äbte einfach eigenhändig eingesetzt, so beginnt sich unter Ludwig dem Frommen die Vorstellung durchzusetzen, dass auch Abtswürde wie Bischofsamt königliche Benefizien seien, was dazu führt, dass sie ebenfalls den Akt der Kommendation durchlaufen müssen.

"Wie bei der Übertragung eines Beneficiums erhält der Bischof bei seiner Amtseinsetzung ein Symbol seines Amtes; per baculum überträgt der König ihm die Bischofswürde." (Leiverkus in LHL, S.165, es handelt sich um den sogenannten Krummstab).

Entsprechend stellen auch Bischöfe ein militärisches Aufgebot für ihren König.

 

 

Das Riesenreich Karls des Großen wird einigermaßen zusammengehalten durch die königliche Instrumentalisierung einer Oberschicht, die einmal als Grafen und dann als vassi regis, königliche Vasallen, den Kern des militärischen Gefolges stellen, und zum anderen Bistümer und große Klöster besetzen. Kontrolliert wird das Ganze von Königsboten, den missi regis aus der edelfreien Oberschicht.

 

Unter Ludwig ("dem Frommen") beginnt das große Reich mit den Machtkämpfen innerhalb der Königsfamilie auseinanderzufallen. Zu diesen immer wieder aufflammenden Bruderkriegen, die nach dem Tod Ludwigs bis zu den großen Reichsteilungen noch zunehmen, kommen die vielen Bedrohungen von außen: Da sind die Wikinger (korrekt ins Latein der Annalen von St.Bertin als pyratae, also Piraten übersetzt), die die Küsten von Nordsee, Ärmelkanal und Atlantik jahraus, jahrein überfallen und berauben und dabei bis nach Paris und anderswo ins Inland vordringen, bald in Küstennähe sogar überwintern, um erneut auf Raubzug zu gehen. Im Süden dringen immer wieder "Sarazenen" in Italien und der gallischen Mittelmeerküste ein und betreiben dieselbe grausame Piraterie. Im Osten wiederum kommt es immer wieder zu kriegerischen Konflikten mit slawischen Stämmen.

 

Die Unterkönige und dann Könige der neuen Teilreiche sind derart in ihre Machtkämpfe verstrickt, dass sie keine Mittel finden, um gegen die Verheerungen dieser äußeren Feinde vorzugehen und finden die Räuber mit hohen Geldsummen ab, um sie wieder loszuwerden. Es sind regionale, manchmal lokale Herren, manchmal das "Volk" vor Ort, die sich dagegen wehren müssen, womit sie meist überfordert sind. Dabei und in den internen Verheerungen gewinnen hohe geistliche und weltliche Herren gegenüber ihren Herrschern an Macht und Einfluss, und zwar durch Drohung mit Gewalt oder durch Gewalt selbst und nicht zuletzt auch durch königliche Vergaben an sie. Sie teilen sich immer mehr die Macht mit den Königen, wobei sie die Bindung an sie immer mehr durch eine an Herren darunter ersetzen. Ihre Besitzungen an und ihr Verfügen über Grund und Boden und darauf arbeitende Menschen bleiben dabei weiter über große Regionen hinaus zersplittert, während eine niedere Herrenschicht über regional oder nur lokal ausgebreiteten Grundbesitz verfügt.   

 

Bedeutendere Edle besitzt Vasallen, aus denen sich eine vor allem militärische Gefolgschaft zusammensetzt. Zu den unmittelbaren vassi regis Karls ("d.Gr.") kommen im 9. Jahrhundert zunehmend mehr Vasallen dieser Vasallen, also von Bischöfen und Grafen vor allem, die dabei auch zu Senioren ihrer Mannen werden. Diese Untervasallen betreiben zunächst Bauerngüter, die auch für ihre militärische Ausstattung ausreichen. Wir erkennen so eine Schicht von (bäuerlichen) Freien, liberi, die nicht nobilis sind (Thegan), da keine Königsvasallen, sondern ignobilis (Hildemar), mögen sie auch zu Reichtum gelangen, denn sie stammen von Bauern ab.

 

Schritt für Schritt ändert sich derweil auch der Charakter der weltlichen Vasallität, indem sie sich mit einem Lehen verbindet. Das Beneficium wird dann zunehmend vom Vater auf den Sohn vererbt, auch wenn es unteilbar bleibt. Damit werden die Herrscher nach und nach den Zugriff auf Krongut und damit auch auf die Treue ihrer Vasallen verlieren. Zum anderen neigen Vasallen im Laufe der Zeit dazu, sich an mehrere Herren zu binden, um möglichst viele Benefizien zu erhalten. Damit zieht bezüglich der Treuepflicht Konfliktpotential auf.

Ein weiteres Problem entsteht dadurch, dass kleinere Vasallen, insbesondere solche ohne Beneficium, durch größere mediatisiert werden, indem sie von diesen selbst in Vasallität gebracht werden. Zwischen König und Vasall kann so ein Herr treten, dessen Eigeninteressen bevorzugt zu beachten sind.

 

Sich fügen tun alle Freien unter Karl ("dem Großen") mit einem Eid der Untertänigkeit. Eide untereinander werden ihnen dabei immer wieder verboten. Das betrifft große wie kleinere Herren, Kaufleute und Hörige. Die Tatsache, dass dies Verbot immer wiederholt wird, 779, 794, dann unter Ludwig ("dem Frommen") 821, 829,  dann wieder 847, und dann unter Karl ("dem Kahlen") 860, zeigt, wie nötig das ist. Reiche sind grundsätzlich hierarchisch gegliedert, genossenschaftliche Organisationen gewinnen erst mit den ersten Anfängen frühest kapitalistischer Strukturen an Bedeutung.

 

 

Die Macht von Königen wie aller Herren beruht im Kern auf der Gewalt der Waffen, die aber ideologisch abgesichert werden muss, wozu die Kirche zu dienen hat. Sie erklärt entsprechend weiter die Machtverhältnisse als gottgewollt und jeden Widerstand dagegen zur großen Sünde. Im Gegenzug wird sie mit Land und darauf arbeitenden Leuten ausgestattet, bis sie am Ende zusammen mit den Klöstern zum größten Grundbesitzer im Reich wird. Je weiter sich im Zuge von Christianisierung oft von Herren gegründete Pfarrkirchen ins Land hinein schieben, desto regelmäßiger findet auch für die Masse der Produzenten massive Propaganda statt, deren Niveau extrem niedrig ist, wohl noch primitiver als in den Massenmedien heute, denen sich fast alle Menschen allerdings inzwischen täglich aussetzen.

 

Herrschaft ist seit Pippins Königssalbung nach altjüdischen Vorbild (wie schon Isodor von Sevilla meint) stärker sakralisiert, das heißt, die Herrschaft geschieht "von Gottes Gnaden" und in seinem Auftrag, was auch durch das ganze lange Mittelalter so bleiben wird. Seinen Gipfel erhält diese Macht-Legitimation mit der Heiligsprechung zahlreicher Könige. Erst 1776/89 beginnt die Zeit, in der politische Ideologie, schon länger vorbereitet, den göttlichen Auftrag ablösen wird.

 

Für die quellenmäßig ausführlicher belegten Herrschergestalten ist es immerhin naheliegend und vernünftig, weiter jener Religion samt Kirche zu folgen, die ihre Macht begründen, und Teil der sie tragenden Machtstrukturen ist. Einhard schreibt in seiner Karls-Vita über den "großen" Kaiser:

Der christlichen Religion, zu der er von Jugend an angeleitet wurde, war er mit größter Ehrfurcht und Frömmigkeit zugetan. Darum erbaute er auch das herrliche Gotteshaus zu Aachen und stattete es mit Gold und Silber, mit Leuchtern und mit ehernen Gittern und Türen aus. (26)

 

Nach apokalyptischen Vorstellungen kündigt sich das Weltende durch das Aufkommen von Irrlehren an. Nun nehmen diese dort zu, wo die Definitionen von Rechtgläubigkeit enger werden. In der Zeit, in der im 8. Jahrhundert unter anderem von Toledo ausgehend bekundet wird, dass Jesus einerseits Mensch, andererseits in seine Göttlichkeit hinein von Gott quasi adoptiert worden sei, ein deutlicher Verstoß gegen das Symbolon von Nikäa, aber an sich nichts neues, sieht der gelehrte kantabrische Mönch Beatus aus dem Liébana-Tal das Ende für 800 voraus und kommentiert ausführlich den Apokalypse-Text.

 

In seiner Admonitio Generalis, der allgemeinen Ermahnung, erklärt Karl ("der Große): Denn wir wissen, in der Endzeit werden falsche Lehrer sich erheben. Deshalb ihr Lieben, wollen wir uns mit ganzem Herzen in der Kenntnis der Wahrheit üben, damit wir denen widersprechen können, die sich ihr widersetzen. Und nach der Verurteilung des Adoptianismus lässt Karl ausrichten: Hütet euch, dass die heiße Verschlagenheit des alten Feindes euren Geist nicht mancherorts verderbe und der Teufelsdienst im Innern nicht schlimmer werde als der Dienst für das verhasste Heidenvolk (des Islam) im Äußeren. Erwartet euren Erlöser, den ihr zum Urheber eures Heiles habt (beides nach Joh. Fried in: 798, S.28).

 

Als dann für das erste christliche Millenium der Weltuntergang samt Gericht mal wieder vorausgesagt wird, gehen viele Quellen gelassen darüber hinweg. Am Ende zählte für fast alle wohl eher das individuelle Schicksal nach dem Tode, jedenfalls mehr als die große weite Welt.

 

"Falsche Lehrer" gibt es schon zur Zeit des "großen" Karl, und er bekämpft sie mit aller Macht. Da ist die spanischen "Irrlehre" des Adoptianismus, die es zu vernichten gilt und ist der ebenfalls letztendlich vom Kaiser zu entscheidende, aus Byzanz kommende Bilderstreit. 

Unter Ludwig ("dem Frommen") ist da ein sehr gelehrter Mönch namens Gottschalk, der die Lehre von einer doppelten Prädestination für Himmel und Hölle verkündet, die durchaus Einfluss bis in einige Häupter der Kirche hat. Dann will er auch nicht an die Bedeutung guter Werke glauben. Aber als Abweichler wird er mit brutalen Schlägen dazu gezwungen, seine eigenen Schriften zu verbrennen, um dann in einem Kloster eingesperrt zu werden. Immerhin überlebt er noch.

Um dieselbe Zeit denkt der belesene Amalarius von Metz, Erzbischof von Lyon, zu selbständig im Räderwerk der Macht, weil er die Liturgie allegorisch verstehen möchte, und wird 838 auf einer Synode zu Quierzy verurteilt.

 

Mehr noch als ihre Vorgänger erkennen Karl („der Große“) und Sohn Ludwig („der Fromme“) das Potential der auf die Mächtigen zugeschnittenen Religion für ihre Machtausübung.

Von der Kirche werden Könige auf legendär alttestamentarische Vorbilder wie Salomo und David orientiert, jene, die einvernehmlich mit ihren Priestern das Gesetz des jüdischen Gottes auf Erden verwirklichten. Als gottgesandte Herrscher sorgen sie sich eingehend um deren Funktionsfähigkeit als Rechtfertigung von Macht und deren Propagierung. Mit der Annäherung Karls an das römische Papsttum und dann der Legitimierung eines Kaisertitels durch dieses beginnt eine neue Stufe der „Christianisierung“ von Herrschaft. Dabei bleiben diese Herrscher weiter Herren über ihre Kirche und definieren ähnlich wie schon Kaiser Konstantin, was einheitlicher rechter Glaube zu sein hat. Wo es ihnen wichtig erscheint, setzen sie Gefolgsleute als Bischöfe und Äbte ein, letztere auch schon mal über mehrere Klöster.

 

 

Mag Herrschaft auch noch so religiös verbrämt sein, zeigen tut sie sich auch durch den Luxus, mit dem sie sich kleidet. Karl der Große trägt zu bestimmten Festtagen ein kostbares Königsgewand, während er alltäglich in gewöhnlicher fränkischer Tracht herumgelaufen sein soll. In Einhards Karls-Vita heißt es :

Bei festlichen Gelegenheiten schritt er in einem mit Gold durchwirkten Kleide und mit Edelsteinen besetzten Schuhen einher, den Mantel durch eine Spange zusammengehalten, auf dem Haupte ein aus Gold und Edelsteinen verfertigtes Diadem.

 

Eine Abbildung zeigt den Karolinger Lothar I. um 840.

"Der goldene Mantel ist mit einer vermutlich kostbaren Fibel verschlossen. Darüber eine ebenfalls goldfarbene Tunika, beides mit Edelsteinen übersät, wie auch die Krone. Langstab (noch kein Szepter) und Zeremonialschwert sehen ebenfalls goldfarben aus und zahlreiche Edelsteine sind appliziert. Selbst die Schuhe sehen goldfarben aus und das Kissen auf dem Faltstuhl hat goldene Flecken, während selbst der kleine Teppich zu Füßen des Herrschers nicht nur goldfarben ist, sondern ebenfalls von Edelsteinen geziert." (Laudage in LHL S.93) 

 

Das alles drückt jenen erfolgreich agierenden Willen zur Macht aus, der sich nicht nur in Gewalttätigkeit und Repression, sondern auch in dem Ausdruck hochwohlgeborener Attraktivität äußert.

 

Wie sein Palastbau in Aachen und das höfische Leben darin ist das Teil einer Art bescheidener "Romanisierung" als Zivilisierungsschub. Dazu gehört die Förderung lateinischer Textkenntnis und Schriftlichkeit und die Förderung von Unterrichtung einer kleinen, im wesentlichen geistlichen Oberschicht, - auf die römische (Spät)Antike hin orientiert. Dazu holen sich Karl und Ludwig belesene Äbte und Bischöfe an ihren Hof, die sich dafür in seiner Macht sonnen dürfen und mit entsprechenden Ämtern belohnt werden. Mehr Schriftlichkeit soll mehr Verwaltung der Macht mit sich bringen, vor allem Kanzleien, die aus der Hofkapelle hervorgehen, ohne dass das Macht vorläufig sonderlich stabilisiert. Dafür beaufsichtigt Karl die Kirche und kontrolliert und beeinflusst ihre Glaubensinhalte auf großen Reichssynoden. 789 fordert er in der 'Admonitio generalis' die Durchsetzung des römischen Kirchenrechtes in seinem Reich.

 

Solche Romanisierung erreicht aber tatsächlich nur den Hof, wenige Gelehrte und wenige Spitzen von Kirche und Kloster. Mit ihrem Geister- und Wunderglauben sind diese oft zugleich mit der Vorstellungswelt der allermeisten Menschen verbunden, die anderererseits illiterat sind, im Rahmen von Zivilisierung zunehmend getrennt von ihren tradierten Welten und dabei zugleich außerhalb des Blickfeldes der höfischen Welt, solange sie brav für deren Luxus und deren Kriege arbeiten.

 

Das neunte Jahrhundert versucht insbesondere in Westfranzien die Belesenheit und Verfügbarkeit von Texten aus der Zeit Karls ("des Großen") weiter zu führen und zu erweitern, bevor diese Entwicklung dann in etwa mit dem Tod Karls ("des Kahlen") abbricht. Dabei entfaltet sich weiter die Praxis, Vernunft und Vernunftfeindliches (Religion) so zu vermengen, wie es den Machthabern gefällig ist.

 

Im Zuge solcher Entwicklungen werden Bischöfe und Äbte mächtiger und selbstbewusster, und sie nehmen im neunten Jahrhundert dann an den zentrifugalen Gruppenbildungen der weltlichen Großen teil, deren Interesse ebenfalls die Abwehr stärkerer königlich-kaiserlicher Machtfülle ist.

 

Nachdem die lange Zeit der großen kriegerischen Eroberungen im frühen neunten Jahrhundert vorbei ist, betrachten viele weltliche und geistliche Große, also kriegerische Großgrundbesitzer mit bewaffnetem Gefolge, jede Machterweiterung der Könige/Kaiser mit Misstrauen und kämpfen bei Gelegenheit dagegen an. Bei den Reichsteilungen Ludwigs („des Frommen“) unter seine Söhne neigen sie dazu, denjenigen bei ihren Machtkämpfen zu folgen, die ihnen die meisten Vorteile bieten.

 

Vier bzw. fünf Jahrhunderte „fränkischer“ Reichsbildung und Herrschaft hinterlassen drei Reichsteile, die westliche und östliche Francia und Italien, die wiederum in voller Auflösung sind. Weltliche Herren mit Titeln wie Grafen oder Herzöge, mächtige Bischöfe und Äbte erweisen sich als stärker als die dennoch geduldete  jeweilige Zentralgewalt mit ihren geringen Möglichkeiten, und nur im durch das 10. Jahrhundert von einer sächsischen Familie nun beherrschten Ostreich und im angelsächsischen England entwickelt sich überhaupt eine neue nennenswerte Zentralgewalt, während das Westreich in Fürstentümer zerfällt und nördlich vom Papststaat neben Tuszien Stadtstaaten am Anfang ihrer Entwicklung stehen.

 

Den Herrschern fehlen die Machtmittel, und das ist vor allem ein professionelles und von ihnen bezahltes Heer und eine die Reiche durchdringende Verwaltung. Stattdessen sind sie auf Krieger angewiesen, die sich aus ihrem Eigentum versorgen und entsprechend selbständig sind. Sie sind auf Bischöfe und Äbte angewiesen, die immer reicher und mächtiger werden und auch mit der zunehmenden Christianisierung des Königtums diesem immer selbstbewusster entgegentreten können. Könige besitzen kein adäquates Steuersystem und sind so auf ihr Eigentum und das Wohlwollen solcher militärischer Gefolgschaft angewiesen. Die Korruption, also das Eigeninteresse derjenigen, welche Könige beauftragen, Grafen und Königsboten, können sie kaum kontrollieren. Eine wirksame Verwaltung ist das nicht, und die weithin fehlende Schriftlichkeit außer bei Bischöfen und Äbten verbunden mit den weiten Wegen zu Pferde wirkt entsprechend. Eine sich aus der Hofkapelle entwickelnde kleine Kanzlei stellt zwar zunehmend mehr Urkunden aus, die aber wenig königlichen Willen durchsetzen. Auf ein „Volk“ jenseits der kleinen Herrenschicht haben sie kaum Einfluss, und dieses hat ohnehin keine Macht.

 

 

Das Recht ist in allen Zivilisationen an Macht und Stärke gebunden, mit denen definiert wird, was Gerechtigkeit sei. Darum sind Könige oberste Richter-Instanz. Recht taucht in den inzwischen verschriftlichten tradierten Volksrechten auf und seltener in den Verordnungen der Herrscher. Rechtsprechung ist ihrem Wesen nach nicht einfach Diktat von oben, sondern soll möglichst konsensual der Friedensstiftung als Wiederherstellung der von den Mächtigen gewünschten Ordnung dienen. Deshalb werden, soweit möglich, außergerichtliche Einigungen vorgezogen, für die oft auch Vermittler wichtig werden. Die Rechtsfindung mit Eiden und Gottesurteilen ist ohnehin nicht mit späteren Standarden zu vergleichen. Andererseits gilt für hinreichend mächtige Freie das Fehderecht, wenn sie sich begründet ungerecht behandelt sehen und ihnen kein Mächtigerer hilft.

 

 

***Eroberungen und Bedrohungen: Krieg, Gewalt und Leid***

 

Das Reich des ersten Merowingerkönigs geht aus einer Serie von Eroberungskriegen hervor, und das bleibt so bis ins in die späte Zeit Karls („des Großen“). Dabei wird die antik-römische Barbaren-Vorstellung nun auf die "Ungläubigen" übertragen und die Minder-Zivilisierten werden nicht selten als "Wilde" oder gar "Tiere" angesehen, was sich dann bis ins 19. Jahrhundert halten wird.

 

Solcher Krieg der wohlhabenderen Freien zu Pferde sowie der übrigen Freien als Infanterie ist nicht ständig überall, aber jedes Sommer-Halbjahr irgendwo, entweder an den Außengrenzen oder im Reich selbst. Schwerter, Lanzen, Äxte, Keulen und Pfeil und Bogen dienen der Metzelei, dem Töten und Verwüsten. Dabei nimmt der Anteil freier Bauern im Heer immer mehr ab und der von teilweise mit Benefizien versehenen Vasallen (immer mehr zu Pferde) zu. Teilnehmer erwarten von ihrem Kriegsdienst nicht zuletzt auch Beute, was ihr räuberisch-brutales Verhalten bestimmt.

 

Was den mehr oder weniger unfreien Produzenten an Gewalttätigkeit verboten ist und kriminalisiert wird, ist Lebenselixir einer beutegierigen und ruhmsüchtigen Herrenschicht, welches sie auch im Inneren als Fehderecht ausleben kann. Selbst Bischöfe und Äbte ziehen in den Krieg, nehmen entweder selbst Waffen in die Hand oder delegieren (eher) den direkten Waffengebrauch. Vor und nach dem Krieg wird von hohen Herren in großem Maßstab gejagt, eine Art Krieg gegen größere Mit-Lebewesen, was den Produzenten ebenfalls immer mehr erschwert wird, die das zur Ernährung brauchen könnten.

Man lebt in einer Welt, in der Friedfertigkeit sich für die Machthaber nicht auszahlt. Immerhin ist der Islam ebenfalls aggressiv, von der iberischen Halbinsel aus, an der nördlichen Mittelmeerküste und gegen Byzanz. Sachsen und Westslawen geben sich nichts in gegenseitigen Beutezügen, die Sachsen und „Franken“ führen vor der Eroberung der ersteren wiederkehrende Raubzüge gegeneinander.

 

Sengen und verwüsten (Reichsannalen) sind die beiden zentralen Tätigkeiten der fränkischen Heere durch wenigstens zwei Jahrzehnte gegen die Sachsen, und so heißen sie auch in den offiziellen Texten der Franken Jahr für Jahr. 

Der König säte Verzweiflung unter vielen Sachsen und zerstörte ihr Gebiet (...) Er verwüstete alles, brennend und plündernd, tötete eine große Zahl Sachsen, die versuchten, Widerstand zu leisten, und kehrte mit einer riesigen Beute zurück (...) Hass gegen das verruchte Volk (..). Er ordnete an, dass alles durch das Feuer und das Eisen zerstört werden sollte (...) im Verlauf von 25 Tagen durchquerte er das Land, es verbrennend und zerstörend. Riesige Beute und zahllose Gefangene, Männer, Frauen und Kinder, wurden mitgenommen (usw.usf. Eine längere Aufzählung gibt es bei Minois, Charlemagne, S.180)

 

Die militarisierte Minderheit aus Herren darf kämpfen und geradezu fröhliches Heldentum im Verletzen, Zerstückeln und Vergewaltigen ableisten, die auch dafür arbeitenden Volksmassen sind keine elementar anderen Menschen und bescheiden sich notgedrungen mit kleiner dimensionierter unerlaubter Räuberei, mit Totschlag und was sonst noch so gerade anliegt – und werden, wo erwischt, dafür bestraft. Menschen sind von vorneherein selten friedfertig, aber die rund 95% Hersteller von Nahrungsmitteln und anderen Gütern sind nicht nur dazu gezwungen, sich unter Druck von oben mehr im Frieden einzuüben, sondern sie haben auch unmittelbar mehr davon.

 

Das insgesamt schreckliche Maß an Gewalt und oft auch Grausamkeit soll den Herrenmenschen nicht nur zu Ruhm und Reichtum dienen, sondern zu einer zweiten Legitimation von Macht: Bei soviel Gefahren soll Macht dem Schutz der vielen relativ Ohnmächtigen dienen, und neben seiner religiösen Propaganda dient diese Schutzfunktion dann insbesondere seit dem „großen“ Karl dazu, Herrschaft im Großen wie regional und lokal zu rechtfertigen. Also: Die Gewalttätigkeit der Herren kann (auch) dazu dienen, die Untergebenen vor dieser zu schützen. Und so widmet sich Karl in seinen Kapitularien auch dem Schutz der Armen und Schwachen, obwohl das auch noch unter seinen Nachfolgern wenig effektiv bleibt.

 

Solchen Schutz gewähren propagandistisch noch lauthalser Bischöfe und Äbte, wobei es bei Armenspeisungen und ähnlichem sehr überschaubaren Umfangs bleibt, die im übrigen letztlich auch aus den Leistungen der einigermaßen friedlich arbeitenden Menschen herrühren. Tatsächlich sind die meisten Menschen bei Hungersnöten, Seuchen und anderen Katastrophen weitgehend sich selbst überlassen und werden von der Geistlichkeit damit getröstet, dass es sich um Strafen ihres Gottes handelt.

 

Machthaber in Zivilisationen schaffen die Probleme, mit deren Bewältigung sie sich dann rechtfertigen. Sie leben von der Arbeit ohnmächtiger Massen, die sie dann aus Eigeninteresse zugleich machtvoll schützen müssen. Sie praktizieren Gewalt, sind aber am Frieden dort interessiert, wo für sie gearbeitet wird.

 

Im neunten Jahrhundert ist die Expansion des einen und dann der mehreren Reiche weitgehend abgeschlossen und es geht nun gewalttätig gegeneinander. Anders gesagt, das Gewaltpotential der „fränkischen“ Herren richtet sich nun stärker auf einander mit der Folge, dass der arbeitende Teil der „eigenen“ Bevölkerung noch stärker Leidtragender wird.

 

***Wenig gebändigte Geschlechtlichkeit***

 

Die nicht angeheirateten Bettgefährtinnen Karls ("des Großen") gehörten sicher zur Normalausstattung eines mächtigen Großkriegers, und seinen Töchtern verbietet er die Ehe wohl nur, damit sich keine hohen Untertanen dadurch zu großmächtig fühlen können. Ihre sexuellen Bedürfnisse dürfen sie als Töchter des Großpotentaten aber offenbar unehelich und relativ hof-öffentlich nach gusto ausleben und entsprechend uneheliche Kinder bekommen.

 

Ludwig ("der Fromme") ist unter den Mächtigen offenbar eher eine Ausnahme, was Monogamie im Erwachsenenalter betrifft. Aber als er mit sechzehn zum ersten Mal heiratet, hat er bereits von Konkubinen eine Tochter und einen Sohn und der Astronomus bescheinigt ihm eine gewisse sexuelle Heißblütigkeit in jungen Jahren.

 

In seiner Zeit beschuldigen Machthaber, die ihre Ehefrauen los werden wollen, diese des Ehebruchs, der Sodomie und was ihnen sonst so einfällt und gehen wohl davon aus, dass das alles nicht ganz unplausibel klingt.

 

Die widerliche Geschichte von Lothar II. und Theutberga mag zwar im Kern von dem Wunsch nach einem legitimen Erben handeln, beschreibt aber zugleich, wie Mächtige damals mit Frauen umgehen. Nachdem der Herrscher von Theutberga keinen (ehelichen) männlichen Nachkommen hat, will er zwei Jahre später 857 zu seiner früheren Sexualpartnerin Waldrada zurück, von der er immerhin einen Sohn hat. Um Theutberga loszuwerden, behauptet er, sie habe analen Geschlechtsverkehr mit ihrem Bruder gehabt, habe mit Hexenkraft so ein Kind gezeugt bekommen, welches sie dann abgetrieben hat.

858 übersteht Theutberga ein sogenanntes Gottesurteil, wird dann aber 860 gezwungen, zu "gestehen" und ins Kloster zu gehen. 862 wird Waldrada auf einer Synode zur Königin erhoben. 863 lehnt der neue Papst Nikolaus I. das Ganze ab, setzt die beiden Erzbischöfe ab, die mitgespielt hatten, und verlangt von Lothar, dass er seine legitime Frau zurücknehme. Die Herrscher in den beiden Nachbarreichen wollen von dem Skandal profitieren, und am Ende übernehmen in der Tat nach dem Tod Lothars in Italien 869 seine Verwandten Karl ("der Kahle") und Ludwig ("der Deutsche") Lothringen.

 

Wie es unter den Mächtigen so zugeht, berichten die Annalen von St.Bertin für 869:

Karls("des Kahlen") Frau Irmintrud war fern vom König im Kloster gestorben, und alsbald (exsequente) schickt er den Boso (...) an dessen Mutter und deren Schwester Theutberga, die Witwe König Lothars, ließ sich Richildis, die Schwester dieses Boso, zuführen und nahm sie zur Beischläferin (in concubinam accepit): um deswillen gab er diesem Boso die Abtei des heiligen Mauritius nebst anderen Lehen und begab sich selbst, jene concubina mit sich führend, eilends auf den Weg nach der Pfalz zu Aachen (...) (in: QuellenkarolReichsgeschichteII, S.205) Im folgenden Jahr wird er seine Konkubine dann heiraten.

