KIRCHE 4: KIRCHE, CHRISTENTUM UND KOMMERZ IM 13. UND 14. JAHRHUNDERT

 

Die gescheiterte Reform

Papsttum und Schisma

Kirche und Macht in Frankreich und England

Frömmigkeit

Kommerzialisierung des Christentums

Großbürgerliche Frömmigkeit: Stiftungen

Inquisition und Ketzerverfolgung

Widersprüche: Frömmigkeit und Unglaube (Unglaube / Alchemie / Magie)

Klöster

 

Die gescheiterte Reform

 

Die große Bewegung der Kirchenreform hatte die Machtfrage zwischen Papst-Kirche und Königen gestellt und erreicht, dass Kirche sich als Partner der Mächtigen für einige Zeit ein wenig verselbständigt. Das Ergebnis dürfte aber dann nicht dem entsprochen haben, was sich die großen Reformer vorgestellt hatten: In deutschen Landen werden Bischöfe mehr noch als zuvor zu Fürsten sehr weltlicher Art, und mehrere steigen dabei in die erste Liga der Kurfürsten auf. Mit den Formelkompromissen für Frankreich und England ändert sich nicht, dass das Episkopat weiter in die königliche Machtpolitik eingebunden bleibt und oft auch Könige sich ihre Bischöfe weiter aussuchen, gelegentlich im Einvernehmen mit päpstlicher Machtpolitik.

Wird den hohen Prälaten im entstehenden Frankreich auch nicht fürstliche Macht wie in deutschen Landen zugestanden, so bemühen sie sich doch um fürstliche Lebensformen. Und in England sind Bischöfe weiter große Barone mit entsprechender weltlicher Macht. So lässt sich bereits im 12. Jahrhundert von dem Weg in eine Art Ausprägung von "National"kirchen sprechen, mit ihren Besonderheiten und ihren Verwicklungen in das weltliche Machtgeschehen.

 

Die wirtschaftliche Basis dieser Bischofskirchen bleibt riesiger Großgrundbesitz, auf dem mittels bäuerlicher Arbeit Gewinne gezogen werden, bleiben Rechte, die Geldeinnahmen mit sich bringen, und bleibt der Zehnte, den die mehr oder weniger Gläubigen wie selbstverständlich als Zwangsmitglieder in der Kirche erbringen müssen. Den Bischöfen wird in der Regel zumindest bis ins 16. Jahrhundert eine unersättliche Geldgier zugesprochen. Unser Bourgeois von Paris beschreibt den Bischof von Paris Denys de Moulins (um 1440) folgendermaßen:

Er ist ein Mann, der sehr wenig mitleidig (piteux) war gegen wen auch immer, wenn er nicht Geld oder eine andere Gabe erhielt, die sich lohnte; und man erzählte als wahr, er habe mehr als fünfzig Prozesse bei Gericht, denn ohne Prozess war nichts von ihm zu erlangen. (Journal, S.)

 

Kirche bedeutet so enormen Reichtum, von dem relativ wenig an die Armen als Almosen abgeht, aber ein nicht geringer Teil in Rom zusammen kommt, während eher arme Landpfarrer wiederum ebenfalls davon meist nicht viel sehen. Mit der Monetarisierung und Kommerzialisierung der Welt, die im 12. Jahrhundert schnell voranschreitet, wird die Kirche zu einem das ganze lateinische Europa umspannenden großen Wirtschaftsunternehmen, in dem die Bistümer als regionale Unternehmen eingeordnet sind. Dabei fließen unentwegt enorme Summen.

 

Das übrige Reformprogramm der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts macht im 12. bestenfalls langsame Fortschritte, wobei alte Unsitten manchmal durch neue ersetzt werden. Die Lesekunst der ländlichen Priester steigt nur allmählich, und viele müssen weiter die zehn Gebote, den Text der Messe, die Namen der sieben Sakramente und die Formeln für die Beichte auswendig im Kopf behalten, da sie sie nicht nachlesen können.

Wenn man den Bestimmungen des vierten Laterankonzils von 1215 folgt, sind viele Priester weiter verheiratet oder leben im förmlichen Konkubinat, vererben ihre Pfarreien und sind dem Würfelspiel, dem Tavernenbesuch und anderem weltlichem Amüsement ergeben. Es ergibt sich dabei auch der Eindruck, dass die weitere Christianisierung einer religiös überwiegend uninformierten Bevölkerung nur schleppend vorangeht. Immerhin wird versucht, die Leute wenigstens einmal im Jahr zur Beichte und zur Kommunion (des leibhaftig gemeinten Verspeisens des Leibes und Blutes Christi) zu verpflichten. 

 

Ämter in der Kirche sind seit dem frühen Mittelalter käuflich und das nimmt nun weiter zu, als ob es keinen Kampf gegen die Simonie gegeben hätte.

Kirchliche Stellen sind mit einem eigenen Einkommen versehen, den Pfründen (praebenda). Höhere Kirchenämter bedeuten reichhaltigere Pfründe. Pfründen sind also kirchliche Einkunftsquellen, und sie werden als Freundesdienst und zur Klientelbildung verschachert oder verschenkt.

 

Dabei setzt sich im späten Mittelalter sogar die Ansammlung von verschiedenen Pfründen auf jeweils eine Person durch, wobei diese oft auch zu keinerlei kirchlichen Gegenleistungen verpflichtet ist. Wenn Pfründe solche Dienste beinhalten, werden sie an Vikare weitergegeben, die sich mit minimaler Bezahlung zufrieden gegeben müssen und oft kaum religiöse Kenntnisse haben. Ein Petrarca wird sich niocht zuletzt von solcher Pfründenwirtschaft ernähren können.

 

Als Domherr muss man nur jene niederen Weihen durchlaufen haben, die nicht mit dem Zölibat verbunden sind, was das Amt auch für den Adel attraktiv macht. Aber selbst Bischöfe müssen bei der Wahl noch nicht einmal die Priesterweihe erhalten haben. Man kann dann als Domherr und sogar als Bischof wieder von seinem Amt zurücktreten und heiraten, vor allem wenn ein Spitzenplatz in der Dynastie offen wird.

Da ein Teil der das Fürstentum nicht erbenden Söhne auf solche Kirchenstellen abgeschoben wird, fühlen sie sich darauf angewiesen, solche Pfründe anzuhäufen, was kirchlicherseits eigentlich wegen der Residenzpflicht verboten, aber gang und gäbe ist. Man versucht sich dann Dispense zu verschaffen. Dasselbe gilt auch für den übrigen Adel.

 

Während man so - gemessen an den Forderungen der Kirchenreform des 11. Jahrhunderts - von einer bis in die Zeiten der Reformatoren des 14./15. Jahrhunderts eher noch zunehmenden Verlotterung der Kirche sprechen kann, findet zugleich eine immer weitergehende Verengung der dogmatisch bekundeten und immer skurriler werdenden Glaubensinhalte statt. Ein Musterbeispiel ist die Vorstellung von der Vererbung der Erbsünde seit Adam und Eva, die immer rabiater auf die menschliche Sexualität eingegrenzt wird. Damit Jesus als "Gottessohn" von ihr befreit ist, wird immer massiver die "jungfräuliche Empfängnis" des göttlichen Samens durch Maria betont, eine an sich längst offensichtliche Absurdität auf der Basis sehr archaischer Göttervorstellungen. Um diese Vorstellung zu verfestigen, wird nun auch Empfängnis und Geburt der "Gottesmutter" entsprechend von der Erbsünde, also den Ingredienzien menschlicher Geschlechtlichkeit befreit. Damit gewinnt Jesus eine besonders heilige Großmutter und die Konstruktion seiner Familie wird immer mehr von männlichen Beiträgen befreit. 

 

In den Städten entwickelt sich zwischen der Kirche und den Bettelorden eine heftige Konkurrenz um die Einnahmen, und insbesondere den Franziskanern gelingt es bald, die Pfarrkirchen und die alten monastischen Klosterkirchen an Größe und (gotischer) Höhe zu übertreffen. Sie werden immer reicher und übernehmen teilweise bürgerliches Geschäftsgebaren. 1417 spalten sich die Observanten von ihnen ab, um zum alten Armutsideal zurückzukehren.

Unternehmerisch werden Franziskaner allerdings erheblich übertroffen von den Zisterziensern, die zum Teil riesige Wirtschaftsunternehmen auf dem Lande mit Dependancen in den Städten entwickeln. Ihre Größe lässt sich noch erahnen in so großen baulichen Komplexen wie dem des Klosters Eberbach im Rheingau.

 

Im späten Mittelalter taucht häufiger das Bild vom wohlgenährten Mönch auf, der allen weltlichen Genüssen nicht abgeneigt ist. Das stimmt nicht immer, gibt aber einen Teil der Stimmung im Lande wieder.

 

Ein besonderes Phänomen wird in dieser Hinsicht der Orden der Tempelritter, der sich über ganz Westeuropa mit Niederlassungen verbreitet und seine Einnahmen zentral im Londoner und Pariser Tempel (temple) verstaut. Das nehmen sich Magnaten und Könige zum Vorbild und deponieren ihre Reichtümer zumindest teilweise in denselben Schatzkammern. Mit der Kapitalisierung solcher hoher Summen werden die Templer dann zu Kreditgebern und bringen die Großen manchmal finanziell in ihre Abhängigkeit, was ihnen ähnlich zum Verhängnis werden wird wie jüdischem Finanzkapital.

 

Papsttum, Schisma und Konzilien

 

Das 13. Jahrhundert erlebt mit dem Konflikt zwischen Staufern und Päpsten unter etwas anderen Umständen eine Neuauflage des alten Konfliktes der Päpste mit den salischen Kaisern, der mit dem Tod Friedrichs II. und dem Scheitern der Nachfolger in den beiden Sizilien zunächst zugunsten des Papsttums entschieden ist. Aber im späteren Mittelalter erweist sich dann, das sich die Reiche der päpstlichen Aufsicht für alle Zukunft mehr und mehr entziehen. 

 

Eine zweite Parallele entfaltet sich über das Maß der Kontrolle der Päpste über die sich zunehmend nationaler entwickelnden Bischofs-Kirchen. Dabei erweisen die beiden sich in enormem Tempo ausbreitenden Bettelorden als Partner eines auf Machtsteigerung orientierten Papsttums und als Konkurrenzunternehmen zur Bischofskirche. Sie dürfen nämlich dank starker päpstlicher Privilegierung das tun, was sonst als Häresie verfolgt würde, nämlich öffentlich und außerhalb der Bischofskirche predigen und so Einfluss ausüben. Umgekehrt vertreten sie entsprechend einen absoluten Machtanspruch des Papstes in der Kirche.

 

Während die Dominikaner schon als päpstliches Instrument gegen Ketzer gegründet worden waren, entwickeln die Franziskaner sich erst seit der Zeit zu einem Machtinstrument, als ihr Gründer sich - vermutlich resigniert - zurückzieht. Damit beginnt auch die Verfälschung seiner Frömmigkeits-Positionen, die ihren Höhepunkt erreicht, als der gelehrte Bonaventura 1257 ihr Chef wird. Er schreibt eine verfälschende Lebensbeschreibung des Franziskus und lässt als Begleitung alle älteren Biographien erfolgreich vernichten. Darüber hinaus stützt er die Verabsolutierung der päpstlichen Monarchie:

Es muss daher einer sein, auf den die Unterordnung aller zurückgeführt wird, und dies, wie gezeigt wurde, erfordert die Ordnung der allumfassenden Gerechtigkeit. (De perfectione evangelica, in: Kaufhold(1), S.110)

Diese Position vertritt am deutlichsten in dieser Zeit Papst Innozenz IV.

 

Da verbinden sich Machtfragen mit solchen der theologischen Autorität, und entsprechend wird der Streit Mitte des Jahrhunderts vor allem an der Pariser Universität ausgetragen (siehe...). Einer der Theologen dort, Wilhelm von Saint Amour, verurteilt diese Aufweichung der Lehrautorität der Bischofskirche scharf und wird 1257 von Papst Alexander IV. zum Schweigen gebracht, ohne dass die Debatte damit zum Erliegen kommt.

 

Die Instrumentalisierung der Bettelmönche für die päpstliche Sache wird am deutlichsten im Kampf der Päpste gegen Friedrich II. 1249 weist Innozenz IV.  die Bettelorden an, in deutschen Landen den Kreuzzug gegen den von ihm abgesetzten Kaiser zur Unterstützung des Gegenkönigs Wilhelms von Holland zu predigen. Aber ein starkes Echo findet er dort nicht.

 

Die Spitze der Papstkirche bildet der Papst selbst mit seinem geistlichen Hofstaat, der Kurie. Dort sind mit den Kardinälen, von Päpsten berufen, die Vertreter starker Adelsfamilien dominant, die zunehmend auch Vertreter nationaler Interessen werden. Diese konfliktierenden Interessen werden deutlich, als es dem Wahlkollegium zwischen November 1268 und September 1271 nicht gelingt, sich auf einen neuen Papst zu einigen. Da die Kardinäle derweil die Papstkirche selbständig verwalten, wird zudem von persönlicher Bereicherung gemunkelt.

 

Auf dem zweiten Konzil von Lyon 1274, nachdem in Abwesenheit dann doch Gregor X. gewählt worden war, wird die zukünftige Papst-Wahl in einem Konklave beschlossen, in einem abgeschlossenen Raum, in dem sich die Wähler solange aufhalten müssen, bis sie sich geeinigt haben. Im entsprechenden Dekret heißt es: Die Kärdinäle müssen nach Ablauf von zehn Tagen versammeln, sofort im Palast, den der Papst bewohnte. Jeder begnügt sich jeweils mit nur einem Diener, einem Kleriker oder Laien seiner Wahl. Denen, die aus offensichtlicher Notlage darauf angewiesen sind, zwei Diener zu haben, gestatten wir sie unter gleicher Wahlfreiheit. Im Palast bewohnen alle gemeinsam ein einziges Gemach ohne Zwischenwand oder sonstige Abtrennung. Unter Wahrung des freien Zugangs zur Toilette wird das Gemach von allen Seiten so verschlossen, dass es niemand betreten oder verlassen kann. Durch ein Fenster werden die Speisen hereingereicht, die jeden Tag karger sein sollen, und nach acht Tagen werden sie auf Wasser, Brot und Wein reduziert. (in: Kaufhold(1), S.117)

Es scheitert die Vereinigung mit der griechischen Kirche und ein Kreuzzugsplan.

