STADT It3: STADT DES FRÜHKAPITALISMUS IN ITALIEN (13.Jh.)

 

Das Beispiel Volterra

Podestà

Henne und Ei

Bologna 1220-1300

Florenz vor 1240

Die populare/popolane Kommune

Florenz 1240-1308

Florenz um 1300, Kapital, Handwerk und Lohnarbeit

Siena

Das Beispiel Mailand

Religion

Zivilisierung

Politisierung

Frühe Despotien

Genua

Pisa

Venedig

Der Sonderfall Rom

Süditalien

 

(Spanien)

 

 

Mehr noch als das hochurbanisierte Flandern wird die Nordhälfte Italiens mit ihren Städten von den Bewegungen des Kapitals strukturiert. Davon zeugt zum Beispiel die Toskana. In Lucca sind die Kaufleute den Weg vom Geldwechsel über das Verleihen von Geld bis hin zu Depositenbanken gegangen, die Geld über Teile des Kontinents transferieren. Ende des 13. Jahrhunderts agieren von der Stadt aus rund 20 Firmen, die Handels- und Bankgeschäfte betreiben (Goldthwaite, S.20).

Siena mit gutem Zugang zu Rom ist Mitte des 13. Jahrhunderts ein reiches Bankenzentrum, welches eine welche Vorrang bei den Päpsten genießt, bis es dann von Forentinern und anderen verdrängt wird. Kaufleute von San Gimignano und Pistoia tauchen in Dokumenten in den Levantestädten auf. Florenz wächst schnell an und überholt schließlich Pisa, Florentiner Firmen beginnen, die päpstlichen Einkünfte in England und Irland zu verwalten und die englischen Könige mit Geld zu versorgen. Pisa wird am Ende vom Konkurrenten Genua handelsmäßig und militärisch besiegt, verliert aber nur langsam seine Bedeutung.

 

Das Beispiel Volterra

 

Volterra kann trotz Metall- und Salzvorkommen im Mittelalter nicht mehr an seine antike Bedeutung anknüpfen. Die große Diözese reicht bis an die aufstrebenden Städte Siena und Pisa heran, was zu massiven Konflikten mit deren Wunsch nach Herausbildung eines Territoriums führt. Dabei verbünden sich im Volterraner Bistum ansässige oder begüterte Geschlechter manchmal aus Eigeninteresse auch mit den Nachbarstädten gegen ihren Bischof. Dass Volterra, Siena und Pisa alle drei als staufertreu gelten, hindert sie nicht an Auseinandersetzungen gegeneinander.

Als Akteure treten neben den Bischof und die Geschlechter in der Diözese im 12. Jahrhundert in der Stadt Volterra und in San Gimignano gebildete Kommunen. Eine relativ starke Stellung erreicht die Kathedrale dadurch, dass der Bischofsstuhl ab 1150 von der Grafenfamilie Pannoschieschi besetzt und mit ihrem Übertritt in die staufische Partei bald von den Kaisern ausgiebig privilegiert wird. Im Rahmen des Streites zwischen Papsttum und Barbarossa wird ein Galganus Pannochieschi 1170 vor seiner Kathedrale ermordet, was das Maß an Gewalttätigkeit im kommunalen Italien aufzeigt.

 

Nach einer Pause folgt Hildebrandinus und auf ihn 1212 sein Neffe Paganus Pannochieschi, der 1220 in Rom der Kaiserkrönung Friedrichs II. beiwohnt. Volpe zu den ersten zehn Jahren seiner Herrschaft: Zwischen den Jahren 1213 und 1220 ging es in Volterra drunter und drüber: Militärzüge, Plünderungen, die Zerstörung von Burgen und Landsitzen, Gerichtsverfahren und Schiedsverfahren folgten in endloser Reihe aufeinander." (im Aufsatz von Christoph Dartmann in 'Verwandlungen', S.179-191, dem ich im wesentlichen folge).

 

Unter Hildebrandinus kommt es dabei zum Beispiel zu Konflikten über Burgen in den Colline Metallifere, die dem Abt von San Pietro di Monteverde unterstehen, die dieser aber zwischen 1204 und 1208 militärisch der Kommune von Volterra unterstellt, die dort Rektoren einsetzen und Gerichtsrechte ausüben soll, während der Abt den ökonomischen Nutzen behält. Kaiser Heinrich VI. wiederum hatte sie dem Bischof zuvor unterstellt, aber es gibt aus der Ferne keinen wirksamen kaiserlichen Einfluss. Paganus überzieht die Volterraner der Kommune mit Exkommunikation und Interdikt, was Papst Innozenz III. bestätigt. 

1214 soll ein Schiedsgericht des Bischofs von Arezzo entscheiden, aber im Mai 1215 bemächtigt sich der Podestà von Siena des Paganus, der für seine Freilassung ein hohes Lösegeld zahlen muss.

 

1226 kommt es dann kurz vor der Reise Paganos zum kaiserlichen Hoftag von Cremona zur Einigung von Bischof und Podestà von Volterra über eine gemeinsame Nutzung der strittigen Burgen. Inzwischen sind aber die bischöflichen Finanzen soweit ruiniert, dass Paganus sein Amt hoffnungslos verschuldet hat. Für die Reise nach Cremona nimmt er denn auch einen Kredit von 800 Pfund auf, aber ein Vorauskommando wird dann auf dem Gebiet von Reggio Emilia überfallen und ausgeraubt. Vielleicht steht das im Zusammenhang mit schweren Kämpfen zwischen Guelfen und Ghibellinen in der norditalienischen Stadt.

Jedenfalls muss Bischof Pagano nun mit Reggio um eine Entschädigung verhandeln, weswegen er nicht mehr rechtzeitig in Cremona eintrifft. Die Konsuln und die Kommune im Namen der universitas von Reggio und aller Leute im der civitas und im districtus tun zwar nichts zur Verfolgung der Übeltäter, zahlen aber 136 Bologneser Pfund.   

1237 hören wir dann noch, dass Paganus auf der Seite der Gegner der Kommune von Volterra an einem Krieg zwischen Volterra und San Gimignano beteiligt ist. 1239 stirbt er. 

 

Podestà


Die Schwäche des konsularischen Regiments bestand darin, dass das Regiment der Stadt stärker bei denen war, die ihre Macht aus dem Land bezogen hatten und nicht bei denen, die vor allem den neuen Reichtum in der Stadt erwirtschaften. Mit der Entfaltung des frühen Kapitalismus und der wachsenden Bedeutung des popolo ist aber aus zwei Gründen vor allem noch keine Übernahme der Stadt durch das neue Bürgertum verbunden: Es gibt kein Vorbild dafür und keine Formen, die erst noch entwickelt werden müssen, und das machtvolle Gewaltpotential des Adels lässt es auch zunächst nicht zu.

 

Andererseits verlangt kapitalistisches Wirtschaften mehr Frieden im Inneren und die Verlagerung der Gewalt nach außen zur Eroberung neuer Räume, die dem Wachstums-Begehren der Kapitalverwertung gerecht würden. Seestädte wie Pisa und Genua erkämpfen vor allem marine Räume des Mittelmeeres für ihren Handel mit Schiffen als Transportmitteln. Inländische Städte wie Mailand, Florenz oder Siena schaffen um sich herum Territorien als Wachstumspotential.

 

Der innere Frieden verlangt nach Verrechtlichung und einer darauf basierenden weitergehenden Institutionalisierung von Staatlichkeit, nach Zivilisierung. Den Frieden soll ein zentrales neues Amt gewährleisten, welches vor allem Recht sprechen und Rechtsprechung beaufsichtigen kann. Machtausübung als Praxis von Gewalt, die die Grundlage jeden zivilisierten Rechts ist, traute und gestand man aus gutem Grund nicht dem Vertreter einer Kapitalfraktion bzw. einem Geschlechterverband zu, darum muss der podestà, in dem sich die Kommune nun konzentriert, ein individueller Adeliger sein. Damit er nicht von einer der bestehenden Adelsfraktionen stammte, muss er von außen herkommen, und seinen Stab von Rittern bzw. Söldnern und Rechtsexperten mitbringen, was in Florenz ab 1207 regelmäßig geschieht, in Mailand ab 1214. Und damit er keine Zeit hat, seine persönliche als familiäre Macht in der Stadt zu etablieren, wodurch der Amtscharakter verloren ginge, wird seine Zeit begrenzt, bald meist auf sechs Monate.

 

Ein Podestà muss verheiratet sein, um nicht in die verwandtschaftliche Nähe einer heimischen Familie zu geraten, darf aber seine Frau für seine Dienstzeit nicht mitbringen. „Private Einladungen und Besuche in einzelnen Familien waren streng verboten, um ihn aus dem lokalen Gezänk herauszuhalten. Aus dem gleichen Grund war es ihm untersagt, in der Stadt Grundbesitz zu erwerben.“ (Goez, S.170) Die Auflagen sind nicht lange durchzuhalten, auch deshalb ist die Amtszeit nur kurz. Aber er kann nach Abgabe und Genehmigung seines anschließenden Rechenschaftsberichtes auf eine Anstellung in einer anderen Gemeinde hoffen.

 

Ursprünge des Amtes des Podestà sieht Hyde (S. 100ff) in einem dominus civitatis in Siena, einem rector civitatis in Verona und einem Guido de Sasso in Bologna, der als rector oder potestas die Stadt gegenüber Barbarossa vertritt. Dieser versucht denn auch, selbst solche in den Kommunen einzusetzen, was mit zur Empörung der Lombardischen Liga von 1167 beiträgt. Nach und nach übernimmt er die oberste Rechtsprechung, ist Chef der Verwaltung und oberster Kriegsherr.

 

Mit dem Wachstum von Bevölkerung und Wirtschaft entwickelt die Stadt immer mehr Rechtsvorschriften und Ämter, und der Podestà wird auf beide eingeschworen und muss nach seiner Amtszeit Rechenschaft ablegen. Man könnte fast von einer an Recht gebundenen Einmann-Regierung sprechen. Zwischen 1190 und 1270 werden fast alle nord-und mittelitalienischen Städte zumindest zeitweilig so regiert.

 

Die Verrechtlichung bringt den Rechtskundigen hervor, der die Verrechtlichung in den Städten weiter vorantreibt. Aus der Schule des Irnerius entwickelt sich ein immer sorgfältigeres Studium des römischen Rechtes insbesondere in Bologna. Den Kommunen selbst wird dabei bewusst, dass ihre rechtlichen Setzungen Mischformen aus römischem und germanischem Recht waren, wie man in Pisa und Siena im 12. Jahrhundert sehen konnte (Hyde, S.85). Eine auf ihren eigenen Vereinbarungen basierende Gemeinde war ein Fremdkörper für das von Justinian kodifizierte Recht. Andererseits fehlten in den Städten Rechtfertigungen, die über das nackte Machtinteresse der Kapitaleigner hinausgingen.

 

In dieser Zeit gelingt keine generelle Befriedung der Stadt, sondern es wird ein neuer Konflikt virulent: Der grundlegende zwischen dem wirtschaftlich expandierenden popolo der großbürgerlichen Kapitaleigner und dem politisch herrschenden Adel und darin eingebettet der über die Differenz zwischen wirtschaftlich mächtigem popolo und der Zuteilung bürgerlicher Rechte, die durch Eigentumsqualifikationen, Dauer des Wohnens in der Stadt und der Notwendigkeit von Referenzen über Beziehungen eingeschränkt sind. Das Grundproblem, welches es zu lösen gab, bestand aber darin, dass der Popolo die wesentliche Einnahmequelle der Kommune war, aber ihm nur wenig Zugang zu den Institutionen gestattet wurde. Ein wichtiger Anlass für Konflikte war dabei wiederum die ungleiche Abgabenlast und der Anteil der Einnahmen, die in die privaten Taschen der Amtsinhaber gelangten.

 

Um Anteil am Stadtregiment zu gewinnen oder dieses gar zu übernehmen, muss der Popolo sich gegen die Machthaber politisch und militärisch organisieren. In Cremona zum Beispiel heizt sich dieser Konflikt so auf, dass 1197 der populus sich gegen die milites erhebt. Der Podestà installiert sich mit der Kommune im Handwerker- und Händlerviertel der Cittanova, während die adelige Macht um die Kathedrale herum verbleibt.

 

Gegenüber Konsuln und Podestà der Gemeinde stehen zunächst die Konsuln, also Vorsteher der Zünfte, die in Florenz ab 1202 Priore heißen, und hinter ihnen als legaler Machtfaktor die gewichtigeren Zünfte, calimala, ars lana (Wollzunft) und ars cambio (Geldwechsler, Bankiers). Dass es in Florenz und anderswo in Italien zu keinem klassischen andauernden Zunftregiment kommt, liegt am weitentwickelten Kapitalismus in Nord- und Mittelitalien, der eine Oberschicht von Geschäftsleuten hervorbringt, die quer durch die Zünfte und Branchen ihre Eigeninteressen bespricht und durchsetzt. Zunftregeln werden so auch von ihnen leichter durchbrochen, Konsortien von Handwerkern und Händler-Sozietaten umgehen Beschränkungen von Betriebsgröße und Warenmenge und manufakturartige Betriebsformen können früher als anderswo entstehen. (u.a. Raith,S. 72)

 

Gegen die Legislative der Herrschenden setzt das „Volk“ Formen von Volksparlamenten, aus denen ein kollegialer Ältestenrat hervorgeht, bis Mitte des 13. Jahrhunderts dann mit dem capitano del popolo das Amt eines direkten Gegenspielers des Podestà aufkommt. Dazu wird gegen die Gerichte der regierenden Großen eine eigene Gerichtsbarkeit entwickelt, aber wichtiger noch ist die Militarisierung der Nachbarschaften, deren radikalste in den vom Adel weniger kontrollierten Vorstädten liegt, die nach und nach durch neue Mauerringe einbezogen werden. Diese Nachbarschaften (vicinanza/ contrada etc.) bekommen ihre eigenen Kompanien mit ihren Fahnen und „Wappenzeichen“, angeführt von Standartenträgern und Hauptleuten oder Leutnants und übernehmen mit der Abschaffung der ritterlichen Organisationen Teile von deren Mitgliedschaft (Martines, S.65).