 

Nur selten hört man von Übergriffen der mächtigen auf Mädchen und Frauen, die offenbar zu gewöhnlich sind, um einer Erwähnung wert zu sein. 882 zieht König Ludwig von Westfranzien gegen die Normannen, und vermutlich wäre Folgendes nie aufgeschrieben worden, wenn er nicht dabei tödlich verletzt worden wäre:

Aber jung wie der König eben war (quia iuvenes errat !), verfolgte er ein Mädchen, die Tochter eines gewissen Germund; und da diese sich in das väterliche Haus flüchtete, setzte ihr der König zu Pferde im Scherz (!) dahin nach, wobei er sich am Türstürz die Schultern und und am Sattel seines Pferdes die Brust aufrieb und eine heftige Quetschung erlitt. (Annales Verdastini in: QuellenkarolReichsgeschichteII, S.303)

 

 

Was all das angeht, was doch so wichtige Dinge im Leben der Menschen sind, so können wir über die mehr als 90% produktiv arbeitender Bevölkerung noch viel weniger Aussagen machen. Hier geht es auch im Verhältnis der Geschlechter um die Not Wendendes; Ehe, Familie und Verwandtschaft sind lebensnotwendig und auf das wenige Wichtige konzentriert.

Einen Hinweis geben vielleicht fränkische Synoden der Mitte des achten Jahrhunderts, in denen Fälle einer gerechtfertigten Scheidung erwähnt werden, nämlich "dass ein Mann mit der künftigen Schwiegertochter verkehrte oder mit einer fremden Frau und zugleich deren Tochter Ehebruch trieb, dass ein Ehepartner beim Eheabschluss seinen unfreien Rechtsstand verheimlichte" (usw., Angenendt(2), S.290). Das sind wohl keine ganz seltenen Fälle, gibt aber keine wirkliche Auskunft über den Alltag.

 

Zwischen Mägden und ihren wohlhabenderen Herren dürften sexuelle Übergriffe, darunter wohl auch eher Einvernehmlicheres, häufiger gewesen sein, und selbst rohe Vergewaltigungen sind wohl nicht selten. Im Prümer Urbar tauchen unter den servi non casati zahlreiche Frauen auf, die unverheiratet sind, aber mehrere Kinder haben, - ohne das über die Erzeuger ein Wort verloren wird.

So etwas wird damals in aller Regel nicht geahndet, es gehört wohl bis ins späte Mittelalter zumindest dazu und diese Situation soll sich ja auch bis ins 19. Jahrhundert nur wenig ändern: Handelt es sich nicht um den Arbeitgeber selbst, dann eben um seine Söhne.

 

Vergewaltigungen alleinstehender Frauen werden ohnehin geringfügig oder gar nicht geahndet, und bekanntlich wird das bis zu einem gewissen Grad bis ins 20 Jahrhundert so gelten. Wenn man den Annalen des 9./10. Jahrhunderts folgt, dann sind Heerzüge und Kriege neben anderen Greueltaten immer von Vergewaltigungen der weiblichen Bevölkerung begleitet. Die "heidnischen" Wikinger (pyrates) oder Nordmänner oder Dänen, wie auch immer sie genannt werden, ergänzen das durch Versklavung ihrer Opfer.

Aber christliche Heere scheinen nicht viel besser zu sein. Kriege sind Verwüstungszüge, die Heere müssen sich vor Ort versorgen und ihre Aggressionen loswerden. Machthörige Chronisten berichten davon nur, wenn es ihnen opportun erscheint.

Als Kaiser Ludwig 864 in Rom ist, verprügeln seine Leute Priester Der Kaiser verließ nach wenigen Tagen Rom,, nachdem von seiner Begleitung viele Räubereien verübt, Häuser zerstört, Nonnen und andere Frauen geschändet, Männer getötet und Kirchen geplündert worden waren. (Annales Bertiniani in: QuellenkarolReichsgeschichteII)

 

 

Vor den Anfängen von Kapitalismus

Wurzeln I: Produzenten und Produktionsverhältnisse

 

Der Herrschaftsraum der Karolinger ist im wesentlichen ländlich-agrarisch geprägt, wohl rund 95% der Bevölkerung sind Bauern. Ausgenommen ist der Mittelmeerraum, wo es ausgeprägtere Stadtlandschaften gibt, zum Beispiel in der Provence oder der Poebene. Karls Germania, also vorwiegend die von Merowingern und Karolingern unter fränkische Aufsicht gebrachten rechtsheinischen Gebiete, teilt sich in den teilweise romanisierten Süden und Westen und die ganz anderen sächsischen, hessischen und thüringischen Gebiete, die noch zu nicht geringem Teil aus Waldland, Sümpfen und ähnlichem bestehen.

 

Bislang kamen die meisten Menschen im Karolingerreich in diesem Großkapitel kaum vor. Das liegt nicht nur daran, dass sie in den uns heute vorliegenden Text-Quellen, geschrieben von meist höheren geistlichen Herren, nur sehr wenig Beachtung finden, sondern auch, dass sie im Machtspiel der Herrenschicht nur eine rein dienende Rolle einnehmen, und dort, wo sie da (selten) ausbrechen, sofort bestraft werden.

Die wichtigste, ja fundamentale Aufgabe fast aller dieser vielen Menschen ist es, Nahrungsmittel zu produzieren, um damit sich selbst und vom erstrebten Überschuss ihre weltlichen wie geistlichen Herren zu ernähren. Darüber hinaus gibt es eher wenige handwerkliche Spezialisten, die sowohl für die Bauern (die laboratores oder rustici) wie für die Herren Waren herstellen. Schließlich gibt es noch Händler, die zwischen Produktion und Konsum vermitteln und Waren auch von weither, meist Luxusgüter, heranschaffen.

Dies alles geschieht auf einem so niedrigen Niveau, dass sich daraus noch kein Kapitalismus entwickeln kann, ja, es gibt auch nur ganz wenige Kapitaleigner, und diese nur im Bereich des Fernhandels. Das Reich bzw. die Reiche der Karolinger sind ländlich-agrarisch geprägt, Pfalz, Kathedrale und Kloster ragen schon alleine baulich wie Inseln daraus hervor.

 

 

Grundherrschaft

 

Der Verfall von Staatlichkeit und der antiken Stadt hatten zunächst das Land entlastet und mit dem Untergang eines Teils der antiken Latifundien entsteht mehr freies, von Kleinfamilien gestütztes Kleinbauerntum, welches eine wesentliche Voraussetzung für Wachstum auf dem Lande wird. Vorantreiben werden dieses entsprechend vor allem die nachantiken Kleindomänen, deren Herren als neue ländliche Oberschicht nun vor Ort leben und ein direktes Interesse an der Bewirtschaftung des Bodens entwickeln, anders als die antiken stadtsässigen Latifundienbesitzer.

 

Gegen Ende des 3. Jahrhunderts beginnt das Schrumpfen der Bevölkerung im römischen Gallien. Es wird vermutet, dass es teilweise bis ins 6. Jahrhundert anhält. Aber in der Merowingerzeit wächst die Bevölkerung nach Stabilisierung der Machtverhältnisse langsam wieder und soll sich sogar innerhalb von vier Jahrhunderten verdoppeln. In einigen wenigen dichtbesiedelten Gebieten des Karolingerreiches soll am Ende eine ländliche Bevölkerung von 40 Menschen auf einen Quadratkilometer erreicht worden sein, wie im Großraum um Paris.

 

Bisherige Forschung hat ergeben, dass wohl zwischen etwa 500 und 1000 unserer Zeitrechnung eine nicht unerhebliche Erwärmung der Luft stattfindet, die Grönland seinen grünen Namen gibt und England im 8./9.Jahrhundert mit Olivenbäumen versieht. Damit kann bis höher nach Norden Weizen wachsen und bis in größere Höhenlagen Roggen.

 

 

Bis zur ersten Jahrtausendwende verschwinden die Höfe vieler kleiner freier Bauern und geraten unter die Machtvollkommenheiten von Herren der villae. Gemeinhin wird heute angenommen, dass das Überhandnehmen der Getreidewirtschaft gegenüber der Viehzucht seit dem 8. Jahrhundert die Unterwerfung der Bauern unter Herren weiter vorantreibt. Da der Getreideanbau arbeitsintensiver ist, sind Bauern immer unabkömmlicher von ihren Höfen und fallen darum für den Kriegsdienst als bewaffnete Reiter aus (Max Weber, Otto Brunner).

Die freien Bauern sind ursprünglich die Basis des fränkischen Heeres. Das ändert sich langsam, als gepanzerte und schwerer bewaffnete Reiter immer wichtiger werden. 807 bestimmt Karl ("der Große"), dass nur noch selbst Heeresfolge leisten muss, wer mindestens drei Hufen oder ein Lehen besitzt. Die anderen müssen sich miteinander verbinden, um noch einen Mann in den Krieg zu schicken.

Schon in Kapitularen Karls d.Gr. wie von 811 wird beschrieben, dass der Weg in die bäuerliche Abhängigkeit zum Beispiel mit der Vermeidung des Kriegsdienstes beginnt, oder aber der Annektierung bäuerlichen Landes durch den Herrn während des Kriegsdienstes. Dazu kommt das Argument des örtlichen Schutzes durch den Grundherrn vor Räubern und anderem Gesindel, die Hoffnung darauf, bei nicht seltenen Ernteausfällen und anderen Hungersnöten von den größeren Ressourcen des Grundherrn durchgefüttert zu werden und manches mehr.

Die Tendenz von Grundherrn, freie Bauern auch gegen deren Willen in die Abhängigkeit, Hörigkeit (das heißt: den Gehorsam) zu bringen, kann vermutet werden, für die Zeit der Karolinger ist sie dadurch belegt, dass sich sowohl Karl ("der Große") wie auch Ludwig ("der Fromme") in Kapitularien dagegen wenden. Einem Bericht des Kaisers Karl von 811 ist zu entnehmen, dass es auch Druck und Gewalt gibt, mit denen Herren Bauern enteignen:

Die Armen (pauperes) klagen, sie würden aus ihrem Eigentum vertrieben; und diese Klage erheben sie gleichermaßen gegen die Bischöfe, Äbte und deren Vögte wie gegen die Grafen und deren Centenare.

Sie sagen auch: wenn jemand sein Eigen (proprium suum) dem Bischof, Abt, Grafen, Richter oder auch dem Amtmann oder Centenar nicht geben will, suchen sie Gelegenheiten, diesen Armen zu verurteilen und ihn immer wieder gegen den Feind ziehen zu lassen, bis er, verarmt, sein Eigentum wohl oder übel übergibt oder verkauft; andere aber, die es schon übergeben haben, bleiben ohne Belästigung durch irgendjemand zu Hause. ( in: Franz, S.72)

In einem Kapitular Karls desselben Jahres heißt es:

Es ist auch zu fragen, ob der der Welt entsagt, der täglich seinen Besitz auf jede Art und Weise vermehrt und davon nicht ablässt (...) bald durch Androhung der ewigen Strafen der Hölle und im Namen Gottes oder irgend eines Heiligen den Reichen wie den Armen ihrer Güter beraubt und deren Erben um ihr rechtmäßiges Erbe bringt (in: Franz, S.74) Dennoch wird der Edle Ratolf 839 seinen Besitz samt Eigenkirchen und Menschen dem Hochstift Freising übergeben, damit sein Erbe unter die ewigen Himmelsschätze vor Gott, der lebt und herrscht, gerechnet werde. (in: Franz, S.106) Ein gewisser kirchlicher Druck ist dabei zu vermuten.

Das ist alles sehr deutlich, nur besitzt der Kaiser kaum Mittel, die Unterwerfung freier Bauern unter das Joch von Kirche und Kloster zu verhindern. Solche Vorgänge sind aber im Detail erst später in Quellen belegt.

Bauern können zunehmend ihre Freiheit nicht mehr selbst verteidigen und fallen damit unter den "Schutz" von kriegerischen Herren. Wer produktiv arbeitet, tut dies nun auf herrschaftlichem Grund und Boden.

 

Große Grundherrschaft wird nun immer dominanter. Der Form nach ist Grundherrschaft zunächst gegenüber halbfreien Bauern wie die Vasallität eine persönliche Beziehung auf Gegenseitigkeit und zum gegenseitigen Vorteil, allerdings mit einer ausgeprägter vertikalen Machtstruktur. Tatsächlich bedeuten die Verhältnisse innerhalb der familia des Grundherrn jedoch große Vielfalt von Formen der geringeren oder größeren Unfreiheit.

 

Nach und nach bildet sich mancherorts, besonders im fränkischen Kernland der Francia, die heute so genannte Villifikationsverfassung heraus, mit ihrer Trennung in den Herrenhof (villa) und die auf ihren Hufen siedelnden, vom Herrn persönlich abhängigen Bauern. Sie ist vor allem für klösterliche Grundherrschaften überliefert. Für den Adel sind Urbare erst seit dem 13. Jahrhundert überliefert.


Zentrum der Grundherrschaft ist dabei die villa oder curtis des Herrn, der Salhof, mit Wohngebäuden, Scheunen, Ställen und Werkstätten, Backhaus, Brauhaus bzw. Kelter, Spinn- und Webstuben, eventuell einem Fischteich. Wo möglich kommt dazu eine Wassermühle. Dort arbeiten Sklaven und Hörige. In den Werkstätten werden vor allem die Werkzeuge hergestellt und instandgehalten, die die Landwirtschaft braucht. Vermutlich wird dort manchmal auch für einen Markt gearbeitet. Daneben gibt es die rein weiblich besetzten Textilwerkstätten in Frauenarbeitshäusern, geniciae; um 810 sind es beim Hof Staffelsee in Bayern 24 Frauen, die vor allem mit Leinen und Wolle arbeiten: Es gibt daselbst ein genitium, in dem sich 24 Frauen aufhalten. Wir fanden darin 5 wollene Gewänder mit 4 Gürteln und 5 Hemden. (in: Kuchenbuch, S.114) 

Solche häufiger anzutreffenden Frauenhäuser bieten bei großen Anwesen auch schon einmal Überschüsse für den Markt an. Die Hörigen bzw. Sklaven, die ganz dort arbeiten, servi non casati, hausen in einfachen Hütten, oft mit ein wenig Gartenland versehen.

 

Dieser Hof (lat. curtis) mit gelegentlich um die 500 ha ist mit Palisaden oder bei ganz vornehmen einer Steinmauer und Türmen umgeben und befestigt. "Alles in allem gewinnen wir weniger den Eindruck eines Bauernhofes als vielmehr den eines kleinen Dorfes" (Leiverkus in LHL, S.173), allerdings eines, welches streng hierarchisch gegliedert ist.

Überliefert ist das Inventar des königlichen Hofes von Annapes bei Lille von etwa 800 mit der Besonderheit eines Königshauses aus Stein "mit dem >Königssaal< und drei Zimmern, 11 Kammern, einem Keller und zwei Vorhallen. Innerhalb der umzäunten curtis befanden sich 17 weitere, einräumige Holzhäuser, ein Stall, eine Küche, ein Backhaus, zwei Scheuern und drei Geflügelställe. Den Eingang bildete ein Steintor mit Söller, von dem aus die Anweisungen gegeben wurden." (Goetz, S.119)

 

Zur Villa gehört die eigentliche Domäne, die bei Klöstern in den nördlicheren Gegenden riesig sein kann und viel Arbeitsdienste verlangt. Östlich vom Rhein ist sie zunächst kleiner und Italien noch kleinerer und eher fragmentiert, "mit entsprechend geringeren Arbeitsleistungen von vielleicht nur zwei bis drei Wochen im Jahr." (Wickham(3), S.534f)

 

Das übrige Land des Herrn wird unter den Karolingern in Mansen oder Hufen aufgeteilt, die so groß sind, dass sie eine Familie ernähren können, zwischen einem und 10 ha meist. Dort leben die Hufenbauern, die in völlig verschiedenen Verhältnissen von Freiheit oder Unfreiheit für ihre Selbstversorgung arbeiten, zudem zeitweilig Arbeitsleistungen direkt für den Herrn erbringen und dann auch noch einen Teil ihres Ernteertrages abgeben müssen. Für die Grundherrschaft Staffelsee des Bistums Augsburg heißt das zum Beispiel: Es gehören zu derselben curtis 23 besetzte mansi ingenuiles (...) 19 mansi serviles sind besetzt. (in: Kuchenbuch, S.114). Unbesetzte Mansen, also ohne sie bearbeitende Kleinfamilie, gibt es in fast allen großen Grundherrschaften.

 

Ziel der gesamten Grundherrschaft ist insbesondere als Villifikation eine gewisse Selbstversorgung, aber eben darüber hinaus möglichst auch Produktion für einen Markt.

 

Besonders mächtige Grundherren besitzen mehrere, manchmal zwanzig oder mehr solche Herrenhöfe mit Hufenland, die weit verstreut liegen können. Der am Rhein liegende Hof Friemersheim des Klosters Werden (bei Essen) hat Salland, unmittelbares Herrenland bei fünf Ortschaften, gut 122 Hufen in zwanzig Orten, von denen die meisten allerdings nicht allzu weit auseinander liegen. An der Spitze solcher Fronhöfe steht dann ein villicus oder maior, der den Komplex für den Herrn verwaltet. Ein solcher Verwalter ist ein minister, ein selbst abhängiger Dienstmann. Aus solchen Leuten wird sich ländliche Ministerialität entwickeln.

 

"Die Grundherrrschaft des Klosters Prüm war am Ende des 9. Jh. in drei Oberhöfe, Prüm, Münstereifel und St.Goar, eingeteilt, denen insgesamt 42 Herrschaftsgüter mit über 1600 ha Ackerland und 2118 Hufen angeschlossen waren. Das Kloster St.Germain-des-Prés besaß um 820 mindestens 23 Höfe mit über 4700 ha Salland und 1150 Hufen. Das Bistum Augsburg verfügte um 800 über neun Fronhöfe mit 1507 Hufen, von denen 1427 besetzt waren." (Goetz, S.120, andere Zahlen weiter unten)

 

Über den Umfang des Grundbesitzes eines wohlhabenden weltlichen Herren erfahren wir aus der Zeit Karls d.Gr. dadurch, dass ein königlicher fidelis Otakar aus dem Wormsgau mit seiner Gemahlin Hruodswind (vielleicht, weil sie nur eine Tochter haben) nach und nach zumindest große Teile davon verschenken:

An das Kloster Fulda geht 754 ein Wingert bei Wackernheim, 772 erhalten "die Mönche außerdem einen Herrenhof mitsamt einem Haus, das er selbst bewohnte, dazu die Hälfte seines Eigentums, das er in Wackernheim von seinen Eltern geerbt oder zwischenzeitlich hinzuerworben hatte, sowie die Hälfte seines Gutes in Saulheim." Allerdings alles erst nach dem Tode beider und ihrer Tochter. 774 gehen an Fulda unter derselben Bedingung "in Wackernheim eine weitere Hofstelle mitsamt Haus, einem Weingarten, einer Wiese und vier Unfreien". 775 gehen "die Hälfte von zwei Tagwerken Land" an eine zu Fulda gehörende Kirche in Bretzenheim. Dazu besitzen sie noch weitere Ländereien. (alles in und laut Patzold, S.29f). Dazu kommen jene beneficia an vier Orten, die nach dem Tode an den König zurückfallen, der offensichtlich der Bitte entspricht, sie dem Kloster Fulda zu schenken. "Allein in Mainz umfasste das beneficium 25 Hofstellen, 56 Unfreie und 16 Liten ("Halbfreie"), außerdem mehrere Weinberge." (s.o.).

 

 

Mit Karls ("des Großen")  'Capitulare de villis' von etwa 795 ist ein einzigartiges Dokument zum damaligen Großgrundbesitz erhalten.

Darin sind die Aufgaben und Pflichten der Amtmänner (iudices) auf den Pfalzen zugeordneten königlichen (Fron)Höfen (villae) mit ihrer familia der Hofleute in ihren Genizien (Frauen-Arbeitshäusern) und Hufen bis ins kleinste Detail geregelt. Das ist die Aufsicht über "Recht und Ordnung", also vor allem die niedere Gerichtsbarkeit, über die Kirche, die Arbeiten der bäuerlichen und handwerklichen Produzenten und die Erträge und Ausgaben in Rechnungsbüchern (in breve). An Dienstmannen werden der Meier (maior), der Forstmeister, der Gestütsvorsteher, Kellermeister, Vögte und Zolleinnehmer usw. erwähnt (cap.10) Ganz nebenbei wird auch deutlich, dass Alkoholkonsum üblich ist (cap.16)

Deutlich wird, dass die Meierhöfe sich möglichst autark selbst versorgen und für den Besuch des Königs dort oder in seiner Pfalz vorsorgen sollen. Überschüsse zum Beispiel von Wein oder Fischen gehen für Geld (argentum) auf den Markt und dann in die königliche Kasse und in die Kriege, denen auch die Pferdezucht dient. Angedeutet wird die Attraktivität der Märkte (mercata), denn die Hofleute sollen sich nicht müßig dort herumtreiben. (cap.54)

Angebaut wird eine Vielzahl von Feldfrüchten und Gartenprodukten, alle detailliert aufgeführt, gezüchtet werden Kühe, Schafe, Ziegen, Schweine, Hühner und Gänse. Es gibt Fischteiche und Mühlen.

Wenn Vieh für den Verzehr weniger geeignet ist, dient es den Hunden als Nahrung, womit wir bei dem königlichen Jagdvergnügen sind. Zwar soll für Landwirtschaft geeignetes Land gerodet werden, aber ansonsten soll der Wald samt Wildgehegen für die Jagd geschützt und der Wildbestand samt Pfauen, Fasanen und Enten gepflegt werden. Für die Jagd dienen neben Pferden, über die es ausführliche Bestimmungen gibt, und Hunden auch Jagdfalken und Sperber.

Eine Vielzahl von Einrichtungsgegenständen sollen vorhanden sein. Auch für diese sind eine ganze Anzahl an Handwerkern (artifices) zuständig. Welches Handwerk die Genizien betreiben, wird an der Liste ihrer Materialien deutlich. Das sind Flachs, Wolle, Waid, Scharlach, Krapp, Wollkämme, Kardendiesteln, Seife, Fett, Gefäße etc. (cap.43)

Die Genizien bestehen aus Wohnhäusern (casis), Werkstuben und gedeckten Schuppen oder Webkeller(n). Starke Zäune und feste Türen sollen wohl den unerwünschten Besuch von Männern abhalten. (cap.49)

Andere Handwerker sind Grob-, Gold- und Silberschmiede, Schuster, Drechsler, Stellmacher, Schildmacher, Fischer, Falkner, Seifensieder, Brauer (...) Netzmacher usw. (cap.25).

Das Reichsgut Karls ("des Großen") wird laut 'Capitulare de villis' von iudices für jeweils mehrere villae beaufsichtigt, die auch die Rechtsprechung über die Hörigen im Namen des Königs innehaben. Zur munt, dem Schutz der Hörigen, gehört dabei auch deren Gehorsamspflicht, denn der Grundherr übt eine Art Polizeigewalt über sie aus.

 

Ähnlich wie viel später beim Plan des Klosters St.Gallen handelt es sich offenbar um die Idealvorstellung eines Meierhofs mit seinem Frauenarbeitshaus, seinen darauf arbeitenden freien und unfreien Produzenten, zu denen auch Handwerker gehören. Selbstversorgung bedeutet, dass die Menschen dort nicht nur sich selbst, sondern auch ihren hohen Herrn versorgen, dass man auch auf Märkten ein- und verkauft,  und so nach Möglichkeit Überschüsse produziert.

(Alles nach dem Text des Kapitulars in: Franz, S.38ff)

 

 

Nur zufällig ist etwas vom Umfang der kirchlichen Grundherrschaften überliefert. Erhalten ist aus der Zeit Karls d.Gr. (um 810) das Urbar, also Gesamtverzeichnis eines augsburgisch-bischöflichen Hofes in Staffelsee mit der Michaelskirche, wo folgendes zu lesen ist:

es besitzt das Bistum Augsburg insgesamt 1006 ausgegebene und 35 unbesetzte freie Hofstellen (mansos). 421 ausgegebene und 45 unbesetzte hörige Hofstellen, zusammen also 1427 ausgegebene und 80 unbesetzte Hofstellen. (in: Franz, S. 70) Die Kirche selbst ist eine Art Schatzkammer.

Dann finden wir dort den Herrenhof und das Haus mit den übrigen Bauten, die zur Kirche gehören. Dem Hof sind zugeordnet 740 Joch Pflugland, Wiesen, die 610 Fuder Heu einbringen können. Von der Ernte fanden wir bloß die 30 Fuder, die wir an die 72 Pfründner gaben, (...) weiter ein zugerittenes Ross, 26 Ochsen, 20 Kühe, 1 Stier, 61 Stück Kleinvieh, 5 Kälber, 87 Schafe, 14 Lämmer, 17 Hammel, 58 Ziegen, 12 Böcklein, 40 Schweine, 50 Ferkel, 63 Gänse, 50 Küken.

Vorhanden ist ferner ein genitium mit 24 Frauen, die an Webstühlen arbeiten, und Gebäude für andere vom Herrn abhängige Handwerker und die Hütten der den unmittelbaren Bereich des Herrenlandes bestellenden Landarbeiter.

Soweit das Herrenland, dazu kommen 23 Hufe, auf denen freie Bauern sitzen, von denen ein Teil gelegentlich Botendienste zu leisten und die Hälfte Kriegsdienste zu leisten hat. 19 Hufen sind mit mehr oder weniger unfreien Knechten besetzt, die drei der sechs Werktage Frondienste leisten müssen und deren Frauen ein Leinenhemd oder Stoff abzuliefern hatten. Insgesamt umfasst diese Grundherrschaft zwischen 200 und 300 Menschen. (nach Fried, S.220ff und Kuchenbuch, S.112)

 

Kirchengut darf nicht veräußert werden, die Kirche kann allerdings durch Gewalt oder Entfremdung unter der Hand Land verlieren. Aber das verhindert nicht, dass "sich um 700 bereits circa ein Drittel des gesamten bewirtschafteten Bodens im Frankenreich im Besitz der Kirche" befindet. (Ertl, S.48) Etwa ein Viertel des daraus resultierenden Reichtums geht in den Bau von Kirchen als massiven Steinbauten.