 

****

 

Philippe IV. ("der Schöne") erhebt ohne päpstliche Zustimmung Steuern auf kirchliche Güter. Darauf erlässt Papst Bonifaz VIII. 1296 die Bannbulle 'Clericos Laicos'. Während sich immer mehr französischer Klerus um seinen König schart, formuliert der Papst 1302 mit der Bulle 'Unam Sanctam' den totalen päpstlichen Machtanspruch: Für die Erlösung der Menschheit ist es unerlässlich, dass jedes menschliche Geschöpf dem römischen Pontifex maximus untertan sei.

Als nächstes will der König ein Konzil, welches Bonifaz wegen Ketzerei, Blasphemie, Mord, Sodomie, Simonie und Hexerei anklagen soll. Derweil formuliert der Papst an einer Bulle, die den König exkommunizieren soll. Um dem zuvor zu kommen, wird der Papst 1303 auf einem Sommersitz Anagni überfallen und festgenommen. Einwohner befreien den 86-jährigen Papst, der aber kurz darauf stirbt.

 

Bertrand, de Got, als Erzbischof von Bordeaux wohl mit dem französischen König befreundet, sieht sich als Clemens V. (1305-14) mehrmals genötigt, sich in Südfrankreich (Bordeaux, Toulouse, Poitiers) aufzuhalten. Damit ist die Kurie in Perugia weit vom Papst getrennt. Ab 1309 ist der Papst im wesentlichen in Avignon, formalrechlich noch auf Gebiet des römisch-deutschen Reiches, aber direkt an der Grenze zu Frankreich.

Clemens ernennt 23 Franzosen und einen Engländer zu Kardinälen. Die Spitze der Papstkirche schert aus der italienischen Geschichte aus und wird Teil der französischen. Bis 1375 werden weitere 110 Kardinäle ernannt, von denen 90 Franzosen sind. Das Vorgehen des französischen Königs gegen Bonifaz VIII. wird von Clemens weitgehend anerkannt.

Nachfolger wird 1316 der vom französischen König abhängige Johannes XXII., ein französischer Schuhmachersohn, der unter anderem die Rechte studiert und dann zum Kanzler der Anjoukönige von Neapel aufsteigt. Der sorgt auch dafür, dass er sich in einem mehr als halbjährigen Konklave durchsetzen kann. Er regiert dann ununterbrochen in Avignon. Dort setzt sich immer mehr die Zahlung bei Bewerbung um ein kirchliches Amt und bei Erteilung des Amtes durch, der Verkauf von immer mehr kirchlichen Leistungen, z.B. der Ablässe,die alle zum Zehnten dazu kommen, und die päpstliche Prachtentfaltung ermöglichen. Damit soll ein abhanden gekommenes Territorium kompensiert werden.

 

Wie Iris Origo aufzählt, kauft dieser Papst 40 Kleidungsstücke aus Goldbrokat für sich in Damaskus ein, die 1276 Gulden (fl) gekostet haben sollen. Noch mehr soll er für Pelze ausgegeben haben. Sein Gefolge soll pro Jahr gut 7000 Gulden für Kleidung ausgegeben haben. Laut Patrarca ist Avignon wenig danach das Babylon des Westens mit erheblicher Kriminalität, Prostitution und im Jahre 1327 bereits mit 43 italienischen Bankhäusern.

 

Im Streit mit Ludwig dem Bayern dient auch das Armutsthema als Propagandamaterial. 1322 verurteilt der Papst die vom Franziskanerorden propagierte Lehre, wonach Jesus und seine Jünger kein persönliches und gemeinschaftliches Eigentum besessen hätten. Kurz darauf verbietet er den Franziskanern ihre auf dem Armutsideal beruhenden Regelungen, und bezeichnet sie schließlich in der Bulle 'Cum inter nonnullos' als häretisch.

Kurz zuvor hatte er Thomas von Aquin heiliggesprochen, der Besitztümer und standesgemäße Reichtümer für christlich erklärt hatte. Mit diesem Papst wird die von Anfang an von der Kirche betriebene Abkehr vom evangelischen Jesus, den die Kirche wohl im Spätmittelalter verbrannt hätte, ihren Höhepunkt erleben. Kirchliches Christentum und evangelischer Jesus befinden sich seitdem mehr denn je in einem diametralen Gegensatz.

 

1334 tritt Benedikt XII. sein Amt an und identifiziert sich noch stärker mit der königlich-französischen Politik. Zwar behauptet er, nach Rom zurückkehren zu wollen, lässt aber den Bau des Papstpalastes in Avignon beginnen. Unter Clemens VI. (1342-52), vorher Kanzler von Philippe VI., wird der Palast fertiggestellt, wo ein sehr weltlich-prunkvolles Hofleben einzieht. 1342 kann zusätzlich zur Grafschaft Venaissain die Stadt Avignon erworben werden, die sich mit den Kardinalspalästen zu einem bedeutenden Wirtschaftszentrum entwickelt. Nepotismus wird zum Normalfall in der Kirchenspitze.

 

Die päpstliche Kirchenstadt verfällt nach allgemeinem Urteil einem nie dagewesenen Luxus- und Lotterleben.1357 schreibt Petrarca in einem Brief:

Nun sieht man mit eigenen Augen und fühlt mit eigenen Händen, was dieses neue Babylon in Wahrheit ist - kochend, wimmelnd, obszön, schrecklich (...) Von welch Falschheit und Betrug, von welch Grausamkeit und Hochmut, von welch Schamlosigkeit und zügelloser Lust man schon gehört und gelesen hat, welch Gottlosigkeit die ganze Welt enthält oder je enthalten hat - all dies kann man dort zu Haufe sehen. (so in: Spufford, S.126)

 

Rom verfällt zunehmend, die Pilger und ihr Geld bleiben stärker aus. Als Entschädigung erhält es nach 1300 mit 1350 ein zweites Jubeljahr, für das den Pilgern ein umfassender Ablass aus dem infinitus thesaurus ecclesiae geliefert wird.

1347 ergreift Cola di Rienzo (Nicola di Lorenzo), Sohn einer Wäscherin und eines Schankwirtes, wie es heißt, selbst zum Notar aufgestiegen, in Rom die Macht und vertreibt den Stadtadel mit Unterstützung des "Volkes". Er setzt Reformen durch, die einen wirtschaftlichen Aufschwung einleiten, und wird von Petrarca unterstützt. Schließlich fordert er so etwas wie Volkssouveränität und die Einigung Italiens und nennt sich schließlich mit gewissem Übermut: Kandidat des Heiligen Geistes, Ritter Nicolaus der Gestrenge und Gnädige, Befreier der Stadt, Eiferer für Italien, Freund der Erde, erhabener Tribun. Schließlich gelingt es dem Adel, ihn aus der Stadt zu vertreiben und er taucht bei Eremiten unter. 1350 flieht er zu Karl IV., der ihn für zwei Jahre einsperrt und dann an den Papst nach Avignon ausliefert.

 

Ab 1352 versucht Innozenz VI., bis 1362 Papst, die Rückkehr nach Rom vorzubereiten. Der Kardinal Aegidius Albornoz versucht den Kirchenstaat zu befrieden und zu reorganisieren. Ab 1362 versucht Urban V., zuvor kein Kardinal, sondern "nur" Abt von St.Victor (Marseille), die Pfründenhäufung und die übrige Korruption einzuschränken und die Residenzpflicht der Geistlichkeit wiederherzustellen - mit wenig Erfolg außer dem der Feindschaft der Kardinale.

 

1354 darf Cola di Rienzo wieder  nach Rom unter der Aufsicht von Albornoz. Aber offenbar agiert er dort immer tyrannischer und wird im Rahmen eines vom Adel inszenierten Volksaufstandes von einem Handwerker ermordet.

 

Die Lage in Rom bleibt unsicher, aber die in Avignon verschlimmert sich immer mehr. In der Provence marodieren englische, bretonische und französische Söldner, unter anderem unter Bertrand du Guesclin. Kardinal Albornoz hat die Verteidigungsanlagen Roms verbessert,und im April 1367 zieht Urban mit fünf Kardinälen in Absprache mit Karl IV  nach Rom um, aber der Kaiser ist noch nicht dort. Er kommt erst im Mai 1368 nach Italien und bleibt zunächst in Padua. Erst 1368 trifft er in Rom auf den Papst. Der kann sich nach dem baldigen Abzug Karls noch bis zum Sommer 1370 in der Engelsburg halten, dann flüchtet er gegenüber der Bedrohung durch Visconti-Truppen in der Toskana und einem Aufstand in seinem eigenen Reich nach Avignon zurück.

 

Sein Nachfolger Gregor XI. muss nach der Wahl 1370 erst einmal in zwei Tagen Priester- und Bischofsweihe durchlaufen. Er unternimmt einen Feldzug gegen Mailands Bernabó Visconti, der 1374 erfolgreich endet. Aber anstatt zurückkehren zu können, wendet sich nun Florenz gegen ihn, welches dafür mit dem Kirchenbann belegt wird. 1376 reist Katharina ("von Siena") nach Avignon und überzeugt Papst Gregor, nach Rom zurückzukehren.

Januar 1377 siedelt dann auch er nach Rom um, muss aber bald nach Anagni ausweichen. Nach erneuter Rückkehr nach Rom stirbt er im März 1378.

 

Da Gregor in Rom gestorben ist, kann dort eine Wahl angesetzt werden. 1378 wird unter Unruhen der Bevölkerung gegen die Kardinale der Erzbischof von Bari als Urban VI. in einer zweifelhaften Wahl von nur zwölf Kardinälen durchgesetzt, nachdem Römer, die in das Konklave eindringen, sie unter Druck setzen. Urban setzt Italiener als neue Kardinäle ein und verurteilt den ausschweifend-luxuriösen Lebensstil der französischen Vertreter. Vor allem diese verlassen kurz darauf die Stadt.

Da er sich weigert, nach Avignon zurückzukehren, wird Urban im Juli/August von ihnen in Anagni unter dem Schutz bretonischer Söldner für amtsunfähig und die Wahl für ungültig erklärt. 13 vor allem französische Kardinäle wählen dann in Fondo im Königreich Neapel im September den Grafen Robert von Genf, Cousin des französischen Königs und Schlächter von Cesena, als Clemens VII.

Urban VI. ernennt neue Kardinäle und heuert eine Söldnerkompanie an, die die Engelsburg erobert. Clemens VII. flieht zu Johanna von Neapel. Im April 1379 kehrt Clemens ganz nach Avignon zurück, kann sich weiterhin nicht in Italien durchsetzen. Charles V. erkennt ihn im November 1378 an, und Clemens überlässt ihm dafür ein Drittel der kirchlichen Einkünfte in Frankreich.

Urban wiederum exkommuniziert Johanna von Neapel und erklärt sie zugunsten von Karl von Durazzo für abgesetzt.

1379 beschließen Clemens und der Herzog von Anjou, Bruder des Königs, dass dieser den Kirchenstaat erobern und aus dem größeren Teil ein Königreich Adria für sich bilden solle.

 

Seitdem gibt es das sogenannte 'Große Schisma' (1378-1417). Vor allem westliche Teile der deutschen Lande, England, Flandern und Norditalien unterstützen den römischen Papst Urban, Frankreich, Neapel, Schottland, Kastilien und Portugal den avignonesischen Clemens.

 

Das Schisma ist nicht religiös begründet, sondern machtpolitisch. Auch daran orientieren sich verfeindete Mächte, die nicht denselben Papst akzeptieren. In den Kirchen und Orden kommt es zu Doppelwahlen. Im Bistum Konstanz zum Beispiel unterstellen sich die Klöster St.Gallen und St.Georgen Rom, während die Städte Aarau, Baden, Schaffhausen und u.a. die Klöster St-Blasien und St.Ulrich zu Avignon halten.

 

Das Papsttum verliert jeweils an Einkünften, Simonie und sonstige Korruption nehmen zu und ihr Ansehen ab. Der Ausbau von ansatzweisen Nationalkirchen beschleunigt sich, insbesondere auch im Zusammenhang mit dem immer wieder aufflammenden Krieg der englischen und der französischen Krone, indem die Kirchen beider Seiten massiv Partei ergreifen und Propaganda betreiben.

 

1393 versucht Gian Galeazzo, die Macht von Bologna und Florenz dadurch zu brechen, dass er die Franzosen im Bündnis mit sich nach Italien holt. Papst Clemens wird eingeladen, ein Königreich Adria Louis d'Orléans als Lehen zu geben und dafür reiche Einnahmen zu gewinnen und so soll dann das Schisma im französischen Sinne beendet werden. Dagegen wenden sich Florenz und der burgundische Herzog sowie die Pariser Universität, die mit Nicolas de Clamanges den Konzilsgedanken vertritt.

Clemens stirbt und der Kardinal de Luna wird als Benedikt XIII. durchgesetzt, nachdem er seinen Rücktritt für die Möglichkeit der Beendigung des Schisma versprochen hat, was er dann nicht einhält. Coucy zieht mit einem zusammengewürfelten Heer durch Norditalien nach Savona, das sich für 6990 Florinen kaufen lässt.

Der Herzog von Burgund, Königin Ysabeau und Florenz führt dazu, dass Genua die Herrschaft direkt dem König anbietet, und der kauft Louis d'Orléans seine Ansprüche für 300 000 Franken ab. (Tuchman, S.478)

 

 

Im römisch-deutschen Reich gerät der Klerus in Abhängigkeit von den Fürsten.