 

Wer die Stadt unter seine Kontrolle bringt, verfügt über ihre Machtmittel und hat darum Zugang zu ökonomischer Macht. In den ersten Etappen ihrer Entstehung bringt die Kommune die Rechte des Königs und die daraus abgeleiteten der ihm untergeordneten Instanzen in ihre Gewalt: Die Stadt wird ihr Erbe, was alleine schon erklärt, dass und wie sie Herrschaftsinstrument für kleine neue Eliten wird. Münzrecht, Marktrecht, Salzsteuer, Abgaben von Bäckern, Metzgern, Müllern gehören dazu. Im dreizehnten Jahrhundert dann werden nach und nach die indirekten Steuern den mit ihnen Privilegierten entzogen und kommunalisiert. Das große Kapital hingegen wird nur in Ausnahmefällen mithilfe direkter Steuern behelligt. Die Last der Finanzierung der Kommune wird so auf die „kleinen Leute“ abgeladen.

 

Noch profitabler für das unternehmerisch verfügbare große Kapital wird dann die Investition in finanzielle Leihgaben an den entstehenden Stadtstaat. Aus der so wachsenden Staatsschuld gewinnen sie Renditen von zwischen 10 und 70 Prozent, je nach Ort und Zeit. Anfang des 13. Jahrhunderts wird daraus zum Beispiel in Florenz die sogenannte Zwangsanleihe, die einer ausgewählten Gruppe von Geldgebern sichere Einkommen gewährt. Selbst nur fünf bis zehn Prozent Zinsen ergeben für die durch die Höhe der Abgabe eng begrenzte Zahl der Geber einen soliden Zugewinn zur unternehmerischen Tätigkeit. Später wird es die unternehmerischen Energien reduzieren zugunsten eines Rentierdaseins.

 

Die Finanzierung des Haushaltes über eine permanente Staatsschuld wird so auf die Dauer zu einem perfekten Umverteilungs- und Bereicherungssystem. Finanziert wird sie nämlich wesentlich durch die indirekten Steuern, die die Masse der unteren Schichten bezahlt, den Gewinn zieht eine kleine Gruppe daraus, die eben, die den Staat kontrolliert. 1379 gibt es in Venedig bei einer Bevölkerung von vielleicht rund siebzigtausend 2.128 Zeichner solcher Anleihen. (Martines, S.243)

 

Auf dem Weg in diese bürgerlich-kapitalistische Stadt integriert sich der städtische Adel einerseits immer mehr in das „bürgerliche“ Geschäftsleben, möchte aber andererseits seine „politischen Privilegien behalten, mit denen er die Stadt kontrolliert. Zu diesem Zweck verbindet er sein Konzept von „Ritterlichkeit“ mit dem höfischer Lebensformen (courtoisie, cortesia), die er wesentlich von außen importiert. Ohnehin hatte das ritterliche Ideal seine Ausformung in hohem Maße in höfischen Zusammenhängen erfahren, nicht zuletzt im ehemaligen Gallien, dem entstehenden Frankreich. Damit setzt er sich vom bürgerlichen Kapital ab, welches alles daran setzen wird, diese „Magnaten“ politisch zu entmachten.

 

Deren Selbstverständnis als Selbstdarstellung demonstrieren sie ostentativ in der Architektur, der Ausstattung der Häuser, der Kleidung, den Manieren: Kapitalverwertung verhilft hier zu höfischen Gepränge. Dieses wird besonders deutlich, wenn es im corte weit in die Öffentlichkeit hinausgetragen wird, einer über Wochen und manchmal Monate sich hinziehenden Festivität als quasi-höfisches Ereignis, bei dem Hunderte oder sogar Tausende teilnehmen, wie ein corte der Florentiner Rossi-Familie 1284, den Villani beschreibt. Höfische Gäste aus der Lombardei und anderswo nehmen teil, ebenso die dazu gehörenden Unterhalter. In Spielen, diversen Vergnügungen, Musik und Tanz und großen festlichen Banketten wird die Verbindung von ritterlichem Kriegertum und Vorstellungen von höfischer Liebe gefeiert. (Najemy, S.13)

 

Die Verbindung von höfisch-ritterlichem Adel als Elite, verbunden mit Geschäftemacherei, die den Luxus erst ermöglicht, provoziert die reichen Bürger in ihrem Selbstverständnis bürgerlicher Rechtschaffenheit. Diese setzt dem adeligen Ehrbegriff den bürgerlicher Ehrbarkeit entgegen, der in die Stadt getragenen Gewalttätigkeit den inneren Frieden entgegen, der das Konkurrieren von den Waffen ganz auf die Kapitalien übertragen möchte und diesem Stadtadel dafür die politische Macht abnehmen muss.Es gibt also nicht nur die zweckrationale Ebene von Politik und Geschäft, in der beide Gruppen kollidieren, sondern auch die eines weit darüber hinausragenden Selbstverständnisses, welches tief in den emotionalen Bereich hineinragt. Dazu gehört auch das hochsensible Feld der Sexualität: Ritterlichkeit des Adels entfaltete sich nicht unbedingt gegenüber den nichtadeligen Mädchen, höfische Liebe blieb auch als Ideal auf den corte beschränkt. Das geht schlecht zusammen mit den sich entwickelnden Vorstellungen bürgerlicher Ehrbarkeit und einem damit zusammenhängenden Verhaltenskodex.

 

 

Die gegen Ende des 13. Jahrhunderts und durch das ganze vierzehnte anhaltende Idealisierung des Adels war eine der „Ritterlichkeit“. Wo der Ritter ein städtisches Phänomen wurde, formte er die Kavallerie der städtischen Armee. Laut dem Chronisten Giovanni Villani (Nuova Cronica III) gab es in Florenz um 1280 noch etwa 250 von ihnen. Was sie „edel“ macht, ist das „christianisierte“ Kriegertum zu Pferde bei selbstgestellter (Aus)Rüstung, sein Auskommen ohne produktive Arbeit und sein Ehrenkodex. Dieser ersetzt zunächst die für Könige, Fürsten und Bürgertum sich einschleichende Verrechtlichung, die Ehre begründet ein Recht eigener Art.

 

Dies beruhe massiv darauf, dass Ehre etwas ist, was der Ritter mit der Waffe in der Hand verteidigt, nicht einer Justiz unterworfen, ähnlich, wie das die organisierte Kriminalität in Italien seit dem 18. Jahrhundert wieder aufleben lässt und heute in allen kapitalistischen Gesellschaften mehr oder weniger geduldet betreibt.

 

Die materielle wie symbolische Ehrverletzung wird mit der Rache (vendetta) beantwortet, die im Extremfall wieder beantwortet werden muss. Diese Vendetta folgt nach einem Regelwerk, welches den Ehrenkodex in die Tat umsetzt. Die Bedeutung der ritterlichen Kavallerie nimmt in unseren Städten zwischen dem 12. und 14. Jahrhundert allerdings kontinuierlich ab, um 1330 zählt der Chronist nur noch 65. Das hindert den Adel aber nicht daran, sich ritterlich zu geben und diese „Ritterlichkeit“ öffentlich zu demonstrieren, auch wenn er tatsächlich kein Ritter mehr ist. Dazu gehört, dass er auch ohne Verpflichtung zum Kriegsdienst den Ehrkodex und die italienische Version des Fehderechtes für sich in Anspruch nimmt.

 

Dies ist umso kurioser, als Adel sich nun ritterlich begreift, auch ohne Ritter zu sein, und so auftritt, zugleich aber zunehmend Geschäftsmann ist. Der Chronist Donato Velluti schreibt um 1360 von seinem Urgroßvater, er sei ein großer Kämpfer (combattitore) gewesen, zugleich aber auch ein Experte in Geschäften, nämlich im Importieren von Tuchen und im Färbenlassen derselben in Florenz (Najemy, S.11f).

 

Das Vendetta-Verhalten in der Stadt, auf ihren Straßen und Plätzen, stört den städtischen Frieden und die Geschäfte. Dies wird umso gravierender, je mehr solche noble Familien dabei die kleinen Leute aus ihrem Viertel als ihre Klientel in die Kämpfe mit einbeziehen.

 

Während Italien über die Verselbständigung der Städte dem Kaiserreich de facto verloren geht, entwickeln sich Städte nördlich davon unter Fürsten und Königen, die zeitweilig lernen, sie als Bundesgenossen zu betrachten und entsprechend zu privilegieren. Neugegründete Städte erhalten mehr Freiheiten als die, die vorher zum Teil mühsamer errungen werden müssen. Aber es ist vor allem in Nord- und Mittelitalien, wo bald über Territorien herrschende Stadtstaaten moderne Formen von Staatlichkeit ausbilden. Was sie von den monarchischen Formen territorialer Staatlichkeit unterscheidet, ist ihre oligarchische Machtstruktur, die sich daraus ergibt, dass das Großkapital nicht neben der fürstlich-monarchischen Macht existiert, sondern mit der wirtschaftlichen auch die politische Macht personell vereint. In Italien ändert sich das mit der internationalen Konkurrenz. Anderswo wird durch die zunehmende Kapitalkonzentration und die voranschreitende Globalisierung die Identifikation monarchischer Herrschaft mit Kapitalinteressen eine personelle Verschränkung von Politik und Staat überflüssig machen.

 

Henne und Ei

 

Wenn schwache Formen von Staatlichkeit und ein spezifisches Christentum Rahmenbedingungen für die Entstehung des Kapitalismus sind, ist es vor allem auch die neue abendländische Stadt, in der sie stattfindet. Was da geschieht, verlockt zu Gedanken über Ursachen und Wirkungen. Da sind die Faktoren Kapitalakkumulation durch Handel und Finanzgeschäfte, die Kapitalisierung von städtischer und ländlicher Produktion, da sind die technischen Neuerungen. Außerhalb der Städte ist da zudem die Steigerung der Nahrungsproduktion, die die ländliche Bevölkerung und dann die der Städte vermehrt und ihnen eine kritische Größe gibt.

 

Eine Reihenfolge, die eine Art von Kausalkette gibt, lässt sich dabei so einfach nicht herstellen, sind doch viele Ursachen und Wirkungen mehr oder minder miteinander verwoben und verschränkt, und nur dort, wo die Textur einigermaßen dicht wird, entsteht das, was mit einem derzeit modischen Wort als kapitalistische Mentalität bezeichnet werden kann, Resultat von Entwicklungen, aber in seiner Entstehung dann immer auch Ursache, denn es geht im Kern nicht um die Anhäufung von Reichtümern, sondern um ihre Verwandlung in Kapital, um die Entstehung eines unternehmerischen Menschen in einer von ihm gestalteten Welt.

 

Um das noch einmal zu verdeutlichen: In der muslimischen Welt und in China sind einzelne der Faktoren zur gleichen Zeit weiterentwickelt, es gab größere Städte, in manchem weiter entwickelte Technik, aber es gab zwar Handel, aber nur wenig Wandel. Es fehlen eben jeweils andere notwendige Faktoren.

 

Die Technik war in Europa zum Teil Feld eines kontinuierlichen Niedergangs bis in die Zeit der Karolinger. Wie man an der Geschichte von Ländern wie des alten China feststellen kann, ist sie für sich ohnehin keine Ursache für Kapitalismus, auch nur begrenzt eine Folge. Aber in bestimmten abendländischen Zusammenhängen wird sie (sozusagen) zu beidem zugleich. Ein Musterbeispiel ist die Nutzung der Wind- und Wasserenergie: Sie setzte Kapitaleinsatz voraus, beschleunigte aber zugleich dessen Vermehrung ungemein: Eine Walkmühle ersetzt Dutzende von Arbeitskräften und die Verfügung über sie wird ein Machtfaktor.

 

Ähnlich ist es mit den Neuerungen, die den Ackerbau veränderten: Da sind zum Beispiel diejenigen, die halfen, dass das Pferd den Ochsen als Zugtier ersetzten, was die Feldarbeit beschleunigte, und der neue Pflug, der die Scholle umbrach und nicht mehr nur oberflächig anritzte. Anreiz für solche Neuerungen war ein neues Renditedenken auf dem Lande, welches mit mehr Geldwirtschaft einherging, welches aber zunehmende städtische Nachfrage brauchte, einen größeren Nahrungsmarkt. Andererseits ermöglichte mehr Nahrungsproduktion Bevölkerungswachstum, welches in die Städte strömte, und Nachfrage hervorbrachte. Städte können sich meist nicht selbst ernähren, und drängen so nach Kontrolle des städtischen Umlandes, was wiederum neue städtische Einnahmen verschafft, von denen die Masse am Ende in den Händen großer Kapitaleigner landet, die die Städte kontrollieren. Territorien wiederum schaffen von Hindernissen befreite Wirtschaftsräume.