 

 

Mehr Informationen gibt es über klösterlichen Großgrundbesitz. Für einen überschaubar großen Fronhof bekommen wir zur Zeit Karls d.Gr. im Urbar, dem (unvollständig erhaltenen) Besitz- und Leistungsverzeichnis des Klosters Saint-Germain-des-Prés bei Paris mit seinen 23 Herrenhöfen um 830 und ca. 1200 Mansen laut dem unvollständigen Polyptichon des Abtes Irmino zum Beispiel folgendes mit: 

Das Kloster hat in Nuviliacus eine Herrenhufe mit reichlichen Nebengebäuden. Es hat dort zehn kleine Felder mit 40 Gewannen, darauf können 200 Scheffel Hafer gesät werden; Wiese neun Joch, von denen an Heu zehn Karren geerntet werden können. Es hat dort an Wald schätzungsweise drei Meilen in der Länge, in der Breite eine Meile, in dem 800 Schweine gemästet werden können. (...) Der Knecht Electeus und seine Frau, die Kolonin Landina, Eigenleute von Saint-Germain, bleiben in Nuviliacus, Er hat eine halbe Hufe, bestehend aus Ackerland sechs Gewann, aus Wiese ein halbes Joch. Er pflügt bei der Winterbestellung vier Ruten, bei der Frühjahrsbestellung 13. Er fährt Mist auf das Herrenfeld und tut und zahlt sonst nichts, wegen des Dienstes, den er dort übernimmt. (...) Es gibt in Nuviliacus sechseinhalb besetzte Hufen, die andere halbe ist unbesetzt. An Feuerstellen sind es 16. Sie erbringen für die Heeressteuer zwölf Hammel, für Kopfzins fünf Schilling vier Pfennig; 48 Hühner, 160 Eier, 600 Bretter und ebenso viele Schindeln, 54 Dauben und ebenso viele Reifen, 72 Fackeln. Sie machen zwei Weinfuhren und zweieinhalb Bretterfuhren im Mai, und einen halben Ochsen. (in: LHL, S.174)

 

Neben Dienst- und Sachleistungen ist also auch Geld zu erbringen, was bedeutet, dass die Hufenbauern Überschüsse auf dem Markt verkaufen müssen. Eine Hufe von vielleicht 14 ha kann so im besten Falle auch einen geringen (relativen) Wohlstand erwirtschaften, wenn der Herr seinem Bauern nicht zu viel abpresst. Die Dienstleistungen können sehr vielfältig sein, und schließen unter anderem auch "Weben, Spanndienste, Holzfällen, Korbmacherei, Bauarbeiten und Eisenarbeiten" ein. (Wickham(3), S.536)

In Nogent L'Artaud gibt es zum Beispiel laut demselben Verzeichnis 24 1/2 mansi ingenuiles, die u.a. 205 Scheffel Wein zinsen, 74 Scheffel für die Schweinemast, dazu 20 1/2 Schweine, 4 Schafe, und Hühner samt Eiern 74. Daneben gibt es 10 mansi serviles. Sie zinsen für die Schweinemast 21 1/2, Scheffel Wein. 8 1/2 Schafe, 650 Schindeln, 30 Hühner mit Eiern. (in: Kuchenbuch, S.125)

Ein Walafred in diesem Urbar ist Hufenbauer sowie Meier eines Herrenhofes und besitzt zwei Hufen, wobei er für die Zweite keine Abgaben leisten muss:

Walafred, Kolonus und Meier, und seine Frau Eudimia, ebenfalls Kolona, sind Eigenleute des Klosters und haben zwei Kinder, deren Namen Walahilde und Leutgarda sind. Sie besitzen zwei freie Mansen und haben 7 bonniers Ackerland, 6 arpents Weingärten und 4 arpents Weiden. Er schuldet von jeder Manse im jährlichen Wechsel einen Ochsen und im nächsten Jahr ein Schwein; 4 Pfennige als Ablösung für Holzabgaben, 2 Scheffeln Wein  zur Schweinemast, ein Schaf mit Lamm. Er pflügt im Winter vier perches sowie zwei weitere perches eines anderen Drittels, und leistet zudem Frondienste, Fuhrdienste, Handarbeiten und Holzarbeiten, wie ihm befohlen wird; vier Hühner, 15 Eier. (in: Ertl, S.247)

 

Ähnliche Größenordnung hat das von Königsboten 787 untersuchte Kloster Fontenelle in der Normandie (St.Wandrille, in den 'Gesta' der heiligen Väter dort aufgehoben), wobei die Mansen für die Hufen stehen:

Dies ist die Summe der Besitzungen dieses Klosters, die auf Befehl des unbesiegbaren Königs Karl dem Abt Landricus von Jumièges und dem Grafen Richard im 20. Jahr seines Königtums, dem Jahr des Todes des Abtes Wido. aufgezählt wurde. Zunächst das, was zum persönlichen Gebrauch der Mönche und zu ihrem Unterhalt zu gehören scheint: 1326 ungeteilte Mansen, 238 halbe Mansen, 18 zu Handdiensten (manuoperarii) verpflichtete Mansen, zusammen 1569, unbewirtschaftet 158 Mansen; sie haben 39 Mühlen.

Zur Versorgung der Mönche dienen knapp zwei Fünftel, der Rest steht dem Abt auch und vor allem für seinen Dienst am König zu. Dazu kommt:

Als Lehen ausgetan (in beneficii relaxati) sind aber 2120 ganze, 40 halbe 235 zu Handdiensten verpflichtete Mansen, die zusammen 2395 ergeben, 156 unbesetzte, die Lehnsträger selbst haben 28 Mühlen. (Kuchenbuch, S.100, Fried, S. 363 etc.)

Das Kloster selbst gibt also Lehen an eigene Vasallen aus, ist dabei selbst Vasall, über dem wiederum Vasallen stehen, die auf oberster Ebene einem Fürsten/König treu zu dienen haben. Sehr große Klöster können rund hundert Vasallen haben. Solche Vasallen als Grundherren besitzen vererbbares Allod, dann oft Gut, welches mit einem Amt oder einer Funktion verbunden sein kann, und Lehnsgut, beneficia. Aus der Verbindung von Grundherrschaft und Vasallität entfaltet sich so sogenanntes feudales Rechtsgefüge.

 

Einer der ganz großen Grundherren der Karolingerzeit ist das Kloster Prüm. Von ihm abhängig sind rund 3000 Höfe, die Mönche und Vasallen zu ernähren haben, besonders konzentriert um die Tochterklöster Münstereifel, St. Goar und Altrip. Viele weitere Höfe erstrecken sich aber "von Südholland bis Oberlothringen, , von der unteren Lahn bis an die mittlere Maas" und anderswo. (Kuchenbuch, S.18). In einem Urbar von 893, also vom Anfang unserer Schwellenzeit, sind sie aufgelistet.

In einer Urkunde von 886 schließt der lothringische Hochadelige und große Grundherr Hartmann einen Vertrag auf Gegenseitigkeit mit dem Abt dieses Klosters zum beiderseitigen Nutzen. Darin übergibt er dem Kloster einige Güter in bestimmten Gegenden, die er allerdings lebenslang weiter nutzen kann, um vom Kloster in anderen Gebieten Güter als beneficium verliehen zu bekommen - zunächst nur auf Lebenszeit.

Zu den Herrenhöfen, verwaltet von maiores bzw. villici, gehört, wie detailliert beschrieben wird, das Herrenhaus, die Scheune und der Speicher. Auf Mansen sitzen mancipia, also Sklaven, die Äcker, Wiesen, Weiden und Wälder bewirtschaften. Andere Familien bewirtschaften Weinberge oder Mühlen. Sie leisten konkret benannte Dienste wie die Flachsverarbeitung und dann solche, für die nur die Zeitdauer angegeben ist (Pflügen, Transporte usw.). Daneben werden die Abgaben aufgelistet, die sie zu festen Terminen zu leisten haben.

Zu einem Hof gehört eine Kirche mit allem Zubehör und ein Priester, der zudem wiederum mit Ackerland von fünf Hufen, besetzt mit zinspflichtigen censualia mancipia, mit Forst für die Mast von 300 Schweinen und etwas Wingert ausgestattet ist. Die mancipia auf diesem Hof haben jährlich Wachs im Wert von sechs Denaren zur Beleuchtung der Kirche abzugeben.

 

 

Grundherrschaft bedeutet über den wirtschaftlichen Aspekt hinaus weitere Rechte. Die mehr oder weniger unfreie Landbevölkerung ist seit der Spätantike (als colonus) an den Boden und an seinen Herrn gebunden, dem er abgaben- und dienstpflichtig ist. Dieser ist nicht nur Grundherr als Herr über die Menschen darauf, sondern kann auch Gerichtsherr sein, ein Recht, welches aber nicht daran gekoppelt sein muss: Grundherr und Gerichtsherr können grundsätzlich auch verschiedene Personen sein. Vermutlich haben in der Regel die Grundherrschaften Immunität, also die Gerichtsgewalt über die Bauern.

Die Privilegierungen des Prümer Klösters umfassen seit der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts auch Marktrechte, Zollfreiheiten und sogar Münzrechte wie in Münstereifel, alles das mit Abgaben an den Grundherrn verbunden. Der Anteil der Geldwirtschaft nimmt dabei langsam zu

 

Es ist grundsätzlich naheliegend, dass Grundherren versuchen, die Leistungen der von ihnen Abhängigen zu erweitern, und dass diese sich weigern, was in der Regel gerichtlich zu klären ist. Zu den ausführlichen Bestimmungen von Karl ("dem Kahlen") auf der Reichsversammlung von Pîtres 864 gehört so auch folgende:

Über jene coloni, königliche oder auch kirchliche, die - wie, was sie nicht abstreiten, in den Polyptychen enthalten - zu Spann- und Handdiensten nach alter Gewohnheit (consuetudine) verpflichtet sind. Sie lehnen es ab, Mergel und anderes, was ihnen nicht gefällt, zu karren, weil man bis jetzt seit alters her wohl keinen Mergel gefahren hat - den man vielerorts seit den Tagen unseres Herrn Großvaters und Vaters zu fahren begonnen hat - und wollen im Rahmen ihrer Handdienste nicht in der Scheune dreschen, wiewohl sie nicht leugnen, Handdienst zu schulden. Was immer zu karren ihnen im Rahmen der Spanndienste befohlen wird, wann sie dies tun sollen, haben sie ohne jeden Unterschied zu karren, und was ihnen im Rahmen der Handdienste befolen wird, haben sie ohne jeden Unterschied zu tun, wann sie es tun sollen. (in: Kuchenbuch, S.152f)

Offenbar haben Herren versucht, neue Dienste ihrer Kolonen durchzusetzen, die als Stückdienste nicht spezifisch festgesetzt sind, aber grundsätzlich in den Zeitdiensten (z.B. zwei Wochen im Jahr oder zwei Tage in der Woche) allgemein verpflichtend sind. und die Produzenten berufen sich darauf, zu diesen spezifischen Leistungen bislang nicht verpflichtet gewesen zu sein. 

 

Überhaupt sind die Verhältnisse zwischen dem Herrn und den Abhängigen wesentlich nach Gewohnheitsrecht und Übereinkunft geordnet. Manchmal mag das solchen Bauern schon seit dem 9. Jahrhundert zu einer gewissen Rechtssicherheit zu verhelfen. Immerhin vererben sie in aller Regel nun ihren Hof mit dem Land, so dass es in der Familie bleibt, und manchmal können sie zudem mit Zustimmung ihres Herrn Land verkaufen oder kaufen.

 

Andererseits ist es für sie schwierig, ihren Rechtstatus vor Gericht zu verteidigen, wo die Entscheidungen zunehmend alleine von Herren getroffen werden.

Bauern vom Valle Trita ganz oben in den Appeninen schaffen es zwischen 779 und 873, in neun Gerichtsverhandlungen sich dagegen zu wehren, vom Kloster San Vincenzo al Volturno für unfrei erklärt und so ihres Landes beraubt zu werden. "Erst vielleicht ein Jahrhundert später werden sie dann verlieren." (Wickham(3), S.534)

 

 

In der ländlichen Grundherrschaft, in der die allermeisten Menschen am Ende leben, steht neben dem Bezug zum Herrn auch der zum Diener des höchsten Herrn, dem Priester. In dem fränkischen Eigenkirchen“system“ war der Stifter und Erbauer der Kirche auch der, der den Priester bestellte. In den Anfängen war das billigerweise oft einer seiner Knechte, dessen Vorbildung und geistlicher Lebenswandel vermutlich sehr zu wünschen übrig ließen. Der große Karl fordert, die Qualität der Priester zu heben, die Erfolge treten aber, wo überhaupt, erst Jahrhunderte später ein.


Die Verbindung von Grundherrschaft und Eigenkirche tendiert dazu, priesterliche Aktivitäten und kirchliches Leben auf den Grundherrn hin zu orientieren. In den vielen kirchlichen Festivitäten entwickelt sich aber ein eigenständiges Gemeindeleben. Dieses verbindet sich später mit gemeinsamen Verabredungen für die Landarbeit und anderes.

 

 

Die Produzenten

 

Seit der Merowingerzeit haben die Produzenten einen vielfältig unterschiedlichen rechtlichen Status, der sich ganz grob in Freie (ingenui/liberi), in mehr oder weniger Halbfreie, z.B. die Lazen (lidi), und die gänzlich Unfreien (servi) aufteilen lässt.

 

Es gibt noch eine größere Anzahl freier Bauern, die Land als Eigentum besitzen, wie aus den Texten Karls ("d.Gr.") deutlich wird. In der Picardie zum Beispiel werden sie bis ins hohe Mittelalter neben großen Fronhofverbänden überleben. (Robert Fossier)

Überhaupt sind große Verbände von Herrenhöfen in der Karolingerzeit womöglich noch nicht so zu verallgemeinern, wie das die dürftige und einseitige Quellenlage vermuten lässt. Die freie Bauernschaft ist nämlich nur wenig schriftlich dokumentiert, ganz im Gegensatz zu jenen großen klösterlichen und kirchlichen, aber auch weltlichen herrschaftlichen Fronhof-Konglomeraten, für die es Urbare und Urkunden gibt.

 

Der freie Produzent ist als Bauer meist selbst ein Herr, der sich das leisten kann, weil er über Eigengut („Allod“) unterschiedlicher Größe und abhängige Leute, Hörige, verfügt. Er ist nicht persönlich an einen Grundherrn gebunden, aber den überpersönlichen Machtstrukturen unterworfen.

Die Freien bekommen das höchste Wergeld, uneingeschränkte Rechtsfähigkeit und Rechtsgleichheit bei unterschiedlichen Vermögensverhältnissen. Dafür müssen sie Kriegsdienst leisten, am Ding, dem Gericht teilnehmen, bestimmte öffentliche Arbeiten verrichten und gewisse Naturalabgaben in einem besonderen Verhältnis zum König leisten. Ähnlich wie Lazen können sie aber auch auf Hufen sitzen und dort Abgaben leisten. Besitzen sie wenig, werden sie von oben  gelegentlich als pauper angesehen. (Staab, S.365ff / Boshof(2), S.114, etc. )

 

Freiheit heißt natürlich wie in jeder Zivilisation, Untertan mindestens der Krone zu sein, - und das streng hierarchisch gegliedert. Wer nicht nur nach oben gehorcht, sondern neben sich Zusammenhalt sucht, ist schnell des Todes, wie die Annalen von St. Bertin für 859 belegen (s.o.).

 

Besser also, das Land den alljährlich eindringenden fremden Mordbrennern zu überlassen, als dass Untertanen durch gemeinsames Handeln womöglich Selbstvertrauen gewinnen. Dabei erweisen sich die Könige meist als unfähig, Wikinger anders als durch hohe Tributzahlungen von tausenden von Pfund Silber  loszuwerden oder Sarazenen und Slawen von Überfällen abzuhalten. Wenn, dann erringen mächtige Familien wie die Robertiner hier Erfolge.

 

Sich wehren gegen die mächtigen Herren vor Ort und der Gegend können sich (auch freie) Bauern nur mit wohl bescheidenem Erfolg vor Gericht. Der Aufstand der Stellinge in Sachsen 841/42 ist wahrscheinlich nur möglich im Kontext der Bruderkriege im Reich und der besonderen sächsischen Situation nach der mühsamen und brutalen Unterwerfung durch "den großen" Karl. In den Xantener Annalen für 841 heißt es dazu wenig aufschlussreich:

In demselben Jahr war durch ganz Sachsen die Macht der Knechte (potestas servorum) weit hinausgewachsen über ihre Herren und sie legten sich den Namen Stellinge bei und begingen viel Unverantwortliches (inrationabilia). Und die Edlen jenes Landes wurden von den Knechten sehr geschädigt und erniedrigt. (in: QuellenkarolReichsgeschichteII, S.345)

 

Es wäre wünschenswert zu wissen, wer mit servi gemeint ist und was sie wollten, aber das interessierte den frommen Autor nicht. König Ludwig macht sich 842 dorthin auf

und die übermütig aufgeblasenen Knechte der Sachsen schlug er auf eine für ihn ehrenvolle Weise und führte sie zu ihrem eigentlichen Stand (ad propriam naturam) zurück. (s.o. S.347)

 

Inwieweit es neben Streusiedlung und Weilern Dörfer gibt, wird nicht ganz klar. Aber es gibt von Hinkmar von Reims bischöfliche Gesetzgebung gegen das, was O.G.Oexle "dörfliche Gilden" nennt, die sich gegen behauptete Trunksucht und Völlerei, Unzucht und Obszönität, Streit und Totschlag dort wenden.

 

 

Unfreiheit als Sklaverei wird aus der römischen Antike übernommen. Sie nimmt langsam ab. Grundsätzlich für den unfreien servus gilt, dass er nicht rechtsfähig ist, sondern rechtlich von seinem Herrn vertreten wird. Die untere Stufe der Unfreien sind die, welche keine eigene Hufe haben und die sich dadurch auszeichnen, dass sie, ob Männer oder Frauen, unverheiratet sind. Solche Männer heißen am Beispiel des Prümer Urbars haistaldi, woraus der spätere Hagestolz wird. Frauen heißen einfach femine, sind unverheiratet und haben oft dennoch Kinder. Der Herr wird ihnen wohl nur ungern die Zustimmung zur Verheiratung geben, da er dann eine ganze Familie ernähren muss.

Sie arbeiten allesamt vermutlich auf der Domäne des Herren, sind wohl alle zu extremer Unterwürfigkeit gegenüber ihm verpflichtet und zudem seinen möglichen spontanen Gewaltausbrüchen ausgesetzt. (Staab, S.332ff) Wohlhabendere Herren besitzen solche Leute auch als Kämmerer, Kanzler,  Hauskaplan, als einen Jäger oder Notar.

 

Die servi casati, ein Begriff, der aber nur selten in den Quellen auftaucht, sitzen auf einer Hufe (mansus) entweder einzeln mit Familie oder aber gleich zu mehreren, wenn die Hufe dafür groß genug ist. Fronen und Abgaben zeichnen sie ebenso aus wie das Recht des Herrn zu Körperstrafen. Ganz arme Leute besitzen kaum Pflug und Pflugvieh und müssen den Acker mit einem Grabscheit (cum suo fossorio) bearbeiten, wie es für einen Hof der Abtei Prüm heißt. (in: Franz, S.90)

 

Als Halbfreie kann man die Lazen ansehen. Aus ihnen werden manchmal auf dem Weg ins Hochmittelalter Ministeriale, Dienstleute mit Benefizien, also milites im Sinne von Ritter. (Staab, S.354)

Unter den Halbfreien, bedingt Freien gibt es zunehmend von einer Kirche freigelassene servi, die weiter in einer Art Patronat von Kirche bzw. Kloster existieren, nicht mehr unmittelbar für ihren Patron arbeiten, aber einen (Kopf)Zins in Geld oder Wachs leisten müssen, der ihre (bedingte) Freiheit auszeichnet, dazu eine Abgabe bei Heirat und Tod, - letztere, weil sie mit ihrem bedingten Eigentum auch ihren rechtlichen Status vererben.

 

Dazu kommt eine weitere Anzahl von Freien, die aus einem Schutzbedürfnis heraus oder weil sie sich auch andere Vorteile erhoffen, sich in denselben Status unter einen kirchlichen oder klösterlichen Patron begeben und dafür dieselben Abgaben leisten müssen.

Eine Beata möchte nach Rom reisen und verkauft 744 gegen 70 Schillinge in Gold und Silber sowie gegen 5 Pferde mit Packsätteln und Fellen und Wolldecken mit ihrem Reitzeug Besitzungen an das Kloster St.Gallen. Sollte sie zurückkommen, erhält sie diese zum Nießbrauch (in praestitum) zurück. (in: Franz, S.28)

Ein kranker Ramuolf übergibt für die Sünden, die ich auf Einflüsterung des Teufels in gesunden Tagen begangen habe, dem Hochstift Freising seinen väterlichen Besitz. Er bekommt sie für die Dauer seines Lebens als Lehen (in beneficium) zurück. (in: Franz, S.33ff)

Ein Perahart übergibt seinen gesamten Besitz an das Domstift zu Freising: Ich, Perahart, habe dies alles getan, damit ich im Domstift Lebensunterhalt und Kleidung erhalte. Und wenn ich weniger bekomme, als ich brauche, dann soll mir erlaubt sein, dies von meinem Eigentum, solange ich lebe, zu erwerben. (in: Franz, S.80)

 

In die Zukunft eines etwas einheitlicheren Bauernstandes verweist die Tatsache, dass sie in Urkunden wie die anderen Abhängigen oft als mancipia (servi und ancillae) bezeichnet werden, mit der Besonderheit der Pflicht zum Kopfzins. Zudem entstehen vor allem im zehnten Jahrhundert regelrechte Zensualenverzeichnisse.

Menschen wie die Freie Rikildis mit ihren Söhnen übertragen sich als Wachszinsige (cere censuales) dem Kloster St.Severin in Köln. Dafür zahlen sie zwei Münzen für Wachs an denselben Altar. (...) Für die Erlaubnis zu heiraten, dem Hüter des Altares sechs Denare (...) Beim Todesfall jedes Mannes und jeder Frau sollen sie ebenfalls 6 Denare nur dem Altarhüter zahlen. (in: Franz, S.61)

Umgekehrt werden bereits im neunten Jahrhundert pro remedium animae Herren Unfreie soweit zu Freien machen, als sie diese in den Schutz eines Klosters als Wachszinsige übergeben.

 

Diese Leute, die erst im 10./11. Jahrhundert einen größeren Anteil der Bevölkerung in großen Teilen der damaligen deutschen Lande zu umfassen beginnen, werden von den modernen Historikern als "Zensualen" zusammengefasst, also von ihren Kopfzins her bestimmt, der üblicherweise bis zu vier Denare umfasst.

Zunehmend häufiger bestehen sie nicht mehr nur aus freigelassenen servi, sondern aus Leuten, die sich selbst unter den Schutz, das patrocinium und die defensio bzw. mundiburdium von Kirche oder Kloster begeben. Langsam beginnen sie, sich als besondere Gruppe innerhalb der von einem Herrn Abhängigen zu verstehen.

 

Neuerungen

 

Zwei Veränderungen sind wichtige Voraussetzungen dafür, dass Kapital seit dem zehnten Jahrhundert an Bedeutung gewinnen kann. Einmal steigt die Bevölkerung in West- und Ostfranzien wie im Norden und der Mitte Italiens zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert in einigen Gegenden langsam wieder an, ohne dass wir heute Genaueres wissen. Jedenfalls werden neue Ländereien aus Wald, Heide und anderem „Ödland“ für die Landwirtschaft erschlossen. Die Umformung in Agrarland wird mit Rodungen und anderen Formen der Urbarmachung zunächst wesentlich von Klöstern aus und dann auch zunehmend von privaten Grundherren betrieben. Sie greift wohl immer mehr auf Wälder im Mittelgebirge über, die weniger ertragreiches Land bedeuten. Ortsnamen mit -hausen und -felden tauchen hier auf, nicht nur im Hunsrück zudem mit -schied und -scheid. Sie werden bei kühlerem Klima dann wieder wüst liegen.

 

Die Erträge sind für heutige Verhältniss ungeheuer niedrig. Sie werden erst langsam auf ein durchschnittliches Verhältnis zwischen Saatgut und Ernte von 1 zu 3 ansteigen, wobei etwa ein Drittel Abgabe und ein weiteres Saatgut bedeutet. Wir befinden uns am Anfang der Zeit des Übergangs vom Hakenpflug zum Pflug mit Pflugscharen. Die strapaziöse Arbeit mit dem Hakenpflug besteht in der Qual, diesen, wenn er gezogen wird, in das Erdreich zu drücken. Dieses zu wenden gelingt manchmal mit der neuartigen Pflugschar, welche Erde nicht mehr nur anritzt, sondern umpflügt, die sich aber erst im hohen Mittelalter langsam durchsetzt.

In derselben Zeit entwickelt sich auch an ersten Orten die Dreifelderwirtschaft, welche ebenfalls die Produktivität erhöht, so wie man auch in diesen Jahrhunderten nach und nach an einigen Orten beginnt, das Pferd als Zugtier statt des Ochsens einzusetzen.

Der geringe Ertrag liegt auch daran, dass die Düngung im wesentlichen in dem Verteilen des Tierkotes über die Äcker besteht, und die meisten Bauern haben davon zu wenig. Immerhin gibt es wohl erste Anzeichen von Grundherren, die an der Intensivierung der Produktion ihrer Güter interessiert sind.

 

Langsam nimmt die Zahl der Wassermühlen zu, früher Maschineneinsatz, welcher der Hausfrau das Getreidemahlen per Hand abnimmt, welches aber wohl vorläufig noch die Regel ist. Die Prümer Grundherrschaft hat kurz vor 900 rund 50 Mühlen, das Kloster St.Germain-dés-Prés bei Paris in 12 seiner 23 Domänen insgesamt 57 Mühlen. (Goetz, S.120)

 

Überschuss-Produktion von Nahrungsmitteln führt, soweit Grundherren davon profitieren, zu mehr Konsum, zu mehr Handel und Markt, und Handel und Finanziers werden dann in den nächsten Jahrhunderten häufiger und mehr Kapital anhäufen können. 

 

Kirche auf dem Lande

 

Von den Lebensverhältnissen der Produzenten von Nahrungsmitteln ist uns wenig überliefert. Sie leben in einfachsten Holzhäusern fast ohne Inventar, bei Tageslicht wird körperlich hart gearbeitet, und zwar in einer gewissen Arbeitsteilung der Geschlechter und unter Mitarbeit der Kinder. Es gilt, mühsam das eigene Überleben zu sichern, und daneben müssen die zunehmend persönlich Abhängigen Dienste und Abgaben an die Herren leisten.

 

Ihre Weltvorstellung teilt sich in die vor Ort erlebten Naturkräfte, denen die Nahrung abgerungen werden muss, und die weiter recht traditionell ("heidnisch") verstanden werden, und in eine im Grunde naturfeindliche, die mit der zunehmenden Christianisierung auf dem Lande vordringt.

Die königlichen Christianisierungsversuche zielen auf Bischöfe, ihren Kathedralklerus und auf Äbte ab, und die Christianisierung auf dem Lande wird von größeren weltlichen wie geistlichen Grundherren betrieben, die auf ihrem Grund kleine Holzkirchlein bauen und dort eigene Hörige ohne sonderliche religiöse Ausbildung als Geistliche einsetzen. Über diese können insbesondere weltliche Herren nach Belieben verfügen, sie auch als Dienstboten einsetzen, wie überliefert ist und im 9. Jahrhundert von der Kirche lauter beklagt wird.

 

Eine erste Christianisierungswelle schuf weit voneinander entfernte Taufkirchen, und die Taufe ist zunächst ein religiös wenig verstandener Unterwerfungsakt unter die Mächtigen. Noch ein Karl ("der Große") begleitet die sich über Jahrzehnte hinziehende brutale Unterwerfung der Sachsen nicht nur mit Massenmord, sondern auch mit gewaltsam erzwungenen Massentaufen für frisch Unterworfene, denen überhaupt keine religiöse Unterweisung vorausgehen muss, sondern denen nur fürderhin schwerste Strafen für "heidnische" Kulthandlungen und Taufverweigerung angedroht werden.

 

Erst 794 wird in Frankfurt überhaupt offiziell zugelassen, Missionierung in den Volkssprachen durchzuführen: Dennoch bleibt das von kaum jemand mehr verstandene antike Latein weiterhin die Sprache in der Kirche. Die illiterate Landbevölkerung entwickelt dabei einen christlich-heidnischen Synkretismus, der, von weitgehendem Unverständnis geprägt, versucht, entweder vorchristliche Vorstellungen in das Christentum zu übertragen oder aber alte natur“religiöse“ Vorstellungen parallel weiterzupflegen. Da das Christentum längst nicht nur, was das Gottesbild angeht, dem antiken Judentum angenähert worden ist, sind neben den Geschichten der Evangelien die des Alten Testamentes zumindest gleichwertig präsent: Auf diese Geschichten vor allem dürfte sich das „christliche“ Vorstellungsvermögen der Landbevölkerung und der illiteraten Städter konzentriert haben, also auf Mythisches, Legendäres und Sagenhaftes.

 

Grundherrliche Eigenkirchen sind aber immer auch in die Diözesanordnung integriert, wiewohl der weltliche Herr zumindest in der Praxis in allen Fragen eingreifen kann. Daraus entwickelt sich für den Kirchenalltag der Menschen ein engeres System von Pfarreien, die das Land überziehen und neben der Taufe auch Messe und Beerdigung anbieten. Mit Pfarre und Bistum gibt die Kirche so eine klare Territorialisierung vor, wie sie im weltlichen Bereich erst im 11.-13. Jahrhundert langsam angestrebt wird. Dazu verhilft auch der inzwischen wohl überall durchgesetzte Kirchenzehnt, der an die eigene Pfarrei abzuliefern ist, weshalb diese nun genau von einander abgegrenzt werden. (Angenendt(2), S.327)

 

Nach kanonischem Recht entsteht eine Pfarrei nur dort, wo sie so dotiert ist, dass sie sich selbst trägt. Erweitert wird solcher Besitz durch Spenden von Laien, und dazu kommt die decima, der Zehnte, der allerdings spätestens im Karolingerreich nicht direkt an einen Priester, sondern die Diözese fließt, die einen Teil einbehält, und dazu kommen die ersten Früchte an Pflanze und Tier in regelmäßigen Abständen.