 

 

Kirche und Macht in Frankreich und England

 

Die Rejudaisierung des Christentums, begonnen mit der Verbindung von Kirche und Macht in der späten Antike, erreicht ihren höchsten bildlichen Ausdruck in den frühgotischen Königsgalerien an den Kathedralen Frankreichs, deren erste die Fassade von Notre Dame zu Paris seit 1220 schmückt.

 

Hier wird nicht nur darauf hingewiesen, dass mehr oder weniger sagenhafte antik-jüdische Könige jener Dynastie angehören, der auch Jesus entstammen soll, sondern auch auf die seit Chlodwig betonte Vorreiter- und Vorbildfunktion dieser Könige, eine völlig unevangelische und unpaulinische Vorstellung. Insofern wirkt es für uns heute eher merkwürdig, dass an gotischen Portalen nicht nur Adam und Eva, sondern auch die triumphierende Ecclesia gegenüber der Synagoge auftritt, deren Augen verbunden sind, da sie die Heilsfunktion Jesu nicht (an)erkennt.

 

Aber jenseits der Theologie bleibt das Christentum ohnehin ungeniert inkonsistent.

 

Die große Kirchenreform übersteht das französische Königtum relativ ungeschoren, nutzt davon das wenige, das es gebrauchen kann und kontrolliert die Kirche des Reiches in dem Maße, in dem es dieses erweitert. Im Bund mit dem Papst werden die Katharer vernichtet und Südfrankreich so einverleibt und in weltlicher wie kirchlicher Hinsicht unter königliche Kontrolle gebracht. Äbte und (Erz)Bischöfe werden in die Regierungsarbeit integriert.

 

Ludwig IX. gilt von Jugend an als Muster von Frömmigkeit. Sein Alltag sei, so wird gesagt, bestimmt von Bescheidenheit, Kargheit, schlichter Kleidung und größtmöglicher Keuschheit. Es heißt sogar, dass er nur in den von der Kirche dafür vorgesehenen Zeiten mit seiner Frau den Koitus betrieben haben soll.

Er gibt um 1230 die erste Übersetzung der Bibel in das Französische in Auftrag und ist selbst wohl begeisterter Leser von Heiligenviten, die er auch persönlich anderen vorliest. Zudem fördert er die Scholastik, indem er die Gründung eines theologischen Kollegs an der Pariser Universität durch seinen Kaplan Robert von Sorbon unterstützt.

 

Das geht alles weit über das moderate Christentum seiner höfischen Umgebung und der Bevölkerung hinaus, die ihn des öfteren wegen übertriebener Frömmigkeit kritisieren. Papst Innozenz IV. hingegen beschreibt ihn als „allerchristlichen König“ („rex christianissimus“), „Abbild Gottes“ („imago Dei“) und „Beschützer der Kirche“ („patronus ecclesiae“).

 

Ludwig ist auf jeden Fall ein großer Verehrer und Sammler von Reliquien und offensichtlich von ihrer Wirksamkeit überzeugt. Zwischen 1239 und 1242 erwirbt er für enorme Gelder von dem in Geldschwierigkeiten steckenden Ostkaiser Balduin von Courtenay unter anderem die (angebliche) Dornenkrone Jesu und ein Stück vom "Heiligen" Kreuz. Um sie aufzubewahren, beschließt der den Bau einer vor allem auch in die Höhe überdimensionierten neuen königlichen Kapelle, der 1241-45 erbauten Sainte-Chapelle, die direkt mit seinen Gemächern verbunden ist. Ein den Vorstellungen von einer altjüdischen Bundeslade entsprechender Schrein aus Silber und vergoldetem Kupfer dient für die wertvollsten Reliquien. (Sohn, S.106)

 

1248-54 scheitert der mit rund 15 000 im wesentlichen französischen Rittern ausgestattete Kreuzzug Ludwigs, bei dem ihn der englische König trotz Kreuzzugsgelübdes im Stich lässt. Das tut aber seiner immer größeren "Heiligkeit" keinen Abbruch.

Von der Kirche aus Eigeninteresse geförderte Sakralität des Königtums ist ein wesentlicher Aspekt, in dem westfränkische/französische Herrscher mit den römischen Königen/Kaisern sehr früh schon konkurrieren. Mit Philipp II. erweisen sie dann ihre militärische Überlegenheit und mit Ludwig IX. versuchen sie, während das römische Kaisertum traditioneller Art untergeht, auch mit einer Palastkapelle mit der in Aachen wenigstens gleichzuziehen und mit einem Bau à la mode und Spitzenreliquien sogar zu übertreffen.

 

Anfang des 14. Jahrhunderts beginnt sich in dem Konflikt der Krone mit Bonifaz VIII. Gallikanismus durchzusetzen, also die Entwicklung einer von der Krone kontrollierten Nationalkirche.

 

Im Konflikt mit der englischen Krone bildet sich immer stärker eine französische Nationalkirche aus, was in den Positionen von Jean Gerson (1363-1429), dem Kanzler der Universität gipfelt, dass Frankreich eine Art auserwähltes Volk Gottes sei, und dass die göttlich verliehene Macht des Königs unbedingten Gehorsam verlangen könne.

Geistliche sind weiter ein enormer Teil der königlichen Verwaltung.

 

Die Päpste von Avignon sind allesamt Franzosen, die die päpstliche Zentralregierung erheblich perfektionieren.

Als sich das mit der Rückkehr Gregors XI. nach Rom 1378 ändert, sorgen französische Kardinäle unter dem Einfluss von Charles V. für das Große Schisma.

Englischer Hintergrund ist die Entfremdung von Urban V., der einer Heirat von Edwards III. viertem überlebenden Sohn mit Margarete von Flandern den Dispens verweigert. Danach, in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, wird in England der Einfluss des Papstes auf die Besetzung hoher kirchlicher Ämter massiv zurückgedrängt. In diesem Zusammenhang fördert die Krone zunächst John Wiclif.

 

Gegen 1400:

"Beide Päpste suchten sich in der Extravaganz ihrer Prachtentfaltung zu übertreffen, und sie brauchten mehr und mehr finanzielle Mittel, um diesen auf Prestige zielenden Aufwand aufrechterhalten zu können. Papst Bonifatius IX. beteiligte sich an Wuchergeschäften und verkaufte Benefizien der Kirche in skandalöser Offenheit an den Höchstbietenden. Reiche Fürsten oder Edelleute konnten bis zu zehn oder zwölf Benefizien auf einmal erwerben. Klemens VII. erpresste >freiwillige< Kredite und Hilfszahlungen und erhöhte die kirchlichen Steuern, bis selbst seine Bischöfe sich 1392 zu zahlen weigerten und ihren Protest an die Türen des päpstlichen Palastes in Avignon nagelten." (Tuchman, S.434)

 

1395 kommt es zu einer Art erstem nationalem Konzil Frankreichs. 1398 wird Druck auf den Papst ausgeübt, indem nun alle kirchlichen Abgaben der Krone zufallen und nicht mehr wie bisher den Päpsten.

 

****

 

1342 klagt der Erzbischof von Canterbury,

"dass sich die Geistlichkeit wie Laien kleidete mit rot und grün karierten Mänteln, >eng anliegend<, und mit besonders weiten Ärmeln, die Pelz- und Seidenbesätze aufwiesen, mit Hüten und Stolas von >erstaunlicher Länge<, mit spitzen und geflochtenen Schuhen und juwelenbesetzten Gürteln mit goldenen Taschen. Schlimmer noch, sie missachteten die Tonsur, trugen Bärte und entgegen den kanonischen Regeln lange Haare >zum tiefen Entsetzen des Volkes<. Einige hielten sich Narren Hunde und Falken, einige reisten mit Ehrengarde im Land umher." (Tuchman, S.42) Ähnliche Kritik taucht in den nächsten Jahrzehnten immer wieder auf.

 

 

In der weltlichen Literatur des 14. Jahrhunderts  (Decamerone, Piers Plowman, Fabliaux) treten Mönche wie Weltgeistliche als geldgierig, als Verführer der Frauen und von sexueller Notdurft besessen auf. Dem entspricht ein punktuell aufbrausender Antiklerikalismus von "einfachen Leuten".

 

 

Frömmigkeit

 

Das deutsche fromm ist ein germanisches Konzept, welches im Verlauf des deutschen Mittelalters einen massiven Bedeutungswandel von nützlich über tüchtig zu rechtschaffen und dann vor allem in der sogenannten Neuzeit zu spezifisch religiös rechtschaffen durchmacht. Die verschiedenen Bedeutungen bleiben aber derweil gelegentlich auch weiter nebeneinander bestehen.

Deutlich ist so, dass der Frömmigkeit im religiösen Sinne von Haus aus der Aspekt der Innerlichkeit fehlt, der noch durch Gefühlsintensität aufgeladen werden kann wie bei den Mystikern. Für die meisten mittelalterlichen Menschen bedeutet religiöse Frömmigkeit dabei dreierlei: zum einen pflichtschuldigst das zu glauben, was einem von der Kirche zu glauben vorgeschrieben wird oder zumindest so zu tun als ob, und zum anderen an Pflichtveranstaltungen der Kirche teilzunehmen, ganz gleich, was man im Stillen gerade glauben mag. Schließlich gehört für viele dazu, sich ab einem gewissen Alter Sorgen zu machen über das Maß der Folterqualen in Fegefeuer bzw. Hölle.

 

Ursprünglich ist im Judentum und Christentum der Fluch das Gegenteil des Segens, also ein ritueller Akt des Verurteilens und Verdammens. Das spätmittelalterliche und geradezu alltägliche (Ver)Fluchen anderer ist einerseits Ausdruck von Wut und andererseits Entlastung in der völligen Erniedrigung des Anderen, immer aber ist es mit seiner Erinnerung an den Ursprung im sakralen Charakter desselben eine Sünde und Untat. Ein Klassiker bis heute ist die Verwünschung: "Geh zum Teufel", im späten Mittelalter Das dich der tüfel hien fier. Gerne wird offenbar auch im Namen Gottes geflucht: Daß dich Gots marter schende. (Alle Beispiele aus: SchubertAlltag, S.324ff)

 

Ganz offensichtlich haben Fluchende wenig Christentum internalisiert und behandeln es im Fluchen extrem verächtlich. Das sehen auch die Stadtoberen so:

"1456 erlässt der Rat von Basel ein scharfes Mandat gegen alle, die >Got, sin heiligen und ir glider schmelich verschweren. (...) Schon 1328 muss der Rat von Speyer jedem fünf Schilling Buße androhen, >wer da swert bi Gotes astirne, hirne, sweiz ... gotes schedel, gotes ars oder lus<. (...) 1489 wird in Schaffhausen unter Androhung einer hohen Strafe verboten, >bi unsers herren hopt ... bi dem swaisse ... bi dem schaisse< zu fluchen. (...) Frauen fluchen >bei gottes blutendem Schwanz< oder bei seinen Hoden." Andere fluchen laut Geiler von Kaysersberg Bei der unbefleckten Fotze der Jungfrau Maria. (Alles in: SchubertAlltag, S.327f) 

 

Kaum eine Stadt, die nicht unentwegt und strafbewehrt gegen das allgegenwärtige Fluchen angeht. Darauf wird "Gott" durch "Bock" ersetzt, woraus im Genitiv botz wird, wie in botz sacrament, potz blitz, in potz tausend und noch später in der Neuzeit potz sapperment.

 

Das kurze Mittelalter ist im Unterschied zur sogenannten Neuzeit weder prüde noch pornographisch, was man hier aber erkennen kann, ist, dass es wohl gang und gebe ist, im (alltäglich unterdrückten) tiefsten Inneren christliche Inhalte zu missachten, so wie man heutzutage in seinen Flüchen die menschliche Sexualität massivst diffamiert, ein Resultat der sogenannten "sexuellen Befreiung" im Kapitalinteresse.

 

Das Christentum des späten Mittelalters lässt sich unter dem Einfluss des weiter aufblühenden Kapitalismus noch weniger als früher auf einen Nenner bringen, und es wird mehr noch als zuvor von tiefen Widersprüchen geprägt, die immer offensichtlicher werden. Prälaten-Kirche wie Großkapital sind schwerreich und schwimmen im Geld. Bei beiden kommt zur Besitzgier die Machtgier, bei beiden auf der Grundlage körperlicher Arbeit der minderberechtigen Produzenten, der großen Mehrheit der Menschen.

Dabei operiert Religion immer offensiver und intensiver mit der Angst der Menschen vor dem, was nach dem Tod geschehen soll: Das Strafgericht eines rejudaisierten und unbarmherzig-grausamen Gottes. Im 14. Jahrhundert werden die Vorstellungen der Apokalypse des Johannes (weiterhin als Endzeitvision gelesen) immer stärker popularisiert. Zwischen 1373 und 1380 wird im Auftrag des Herzogs Louis I. von Anjou die nach ihrem Ausstellungsort Angers benannte Apokalypse gewirkt.

Ein Engel nach dem anderen bläst seine Posaune, wie es meist heißt, und das jeweilige Unheil nimmt seinen Lauf. Hier ist es ein Schiffbruch. Die Wandteppich-Serie ist enorm kostspielig und die Bilder müssen nicht rundherum als Ausdruck der Frömmigkeit des Auftraggebers gesehen werden, sondern können auch als kirchenkonformer Ausdruck seiner Macht und seines Reichtums betrachtet werden. Sie lassen sich aber auch lesen als Darstellung der Verheerungen, welche die englischen chevauchées in Frankreich und die Pest anrichten. (Green, S.98)

Frömmigkeit zerfällt immer stärker in ihre manchmal prächtige Außendarstellung und in Formen persönlicher Innerlichkeit.

In hochadeligen Kreisen beginnt die Blütezeit reich illustrierter Stundenbücher, Gebetbücher als ästhetisierte Luxus-Frömmigkeit: Da sind die herausragenden des Herzogs Jean de Berry, der von 1340 bis 1416 lebte, und die 'Très riches heures' der Brüder Limburg, die 1411-16 geschaffen werden.