 

Zwei Motoren des Kapitalismus waren der Krieg (die physische Gewalt überhaupt) und der mit ihm (als Form der Ableitung sexueller Aggression) verbundene Geschlechtstrieb. In Italien sind es vor allem Mailand und Florenz, die eine herausragende Waffenproduktion entwickeln, deren Bedeutung sich an ihrer ausgeprägten Arbeitsteiligkeit erweist. Im Rüstungsbereich wird bis heute am intensivsten technische Innovation vorangetrieben, und er fragt Erweiterung des Bergbaus nach. Ähnlich arbeitsteilig wird der zweite Hauptbereich, der Kapitalismus vorantreibt, die Textilproduktion, die der weniger gewalttätigen Konkurrenz über Bekleidung dient. Auch hier werden Rohstoff-Produktion und Handel durch die Stoffproduktion vorangetrieben: Wolle gelangt aus England nach Flandern und in die Toskana, Baumwolle aus dem südlichen Mittelmeerraum in die Poebene und bis nach Augsburg.

 

Kapitalismus wird nur möglich, wo Renditen nicht dauerhaft und übermäßig abgeschöpft, sondern reinvestiert werden. Das war der Sinn der sogenannten städtischen Freiheit und Kern bürgerlichen Selbstverständnisses. Sich verallgemeinernde Kapitalverwertung bedarf ihres eigenen Freiraumes. Der Vorgang der Kapitalisierung großen Eigentums wäre nicht gegen die größten Eigentümer, Kirchen, Orden und weltliche Große möglich gewesen. Dazu war es wichtig, dass die Herren über die Glaubensinhalte Großgrundbesitzer waren, die zudem von ihrer Herde auch Abgaben zunehmend in klingender Münze erhielten. Zudem waren sie darüber zugleich weltliche Herren. Dadurch gelang ihre Integration in den kapitalistischen Markt, und damit auch die schleichende Integration kapitalistisch bürgerlicher Wertvorstellungen in den christlichen Glauben. Rendite und Profit werden so zu christlichen Metaphern.

 

Henne und Ei? Der Staat muss nicht schwach bleiben, aber es erst einmal sein, damit die bürgerlich-kapitalistische Stadt entstehen kann. Das ist ein definitiver Ausgangspunkt, aber nicht hinreichend. Zeitlich voraus geht zum anderen eine reiche Kirche und Ordenswelt, die personell eine Verdreifachung des Christentums bedeutet, nämlich in die klösterliche Version der Nachfolge Jesu, in eine Weltkirche, die das christliche Erbe durch ihre weltliche Seite kompromittiert, und eine Laienschar, die geringfügig nur christianisiert, jede Möglichkeit nutzen kann, die Religion von ihrem Alltag abzutrennen und so zur Entchristianisierung als Folklorisierung der Religion beiträgt.

 

Es bedarf zudem, immer noch zeitlich vorausgehend, einer mächtigen weltlichen Oberschicht, die eben nicht ständisch völlig abgeschlossen ist, die dazu beiträgt, Staatlichkeit schwach zu halten, die zwar auf Grundbesitz und darauf aufbauenden Herrschaftsrechten ebenso wie Kirche und Kloster basiert, die aber nicht so eng definiert ist, dass sie nicht Kapitalisierungstendenzen in sich aufnehmen kann.

 

Der Rest sind lokale und regionale Besonderheiten. Grafen von Flandern können Verstädterung und Kapitalisierung aus Eigeninteresse fördern, Mächtige können Städte privilegieren und gründen, wie zum Beispiel Freiburg im Breisgau, sie können Bürger privilegieren wie salische und staufische Könige, und zwar dann, wenn sie Bündnispartner brauchen, auch im Konflikt mit der Kirche, die nicht nur im deutschen Raum viele Stadtherren stellt. Städte können sich verselbständigen, wo wie in Nord- und Mittelitalien kaiserlich-königliche Macht zu schwach ist, neues Bürgertum kann die Konflikte zwischen Kirche und entstehender Staatlichkeit nutzen. Kirchliche Begründung für Kriege kann Handelsräume öffnen, was dann dazu führen kann, dass Kirche lokal oder regional für den Kapitalismus verfügbar wird.

 

Es braucht Räume, die sich für Kapitalisierung öffnen, und es finden sich dann Leute, die diesen Weg gehen.

 

 

Bologna 1220-1300

 

Nach einem gescheiterten Feldzug gegen Modena konstituiert sich der Popolo neben der Kommune, offenbar unter Führung der Chefs der Artes. Wenige Jahre später werden die armi erwähnt, als bewaffneter Teil der popolanen Bewegung. 1231 tauchen die Ältesten, anziani, als gewählte Vertreter von artes und armi auf. Mit dem kollegialen Charakter dieses Amtes wird die Kollegialität des Konsulates wieder aufgegriffen, gegen den monarchischen Charakter der Podestà, und die kurze Amtszeit von wenigen Monaten sollte Eigenmächtigkeit im Amt verhindern. Anziani mussten zudem Beschlüsse einstimmig fassen, und um sie von äußerer, parteilicher Beeinflussung abzuschließen, mussten sie für die kurze Amtszeit in einem dafür reservierten Gebäude zusammenleben, ähnlich wie später das Priorat in Florenz. Anziani beraten bald den Podestà und verfügen über die laufenden Geschäfte in der Kommune.

 

1248 schließt sich der Popolo wohl vor allem nach unten ab, indem er zusätzliche Organisationen zu den inzwischen 24 società d'armi und den 22 Artes als Wahlvolk für die Ältesten verbietet. 1255 wird der erste capitano del popolo ernannt, der wie der Podestà aus einer anderen Stadt kommen muss. Für 1294 ist überliefert, dass auf diese Weise 7 000 armi und 10 000 Mitglieder der Artes politisch beteiligt sind, wobei beide Gruppen wohl zum großen Teil dieselben Mitglieder haben. Diese politische Beteiligung wird in der abendländischen Neuzeit nie wieder für längere Zeit erreicht werden (Hyde, S.115)

 

Nicht die erste Kommune, sondern erst der Popolo wird bürgerliches Denken hervorbringen und bürgerliche Politik. Dazu gehört die Vorstellung eines für den Unternehmer freien und zugleich politisch kontrollierten Marktes. Dazu wird erst der Popolo eine Gesetzgebung einleiten, die die später so genannten „feudalen“ Rechte auf dem Lande abbauen, was Bologna 1256 im Namen der „natürlichen Freiheit des Menschen“ macht, um danach dann die magnati ebenso wie die städtische Unterschicht aus der Politik auszuschließen 

 

Dennoch, die Zukunft wird überwiegend der sogenannten Signoria, der Despotie von Gewaltherrschern über die Stadt und ihr Umland gehören. Ezzelino da Romano ist er erste bedeutende unter ihnen, der von Verona und Vicenza aus im Bündnis mit Kaiser Friedrich II. und teils auf eigene Faust ein Reich von Padua bis zeitweilig Brescia aufbaut, wobei er unter dem Etikett eines Ghibellinen firmiert. Die wirkliche Macht jenseits ihrer staatlichen Ausstattung geht aber auf "die neuen Banken- und Handelsdynastien über" (Weinfurter).

 

 

Florenz vor 1240

 

Das rasche Wachstum der Stadt beruht, soweit erkennbar, auf seiner Tuchproduktion; allerdings mangelt es dazu an Quellen. Die Versorgung der Bevölkerung erforderte seit einiger Zeit Handel mit Lebensmitteln, vor allem Getreide, von immer weiter her. Das kommerzielle Netzwerk, welches dabei im Mittelmeerraum entsteht, vernetzt sich wiederum mit dem, welches die Rohwolle heranschafft und die fertigen Tuche verkauft. Die Verknüpfung mit dem Norden wiederum findet dadurch statt, dass halbfertige Tuche aus den Niederlanden importiert und in Florenz aufgewertet werden.

Vielleicht über Kontakte mit Kreuzfahrern bekommen Florentiner Firmen Zugang zu England, wo sie unter Henry III. 1224 und 1234 Privilegien erhalten. Mitte des 13. Jahrhunderts erhalten sie neben anderen italienischen Firmen Verträge zum Transfer englischer und irischer Kircheneinnahmen an den Hof der Päpste. In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts nimmt dann der von Firmen aus Florenz organisierte Export englischer Wolle nach den Niederlanden zu. Nach dem Bankrott der lucchesischen Firma Ricciardi 1301 übernehmen florentinische Firmen die Finanzierung der kriegerischen Unternehmungen der englischen Krone, was in den Bankrotten der Mitte des Jahrhunderts endet. Danach nimmt der Englandhandel langsam ab, um im Verlauf des 15. Jahrhunderts fast ganz zu versiegen und sich auf Antwerpen zu konzentrieren.

 

Florenz ist für Italien und selbst die Toskana eine späte kapitalistische Stadt, aber seine kommunale Entwicklung in die konsularische und Podestà-Verfasstheit hat bereits sich entfaltende Kapitalverwertung als Fundament. Spätestens im 12. Jahrhundert sind die großen Kapitaleigner in der Calimala vereint. Der Gemeindegedanke läuft parallel zum Gemeinschaftsgedanken, wie ihn religiöse Bruderschaften und Nachbarschaften entwickeln und er setzt als Solidargemeinschaft die noble Familie bzw. das Bündnis aus solchen Familien. Zur Solidargemeinschaft kommt die einer Verrechtlichung des gemeinsamen Gewerbes: Aufstellen von Regeln und Überwachung ihrer Einhaltung. Der noch weitgehend fehlende Staat wird ersetzt durch solche horizontaleren Organisationen.

 

Der Adel, der das berittene Militär der Stadt hauptsächlich stellt oder wenigstens anführt, besetzt auch die zentralen Positionen des Konsulats. In diese Position hinein steigen einzelne Familien des nichtadeligen Großkapitals auf, die sich schon vor den 80er Jahren des 12. Jahrhunderts in der Arte di Calimala zusammenschließen.

Anfang des 13. Jahrhunderts hatten sich die Bankiers und Geldwechsler organisiert (Cambio) und kurz darauf die Wolltuchproduzenten (Lana), dann auch die der Kürscher und Gerber (pelliciai e vaiai) . Ende des Jahrhunderts gibt es vielleicht 8o solche Organisationen, die sich nicht nur in Florenz arti nennen. Ars ist eine (Kunst)Fertigkeit intellektueller (ars liberale) oder produktiver Art (ars mechanica). Aufgenommen werden Kapitaleigner, zumindest Handwerksmeister, und freie Berufe (Professionen), die aus längerem Studium hervorgegangen sind und entsprechende Kenntnisse und Fertigkeiten verlangen (Juristen, Notare, Ärzte, Apotheker etc.). Langsam werden sie in die arti maiori und minori geteilt, wobei letztere den wenig kapitalkräftigen Teil umfassen.

 

Die Gemeinde als Ganze und diese einzelnen Gesellschaften entstehen parallel, unabhängig voneinander, aber aus verwandten Wurzeln. Artes sind Parallelgesellschaften zur übergeordneten Gemeinde. Wie diese wählen sie Konsuln, die bei innergewerblichen Konflikten Recht sprechen, wie die Gemeinde haben sie eine legislative Versammlung, die wählt und Regeln aufstellt. Wie die Gemeinde ist sie vom mittelalterlichen universitas-Gedanken erfüllt, einem allgemeinen Zuständigkeitsgedanken auf gemeinsamer Basis im selbstgewählten Bereich, wodurch sie auch Zwangscharakter erhalten.

 

In den Artes sieht sich der Popolo wirtschaftlich und rechtlich definiert, auch wenn noble Oberschicht zum Teil ebenfalls vertreten ist, in ihnen wird Bürgerlichkeit ausgebildet, um es deutsch auszudrücken. Ihre Struktur parallel zur Kommune legte es nahe, dass ihre wirtschaftliche Macht sich in ihrer Macht auf kommunaler Ebene verallgemeinert niederschlägt: Die Kommune soll eine übergeordnete Gesellschaft aus den wirtschaftlichen Gesellschaften in ihr bilden. Die Gemeinde soll von einer kapitalgetragenen zu einer durch und durch kapitalistischen, das heißt damals wesentlich bürgerlichen Stadt werden.

 

Eine Schlüsselrolle im Rahmen dieser sich so verfassenden Kapitalisierung der Wirtschaft und der Politisierung der Stadt nimmt die neue Schicht der „Gebildeten“ ein, in der die Notare auch durch ihre Menge wichtig sind. Der Notar notiert, schreibt auf, und wird dadurch nicht nur zum Literaten, sondern deshalb, weil es um zunehmend verrechtlichte Vorgänge geht, die er niederschreibt, in Grenzen zu einem Rechtskundigen, wenn auch nicht zum Juristen.

 

Notare arbeiteten für die Kirche, für Klöster, für die Kommune, die Artes, für einzelne Institutionen oder sie machten eine Privatpraxis auf, warteten auf Kundschaft und wurden Lehrer im Nebenerwerb. Als Kenner römischen Rechtes, römischer Geschichte und römischer literarischer Texte insbesondere von rhetorischen Qualitäten (dem, was damals kunstvoll meint) vermittelten sie diese Welt an Kinder des Popolo weiter. So werden bürgerliche Wertvorstellungen unter dem Einfluss der späten römischen Republik vor allem aus dem ökonomischen in einen allgemeineren und nicht zuletzt moralisierenden Raum hinein „veredelt“. Auf diesem Wege beginnen bürgerliche Kreise, Kapitalinteressen über Politisierung idealisiert aufzuwerten.