Die Kirchensteuer ist ein lateinisch-christliches Spezifikum, Ausdruck der engen Verbindung von weltlicher und geistlicher Macht. Spätestens im 10. Jahrhundert ist sie eine Steuer auf alle Einkünfte, und damit ist die Kirche den späteren Staaten weit voraus in der partiellen Ausplünderung ihrer Untertanen. Schon im sechsten Jahrhundert beschlossen, scheint ihre Durchsetzung doch bis ins neunte Jahrhundert schwierig zu sein, weswegen sie immer wieder neu gefordert werden muss. Im Herstaler Kapitular von 779 heißt es zum Beispiel: Jedermann soll seinen Zehnten geben. Auf Geheiß des Bischofs werde er verwaltet. (in: Franz, S.39)

 

Daran möchten sich allerdings weltliche Herren beteiligen, die aufgrund eigener Stiftung die Pfarre weiter als ihr Eigentum betrachten oder aber wenigstens versuchen, sich die Erträge daraus anzueignen. Im zehnten Jahrhundert beginnt die Kirche zunehmend, dagegen anzukämpfen, was dann auch als Aspekt in die Wurzeln einer Friedensbewegung und der Kirchenreform eingeht.

 

Die Pflicht zur regelmäßigen Teilnahme an der sonn- und feiertäglichen Messe, im 9. Jahrhundert durchgesetzt, ist wesentlich ein Mittel zur Disziplinierung der Menschen vor Ort. Damit das machbar wird, setzt eine Synode in Tribur (erst 895) fest, dass der Abstand zwischen den einzelnen Pfarrkirchen nicht weiter als vier Meilen betragen soll. Erst damit wird das Land nun auch nach und nach ganz einbezogen.

 

Nicht nur verstehen die "Pfarrkinder" allerdings kein Wort von der lateinischen Messe, sie sehen auch nicht das Entscheidende, das bei einem ihnen dabei den Rücken zukehrenden Priester vor sich geht, noch können sie die merkwürdige Theologie von der Dreifaltigkeit Gottes, soweit sie etwas davon mitbekommen, anders als in ihre vorchristlichen Vorstellungen übersetzen.

Immerhin bekommen sie im wohl volkssprachlichen sermo, der Predigt, mit, was Kern der Dinge ist: Unterwerfung unter die Herren und ihre Kirche.

 

Die Pfarrkirche ist ein in seiner Gründung extra konsakrierter sakraler Raum zusammen mit dem Friedhof, meist durch eine symbolische Mauer "eingefriedet". In diesem Raum erhält sich darum ein vorchristlich gegründetes Asylrecht. Sie gehört zu einer Gemeinschaft, die dort ihr erstes Zentrum hat. Pfarrei ist so Vorform von Gemeindebildung, mit dem gemeinsamen Recht kirchlicher Versorgung, allerdings unter der Bedingung vollständiger Unterordnung. Und die Priester haben ein durchaus materielles Interesse, dass es eher Zu- als Abwanderung bei ihrer "Herde" gibt, kommen doch zu den allgemeinen Abgaben zunehmend noch die bei kirchlichen Dienstleistungen wie der Taufe dazu.

 

Während Juden mehr oder weniger in rechtlicher Sonderstellung ein Dasein in der lateinischen Christenheit erlaubt wird, kann ein Nichtjude jetzt nur noch im Rahmen einer Pfarrei überhaupt existieren ("Pfarrzwang"). Und ohne die Hilfe des Priesters ist es nicht einfach nur unmöglich, dereinst "durch die Pforten des Paradieses" zu schreiten, sondern man landet, wie einem ständig vorgehalten wird, in jenen ewig währenden Folterkellern, die Hölle heißen.

Deshalb gibt es dort, wo keine Pfarrkirche ist, wenigstens eine einfache Kapelle, zu der der Priester mit einem tragbaren Altar regelmäßig hinreisen kann.

 

Manche Pfarrer stehen dem Populus bzw. der Plebs näher, wie das "Volk" damals manchmal genannt wird, auch wenn die Pfarrei neben der sich weiter ausweitenden Grundherrschaft die Basis des herrschaftlichen Disziplinierungs- und Unterdrückungsapparates zu sein hat. Sie strukturiert den Lebensalltag der meisten Menschen so wie die Pflichten gegenüber den weltlichen Herren, ist aber als feiertäglicher Raum von den Mühen produktiver Arbeit abgehoben.

 

Wieviel und was für ein Christentum den Menschen abverlangt wird, wird in einem Brieftext des Erzbischofs von Lyon an den Bischof von Langres um 853 deutlich:

Auf dass die Plebs ruhig in ihren Pfarreien und den Kirchen, zu denen sie gehört, lebe, wo sie die heilige Taufe empfängt, wo sie Körper und Blut des Herrn empfängt, wo sie die Gewohnheit pflegt, die Feierlichkeiten der Messe anzuhören, wo sie vom Priester die Strafen für ihre Verbrechen/Sünden empfängt, den Besuch bei Krankheit, wo man außerdem von ihnen die Zehnten und die ersten Früchte abverlangt. (in Audebert/Treffort, S.84, m.Ü.) 

Zu ergänzen wäre noch die Beteiligung des Priesters beim Tod des Menschen.

 

 

Handwerk

 

Die Kunst (ars) des "Handwerks" wird erst viel später im Mittelhochdeutschen von den übrigen artes mechanicae getrennt, zu denen auch die agricultura gehört und die von den freien Künsten getrennt sind.

Vermutlich freieres Handwerk entsteht neben freiem Handel in den nördlichen Emporien (s.u.), die damit ihren Charakter ändern und zunehmend unter die Kontrolle größerer Herren und dann auch Könige gelangen. All das verschwindet nach der Karolingerzeit.

Ansonsten ist das Handwerk weithin in die auch die Stadtansätze umfassenden Grundherrschaften eingegliedert und zum guten Teil weiter auf dem Lande angesiedelt. Weberinnen in etwa im Status von Sklaven stellen mit Spinnen und Weben die Tuche auf den Gynecäen, Frauenhäusern des Gutshofes her, die mit Woll- und Flachsabgaben der Herrenhöfe der weiteren Umgebung beliefert werden. Vermutlich dient ein Teil der Produktion dem Handel. Nur in Nordgallien gibt es noch städtische Zentren für die Erzeugung hochwertiger Stoffe.

In einer Aufzählung Karls d. Gr. für seine Krongüter (Capitulare de Villis) heißt es dann:

Jeder Amtmann soll in seinem Bezirk tüchtige Handwerker zur Hand haben: Grob-, Gold- und Silberschmiede, Schuster, Drechsler, Stellmacher, Schildmacher, Fischer, Falkner, Seifensieder, Brauer – Leute, die Bier-Apfel- und Birnmost oder andere gute Getränke zu bereiten verstehen -, Bäcker, die Semmeln für unseren Hofhalt backen, Netzmacher, die Netze für die Jagd, für Fisch- und Vogelfang zu fertigen wissen, und sonstige Dienstleute, deren Aufzählung zu umständlich wäre. (Schulz, S. 24) Nur große Güter können natürlich eine solche Vielfalt aufweisen.

Zum Kloster Corbie gehören 822 zahlreiche Handwerker, Schuster, Tuchwalker, Schmiede, Schildmacher, Pergamenter, Schleifer, Gießer, Stellmacher. Zu welchem Herrengut die Handwerker auch gehören, sie arbeiten in persönlicher Abhängigkeit von ihren Herren.

 

In die familia eingeordnete Handwerker werden von hohen Herren für deren Luxusbedürfnisse gefördert. Sie werden zum Beispiel zur Ausbildung in der Goldschmiedekunst zu Meistern anderer Herren geschickt; der Erzbischof Ebo von Reims (gest.851) bietet zum Beispiel „einigen artifices Wohnungen an, um sie in seine Stadt zu ziehen; und Ludwig der Fromme offeriert ihm aus der Schar seiner Hörigen einen Goldschmied als Geschenk.“ (Nonn, S.60)

 

Unter den Handwerkern, die manchmal Produkte auf dem Markt verkaufen, gibt es die vielen mehr oder weniger Unfreien, die auf Herrenhöfen arbeiten, dann persönlich Unfreie, aber in ihrem Gewerbe Freie, die auch auf eigene Rechnung arbeiten und verkaufen können, und eine wohl kleine Minderheit persönlich freier und wirtschaftlich unabhängiger Leute. Genaueres ist nicht bekannt.

 

Wichtige Branche ist sicherlich weiterhin die Keramikproduktion, wobei neben Schüsseln und Bechern die Vorratsbehältnisse eine große Rolle spielen. Hier scheint es inzwischen in Gegenden wie dem Nordosten der Eifel wieder eine gewisse Massenproduktion zu geben.

 

 

Grundherrschaften kontrollieren mit den Vorkommen auf ihrem Land einen großen Teil der gewerblichen Rohstoffe. Im Churer Reichsgut-Urbar ist in Vorarlberg ein ganzes ministerium, "ein Domänenbezirk, ausschließlich mit der Eisenproduktion beschäftigt. Acht Schmelzhütten werden genannt, die Eisenabgaben sind vergleichsweise hoch. Außer dem König erhält der Schultheiß Eisenabgaben." (Sprandel in: Schwineköper, S.21) In die Eisenproduktion ist dann, wie besonders für Italien dokumentiert, auch Lohnarbeit von servi integriert.

 

Ein für jeden notwendiger Rohstoff ist das Salz, dessen Gewinnung aus dem Meer oder aus Steinsalz ebenfalls von Grundherren  betrieben wird. So besitzt das Kloster Prüm z.B. Salzpfannen in Vic-sur-Seille, die seit 864 im Metzer Hafen umgeschlagen werden.

"Den Transport auf der Mosel besorgten die Mitglieder der centena zu Mehring unter der Leitung eines grundhörigen gubernator navis, dem auch Weintransporte für das Kloster oblagen und der mit seinem festen Personal, das wir neben der centena annehmen müssen, wahrscheinlich schon Salz,- Wein- und andere Transporte auf eigene Rechnung durchführte. Er kann auch am Salzverkauf in den Hafenrastplätzen an der Mosel zwischen Metz und Mehring beteiligt gewesen sein; die Hauptlast des Salzabsatzes trugen aber zwei andere Gruppen, die in Vic selbst oder auf den nahen Märkten in Marsal, Moyenvic und vor allem Metz, ein Viertel des Salzertrags zu verkaufen und aus dem Erlös 16 Denare monatlich (= ca.27g Silber!) als Zins zu bezahlen hatten, sowie die Prümer Hufenbauern im Caros- und Bidgau, die auf dem Markt von Rommersheim (...) wahrscheinlich aber auch im zeitweisen Hausierhandel von Dorf zu Dorf und Hof zu Hof Verkaufsdienst für das Kloster leisten mussten, und zwar für Wein und Salz." (Irsigler in: Flink/Janssen, S.60f)

 

 

Aus den steigenden Einnahmen aus der Landwirtschaft, den Märkten, aus Münzen und Zöllen leisten sich reiche und mächtige Herren größere Palastbauten samt deren Einrichtungen. Inspiriert von der Begegnung mit dem antiken und nachantiken Italien geht Karl ("der Große") voran. Er beginnt mit einem neuen großen Palast in Paderborn 777, ab etwa 780 entsteht die mit Bädern gesegnete große Pfalz zu Aachen mit Königshalle, Pfalzkapelle, einem Wohnturm, einer Garnison und Gerichtssälen samt einer Thermenanlage nach antikem Vorbild. wobei Vorbilder und Bauteile aus der italienischen Antike (Ravenna) genutzt werden. Handwerker und Händler siedeln sich an, ein größerer Markt entsteht. Etwa in derselben Zeit beginnt der Bau der Pfalz von Ingelheim und der von Nimwegen. Viele andere folgen. Derweil beginnen Bischöfe und Äbte mit eigenen Palastbauten und Klöster werden prächtiger ausgebaut. Mehr zentrale Kirchen werden wieder aus Stein gebaut. Bedrohte Städte versuchen, Befestigungen zu reparieren oder neu zu errichten.

So entstehen in der sogenannten "karolingischen Renaissance" vor allem zwischen Seine und Rhein 27 neue Kathedralen, 417 Klöster und 100 Königspfalzen (Heitz in: Hodges, S.66)

 

Damit lässt sich seit dem 9. Jahrhundert zunehmendes Bauhandwerk in Stein und Holz an Baustellen nieder, die Jahre oder Jahrzehnte überdauern.Solche Baustellen brauchen viel Geld, auch wenn viel Arbeit als Dienst am Grundherrn verrichtet wird. Werkstätten für die Versorgung der Insassen kommen dazu und Wohnstätten für Händler.

 

 

Vor den Anfängen von Kapitalismus

Wurzeln II: Konsum und Handel

 

Die allermeisten Menschen, die Nahrungsproduzenten, konsumieren kaum mehr als ihre eigenen Erzeugnisse. Wenn dann über ihre Abgaben hinaus schon mal ein kleiner Überschuss bleibt, der auf einem nahen Markt verkauft werden kann, geht der für notwendige Gerätschaften drauf, soweit sie sie nicht selbst herstellen können. Handwerker in der Grundherrschaft haben wohl oft eigene Landwirtschaft, oder sie müssen Nahrungsmittel für ihren Konsum zukaufen. 

 

Größere Grundherren versorgen sich mit ihren Lebensmitteln aus ihrem Land, haben aber von diesem auch die Möglichkeit, Einkünfte zu erzielen, mit denen sie anders als fast alle anderen Konsumgüter eintauschen bzw. einkaufen können, was für sie hörige Händler erledigen, die auch Transporteure sind.

Vor allem weltliche Herren demonstrieren ihren Rang nach außen weiter mit möglichst viel Luxus an Kleidern, Schmuck, Nahrungsmitteln, Gebäuden und Pferden. Dasselbe betrifft auch Bischöfe und ihre Höfe bzw. Paläste, die zudem ihre Kathedral-Kirche vor allem innen auch mit Gold, Silber und Edelsteinen sowie feinen Tuchen und Malereien ausschmücken. Ähnliches gilt für Äbte.

 

Was nicht irgendwo in der eigenen Grundherrschaft hergestellt wird, muss auf einem Markt erworben werden. Dieser beruht zunächst darauf, dass Grundherrschaften gelegentlich und wohl zunehmend größere Überschüsse für den Verkauf auf Wochen- und bald auch Jahrmärkten erzielen. Zwar ist weiterhin möglichst breite Selbstversorgung erstes Ziel, aber es ist anzunehmen, dass für Luxus vor allem auch Handelsware produziert wird: Getreide, Wein, Salz, Leinen, Holz, Steine, und manchmal sogar Metallwaren. Luxuswaren wie Seide, Gewürze, Elfenbein werden im Fernhandel importiert, der weiter aufwendig bleibt.

 

Nicht vergessen darf man die ökonomische Bedeutung von Fehden und Kriegen. Bei ihnen werden zwar regelmäßig einerseits das Land und die Höfe der Bauern zerstört und beraubt, während die andere Seite Beute macht. Aber die Nachfrage nach Waffen und Rüstung versorgt regelmäßig einen ganzen Zweig von Produzenten und Händlern mit Aufträgen. Zudem zieht ein ganzer Tross von Händlern (und Huren) mit den Heeren mit, was so selbstverständlich ist, dass es nur selten erwähnt wird.

Als König Karl ("der Kahle") nach dem Tod seines Bruders Ludwig ("des Deutschen") die Chance sieht, sich des ganzen Lothringens zu bemächtigen, erleidet er bei Andernach 876 eine vernichtende Niederlage, und bei der Flucht wird das Heer durch  die Krämer (mercatores) und Waffenverkäufer (scuta vendentes) (behindert, die) dem Kaiser und seinem Heer folgten und der ganze Tross und alles, was die Kaufleute mitführten, fiel dem Heere Ludwigs in die Hände. (Annalen von St.Bertin, in: Quellen karolReichsgeschichteII, S. 249)

 

 

Könige, Markt, Zoll

Insgesamt kann man feststellen, dass unter den Karolingern die Bedeutung des Handels zunimmt und das auch so wahrgenommen wird. Er wird vom karolingischen König und von den Großen unter ihm mit Abgabenerleichterungen und Schutzerklärungen privilegiert, und zwar für den Aufenthalt am Markt und die Wege dorthin und wieder von dort weg.

Für die fränkischen Könige wird der Handel nicht nur aus ihrem Konsumenteninteresse und zur Förderung der Macht getreuer Vasallen wichtig, sondern auch dadurch, dass sie in etwa 10 Prozent als Zoll abschöpfen. Dokumentiert ist der vor allem für die Ostgrenzen zum Slawenland. Wie wichtig Handel für Könige und Große ist, zeigt der auch da herrührende Sonderstatus der Juden als einzigen akzeptierten Nichtchristen im Reich.

 

Unter Markt verstand man zunächst einen Markttag, der zu bestimmtem Datum an bestimmtem Ort stattfand, und zwar vor allem auf dem Lande und in der Nähe der Orte der Nahrungsmittelproduktion. In dem Maße, indem solche Märkte wichtiger werden, werden sie mit einer Abgabe belegt, zugleich aber weiter privilegiert.

Markt konnte natürlich kein germanisches Wort sein. Es stammt von merx ab, der Ware, und vom mercatus, dem Ort, an dem Handel getrieben wird (mercari).

Marktwirtschaft verlangt Geldwirtschaft, und dem dienen die Münzreformen Karls d. Großen. Sie verlangt aber vor allem zumindest einen zentralen Impuls, um in Gang zu kommen. Und den bietet der Wunsch einer Oberschicht, die die wirtschaftlichen Möglichkeiten hat, an jenes Geld zu kommen, welches gegen Luxus eingetauscht werden kann.

 

Wenig überliefert, aber sicherlich vorhanden, sind Fronhöfe, an denen Produkte einer Villifikation verkauft werden. An lokalen kleineren Märkten sind auch freie Bauern und darüber hinaus alle, die - wenn auch wenige - Waren zum Überleben  brauchen. Dazu gehört insbesondere Salz, selten vor Ort vorhanden, ein überall begehrtes Gut. Es kommt für die deutschen Lande vor allem aus Reichenhall, Hallein, Schwäbisch-Hall und Lüneburg.

 

Der Handel läuft vorwiegend über Wochenmärkte und über wenige zentrale Jahresmärkte. Zentrale Märkte sind der Ort, an dem Grundherren ihre Überschüsse verkaufen und dafür Luxusgüter nicht zuletzt aus Fernhandel einkaufen. Sie liegen "in den Mauern ehemaliger Römerstädte, an Königspfalzen und Bischofssitzen, nicht selten auch vor den Pforten bedeutender Klöster und Stifter." (H.K.Schulze in: Flink/Janssen, S.15)

 

Das Wort "Messe" hat damals drei Bedeutungen: Einmal meint es den Gottesdienst, zum zweiten eine Mahlzeitengemeinschaft (die Offiziersmesse ist davon zum Beispiel erhalten geblieben), zum dritten meint das Wort aber auch die Feste des Kirchenkalenders und der lokal verehrten Heiligen, und von daher rührt das Wort Messe für Jahrmarkt.

Die Messen, vor allem noch an großen Klöstern angesiedelt, vermarkten im Unterschied zu häufigeren Märkten zunächst vor allem Luxusgüter für die Oberschicht.

 

Bis in die Zeit der Karolinger wird das alte Recht der urbanen Kerne der civitates tradiert, weiter Märkte abzuhalten. Andererseits wird es ein grundherrliches Recht, überall landwirtschaftliche Märkte abzuhalten. Im Laufe der Zeit entwickelt sich bei zunehmender Marktdichte die Vorstellung, dass die Könige das Recht der Konzessionierung solcher Märkte hätten, da vor ihren Gerichten geklagt wird, wenn die Konkurrenz solcher Orte und Tage überhand nimmt. (Pitz, S. 132)

 

Geistlichen Herren wird von den fränkischen Königen zunehmend ein Marktrecht verliehen. Ziel mächtigerer Herren wird es nun, den eigenen Markt vom Zoll zu befreien, ihn insofern immun zu machen. Dann genießen sie zum Beispiel das Recht auf Standgebühren, ohne dafür Abgaben zahlen zu müssen und indirekt auf die Transit-Zölle eines aufstrebenden Handels.

 

Einen Schritt weiter sind wir mit den Vorschriften Karls des Kahlen von 864 über die Marktaufsicht der Bischöfe und Grafen im Edikt von Pîtres (Edictum Pistense). Die betreffen die Märkte und ihre Besucher, die Kontrolle von Maß und Gewicht, Geldwesen und Preisbestimmung, Warenprüfung und Beaufsichtigung der Handwerker. (Pitz, S. 134 / Bleiber) Dabei wird zwischen alten Marktorten, wohl den civitates (und vici) und neueren aus der Zeit seines Vaters unterschieden, der an eine villa gebundene, grundherrschaftliche Märkte genehmigte. (Irsigler in: Flink/Janssen, S.53).

 

Markt-Wirtschaft entsteht so neu unter der strengen Aufsicht und aus den Interessen von Herrschern und Machthabern heraus, welches sich hier mit dem von Handel und Handwerk trifft. Etwa um 900 ist das königliche Marktregal im ostfränkischen Reich voll ausgebildet. Dies wird an den Grundherrn vergeben. Grundsätzlich gilt: „Die Ordnung des Marktes ist herrschaftlich.“ (Ennen, S.66) Marktordnungen entstehen andererseits und zugleich aus Bräuchen, die dann rechtlich tradiert werden.

 

Handelsräume

Mit der endgültigen Eroberung und Zivilisierung germanischer Räume vor allem nordöstlich des Rheins entstehen an Domburgen, Pfalzen und Klöstern zu Handwerkersiedlungen auch solche von Händlern, die zunehmend privilegiert werden.

 

Kirchliche Doktrin entwickelt, je mehr Tauschwirtschaft aufkommt, für christlichen Handel die Forderung nach dem "gerechten Preis", der sich allerdings nicht ernstlich definieren lässt, und über den hinaus alles Wucher sein soll. Etwas handfester wird es im Kapitular Karls ("des Großen") von 806:

Alle die, welche zur Zeit der (Getreide)Ernte und der Weinlese ohne Not, aber mit dem Hintergedanken der Gier nach Reichtum, Getreide oder Wein kaufen, zum Beispiel indem sie (eine Einheit) für zwei Denare kaufen und dann solange behalten, bis sie sie für vier oder sechs oder sogar noch mehr verkaufen können, machen sich eines unehrlichen Gewinns schuldig. Wenn sie ganz im Gegenteil kaufen, um es für sich zu behalten oder aber (gleich)  an andere zu verteilen (zu verkaufen), dann nennen wir das Geschäft (negotium). (in: Audebert/Treffort, S.49)

In der Praxis spielt damals wohl weder die geistliche noch die weltliche Ablehnung von "Wucher" alltäglich eine sonderliche Rolle.

 

 

Jüdische Händler des nördlichen Schwarzmeerraumes vermitteln zentralasiatische Seidenstoffe über Kiew bis nach Mainz. (Haussig in: Jankuhn/Ebel, S.27). Dabei hilft der Übertritt der Chasaren zum Judentum um 800, der möglicherweise aus merkantilen Gründen geschieht. Sie spielen eine erhebliche Rolle im Sklavenhandel des 9. Jahrhunderts. In Haithabu liegt auch ein chasarischer Kaufmann begraben.

 

Der Aufstieg der Karolinger fällt mit dem islamischer Despotien zusammen, welche nach 711 fast ganz Hispanien bis auf den äußersten Norden umfasst,  und mit deren Abwehr im Zentrum des Frankenreiches und dann in Nordspanien und schließlich an den Küsten Südgalliens und Italiens. Im neunten Jahrhundert fällt Sizilien an nordafrikanische Heerführer. Im ganzen lateinisch gebliebenen Mittelmeerraum findet muslimische Piraterie statt, die sich an Küstenorten festsetzt und durch das ganze 9. Jahrhundert das Rhônetal und die Provence wie auch die italienischen Küsten bedroht.

Zugleich verliert Ostrom, das Reich von Byzanz, einen Großteil seines Territoriums und muss dulden, dass sich ein fränkischer Herrscher zum zweiten Kaiser (Imperator) machen lässt, auch wenn dieser Titel dann bald an Bedeutung verliert.

 

Mit dem Islam und seiner Ausdehnung von Spanien bis nach Mesopotamien und bald dann darüber hinaus nach Osten entsteht ein viel größerer Wirtschaftsraum als der immer kleinere oströmische mit seinen schrumpfenden Ablegern in Italien und dem fränkischen mit seinen bescheidenen Ausläufern nach England und in den Nordosten.  

Ein weiteres bedeutendes Reich, viel älter als das fränkische und viel dauerhafter, ist längst mit dem chinesischen Kaiserreich entstanden, wo es viele Male größere Städte gibt als das abbasidische Samarra oder Konstantinopel. 792 öffnet sich der Hafen des chinesischen Kanton für arabische Händler, die dorthin Glas exportieren und Seide und anderes mitbringen. (Hodges, S.36)

797, 802 und 807 gehen Botschafter Karls ("des Großen") an den Hof des Abbassiden-Herrschers, und 800 reisen Botschafter von Harun Al-Rashid über Pisa nach Aachen und liefern einen Elefanten als Geschenk ab, den ein indischer Rajah besaß und den Haruns Vorgänger Al-Mahdi erworben hatte. Den technischen Vorsprung belegt ein anderes Geschenk des Kalifen: Eine mechanische Uhr auf der Basis einer Wasseruhr, die jede Stunde erklingen lässt. Jede von zwölf Stunden treten zwölf Reiter aus zwölf Fenstern und schließen dann die zuvor offenen Fenster. (siehe: Hodges, S.96)

 

In der Karolingerzeit gewinnt überhaupt islamischer Handel an Bedeutung, der allerdings vorwiegend innerislamisch stattfindet, und in dem Juden ebenfalls eine Rolle spielen. Schon Mohammed betrieb Handel und der erste Kalif ebenso. Es gibt Formen von Handelsgesellschaften, die auch Fernhandel betreiben. Vergleichbares zu Kaufmannsgilden kann aber nicht entstehen, da sie die Willkür islamischer Herrscher einschränken würden, die sich auch gelegentlich gerne aus der Kasse von Kaufleuten bedienen möchten. Dafür fehlen auch Rechtsvorstellungen jenseits der religiös begründeten Scharia, die sich dann in mehrere "Schulen" aufteilt..

 

Nach etwa 820, so wird vermutet, nimmt der Handel in der Nordsee etwas ab, und langsam erscheinen mehr italienische Münzen nördlich der Alpen. 849 "berichtet Abt Lupus von Ferrières, dass die ärmlicher gewordene westfränkische Währung in Italien nicht mehr akzeptiert werde, nur noch Italica moneta argento." (Coupland in: Hodges, S. 1990, m.Ü.)

Mehr Handel über die Alpen kommt Ende des 8. Jahrhunderts auf, als der Po in größerem Umfang Handelsweg wird. Im 8./9. Jahrhundert gelangen so zum Beispiel exotische Gewürze über Venedig, Po, Alpen und Rhein nach Mainz, von dort auch, wohl noch seltener, nach England. Das wird im 10. Jahrhundert dann häufiger werden.

 

Im westslawischen Raum entstehen nach der slawischen Besiedlung Herrschaften, die in Burgen hausen, an die sich Siedlungen anschließen, die bis über 1000 Häuser umfassen können (wie Lublin im 8. Jahrhundert). Diese im 9. Jahrhundert mit einem Wall umgebenen Orte besitzen Handwerker und Händler.

 

Transport

Die Flüsse bleiben weiterhin besonders für Massenwaren wichtigste Handelswege. Schon Einhard erwähnt für die Zeit Karls ("des Großen"), dass Mainzer Händler in Süddeutschland Getreide einkaufen und mit Schiffen über Rhein und Main nach Mainz transportieren. Daneben findet Zivilisierung über Handelsinteressen in Nordgallien über die Flüsse statt, die Maas und die Schelde vor allem, denn Zivilisierung und Handelsniederlassungen gehören zusammen. Dabei ist für beide Flüsse auf ihrem schiffbaren Verlauf bekannt, dass die Tagespensen von etwa 30 Kilometern keine Entsprechung im Abstand der portus als Handelsstationen finden. Von daher wird vermutet, das solche mit dem Kreuzen von Handels - mit Flusswegen verbunden sind. (Despy in: Verhulst, S.354)

 

Geld

Handelsförderung bedeutet auch Förderung der Geldwirtschaft. Nachdem das Gold zunehmend in den wirtschaftlich stärkeren byzantinischen Raum abgeflossen ist oder als Schatz gehortet wird, führen die späten Merowinger eine neue Silberwährung ein. Der etwas einheitlichere Wirtschaftsraum des großen Frankenreiches wird dann von Karl ("den Großen") auch durch den Silberdenar mit erhöhtem Gewicht hergestellt, den die Angelsachsen übernehmen und der volkssprachlich im Osten zum "Pfennig" wird. Das wird zur Leitwährung, die für Jahrhunderte das europäische Geldwesen prägen wird, während in Byzanz der Goldsolidus weiter besteht.