 

Der Duc de Berry, schwerreicher Hochadel, der so wenig wie die meisten seiner Zeitgenossen irgendwelchen Geboten Jesu folgt, lässt sich in seinem frommen Buch selbst darstellen, wenn auch ziemlich kleinformatig, aber dafür in voller Pracht. Das bunte Buch ist natürlich nicht nur für fromme Andacht gemeint, sondern auch zum Vorzeigen, aber anders als die Teppiche von Angers eher für einen kleineren Kreis. Zudem ist es auch ein vorzügliches Bilderbuch weit weg von jedem frommen Thema, und hat darum auch erheblichen Unterhaltungswert.

 

Christentum, Macht und Geld gehören schon lange so zusammen wie Christentum und kriegerische Gewalt. Der harte Richtergott bleibt für die edlen Herrenmenschen immer auch ein Kriegsgott, zu dem man betet, um Glück in der Schlacht oder beim Überfall zu haben, und bei dem man sich bedankt, wenn die Gewalttaten zum Erfolg geführt haben, ganz so, wie Kapitaleigner Gott auf ihrer Seite sehen, wenn sie Profite einstreichen. Bei solchen Vorgängen sind allerdings fast alle Menschen nur Zuschauer. 

Wenn in der immer wieder neu rezipierten Paradiesgeschichte Engel jene Gewalt ausüben, die Menschen das Paradies verwehrt, dann sind seit langem schon die Erzengel Krieger und seit Erscheinen der Ritterlichkeit sind Engel selbst auch wie selbstverständlich Ritter. Der Kaiser Karl IV. beschreibt um 1350 in seiner "Autobiographie" einen Traum, den er 1333 gehabt haben will. Darin heißt es: Und siehe, ein anderer Engel kam vom Himmel herab mit einem feurigen Schwert in der Hand. Damit durchbohrte er einen Menschen, der sich inmitten des Heeres befand, und schlug ihm das Geschlechtsteil ab. (...) 'Wisse, dies ist der Dauphin de Vienne, der wegen der Sünde der Ausschweifung so von Gott durchbohrt wurde. Nun also nehmt euch in Acht! (in: Monnet, S.11)

Dass ein Kaiser damals von Schlachten träumt und von Engeln mit Schwertern ist wohl nicht einmal abwegig. Und sollte der Traum erfunden sein, so gibt er doch wieder, was man sich unter himmlischen Heerscharen und ihre Aufgaben so vorstellt. Es wird noch etwas dauern, bis Engel als liebliche singende und musizierende Chöre in der italienischen Malerei eines blühenden Kapitalismus auftauchen, um dann am Ende zu Bambinos und niedlichen Putten zu werden und sich so immer mehr verflüchtigen.

 

 

Träger praktizierter Frömmigkeit in der Handwerkerschaft sind Bruderschaften, die sich auf einzelne Handwerke spezialisieren und über die Assoziation mit einer Kirche und möglichst einem eigenen Altar einen religiösen Kern haben, aber tatsächlich im wesentlichen wirtschaftliche Vereinigungen sind.

 

Der Gewalttäter, Krieger, passionierte Sportjäger, Tennisspieler und sich im von seinen Untertanen erarbeiteten Luxus suhlende Groß-Potentat Philipp von Burgund betrachtete sich offenbar als Christ. Nach der seiner erheblichen Machterweiterung dienenden Heirat mit Margarete von Flandern schenkt er der Marienstatue im Dom von Tournai einen Mantel aus Goldstoff, "dem in glänzenden Farben sein Wappen und das seiner Frau aufgestickt waren." (Tuchman, S.226)

 

Nichts hat mehr mit der evangelischen Botschaft eines Jesus zu tun. Der wiederum wird immer mehr auf seine Rolle in der Passion, seinem finalen Leidensweg reduziert, wodurch die für die Kirche erheblichen Peinlichkeiten seiner eigentlichen "Lehre" stärker an den Rand gedrängt werden. Für die Öffentlichkeit wird dieser Passionsweg vom Haus des Pilatus bis Golgatha nachgespielt. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts entstehen die ersten Kreuzwege, deren Stationen nun bebildert werden.

Dazu kommt ein immer stärkerer Marienkult, der ihre Verehrung einmal auf ihre legendenumwobene Rolle als Mutter des kleinen Jesuskindes und zum anderen als den Tod des Gottessohnes beweinende Mutter konzentriert. Der grausame, Angst machende und Sünden rächende Gott auf der einen Seite und sein im Leiden vermenschlichter Sohn samt Gottesmutter treten so ohne gedankliche Vermittlung nebeneinander.

 

Schon in der Spätantike lebt in der Praxis der Volksfrömmigkeit der unjüdische antike Polytheismus de facto erst in der heiligen Dreifaltigkeit und dann in der Heiligenverehrung wieder auf. Da sind die Patronatsheiligen von Kirchen und Handwerker-Vereinigungen, aber es ist jedem unbenommen, seine Verehrung auf Heilige seiner Wahl auszurichten und sich jemanden auszusuchen, dessen behaupteten oder "echten" Reliquien magische Heilkraft aller Arten zugesprochen wird. Inzwischen ist solche Verehrung auch für die angebliche Gottesmutter und andere Marien üblich, sogar der Heilige Geist, Quelle klerikaler Inspiration, eine schwer fassbare Größe, übernimmt das Patronat von Spitälern und Kirchen.

 

Die Verehrung von ganz menschlichen und zugleich wundersamen Wesen verhilft manchen zur gefühlsmäßigen Aufladung von Religion, die als Verinnerlichung das Gegenteil der daneben existierenden Merkantilisierung ist, und die in der gotischen Kunst der bürgerlichen Welt zunehmend Einzug hält. Indem man so dem grausam strafenden Gott bewusstseinsmäßig etwas entkommt, kann Frömmigkeit etwas persönlicheres, gar individuelles werden, wo heraus ein neuartiges Gewissen entstehen kann, eine innere Gerichtsstätte im Kopf, die zugleich an Gefühle rückgekoppelt wird.

 

Nicht Gott, sondern jene Heiligen, die in seiner Nähe "oben", in irgendeiner Art von "Himmel" in seiner Nähe residieren, dabei als lebendige Menschen vorgestellt, werden nun immer detaillierter für alle möglichen Gebrechen und Probleme zuständig. Der heilige Rochus hilft gegen die Pest, die heilige Appolonia gegen Zahnschmerzen usw. Besonders hilfreich sind die vierzehn Nothelfer und ganz besonders der eigene Schutzengel. Da Glauben, wie es heißt, Berge versetzen kann, wird jede Heilung auf den Heiligen zurückgeführt, und wenn der oder die nicht hilft, wird das eher schamhaft verschwiegen und möglichst vergessen.

 

Mit der Zunahme eines immer skurrileren Heiligenkultes nimmt auch der Reliquienkult seinen Fortgang, und die römische Kirche wird ihn bis ins 20. Jahrhundert weiter fördern. 

"Als der Leichnam der heiligen Elisabeth von Thüringen noch nicht bestattet war, schnitt oder riss eine Schar Frommer nicht nur Stücke von den Tüchern ab, mit denen ihr Antlitz umwickelt war; man schnitt ihr die Haare und Nägel ab, ja sogar Stücke von den Ohren und die Brustwarzen. (...) Die Mönche von Fossanova, wo Thomas von Aquino im Jahre 1274 gestorben war, haben aus Angst, die kostbare Reliquie könnte ihnen entgehen, die Leiche des edlen Meisters buchstäblich eingemacht: vom Kopf befreit, gekocht, präpariert." (Huizinga, S.232f)

 

Die einen haben Macht und vor allem Geld, um Reliquien zu kaufen und zu sammeln; bekannt ist die Sammelwut von Ludwig ("dem Heiligen") und später die noch exzessivere von Kaiser Karl IV. In seiner Trauerrede auf ihn sagt der Erzbischof von Prag lobend: Wo immer er heilige Dinge und Reliquien fand, kaufte er sie und ließ sie mit glänzendem Gold einfassen und mit Edelsteinen besetzen, und er liebte sie von ganzem Herzen wie ein zweiter Konstantin. (in: Monnet, S.201) Was nicht im Veitsdom landet, wird in der dafür renovierten Burg Karlstein ausgestellt.

Die Suche nach einem Verständnis für so viel Sammelleidenschaft fällt schwer. Zunächst einmal ist in den Reliquien selbst magische Macht versammelt, die mit der religiös legitimierten Macht der Herrscher korrespondiert und sie sicher repräsentieren soll. Zum anderen ist eine Reliquiensammlung, wie sie auch in den Kirchengebäuden der Mächtigen auftaucht, eine Art Schatzkammer, was sich darin darstellt, dass sie sehr kostbar eingefasst werden. Vielleicht auch symbolisieren diese magisch aufgeladenen Schätze einen Gegenpol gegen die alles durchdringenden Bewegungen des Kapitals und seinen so anders gearteten, religiös eher fragwürdigen Vermehrungsdrang.

 

Die anderen frönen einem Wunderglauben, der seine magischen Wurzeln in vorchristlichen Zeiten hat. Zu solchem Wunderglauben gehören die bis ins 16. Jahrhundert überall anhaltenden Wallfahrten mit dem Ziel entsprechender Wunderheilungen. Als der alte Kaiser Karl IV. 1378 nach Paris reist, wallfahrt er auch zur Abtei Saint-Maur-des Fossés, um Heilung von seiner Gicht zu erhalten. Das Kloster hatte im 9. Jahrhundert Reliquien des hl. Maurus erhalten und das Glück, dass bei ihnen im 12. Jahrhundert ein Wunder geschah, welches eine Wallfahrt auslöste, die auch den Kaiser in seinen Bann zog.

Zu solchem Wunderglauben, der bis zu den Esoterikern des 21. Jahrhunderts lebendig bleiben wird und ein florierender Geschäftszweig bleibt, fühlen sich aber die "kleinen" Leute genauso wie die Herrscher hingezogen.

 

 

Individualisierung von Religion kann Frömmigkeit aus dem Rahmen von Kirche und bürgerlicher Ehrbarkeit herausführen, was sicher selten bleibt, aber vor allem kann sie zur Distanz von der Kirche in Gestalt ihrer Geistlichkeit führen, die sich als Kritik an ihrer Geldgier und ihrem Lotterleben äußert, ein am Übergang zur sogenannten Neuzeit immer häufigeres Phänomen, welches in die Wellen von "Reformationen" führt, als deren erste die der böhmischen Hussiten gelten kann.

 

Im 12./13. Jahrhundert bilden sich Gruppen von Frauen, die später Beginen genannt werden, und die freiwillige Armut mit Arbeiten wie Nähen, Spinnen und Weben und mit karitativen Werken wie Krankenpflege und Sterbebegleitung verbinden. Seit 1238 gibt es in Erfurt Beginen, von denen Nikolaus von Bibra schreibt: Sunt ibi Begine quarum numerus sine fine (...) Sic nocte dieque laborant. (Occultus Erfordiensis in: Mägdefrau, S.19) In Freiburg/Breisgau gibt es so im 14. Jahrhundert acht Beginenhäuser.

Nach und nach erregen sie Misstrauen in Kreisen der Kirche, die sie nicht hinreichend kontrollieren kann, ähnlich wie Teile der Franziskaner. (siehe Kap. Heilige Armut)

Das 14. Jahrhundert kennt zunehmend und dann auch das 15. gestiftete Laienbruderschaften wie das Freiburger Haus der Willigen Armen oder jene dortige Marianische Bruderschaft zur Förderung des Münsterbaus.

 

Zu den in mancherlei Hinsicht herausragenden Frauen des 14. Jahrhunderts gehört Katharina Benincasa ("von Siena" 1347-80). Sie kommt aus einer Seneser Handwerkerfamilie und weigert sich mit zwölf Jahren, sich verheiraten zu lassen, was sie symbolisch dadurch ausdrückt, dass sie sich die Haare kurz schneidet. Laut späterer Legendenbildung soll sie schon früh "Visionen" gehabt haben. Sie zieht in eine "Zelle" in ihrem Elternhaus und übt fromme Askese wie eine Dominikanerin. In mystischer Verzückung soll sie eine Vision gehabt haben, in der ihr Jesus seine abgenommene Vorhaut als Verlobungsring über den Finger streift. Sie fühlt sich ganz handfest als Braut Jesu.

Neben karitativen Werken beginnt sie irgendwann öffentlich zu predigen, was ihr immer mehr Anhängerinnen zuführt. Ein Dominikaner begleitet sie nun als Beichtvater und Berater. Ihre Anhängerinnen versammelt sie in einem Kloster.

 

1374 wird sie vor das dominikanische Generalkapitel geladen und erhält statt Bestrafung die offizielle Predigterlaubnis. Im folgenden Jahr soll sie die Stigmata erhalten haben, die aber nur für sie sichtbar sind (!). Noch ein Jahr später reist sie zum Papst Gregor XI. nach Avignon, um in zur (kurzzeitigen) Rückkehr nach Rom zu überreden. Nach Beginn des Schismas siedelt sie zu Papst Urban VI. nach Rom, wo sie ihn unterstützt und zudem für einen Kreuzzug wirbt.

 

Einen ganz anderen Charakter als die auf wenig intellekuell angereicherte mystische Momente der Verzückung beschränkte Haltung Katharinas haben die philosophischer orientierten Mystiker. Mystik meint das Ausschalten der Sinne zugunsten einer anderen, geheimnisvollen Einsicht, durch.Contemplatio zu erreichen. Einen ersten Höhepunkt erreicht sie mit dem Anti-Intellektualismus von Bernhard von Clairvaux. In dieser mehr affektiven Tradition wird das Spüren Gottes auch erotisch aufgeladen

Höchstes Ziel aller Mystiker ist die unio mystica, die mystische Liebes-Vereinigung mit Gott, ein Spüren Gottes. Als frühen Vertreter wird manchmal der hochgebildete thüringische Dominikaner Meister Eckhart angesehen, der einen göttlich geschaffenen Seelengrund im Menschen behauptet, über den der direkte Kontakt mit Gott möglich sein soll, was die Kirche irritieren muss. Der Seelengrund als Teil der Seele ist von aller (sinnlichen) Außenwahrnehmung losgelöst und in ihn einzutreten heißt, einen absoluten Ruhezustand zu erreichen.