 

Handel, Gewerbe und Finanzgeschäfte machen Florenz zunächst nur zu einer zweitrangigen Macht hinter Pisa, Lucca und Siena, die sich mit den staufischen Kaisern verbünden und von ihnen besonders privilegiert werden. Die Stadt steigt, wie Pauler kurz zusammenfasst (Hartmann (Hrsg), S.301ff) nicht einfach nur aus eigener Produktion oder Handel in den vorderen Rang auf, sondern auch über den alternativen Weg des Bündnisses mit den Päpsten und später den Anjou in Süditalien. Kapitalakkumulation über Kreditgeschäfte führt dabei zu Investitionen in Handel und Produktion, woraus die großen Firmen der Oberschicht entstehen, die dabei heimische gegen bessere englische Wolle ersetzen und über Aufkaufen, Abhängigmachen oder Neugründen kleiner Gewerbe und deren Zusammenfassung und Konzentration in größeren Betrieben Finanzgeschäfte, Handel und Produktion unter einen Hut bekommen.

 

Zunächst finanziert sich die Gemeinde über direkte Steuern auf ihre Einwohner, die zum ersten Mal 1202 dokumentiert sind.

 

Im Unterschied zu den „ghibellinischen“ (waiblingisch-staufischen) Städten, die langfristig auf die Verlierer der Geschichte setzen, ist das Bündnis mit den päpstlichen Gegenspielern der Staufer als guelfisch (welfisch) etikettierte Position ein Erfolgsprogramm. Er ermöglicht entfalteten Kapitalismus, der nicht mehr einfach auf Nachfrage reagiert, sondern sich seine eigenen Märkte schafft. Ansonsten geht es um Macht und Profit. Als sich 1125 die Gelegenheit bietet, überfällt Florenz den Nachbarn Fiesole, um ihn bis auf Dom und Bischofspalast dem Erdboden gleichzumachen und sich einzuverleiben.1158 wird Mailand dasselbe mit Lodi machen. In Zukunft wird der Bürger seine Brutalität nur besser ideologisieren als der adelige Krieger.

 

Zunächst trägt Florenz noch Truppenkontingente für die Belagerung von Mailand durch Friedrich I. bei, gerät aber dann in Konflikt mit dem Kaiser über die städtischen Versuche, ländliche Feudalherren niederzuringen, die der als Bundesgenossen braucht. Die Folge ist, das Friedrich „Barbarossa“ der städtischen Machtspitze die Kontrolle über das Umland nimmt, die ihr aber Heinrich VI. bereits in gewissem Umfang  in Form von Gerichtshoheit zurückgibt. Pauler nennt Florenz nun eine „freie Reichsstadt“.

 

Mit dem Tod Heinrichs VI. und dem Zusammenbruch staufischer Herrschaft kommt dann die völlige Abkehr von der kaiserlichen Partei. 1197 organisiert das Papsttum bei San Miniato ein toskanisches Verteidigungs-Bündnis von Städten und ländlichen Herrschaften gegen die kaiserliche "Einmischung" in den de-facto-Rechtsbestand der Region. Witwe Konstanze sorgt dafür, dass ihr Sohn nicht nach Deutschland, sondern nach Sizilien gebracht wird, in ihre Heimat. 1198 sorgt sie dafür, dass er als Lehnsmann des Papstes zum sizilischen König gekrönt wird, um dann zu sterben. Seitdem ist Florenz von kurzen Episoden abgesehen „guelfisch“.

 

 

Der Konflikt zwischen Guelfen und Ghibellinen in Nord- und Mittelitalien bis wenigstens nach Rom ist von enormer Komplexität, die durch seine Etikettierung in Welfen- und Waiblinger/Stauferpartei eher verdunkelt wird. In der Zeit, in der er auftritt, gibt es noch eine vage Erinnerung an einen anderen Konflikt, in dem die mächtige Erbin des Markgrafentitels der Toskana Mathilde in engem Bündnis mit dem Reformpapst Gregor VII. einen Welfen heiratete, mitten in jenem Investiturstreit, in dem erst Heinrich IV. und dann sein Sohn die kaiserliche Partei vertraten.

 

Im Kern wird der Konflikt zwischen Reichshoheit und dem Wunsch von Städten um Selbständigkeit mit Mailand und seinen Verbündeten in der Lombardei ausgefochten. Die drakonische Härte, mit der Barbarossa 1162 das rebellische Mailand zerstört und die Bevölkerung umsiedelt, zahlt sich nicht aus, da diese die Stadt nach wenigen Jahren wieder aufbauen. Im Konflikt mit den Staufern werden Stadtgemeinden eher zusammengeschweißt und entwickeln umso mehr ihre innere Verfasstheit mit Konsulat und Podestà. Im Konstanzer Friede ist die Reichshoheit nur noch als formaler Schein erhalten.

 

Der aktuelle Konflikt zwischen Welfen und Staufern ist noch komplexer. 1197 war Friedrichs I. Sohn Heinrich VI. überraschend gestorben. Der englische König Richard I. setzt darauf seinen Verwandten Otto Welf als Thronfolger durch, was die staufische Partei in den deutschen Landen ablehnt, die Philipp von Schwaben überredet, sich  als Statthalter für das sizilische Kind Friedrich (II.)wählen zu lassen. Der Papst sieht die Gelegenheit gekommen, die drohende staufische Umklammerung seines Kirchenstaates abzuwenden, zwingt Otto Welf entsprechende Bedingungen auf, die auch die päpstliche Macht stärken würden. 1198 gibt es also zwei deutsche Könige, deren einer als Otto IV. dann vom Papst zum Kaiser gekrönt wurde, nachdem ein Wittelsbacher im Rahmen einer Fehde Philipp getötet hat.

 

Kaum hat dieser die Kaiserkrönung erreicht, wendet er sich von seinen Versprechen an den Papst ab. Deutlicher Ausdruck davon ist zum Beispiel, dass er die großen Besitzungen, die die kinderlose Mathilde (wie behauptet wurde) dem Papst(tum) vererbt hatte, als Reichsgut wieder an sich bringen wollte, das heißt, als Kaiser reihte er sich sofort in die Tradition des deutschstämmigen Kaisertums ein. Dies führt dazu, dass sich der Papst nun wieder den Staufern und damit Friedrich (II.) zuwendet, der nun seinerseits zu Versprechungen genötigt wird. Der zweite Friedrich wird den Widersacher Otto IV. los, als dieser im Rahmen des englisch-französischen Konfliktes die Schlacht von Bouvines 1214 gegen den französischen König Phillip II. August verliert, der auf staufischer Seite positioniert ist.

 

In Nord- und Mittelitalien wird guelfisch mit dem päpstlichen Universalismus und ghibellinisch mit dem entsprechenden kaiserlichen identifiziert. Tatsächlich positionieren sich die städtischen Mehrheitsfraktionen des Kapitals aber so, wie sie gerade ihre Interessen vertreten sehen. Daneben gibt es Kreise des an seiner „feudalen“ Vergangenheit hängenden ländlichen Adels, die ihren Status in der Bindung an das Reich sehen. In den Städten bilden sich Mehrheiten auch darüber, dass benachbarte Zentren des sich entfaltenden Kapitalismus zum Teil über die Kontrolle des Umlandes verfeindet sind, weshalb Florenz meist guelfisch ist, während Siena sich ghibellinisch gibt. Siegt wiederum eine Stadt militärisch über die andere, kippt dort die Mehrheit.

 

Im Kern stehen weder Kaiser noch Papst der Entwicklung des Kapitalismus negativ gegenüber, dessen Rolle und Bedeutung insbesondere die kaiserliche Seite auch nicht sehr gut durchschaut, da die Entwicklung in deutschen Landen stark nachhinkt. 

 

Friedrich II. nimmt aufgrund seiner immer wieder neu und anders prekären Lage eine Sonderstellung ein. Einerseits fördert er die kommunale Entwicklung in Augsburg gegen den bischöflichen Stadtherrn, der sich auf die Seite seines (inzwischen) päpstlichen Feindes stellt, andererseits privilegiert er weltliche und geistliche principes (Fürsten), die er als seine Stütze in Deutschland braucht. Da die kommunale Bewegung in der Lombardei seit dem 12. Jahrhundert mehrheitlich antistaufisch/antikaiserlich auf mehr Verselbständigung aus ist, tendiert er dort zur Unterwerfung, andererseits privilegiert er ghibellinische Städte als seine Bundesgenossen. Es geht auch damals nicht um Prinzipien, sondern um Interessen, solche von Macht und Herrschaft.

 

1227 kommt es zum Konflikt über den Kreuzzug mit Gregor IX. 1230 muss Friedrich auf die königliche Kirchenhoheit beider Sizilien verzichten, ein Erbe der Normannen. Friedrichs Sieg 1237 bei Cortenuova wird nicht durch einen für Mailand und seine Verbündeten akzeptablen Zustand ergänzt werden. 1239 exkommuniziert der Papst Friedrich. Kardinal Rainer setzt ihn mit dem Antichristen und dem roten Pferd der Apokalypse gleich.

 

Im Rückblick führen Autoren des bürgerlichen Florentiner Kapitals hundert oder hundertfünfzig Jahre später die zentralen innerstädtischen Konflikte auf einen Grundkonflikt zwischen feudaladeligem Großgrundbesitz im städtischen Umland und dem großen Kapital in der Stadt zurück, der am Beispiel der reichsfreundlichen Uberti beschrieben wird. Laut den Texten hatte diese Familie, die schon mal als die Mächtigsten in der Stadt beschrieben werden, bereits ein Standbein in ihr, ihr wurde aber der Zugang zum Konsulat versperrt. Deshalb sei es zu dem Bürgerkrieg von 1177-80 gekommen, indem Familienbündnisse offenbar mit den dazugehörigen Nachbarschaften (contrade) gegeneinander kämpften. Laut Villani waren diese Nachbarschaften imstande, Geld zu sammeln, um in diesem Krieg „viele“ neue Türme zu bauen, die ihrer Verteidigung dienten. Es gab viele Tote und mehrere Feuer verwüsteten große Teile der (vornehmlich aus Holz) gebauten Stadt. Danach erschienen die Uberti häufig in den Konsulatslisten. (Najemy, S.20f)

 

Für Villani ist damit der Grund gelegt für jenen zentralen Parteienstreit zwischen Guelfen und Ghibellinen, wobei diese Etikette erst nach 1240 belegt sind. Wir wissen, dass es sich um die Zeit handelt, in der Florenz sein Umland in immer weiterem Radius unter städtische Kontrolle bringt, mit den daraus folgenden Konflikten mit dem ländlichen Kriegeradel, und dass es Versuche gab, diesen soweit in die Stadt zu zwingen, dass er in deren Interessenwelt integriert werden kann. Der Rest bleibt im Dunkeln.

 

Wie das von einem anonymen (bürgerlichen) Florentiner Chronisten des 13. Jahrhunderts gesehen wird, um dann in die Tradition einzugehen, die Dante in der 'Comedia' aufnimmt, gibt noch ganz andere Aspekte dieser Parteien-Etikettierung in ideologischer Durchfärbung wieder. Beschrieben wird ein ritterlich-adeliger corte anlässlich der Erhebung eines vornehmen jungen Mannes in den Ritterstand auf einem Dorf bei Florenz, bei dem sich einer der vornehmen Herren, Uberto degli Infaganti, von dem obligaten professionellen Spaßmacher humorloserweise beleidigt fühlt. Darauf schilt ihn der genauso vornehme Oddo Arrighi die Fifanti aus, worauf der erregte Uberto nun ihn beschimpft. Der nimmt nun einen mit Speisen belegten Teller und haut ihn dem Uberto ins Gesicht. Die allgemeine Erregung steigert sich in ein Waffengetümmel, in dem ein junger Nobler, Buondelmonte dei Buondelmonti, Oddo mit einem Messer am Arm verletzt.

 

Man sieht, im dreizehnten Jahrhundert werden die Geschichtsquellen plastischer, was ihren „Wahrheits“gehalt nicht immer steigert. Aber an der Geschichte ist wohl auch ereignismäßig etwas dran, wozu auch gehört, wie das obere Bürgertum seine Magnatenkonkurrenz sah: Sie handelt nach diesem Bericht nicht höfisch, sondern villanamente, also eher rüpelhaft.

 

Nun sammelt der etwas verletzte Oddo Arrighi die Häuper verbündet-befreundeter Familien um die Amidei herum zu einem Kriegsrat um sich, und man rät ihm, den Frieden wieder herzustellen, indem er seine Nichte dem jungen Buondelmote zur Frau verspricht und dieser genötigt wird, sie auch zu nehmen. Heiraten sind Familienbündnisse in diesen Kreisen. Der junge Mann stimmt zu.

Während die Hochzeitsvorbereitungen laufen, nähert sich die Frau des Chefs der Donati-Familie, Gualdrada, ebenfalls große Magnaten, und macht Buondelmonte klar, dass eine so ihm aufgezwungene Heirat seine Ehre verletze, er solle lieber ein Mädchen aus dem Hause Donati heiraten, und zwar aus freien Stücken. Der junge Mann, beschwatzt, stimmt wieder zu.