 

Zunächst setzt die Reform den modius publicus als eine Art Königsscheffel für die Getreidearten fest, und setzt diesen dann jeweils mit Anzahlen von Broten und Denaren in Beziehung. "Die glatten Relationen zwischen den Preisen und der Vergleich mit anderen Kapitularien zeigen indessen, dass keine Marktpreise dekretiert, sondern Getreidepreisrelationen festgelegt und über sie Hohlmaß und Gewicht für frisches und ausgebackenes Getreide in Beziehung zueinander gebracht wurden." (Joh. Fried in: 794, S.32)

 

"Für die Zähleinheiten des neuen Währungssystems wurden römische Begriffe verwendet: 240 Pfennige (denarii) = 20 Schillinge (solidi) = 1 Pfund (librum/talentum). Pfund und Solidus bildeten nur Rechenwerte, keine real geprägten Münzen. Wenn also beispielsweise der Preis für ein Pferd 20 Pfund betrug, dann musste der Käufer 4800 Pfennigmünzen bezahlen. Um das umständliche Zählen so vieler Münzen zu umgehen, wurde das Geld gewogen." (Ertl, S.137)

 

Im Mittelmeerraum gilt weiterhin die nun von den Byzantinern durchgesetzte Goldwährung.

Aber selbst beim Denar ist der Wert zu hoch für den alltäglichen Gebrauch. „Im Alltag herrschte der Tauschhandel.“ (Groten, S. 34) Tributzahlungen in Kriegszügen unterworfener Völker werden oft in Vieh bezahlt, wie zeitweilig laut Fredegar die Sachsen an die Merowinger jährlich 500 Kühe abgeben müssen.

Überhaupt wird Münzgeld östlich des Rheins in der ganzen Karolingerzeit selten, und "das reiche Kloster Fulda bezahlte im Jahre 827 urbar gemachtes Land mit 8 Schwertern, 5 Stücken Tuch, 4 Stück Vieh, einem Pferd und zwei paar Ohrringen" (Michael North in: Römer und Barbaren, S.303)

 

Dennoch nimmt wahrscheinlich spätestens unter dem "großen" Karl der Geldumlauf wieder etwas zu. Grundherrn erwirtschaften mit ihren abhängigen Bauern und Handwerkern gelegentliche Überschüsse, die auf Märkte an Bischofssitzen und Klöstern gelangen und manchmal gegen Geld getauscht werden. Das betrifft Lebensmittel, aber auch Tuche vor allem.

 

Die Ausweitung der Geldwirtschaft führt dann unter Kaiser Ludwig zu besserer Kontrolle über das Zollwesen und den Erhalt von Straßen sowie zu Münzprivilegien.

Indem die Karolinger ein königliches Münzmonopol für etwa 70 Münzstätten des Reiches durchzusetzen versuchen, beabsichtigen sie eine gewisse Währungssicherheit herzustellen: Der aufgeprägte Wert soll dem Edelmetallgehalt entsprechen. Das gelingt allerdings erst später. Und noch etwas: Der "neue Pfennig lehnte sich an die damalige >Leitwährung< der Mittelmeerwelt an, den arabischen Dinâr. Der König band durch die Reform sein Reich in die Welt jenes Fernhandels ein, der über das Mittelmeer, Russland und die Ostsee den lateinischen Westen erreichte." (Joh. Fried in: 794, S.32)

 

Während Grund und Boden, selbst Ernteerträge und die handwerkliche Produktion soweit nachzuvollziehen sind, dass daraus Abgaben errechnet werden können, lässt sich das Geld des Kaufmannes zumindest zu einem guten Teil vor solchen Nachforschungen verstecken. Ludwig der Fromme ist möglicherweise der erste, der darauf kommt, durch Münzverrufung dabei Abgaben wenigstens indirekt zu erreichen: Dabei werden alle Pfennigmünzen für ungültig erklärt und durch neue ersetzt. Wer immer sie bei den Münzstätten umtauschen möchte, muss den „Schlagschatz“ bezahlen, eine willkürlich erhobene Gebühr für die Münzprägung. Natürlich ist bekannt, wer über beträchtliche Summen Geldes verfügt, und gelegentlich wird auch so versucht, zumindest an einen kleinen Teil davon heranzukommen.

 

Händler

Zum Wiederaufschwung des Handels nördlich des Mittelmeerraumes in der zweiten Hälfte des 8. und durch das 9. Jahrhundert tragen im 8. Jahrhundert die Friesen bei. Friesen beherrschen den Nordseehandel wie Skandinavier den der Ostsee. Zudem reisen friesische Händler auch den Rhein bis Straßburg hinauf. Innerhalb des Frankenreiches handeln fränkische Händler mit Getreide, Wein, Eisen und Salz vor allem. Salz, selten vor Ort vorhanden, ist ein überall begehrtes Gut. Es kommt in deutschen Landen aus Reichenhall, Hallein, Schwäbisch-Hall und Lüneburg. Friesen haben aber außerhalb ihres Kern-Siedlungsgebietes kein Monopol auf Handelsaktivitäten.

Neben den Friesen, die sich im fränkischen Reich schon vor der endgültigen Eroberung und fränkischer Zivilisierung nach und nach zu integrieren beginnen, sind, wie schon angedeutet, Juden von Grundherrschaft freiere Händler auch aufgrund ihrer ebenfalls andersartigen Religion. Da Christen damals offiziell nicht am äußerst lukrativen Sklavenhandel teilnehmen können, den Juden ihre Religion nicht verbietet, werden sie als Händler geradezu gefördert. Wichtige Sklavenmärkte der Karolingerzeit sind offenbar Verdun und Mainz, zwei damals besonders mächtige Bischofsstädte. Es gibt ihn allerdings vielerorts.

 

Die orientalischen ("syrischen") und griechischen Händler, die zuvor die gallorömischen ersetzt hatten, verschwinden aus den Quellen der Nordhälfte Franziens mit der Orientierung des dortigen Handels nach Norden. Selbst die Messe von St.Denis ist nun auf den Handel mit Orten wie Rouen, Amiens und Quentovic ausgerichtet. Die Bedeutung von Gent an der Schelde und Mastricht mit Zoll und Münze steigt, wie die der Maasorte Dinant, Huy und Namen (Namur).

 

Der Übergang vom Händler als Teil der herrschaftlichen familia mit Beauftragung durch den Herrn über den, der nebenbei auch auf eigene Rechnung Handel treibt, zum ganz selbständigen Händler ist im Einzelfall kaum nachvollziehbar. Ein Zwischenschritt ist der Einkauf am Zielort nach Verkauf vorgegebener Waren, wobei Händler wohl zusätzlich auf eigene Rechnung einkaufen. Wenn der Herr vom Händler beispielsweise eine bestimmte Menge Salz erwartet, kann dieser auf eigene Rechnung und für eigenen Handel zukaufen. 

Andererseits tritt zum Beispiel der Friese und homo ecclesiae Ibbo in der 'Vita Maximini' schon zur Merowingerzeit auf, der für das Trierer Kloster "selbständig zwischen England und dem Kontinent Handel treibt. Wir beobachten bei ihm eine Teilnahme an einer Gruppenbildung außerhalb der Grundherrschaft. Er schließt sich einer Flotte von sechs Schiffen an. Er war Kirchenabhängiger geworden, ohne die freiheitlichen Formen seiner Betätigung aufzugeben, Wahrscheinlich hat die Aufnahme solcher Freier in die Herrschaft über die Assimilation auch den Freiraum der Altabhängigen vergrößert." (Sprandel in: Schwineköper, S.24)

Auch Verpachtungen wie die von Landungsstegen oder Marktständen an Händler kann ein Weg in ihre Verselbständigung sein.

 

 

Ähnlich wie bei den Handwerkern treten neben den meist unfreien Kaufleuten, die Handel im Auftrag ihrer Herren betreiben, nach und nach immer mehr einheimische freie auf, so mancher ein wohlhabender Handwerker, der von der eigenen Handarbeit, die er selbst auf den Markt bringt, dazu übergeht, Rohstoffe und Produkte anderer auf dem Markt zu verkaufen. Im frühen Mittelalter gelangen solche Leute zuerst in Italien zu Reichtum. Anderen gelingt es, durch Handel außerhalb der dem Herrn zustehenden Zeit wohlhabend zu werden. Handel ist also für Unfreie ein guter Weg zu einem Wohlstand, der dann auch in die Freiheit führen kann.

 

In den Annalen von St.Bertin werden immer wieder Kaufleute erwähnt, allerdings ohne dass wir Näheres über sie erfahren. Immerhin lesen wir im Kapitular von Herstal (Capitulare Haristalense) von 779 vom Verbot des sich Verschwörens in (Kaufmanns)Gilden (geldae). Dort heißt es: Über die Eide der in Gilden gegenseitig Schwörenden (de sacramentis per gildonia invicem coniurantium): niemand darf es tun (ut nemo facere praesumat). Erlaubt bleiben die Almosenkasse, Brandhilfe und Schiffbruchshilfe, aber ohne Eid. (Alio vero modo de illorum elemosinis aut de incendio aut de naufragio, quamvis convenentias faciant, nemo in hoc iurare praesumat). (Staab, S.371 / Jankuhn/Ebel, S.173). Solche gildonia oder confratria bzw. coniurationes mit ihren convenientiae (Übereinkünften) tauchen auch im weiteren 9. Jahrhundert im fränkischen Raum auf und werden immer wieder von den Königen verboten, die hierarchische statt genossenschaftliche Formen durchsetzen wollen.

Genauso geht die Kirche seit der Merowingerzeit vor, die jede horizontale Vereinigung von Klerikern verbietet zugunsten der innerkirchlichen Hierarchie.

 

In der Karolingerzeit verbietet Hinkmar von Reims dann auch 852 collectis, quas geldonias vel confratrias vocant, (Oexle in: Schwineköper, S.155) und knüpft dabei an kirchliche Bestimmungen gegen Kleriker-Vereinigungen (coniurationes clericorum) mit dem Ziel gegenseitiger caritas in der Merowingerzeit an. Erlaubt sind für ihn nur Vereinigungen rein religiösen Inhalts. Selbsthilfe darüber hinaus erscheint offenbar gefährlich.

Im 8. und 9. Jahrhundert taucht auch im deutschen Raum zunft in verschiedenen Versionen als Vereinigung von Personen auf.
Solche Gilden enthalten Männer wie Frauen, die sich unter einem Eid vereinigen. Ein besonderer Dorn im Auge der Kirche sind dabei die Mähler (comessationes), die mit Völlerei, Obszönitäten, Streitereien und Schlimmerem verbunden sein sollen.

 

Es gibt für die Frühzeit dieser sich entfaltenden Handelswelt kaum Texte über einzelne der wagemutigen Fernhändler. Eine Ausnahme ist der Kaufmann Ottar aus der nördlichen Fjordlandschaft Norwegens. Er war mehrmals mit einer Schiffsladung Tierhäute und Rentiergeweihe in See gestochen, und hatte Handelsplätze in Südnorwegen, Dänemark und England besucht. (Kümper, S.36)

 

890 trifft er auf einer Reise auf den englischen König Alfred ("den Großen"). Der lässt gerade die 'Historiae adversum Paganos' des Orosius in das Englische der Zeit übersetzen. Da in der einleitenden Beschreibung der damalig bekannten Welt (des 5. Jahrhunderts) Nordeuropa fehlt, bittet der König ihn offenbar, ihm davon zu erzählen.

 

Ottar beschreibt sich als reichen Mann im nördlichsten Norden. Er besitzt wenig Ackerland, welches mit einem Pferd gepflügt wird. Darüber hinaus gehört ihm eine große Herde halbwilder Rentiere von über 600 Tieren, darunter überaus wertvolle zahme Tiere, mit denen wilde und halbwilde Rentiere angelockt werden, dazu zwanzig Schafe und zwanzig Schweine. Sein Reichtum besteht aber eher aus den Luxuswaren Pelz und Walrosszahn, nach welchen er auf seinen Reisen aktiv Ausschau hält, und die er von Samen einhandelt.

 

"Nach seiner Beschreibung ist Norðmanna land ein langes schmales Gebiet am Meer. Alle besiedelten Landteile lägen an der Küste. Weiter im Osten sei das Gebiet der Samen (finnas). Je weiter man nach Norden komme, desto schmaler werde das besiedelte Land. Im Südosten sei es etwa 60 alte englische Meilen, ca. 90 km, tief, in der Mitte 30 Meilen, im Norden an manchen Stellen nur bis 3 Meilen schmal, bevor man ins Gebirge kommt.

Die Samen gingen im Winter auf die Jagd und fischten im Sommer und seien Ottar tributpflichtig. Der Tribut wiederum richtete sich nach der sozialen Stellung. So hatte der Vornehmste fünfzehn Marderfelle, fünf Rentierfelle, ein Bärenfell, zehn Bütten Vogelfedern, eine Jacke aus Bären- oder Otterfell und zwei 60 Ellen lange Schiffstaue aus Walross- oder Seehundhaut zu erbringen.

Weiterhin berichtete er über seine Expedition um die Halbinsel Kola ins Weiße Meer vermutlich bis in die Gegend des heutigen Archangelsk. Dort wohnte ein Volk, das er Bjarmer nannte und von dem er sagte, dass sie eine den Samen ähnliche Sprache sprächen.

Am südlichen Ende Norwegens beschrieb er eine Handelsstadt, hier als Sciringesheal bezeichnet (Skiringssal). Ottar brauchte einen Monat, um dorthin zu kommen, wenn der Wind gut war und er nicht bei Nacht segelte. Dabei hatte er immer den Norðvegen an Backbord." (https://de.wikipedia.org/wiki/Ottar)

 

 

Frühe Städte im Norden

 

Die mittelalterliche Stadt des lateinischen Abendlandes wird wichtige Voraussetzung für die Entstehung von Kapitalismus. Für ihre Vorgeschichte in der Karolingerzeit gibt es allerdings nur spärliche und zufällige Informationen

 

Kerne römischer Städte überleben in die Karolingerzeit und erleben dann im 9. Jahrhundert Ansätze einer Wiederbelebung. Aber schon vorher entstehen im zunächst wenig zivilisierten Nord- und Ostseeraum von der Kanalküste bis zum heutigen Schweden saisonale Umschlagplätze von Waren, die sich in der Karolingerzeit bei Förderung durch Könige und regionale Große zu veritablen Städten entwickeln. Ihnen fehlt der herrschaftliche Kern, zunächst auch eine Befestigung, und sie erhalten manchmal erst relativ spät eine Kirche.

 

Sogenannte Emporien des Nordens

Im frühen siebten Jahrhundert entsteht im späteren Ipswich (Suffolk) an der Mündung eines Flusses in die Nordsee ein saisonal genutzter Handelsort, über den Geschirr und andere (Luxus)Güter aus dem nördlichen Merowingerreich nach East Anglia gelangen, und dann zum Beispiel in das nahe Fürstengrab von Sutton Hoo.

Dürftige Überreste lassen darauf schließen, dass es solche saisonalen "Märkte" auch an den Küsten des Ärmelkanals und der südlichen Nordseeküste gibt. Es ist die Zeit des Niedergangs an den Mittelmeerküsten und der großen arabischen Eroberungswelle. Vermutlich schützen lokale bzw. regionale Machthaber hier einen persönlich freien Fernhandel, um an ihre Luxusgüter zu gelangen.

 

Vielleicht erst gegen Ende des achten Jahrhunderts verwandelt sich Ipswich in eine feste Siedlung mit einem Straßennetz und zusätzlichen Vierteln für  Handwerker. Aber schon gegen Ende des siebten Jahrhunderts entstehen solche stadtähnlichen Orte von Quentovic an der östlichen Kanalküste und Dorestad an dem Zusammenfluss von Rhein und Lek über englische Siedlungen wie Hamvic (Southampton), Lundenvic/Lundenburg (London) und Eoforvic/Jorvik (York) bis nach  Ribe und Birka. Um 770  kommt Haithabu/Hedenby dazu.

 

Solche Emporien, wie Historiker sie manchmal nennen, sind als Gründungen freier Händler und Handwerker rein wirtschaftlich motiviert, wobei der Handwerkeranteil teils sehr hoch ist, und es fehlt ihnen zunächst das christliche Zentrum, ja, sie sind oft ausgesprochen "heidnisch". Zudem fehlen auch palastartige Gebäude und eine entsprechende Elite, dabei fördern hohe Fürsten die Orte und die Kirche investiert hier.

Mit Handwerkern und Händlern, die aus verschiedenen Gegenden mit wirtschaftlichen Absichten herkommen, wird das auf Verwandtschaft beruhende Siedlungssystem durchbrochen, und mit der Einrichtung selbständiger und gemeinschaftlicher Werkstätten das kirchliche Modell einer aus Geistlichen, Kriegern und Bauern bestehenden Weltordnung. (Hodges, S.86)

Laut Hodges ähneln erst im zehnten bzw. elften Jahrhundert dem die aus den Römerstädten hervorgehenden historischen Zentren den nördlichen Emporien der Karolingerzeit "mit ihrem erheblichen Reichtum". (Hodges, S.124) Der Vergleich ist allerdings nicht unproblematisch.

 

 

Dorestad beginnt möglicherweise als saisonaler Handelsplatz und wird nach etwa 675 in einen dauerhaften Ort verwandelt. Es  liegt südöstlich vom späteren Utrecht und an der Gabelung von Rijn und Lek, wobei es am Rijn im 8. Jahrhundert viele Landungsbrücken gibt. Hier treffen sich nun eine Handelsroute über den Rhein nach Süden, eine nach Westen bis Quentovic und eine nach Hamvic (Southampton), London, Ipswich in East Anglia und York, eine dritte östlich nach Haithabu, Birka und ins Baltikum. Wichtig ist vor allem die Verbindung mit England.

 

690 wird hier zum ersten Mal ein castrum erwähnt. Es gibt in dieser Handels-Siedlung vor 650 und nach 690 bis etwa 825 eine fränkische Münzstätte, eine Zollstation und spätestens im 8. Jahrhundert eine Kirche. Bei den Landungsstegen sind voneinander abgehobene rechteckige Holzhäuser, hinter denen wiederum ähnlich gebaute Bauernhäuser stehen

 

Friesen liefern vor allem Waren aus dem Rheinland nach England und kommen mit Sklaven zurück. Wohlhabende heidnische Kaufleute und freie Bauern prägen nach 670 eigene Silbermünzen mit dem Bild Wotans (Brown2, S303f). Kein Wunder, dass schon Merowingerkönige versuchen, die Kontrolle über das Gebiet zu erreichen, welches seine Freiheit auch gegen christliche Missionare verteidigt.

 

Die friesische Siedlung wird um 700-719 von den Franken dauerhaft erobert und ein fränkisches Kastell errichtet. Über Archäologie und Quellen erfahren wir, dass irgendwann vor 777 außerhalb des merowingischen Kerns zwei Uferstraßen entlang von Rhein und Lek entstehen. Im alten Kern liegt schließlich eine Kirche, die Karl ("der Große") 777 fördert. Die wirtschaftliche Bedeutung des Ortes nimmt erheblich zu und er wird wichtiger als Utrecht. In Dorestad werden nun fränkische Münzen geprägt und eine fränkische Zollstation eingerichtet, überhaupt wird der Ort von den fränkischen Königen gefördert. Es gibt Tuchweberei, Schmiede und Metallbearbeitung, Kammacher und Bearbeiter von Bernstein.

Während seiner Blütezeit zwischen etwa 775 und 825 hat Dorestad wohl 2.500 bis 3.000 Einwohner auf rund drei Quadratkilometern, damit um 800 eine bedeutend größere Fläche als Mainz. "Dorestad was one of the great places of early medieval Europe." (Hodges, S.103)

Zu den Handelsgütern gehört Wein vom Oberrhein, Glaswaren und Lava-Mahlsteine.

Nach mehreren Plünderung Dorestads durch Wikinger um 830 bis 863 und der gänzlichen Vernichtung des Ortes durch eine Rheinüberschwemmung ist die Stadt wohl untergegangen. Tiel und Deventer werden ihre Nachfolger.

 

 

Quentovic (emporium in einem Dokument Karls ("des Kahlen")), südlich vom späteren Boulogne und an der Canche, nahe bei der Abtei St.Josse, ist ein weiterer wichtiger Hafen und Handelsplatz vor allem für den Kontakt mit Kent. Es ist vielleicht von einem neustrischen König im sechsten/siebten Jahrhundert zu diesem Zweck gegründet worden und ist spätestens seit 669 Zwischenstation für englische Pilger auf dem Weg nach Rom und aus dem Süden/Südosten nach England. Als Hafen für England löst es nun Boulogne ab.

Das urbane Zentrum umfasst mehr als 35ha. (Hodges, S.80) Hier gibt es sehr viel Handwerk, eine Münze spätestens seit etwa 670, und bei der Verringerung der Münzen auf zehn im Edikt von Pîtres 864 ist Quentovic noch dabei.

 

Eine Erklärung für das spätere Verschwinden des Ortes im 11. Jh ist die Versandung der Mündung des Canche und die Konkurrenz anderer Handelsstädte.

 

Hamvic wird um 700 in der Nähe von Clausentum als neue Stadt mit mehr als 40ha und einem umfasssenden Graben angelegt, wobei zunächst ein Straßengitter entsteht. Die Gebäude unterscheiden sich vermutlich nicht von bäuerlichen bis darauf, dass sie Schloss und Riegel haben.

"Virtually all the 68 buildings were involved in interdependent multi-craft activities including various types of metal production, bone and antler working, possibly bead production, possibly pottery production and almost certainly involving perishable materials such als leather-working, carpentry and so on." (Hodges, S.81) Zusätzlich werden wohl Luxusgüter verhandelt.

 

Ribe ist möglicherweise eine königliche Gründung des frühen 8. Jahrhunderts. Im Ort wurden rheinländische Glas- und Töpfereiprodukte gefunden, aber er ist wohl vor allem ein Ort regionalen Viehhandels.

 

Birka, dessen Vorläuferort Helgö bereits im 5. Jahrhundert auch Metallverarbeitung betreibt, wird um 790 n. Chr. auf der Insel Björkö im Mälaren gegründet, damals einer Einbuchtung der Ostsee.

Transporte von Handelswaren sind wegen fehlender Straßen und dichter Wälder schwierig und gefährlich, es bleiben im wesentlichen die natürlichen Wasserwege. Auf dem Mälaren können Waren von der Ostsee bis weit ins Inland hinein transportiert werden.

 

Das altnordische Wort birk mit der Bedeutung ‚Handelsplatz‘ bezeichnet einen abgegrenzten Rechtsraum. Birka bleibt für rund zweihundert Jahre eines der wichtigsten Handelszentren Skandinaviens. Die Siedlung hat in ihrer Blütezeit geschätzte 700-1000 Einwohner, die in Holzhäusern wohnen. Rund 3000 Gräber sind ausgegraben worden. Es gibt einen Hafen mit Runenstein und einen Thingplatz.

Der Ort steht unter dem Schutz des Krongutes auf der Nachbarinsel Adelsö, auf dem bald die damaligen Svea-Könige ihren Sitz haben. Dort befinden sich eine Wallburg und große Hügelgräber der Häuptlinge.

 

Der Handel geht weit über Skandinavien hinaus. Fundstücke weisen auf ausgedehnte Handelsnetze und vielleicht lange Reisen hin. Sie wurden teils in weit entfernten Gegenden eingetauscht oder geraubt. Objekte aus der Frühzeit Birkas zeigen Kontakte mit den Herrschaftsgebieten der Araber wie etwa ein Ring mit eingravierten Kufi-Schriftzeichen, und mit dem Khaganat der Chasaren, später auch zum Rheinland und Gebieten in West- und Südeuropa.

 

Archäologen haben neben größeren Mengen Silbermünzen aus dem arabischen Raum, die in der Regel zu Silberschmuck verarbeitet wurden, auch Seidenstoffe und Gewürze aus dem Orient gefunden. Ebenso fand man bunte Glasperlen, kostbare Glasbecher und kunstvolle Keramikgefäße aus dem südeuropäischen Raum.

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Der gesamte Handel läft als Tauschgeschäft ab. Im Gegenzug zu den fremden Waren werden hauptsächlich hochwertiges Eisen aus den mittelschwedischen Erzrevieren (Bergslagen) sowie Felle, Pelze, Geweihe und der relativ häufig im Mälaren vorkommende Bernstein getauscht.

 

Überliefert ist, dass der Mönch Ansgar im Jahr 830 nach Birka kommt, um zu missionieren. Er bleibt dort anderthalb Jahre, doch nur wenige Einwohner lassen sich taufen.Ein zweiter Versuch 22 Jahre später ist noch weniger erfolgreich.

 

Ende des 10. Jahrhunderts verlassen die Menschen Birka. Es sind keine Spuren einer Plünderung entdeckt worden, nur die Herrscherburg in der Nähe brennt ab. Dafür wird um 970 am Mälaren auf dem Festland an der Straße nach Alt-Uppsala eine neue Siedlung angelegt, das von Erik Segersäll gegründete Sigtuna, das Birkas Rolle als Handelsplatz übernimmt.

 

Eine weitere Handelsmetropole ist das um 770 gegründete Haithabu an der Schlei. Links sind rekonstruierte Häuser zu sehen. Spätestens seit dem 9. Jahrhundert gibt es eine vom Handel genutzte Verbindung zwischen Nord- und Ostsee. "Über die Eider bei Tönnig konnte man beim heutigen Friedrichstadt in das kleine Nebenflüsschen Treene abbiegen, das bis zum Flusshafen Hugstaeth (heute Hollingstedt) führte. Von dort war es ein kurzer Weg über Land bis nach Haithabu..." (Kümper, S.33)

 

808 unternimmt der dänische König einen Kriegszug, bei dem er in der Nähe des späteren Wismar den Handelsplatz Reric zerstört und die dortigen Kaufleute nach Haithabu zwangsumsiedelt. Hier werden sich dann dänische und ostfränkische Herrscher weiter um die Kontrolle streiten.

 

Die Stadt hat bald um die 1000 Einwohnern und Handelsbeziehungen nach Skandinavien, in den slawischen Raum und das Rheinland. Tuche, Getreide, Wein, Keramik, Schmuck und Waffen des Südwestens werden gegen Pelze, Wachs, Honig und Sklaven aus dem Osten gehandelt. Handwerk verarbeitet Holz, Bernstein, Geweihe, es gibt Textil- und Glasproduktion, "Eisenverhüttung, Feinmetallverarbeitung, Bronzeguss und Goldschmiede..." (Fuhrmann, S.28). Es wird Spelzgerste und etwas Roggen angebaut, an Vieh werden Schweine zum Verzehr und Rinder vor allem als Zugtiere gehalten. Häuser haben eigenen Backofen und Brunnen.

Adam von Bremen jedenfalls berichtet vom 11. Jahrhundert aus, dass von Haithabu ständig Schiffe ins Slawenland, nach Schweden, ins Samland und bis nach Griechenland gefahren seien. (Kümper, S.39)

 

Nachfolger-Orte im Norden

Mit dem Niedergang der nördlichen Emporien in der ersten Hälfte des neunten Jahrhunderts beginnen die brutalen Raubzüge von Nordmannen/Wikingern, die immer häufiger werden, bis sie sich dann in der zweiten Hälfte im Winter an Küstenorten von Nordsee, Ärmelkanal und Atlantik festsetzen, um im Frühjahr neue Überfälle zu beginnen. Sie verwüsten Küstenorte und ziehen über die Flüsse bis tief ins Landesinnere, manchmal bis nach Paris oder Trier. Die Städte sind ihnen offenbar meist wehrlos ausgeliefert. Zudem geht manchmal der natürliche Verfall weiter.

Nicht ganz klar ist, in welchem Verhältnis bei ihnen Raubzug und Handel stehen. Laut den Annales Bertiniani werden die Normannen 873 bei Angers zum Rückzug gedrängt, willigen aber nur ein, falls sie auf einer Loire-Insel noch eine Weile einen Markt betreiben können. In der Chronik des Aethelward vom Ende des 10. Jahrhunderts fragt sich ein Beauftragter des Königs von Wessex angesichts einer normannischen Flotte vor Dorchester, ob es sich eher um Räuber oder Händler handele.