Die Hinwendung zu Gott nennt er Gottesgeburt in der Seele. Gemeint ist, dass die Seele die Göttlichkeit ihrer eigenen Natur wahrnimmt und so Gott in sich selbst findet. Sie wird nicht etwas, was sie vorher nicht war, sondern erkennt das, was sie überzeitlich ist.

 

1325 wird er von Ordensbrüdern der Häresie angeklagt. Der Erzbischof von Köln leitet ein Inquisitionsverfahren ein. Da das Verfahren sich hinzieht, reist Eckhart 1327 nach Avignon zum Papst. Dort werden 26 Aussagen noch mehr oder weniger beanstandet. Vermutlich stirbt Eckhart in Avignon, wo der Papst nachträglich und wohl lügnerisch behauptet, der Mystiker habe seine häretischen Behauptungen widerrufen.

 

Bis 1361 lebt derDominikaner Johannes Tauler, der ein Nebeneinander von mystischer Erfahrung und tätigem Alltagsleben betont, aber nur über seine Predigten überliefert ist und eng mit Beginen zusammenarbeitet. Ebenfalls Dominikaner und wie Tauler mit Eckhart bekannt ist Heinrich Seuse.

 

 

Auf der  Tradition eines Meister Eckhart und anderer deutscher Mystiker baut die devotio moderna auf, die mit den Namen von Gert Groote aus Deventer und Thomas von Kempen, wohl Autor der sogenannten 'Imitatio Christi' von 1418, verbunden ist.

 

Das ganze Mittelalter des 11. bis 16. Jahrhunderts lässt sich als Zeitalter immer neuer Reformationen betrachten, von denen ein Teil innerhalb von Kirche und Kloster oder in sie hineinführend sind und ein weiterer Teil von der Papstkirche unterdrückt und brutal vernichtet wird. Der Begründer der devotio moderna, Gert Groote, entgeht möglicherweise mit seinem natürlichen Tod gerade so kirchlicher Verfolgung.

Er wird in Deventer als Kind wohlhabender Kaufleute geboren, studiert in Paris und Aachen Medizin, Astronomie, Theologie und Kirchenrecht, wird dann Mitglied im Domkapitel zu Utrecht  und wird dann unter dem Einfluss seines Freundes Heinrich von Kalkar frommer Christ. Er verzichtet auf den größten Teil seines väterlichen Erbes, zieht sich zurück, geht dann in ein Karthäuserkloster bei Arnheim und studiert die Bibel und die Kirchenväter. Er stiftet vom Rest seines Erbes ein Haus für eine weibliche Laiengemeinschaft, die in Gehorsam, Armut und Keuschheit leben möchte und wird selbst Wanderprediger. Die Forderung nach Reform von Kirche und Geistlichkeit bringt ihm 1383 ein Predigtverbot ein.

 

Er predigt eine meditative Verinnerlichung des Lebens und Leidens Christi durch Evangelienlektüre und eine imitatio Christi in frommen Gemeinschaften, den 'Brüdern und Schwestern vom gemeinsamen Leben', die sich durch handwerkliche Tätigkeiten ernähren und in Gebet und Meditation vertiefen sollen. Sie entstehen zunächst in den Niederlanden und breiten sich dann weiter über das Rheinland bis hin zur Windesheimer Kongregation aus.  Es gibt keine allgemeine Regel, kein Gelübte und keine einheitliche Kleidung sowie auch keinen Vorsteher als Abtersatz.

 

In der Beschreibung eines Bruders Gerhard aus dem Lichtenhof in Hildesheim heißt es, um diesen zu charakterisieren:

Er liebte die Einfachheit so wie er gleichermaßen Überfluss und Neugier scharf ablehnte. Er richtete seinen Eifer darauf, Menschen zu bekehren und zur Ehre Gottes Häuser und Gemeinschaften von Klerikern oder Jungfrauen einzurichten oder Klöster zu reformieren. (Annalen und Akten der Brüder des gemeinsamen Lebens, in: Gleba, S.212)

 

Mit der 'Nachfolge Christi' schreibt der Augustiner-MönchThomas von Kempen um 1418 ein weit über die devotio moderna hinausgehendes Werk. Er hält die sinnlich wahrnehmbare Welt für frühe Christen für eine schiere Ablenkung auf dem Weg zur Erlösung. Der Mensch wird mit einer Neigung zum Bösen geboren, und muss diese mit einem Leben in der Nachfolge Christi abwehren. Anders als die großen Reformatoren zielt er wie die Devotio-Bewegung nicht auf eine Reform der Kirche, sondern der einzelnen Christenmenschen ab. Wer Besitz- und Machtgier und Gewalttätigkeit in den Menschen ablehnt, hat natürlicherweise wenig Einfluss, - die kritische Auseinandersetzung mit dem Unheilspotential der Menschen wird bis heute immer nur wenige erfassen.

 

Entsprechend hat auch der Weg von Jean Gerson in Paris zwar einen gewissen (bescheidenen) politischen Einfluss, und wohl auch Einfluss auf den konziliaren Gedanken, aber seine Aufrufe zu Triebkontrolle, Frömmigkeit und Bußeinkehr kommen auch nicht bei den Mächtigen und den unteradeligen Massen an.

 

 

Dass es zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert, also zwischen der Vernichtung der Katharer und der Verbrennung von Hus, relativ wenig Nachrichten über massive Kritik des Kirchenchristentums und über Häresien in deutschen Landen gibt, muss auch an der massiven Beaufsichtigung der Christen und der brutalen Verfolgung von Ketzern durch die Kirche gelegen haben. Grundsätzlich sind ja Häresien Ausdruck einer intensiven Frömmigkeit von einzelnen und Gruppen, und diese neigen unter der kirchlichen Bedrohung dazu, sich dieser Kirche wenigstens formell zu unterstellen. Aus Vernunft geborener Zweifel an kirchlichen Dogmen und magischen Praktiken wiederum äußert sich aus Klugheit nicht öffentlich.

 

Wenn Welt auch im Mittelalter ein die Wahrnehmung disparater Teile von Wirklichkeit in der Imagination zusammenführendes Konstrukt ist, dann zerbricht dieses am Ende des Mittelalters und wird während Reformationen und Gegenreformation in einem nunmehr ganz handfesten neuen weltlichen zusammengeführt, dem Staat, Macht-Institut zur Abschöpfung bürgerlichen Erwerbsstrebens, dessen Grundstruktur Kapitalismus ist. Kirche und "Christentum" haben sich dem zu unterwerfen und sterben dann in der Neuzeit langsam ab.

 

 

Kommerzialisierung des Christentums

 

Der auf Geschenke angewiesene Wanderprediger Jesus mit seiner apostolischen Entourage hatte laut Evangelien eine schlechte Erlösungsprognose für "die Reichen". Als aufgrund seiner ausbleibenden Wiederkunft die Kirche stattdessen entsteht, kommt es innerhalb weniger Jahrhunderte zu vor allem zwei historischen Kompromissen: Man darf im Auftrag der legitimen Macht töten und man darf sich durch Aufhäufung von Eigentum sehr irdisch schmücken. Beides ist aber zugleich mehr oder weniger Sünde, für deren Bewältigung dann die Kirche zuständig ist.

 

Das alles bleibt in den tausend Jahren zwischen Kaiser Konstantin und dem späten (kurzen) Mittelalter Teil jener immer wieder neu zu diskutierenden Widersprüche, die je nach Machtverhätnissen ständig neu aufgelöst werden müssen. Dabei arbeiten sich seit dem 10. Jahrhundert die kirchlichen Theoretiker besonders am Gewinn ab, der aus der Verwertung von Handels- und Finanzkapital resultieren soll. Das Stichwort bleibt der gerechte Preis und das Thema, dass Gewinn aus Handel und Finanzen diesen immer wieder - wie er auch gerade definiert werden mag - überschreitet.

Das unbarmherzige Gericht Gottes gilt als Selbstverständlichkeit, darf auch gar nicht in Zweifel gezogen werden. In schlechtem Latein: Memento mori (memento moriendum esse) und das heißt: Wehe, du stehst an der Himmelspforte und wirst abgewiesen.

 

Kirchliches Christentum definiert sich seit dem Reich der antiken Römer anhand der Machtstrukturen, in die es eingebettet ist. Das geschieht mit einer gewissen Verzögerung, um dann aber diesen Strukturen jene Rechtfertigung zu bieten, die in den letzten Jahrhunderten vor unserer Gegenwart dann politische Ideologien liefern.

 

Der Beitrag der mittelalterlichen Kaufleute und Finanziers dazu besteht in der Propagierung von Rechtschaffenheit und Ehrbarkeit in der Ausübung ihres Wirtschaftens, der durch kirchlich wohlwollend aufgenommene Leistungen ergänzt wird. Damit nähert sich der Kapitalist dem Adel an und übertrifft quantitativ bald dessen ärmeren Teil: Totenmemoria, Begräbnis in möglichst großer Nähe zu den Heiligen bzw. dem Altar, Grabmonumente etc. Mit dem christlichen Gott kann man eben schon lange handeln, nämlich durch Bußleistungen für unvermeidliche Sünden, zu denen auch Spenden aller Arten gerechnet werden.

Neben dem, was der Einzelne bzw. seine Familie da tun kann, treten die Kaufleute-Vereinigungen, die wie andere Bruderschaften (und wie auch Zünfte)  mit Kirchen und Klöstern liiert sind, zu einem bestimmten Tag im Jahr an frommem Ort zum gemeinsamen Totengedenken zusammen kommen und an einem anderen Termin ein gemeinsames Festmahl abhalten. Das ist dann auch die Gelegenheit, um sehr weltliche Geschäfte anzuknüpfen.

 

Die Adaptierung des Christentums an den Kapitalismus lässt sich über die erhebliche Zunahme ökonomischer Metaphern in den frommen Texten seit dem 13. Jahrhundert ablesen, die letztlich etwas damit zu tun haben, wie man sich in den Himmel einkaufen kann. Der Fromme handelt via Kirche mit Gott.

In den dreißiger Jahren des 13. Jahrhunderts schreibt der Franziskaner Julian von Speyer über Franz von Assisi:

Franziskus zog sich aus dem Tumult weltlicher Geschäfte zurück und wurde zu einem Kaufmann des Evangeliums. Er suchte sozusagen die guten Perlen, bis er die eine kostbare fand. (in: Ertl, S.205)

 

Wo es noch Kritik am aufblühenden frühen Kapitalismus gibt, konzentriert sie sich ganz aufs Geld und seine inzwischen unzweifelhafte Macht. Der Kleriker und später dann Mönch im Erfurter Peterkloster schreibt so mit nur noch geringem Unterton: rex summus sit in isto tempore nummus. (Ocultus) Oberster König ist in diesen Zeiten das Geldstück.

 

Um Christentum amerkantilem Denken aufgeschlossener zu machen, schiebt sich zwischen Himmel und Hölle zunehmend das nun immer anerkanntere Purgatorium, das Fegefeuer, ein Ort schmerzhafter, Foltern imitierender Vorgänge der Reinigung von den Sünden. Das aber gibt den Sündern neue Chancen, man kann nun wissentlich sündigen und zugleich einen chancenreicheren Weg ins Himmelreich durch erhebliche Geldzahlungen erreichen.  

Schon die Höllenstrafen waren völlig unevangelische Erfindungen der Kirche, Drohmittel, mit denen sie die Unterwerfung ihrer Herde erreichen will. Mit der Erfindung des Fegefeuers wird der richtende Gott dann nach und nach vom Endzeitgericht direkt in den Moment des Todes vorverlegt. Schickt er die Verstorbenen nun dorthin, durchleben sie eine Zeit furchtbarer Qualen, die sie von den Sünden reinigen und so auf das Himmelreich vorbereiten.

 

Der Sündenablass, eigentlich Erlass der kirchlichen Sündenstrafen, später auch der Strafen im Fegefeuer, wurde ursprünglich für die Kreuzfahrer erlassen. Daneben wird er auch dann vergeben, wenn jemand zum Beispiel eine Pilgerfahrt unter nimmt. Im späten (kurzen) Mittelalter wird er zu einer erheblichen und allgegenwärtigen kirchlichen Einnahme, da er auch von den weniger Reichen gekauft werden kann. Der vollständige Ablass wird in Rom in den Jubeljahren seit dem ersten 1300 an die Pilger verkauft, und als Einnahmequelle werden solche Jubiläen in immer kürzeren Abständen veranstaltet.

 

"Im 14. Jahrhundert erlebten die Ablässe eine inflationäre Entwicklung. Das sieben Jahre Knierutschen auf den angeblich 28 Stufen vor der Peterskirche in Rom erbrachte pro Stufe sieben Jahre, insgesamt also immerhin 196 Jahre Verminderung der Bußzeit im Fegefeuer. Im 15. Jahrhundert erhielten Pilger, die auf den 28 Stufen der römischen Lateransbasilika hinaufkletterten, jeweils 1000 Jahre pro Stufe, mithin 28.000 Jahre. (...) Um den Pilgern die Orientierung zu erleichtern und den Besuch der eigenen Kirche zu fördern, verfassten Kirchenvertreter neben den allgemeinen Pilgerführern Ablassverzeichnisse der römischen Kirchen (Indulgentiae ecclesiarum urbis Romae) - vor allem seit dem ersten römischen Jubeljahr 1300." (Ertl, S.205)

 

Wer nicht reisen kann, kann sich immerhin dafür Ablässe für hundert Tage Sündenstrafen in der Heimat erkaufen. In deutschen Landen verlangen inzwischen die Fürsten ihren Anteil von ein bis zwei Dritteln daran, womit sie ihre weltlichen Haushalte erheblich auffüllen.