Den mit der Amidei-Partei und der Arrighi-Familie vereinbarten Hochzeitstermin lässt der junge Buondelmonte sausen und verlobt sich genau an diesem Tag mit dem Donati-Mädchen, welches natürlich kein Mitspracherecht in diesen Kreisen hat. Diese Ehrverletzung können die Amidei/Arrighi/Uberti&Co nicht auf sich sitzen lassen. Sie überreden Oddo Arrighi, Buondelmonte zu töten, um die Schmach zu löschen. Eine daraus resultierende Vendetta der Familie des Getöteten sei nicht zu erwarten, da dieser ohne Absprache mit seinem Vater gehandelt habe, womit die nicht notwendig betroffen sei. Aber mit der Ermordung des jungen Buondelmonte lebt dann doch eine Dauerfehde seiner Familie und ihrer verbündeten Familien mit der Amideifraktion in der Magnatenschicht auf. So sei der Konflikt zwischen Guelfen und Ghibellinen in Florenz entstanden.

 

Die Personalisierung dieses weit über hundertfünfzig Jahre andauernden Parteienstreites als eines zwischen Magnatenfamilien, ist überzogen und wenig wahrscheinlich als hauptsächlicher Auslöser des Konflikts. Aber sie macht deutlich, dass die Geschichte sich nicht auf „objektive“ Interessen reduzieren lässt, selbst wenn diese sich in der Regel durchsetzen. Die Art, wie die Geschichte vom Chronisten erzählt wird, beinhaltet bürgerliche Denunziation des ritterlich-adeligen Ehrbegriffs, der Oberfläche höfischer Manieren, der Gewalttätigkeit dieser Leute (die außerdem in der Regel auch Geschäftsleute sind) und vieles mehr (Najemy, S.13ff). Aber sie zeigt auch, dass es nicht einfach um Kapital gegen Grundbesitz, Bürger gegen Adel oder Reich gegen Papsttum geht. Hier wird der Auslöser als Konflikt unter Magnaten beschrieben. Es geht um wirtschaftliche Macht und politischen Einfluss vor allem – was der Chronist auslässt, der in diesem Konflikt wie fast die gesamte Schicht der großen Kapitaleigner selbst Partei ist.

 

In dem Maße, in dem das bürgerliche Großkapital die ritterlich-adeligen Magnaten aus den Spitzenämtern verdrängen wird, wird es von dort aus versuchen, in gewalttätigen Konflikten unter ihnen, die oft auch die Stadt in Mitleidenschaft ziehen können, Druck auszuüben, einer amtlichen Friedensvermittlung zuzustimmen. Damit entgehen Magnaten weiter der verbürgerlichenden Justiz, wahren ihr Gesicht und ihren Ehrenkodex, und die Stadt profitiert zugleich. Ergebnisse solcher Verhandlungen werden fixiert, durch den Friedenskuss beider Parteien ratifiziert und durch hohe Strafgelder, für die befreundete Familien geradestehen müssen, abgesichert.

 

Die populare/popolane Kommune

 

Der sich entfaltende und siegreiche Kapitalismus ist zunächst einmal ein Vorgang der Kapitalisierung von Besitztümern. Dabei wird mobiles Kapital investiert und Immobilien als Grundbesitz werden zudem zur stillen Reserve, die Kredit schafft. Das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit stellt sich zunächst sehr vielfältig und uneinheitlich dar. Das Handwerk kennt den Meister als Kapitaleigner, und die vertraglich an ihn und seine Familie gebundenen Gesellen und Lehrlinge, in der Regel jeweils sehr wenige. Handel und Banken haben Angestellte. Es gibt keine einheitliche Arbeiterschaft. Dagegen gibt es von vorneherein ein städtisches Proletariat, wenn man es nämlich als Schicht der Besitzlosen (die nur ihre proles, Nachkommenschaft ihr eigen nennen) definiert. Es füllt sich mit denen, die weiterhin eigentumslos in die Städte strömen.

 

Eine eigentliche Lohnarbeiterschaft, die ihre Arbeitskraft frei auf dem Markt anbietet, anbieten muss, entstand wohl in größerem Umfang zunächst in den Steinbrüchen und im Baugewerbe, welches sich aber erst einmal auf Kirchen, Klöster und die steinernen Häuser der Reichen beschränkt. Dazu kommen die Besatzungen von Handelsschiffen. Ähnlich auf dem Markt sind junge unverheiratete Frauen als Dienstboten und in deutlich geringerem Umfang auch als Prostituierte.

 

Mit der Kapitalkonzentration wird die Lohnarbeiterschaft nicht nur vom Lande her aufgefüllt, sondern von innen heraus durch das Absinken von Teilen der Handwerkerschaft, am besten zu verfolgen in der Textilproduktion. Sobald Handwerker bei der Rohstoffzufuhr und beim Warenabsatz von größeren Kapitaleignern abhängig werden, geraten sie in Formen eines Verlagssystems, welches dazu führt, dass ihr Besitz entkapitalisiert wird, sie werden von fremdem Kapital abhängig bis hin zur Verschuldung. Dem äußeren Schein nach noch Handwerker, und in ihrem Betrieb nach innen noch Chef, sind sie nach außen vom Markt abhängige Arbeitskräfte, wenn auch von ihrer Seite aus relativ fest an Kapitaleigner gebunden.

 

Darüber hinaus entsteht eine Arbeiterschaft durch die Eigenbetriebe von Kapitaleignern, die in der Regel für die einzelnen Arbeitsschritte nur eine Handvoll Arbeiter beschäftigen, Facharbeiter würde man heute sagen, aber diese können im Laufe der Zeit schon mal die hundert überschreiten, wenn man die ausdifferenzierten Arbeitsschritte addiert.

 

Zwischen Lohnarbeit, von übergeordnetem Kapital abhängigem Handwerk und den vielen, die selbständig bleiben, bildet sich kein einheitliches Bewusstsein heraus, sie sind von ihren Interessenlagen her getrennt. Die Zahl großer Kapitalisten bleibt überschaubar, und sie teilt sich wieder in die unterschiedlichen Interessen des produktiven und des distributiven Geschäftes samt der Finanzgeschäfte, die dann aber oft in einer Firma vereinigt werden, außerdem in die alten Familien einer Art Stadtadel, und die man Magnaten oder Granden nennt, und die neueren, die man daran erkennt, dass sie zunächst keinen Familiennamen haben, sondern durch die Namen von Vater und Großvater kenntlich gemacht werden.

 

Ökonomische Situation und politische Interessen stehen in vielfältigen und schwankenden Zusammenhängen. Im Kern bleiben Städte gebunden an die Interessen des großen Kapitals, sobald dieses die neuen Städte übernimmt und sich dort auch im Zentrum, und wo vorhanden, in der Nähe der Bischofskirche, dem alten Kern, oder in direkter Opposition dazu ansiedelt. Das einigermaßen selbständige Handwerk versucht über seine Organisationen Einfluss zu gewinnen, aber selbst, wo das gelingt, konzentriert sich der auf die Spitzen der wohlhabenderen Zünfte. Die Arbeiterschaft begehrt selten auf und dann nur, um wenigstens mit den einflusslosesten Zünften gleichzuziehen, was schnell wieder verhindert wird.

 

Im Kern drückt sich der politische Einfluss nicht in dem einzelner Kapitalfraktionen aus (wie heute), sondern grundsätzlich entweder in der nicht nach Gewerbe unterschiedenen Masse an vorhandenem Kapital, was heißt, dass eine kleine Gruppe großer Kapitaleigner, die sich im Laufe der Zeit je nach Konjunkturen der Gewerbe aber unterschiedlich zusammensetzt, zunächst den alten Stadtherren die Kontrolle über die Stadt abnimmt und sie dann von kurzen Unterbrechungen abgesehen behält. Der größte innere Konflikt ist dabei der zwischen den sogenannten Magnaten und den jeweils neueren Familien, die großes Kapital einsetzen können. Teile des selbständigen Handwerks werden dabei je nach Notwendigkeit als Bündnispartner einbezogen.

 

Die innere Verfasstheit einer kapitalistischen Stadt ist etwas Neues, ohne Vorbilder, auch wenn die Versuche einer Identifikation mit dem römischen Städtbürger, d.h. dem cives der römischen Oberschicht, zunehmen. Die Wirklichkeit der tastenden Versuche, die politische Machtverteilung zu verrechtlichen, also zu befrieden, ist latente und immer wieder aufflackernde ganz handfester Gewalt bis hin zu offenem „Bürgerkrieg“.

 

Die Begrifflichkeit ist dabei außerhalb der Magnatenkreise mit ihrer offenen Arroganz der Macht dazu angetan, die Machtverhältnisse eher zu verschleinern. Der Begriff Kommune formuliert ein gemeinsames Interesse, an dessen Ausagieren die Mehrzahl der Menschen nur passiven Anteil hat. Der Begriff Republik suggeriert Verselbständigung der Städte gegen fürstlich-monarchische Bestrebungen, hat aber mit der antiken civitas wenig zu tun. Der Begriff iustizia meint Verrechtlichung, wird aber gerne auch im Sinne von Gerechtigkeit benutzt, worunter jede Interessengruppe verstehen konnte, was sie gerade wollte. Die bescheidensten Ansprüche daran hatten die Arbeiter, die grandiosesten die Magnaten.

 

Was die Städte grundsätzlich von denen der Antike unterscheidet, ist, dass die sie tragende Schicht oder besser die sie begründenden Gruppen nicht mehr aus den Renditen von Großgrundbesitz hervorgehen, sondern aus unternehmerischem Handeln immer wieder neu entstehen, durch Investition und Innovation. Das verlangt neue Formen städtischer Selbstorganisation und neue Begründungszusammenhänge, die sich ständig verändern.

 

Dynastische Reichsbildungen wie in den verschiedenen Nachfolgegebilden des Frankenreiches der Karolinger können an Traditionen seit der Völkerwanderungszeit anknüpfen und an die gedankliche Einheit von Kirche, Religion und Herrschaft. Die neuen Städte, Geschöpfe des Kapitalismus, tun sich schwer damit, denn unverhohlenes Gewinnstreben und Christentum gehen erst zusammen, wo das Christentum substantiell an dieses adaptiert, also de facto nun endgültig seiner Substanz beraubt ist. Anders gesagt, aus dem wirtschaftlichen Unternehmertum muss eine politische Initiative aus unternehmerischem Geist hervorgehen. Dort, wo die Städte im Rahmen der neuen Reichsbildungen nach der Karolingerzeit entstehen, bleibt ständig ein Bezug zwischen dieser Entwicklung und der der entstehenden neuen Formen von Herrschaft als Staatlichkeit, in die Städte dort einbezogen bleiben und der sie immer mehr oder weniger unterworfen sind. Deshalb lässt sich die Entwicklung der kapitalistischen Städte nirgendwo so in Reinform betrachten wie in Nord- und Mittelitalien bis um 1500, wo sie nicht nur an innerer Erstarrung, sondern eben auch durch Einbeziehung in die ausgreifenden Expansionsgelüste der Königreiche (Frankreich, Spanien, England) ihr bisheriges Eigenleben verlieren.

 

Die Betrachtung der Entwicklung nord- und mittelitalienischer Stadtstaaten zwischen 1100 und 1600 krankt in der Regel an folgenden Problemen: Da ist die Faszination, die Baukunst, Bildhauerei, Malerei und für einige wenige auch Literatur und Musik erregen, von denen einiges bis heute lebendig bzw. sichtbar geblieben ist. Das verbindet sich oft mit der Faszination, mit der diejenigen betrachtet werden, die all das nachgefragt und finanziert haben, eine kleine und reiche Elite in den Städten. Zwar waren die Künstler Handwerker, die zunächst aus einfachen Verhältnissen kamen und überwiegend auch dort blieben, bevor es dann einzelne zu Geld und Ansehen brachten, aber ihre Kunst repräsentierte nicht die (Vorstellungs)Welt der Masse der Bevölkerung, sondern die einer Minderheit, die sich wiederum über öffentliche Werke der Mehrheit aufprägte.

Im nicht immer sehr konsequenten Widerspruch dazu standen jene Vulgärmarxisten, die versuchten, dem mittleren Bürgertum der Zünfte Sympathien wegen dessen Vertretung eines zukunftweisenden Fortschrittsgeistes und einer Arbeiterschaft möglichst noch mehr davon als der Kraft, der dereinst die messianische Rolle einer Erlösung von jeder Geschichte zufallen sollte.

 

Inzwischen ist letzterer Glaube geschwunden, aber es gibt seitdem eine gewisse pflichtschuldige Neigung, zwischen Mittelschichten und Unterschichten irgendwie einen Maßstab des eigenen Urteils zu finden, einen Standpunkt, von dem aus die Dinge sich betrachten ließen, gepaart mit dem Gedanken, dass ein funktionsfähiges Gemeinwesen ein Wert an sich sein müsse, und darum vielleicht sogar oberstes Kriterium.