 

 

Nach etwa 825 (Hodges) bekommen Emporien-Orte im Hinterland zunehmend Konkurrenz durch vici und portus an Flussläufen wie der Maas, manchmal auf oder bei römisch-antiken Resten.  Um 800 entstehen Emden und Deventer.

 

Hier mangelte es noch an Rest-Städten, wenn man von einst befestigten kleinen Plätzen der Römerzeit absieht. Zu den neuen Orten gehört Huy, welches zunächst ein Zentrum der Keramikproduktion wird. Vielleicht bis Anfang des 9. Jahrhunderts hat Brügge wohl (wieder) einen Hafen. Irgendwann Mitte des 9. Jahrhunderts baut Graf Balduin I. hier eine Festung (castrum), zu der bald ein vicus samt Kirche gehört. Gegen Ende des Jahrhunderts gibt es hier eine Münze, was den vicus wohl als Handelsort charakterisiert. Der Ort liegt zudem an der gräflich geförderten Strecke Gent-Brügge-Torhout-Ypern.

 

Um 800 wird Einhard in Ganda (Gent) Abt beider Klöster St.Bavo und St.Peter. Um 825 wird der Ort, in dem die cella des Bavo lag, neben der St.Bavo-Abtei, als vicus bzw. portus bzw. als befestigtes castrum Gandavum erwähnt. Diesen vernichten die Normannen 851, aber die Abtei wird wieder aufgebaut. 879 dann lassen sich die Normannen auch über den Winter in der Abtei nieder, und der vicus ist nun verlassen. Darauf entwickelt sich gegen Ende des 9. Jahrhunderts nördlich ein neuer vicus, der dann auch Kaufmannssiedlung (portus) mit Umwallung wird.

 

Um 650 errichtet der heilige Amandus in einem castrum beim späteren Antwerpen eine Kirche, aus der dann das Kloster St.Michael werden wird. Anfang des 9. Jahrhunderts heißt der Ort civitas. 836 brennen die Normannen alles nieder. In der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts entsteht weiter nördlich ein vicus.

 

Utrecht war ein Römerkastell (Traiectum = Furt), welches gegen 200 ummauert wurde, und an das ein vicus angeschlossen war. Möglicherweise ist hier damals ein Arm des Rheins entlang geflossen.

Um 270 wird es von Franken zerstört und wohl erst im 7. Jahrhundert wieder neu besiedelt und dann von den Friesen besetzt. Um 700 scheitert zunächst eine Bistumsgründung. Der Ort bekommt den Namen Ultra Traiectum/ Uut Trecht. Es entstehen im Kastell erste kleine Kirchen. Im  9. Jahrhundert flieht der Bischof vor Friesen und Normannen nach Deventer. 936 verleiht Otto I. das Marktrecht und in dem Maße, in dem Dorestad an Bedeutung verliert, steigt dann die Utrechts.

 

Einstige Römerstädte weiter südlich

Städte entwickeln sich weiter, wenn sie einen dauerhaften Kern besitzen, der auch Überfälle und Zerstörungen übersteht, eine Kathedrale oder eine weltliche Festung - und Zuwanderung von außen bekommen. Die damit verbundene Institution sichert das Überleben.

Bevölkerungswachstum und wachsende landwirtschaftliche Produktion lassen Städte durch Zuwanderung wieder wachsen. An Kathedralen, Klöstern und Pfalzen lassen sich gegen Ende des 8. Jahrhunderts mehr Handwerker und Händler nieder. Damit beginnt u.a. der Aufstieg von Orten wie Köln, Metz oder Tour. Sie werden aber die wirtschaftliche Bedeutung der nördlichen Emporienorte erst im 10./11. Jahrhundert erreichen (Hodges, S.124).

 

In den fränkischen Reichen bis ins 9. Jahrhunderts sind Städte und Märkte auch formal meist noch kaum herausgehoben, sie sind Teile der Grafschaften bzw. Diözesen– es gibt zunächst kaum einen so verstandenen Gegensatz zwischen Stadt/Markt und Land.

Unter den Karolingern werden die gräflichen Gerichte allerdings als Schöffengerichte aus herausgehobenen Einwohnern, die neben den übrigen Großen in der Stadt ein dezidiertes Vorschlagsrecht für die Zusammensetzung haben, zu einer Art Vorläufer für Gemeindeorgane. Aber von solchen ist man noch weit entfernt.

 

Außerhalb Italiens und einiger Stadtlandschaften wie am Rhein sind Handel und Gewerbe aber im 9. Jahrhundert noch nicht auf Städte konzentriert, sondern bleiben im wesentlichen auf dem Lande.

 

 

Bischofsstädte

 

Die meisten städtischen Ansätze des karolingischen Frankenreiches mit Zukunft sind Bischofsstädte, sowohl die alten civitates wie auch Neugründungen in der langsam christianisierten Germania.

 

Bischöfe und Bistum

Kirche spiegelt weiter die weltlichen Machtstrukturen und sorgt dafür, dass sie mit Härte durchgesetzt werden. Von Ausnahmen abgesehen entstammen Bischöfe und Domherren, das Kapitel, einer sich aristokratisch gebenden kleinen Oberschicht und verstehen sich auch so. Im Extremfall nehmen sie nicht nur das Fehderecht, sondern sogar die Rachepflicht als Haupt einer Sippe sehr ernst. Als der (Erz)Bischof von Mainz erschlagen wird, übt sein Sohn Gewiliub, Nachfolger im Kirchenamt, eigenhändig Blutrache, gewiss ein Extremfall. Bischöfe treten, wie man am Beispiel sieht, manchmal auch bewaffnet auf.

 

Sie sind große Grundherren, auch wenn der Besitz offiziell dem Patron bzw. Gott gehört. Wie auch weltliche hohe Herren unterhalten sie einen eigenen Hof und eigene Vasallen. Familien der grundbesitzenden Oberschicht geben nachgeborene Söhne gelegentlich in Domschulen, wo der Klerikernachwuchs herangebildet wird, so wie andere wie auch Töchter im selben kindlichen Alter in Klöster abgegeben werden. Damit ist den Söhnen nach Ausbildung eine höhere Klerikerlaufbahn offen, die über Protektion des Königs und von Fürsten dann stattfinden kann. Dabei können mächtige Familien, wie schon gesagt, Bistümer auch schon mal über Generationen besetzen.

 

Entgegen dem eigentlich kirchlich geforderten Wahlrecht durch Klerus und Volk besetzt Karl die Bistümer mit seinen Vertrauten, manchmal auch Verwandten. Im 10. Jahrhundert werden sie dann häufiger auch aus der Hofkapelle kommen, in die Bischöfe wiederum aufgenommen werden. Diese Investitur geschieht im 9. Jahrhundert noch vor der Weihe.

Dem Dienst am König (servitium regis) verpflichtet, müssen sie schließlich mit ihren Vasallen persönlich oder durch den Vogt vertreten in seine Kriege ziehen, ihn beherbergen und an seinem Hof erscheinen. Zusammen mit den Grafen stellen sie die Königsboten (missi).

 

Sie sind weiter Herrscher in ihrem Kirchenbezirk über den Klerus und über alle Laien, soweit es kirchliche Belange betrifft, und dann ganz weltlich auch über die erheblichen Besitzungen, über die sie für ihr Bistum verfügen. Die liegen nicht nur im Bereich ihres kirchlichen Regiments, sondern können über das ganze Reich und darüber hinaus verstreut sein, praktischerweise aber hauptsächlich nicht allzu weit entfernt. Dazu kommt der persönliche Besitz, den der Bischof mitbringen und grundsätzlich auch behalten kann.

 

Bischöfe sind Machthaber und Herrscher in einem doppelten Machtbetrieb:

Sie sind je nach Privilegierung auch Herren über ihre Stadt, was seit Karl Martell allerdings eingeschränkt wird, so wie Klöster der bischöflichen Kontrolle genommen und königsfreundlichen Äbten übergeben werden. Bischöfe, die sich nicht unterwerfen, werden mit (Waffen)Gewalt entfernt. Die Herrscher der neuen Reiche haben die überlebenden und sich neu bildenden Städte meist im Blick. In einer weithin agrarisch geprägten Welt sind sie Stützpunkte königlicher wie bischöflicher Macht. In der Grafschaftsordnung Karls ("des Großen") müssen sie sich diese zunehmend wie die Aufsicht über Markt, Münze, Zoll und Einkünfte in unterschiedlicher Weise mit den in den Städten residierenden Grafen teilen, die weltliche bischöfliche Herrschaftsrechte übernehmen.

 

 

Diese Bischofskirche hat eine Kontinuität seit der späten Zeit des römischen Imperiums erlebt, wie es sie nirgendwo auf Seiten weltlicher Herrschaft gab. Das Amt, in der Regel nicht in der Verfügung von wechselnden Dynastien und auch nicht ethnisch definiert, gibt der Kirche als Institution eine Modernität, wie sie sich auf weltlicher Seite erst seit dem hohem Mittelalter langsam herauszubilden beginnt. Mit dem Amtscharakter kirchlicher Würdenträger einher geht auch eine Verrechtlichung, die, aus der römischen Antike hergeleitet, wenigstens theoretisch immer präsent ist, während weltliche Macht auf personale Beziehungen rekurriert und im 9./10. Jahrhundert zunächst einen Tiefpunkt erreicht, was römisches oder heutiges Rechtsverständnis angeht.

Schließlich kennt Bischofskirche auch eine auf alledem fußende Vorstellung von Verwaltung, deren solider Kern in der Verwaltung der Kirche, der kirchlichen Betreuung der Laienschar und der kirchlichen Einnahmen fußt.

 

Da laut Kirchenordnung Bischofssitze in ehemaligen, überlebenden oder neuen Städten angesiedelt sein müssen, gibt es eine gewisse Ferne der aristokratischen Kirche zur Masse der Bevölkerung. Dafür bieten Bistümer Kerne für den Aufstieg neuartiger Städte, ähnlich wie Klöster, königliche Pfalzen und andere Fürstensitze. Bischöfe herrschen dabei als geistliche Herren über das Umland, welches die Diözese bildet, und als weltliche Herren zumindest soweit über die Stadt, wie ihr „rechtlich“ definierter Immunitätsbezirk reicht, und wie sie mit königlichen Privilegien, den Regalien ausgestattet werden. Darüber hinaus herrschen sie ganz weltlich wie die weltliche Oberschicht über die bischöflichen Grundherrschaften und über jenen Privatbesitz, den sie in ihr Amt mitbringen.

 

 

Schon die Kirche des großen Karl als Teil seines Machtapparates soll latinisiert und romanisiert werden. (Genaueres dazu im Anhang-Kapitel 'Der große Karl'). Wie selbstverständlich setzt Karl also Bischöfe (und Äbte) ein, die mit dem Auftrag versehen werden, sich selbst weiter zu bilden und zugleich minimale Ansprüche dieser Art an die untergeordneten Priester weiterzugeben. In Metz hatte schon Bischof Chrodegang nach 755 eine feste Regel für seinen Domklerus eingeführt. "So entstand in Metz ein dem liturgischen Rhythmus folgendes Gemeinschaftsleben des Klerus innerhalb eines claustrum mit täglichem capitulum, mit gemeinsamer Küche sowie Räumen zum Essen und Schlafen, geleitet vom Bischof, dem der primicerius oder archidiaconus als ständiger Vertreter sowie die Inhaber niedrigerer Ämter (...) zur Seite standen." (Schieffer)

 

Kaiser Ludwig versucht, auf Reformkonzilien in Aachen 816-17 die Benediktregel in den Klöstern strenger durchzusetzen und Klerikerkollegien an Kirchen einheitlicher zu regulieren. Kathedralkirchen und wichtige Klöster sollen unter Königsschutz und Immunität stärker zu einer einheitlichen Reichskirche als Herrschaftsinstrument zusammenwachsen. Dabei steigt das Selbstbewusstsein vor allem der westfränkischen Bischöfe, die sich manchmal bereits nicht nur wie Berater, sondern auch wie "moralische" Aufseher über die Könige verhalten.

 

Die Chrodegang-Regel wird 816 in Aachen unter dem Einfluss vor allem vom von Ludwig dem Frommen unterstützten Benedikt von Aniane, den er aus seinem aquitanischen Unterkönigtum mitbringt, durch eine ähnliche institutio canonicorum Aquisgranensis für alle Dom- und Stiftsherren abgelöst (und durch eine entsprechende und kürzere Regel für Stiftsdamen).

 

Vorbild für die nun erneut verlangte vita communis ist Augustinus, der schon in seinem Elternhaus in Thagaste und dann als Bischof von Hippo mit seinen Klerikern in einer Art klösterlicher Gemeinschaft lebte. Regularkanoniker, auch Augustiner-Chorherren genannt, legen ein Gelübde auf ihr Domstift (Hochstift) oder Kollegiatstift (Niederstift) ab und wählen unter den beiden überlieferten Augustinusregeln entweder die maßvollere Version Praeceptum / ordo antiquus oder der strengeren Observanz folgend die Version Ordo monasterii / ordo novus aus.

Für ein so oder ähnlich einheitlich geregeltes Leben wenigstens des hohen Domklerus wird für die geistlichen Herren allgemein ein Leben in Gemeinschaft, gemeinsames Essen und Schlafen wie natürlich auch das gemeinsame Gebet verfügt. Dabei dürfen sie allerdings daneben noch persönliches Eigentum besitzen und ein eigenes Haus zum Beispiel, in das sie sich tagsüber zwischendurch auch zurückziehen können. Privatbesitz und kirchliches "gemeinsames" Eigentum sind deutlich getrennt.

 

Frühe Bezeichnung für Dome war Monasterium (Münster), und was den Dombezirk vom Kloster unterschied, war eine gewisse Öffnung nach außen, zu den Laien hin, der „Herde“. Dennoch konnten die Gebäude des Domklerus im 9. Jahrhundert auch als claustrum bezeichnet werden (R. Schieffer in Bernward, S. 269), so wie einfache Kirchen zum Beispiel in Ravenna auch monasterium heißen (Jäggi, S.107 u.a.), Ausdruck geringer Trennung zwischen mönchischer Heiligkeit und Weltklerus.

 

Auch diese vergleichsweise milde Kanonikerregel, die auch dazu dient, Kirche im Interesse weltlicher Herrschaft zu stabilisieren, scheint aber nur wenig zur tatsächlichen Reform der Geistlichkeit beigetragen zu haben, wie die bis in die Kirchenreform des 11. Jahrhunderts anhaltenden Klagen erweisen werden.

Vielmehr wohnen die "Kanoniker" des sich in der Karolingerzeit ausbildenden Domkapitels oft bald wieder in eigenen Häusern im Dombezirk und verbringen nur noch die Zeit des Gebetes gemeinsam.

 

Derweil geraten die Kirche und das Kloster in den gewalttätigen Wirren des neunten Jahrhunderts öfter in Abhängigkeit von fürstlichen und kleineren weltlichen Herren, deren Schutzes sie bedürfen, dabei gleichzeitig oft von ihnen bedroht.

 

In karolingischer Zeit nehmen auch die Privatmessen zu, also solche, die extra von Privatleuten finanziert werden und ohne die Gemeinde stattfinden. Dabei wird erwartet, dass mit der Messe ein bestimmtes persönliches Anliegen gegenüber Gott erwirkt werden kann. Damit wird die Vorstellung immer stärker etabliert, dass man sich in die von Christus angesammelten Heilsmittel ("da oben") praktisch einkaufen könne. Dem entspricht die Verwandlung von Bußleistungen in Geldabgaben, mit denen jemand finanziert wird, der diese Buße stellvertretend absolviert bzw. wodurch sie in Messfeiern verwandelt werden kann. Vor der Kommerzialisierung des Alltags zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert macht die Kirche solche bereits ausgiebig vor.

 

Die Stadt

Könige fördern Städte und städtisches Wirtschaften. Sie geben Verordnungen für sie heraus. Schon 744 veranlasst der Hausmeier Pippin der Jüngere, dass Bischöfe in ihren civitates ständige (Wochen)Märkte und korrekte Maße einrichten sollen (MG Capit.1, 12: ut per omnes civitates forus et mensuras faciat secundum abundantiam temporis). Wohl noch stärker als zuvor wird in diesem Jahrhundert die Förderung von Märkten Sache der hohen Machthaber. Bischöfe erhalten neben Marktrecht das für Münze und Zölle und zudem Schenkungen, die ihre Grundherrschaft erweitern

Oft wird am städtischen Handels-Ort eine Münze eingerichtet. Er wird damit ein wenig zum Finanzplatz. Das Recht zur Prägung der Münze erhöht das Einkommen des Stadtherren. Dabei gilt die Münze nur für den Ort der Prägung, fremde Münzen müssen also eingetauscht werden, was dazu führt, dass Münzer zugleich auch zu Geldwechslern werden und zu Teilen einer städtischen Oberschicht wie am Gericht beteiligte Schöffen, beides Gruppen im Dienste des Herren.

 

Bischöflicher Besitz mit den darauf Lebenden und Arbeitenden ist weiter zunehmend immun, das heißt, er untersteht nur bischöflicher, durch Vögte ausgeübter Gerichtsbarkeit. Die Vögte werden dann im 10./11. Jahrhundert oft von hochadeligen Familien gestellt werden, die gelegentlich mit der Macht der Bischöfe konkurrieren. Kleriker sind hingegen die Pröpste (prepositi), die spätestens im 9. Jahrhundert den weltlichen Vögten assistieren. Daneben entsteht eine engere Immunität direkt um den Dombereich. Das Befestigungsrecht bleibt aber beim König bzw. Grafen.

 

Macht und Zuständigkeiten der Bischöfe nehmen im 9. Jahrhundert zu. 822 erklärt Ludwig I. ("der Fromme"), auf Wunsch des Bischofs von Paderborn, seinen Bischofssitz einschließlich der ihm zugehörigen Sachen und Hörigen unter unseren Schutz und unter den Schirm unserer Gerichtsfreiheit zu stellen (...) auf dass sich kein öffentlicher Richter oder sonst jemand, der rechtsprechende Gewalt innehat, unterstehen soll, in die Kirchengebäude, Ortschaften, Feldfluren oder sonstigen Besitztümer der vorgedachten Kirche einzudringen (...) um dort gemäß dem gerichtlichen Brauch Verhöre durchzuführen, Friedensbußen zu erheben, Häuser oder Hütten zu errichten, Burgen auszuheben, die Leute dieser Kirche ohne Grund zu unterdrücken oder um dort zu beliebiger Zeit irgendwelche Erhebungen oder unerlaubte Forderungen einzuziehen, - womit deutlich wird, was offenbar stattfindet.

 

Darüber hinaus wird der Bischofskirche Abgabenfreiheit zugesichert, denn die Erträge aus ihrem Besitz gestehen wir der Armenkasse und auch dem Unterhalt der Wachslichter der vorgenannten Kirche zu, womit vornehm umschrieben ist, dass die Kirche eigentlich kein Betrieb sein sollte, der der Besitzmehrung dient. Das Ganze soll dann auch finanzieren, dass diese Kirche für das ewige Seelenheil des Kaisers, seiner Gattin und Familie fleißig betet. (in Hergemöller, S.62f)

 

Größter Eigentümer in Bischofsstädten ist der Bischof und sind daneben einzelne Kirchen. Klösterlicher Besitz ist hier eher gering, es gibt daneben noch den der Grafen, des Fiskus, und "private" weltliche (freie) Eigentümer.

 

Indem Münze und Zoll zum Markt dazu kommen, entsteht ein abgesonderter Wirtschaftsraum, aus dem ein herrschaftlicher Rechtsraum werden wird. In diesem Raum werden Stadtherren dann Banngewalt gewinnen, also das Recht, im Interesse des lokalen Friedens zu gebieten und zu verbieten. Auf diese Weise werden sie erst eigentlich zu Stadtherren, was aber vor allem dann in das 10. Jahrhundert fällt.

Unter den Karolingern werden die gräflichen Gerichte als Schöffengerichte aus herausgehobenen Einwohnern, die neben den übrigen Großen in der Stadt ein dezidiertes Vorschlagsrecht für die Zusammensetzung haben, zu einer Art Vorläufer für Gemeindeorgane.

 

 

In den nichtromanisierten deutschen Landen, insbesondere im erst von Karl ("dem Großen") eroberten Sachsen, entstehen stadtähnliche Siedlungen im neunten, zehnten Jahrhundert oft an neuen Bischofssitzen, und ihre Namen sind noch von adeligen Grundherren abgeleitet, wie Braunschweig von Brun/Bruno. Außer höchstens der Kirche gibt es dort nur Holzbauten, adelige Herrensitze haben eventuell bereits ein Steinfundament.

 

Schon 787/89 ist in Bremen Dom und Bischofssitz errichtet worden, wobei der Markt zunächst weiter dem König untersteht. Erst König Arnulf (von Kärnten) verleiht 888 detaillierter dem Bremer Bischof das Recht, einen Markt abzuhalten, Münzen zu schlagen und die Zölle einzunehmen. Im 10. Jahrhundert gewinnen die Bischöfe von Bremen dann auch die Gerichtshoheit. Auf diese Weise werden sie erst eigentlich zu Stadtherren werden.

 

793 wird im Auftrag Karls des Großen in oder bei der kleinen sächsischen Bauernsiedlung Mimigernaford ein Kloster (monasterium) zwecks Eingliederung in sein Reich gegründet. 805 wird hier ein Bistum eingerichtet und Liudger vom Kölner Erzbischof Hildebold als Bischof berufen. Dafür erhält die Siedlung den Status einer civitas (Stadt). Ein Dombau wird in Angriff genommen. Im neunten Jahrhundert siedeln sich dann in Münster Handwerker und Ministeriale an. Stadtrechte gibt es jedoch erst einige Jahrhunderte später.

 

In Paderborn entsteht, ebenfalls im Zuge der Eroberung Sachsens, bei einer längst untergegangenen Handwerkersiedlung eine Kaiserpfalz und ein Missionszentrum, aus dem der Dom wird. Patris Brunna ist die Quelle der Pader. In der Pfalz hält sich der Kaiser des öfteren auf. 799 wird wohl im Beisein des Papstes das Bistum gegründet. Die Domfreiheit wird zur ummauerten Domburg.

 

Magdeburg ist seit 805 als Handelsplatz "mit fränkischem Kastell, Königsgut, einem Grafensitz und gewiss auch einer Kirche" (Schieffer in: Ottonische Neuanfänge S.31) dokumentiert. Bischofssitz wird es erst unter Otto I. werden.

 

Zentrale Ausgangspunkte für die Stadtbildung von Erphesfurt (Erfurt) sind der Domberg und der Petersberg mit Peterskloster und vermuteter königlicher Burg. Bereits Bonifatius spricht von einer iam olim urbs paganorum rusticorum, einer seit ehedem existierenden Stadt heidnischer Bauern. 725 lässt er eine Marienkirche errichten und empfiehlt dem Papst, die Stadt zum Bischofssitz zu machen, was dann 742 geschieht. Bei ihr kreuzen sich zwei Fernhandels-Straßen. Als Bonifatius Erzbischof von Mainz wird, gliedert er das Bistum Erfurt an Mainz an. Ende des 10. Jahrhunderts gelangt die Stadt ganz unter die Herrschaft der Mainzer Erzbischöfe.

 

Daneben gibt es andere Städte in den ehemaligen Regna, die nun "fränkisch" sind. Mit der Machtübernahme der Karolinger gewinnt Regensburg weiter an Bedeutung. Im 8. Jahrhundert beschreibt Bischof Arbeo von Freising in seiner Vita des hl. Emmeran, wie man von einem Berg aus die Kirche von Gottes heiligem Märtyrer und die weit ausgedehnte, mit Mauern und Turmbauten bewehrte Stadt Regensburg erblickt. (in: Hartung, S.94) Diese Stadt brennt aber dann 891 ab und wird neu aufgebaut. Ein Markt ist als Ort des Handels mit den Slawen, vor allem auch solcher mit Sklaven, erst für 934 belegt.

 

Einen Siedlungsansatz gibt es in Würzburg wenigstens seit dem 6. Jahrhundert. Wohl 741 richtet Bonifatius einen Bischofssitz ein. Unter Ludwig dem Frommen erhalten die Bischöfe Markt-, Münz- und Zollrecht. Es gibt Kaufleute, vor allem aber Handwerker und Weinbergarbeiter, die Hintersassen des Bischofs und des Domklerus sind. Im 9. Jahrhundert wird eine bedeutende Domschule erwähnt.

 

***Trier***

 

Die hocharistokratischen Bischöfe Triers scheinen seit dem Ende des 7. Jahrhunderts eng verbunden mit den gerade aufsteigenden Arnulfingern und Pippiniden, was auch die Besetzung des Äbtissinnenstuhls von St. Irminen mit Freunden und Verwandten der Familie zeigt. Unter Pippin dem Jüngeren wird Trier zu einer zentralen Münzstätte im Frankenreich.

 

In der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts gelingt die Ausweitung bischöflicher Macht auf Dietkirchen (Lahn) und an die Nahe. Andererseits setzt Karl ("der Große") für die weltlichen Rechte (Münze, Zoll und Steuern) nun einen Grafen (comes) ein, womit der Bischofsherrschaft vorläufig ein Ende gesetzt ist. (Kaiser(3), S.62f)

 

In seinem Leben des Hl. Willibrod beschreibt Alkuin um 800 Trier "als eine alte und mächtige Stadt, die von Mauern, Türmen und Klosteranlagen mit Scharen von Klerikern und Mönchen umgeben war." (in: Anton/Haverkamp, S.88)

In den Reichsteilungen wird Trier Teil des Mittelreiches.

 

882 fallen Normannen in Trier ein, wie Regino von Prüm berichtet:

Sie brechen also mit allen ihren Streitkräften aus ihrem befestigten Lager hervor und erobern Trier, die berühmteste Stadt Galliens (...). Hier ruhten sie bis zum heiligen Ostertage die vom Marsch ermüdeten Glieder aus und verwüsteten das ganze Gebiet der Stadt ringsum von Grund auf; dann lassen sie die Stadt in Flammen aufgehen und führen ihre Scharen nach Metz. Als dies der Bischof dieser Stadt erfuhr, vereinigte er sich mit Bischof Bertulf und dem Grafen Adalhard und rückt jenen aus eigenem Entschlusse zum Kampf entgegen. Es kam zum Kampf und die Normannen blieben Sieger. (in: Fuhrmann, S.23)

 

***Mainz***

 

Langsam beginnt mit den vielen neuen Kirchen die Beerdigung bei ihnen in der Stadt.  Am Rhein haben Schiffer, Fischer und Händler längst einen Altstadtkern mit einem Markt gebildet. Es gibt etwas Glasproduktion. (Falck, S.23)

Die römische Stadtmauer ist zerstört und eine neue fehlt wohl noch, aber die Domburg dürfte irgendwie befestigt gewesen sein. Weithin um sie herum liegen noch im 8. Jahrhundert große Gutshöfe mit ihrem Land. Hinter den Bleichwiesen existiert weiter das Altmünster-Kloster mit seiner kleinen Siedlung von Arbeitsleuten. Selenhofen am Rhein bildet einen Vorort.

 

Um 746 lässt sich Bonifatius Mainz als neues Erzbistum für Germanien zuweisen, wo er aber auf den in Ostfranzien für ihn nun starken Adelswiderstand stößt und nach wenigen Jahren zurücktritt. Zugleich geht die Erzbischofswürde nach Metz an den mächtigen Bischof Chrodegang. Bonifatius-Anhänger Lul wird Bischof in Mainz. Um 760 setzt dann aber der ostorientierte "große" Karl durch, dass es doch wieder statt Metz Erzbistum wird. Lul und den folgenden Bischöfen gelingt es dann, die von Bonifatius gegründeten hessischen und thüringischen Bistümer sowie zahlreiche süddeutsche  in die Erzdiözese einzubeziehen. Die neuen sächsischen teilen sich dann Köln und Mainz.

Damit wird Mainz bis 1802 größte Kirchenprovinz in Europa. Mit St.Alban und seiner großen Kirche wird der Rang der Stadt im Reich Karls noch unterstrichen.

 

Am Mittelrhein wird alleine Mainz Münzstätte. Der Versuch, auf der römischen Brücke eine Holzkonstruktion aufzusetzen, scheitert durch Feuer und Mainz wird durch gut tausend Jahre ohne eine feste Rheinbrücke auskommen müssen.

Um 800 werden außerhalb der Stadt bereits Bretzenheim, Gonsenheim und Hechtsheim erwähnt.