 

Die beiden Versionen, die Entscheidung über Himmel und Hölle am Tage des Jüngsten Gerichts und die Entscheidung über Länge und Schwere des Purgatoriums als qualvoller (möglicher) Weg ins Himmelreich stehen nun nebeneinander, eigentlich in ziemlicher Unklarheit, aber viele Menschen setzen ihre Hoffnung in das Fegefeuer und dessen Verkürzung durch eigene Leistungen, die das Sündigen kompensieren. Und da wird der Ablass je nach Geldbeutel zu einem Mittel erster Wahl.

1502 predigt der Dominikaner Johannes Leo in Köln, der Ablass "sei nichts anderes als eine verscheldunge der tzytlicher pynen des vegefuyrs ind neit der hellen, also eine Zeit der Verkürzung der Zeit im Fegefeuer, nicht aber der Zeit in der Hölle. Nun höre, mein Kind, fuhr er fort, nimm dir zu Herzen und verstehe, was Ablass ist: Bist du im Leben und bis an den Tod würdig, den Ablass zu verdienen, so gibt Gott dem Papst und dieser wiederum deinem Beichtvater die Macht, dass er dich von aller Peinigung des Fegefeuers frei machen kann, als ob du nie gesündigt hättest. Das seien die Sterbesakramente. Die wenigsten aber könnten bis zu ihrer Sterbestunde einen reinen Tisch machen. Auf sie warte das Fegefeuer, denn: Got wylt betzahlt syn vur der schoult. (...) Büßte der Sünder nicht mehr selbst, so konnte die Kirche aus dem von ihr verwalteten Gnadenschatz, den Christus und die Heiligen, insbesondere die Märtyrer, reichlich mit Einlagen gefüllt hatten, die Schuld für ihn begleichen. Wenn jemand dreißig Gulden schuldig ist, erklärt Leo, dann muss er das entweder selbst bezahlen oder es muss durch jemand anderen bezahlt werden. Und genau so hat der Papst die freie Macht, aus dem Schatz der heiligen Kirche zu geben. (Kümper, S.236f)

 

Neben den nun alltäglich werdenden Bußpredigen, die Angst machen sollen, dient die sich immer mehr durchsetzende Ohrenbeichte vor dem Geistlichen, die um 1200 als neues Sakrament aufgewertet wird, der Einübung einer Werkgerechtigkeit als Weg ins Himmelreich. Da wird ein langer Katalog von Sünden abgearbeitet, die dabei ins Gedächtnis rücken, und das wird dann verbunden mit spezifisch geistlichen Leistungen, mit denen man seine Bußfertigkeit in die Praxis umsetzen kann. Gebete aufsagen, fasten, auf Pilgerschaft gehen usw.

 

Das do ut des des frühen Mittelalters, ich gebe dies und das, und dafür gewährt mir Gott (vielleicht) jenes, z.B. den Sieg in der Schlacht oder ein Kind oder eine Heilung von Krankheit, wird detaillierter und kalkulierter, immer geschäftsmäßiger. Dabei sind natürlich die Reichen und Mächtigen im Vorteil, denn sie können sich mit immer mehr Geld ins Himmelreich einkaufen. Firmen wie die Hochstaetter, die Fugger und Welser unterhalten ein "Sonderkonto für den lieben Herrgott" und finanzieren ein den Weg zu Gott nach dem Tode abkürzendes Stiftungswesen wie schon früher der Adel. Man stiftet für rund 100 Gulden ewige Lichter in den Kirchen und gar für rund 500 Gulden eine tägliche Messe. Handwerkern gelingt mit vergleichsweise kleineren Summen ähnliches, zumindest wenn sie in kultisch orientierte Bruderschaften eintreten.

 

Was immer der Einzelne gerade glaubt oder ihm gerade gepredigt wird, im 13. Jahrhundert ist Kapitaleinsatz mit Gewinnerwartung so wichtig für die Aufrechterhaltung der Machtstrukturen geworden, dass von Albertus Magnus über Thomas von Aquin bis Bonaventura nicht mehr der ehrlich erworbene Gewinn des Händlers sündhaft ist, sondern die Übervorteilung des Anderen. Schließlich vertritt Thomas die Ansicht, "dass der Preis einer Ware durch freien Wettbewerb zustande komme und daher den Ausdruck des freien Willens beider Parteien darstelle. Die Grenze der freien Preisfindung sahen sie in der Regel dort, wo der bezahlte Preis um nicht mehr als die Hälfte vom gerechten Preis (pretium iustum) abweicht." (Ertl, S.160)

Im frühen 13. Jahrhundert schreibt der Bischof und Diplomat in einem Beichthandbuch:

In vielen Ländern würde große Not herrschen, wenn die Kaufleute nicht den Überfluss aus einer Gegend in eine andere Gegend brächten, wo Mangel herrscht. Zurecht erhalten sie den Preis ihrer Arbeit. (in: Ertl, S.197)

 

Die Grenzziehung bleibt aber theoretisierenden Theologen überlassen, während Kaufleute und Finanziers wissen, dass es auf dem Markt keine geben kann. Ist man sich im Einzelfall bösartiger Übervorteilung, also des Betruges bewusst, gibt man manchmal davon im Testament zurück, um vor dem Moment des Todes nicht allzu sehr zurück zu schrecken. Ansonsten empfehlen Kirchenleute, das allgemein den Armen zu geben, was eben auch die Kirche einschließt, die Armenfürsorge bis ins 15. Jahrhundert, wo städtisches Regiment sie ablösen, als ihre wichtige Aufgabe ansieht.

 

 

Großbürgerliche Frömmigkeit: Stiftungen

 

In den Städten unserer Zeit sind Reichtum, Macht und Religion einerseits ganz selbstverständlich, also unreflektiert ineinander verschränkt, und zwar als zeitgemäße Ehrbarkeit, Befolgung von Zeremonien und Ritualen und als Einhalten von Vorschriften der Obrigkeit. Andererseits wissen die Leute darum oder ahnen wenigstens, dass es sich dabei um ein sehr verdünntes Christentum handelt, insbesondere beim Sündigen unterhalb dieser Oberfläche.

In den Testamenten von Kapitaleignern tauchen so Wiedergutmachungslegate auf, für Wucher zum Beispiel, also Profitgier. Aber auch mit "guten Werken" zu Lebzeiten kann man etwas für das Heil der Seele (nach dem Tode) tun. Dies sei etwas anhand Nürnbergs zur Zeit seiner ersten kapitalistischen Blüte beschrieben.

 

1339 stiftet der Großkaufmann und kaiserliche Finanzier Konrad (I.) Groß,  in der Nähe seines Wohnhauses ein Heilig-Geist-Spital. Es umfasst "eine Kapelle mit sechs Altären, einen Friedhof und eine Reihe von Häusern (..), in denen 128 Siechen und 72 Pfründner Obdach und Heimat gegeben" wird. "Dazu stelle er die finanzielle Ausstattung für Pfründen von sechs Priestern und zwölf Klerikern zum täglichen Lesen der Messe und für die siebenfachen Stundengebete für sich, seine Verwandten, andere Wohltäter und die auf dem Spitalkirchof Beerdigten. Außerdem legte er noch fest, dass ein Schulmeister und zwölf arme Scholaren, welche Speis und Trank sowie Rock und Stiefel erhielten, in einem Haus zusammenleben sollten." (Fleischmann, S.55f)

Das Ganze wird dann der Schirmherrschaft der Stadt unterstellt und am Ende erhält der Stifter in der dreischiffigen Heiliggeistkirche ein hocharistokratisch anmutendes Hochgrab.

 

Groß begründet seine große Stiftung mit Nächstenliebe gegenüber den Schwachen und Armen. Auch das ist Kompartmentalisierung: Streben nach Besitz und Gewinn auf der einen Seite, Abgabe eines Teils des erwirtschafteten Überflusses auf der anderen Seite. Mit den Bauten, dem Personal und seinem auffallenden Grab findet aber auch eine besondere Sichtbarmachung seines enormen Reichtums statt. Ob die jesuanische Botschaft, dass eher der Arme als der Reiche ins Himmelreich käme, von Bedeutung ist, bleibt zweifelhaft. Darüber wird nicht so viel gepredigt.

 

1352/53 stiftet der Großkaufmann und Ratsherr Bertold Haller vor der Stadt das Pilgerspital bei Heilig-Kreuz: Haller, heißt es in der Stiftungsurkunde, ein herwerg und ein haus gebauwen het den ellenden pilgerinen, die dar komen durch, sin vordern, sin selbs und siner nachkomen, sel heil willn. (in: Fleischmann, S.66) Ein anderer stiftet ein ein Pesthaus vor der Stadt.

 

Noch frömmer wirkt die Stiftung eines Karthäuserklosters 1380 durch den reichen Kaufmann Marquard Mendel. Dazu gehören eine einschiffige, vierzig Meter lange Kirche, zwei Kreuzgänge, ein Refektorium und die Mönchsklausen. Das ganze Areal umfasst rund 100 mal 120 Meter. (Fleischmann, S.58)

Sein Bruder Konrad Mendel stiftet 1388 das sogenannte Zwölfbrüderhaus. Es ist eine Art Altersheim für zwölf alte Handwerker. Ein Enkel des Stifters wird die Anlage eines Hausbuches anregen, welches als Bilderhandschrift die betreffenden Handwerker bei der Ausübung ihres Handwerkes darstellt.

 

Dem Trierer Metzger Nikolaus gelingt es, über ein Darlehen an den Trierer Erzbischof in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts bis zum Schöffenmeister und zu erheblichem Reichtum aufzusteigen. Seine Witwe Adelheid, vielleicht um die Herkunft des Vermögens besorgt, wird in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts "zu einer der größten Stifterinnen in der Geschichte der Stadt" (Burgart in: Anton/Haverkamp, S.386). Sie finanzierte alleine den Bau des Turmes der Marktkirche (St.Gangolf) und lässt u.a. die zwölf Säulen der Liebfrauenkirche mit frommen Fresken bemalen.

 

Auf einer anderen Ebene agiert die wohlhabende Freiburger Metzgerswitwe Elsbeth Schalun kurz nach 1400. Sie verfügt in einer Stiftung, dass jährlich 40 Gulden Rente den betlern und durfftigen ze Friburg für Kleidung und Schuhe ausgeteilt werden, dazu jährlich zehn Gulden umb korn.

Hier verbindet sich aber frommes Almosengeben bereits mit ganz handfest pragmatischem Interesse an der Verhinderung von Destabilisierungstendenzen in den Städten durch steigende Armut. Dazu gehört nun auch, dass nur solche heimische Arme, die keine Berufsbettler sind, sondern wirkliche Bedürftige, versorgt werden. Dafür sollen in der Stiftung genannte Verwandte und Bekannte sorgen. Die nämlich hatten ihr uff ir sel und uff ir ere gelopt (...), das ze versorgende und ze gebende an soliche stettarmen, betlern und durfftigen, da sy getruwent, das es aller notdurfftigst sin. (alles in: Freiburg, S.468f)

 

 

Inquisition und Ketzerverfolgung

 

Die Reformbewegungen in der Kirche des 11. Jahrhunderts erreichen am Ende keines ihrer Ziele außer einer vorübergehenden Machtsteigerung des Papsttums, die aber dann in Frankreich und England durch die Herausbildung von Vorformen eines Nationalstaates auch wieder gebremst wird. Die weiter zunehmende Verweltlichung des Kirchenapparates trifft darum auf die Armutsbewegungen und andere der Häresie verdächtige Entwicklungen, die zurück zu den Ursprüngen des Christentums wollen. Einige wie die Franziskaner können in die Kirche integriert werden, andere werden mit Hilfe der weltlichen Gewalt unterdrückt oder wie die Katharer vernichtet. (Siehe Großkapitel 'Heilige Armut)

 

Ketzer sind nicht etwa die, die nicht an die jesuanisch-evangelischen Lehren glauben, sondern die, die sie sich zur Leitschnur machen. Man wirft ihnen vor, heilige Schriften in die Volkssprache übersetzt und damit den Laien zugänglich gemacht zu haben, die Macht der Kirche anzuzweifeln, Fastengebote zu missachten und vieles andere, zum Teil auch Aberwitziges.

Für 1210 berichtet der Mönch Gemeiner, in Regensburg gebe es Ketzereien und verschiedene Glaubensmeinungen. (in: Angerer, S.245) Eine Trierer Synode von 1231 lässt drei Männer und eine Frau verbrennen, die noch in den Flammen den Teufel angerufen haben sollen (was sicher nur fromme Kleriker so noch hören konnten). 1233 werden in Erfurt vier Ketzer, vielleicht Waldenser, auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Verfolgt werden bald auch die Begarden und noch deutlich später die Beginen.

 

Inquisition

Ein zentrales Instrument zur Beseitigung nicht kirchenkonformer Richtungen wird der Predigerorden der Dominikaner, ein anderes und brutaleres wird die Einrichtung der Inquisition, in der Dominikaner eine herausragende Rolle spielen. Ihre Anfänge hängen mit der großflächigen Verbreitung von häretischen Bewegungen im 12. Jahrhundert wie der Katharer, Waldenser und Humiliaten zusammen, der man zunächst nicht mehr Herr werden kann. Dominikus selbst stirbt allerdings zwölf Jahre vor der Einführung der "heiligen" Inquisition 1233 durch Papst Gregor IX.

Es handelt sich um ein immer ausgefeilteres Untersuchungsverfahren geistlicher Gerichtsbarkeit, mit dem zunächst Bischöfe beauftragt werden, unkorrekte Glaubensinhalte bei Menschen ihrer Diözese zu entdecken, zu verurteilen und der harten Bestrafung durch die weltliche Macht zuzuführen. 1252 wird von Papst Innozenz IV. die Folter als Untersuchungsinstrument legalisiert und die Finanzierung der Prozesse durch ein Drittel des Vermögens der Verurteilten festgelegt.