 

Eine Betrachtungsweise, die Menschen nicht als Agenten ökonomischer, sondern primär als Formulierer und Durchsetzer politischer Interessen sieht, wird nicht aus jener kritischen Distanz die Verhältnisse betrachten können, die zumindest tendenziell und implizit durch Parteinahmen unterlaufen wird. Wenn zum Beispiel jene sehr eingegrenzten Kreise, die die Gemeinden des 12. bis 16. Jahrhunderts gestalten, davon redeten, dass die Masse der Bevölkerung genau dazu außerstande sei, so stimmt das zwar, denn es war so, wie jeder wissen kann, und es bleibt so bis in die Gegenwart, aber es erhält in den Schreibstuben von Historikern längst den Beigeschmack unangenehmer Arroganz. Dass der Kapitalismus eine immer klein bleibende Gruppe großen Reichtums, aber eine immer breitere Schicht zunehmender Wohlhabenheit schafft, und erst darunter eine noch größere Schicht besitzloser Arbeiter und sonstiger Proleten, macht es nicht leicht, denn Historiker sind mit der Finanzierung ihres Berufs seit Anbeginn und bis heute unmittelbare Nutznießer dieser Entwicklung, auch wenn das klassische Proletariat inzwischen weitgehend in die ehemaligen Kolonien ausgegrenzt und ansonsten in die ersten Generationen der von dort immigrierenden ethnischen Gruppen ausgelagert ist.

 

Jene Civilitas, Zivilisierung, an der die Unterschichten am wenigstens Anteil hatten, auf der aber Berufswelt und alltägliches Leben der professoralen bzw. nach solcher Anstellung suchenden Historiker beruht, wurde der Unterschicht und meist auch den Mittelschichten damals abgesprochen. Zwar nach und nach an minimale Lese- und Schreibkünste und auch noch minimalere Rechenkünste gelangend, blieb diese Masse der Bevölkerung tatsächlich politisch desorientiert, strebte hin und wieder nach etwas Partizipation am Wohlstand, nach Beteiligung an den institutionellen Strukturen und das heißt, nach einem kleinen bisschen Anteil am Kuchen, der ohne seine Arbeit niemals gebacken würde. Aber einen eigenen Anteil an der Entwicklung haben sie nur durch ihre Arbeit und als Drohpotential, welches immer wieder zumindest die oberen Mittelschichten mit der Oberschicht zusammenschweißte.

 

Daran hat sich später insofern nichts geändert, als auch in den Demokratien des 19. und 20. Jahrhunderts vor ihrer Entindustrialisierung die Masse der Bevölkerung in nichts als dem gelegentlichen Wahlakt Anteil am politischen Geschehen hatte, passive Manövriermasse und gelegentlich Drohpotential politischer Fraktionen war, welche sie für ihre Zwecke missbrauchte

 

Die Versuche, den Aufstieg des frühen Kapitalismus zu verstehen, leiden vor allem daran, dass, wenn man das gedanklich leicht fixierbare Verhältnis von Kapital und Arbeit verlässt, indem man sich den Akteuren in ihrer historischen Wirklichkeit nähert, man dann daran scheitert, wenn man versucht, diese in Klassen, Stände oder Schichten zu ordnen. Die Wirklichkeit des Kapitalismus widerstrebt dem klassifizierenden Ordnungssinn.

 

In ihrer eigenen Diktion entwickeln die Städte (zurück in Mittel- und Norditalien) einen Begriff von Nobilität, der von höfisch geprägten Vorstellungen von Ritterlichkeit durchsetzt ist, und einen popolo-Begriff, der ein bürgerlicheres Selbstverständnis beinhaltet. Beide Gruppen sind Kapitaleigner und zunehmend wesentlich große Kapitalisten: Händer, Bankiers zunächst vor allem. Teile des produktiven Sektors und der freien Berufe versuchen, in den popolo hinein aufzusteigen oder sich ihm eh zugehörig zu fühlen. Die Masse derer, die in deutschen Landen bald abschätzig „Volk“ heißen wird, gehört nicht dazu. 

 

Konflikte zwischen Kapital und Arbeit finden selten politisiert statt, stattdessen solche zwischen „Adels“Familien als Fehden, oder zwischen den sich nobel fühlenden älteren Familien und den jüngeren des weniger edlen großen Kapitals, die um Macht und Einfluss konkurrieren. Dazu kommen solche zwischen dem etablierten Popolo und denen, die dazugehören wollen, und die immer wieder ausgeschlossen werden.

 

Ökonomisch definierte Schichten und politisch definierte Gruppen sind nicht dasselbe. Während in Florenz in der Calimala vor allem sich nobel gebende Kapitalisten vereint sind, dominieren in den anderen Artes die „bürgerlichen“ Kapitaleigner. Die Cambio teilten sich noble und bürgerliche Kapitalisten, in der Lana kommt die Trennung in jene bürgerlichen Sektoren für Hoch-Qualitätstuche und jene für eher schlichtere Massenware dazu. In anderen wiederum ist das kleinere Kapital stärker vertreten.

 

Nachdem die Kommune bislang von „feudalem“ Grundbesitz und alt-adeligem bzw. sich adelig gebendem Kapital beherrscht war, wird mit dem Drängen des bürgerlichen Kapitals in die städtische Macht der Popolo-Begriff zentral zu einem politischen. Er bedient sich dabei ständischer Begrifflichkeit in der Umdefinierung der nobilitas in eine nobeltate des Herzens und der Mitmenschlichkeit und der Umdefinierung des Ehrbegriffs in den kaufmännischer Ehrbarkeit und bürgerlicher Rechtschaffenheit. Als Referenz entdeckten diese Leute Wertvorstellungen in Texten der späten römischen Republik (Cidero, Vergil und andere).

 

Die Teilhabe an der politischen Macht wird in Momenten der Schwäche der gerade Mächtigsten gewaltsam erkämpft. Das konnten bewaffnete Konflikte innerhalb von dieser sein, militärische Niederlagen nach außen oder oft mit Kriegen zusammenhängende finanzielle Krisen der Kommunen. Dabei sind die militärischen und politischen Organisationen des Popolo auf gehobenere Kreise des Besitzbürgertums beschränkt, was die bürgerliche Unterschicht des öfteren in die Arme des Adels treibt.

 

Hyde sieht die Kommune als Organisationsform aus Teilen des Stadtadels und des bürgerlichen Großkapitals. Der Popolo entsteht dementsprechend als zweite, entsprechende Organisationsform eines neu aufsteigenden großen und mittleren Kapitals samt den Spitzen des wohlhabenderen Handwerks. Entweder tritt er im Ringen um Macht und Einfluss direkt gegen die Kommune an, oder er nutzt Parteienkonflikte innerhalb der Mächtigen der Kommune für seinen Aufstieg. Um letzteres zu belegen, fasst er Gerardo Maurisios 'Cronica dominorum Eccelini et Alberici fratrum de Romano' zusammen, deren Parteigänger er war:

 

Ende des 12. Jahrhunderts war die Spitze von Vicenza in die Parteien der Vivaresi und des Grafen von Vicenza gespalten, was zur Ernennung von zwei Podestà nebeneinander und gegeneinander führte. Dieser Konflikt ermöglicht es 1207 dem Popolo, einen eigenen Podestà durchzubringen, der vorher das Amt schon in Mailand innegehabt hatte. Sein popolaner Nachfolger versucht, Geiseln vom Adel zu erhalten, die dessen friedliches Verhalten garantieren sollten. Die Vivaresi setzen ihn ab. 1215 wurde eine neue, Anti-Romano-Kommune gebildet, die 1217 ein Drittel aller städtischen Ämter besetzt. Die da Romanos mit ihrer Mittelschicht-Klientel werden aus der Stadt vertrieben. In den folgenden Jahren arbeitet der vicentinische Popolo mit der popolanen communanza von Verona zusammen, wo die da Romano an die Macht kommen. Das Ganze ändert sich für Vicenza erst, als sich die da Romanos 1235 mit Friedrich II. verbünden, der im folgenden Jahr die Stadt stürmt und den Romanos übergibt, die dort dann bis 1259 herrschen (Hyde S.109f).

 

Seit den Versuchen der Staufer, kaiserlich/königliche Macht über Nord- und Mittelitalien wiederherzustellen, teilen sich solche politökonomischen Parteiungen überall auch ohne Deckungsgleichheit, wie schon gesagt, in Parteigänger der Staufer (die Ghibellinen bzw. Waiblinger) und – in Unkenntnis der Verhältnisse in Deutschland und der Rolle der welfischen Opposition dort – in Guelfen (Welfen). Grob gesagt, waren das diejenigen, die ein Minimum königlicher Zentralgewalt als Ordnungsfaktor bejahten und die Vertreter „souveräner“ bürgerlichen Städte. Das guelfische Element zerfiel dabei zunehmend in sich wiederum feindlich gegenüberstehende Parteiungen.

 

In der Ansicht von Hyde konstituiert sich der Popolo institutionell, und das ist auch leicher fassbar als seine soziale Konstitution. Gegen die aristokratische Kommune setzt er die der nichtadeligen Kapitaleigner. Aber der Verschwommenheit des Adelsbegriffs steht der einer Schicht nicht nach, die genauso unklar im Deutschen als Bürger bezeichnet wird. Da die Spitzen dieses Popolo immer wieder nach aristokratischer Lebensform streben, und zugleich das Handwerk jener Kapitaleigentümer, deren unternehmerischer Spielraum eng begrenzt ist, in diesen Popolo hinaufdrängen, entzieht sich popolo einer präzisen Definition, kann höchstens Momentaufnahme sein, was die historische ohnehin von der normativen soziologischen Sichtweise unterscheidet. Eine gewisse Trennlinie lässt sich im Nachherein dadurch ziehen, dass man zwischen Kapital mit Spielräumen größerer Investitionen und jenem Handwerk unterscheidet, welchem kaum flüssiges Kapital zur Verfügung steht. Der Kapitalismus macht insbesondere im Bereich des investiven Kapitals enorme Aufstiegschancen möglich: Während großes Kapital in Magnatenkreise aufsteigt, füllen sich dessen Ränge mit „Neureichen“, von oben verachtet und von unten bewundert.

 

Weiter erschwert werden Definitionen durch die Professionalisierung von Dienstleistungsbereichen in „freie Berufe“ hinein, die sich in der Neuzeit als wesentlicher Teil des „Bürgertums“ nach deutschen Sprachregeln begreifen werden. Neben dem medizinischen Sektor und den Lehrern und noch vor ihnen ist da der Aufstieg einer breiten Schicht von Rechtskundigen im weitesten Sinne erkennbar. In großen Städten gibt es um 1300 zwischen hundert und hundertfünfzig Richter, die sich als Teil des Popolo begreifen, die Zahl der Notare ist um ein Vielfaches höher, in Mailand oder Bologna mochten es tausend sein (Hyde, S.167)

 

Die unterschiedlichen Sammelbegriffe für solche Leute (professions, freie Berufe, Akademiker etc.) machen schon deutlich, wie schwer sie begrifflich zu fassen sind. Ein Studium der Rechte ist inzwischen zudem für den Sohn eines Ritters längst nichts ungewöhnliches mehr, andererseits ist über Protektion und ein Stipendium ein Studium oder etwas ähnliches auch für Kinder kleinerer Leute nicht ausgeschlossen. Popolo ist bald nicht nur Begriff für Kapitaleigner, sondern auch für professionalisierte Dienstleister.

 

Ein Problem dieser "freien Berufe" wird schon damals, dass man für die Ausübung eines solchen entweder eine Festanstellung braucht, und solche Posten sind rarer als die Bereitschaft junger Leute, eine solche Karriere anzustreben. Jenseits davon kann man seine Dienste auf dem Markt anbieten, aber die Zahl der Klienten steigt langsamer als der Nachwuchs für diese "Berufe". Das schafft einmal eine verlängerte Jugend und die durch sie ausgelöste öffentliche Unruhe, was aber auch für solche Erben von Kapitalien gilt, die lebenslang unter der Fuchtel des Firmenpatriarchen bleiben. Zum anderen aber, und das wird im Laufe der Zeit bedeutsamer werden, schafft es eine Schicht von Leuten, die ihre Dienste nicht nur rechtfertigen, sondern aufzuwerten suchen. Sie müssen sich dabei auf eine zahlungskräftige Klientel hin orientieren, und das sind die Mächtigen in Wirtschaft und entstehender Staatlichkeit, und diese Vertreter von Professionen werden beide strukturell stärken. Das gilt dabei auch für die sich ganz langsam aus dem allgemeinen Handwerk heraus emanzipierenden "Künstler", die allerdings zum Teil dann allerdings danach streben, ihre Werkstatt zu einem kapitalintensiveren Unternehmen auszubauen, und natürlich auch für die Schriftsteller, die entweder selbst vermögend sind oder aber der Protektion durch die Mächtigen bedürfen.

 

Neben der Partizipation an Ämtern oder der zeitweilig kompletten Übernahme der Macht durch die Oberschicht des Popolo stand die Befreiung der ländlichen Arbeit aus der persönlichen Bindung an ihre adeligen Herren. Dies diente nicht nur der Schwächung des Landadels, sondern auch der wirtschaftlichen, fiskalischen und rechtlichen Vereinheitlichung des Territoriums der Städte. Die aus ihren Bindungen gelöste Landbevölkerung wurde dadurch billiges Arbeitskräftereservoir für die Städte, sorgte aber zugleich für eine weitere Proletarisierung der städtischen Unterschicht, die zur Manövriermasse für Demagogen wurde. Wichtiger noch war, dass die Kapitalisierung des Landes, die Integration der Landbevölkerung in den Markt und die Ausweitung der Warenwelt auf das Land dieses zu einer Einnahmequelle der Stadt wird.