 

847 ( bis 863) wird der gelehrte Fuldaer Mönch Hrabanus Maurus Erzbischof. In seiner Zeit gewinnt die Kathedralschule an Bedeutung. Der übernächste Erzbischof Liutbert wird 870 Erzkapellan von Ludwig ("dem Deutschen"), Vorläufer der späteren Erzkanzler. Laut den Fuldaer Annalen wird der Normannensturm von 882 zum Anlass eines Baus von Mauer und Graben.

 

Bis Ende des neunten Jahrhunderts halten die Schenkungen für Kirche und Kloster (vor allem St.Martin, St.Alban und Altenmünster) an, so dass sie am Ende wohl zwei Drittel des ganzen Grundbesitzes in der Stadt und in ihrem Umfeld besitzen. Dazu gehört auch Besitz von Fulda, Lorsch und dem Trierer St.Maximin sowie von anderen fern gelegenen Institutionen.

Inzwischen gibt es wahrscheinlich auch erste Ansätze von Pfarreibildung bei nichtbischöflichen Eigenkirchen. 

 

886 gibt es in den Fuldaer Annalen eine (einzige) Nachricht von einem Viertel friesischer Kaufleute: Optima pars Moguntiae civitatis, ubi Frisiones habitabant (...) conflagravit incendio, sie siedeln im besten Teil von Mainz, der abbrennt. (in: Falck, S.49) Mainz ist spätestens jetzt wichtiger Umschlagplatz für Getreide, Wein und Sklaven und daneben für Luxusgüter, friesische Tuche wie exotische Gewürze.

 

***Bischofsstädte in Westfranzien unter Karl "dem Kahlen"***

 

Mit dem Vertrag von Coulaines Ende 843 wird ein Rechtsverband aus den Großen des Westreiches und dem König beschlossen, der die Rechte aller bestätigt, was auch auf die Erblichkeit der Grafenwürde hinausläuft, die 877 in Quierzy auch so verkündet wird. Dafür setzt er über sie Duces und Markgrafen, die dann allerdings auch erblich werden. Mit ihnen aber muss der König nun regieren.

Stattdessen kommt es zum engen Bündnis von Bischöfen und König. Auch hier werden Bischöfe als Vasallen nun vom König aus der Hofkapelle eingesetzt und bei Treue privilegiert. Ihr Amt gilt als beneficium. (Kaiser(3), S.98) Dabei ist der Einfluss des Königs in der Bretagne und in Teilen des Südwestens gering. Fast überall bestätigt er die von Vater Ludwig vergebenen Immunitätsprivilegien, wobei er die vom Hochstift und den anderen Stiften und den Klöstern weiter trennt wie auch innere und weitere Immunitäten. Einzelnen mächtigeren Bischöfen wird das Münzrecht verliehen und ihnen werden Zölle oder Anteile daran übertragen - und damit auch Anteile an gräflichen Einkünften.

 

Die Macht der Bischöfe misst sich nun an der aufkommenden Macht weltlicher Fürsten.

 

Paris, das antike Lutetia,wird unter den Zerstörungen des 3. Jahrhunderts stärker auf die Seineinsel beschränkt. 507 verlegt Chlodwig seinen Hauptort von Soissons hierher und macht die (spätere) Genovevakirche zu seiner Grablege. In der ersten Hälfte des sechsten Jahrhunderts macht König Childebert das spätere Saint-Germain-des-Prés zu seiner Grabeskirche. Im 7. Jahrhundert wird das etwa sieben Kilometer von der damaligen Stadt entfernte St.Denis mit König Dagobert zur mit Gold, Silber und Edelsteinen geschmückten Grabstätte der Könige. Hier entsteht eine Siedlung in einiger Entfernung von der Stadt.

Zunächst stehen die Kirchen unter bischöflicher Aufsicht. Dann erhält im 7. Jahrhundert erst St.Germain Immunität und Zollbefreiung der Klosterkaufleute und dann auch St.Denis mit seinem Jahrmarkt zum Fest seines Heiligen. (Kaiser(3), S.475) Regiert wird sie nun von Grafen, die versuchen, hier ihre Einkünfte genauso wie die Bischöfe zu vergrößern. Das sich immer mehr verselbständigende Domkapitel nimmt ebenfalls an Wohlstand zu.

 

Die Stadt verliert unter den stärker östlich orientierten Karolingern im Vergleich zu Metz enorm an Bedeutung. Der Hauptstadtcharakter wird  seit dem "großen" Karl am ehesten durch Aachen ersetzt. Während nun Stadt und Bischof an Bedeutung verlieren, wird St. Denis in der Nähe immer bedeutender.

Seit 845 wird die Stadt mehrmals von Normannen überfallen, geplündert und gebrandschatzt. Die Bevölkerung unter dem Robertiner Graf Odo und Bischof Gauzlin hält hinter den spätantiken Mauern der Seine-Insel dann 885-86 einer Belagerung stand. Der Bischof ist Erzkanzler von König Odo. Die Stadt wird weiter von den Robertinern kontrolliert, und Odos Bruder Robert wird hier Graf. Die ersten robertinischen Könige halten sich aber mehr in Orléans als in Paris auf.

 

Tours bekam nach 275 seine antike Stadtmauer von etwa 1200 Meter Länge, womit es nicht zu den ganz großen gallorömischen Städten gehörte. Am südwestlichen Ende dieser civitas wird die Kathedrale errichtet. Mehr als einen Kilometer weiter westlich entsteht aus dem ersten Memorialbau noch vor 500 die Martins-Basilika, die erst Mitte des neunten Jahrhunderts von den Normannen zerstört wird. Um sie herum entsteht um einen zentralen Platz eine Art Martinsstadt, was Tours zur Doppelstadt macht. Im Umfeld beider Orte entstehen weitere Kirchen, bei der Kathedrale die Bischofspfalz und die Klausur der Domkanoniker. Etwa drei Kilometer entfernt liegt das Kloster Marmoutier (monasterium maius) mit seiner suburbia. Zwischen Abteisiedlung und Kathedralsiedlung entsteht St.Julien, wo sich ebenfalls ein burgus mit Händlern und Handwerkern entwickelt. Um 600 besitzt Tours dann bereits fünf Klöster.

 

Unter Bischof Chrodebert werden die suburbanen Klöster dem Bischof entzogen und erhalten eigene Immunitäten. Andererseits gelingt es Bischöfen im siebten Jahrhundert, selbst die Grafen einzusetzen. Unter Karl Martell wird auch hier die Macht zwischen Bischof und Graf geteilt und die Bischöfe werden auf die Rolle von karolingertreuen Immunitätsherren beschränkt.

St. Martin und Marmoutier gelangen unter karolingische Regie. St. Martin erhält unter Pippin Zollprivilegien, die Abteisiedlung enthält eine Münze, und hier siedeln sich Tuch- und Weinhändler an. Die Stadt wird mehrmals von Normannen überfallen, die römische Stadtmauer wird 869 unter Robert ("dem Tapferen") besser befestigt. Anfang des 10. Jahrhunderts wird auch die Martinsabtei mit ihrem burgus von einer Mauer umgeben. Bis 987 kontrollieren Robertiner über vicecomites sowohl Martinsabtei-Siedlung wie civitas und setzen ihre Bischöfe ein. Dann werden aus den Vizegrafen für die civitas Grafen, während die Könige die Siedlung um die Martinsabtei weiter direkt kontrollieren.

 

Poitiers ist eine der bedeutendsten und größten Römerstädte Galliens. Gegen 300 wird es von einer starken Mauer von 2650 Metern umgeben. Im Kern befindet sich das Praetorium und die Kathedrale, am Rande St Hilarius. Die Stadt blüht unter den Merowingern schnell wieder auf. Es entwickelt sich eine Stadtherrschaft des Bischofs in Zusammenarbeit mit einer kleinen Oberschicht-Gruppe. Um 700 kommt es zum Machtverlust der Bischöfe durch Unterordnung unter die aquitanischen Herzöge und ihren Grafen. 766 erobert Pippin die Stadt. Die merowingische Königspfalz wird als Grafensitz auch die der Karolinger. Um 840 beginnt das Grafenamt eines Ramnulf, welches bis 1204 in seiner Familie bleiben wird. Er beginnt auch mit der Ernennung der Bischöfe von Poitiers und als Herzog derer von Saintes.

863/65 wird die Stadt von den Normannen geplündert, verbrannt und dann neu errichtet.

 

Autun, das bedeutende römische Augustodunum, besaß eine ummauerte Fläche von 200 Hektar. Die Mauer hält aber den Angriffen dann nicht stand und zerfällt. Ab 659 entwickelt Bischof Leodegar eine starke Herrschaft über die Stadt, die allerdings unter den Konflikten erst mit Hausmeier Ebroin, dann mit Childerich II. und dann wieder mit Ebroin leidet, der den Bischof am Ende verstümmeln und schließlich töten lässt.

Unter Karl ("Martell") wird das Hochstift massiv um die Versorgung der Grafen gemindert, die auch Saint-Symphorien und Saint-Martin und geistlichen Besitz im castrum mit seinem Dom erhalten (Kaiser(3), S.378).

 

Im neunten Jahrhundert versuchen die Könige, die Position des Bischofs gegen den Grafen unter anderem durch Restitutionen wieder zu stärken. Sie erhalten (wahrscheinlich) die Münze zurück, die an die Grafen gefallen war. 

Seit Ende des neunten Jahrhunderts setzen die burgundischen Herzöge die Bischöfe wieder ein. Diese übernehmen nun den gräflichen Grundbesitz im castrum zur Gänze.

 ("Eine bürgerliche Siedlung im weiten Abstande zur Domburg bildete sich aber erst im 11./12.  Jahrhundert um das Forum" ( H.Stoob in: Frühgeschichte, S.12).)

 

Toulouse hat in der Römerzeit eine ummauerte Fläche von etwa 90 Hektar. Es wird Hauptstadt der Westgoten mit Residenz im Prätorium, welches dann Sitz des fränkischen Unterkönigtums und im 10. Jahrhundert Grafenschloss wird. Seit um 900 ist die Stadt dauerhaft in der Hand der Raimundiner, denen der Bischof untergeordnet ist, von dem im 10. Jahrhundert wenig bekannt ist. Er wird wohl vom Grafen bestimmt.

Um 924 wird Gotien (von Narbonne bis Nîmes) mit der Herrschaft von Toulouse vereint. In deren Randbereich vor allem bauen Vizegrafen und Bischöfe praktisch unabhängige Herrschaften auf. Kirchliches Zentrum ist weiter das Erzbistum Narbonne.

 

Bordeaux, das antike Burdigala, wird bis etwa 685 von starken Bischöfen regiert, die sich danach ihre Macht mit Grafen teilen müssen. Diese haben die Abwehr der Basken zu übernehmen. Nach 675 tauchen für über hundert Jahre keine Bischöfe mehr auf. Danach übernehmen fränkische Grafen wieder die Basken-Abwehr.

732 verwüstet Abd ar-Rahman während seines Feldzugs die Stadt.

 

Erst 814 taucht für Bordeaux," am äußersten Winkel der antiken Mauer der Dom St. André" auf und der Ort funktioniert wieder als Bischofsstadt. 848 wird die Stadt massiv von Normannen zerstört. Der Bischof flüchtet. Vorübergehend nimmt der Baske Sancho-Sanchez Bordeaux unter seinen Schutz, bevor um 863 dort mit seinem angeheirateten Verwandten wieder ein fränkischer Graf hier residiert und dann bald die Gascogne wieder angeschlossen wird. Grafen kontrollieren auch weiterhin die Stadt, die sich langsam nach den Zerstörungen wieder erholt.

"Ein suburbium belebte sich erst seit Ausgang des 11. Jahrhunderts" (Stoob in: Frühgeschichte, S. 11)

 

 

Klosterstädte

 

Die meisten dauerhafteren Ansätze von Stadtbildung in der Karolingerzeit entstehen auf dem Boden antiker civitates-Kerne. Zu den Bischofsstädten gesellen sich am Rande Klöster, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Bedeutung zur Stadtbildung beitragen. Daneben sind aber Klöster auch Kerne für die Entstehung neuer Städte.

 

Karolingische Klöster

Im 8. Jahrhundert greift das Klosterwesen nach dem Einfluss der angelsächsischen Mission (siehe Anh.9) auf die ostrheinischen Gebiete über. Überall handelt es sich vor allem dort entsprechend dem Eigenkirchenwesen um Eigenklöster adeliger Gründerfamlien, die manchmal selbst den Abt stellen oder aber bestimmen. Es geht um Machtfragen, um Zentren für die Herausbildung von Adelsdynastien, aber auch um Werke für das eigene Seelenheil der Stifter. Eigenkirchen besitzen aber auch die Bischöfe, die versuchen, immer mehr Klöster unter ihre Kontrolle zu bekommen. Im Jahre entweder 966 oder 1000 geht so z.B. das 645 gegründete, altehrwürdige Trierer Frauenkloster St.Irminen (Oehren nach den römischen Horrea dort) an den dortigen Erzbischof über.

 

Die von adeligen Familien gestifteten und ausgestatteten Klöster sind eine Art Pfalzort, wo der Herr, wann immer er möchte, Unterkunft findet und bewirtet wird. Sie dienen auch seinem Seelenheil. Er verfügt über das Klostergut, das durch zahlreiche Schenkungen anderer bald weit über die ursprüngliche Stiftungsschenkung seitens des Gründers hinauswächst. Das Klostergut von Aadorf (Thurgau) zum Beispiel sollte nach der Stiftung 890 laut einer urkundlichen Begründung nicht nur dem Gedenken der gräflichen Familie, sondern auch dem Nutzen des Grafen Udalrich und seiner Familie ebenso wie dem Lebensunterhalt der Brüder dienen.  (Goetz, S.83) Der Adel schickt Kinder aus seiner Familie als Oblaten ins eigene Kloster, und dort wird ihnen ein Leben bei nur wenig und leichter Arbeit und zunehmend mehr das Erlernen von Lesen und Schreiben geboten.

Solche Schenkungen sind oft auch Prekarien, die dem Schenkenden gegen eine Zinsleistung an das Kloster die Nutzung auf Lebenszeit sichern.

 

So manches Kloster liegt zwar außerhalb der Stadtmauern, aber in Stadtnähe. Ansonsten wird die Anbindung an Verkehrswege und/oder Wasser gesucht, was wiederum eine relative Einsamkeit dann verhindert, wenn dort auch Siedlungskerne für später städtische Ortschaften entstehen.

 

Große Einrichtungen wie Fulda haben im 9. Jahrhundert über 300 Mönche, St.Gallen etwas über 100. Rund 100 Mönche werden es am Anfang auch in Cluny sein. Frauenklöster gibt es deutlich weniger und sie sind auch erheblich kleiner.

Erwirtschaften müssen die Klöster grundlegend Ernährung und Kleidung der Mönche, bauliche Verbesserungen, Aufnahme von Pilgern und anderen Gästen sowie die nicht unbeträchtliche Armenfürsorge und schließlich auch die Pflicht zu Kriegsdiensten. Dafür stehen die Einnahmen aus der Grundherrschaft sowohl an Naturalien, Diensten und Geld zur Verfügung.

Darum beginnen Klöster relativ früh mit der Effizienzsteigerung ihrer Wirtschaft. Dazu gehören Versuche, den aufgrund regional verschiedener Schenkungen entstehenden Streubesitz zu arrondieren oder wenigstens schriftlich festzuhalten. Naturalien von entfernten Gütern werden dabei häufiger vor Ort auf dem Markt verkauft. Früher noch als Bischöfe oder gar weltliche Grundherren wird dabei eine Art unternehmerisches Verhalten an den Tag gelegt.

 

Zur Effizienzsteigerung gehört auch die seit der Karolingerzeit dokumentierte Bedrückung der armen Unfreien (pauperi homines) durch die Äbte, die opressio, wie es auch in den königlich/kaiserlichen Dokumenten heißt, oft mit dem Ziel, sie in die klösterliche familia mit ihrer Grundherrschaft zu zwingen.

 

Kontrolle über wichtige Klöster begleitet den Aufstieg der Karolinger.

Ein Beispiel ist Prüm, 721 von einer "adeligen" Bertrada als Eigenkloster gegründet. Ihre gleichnamige Enkelin bringt als Gemahlin Pippins "des Jüngeren" die Einrichtung in karolingische Hände. 763 vergibt dieser Immunität und Zollfreiheit für den gesamten klösterlichen Machtbereich. 861 erhält das Kloster das Privileg, im nahen Rommersheim "einen von allen Abgaben an den Fiskus freien Markt und eine Münze zu errichten." (Nikolay-Panter in:Flink/Janssen, S.105) Bis hin zum Urbar von 893 umfasst die klösterliche Grundherrschaft Besitz, der "von Arnheim im Norden bis zu den Salzpfannen im Seillegau reichte, die Güter in Westfranzien, in den luxemburgischen Ardennen, in der Nordeifel, im Bonn- und Ahrgau und an der Mosel umfasste, ebenso wie solche an Nahe, Lahn und Glan. (...) Verwaltet wurde dieser umfangreiche Besitz von den Zentren der Klosterherrschaft, nämlich Prüm selbst, Altrip, St.Goar und Münstereifel." (s.o., S.101), wobei die beiden letzteren auch Geldzuwachs durch Pilger erhalten. Transport und Handel übernehmen Hörige des Klosters, wie auch den Einkauf klösterlicher Luxusgüter.

 

Unter den Karolingern werden zunehmend Klöster unter Reichsschutz gestellt und mit Immunität versehen. Dafür müssen sie den Königen dienen. Wie dies aussieht, zeigt sich am Reichskloster des heiligen Dionysius (St.Denis bei Paris) zum Beispiel 867:

Der Abt, ein Enkel des "großen" Karl, stirbt und König Karl behielt die Abtswürde in diesem Kloster für sich, indem er bestimmte, dass nach seinen Richtlinien die Angelegenheiten des Klosters und die Güterverwaltung durch Probst, Dekan und Schatzmeister geführt, die Besorgung der Militärangelegenheiten (militiae curam) von dem Hausmeier übernommen würde. (in: QuellenkarolReichsgeschichteII, S.165)

 

Das Christentum ist in hohem Maße eine Schriftreligion. Da sind die "heiligen" Schriften des Alten und Neuen Testamentes, der Kirchenväter und die vielen kirchlichen Beschlüsse über Religion und Kirche danach. Da ist das liturgische Schriftgut. Klöster besitzen darum Bibliotheken, die in der früheren Nachantike auch antike Texte heidnischer Autoren aufbewahren, an denen das Interesse dann in der späten Karolingerzeit teilweise nachlässt.

Inzwischen ist man längst von den Schriftrollen aus Papyrus abgekommen und bildet aus in Lagen zusammengefalteten Pergamentblättern Bücher, in denen man von Textstelle zu Textstelle blättern kann. Für ein Buch (Codex) vom Umfang der Bibel sind allerdings die Häute von rund 400 Schafen oder Ziegen nötig, und zwar unter der Voraussetzung, dass darin erfahrene Schlachter den Tieren die Haut so abziehen, dass sie möglichst fehlerfrei bleibt. Vor allem Schafzucht ist alleine schon deshalb für Klöster wichtig.

Danach entfleischen und enthaaren Gerber die Häute, weichen sie mehrmals ein, glätten sie und spannen sie dann auf. Schließlich gelangen sie zu den Mönchen, die sie beschneiden und falten.

Jetzt ist der Schreiber dran, der feine Linien zieht, der nun mit Feder, Anspitzmesser und Tintenhörnchen ans Werk gehen kann. Die Tinten werden wie alles andere meist von Mönchen aus Pflanzenstoffen selbst hergestellt, nur das Rot der Purpurschnecke und das Blau aus zerstoßenem Lapislazuli muss auf großen Märkten für viel Geld von Fernhändlern erworben werden.

 

Meist entscheidet wohl der Bibliothekar zusammen mit dem Abt, welche Bücher kopiert werden, und Kopieren ist dann die mühsame Arbeit der Skriptoren, die kaum eigene Werke schreiben. Voraussetzung für das Kopieren ist natürlich, dass man Vorlagen aus anderen Klöstern geliehen bekommt.

 

 

Städte

Besonders in Westfranzien entstehen Städte neu an großen Klöstern wie St. Martial in Limoges, Sint Vaast (Vedast) in Arras, St. Front in Perigueux. Äbte wohldotierter Klöster sind oft so mächtige Herren wie Bischöfe und weltliche Magnaten. Nachantike Klöster (wie auch Domkirchen) werden fast eine Stadt im Kleinen: Sie vereinen die religiöse Einrichtung, "einen landwirtschaftlichen Großbetrieb mit eigenem Absatzsystem und weiterverarbeitendem Handwerk, ein Kreditinstitut, eine Immobilienbörse, ein Sozialamt und eine Versorgungseinrichtung für unterschiedlichste Personen", fungieren "als Gericht, Wehrbehörde und Rüstungsbetrieb und als Finanzamt", modern ausgedrückt (Esders, S.75).  All das wird durch Immunitätsverleihungen gefördert.

 

Bei Klöstern lassen sich Händler nieder, das Handwerk konzentriert sich manchmal dort aus ländlicher Grundherrschaft heraus. Die Abtei Elnone (St.Amand) in Tournai lässt auf ihren Gütern von Arbeiterinnen Textilien aus Leinen herstellen. (Petri in: Verhulst, S.7) Die zur familia von Sint Vaast gehörenden und darum von Zollfreiheit begünstigten Kaufleute verkaufen zum Beispiel Gold und Sklaven.

 

Gegen 800 entstehen beim karolingisch geförderten San Vincenzo al Volturno Reihen von Werkstätten, was sich allerdings nicht zu einer Stadt entwickelt. St.Bertin (Saint-Omer) erwirbt etwa 800 Land, um dessen Erträge gegen englische Tuche einzutauschen. (s.o. S.40). 800 erhält der Abt von Corvey für die weiter entfernte Siedlung Horhusen (Niedermarsberg) an einer Furt das Markt- und Münzrecht und für Mons Eresburg (Obermarsberg) das Zollrecht.

 

Nahe Amiens heißt es 822, dass das bedeutende Kloster Corbie sich auf 300 Mönche und 150 Hilfskräfte als reguläre Kostgänger beschränken solle. Das alleine ist schon Grundlage für eine städtische Entwicklung. (Petri in: Verhulst, S.40f)

 

Ein gutes Beispiel ist das Prümer Tochterkloster Münstereifel. Als 844 die Knochen der Heiligen Chrysanthus und Daria dorthin überführt werden, setzt bald eine Wallfahrt dorthin ein, die wirtschaftlich bedeutend genug ist für die Anlage eines Marktes, einer Münze und einer Zollstätte, von deren Einnahmen zwei Drittel an das Kloster fallen sollen (in: Hergemöller, S.68f).

 

852 gründet der sächsische Graf Liudolf zusammen mit seiner Ehefrau das Gandersheimer Stift mit päpstlicher Erlaubnis und Reliquienversorgung an der Kreuzung zweier Fernhandelsstraßen. Es dient der Grafenfamilie zur Versorgung zweier Töchter als Äbtissinnen und anderen vornehmen sächsischen Damen als Aufenthalt. 877 stellt König Ludwig ("der Jüngere") das Kloster unter seinen Schutz. Handwerker werden angesiedelt und es entsteht ein Markt mit eigenem Recht. Eine eigentliche Stadt mit Mauer und Rat wird aber erst im 14. Jahrhundert entstehen.

 

Ein weiterer Markt entsteht 873 bei St.Bertin als Wochenmarkt, mit Buden, Tavernen, und dem Kloster als Herrn fallen darüber Abgaben und Rechte zu. Dabei konkurrieren Klöster, Bischöfe und weltliche Herren auch schon mal gewalttätig miteinander.

 

908 erlaubt Ludwig IV. ("das Kind") dem Bischof von Eichstätt für den Ort beim Kloster

einen öffentlichen Handelsmarkt sowie eine Münze (zu) errichten und einen Zoll erheben zu dürfen, so wie es bei den übrigen Handelsorten (mercationum locis) Brauch ist, sowie einige Befestigungen in seinem Bistum gegen den Ansturm der Heiden ausbauen zu dürfen. Zusammenfassend heißt das, eine Stadt zu errichten (urbem construere), wobei die Einkünfte aus ihr dem Kloster zufließen sollen. Zudem verfügt der Bischof nun alleine über die Nutzung der Wälder.

 

Das sind nur einige Beispiele.

 

Ähnlich entstehen in Flandern im 9. und 10. Jahrhundert Städte aus Vorstädten an Burgen der Bischöfe und an Klöstern und an befestigten Plätzen der nun erstmals für dort erwähnten Grafen. Sie werden Zentren der langsam einsetzenden unmittelbaren Entstehungsgeschichte von Kapitalismus werden, zusammen mit oberitalienischen Städten. Beim späteren Gent werden im 7. Jahrhundert die beiden Klöster St. Pieter und St. Bavo gegründet, von denen Siedlungen mit von den Klöstern abhängigen Beschäftigten ausgehen.

 

Pfalzorte

 

Kontinuität bieten nicht nur die alten Bischofs-civitates. Im Gebiet von Duisburg gab es schon bronze- und eisenzeitliche Siedlungen. Gegenüber besteht auf Krefelder Gebiet das römische Kastell Gelluba (Gellep) an der Kreuzung zwischen Rhein und Hellweg. (siehe Anhang 7)  Als dessen Hafen verlandet, steigt Duisburg als Handelsplatz auf. Spätestens um 922 ist für Dispargum eine königliche Pfalz anzunehmen, die von den Sachsenkaisern häufiger besucht wird. Der Ort wird mit Wall, Graben und einer ersten Mauer befestigt und der Weg zur Stadt beschritten.

 

Einen festen Kern der sich neu entwickelnden Städte bildet neben dem Dom oder an seiner Stelle die Pfalz, wie sie König Pippin in Aachen errichten lässt, und die durch einen prachtvollen Neubau von König Karl ersetzt wird, zu dem auch die Marienkirche gehört und ein neues Bad, in dem der Kaiser mit seinem Hof die Thermalquellen nutzen kann. Hohe Geistlichkeit und weltliche Große bauen dort ihre kleinen "Höfe", Bedienstete kommen dazu, Handwerker und ein Markt mit Händlern, darunter Juden. Darüber hinaus gibt es Gebäude für die Lagerung von Nahrungsmitteln und große Stallungen und drumherum Landwirtschaft.

 

Größere Pfalzen werden auch an anderen Orten errichtet, die da herum wachsen, wie Ingelheim, Nimwegen und Paderborn. Allerdings bieten Pfalzorte nicht immer die Gewähr dafür, dass dort auch dauerhaft eine städtische Siedlung entsteht, wie Tribur/Trebur und Grone beispielsweise belegen.

 

Aber die Pfalz von franconovurd wird zum Musterbeispiel dafür, wie ein königliches palatium sich aufmacht, im hohen Mittelalter dann zu einer der wichtigsten Städte im "römischen" Reich zu werden. Gelegen an einem Handelsweg mit einer Furt durch den Main, ist der Fluss selbst noch wichtiger für den Transport von Getreide aus östlicheren Gebieten nach Mainz. Hier liegt ein karolingischer Fiskalbezirk, der "insgesamt mindestens zwölf königliche >Villae< (Fronhöfe) mit knapp 1400 Morgen Ackerland umfasst haben dürfte, Wiesen und Wald, das Land der 112 abhängigen Bauernstellen, die das Urbar nennt, sowie die Lehen der Vasallen nicht mitgerechnet. (...) Die königliche Villa Frankfurt, deren Lage auf dem heutigen Domhügel zu suchen ist, verfügte allein über 450 Morgen Ackerland." (Joh.Fried in: 794, S.26f)

 

794 bekommt dieser Ort durch eine große Synode erheblichen Anschub, als Große aus Italien, West- und Ostfranken und Nordspanien hier zusammenkommen. Für Karls langen, siebenmonatigen Aufenthalt zwischen Feldzügen gegen die Sachsen und die Awaren muss es feste, wenn auch weithin nicht steinerne Gebäude geben, eine Kirche, die allerdings nicht repräsentativ genug ist für die Aufnahme des Leichnams der dort sterbenden königlichen Gemahlin Fastrada, die dann in Mainz beerdigt wird. Dazu kommen Wirtschaftsgebäude und damit verbundene Arbeitskräfte.

Karls Sohn Ludwig der Fromme wird dann die Pfalz vergrößern, die eine Generation später von Ludwig ("dem Deutschen") noch ein Salvatorstift erhält.

 

Ob eine Pfalz Zukunft als Kern einer bedeutenderen Stadt hat, ist damals aber noch nicht abzusehen. Die viel prächtigere Ingelheimer Pfalz der Karolinger, aus Stein gebaut wie die von Aachen und Nimwegen (Einhard), mit ihrem Königssaal von 14 x 30 m, hat in ihrer Nähe dörfliche Ansiedlungen, von denen eine viel später sogar ummauert wird, aber in der Nähe von Mainz wird daraus keine Stadt, sondern eine Reichsburg mit reichem ländlichem Siedlungsgebiet.