 

Ihrem Wesen nach bedeutet die Inquisition flächendeckenden Gesinnungsterror zunächst religiöser Natur, der mit der fortschreitenden Tendenz zur Säkularisierung in der Neuzeit dann seit dem 18. Jahrhundert von weltlicher Seite als politischer Gesinnungsterror weitergeführt wird. Eine frühe ausführliche Formulierung dieses kirchlichen Schreckensregiments geben die Bestimmungen eines Konzils von Toulouse 1229; In jeder Pfarrei sind Untersuchungs-Kommissionen einzurichten, die alle Häuser durchsuchen sollen. Wer Häretiker auf seinem Grund leben lässt, wird enteignet und eingesperrt. Häuser, in denen die Ketzer wohnen, müssen abgerissen werden. Reumütige Ketzer, die widerrufen, werden zwangsumgesiedelt und verlieren ihre bürgerlichen Rechte, dürfen aber leben. Jeder Einwohner über 14 Jahren muss wenigstens dreimal im Jahr beichten und an drei Messen aktiv teilnehmen. Der Pfarrer muss die aus seiner Gemeinde melden, die sich dem entziehen. (Oberste, S.181)

 

Bald geraten auch zuminderst Teile der Beginen ins Visier der Verfolgung. Nach dem Konzil von Vienne 1311/12 nimmt im 14. Jahrhundert kirchliche Verfolgung zu, wobei andererseits kirchliche Kreise Beginen auch vor dem Vorwurf der Häresie in Schutz nehmen.

 

Mit dem Heiligen Officium der Inquisition wird dann die von den Bischöfen geleitete Ketzerverfolgung massiv durch ein von ihnen unabhängiges Amt bedroht, was viele Bischöfe als ein Stück Entmachtung ansehen.

Als päpstliches Rechtsprechungsorgan wird die Inquisition damit auch den Bischöfen entzogen, deren Mitarbeit allerdings erwartet wird. In Frankreich und Italien dienen päpstliche Legaten als Generalinquisitoren, die wiederum Stellvertreter zu lokalen und regionalen Prozessen delegieren können. Schon im entstehenden Frankreich dient die Inquisition mit den Katharerprozessen zum ersten Mal ganz ungeniert auch weltlichen Machtinteressen, nämlich der Annektion großer Teile des Südens im Zuge eines sogenannten Kreuzzuges durch den französischen König. Große Teile des okzitanischen Adels werden alleine mit dem (oft unbegründeten) Ketzervorwurf vernichtet. Parallel dazu wird im Kampf der Päpste gegen Kaiser Friedrich II. dieser immer massiver der Ketzerei beschuldigt. Der wiederum beschuldigt nun immer wieder seine Mailänder Gegner der Ketzerei.

Auf der anderen Seite bedeutet er eine Modernisierung der Justiz, die aus den Händen episkopaler Willkür genommen wird, und zwar mit weitreichenden Folgen. Da es um Glaubensinhalte geht, findet ein ausgeklügeltes Untersuchungsverfahren statt, welches viele lokale und regionale Zeugenaussagen umfasst, die nun in schriftlichen Protokollen niedergelegt werden, ebenso wie die Verhöre der Angeklagten. 

.

Die schwerste Strafe ist die Verbrennung des Ketzers, die es auch schon vor der päpstlichen Inquisition gab und die nun bis in die frühe Neuzeit (samt Hexenverbrennungen) zunehmen wird. Daneben gibt es andere Formen der Hinrichtung. Besonders intensiv wütet die Inquisition im Zuge der Vernichtung der Katharer. Der zwischen 1307 und 1323 besonders aktive Inquisitor Bernard Gui soll von 930 bis heute überlieferten Urteilen 42 Hinrichtungen ausgesprochen haben, 307 Urteile von lebenslanger Kerkerhaft, fast immer auch eine Art Todesurteil. Die übrigen Strafen bestehen in unterschiedlich drakonischen Bußleistungen wie zum Beispiel der Verpflichtung zu größeren Wallfahrten. Die meisten Katharer werden aber im Zuge der Militäraktionen ohne Verfahren umgebracht. Einige andere Inquisitoren sollen übrigens überhaupt keine Todesurteile ausgesprochen haben. Andererseits beschleunigt die Inquisition die Anwendung der Folter in weltlichen Prozessen.


Die Vollziehung der schwereren Strafen obliegt den Fürsten, die offiziell dabei kein Mitspracherecht haben. Gesinnungsterror heißt aber vor allem, dass Anklage, Untersuchung und Urteilsspruch in einer Hand sind. Das ist im religiösen Raum nichts neues, ist doch das Christentum seit dem vierten Jahrhundert vor allem mit Gewalt und anderen Druckmitteln durchgesetzt worden, ähnlich wie das Tempeljudentum und der Islam. Darüber hinaus gab es vor dem späten Mittelalter bereits eine fast tausendjährige Ketzerverfolgung mit zunehmend härteren Mitteln.

 

Grundsätzlich ist es möglich, dass der Angeklagte sich einen Verteidiger besorgt.  Der katalanische Dominikaner und Generalinquisitor von Katalonien von 1357-92, Nicolau Eymeric, verfasst 1376 ein 'Directorium Inquisitorum', das sich vor allem mit Hexen und Zauberern beschäftigt. Darin heißt es:

Wenn der Angeklagte sein Vergehen gesteht - ob nun durch die Zeugen überführt, die ihn denunziert haben, oder nicht - und wenn sein Geständnis mit den Vorwürfen übereinstimmt, dann ist es unnötig, ihm einen Verteidiger zu bewilligen, um wider die Zeugen zu reden. Letztlich ist sein Geständnis beweiskräftiger als die Aussagen der Zeugen. Wenn er aber sein Verbrechen leugnet, wenn Entlastungszeugen da sind  und er nach einem Verteidiger verlangt, dann muss er sich verteidigen können, ob man ihn nun für unschuldig halten mag oder für verstockt, für unbußfertig oder böse, man wird ihm also juristischen Beistand gewähren. (in: Reliquet, S.174)

In der Praxis heißt das zur oft erwünschten Beschleunigung der Verfahren, dass man versucht, ein schnelles Geständnis mit der Androhung der Folter oder künftiger Höllenqualen zu erpressen. Immerhin ist damit aber schon der Weg zu neuzeitlichen Gerichtsprozessen gewisen.

 

Die modern wirkende Untersuchungs- und Prozessführung bleibt aber weiter kirchlicher Willkürakt. In Handbüchern des späten Mittelalters wird das offen ausgedrückt. Bei Eymeric heißt es:

Alles, was in Wort oder Tat, in ausgeführter Handlung oder bloßem Vorsatz einen Lehrsatz oder Brauch berührt, den Christus, die Kirchenväter, die Konzile und die Päpste verdammt haben, fällt in die Zuständigkeit der Inquisition. (so in: Reliquet, S. 165).

 

****

 

Eine von vielen Frömmigkeitsbewegungen, welche die Kirche verfolgt, ist jene Minderheit im Franziskaner-Orden, die wenigstens ansatzweise Ideale des Ordensheiligen aufrecht erhalten möchte, darunter vor allem auch ein gewisses Armutsideal, weshalb sie Spirituale genannt werden. 1317 werden sie vom Luxus liebenden Papst Johannes XXII. als Häretiker verdammt, nachdem zwei Jahre vorher dasselbe Urteil schon Joachim de Fiore traf.

Wer sich von den Spiritualen nicht in den Orden reintegriert, tritt nun als Brüderchen auf, Fratizellen, die von der Inquisition verfolgt werden. 1318 werden so zum Beispiel vier in Marseille auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

 

 

Widersprüche: Frömmigkeit und Unglaube

 

Das vierzehnte Jahrhundert ist der Weg in eine zweite Blütezeit des Kapitalismus, dessen Welt immer komplexer und widersprüchlicher wird, was eben auch Kirche, Glauben und Frömmigkeit betrifft. Das Papsttum wird immer mehr zu einem schwerreichen Finanzunternehmen in den Händen mächtiger hochadeliger Familien, welches aber bald einer konziliaren Reformbewegung gegenübersteht. In dieser operieren aber wiederum auch starke Kräfte, die mit Gewalt und Grausamkeit gegen Reformatoren und andere Abweichler vorgehen. Die Zahl der Leute, die seit dem 13. Jahrhundert im Feuer sterben, nimmt kontinuierlich zu. Auch der Kirchenreformer Jean Gerson befürwortet den Feuertod von Hus. Im Laufe des 15. Jahrhunderts nehmen auch die sogenannten Hexenverfolgungen etwas zu, um im folgenden ihren Höhepunkt zu erreichen.

 

Neben fürstlichem Reichtum mit seiner Prachtentfaltung, die die Massen abwechselnd zu Ablehnung und vor allem zu Identifikation einladen, steht die zunehmende Konzentration von Kapital in wenigen Händen, die bald immer weniger selbst nach politischer Macht streben werden, sondern nun das enge Bündnis mit ihr suchen. Die Geschäfte dieser großen Familienunternehmen und darüber hinaus auch familienübergreifender Unternehmen, oft europaweit, entziehen sich dem Einblick und Verständnis der meisten Menschen nun genauso wie die große Machtpolitik, die nur noch schemenhaft wahrgenommen werden kann.

 

Die Komplexität der erlebten Welt wird als immer krisenhafter wahrgenommen und ihr Unverständnis fördert wahnhafte, ans paranoide gemahnende Persönlichkeits-Strukturen bei den städtischen Massen, die situativ zum Durchbruch drängen. Der Jubel beim Aufstieg von Savonarola in Florenz und der gedämpfte Jubel bei seiner Verbrennung, das alles im Zeitraum weniger Jahre, mag dafür beispielhaft stehen, wie auch der bald aufkommende Hexenwahn, paranoide Wahnvorstellungen über Juden, die Angstlust gegenüber Alchemie, Astrologie und vielem anderem.

 

Ein verblüffender Widerspruch des ausgehenden Mittelalters ist der zwischen einer vom Haupt bis zu den Gliedern verlotternden Kirche und frommen Reformbewegungen, die sich rückwärts gewandt glauben und doch den Fortschritt des Kapitalismus befördern werden. Er äußert sich auch als zu vermutender zunehmender Unglaube, der in abgeschwächter Form Frömmigkeit durch äußerliche Förmlichkeiten ersetzt. Da Unglaube als todeswürdig gilt, gibt es nur wenige Zeugnisse, die auf uns heute überlebt haben. Da in komplexeren Strukturen abweichende Ansichten, Skepsis,  Dissidenz immer massiver verfolgt wird, lebt sie nur heimlich, im privaten Raum.

 

Im Gegensatz dazu zeigen sich glaubensfrohe Frömmigkeitsbewegungen öffentlich - auch angesichts ihrer gelegentlich ebenfalls stattfindenen Verfolgung. Dem Kirchenchristentum schon in der späten Antike beigemischte (etwas platt benannte) sadistische und masochistische Elemente nehmen zu, die Angstlust-Faszination der von Massen von Zuschauern begleiteten öffentlichen Hinrichtungen am Galgen und im Feuer sind ein Beispiel. Ähnliche Faszination lösten schon im vierzehnten Jahrhundert die Geißlerzüge im Gefolge der Pest aus.

 

Im Zuge der dritten Pestwelle Anfang der 1370er Jahre entwickelten sich die aus einer Krankheit resultierenden sogenannten Veitstänze bis 1374 zu einer Art Tanzwahn-Bewegung im Rheinland weiter.

"Die Teilnehmer waren überzeugt, dass sie von Dämonen besessen waren. Sie bildeten Kreise in den Straßen und Kirchen, tanzten stundenlang mit Sprüngen und Schreien, riefen die Dämonen an, sie nicht länger zu quälen, oder schrien ihre Visionen von Christus oder der Heiligen Jungfrau hinaus. Wenn sie erschöpft waren, fielen sie zu Boden, rollten stöhnend und zuckend umher, als seien sie in den Fängen böser Geister. (...) Es waren vor allem die Armen, (...) die daran teilnahmen, darunter ein großer Anteil an Frauen, besonders unverheiratete. Sexuelle Ausschweifungen folgten häufig den Tänzen, aber die dominierende Betätigung war die Austreibung des Teufels." (Tuchman, S.241)

 

Der doppelte Schmerz von Kulturbildung und zivilisierter Untertänigkeit explodiert immer stärker  angesichts der Komplexität des Lebensumfeldes besonders in den größeren Städten. Die städtischen Massen werden zum leicht manipulierbaren Pöbel, der sie bis heute geblieben sind und der von einer in die nächste Krise rutscht.

 

***Unglaube***

 

Das Problem einer mit weltlicher Gewalt durchgesetzten, von der Kirche vorgeschriebenen und beaufsichtigten Religion besteht darin, dass sie keinen eigenen Glaubensakt voraussetzt, sie ist akzeptierte oder lästige Gewohnheit von Kindesbeinen an. Die Frage, was davon die Menschen glauben, muss so eher dahingehend umformuliert werden, wie konform die Menschen sich verhalten und wieviel Mut jeweils dazu gehört, aus der Konformität auszubrechen.

 

Konformität ist bequeme Gedankenlosigkeit wie zu allen Zeiten und eben auch heute. Die Messe bleibt wie früher der Ort, wo man hingeht, manche halten während ihr ein Schwätzchen, andere nehmen nur kurz teil, um "den Herrn zu sehen", die Hostie also, andere gehen hin, weil man sich vorher oder nachher (im Wirtshaus) trifft, junge Burschen schauen sich weiter dort nach den Mädchen um und Huren suchen dort ihre Kundschaft. Taufe, Heirat, Beerdigung sind Feste, für die die Kirche den Rahmen liefert, neben der Kirche wird auf Markt und (kaufmännischer) Messe gefeilscht und geschachert.