 

Bologna 1220-1300

 

Nach einem gescheiterten Feldzug gegen Modena konstituiert sich der Popolo neben der Kommune, offenbar unter Führung der Chefs der Artes. Wenige Jahre später werden die armi erwähnt, als bewffneter Teil der popolanen Bewegung. 1231 tauchen die Ältesten, anziani, als gewählte Vertreter von artes und armi auf. Mit dem kollegialen Charakter dieses Amtes wird die Kollegialität des Konsulates wieder aufgegriffen, gegen den monarchischen Charakter der Podestà, und die kurze Amtszeit von wenigen Monaten sollte Eigenmächtigkeit im Amt verhindern. Anziani mussten zudem Beschlüsse einstimmig fassen, und um sie von äußerer, parteilicher Beeinflussung abzuschließen, mussten sie für die kurze Amtszeit in einem dafür reservierten Gebäude zusammenleben, ähnlich wie später das Priorat in Florenz. Anziani beraten bald den Podestà und verfügen über die laufenden Geschäfte in der Kommune.

 

1248 schließt sich der Popolo wohl vor allem nach unten ab, indem er zusätzliche Organisationen zu den inzwischen 24 società d'armi und den 22 Artes als Wahlvolk für die Ältesten verbietet. 1255 wird der erste capitano del popolo ernannt, der wie der Podestà aus einer anderen Stadt kommen musste. Für 1294 ist überliefert, dass auf diese Weise 7 000 armi und 10 000 Mitglieder der Artes politisch beteiligt waren, wobei beide Gruppen wohl zum großen Teil dieselben Mitglieder hatten. Diese politische Beteiligung wird in der Neuzeit nie wieder für längere Zeit erreicht werden (Hythe, S.115)

 

Nicht die erste Kommune, sondern erst der Popolo wird bürgerliches Denken hervorbringen und bürgerliche Politik. Dazu gehört die Vorstellung eines für den Unternehmer freien und zugleich politisch kontrollierten Marktes. Dazu wird erst der Popolo eine Gesetzgebung einleiten, die die später so genannten „feudalen“ Rechte auf dem Lande abbauen, was Bologna 1256 im Namen der „natürlichen Freiheit des Menschen“ macht, um danach dann die magnati fast so aus der Politik auszuschließen wie die städtische Unterschicht.

 

Florenz 1240-1308

 

Quasi komplementär zum Reichtum des Handels und der Finanzleute entstanden die ersten Bettelorden, nicht zufällig von Söhnen properierender Kaufleute gegründet, dem Umbrier Franziskus und dem Spanier Dominikus. Das anfänglich von ihnen gegen die Gewohnheiten der zeitgenössischen Weltkirche und der Ordensgemeinschaften gepflegte Armutsideal führt sie in die Städte, wo sie nicht nur betteln und predigen, sondern Zentren städtischer Gelehrsamkeit ausbilden. Indem sie aufrufen, den neuen Kapitalismus öffentlich zu moralisieren, dabei aber durchaus von ihm auch profitieren, beteiligen sie sich an der Christianisierung des Kapitalismus bzw. besser der Integration von Religion in die neuen Gegebenheiten.

 

Nicht nur an ihren Schulen, sondern in ihren Predigten führen sie die neue Bedeutung der Rhetorik vor, die ihren vornehmsten Platz dann im Rahmen der Politisierung der Städte findet: Die überzeugende Rede soll an die Stelle der gewaltsamen Konflikte im Inneren der Stadt treten. Mit der Inquisition werden die Dominikaner seit 1244 Teil des städtischen Machtgefüges auch in Florenz. Glaubenseifer, der sich in Ketzerei und Häresien äußerte, neigte in den Jahrhunderten zuvor auch dazu, besonders städtische Unterschichten und Kleinbürgertum zu erreichen und hatte so leicht auch eine politische Komponente. Eine andere sehen die Florentiner Texte des 13./14. Jahrhunderts, eine enge Verbindung nämlich zwischen ghibellinischer Oberschicht und dann überhaupt Magnatentum und Häresie. Während die Kämpfe zwischen Guelfen und Ghibellinen in Florenz toben, wird abweichender Glaube in wenigen Jahren mit aller Gewalt vernichtet oder zumindest aus der Öffentlichkeit vertrieben. Dabei politisiert sich ein enger Zusammenhang zwischen zu christianisierendem Kapitalismus und Bettelorden, insbesondere dem der Franziskaner.

 

Dazu ist etwas weiter auszuholen. In der Zeit der Kirchenreform und monastischer Erneuerungsbewegungen entwickeln sich auch christliche Reformbestrebungen, die nicht in kirchlicher oder anerkannt klösterlicher Institutionalisierung enden. Dabei ragt die von ihren Feinden Katharer genannte Großrichtung heraus, zu deren Bekämpfung sich dann besonders die Dominikaner aufmachen werden. In Frankreich später auch Albigenser genannt, in Italien Pataria, handelt es sich um eine die partielle Rejudaisierung des Christentums der letzten tausend Jahre ablehnende Richtung, die aus dem Evangelium insbesondere des Johannes einen klaren Leib-Seele/Geist-Dualismus ableitete, der die Nachfolge Jesu nicht ganz unplausibel in eine möglichst hohe Abwertung des Körpers zugunsten einer geistig/geistlichen Existenz verlangte, möglichst radikale Spiritualisierung also, die in mehreren Stufen zu erreichen war, deren erste nach einer Zeit der Einweisung mit der consolatio (wörtlich:Tröstung erreicht wird), einer Art (gar nicht protestantischer) Konfirmation für Erwachsene. Das höchste Stadium erreichen die Vollkommenen, die perfecti. Diese Vorstellung der möglichen Vergeistigung von Laien musste den Hass der Kirche auf sich ziehen, was benachbarten ganz weltlichen Machtinteressen den Vorwand zu ihrer Eroberung und Unterwerfung lieferte, weniger noch den Kaisern gegen die Patarini Norditaliens als den französischen Königen, die damit die Unterwerfung und Einverleibung Südgalliens einleiteten.

 

Solche radikale Fromme gab es seit dem 11. oder spätestens seit dem 12. Jahrhundert auch in Florenz, obwohl wir kaum etwas über sie wissen, und die Kirche ihnen nach Möglichkeit und mit Hilfe auch weltlicher Gewalt das Leben schwer machte. Aus den wenigen halbwegs gesicherten Nachrichten lässt sich entnehmen, dass ein dem zumindest ähnliches Christentum auch in Kreise der Oberschicht und des Adels eingedrungen war und besonders auch Frauen dort erreichte, denen mehr eigene christliche Spiritualität und damit eine stärkere Rolle zugesprochen wurde als in der katholischen Christenheit. Bis zur Inquisition waren diese Leute wohl öffentlich sichtbar, und als sie durch Tod und Verfolgung dann zurückgingen, lebten sie, wie großbürgerliche Autoren später schrieben, besonders in Kreisen des alten Adels und dann der ghibellinischen Magnaten weiter, was sich aber nur wenig belegen lässt.

 

Jedenfalls werden Ghibellinen dieser „Katharer“-Häresie beschuldigt, was der guelfischen Sache noch ein religiöses Lichtlein aufsetzt. Daneben werden dieselben Kreise aber auch eines „Epikureismus“ beschuldigt, wiewohl damals kaum jemand Schriften des Epikur kannte. Aber da dieser es weder mit einer religiös definierten Seele, noch mit dem ewigen Leben noch mit einem oder mehreren Göttern hatte, wie man offenbar „wusste“, wurde Ungläubigkeit bis hin zum Atheismus damit verbunden.

 

Daneben mag die dunkle Ahnung von einem platten Hedonismus, in den man vielleicht Epikurs philosophisch gewonnene hedoné banalisierte, wie immer wieder seitdem mitgespielt haben. Schließlich sah die guelfische Oberschicht in den jeweiligen ghibellinischen Feinden und ihrer adelig-“ritterlichen“ Lebensführung mit ihrem corte und ihrer cortesia einen Ausdruck verderblicher (unchristlicher) Lebenslust, einen Hort der Unmoral, von dem sich bürgerliche Ehrbarkeit und Kaufmannsmanieren absetzen, und der gut zu Atheismus zu passen schien.

 

Der sehr bürgerliche und zunächst reiche Villani bringt Anfang des 14. Jahrhunderts im Rückblick nicht nur Häresie (also der Kirche unheimliche Formen von Frömmigkeit) und „Epikuräertum“ mit seinen Lastern der Sinnlichkeit und der Verfressenheit unter einen Hut, sondern bringt das auch noch mit Atheismus und Leugnen eines Weiterlebens der Seele wenigstens nach dem Tode zusammen. So ist für ihn der 1245 auf dem Konzil von Lyon als Ketzer und Muslim verurteilte Staufer Friedrich II. gewiss kein katholischer Christ, denn er lebte immer mehr für sein eigenes Vergnügen und seine Unterhaltung als durch die Vernunft oder gerechte Gesetze. Damit werden, ohne Friedrich auch nur im geringsten gerecht zu werden, Klischees aristokratischer und bürgerlicher Lebensführung entgegengesetzt, die mit politischen, ökonomischen und religiösen Vorstellungen in Deckung geraten sollen.

 

Das fällt dann anders beim von der Familie her guelfischen Oberschichtpoeten Cavalcanti, vielleicht Jugendfreund und auf jeden Fall bedeutender stilnovisti-Kollege des jungen Dante, zusammen. Mit einer Tochter des großen Ghibellinen Farinata degli Uberti verheiratet, dem posthum Katharertum unterstellt werden wird, wurde er von Compagni und anderen aristokratischer Hochmut, des Freidenkertums und einer beunruhigenden Intellektualität bezichtigt. In Boccaccios Decamerone taucht er fünfzig Jahre später als „Epikuräer“ und „Atheist“ auf. Als Gegner der Donati und Parteigänger der Cerchi war er zudem mit seiner Familie in jene Streitereien und Ehrhändel verstrickt, die den popolaren Bürgern zuwider waren. Als er 1300 mit Dante und vielen anderen auf Seiten der unterlegenen guelfischen Fraktion stand (den „Weißen“), wurde er wie Dante und so viele andere verbannt.

 

Lektüre und Richtschnur des Popolo waren Texte über Rhetorik und nüchternere historische und literarische Texte aus dem alten Rom, die Poesie war noch hauptsächlich ein Feld des sich aristokratisch-höfisch-“ritterlich“ gebenden Teils der (älteren) Oberschicht, ebenfalls mehr oder weniger Geschäftsleute, aber sich damit nicht in ihrem Selbstbild identifizierend. Der dolce stil nuovo, wie ihn der junge Dante und Cavalcanti betrieben, war bis auf Dante und Lapo Gianni ganz Sache dieser sich aristokratisch gebenden Magnaten, ebenso wie der Beginn der prosaischen Erzählliteratur im 'Novellino' von 1280/1300, voller Geschichten edler Ritter und wunderbarer Fräulein und Damen, alle von ritterlichem Edelmut und allerbesten Manieren. Ganz allgemein lässt sich sagen, dass das neue Bürgertum der Städte zunächst wenig poetischen Sinn entfaltete, und dass dieser eher in Nordfrankreich und Süditalien zu Hause war.

 

Um noch einmal auf die Bettelorden zurückzukommen, die in Florenz eine so prominente Rolle spielen, und die sich in manchem durchaus ähneln, aber in der Praxis doch sehr unterscheiden: Die Franziskaner beziehen ihre Mitglieder aus der neuen städtischen Oberschicht und den Mittelschichten samt den Neuankömmlingen aus dem contado, während die Dominikaner sich zu etwa fünfzig Prozent um 1300 aus der alten städtischen Oberschicht zusammensetzen, aus Adimari, Bardi, Cavalcanti, Donati, Uberti usw. Wichtiger ist, dass ihre jeweiligen Schulen und ihre großen Intellektuellen, allen voran die der Dominikaner, einen neuen, modernen Blick auf die neue städtische Welt werfen, und das gelegentlich mit einem Freisinn, den man insbesondere dem Orden der Inquisition vielleicht nicht zugetraut hätte. Der vielleicht modernste unter ihnen wird Remigio de Girolami, der allerdings mit seinen wichtigsten Texten schon zur nächsten Jahrhundertwende gehört.

 

Eine eigene Florentiner Ordensgründung ist die der Serviten, aus der Gemeinschaft von sieben Kaufleuten hervorgegangen, die sich ebenfalls der Ketzerbekämpfung widmen wollten. 1251 ist Grundsteinlegung ihrer Kirche Santissima Annunziata. Augustinereremiten ziehen zudem aus dem Umland in die Stadt und gründen Santo Spirito.

 

Andere Orden sind weiterhin bedeutende Wirtschaftsunternehmen. 1239 ziehen Humiliaten-Mönche aus der Lombardei auf Einladung der Stadt nach Florenz auf den Besitz geflüchteter Ghibellinen und bauen fast so etwas wie eine auf viele Gebäude verteilte Textilmanufaktur mit mönchischer Disziplin und Lohnarbeit auf, ein Gewerbe, in dem sie ausgesprochen geschickt sind. 1256 ist ihre Kirche, Ognisanti, ebenfalls fertig.

 

In derselben Zeit entstehen erste religiöse Laien-Bruderschaften, die Misericordia nahe dem Bapitisterium von Santa Reparata und und die an Santa Maria Novella angeschlossene Compagnia delle Laude. Solche Bruderschaften des gehobenen und mittleren Bürgertums haben ihre eigene Organisationsform, die der politischen der Stadt etwas nachgebildet ist, ihre eigenen Bezugskirchen und Heiligen, Zeremonien und Prozessionen. Dieses religiös durchgeformte Vereinswesen ist eines von vielen Institutionen in der wachsenden Institution Stadt, wie Zünfte, Nachbarschaften, Pfarreien, Sechstel und später Viertel. Bruderschaften sind Orte privilegierter Kommunikation unter dem Dach der Religion, sie sind aber auch Zeugnisse aktiver äußerer und innerer Kompartmentalisierung: Kapitalverwertung trifft sich hier mit karitativen Werken gegenüber Armen, Kranken und anderen für hilfsbedürftig angesehenen Gruppen. Hier die Logik des Kapitals, dort die Unvernunft der Nächstenliebe, rationalisiert als Rechtfertigung für recht rücksichtsloses Gewinnstreben.