 

England

 

Im neunten Jahrhundert steigt Wessex auf Kosten von Mercia auf und gewinnt Essex, Sussex und Kent. König Aethelwulf heiratet dann eine Tochter von Karl ("dem Kahlen"), was sicher seinen hohen Status aufzeigt. Daneben existieren die Königreiche von East Anglia und Northumbria.

 

Die Reichsbildung hin zu einem Königreich England geschieht im Abwehrkampf gegen die Wikinger bzw. Nordmänner unter der Führung südenglischer Sachsenkönige. Ab etwa 830 fallen Nordmänner ein, und in in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts überwintern sie auch auf der Insel. Mit großer Armee von Tausenden Kriegern siegen sie über angelsächsische Heere. 878 gelingt es Alfred ("the Great") sie zu besiegen, und sie ziehen sich nach East Anglia zurück. Mercia gerät in Abhängigkeit von Wessex.

 

Mit seiner militärischen Organisation, der Errichtung zahlreicher burhs und der Erhebung von Abgaben erreicht er Ansätze von Staatlichkeit. Fränkische und angelsächsische Juristen beginnen unter seiner Regierung mit der Niederschrift des Common Law.

In den Niedergang der Karolinger hinein fällt noch im 9. Jahrhundert der Versuch Alfreds ("des Großen"), von ihnen zu lernen. Er versucht, fränkische Gelehrte nach England zu holen und besorgt sich fränkische Bücher wie Einhards Vita des "großen" Karl. Klostergründungen dienen der Schulbildung. Schließlich lernt er selbst Latein und übersetzt unter anderem selbst des Boethius 'Trost der Philosophie' und unterstützt weitere Übersetzungen aus dem Lateinischen ins Altenglische.

 

Um 880 soll es allein in Alfreds Wessex zehn Städte mit regional orientierten Märkten geben. Nach Wessex und dem dänischen Osten fließen erhebliche Mengen karolingischer Münzen, was einen nicht unerheblichen Handel zwischen Kanalküste und Rheinmündung hin nach England vermuten lässt.

 

Nach etwa 800 sinkt langsam die Bedeutung der Fernhandelsplätze wie  Hamwic  mit seinen rund 40ha und wenigstens 2000-3000 Einwohnern, welches im 9. Jahrhundert durch die Anfänge von Southampton ersetzt wird, und von Eoforwic, welches unter dänischer Herschaft durch das nahe Jorvik (York) ersetzt wird. Neue Orte entstehen über Handwerker-Ansiedlungen mit stärkerem regionalem Handel (Hodges).

Das gilt auch für das bis ins frühe 9. Jahrhundert florierende Lundenvic mit seinen wohl knapp 60 ha Fläche auf dem Gebiet des heutigen Londoner Westend und seiner bedeutenden Münze., welches auf Initiative von Alfred durch Lyndonia/Lundenburg ersetzt wird. London wird sich aber dann nur langsam entwickeln und Winchester an Bedeutung erst einmal nachstehen.

 

Stadt und Land im Italien der Karolingerzeit

 

Anfang des 9. Jahrhunderts beginnen die Sarazenen, von Raubzügen an Italiens Küsten zur Ansiedlung überzugehen. Sie gewinnen Sardinien, Korsika, Ischia, und 902 verfügen sie über ganz Sizilien. Erst 871 greift mit Ludwig II., dem imperator Italiae, ein karolingischer Kaiser in Süditalien ein und befreit zusammen mit byzantinischem Militär das muslimische Zentrum Bari. Sein weiteres Auftreten in Süditalien stößt aber auf den Widerstand von Adelchis von Benevent, so dass es am Ende Byzanz ist, welches seine Präsenz in Süditalien wieder stabilisieren kann.

875 krönt Papst Johannes VIII. den westfränkischen König Karl den Kahlen zum Kaiser, der damit wenigstens nominell über ein italienisches Königreich verfügt. Er macht Boso von Vienne dort zu einer Art Statthalter. Dieser wird 879 dann König von Niederburgund, dem späteren Arelat, in unmittelbarer Nachbarschaft zum Piemont.

 

Mit dem Tod Karls III. 888 fällt die italienische Königskrone zunächst an Berengar I. und 891 dann an Wido von Spoleto, den der Papst zum Kaiser macht. 894 vertreibt der ostfränkische König Arnulf diesen aus Oberitalien und erhält 896 die Kaiserkrone, die er aber gegen Widos Sohn Lambert und Berengar nicht durchsetzen kann. Als König Ludwig von Provence gegen die Ungarn zur Hilfe gerufen wird, wird auch er zum Kaiser gekrönt, kann sich dann aber gegen Berengar nicht durchsetzen.

 

 

Die Bedeutung von Markgrafen und Grafen ursprünglich nördlicher Herkunft nimmt im 9. Jahrhundert zunächst zu, wobei eine toskanische Markgrafschaft die größte Geschlossenheit erreicht. Es gelingt den marchiones dabei, die königlichen Ämter in ihre Abhängigkeit zu bringen. Solche vassi regis in direkter Verbindung zum König gibt es um 900 nur noch in Pavia und den anderen übrig gebliebenen Königspfalzen, nachdem die Königsgewalt in Italien zurückgeht. "Am Ausgang des 9. Jahrhunderts war die Stellung der italienischen Markgrafen der der westfränkischen Fürsten oder der ostfränkischen Herzöge durchaus vergleichbar." (KellerOberitalien, S.324)

 

Kontinuität erweist sich darin, dass die oft romanischen Mehrheiten weiter nach römischem Recht leben.

Sie resultiert aber auch daraus, das römische Vorstellungen von Stadt (welche auch sonst!) weiter existieren. In der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts kann Isidor von Sevilla im Visigotenreich so in seiner lateinischen Etymologie schreiben:

Civitas ist die Vielzahl der Menschen, geeint durch das Band der Gemeinschaft, benannt nach den cives, als nach den Einwohnern der Stadt selbst, denn es schließt zur Gemeinschaft zusammen und enthält das Leben der Vielen. Denn urbs sind die Mauern selbst, aber die civitas wird nicht wegen der Steine, sondern aufgrund der cives so genannt. (XV,2). Dass urbs nun nicht mehr Roma, sondern ein Gebäude-Ensemble benennt, ist neu, aber der Rest ist römisch-antik.

 

Der 'Versus di Verona' vom Ende des 8. oder Anfang des 9. Jahrhunderts sieht Kontinuität gerade in den Baulichkeiten:

Eine große und berühmte Stadt erhebt sich in Italien, in Venetien, wie Isidor lehrt, die seit der Antike Verona genannt wird. Sie ist in quadratischer Form gebaut, fest von Mauern umschlossen, achtundvierzig Türme ragen aus dem Mauerring hervor, von denen acht sehr hoch sind und die anderen überragen. Sie hat ein hohes Labyrinth von großer Ausdehnung, aus dem niemand, der einmal eingetreten ist, imstande ist, wieder herauszukommen (… das Amphitheater wohl), ein weites, geräumiges und mit Steinen gepflastertes Forum, in dem sich auf jeder der vier Seiten ein großer Bogen befindet, Plätze wundervoll gepflastert mit behauenen Steinen, Tempel, erbaut und geweiht in alter Zeit der Luna, dem Mars, der Minerva, dem Jupiter und der Venus, dem Saturn und der Sonne, die mehr als alles andere glänzt. (in: Staufer und Italien, S.217)

 

Für die Karolinger wird die alte Römerstadt Verona nun wichtig, günstig erreichbar aus dem Norden und mit einer Königspfalz ausgestattet.

Es ist immerhin die Stadt, in der sich Pippin als Unterkönig von Italien 799 mit seinem Hof niederlässt, und die nun anfängt, sich von ihrem ruinösen Zustand zu erholen.

 

Ähnlich wie in Gallien bis nördlich nach Paris tauchen auch in Italien neben einheimischen syrische und jüdische Kaufleute auf, Syrer laut Prokop in Neapel und Juden laut Gregor ("dem Großen") in Palermo.

 

Im 8./9. Jahrhundert dürfte die Bedeutung italienischer Städte und des Handels mitsamt ihrer Münzen stärker zunehmen als als die von denen nördlich der Halbinsel. Mitte des neunten Jahrhunderts entsteht die römische "Leostadt", und wie andere italienische Neustädte entstehen hier Bauwerke einer Elite, Kirchen, Straßen und Befestigungen (Hodges, S.123).

 

Die zwischen dem Vertreter des Königs und dem (Erz)Bischof geteilte Macht bleibt in Mailand bestehen, aber ganz langsam neigt sich das größere Gewicht manchen Bischöfen zu. Das asemblatorio, der Ort der allgemeinen Versammlung, befindet sich im 9. Jahrhundert bereits auf dem Platz vor der Kathedrale.

 

Im sich kontinuierlich weiter entwickelnden Lucca ist die Kathedrale längst größter Landbesitzer. In das übrige Land im von der Stadt beherrschten Umland teilen sich andere Kirchen und etwa zwanzig große weltliche Landbesitzer, von denen ein Teil in der Stadt wohnt. Wohlhabenderes Handwerk erwirbt selbst kleineren Grundbesitz. Grund und Boden bestimmen den Status der Menschen. (Wickham, S.85f)

 

Eine gewisse Dominanz schafft der Handel vielleicht in wenigen Küstenstädten, und vielleicht schließt er ganz langsam in Mailand, Cremona und natürlich Venedig zu den landbesitzenden Großen auf. 852 ist ein erster Zusammenstoß zwischen Cremonenser Händlern und ihrem Bischof über die Hafenzölle bekannt.

Ziel des Handels ist aber Geld, mit dem Land gekauft werden kann, denn nicht Handel, sondern Grund und Boden bedeutet Status.

 

Für das Handwerk sind magistri dokumentiert, was eine gewisse Organisation andeutet. "Schon im 8. und 9. Jahrhundert gibt es Belege für einen weiten Bereich von Handwerken: Bearbeiter von Gold, Silber, Kupfer und Eisen; Hersteller von Leder, Tuchen, Seife; Erbauer von Häusern und Schiffen. Es gab sogar Salzproduktion, Suchen mit Pfannen nach Gold und Silberabbau." (in meinem Deutsch: Wickham, S.89)

 

Im ausführlich ausgegrabenen San Vincenzo al Volturno auf halbem Weg zwischen Rom und Foggia, von Karl ("dem Großen") unterstützt, entstehen nach 790 zeitweilige Werkstätten, die Keramikfliesen und Glas für den Eigengebrauch herstellen. Diese werden bald durch ständige ersetzt. "die Emaille-Arbeiten, solche aus Elfenbein, Glaswaren und möglicherweise Keramik nicht nur für das Kloster, sondern auch für seine Güter herstellen." (Hodges, S.63, m.Ü.) In den 20er Jahren des 9. Jahrhunderts schließt sich dort dann ein Vicus an.

 

Im Süden steigt neben der Stadt Benevent ab etwa 780 Salerno als zweite Residenz der Duces von Benevent auf. Um 840 löst sich Amalfi von napolitanischer Kontrolle.

 

***Venedig***

 

Ein Sonderfall ist Venedig, welches wohl als Fluchtziel vor den Bedrohungen der Hunnen, Goten und Langobarden entsteht, also erst nach dem Untergang des römischen Westreiches. Während die Langobarden das Binnenland beherrschen, behält Byzanz ein Gebiet aus Häfen und Inseln, welches als Exarchat von Ravenna bezeichnet wird. Im Raum Venedig amtet ein Unterbeamter des Exarchen, ein dux, ein Militärführer also. In der Volkssprache wird daraus viel später der Doge.

Venedig gehört so zu den italienischen Restgebieten unter byzantinischer Herrschaft, gehört aber zugleich weiter dem römisch-lateinischen Christentum an. Ein Patriarchat lässt sich auf der Insel Grado nieder, und nach längerer Friedenszeit unter den Langobarden kehrt ein zweites nach Aquileia zurück.

 

Vielleicht in einer Absetzbewegung von Byzanz ist, als es dort unter Kaiser Leo III. zu Unruhen kommt, in Venedig die Wahl eines dux Ursus überliefert. Vorübergehend kommt es wohl wieder zu direkter Herrschaft der Kaiser, aber 742 wird ein Sohn des Ursus erneut zum Dogen gewählt, wie es heißt von einer Volksversammlung. Der macht Malamocco auf dem Lido zu seinem Herrschaftszentrum. Venedig gerät immer mehr aus dem Blickwinkel von Byzanz.

 

Im Gegensatz zu allen anderen bedeutenden italienischen Städten ist Venedig keine alte Bischofsstadt, sondern gehört zu Grado. Aquileia begründet dagegen schon gegen Ende des 8. Jahrhunderts seinen kirchlichen Machtanspruch mit der Legende, der Evangelist Markus sei dorthin gereist, um einen ersten Patriarchen einzusetzen. Danach dann habe es ihn nach Alexandria gezogen, um dort ebenfalls ein Patriarchat einzurichten.

 

Da Venedig fast ausschließlich vom Seehandel abhängt, "verbürgerlicht" die Stadt früher als andere: Ohne Festland gibt es keine Grundherrschaft und später keine feudalen Strukturen. Die soziale Schichtung beruht also wesentlich auf Eigentum und Kapital. Die Bevölkerung setzt sich zunehmend aus Kapitalisten und für diese Arbeitende zusammen. Hodges vergleicht den Ort mit den Emporien im hohen Norden, als es nun Marseille an Bedeutung zu übertreffen beginnt. (S. 122)

 

In dieser Zeit beginnt Venedig die nördliche Adria unter seine Kontrolle zu bringen und zur Seemacht aufzusteigen. Im Verlauf des 9. Jahrhunderts wird es Marseille als wichtigsten Umschlaghafen zwischen Mittelmeer und Zentral-Europa ablösen. Damit beginnt es in den Fokus fränkischen Interesses zu geraten, zum ersten Mal in den 780ern. Dabei entwickelt sich die Stadt unter den dux/Dogen relativ unabhängig von den byzantinischen Oberherren.

Schon mit der Kaiserkrönung Karls 800 gerät Venedig dann ganz in das Spannungsfeld zwischen den beiden Kaisern, welches es zu nutzen sucht.

 

809/10 versucht Pippin auf einem Heerzug von Chioggia aus, Venedig anzugreifen, worauf das Zentrum  nun nach Rialto (rivo alto) mitten in der Lagune verlegt wird. Vermutlich errichtet schon der (offiziell byzantinische) dux Agnello Partecipazzo in diesen Jahren seinen Amtssitz dorthin, wo heute der Dogenpalast steht.

 

810/12 bestätigt Kaiser Karl mit Kaiser Michael I. im Frieden von Aachen die byzantinische Hoheit. Aber Venedig regelt seine Außenbeziehungen wohl inzwischen zunehmend selbst.

 

Zudem kämpft Venedig wie einige andere italienische Städte mit dem Malariaproblem. Pisa wird sich bald mit dem Versuch beschäftigen, Sumpfgebiete verlanden zu lassen. Zunächst reicher und größer als Rialto ist Torcello im nördlichen, schilfbewachsenen Lagunenteil, mit Kathedrale, Kirchen und Palästen reich ausgestattet. Aber nach und nach bis ins 12. Jahrhundert hinein werden die meisten Einwohner weiter südlich ins Zentrum der Lagune umziehen.

 

Unter der führenden Partecipazio-Familie verteilt sich im 9. Jahrhundert die Macht wohl auf mehrere sich adelig gebende Handelshäuser. Dux Johannes (Partecipazio) ist, obwohl auch Grundbesitzer auf dem Festland, laut seinem Testament kurz vor seinem Tod noch mit 1200 Pfund solidi Investor in Seehandel.

 

Die Siedlungskerne Venedigs bestehen noch aus eher kleinen Holzhäusern mit kleinen Flächen für den Anbau von Gemüse, Wein und die Haltung einiger Schweine und Kühe.

Ohne Festland entwickelt sich kein Großgrundbesitz, sondern eine Oberschicht aus Händlern und mit ihnen frühe Geldwirtschaft. Sobald sich muslimische Herrscher an den Südküsten des Mittelmeers festgesetzt haben, beginnen Venezianer mit ihnen Handel zu betreiben, gegen die Wünsche der Päpste und von Byzanz.

 

827 lässt der aquilegische Patriarch Maxentius auf einer Synode zu Mantua verkünden, Grado sei nur eine ganz normale Pfarrei unter seiner Herrschaft. Das veranlasst die Venezianer zu einem Gegenschritt. Unter seinem wohlhabenden Dogen Guistiniano werden 828 die Reliquien (der mutmaßliche Leichnam) des "heiligen" Markus mit anderen Handelswaren aus Alexandria herausgeschmuggelt, um der Stadt Prestige zu verleihen. Damit sie nicht geraubt werden können, werden sie so gut versteckt, dass man sie später kaum wiederfinden kann. Mit dem Bau der Markuskirche wird Venedig dann auch zur Pilgerstadt.

 

Das Wahlamt des Dogen wird nicht erblich, aber dafür wie das päpstliche auf Lebenszeit verliehen, und ist im 9. und 10. Jahrhundert vor allem in den Händen weniger reicher Familien.

840 werden der Stadt im Pactum Lotharii die bisherigen Privilegien bestätigt, ohne dass Byzanz noch Erwähnung findet.

 

Seit dem 8. Jahrhundert dringen kroatische Siedler auf die dalmatinische Küste vor, wo sie Piratennester einrichten, von denen aus sie einen Kleinkrieg gegen venezianische Schiffe führen und Tribute für deren Sicherheit erpressen. Das wird bis ins 10. Jahrhundert so weitergehen.

 

Die Venezianer beginnen mit einem Flottenbau-Programm. Zu Bündnissen mit lateinischen Kaisern kommen im 9. Jahrhundert solche mit Byzanz und mit muslimischen Herrschern hinzu. Die Handelsinteressen der städtischen Oberschicht lassen die Stadtoberen immer aggressiver werden.

883/89 wird Comacchio an der Po-Mündung erobert und niedergebrannt, womit Venedig die Kontrolle über den regionalen Salzhandel bekommt, und in den nächsten Jahrzehnten erlangt die Stadt die Hegemonie über Istrien. Der Frachtverkehr von Norditalien nach Konstantinopel gerät immer mehr in ihre Hand.

 

***Rom***

 

Mit dem langsamen Verschwinden des Senates wuchs der römische Bischof als größter Landbesitzer in die Rolle des Stadtherrn hinein. Als solcher übernimmt er nun auch die Versorgung der sich verringernden Bevölkerung mit Getreide. Schon im 7. Jahrhundert, immer noch unter byzantinischer Hoheit, ist die Kirche auch im weiten Umland mit ihrer ausgeprägten Verwaltung fast monopolartiger Grundbesitzer.  Die Päpste vergeben ihr Land an die Kirchen der Stadt. Ein sich neu formierender Krieger"adel" beginnt, Grund und Boden im Umland der Stadt zu pachten. Damit kann die Kirche bzw. können die Kirchen der Stadt ihren Besitz in etwa halten, zugleich gewinnen sie eine sie schützende militärische Klientel. (Wickham(2), S.21f)

Wo es im weiten Umland nicht stadtrömischer kirchlicher Besitz ist, gehört das Land zum Großgrundbesitz von Klöstern wie Farfa und Subiaco oder zu Bischöfen wie denen von Sutri und Tivoli.

 

Eine kleine Gruppe mächtiger Familien regiert die Stadt zusammen mit dem Papst, ausgehend von hohen juristischen und Verwaltungs-Ämtern wie dem des Primicerius und des Arcarius oder dem des magister militum. Daneben besetzen sie die geistlichen Spitzenämter der nahen Bistümer oder der Titularkirchen und der Diakonien. Daraus wird sich später das Kardinalskollegium entwickeln.

 

Bis ins spätere 8. Jahrhundert ist Rom keine richtige Stadt, sondern "Ansammlung von Elite-Zentren mit tausenden von Einwohnern, die nur ein schieres Minimum an Produktion und Versorgung benötigten." (Hodges, S.121, m.Ü.)

Ein erneuter Aufstieg der gering bevölkerten Ruinenstadt Rom beginnt mit der langsamen Orientierung in Richtung Franzien, die handfest wird mit Karls ("der Großen") Besuch in der Stadt zum Osterfest 774. Aus der aufs Mittelmeer orientierten Stadt wird nun eine, die sich nach Norden, also lateinisch-europäisch auszurichten beginnt. Gold und Silber beginnt in die Stadt zu fließen, die zusammen mit antiken Spolien zu erneuter Ausschmückung der Kirchen führt. Um die Stadt herum blühen Landgüter auf und neue Kirchen entstehen.

Dieser Aufstieg wird unter Papst Hadrian I. deutlich und führt unter Paschalis I . (817-24) zum Bau neuer Monumentalkirchen wie SS Quattro Coronati.

 

Im Verlauf des 8. Jahrhunderts entzieht sich die Stadt immer mehr byzantinischem Einfluss, von dem es sich im Bündnis mit den Franken dann ganz löst. Dabei begreifen sich die Päpste nun als souveräne Herren der Stadt, da sie vermeiden können, im Frankenreich aufzugehen: Ihr Machtbereich gehört formell nicht zum westlichen Kaiserreich. Indem sie sich als Erben des byzantinischen imperialen Landes begreifen, nimmt ihr Landbesitz noch einmal zu.

 

Das Amt des Papstes bedeutet die Macht, eine eigene Klientel mit Land und lukrativen Ämtern zu bereichern und wird entsprechend umkämpft. Im 9. Jahrhundert wird das immer deutlicher. Immerhin ist Rom nun mit gut 20 000 Einwohnern eine der wenigen großen und reichen Städte des lateinischen Abendlandes.

 

Die wechselvolle Geschichte der Stadt und ihrer gelegentlich wenig friedfertigen Päpste (21 im 9. Jahrhundert) wird von den Kaisern wenig beeinflusst, die wohl auch wenig von den stadtrömischen Parteienkämpfen mitbekommen und verstehen.

882 wird Johannes VIII. ermordet, während zugleich Sarazenen immer mehr in Latium einfallen. 898 wird das bedeutende Kloster Farfa von ihnen geplündert und besetzt. 897 wird Nachfolger Stephan VI. ebenfalls ermordet, während die islamische Gefahr weiter zunimmt.

 

***Das Land***

 

Die Teilung des ländlichen Status in Großgrundbesitz mit Herrenhöfen, kleine freie (Besitz)Bauern, die allerdings langsam weniger werden, und freie sowie unfreie Pächter und immer weniger Sklaven bleibt. Dazu erwerben Städter wie wohlhabende Handwerker (Goldschmiede z.B.) Grund. Der Großgrundbesitz der Kathedralen, anderer Kirchen und der Klöster nimmt bis ins 10. Jahrhundert zu.

 

Das Land wird einerseits durch Erbteilung vor allem immer stärker fragmentiert, andererseits gelingt es großen Klöstern wie Bobbio, das Land ganzer Dörfer unter ihre Kontrolle zu bekommen. Freie Pächter unterschreiben Verträge als libellarii, die meisten unterliegen weiter einem Gewohnheitsrecht. Immer wieder vergeben aus unbekannten Gründen einzelne freie (Besitz)Bauern oder gar ganze Gruppen ihr Land an Kirche oder Kloster, verschenken oder verkaufen es, um es zur Pacht und gegen Dienst, oft offenbar an einem Tag in der Woche, zurückzuerhalten. Erbenlose Bauern schenken ebenfalls öfter testamentarisch ihr Land an geistliche Herren.

Verarmung, der Druck des Zehnten, der Wunsch nach Schutz bzw. erpresserische Manöver der Mächtigen spielen wohl eine Rolle. Widerstand taucht im wesentlichen in der Gesetzgebung seit der späteren Langobardenzeit als Reaktion auf repressive Maßnahmen wie harter Strafen auf. 

 

Wie überall im Karolingerreich tendieren zwei Entwicklungen zu einer Pächterschicht: Lage und Status kleiner freier Bauern verschlechtert sich in Richtung Abhängigkeit von Herren, und die Unfreiheit andererseits tendiert in eine Art Halbfreiheit wie bei sich freikaufenden Sklaven. Herrenhöfe werden verpachtet, entsprechend schwinden die Arbeitsdienste, und der Pachtzins wird bis ins 10. Jahrhundert immer mehr in Geld geleistet.

 

Es gibt bis Ende des 9. Jahrhunderts  wie im übrigen Frankenreich keinen Adelsbegriff, es gibt nur reichere und weniger reiche Freie, die alle formal zum Militärdienst und zur Beteiligung an Gerichten und den fränkischen placita berechtigt bzw. verpflichtet sind. Germanisches Erbe sind die weit gefassten wichtigen horizontalen Verwandtschaftsverbände, die sehr strikt patrilinear geordnet sind und so Frauen in aller Regel Männern unterordnen. Die seltene starke Rolle von Frauen wird entsprechend mit Misstrauen betrachtet.

 

Unter anderem aus diesen Verbänden rekrutieren sich die Eideshelfer bei Gericht, und aus ihnen leitet sich auch das Fehderecht ab, welches sehr unrömisch ist. In stärkerem Maße formalisiert lässt sich da auch der Zweikampf als Rechtsentscheid einordnen. Beides betrifft vor allem Gewalttaten, während vor Gericht vor allem Eigentumskonflikte - im wesentlichen über Land - auftauchen. In den Zeugenlisten der Urteile stellt sich Status dar und in den Unterschriften vage Anzeichen einer wesentlich höheren Literalität als nördlich der Alpen.

 

Auch wenn es keinen adeligen Rechtsstatus gibt, gibt es doch eine Art Oberschicht reicher und mächtiger Männer (Familien), der auf Landbesitz gründet. Bei genügend solchem Besitz bekommt man Zugang zum Hof eines Herzogs/(Mark)Grafen und eine Etage darüber beim König. Das alles spielt sich dann in der Stadt ab. Zugang zum Herrschaftsapparat kann dann solcher zu Ämtern bedeuten und darüber wieder zu mehr Land.

Wer es sich leisten kann, hält sich ein bewaffnetes Gefolge, welches über Geschenke funktioniert. Bei den Langobarden sind das die gasindii, bei den Franken heißen sie vassi. Indem die Zahl der dem König direkt zugeordneten Freien immer mehr abnimmt und die Gefolge von Oberschichtherren zunehmen, findet ein Prozess der Dezentralisierung statt, welcher im 10. Jahrhundert alle Ansätze von (zentraler) Staatlichkeit zusammenbrechen lassen wird. Diese Entwicklung verschärft sich mit den Ansätzen juristischer Funktionen der Herren über ihre Pächter. (Wickham, S.129ff)

 

Versuche königlicher Gesetzgebung seit dem 7. Jahrhundert, das Absinken der kleinen freien Landbewohner zu verhindern, werden bis ins 9. Jahrhundert anhalten, aber im Resultat erfolglos sein.

 

 

Spanien

 

Unter den Visigoten sind zumindest Teile der iberischen Städte einem gewissen Verfall preisgegeben, was am wenigsten wohl Toledo, Mérida und Zaragoza betrifft und sehr deutlich nach der Eroberung von Cartagena wird. Am stärksten gehen die Römerstädte an den Rändern im Norden und Nordosten zugrunde.

Außerhalb dieser Randgebiete werden manche von ihnen dann in der Zeit islamischer Herrschaft nach 711 mit ihrer eher städtischen Zivilisation in neuem Gewand wieder aufblühen, dabei aber nicht jene Strukturen ansteuern, die Kapitalismus entwickeln helfen, weswegen die christliche Rückeroberung Neuanfänge mit sich bringen wird. Immerhin dürften um 900 in Cordoba an die 100 000 Einwohner gelebt haben, als in den Frankenreichen größere Städte ein paar tausend besitzen, dazu 40 000 in Toledo und vielleicht 25 000 in Granada. Handwerk und Handel florieren weit mehr als in der christlichen Welt, aber die Verbindung von Despotie und Islam erlaubt es nicht, Voraussetzungen für ein Bürgertum zu bilden.

 

Nur der ohnehin wenig urbanisierte Norden bleibt in den Händen derer, die sich als Nachfahren der Visigoten sehen. Als erstes stadtartiges Gebilde entstehen dann im 9.-11.Jahrhundert das galizische Santiago de Compostela und bald darauf das asturische Oviedo und León, das leonesische Zamora, das kastilische Burgos, und das katalanische Barcelona steigt auf.