 

Vielleicht um 1225 entsteht wohl in Nordfrankreich der Versroman von Aucassin und Nicolette. Nicolette ist eine versklavte Sarazenin, die ein Beamter des Grafen von Beaucaire kauft, tauft und aufzieht. Aucassin, der Sohn des Grafen, verliebt sich in sie, aber der Vater verbietet eine Liebesbeziehung, einmal wegen ihrer muslimischen Abkunft, aber auch wegen ihres niedrigen Status. Er würde sich um das Paradies bringen, wenn es dazu käme. Aucassin sagt darauf: Was soll ich im Paradies? Dort gibt es nur alte Pfaffen, Betschwestern und erbärmliche Bettler.

Ich möchte viel lieber zur Hölle fahren. Denn dorthin gehen auch die ansehnlichen Geistlichen und die ordentlichen Ritter, die im Turnier oder in glorreichen Schlachten gefallen sind, tapfere Krieger und adelige Herren. Denen möchte ich mich anschließen. Dorthin gehen auch die höfischen Damen, weil sie zwei oder drei Liebhaber besitzen, ebenso wie ihre Ehemänner Geliebte. Gold und Silber fährt zur Hölle und all die schönen Pelze und mit ihnen die Harfenspieler und die anderen Spielleute und die der Welt zugetanen Könige. Mit denen will ich ziehen, Hauptsache, ich habe meine heißgeliebte Nicolette bei mir. (im deutsch von Hartung, S.183)

 

Die Geschichte findet nach wilden Abenteuern ein gutes Ende, wozu auch beiträgt, dass Nicolette sich als Tochter des Königs von Karthago herausstellt. Wenn man den jugendlichen Überschwang des Grafensohnes abzieht, bleibt hier doch in den Augen der Kirche massive Blasphemie: Das einzige Paradies existiert in den Armen der Geliebten.

 

Die Sonntage und die meisten Feiertage sollen dem Kirchgang und der inneren Einkehr der Christenmenschen dienen. Aber immer wieder wird wie 1332 vom Erzbischof Simon von Canterbury beklagt, dass mehr Menschen sich auf den gleichzeitig stattfindenden Märkten und in den Wirtshäusern einfinden als in der Kirche. Wer doch in die Kirche geht, landet danach im Wirtshaus, auf sportlichen Wettkämpfen, beim Spielen usw.

Ein deutscher Franziskanerprediger sagt Ende des 13. Jahrhunderts:

Viele Bauern werden verdammt sein, denn sie suchen nicht zum Gottesdienst zu gehen und an den Feiertagen suchen sie Ausflüchte, wenn sie sagen, sie müssten die ganze Woche durch arbeiten. (in: Franz, S.412)

 

 

Rittergruppen und Soldateska überfallen Kirchen und Klöster, plündern sie aus und malträtieren Priester und Nonnen. Laut Froissart verkündet ein Hauptmann Bétisac seinen Kameraden:

Liebe Herren, ich habe auf meine Angelegenheiten (besognes) geschaut und glaube in meinem Gewissen Gott gar sehr erzürnt zu haben, denn schon seit langem bin ich im Glauben irre geworden und kann nicht glauben, dass an der Dreieinigkeit etwas sei, noch dass Gottes Sohn geruht hätte, sich so weit herabzulassen, dass er von den Himmeln in den menschlichen Leib einer Frau herabgestiegen wäre; und ich glaube, und sage, dass es, wenn wir sterben, nichts mit der Seele ist (...) Ich habe diese Meinung gehegt, seit ich zu Verstand (cognoissance) kam, und werde sie halten bis zum Ende. (so in: Huizinga, S.228)

 

Irgendein "Gott" wird manchmal bis ins zwanzigste Jahrhundert überleben, als fixe und zugleich unklare Größe, aber es gibt sicher mehr Leute, die ihren Verstand etwas lebendiger halten und in etwa mit diesem Militär übereinstimmen und das ganze Mirakelhafte des Christentums (meist eher stillschweigend) ablehnen.

 

Anekdotisch ist die Geschichte von dem (gelehrten?) Dieb, der ein Sakramentshäuschen bestiehlt und über die Worte Dominus est in isto loco schreibt: Surrexit, non est hic. (Der Herr ist an diesem Ort anwesend - Er ist auferstanden und nicht mehr hier. In: SchubertRäuber, S.178). Von hier ist es nur ein kleiner Schritt zur Vagantendichtung, die das ganze (Kirchen)Christentum parodiert und lächerlich macht.

 

Ein wesentlicher Aspekt braven Christentums dürfte Konformität aus innerer Gleichgültigkeit sein, mit gelegentlichen Intervallen kurzen religiösen Enthusiasmus zum Beispiel bei Gelegenheit der Predigt eines Bettelmönches, oder kurzen Äußerungen des Unglaubens bei gesicherter Umgebung.

Seitdem mit dem 18. Jahrhundert politische Ideologie die Religion abzulösen beginnt, kann man (bis heute sich ständig verschärfend) derartige Verhaltensweisen in scheinbar säkularisierter Form beobachten.

 

****Alchemie****

 

Das altgriechische Wort chimeia wird unter arabischem Einfluss zur Alchemie, nachdem die Araber Alexandria erobert haben und Gelehrte sich der dortigen Bibliothek bedienen. Seit dem Pharaonenreich gibt es den Wunsch Einzelner, sich durch Verwandlung von Metallen in Edelmetalle Reichtum zu verschaffen. Im hohen Mittelalter werden in Toledo und anderswo arabische Texte darüber ins Lateinische übersetzt. Im späten Mittelalter tauchen immer mehr Alchemisten im lateinischen Abendland auf.

 

Alchemisten sind wie in anderen Vorformen von Wissenschaften oft Geistliche, darunter auch bedeutende Denker. Das führt zu einer ersten päpstlichen Verurteilung 1317 durch den französischen Papst Johannes XXII. Darin heißt es: Und obwohl sie nicht zu entdecken vermögen, was auch andere nicht fanden, meinen sie immer noch, es in Zukunft einmal finden zu können.. Ihre Verwegenheit geht zu weit, denn auf diese Weise prägen sie falsches Geld und betrügen das Volk. (in Reliquet, S.216)

Gelegentlich verbieten auch Könige die Alchemie, wie der französische Charles V., aber das hindert den Sohn Charles VI. nicht daran, sich ein alchemistisches Labor im Schloss Vincennes einzurichten.

 

Da Alchemie schon wie viel später häufig die modernen Naturwissenschaften von einem Allmachtswahn geprägt ist (Der Mensch als zweiter Schöpfer, der die Welt nach seinen Wünschen straflos korrigieren kann) und von erheblicher Verantwortungslosigkeit, wird sie auch bald (und bis ins 18. Jahrhundert) zum Feld von Gaunern und Betrügern, die sie mit einer Aura von Heimlichkeit überziehen. Gerne wird sie auch mit der Astrologie verbunden, die ähnliche Wurzeln hat wie die Alchemie selbst. Beide sind Ausdruck von Emanzipationsprozessen von Christentum und Kirche, die dann in der frühen Neuzeit zur Emanzipation von Astronomie und Physik (wie der sie begleitenden Mathematik) aus den magischen Weltvorstellungen des Christentums führen wird.

 

***Sonstige magische Vorstellungen jenseits der Kirche***

 

Das ländliche Christentum im lateinischen Abendland ist von Anfang an und bis tief ins 19. Jahrhundert von einem Synkretismus aus vorchristlichen und christlichen magischen Vorstellungen geprägt, die sich in den Augen vieler Menschen nicht widersprechen, sondern eher ergänzen. Das christlich-doktrinäre Glaubensmonopol mit seiner Naturfeindlichkeit und die durch die Ausbeutung der ländlichen Produzenten durch die Herrenschichten und später staatliche Instanzen hervorgerufene tendenzielle Feindseligkeit gegenüber den Kräften der Natur führt wie wohl in allen Zivilisationen zu widersprüchlichen Haltungen zu dieser, die die durchaus magischen Deutungen vorzivilisatorischer Kulturen bricht.

 

Da man nicht mehr einfach Naturkräfte dämonisieren bzw.personifizieren darf, entsteht ein neuer Raum der "Spiritualisierung" von Natur am Rande und außerhalb des Erlaubten. Dieser ist entsprechend von Ambivalenzen durchdrungen, die Feen, Kobolde, Zwerge und andere Fabelwesen sowohl gute wie böse Eigenschaften zusprechen, immer aber magische Kräfte, wie sie auch christlichen Heiligen und ihren Überresten zukommen. Teils werden sie verehrt, teils gefürchtet, sie werden beschworen und in agrarische Fruchtbarkeitsrituale einbezogen.

Daneben werden Menschen, und nicht nur Priestern, magische Kräfte zugesprochen. Hexen können wie andere Zauberer gut (als weise Frauen) oder böse sein. Menschen können sich nachts in Werwölfe verwandeln. Die Kirche auf dem Lande anerkennt oft diese Phänomene, um sie darum zu bekämpfen. Dazu gehört ja schon die (erforderliche) Taufe, in der der Teufel aus dem Kind ausgetrieben wird.

 

Die noch nicht sehr häufige Verfolgung von Hexen (und Hexern) viel bislang unter das Zivilrecht, 1374 beansprucht zum ersten Mal Papst Gregor XI., dass sie nun wie die Ketzerei in den Bereich der Inquisition falle.

 

In der romanischen Kunst beginnt die Vorstellung, die noch Luther umtreiben wird, Gestalt anzunehmen, dass nämlich die Welt voller Teufel bzw. Dämonen sei. Theologischer wird das mit dem Aufstieg der Apokalypse (Offenbarung) des Johannes, der seine Anfänge im 10. Jahrhundert, seine Blütezeit aber erst im späten Mittelalter hat. Dabei wird der vermutlich symbolische Gehalt des Textes übersehen und für konkrete Realität genommen, obwohl es sich für Heutige eher wie Fieberträume liest:

Und ich trat an den Sand des Meeres und sah ein Tier aus dem Meer steigen, das hatte sieben Häupter und zehn Hörner und auf seinen Hörnern zehn Kronen und auf seinen Häuptern Namen der Lästerung. Doch das Tier, das ich sah, war gleich einem Parder und seine Füße wie Bärenfüße und sein Mund wie eines Löwen Mund. Und der Drache gab ihm seine Kraft und seinen Stuhl und große Macht. (XIII, 1-2)

 

Auch eine im späten Mittelalter massiv verweltlichte Kirche hält offiziell an der Doktrin fest, dass die Welt nicht nur das Reich des Teufels ist, sondern von unzähligen Teufeln beherrscht wird. Seit dem vierzehnten Jahrhundert beginnt sie zunächst sporadisch und im fünfzehnten dann häufiger Menschen zu unterstellen, ihre "Seele" dem Teufel verschrieben zu haben. Das sind Hexen und Zauberer, denen die Inquisition nun den Prozess macht. Vermutlich haben solche Teufelspakte in einzelnen Fällen tatsächlich stattgefunden, wofür zum Beispiel Gilles de Rais mit seinen Helfershelfern in den dreißiger Jahren des fünfzehnten Jahrhunderts steht und zudem eine Anzahl von Texten, in denen gelehrt wird, wie man Teufel beschwört. Das Insistieren der Kirche auf der handfesten Existenz solcher Teufel und eines Oberteufels legt einen solchen magischen Glauben schließlich immer wieder nahe...

 

Die Phantasie von Geistlichen und Leuten aus dem Volk wird besonders dadurch aufgeladen, dass Magie gelegentlich direkt mit sexuellen Praktiken assoziiert wird. Der (männliche) Teufel fährt dann vaginal oder anal in die Hexe ein oder läßt sich entsprechend von Zauberern "buhlen". Hexentanz und Hexensabbat werden dabei zu sexuellen Orgien phantasiert.

 

****

 

Zauberei, Hexerei und Nigromantie finden bei den hohen Herren zunehmend auch auf höherem Niveau ihre Liebhaber. Ludwig von Orléans Berater Philippe de Mézières hat nach eigener Aussage die Zauberei bei einem Spanier erlernt. Der Herzog selbst hält sich Hexenmeister und Nigromanten.1398 verkündet die Pariser Universität, die schwarze Magie vergifte immer mehr die Menschen. (Tuchman, S.465)

 

Mehr auf der Amüsierebene können Zauberer auch bei hohen Herren ihre Künste vorführen.

 

 

Klöster

 

Ähnlich wie kirchliche und weltliche Grundherrschaften lösen auch Klöster zunehmend die geteilte Grundherrschaft auf und gehen dabei vorzugsweise zu Geldabgaben über. Pachtverträge bringen dann das ein, was zum Kauf  "von Pergamenten, Farbpigmenten und Büchernaber auch von erlesenen Weinen, von teuren Gewürzen wie Safran und Muskat, von Reis, Rosinen und Mandeln" reicht. (Gleba, S.105)

 

Ähnlich wie bei anderen Grundherrschaften verführt die Umstellung auf Geldabgaben bei größerer Selbstständigkeit der Bauern bei ihrem Wirtschaften zu einer auf Geld reduzierten Beziehung zu den Bauern, die die Fürsorgepflicht der monastischen Herren, wo überhaupt noch vorhanden, erheblich reduziert.

 

Neben der allgemein zunehmenden Kommerzialisierung im Raum der Landbewirtschaft beschleunigen das auch die Schwierigkeiten, die Kontrolle über die Güter zu behalten. Ein Beispiel:

"Als Irmgard von Wittgenstein, die Äbtissin des Klosters Herford, im Oktober 1291 eine Reise durch die klösterlichen Grundherrschaften in Westfalen unternahm, beschwerten sich die lokalen Verwalter (Meier) über die Kosten der Verpflegung der Äbtissin und ihres Gefolges oder erschienen nicht zu den anberaumten Gerichtsterminen. Eines Abends erreichte Irmgard mit ihrem Tross den Hof Aldrup, doch dort war nichts für die Unterbringung und Verpflegung der Grundherrin vorbereitet und der Meier des Hofs war verschwunden. Man zog also rasch weiter zum nächsten Hof und fand dort glückliche Aufnahme für die Nacht." (Ertl, S.68).