 

Frühe Bruderschaften waren von der antihäretischen Propaganda der Dominikaner beeinflusst, die eine Verbreitung des neuen Marienkultes gegen die „Katharer“-Position setzten, Maria sei nicht die jungfräulich empfangende Gottesmutter. Sie kultivierten seit den vierziger Jahren des 13. Jahrhunderts den hymnischen Lobgesang (laudes) auf Maria und siedelten sich vorzugsweise bei Bettelordenskirchen an. Diese religiösen Gesänge der Bürger in den Städten wurden nach den gregorianischen Chorälen zu einer zweiten Wurzeln der so besonderen abendländischen Musik, auch indem sie manchmal in eigenen Musikschulen mündeten.

 

Anders als in Venedig konnte es zwar sein, dass religiöse Bruderschaften sich vornehmlich aus Menschen eines Gewerbes zusammensetzten, aber sie blieben von den Artes losgelöst und entwickelten sich unabhängig davon. Zunehmend kreiste ihre zentrale Betätigung um das Austeilen von Almosen, die Sorge für weniger wohlhabende Kranke (Bigallo, Misericordia) und Alte. Aus der adeligen Vorstellung von der Erleichertung des Weges ins Himmelsreich durch großzügige Spenden an die Kirchen mit ihrem Engagement für die Armen, Schwachen und Kranken wurde eine religiöse Leistungsethik auch für das mittlere Kapital, die nun nicht nur spendeten, sondern selbst „karitativ“ tätig wurden.

 

Für die große Politik elementar ist aber die enge Verzahnung von Kirche und Staat, das heißt der Mächtigen auf beiden Seiten, die aus denselben Familien entstammen. Capitano del Popolo und Podestà werden ganz selbstverständlich mit großem Zeremoniell in der Bischofskirche Santa Reparata vereidigt, die Anziani des primo popolo tagen im Baptisterium daneben und andere Kollegien in San Piero Scheraggio, dies alles nicht nur in Ermangelung gleich prächtiger weltlicher Gebäude. Andererseits wird die Ausgestaltung der Bettelordenskirchen zu einer Sache des Großkapitals werden, dass auch die Kontrolle über den Bau der neuen Kathedrale haben wird.

 

Diese interessegeleitete Verzahnung auch personeller Art war ein institutionalisiertes Miteinander, dessen Kern nicht unbedingt persönliche Frömmigkeit und schon gar nicht Treue zur Papstkirche sein musste. Wenn die gerade herrschenden Kreise der Stadt mit dem Papsttum in Konflikt über sehr weltliche Interessen kamen, konnten sie sich durchaus an der eigenen städtischen Kirche gütlich halten, soweit diese papsttreu blieb, und andererseits wird man im Extremfall auch bereit sein, gegen Rom Krieg zu führen.

 

Nach 1240 wird der Parteienstreit in der Stadt wieder gewalttätiger. Dabei vermischen sich wirtschaftliche Interessen und dem nicht ganz angepasste ideologische Positionen mit aus traditionellen Feindschaften unterschiedlicher Geschlechter und ihrer Bündnisse genährte Aggressionen und Ressentiment. Das große Kapital unterhalb dieser reichen Magnatenschicht alter Familien verlangt als popolo politische Partizipation, um die Gewalt von innen nach außen zu tragen: Innnerer Frieden und Eroberungskrieg für ein Territorium als Ausdruck seiner ökonomischen Interessen.

 

Die enormen Gewinne, die aus der Verwaltung der riesigen kirchlichen Finanzströme zu ziehen waren, samt den Gewinnen aus den Krediten, mit denen Päpste, Könige und andere Fürsten ihre Machtpolitik über Schulden finanzierten, schufen die großen Kapitalanhäufungen, die den weiteren Aufstieg der bürgerlichen Stadt bewirkten, ebenso wie die Entfaltung eines sich immer mehr modernisierenden Kapitalismus. Begrenzt blieb er einmal durch den hohen Anteil menschlicher Arbeitskraft – Maschinen gab es nur insoweit, als Wasserkraft und Windenergie zur Verfügung standen – und durch die fehlende Massenkaufkraft: Nur ein sehr kleiner Teil der Bevölkerung des europäisch-orientalischen Marktes konnte sich jenen Warenluxus leisten, auf dem die großen Gewinne beruhten.

 

Florenz holt auf gegenüber den wirtschaftlich erfolgreicheren und mächtigeren Stadtstaaten Lucca, Pisa und Siena. Wichtigster Faktor wird wenig später neben dem neuen angevinischen Markt Süditaliens wohl, dass nicht mehr minderwertige toskanische Wolle verarbeitet wird, sondern auf den Messen der Champagne höherwertiges Rohmaterial vor allem der hochwertigeren Schafzucht englischer Zisterzienser eingekauft und dann durch Veredelung auf einem mehr als nur lokalen Markt verkauft werden kann. Die enorme Macht der Tuchindustrie seitdem ist ein Kind des Aufstiegs insbesondere des Finanzwesens in der Stadt, der das investive Kapital für die Intensivierung der Produktion bereitstellt. Bald haben die großen Häuser von Florenz ihre Agenten in Rom, Neapel, London, Paris und den Städten Flanderns.

 

 

Als Friedrich II. versucht, Mittel- und Norditalien unter seine Kontrolle zu bekommen, und der Papst darauf 1244 nach Lyon flieht, folgen ihm seine Kreditgeber und Kaufleute, und betreiben ihre Geschäfte von dort, während es ein paar Jahre ghibellinisches Intermezzo in der Stadt gibt, unter dem von Friedrich eingesetzten Sohn Friedrich von Antiochien als Podestà und und kaiserlichem Vicar. 1248 verbannen und enteignen die Ghibellinen zahlreiche guelfische Familien.

 

1250 öffnet der Tod des Kaisers der „päpstlichen“ Partei dann Tür und Tor. (1250 vermacht Friedrich die sizilische Herrschaft und das Imperium Sohn Konrad. Der stirbt 1254 in der Nähe von Melfi.) Ein Heer exilierter Guelfen besiegt eine ghibellinische Streitmacht bei Figline. In den Straßen der Stadt wird eine Regierung des Popolo gefordert. Grundlage wird die Militarisierung der (zwanzig) Nachbarschaften, gonfaloni nach dem Banner, gonfalone, unter dem sie antreten. Sie befehligt ein capitano del popolo, der die Funktionen des Podestà übernimmt und wie der von außen kommt. Die Spitze der Stadtregierung nehmen zwölf Älteste (anziani) ein, die alle Beschlüsse mit Gesetzeskraft aber von mehreren Versammlungen genehmigen lassen müssen. Diese Ältesten werden halbjährlich von den Mächtigen des neuen Regiments gewählt und tagen im Baptisterium.

 

Manche alten Ämter werden durch neue ersetzt, die aus den Gonfaloni erwachsen, Räte aufgelöst und die Masse der Adeligen/Ritter werden aus dem Stadtregiment ausgeschlossen und auf die Versammlung der Dreihundert und den Rat der Neunzig beschränkt. Das große Kapital macht sich auf die Suche nach einer neuen Form von (Stadt)Staatlichkeit, in der es die wichtigen Ämter vorwiegend selbst übernimmt, unsicher, wie das aussehen soll. Diese Ämter dürfen nur kurzzeitig von ihnen besetzt werden, damit keine Familie darin zu stark werden kann, und sie müssen über viele Familien verteilt werden, damit die unterschiedlichen Kapital- und Familieninteressen in dieser „bürgerlichen“ Staatlichkeit zu einem Ausgleich finden.

 

Die bis 1260 andauernde, popolan regierte Kommune setzt ein Zeichen, indem sie Brunetto Latini zum Chef der Kanzlei macht. Er entwickelt in seinen Texten, die von Cicero vor allem beeinflusst sind, eine Gleichsetzung von Kaufmannsethos und für die Kommune gültiger iustitia. Gerechtigkeit ist danach gerechter, also rechtmäßiger Warentausch und der bürgerliche Ehrenkodex der des rechtschaffenen Kaufmanns. Nicht aus dem produktiven Sektor sondern dem distributiven stammen danach die bürgerlichen Wertvorstellungen, die den höfisch-ritterlichen entgegengesetzt werden. Um sie zu verdeutlichen, beginnen Propagandisten des Bürgertums ausführliche Listen von Tugenden und Lastern zu erstellen. In ihnen werden die ursprünglich christlichen Tugenden, die adelig-ritterlich-höfisch umgeformt worden waren, eine neue Umformung und Ausformung zu erhalten: Aus dem noblen honor wird so die bürgerliche honestas, die Ehrlichkeit des Geschäftsmanns in Ehrbarkeit verallgemeinert.

 

Latini wird zum ersten großen Propagandisten bürgerlicher Ideologie mit Sätzen wie dem, dass

die, welche sich an ihrer edlen Abkunft erfreuen und sich großartiger Vorfahren rühmen, dann, wenn sie nicht selbst tugendhaft handeln, nicht bemerken, dass sie durch den Ruhm der Ahnen sicht geehrt, sondern beschämt werden... Wahre Nobilität betreffend, sagt Horaz, dass sie nichts anderes als Tugend sei. … Ein Mann wird nicht edel (nobel) genannt wegen seiner noblen und tugendhaften Taten .. nicht wegen seiner Vorfahren. (Im okzitanisch geschriebenen 'Trésor'.)

 

Vermutlich hatte es Brunetto gefallen, dass Cicero über Talent und Eigenleistung aufgestiegen war und nicht durch Vorteile und Vorrechte der Geburt, wodurch er für einen bürgerlichen Florentiner sympathisch erschien, und zudem sein Engagement für den Staat, was ihm Modellcharakter für die Politisierung der Kapitaleigner gab (Hyde, S.92).

 

Soweit erkennbar, besetzt im wesentlichen das nicht-magnatische große Kapital die politischen Machtpositionen und schließt ebenfalls die Ritter aus. Parteigänger von Ghibellinen und Guelfen tauchen in etwa derselben Zahl in den Ämtern auf, exilierte Guelfen dürfen in die Stadt zurückkehren. Najemy schreibt: „The primo popolo was not a social revolution;it emerged from a split within the elite, between those committed to the factions and those who saw such alliances as damaging to the economic interests of their class and city.“ (S.68) Ein Symptom dafür ist, dass die Geschlechtertürme nun zurückgebaut werden müssen, keiner darf höher als der Neubau des Palazzo del Popolo sein, der spätere Bargello.

 

Das Amt der „Ältesten“ gelangt schnell in die Hände der kleinen Oberschicht, die in der Calimala und den sieben arti maggiori organisiert ist (Wolle, Seide, Kürschner, Finanzkapital, Juristen, Ärzte und Apotheker). Erwähnt werden die Frescobaldi, Falconieri, della Scala und Cambii. Insbesondere in der Calimala, einer Art informellem Patriziat, vermischen sich zunehmend Stadtadel und bürgerliches Großkapital, allerdings später als in Städten der Poebene.

 

Aber eine Stadt wie Florenz, die langsam eine Führungsrolle in der Entwicklung des Kapitalismus einzunehmen beginnt und zugleich eine immer dominantere Position in der Toskana, entkam damals nicht lange dem Parteienstreit. Gleichzeitig mit Genua wird 1252 eine Goldmünze geprägt, der Florin (im deutschen Sprachraum: Gulden), bislang Vorrecht der Imperatoren, und damit eine Souveränitätserklärung der Stadt gegenüber dem Kaiserreich. Florenz beginnt sich immer mehr wie ein neues Rom zu fühlen. Natürlich war der Sinn dieser neuen Foldmünze, den überregionalen Handel, zu beflügeln und zugleich dem großen Kapital mit der Trennung von goldener Handelswährung und silberner Alltagswährung die Möglichkeit zu geben, die Lohnkosten des Kapitals in Silber zu manipulieren: Die silberne Alltagswährung wird bald verschlechtert werden, während der Goldwert des Florin als europäischer Leitwährung für den kontinentalen und interkontinentalen Handel stabil bleibt.

 

Zugleich flackert der Parteienstreit als kriegerischer Konflikt zwischen den führenden tuszischen Städten auf, und als dabei ghibellinische Städte besiegt werden, beginnen die Florentiner Ghibellinen Aufstandspläne zu schmieden. Pistoia, Poggibonsi und Volterra geraten unter florentinische Kontrolle, Pisa und Siena erweisen sich 1254 als unterlegen. Zur bürgerlich-kapitalistischen Politik gehörte der Expansionsdrang des neuen Staates, der sich sofort in Kriegszügen äußert.

 

1254 bekommt der siegreiche Capitano del Popolo seinen Palast, der nach dem Umsturz von 1260 Palast des Podestà wird und später und bis heute Bargello heißt, nach dem Büttel des Polizeichefs, der seit 1574 hier residiert. Das Bürgertum entwickelt für seine Prachtbauten keine bürgerliche Architektur, sondern hält sich an königliche und aristokratische Muster.

 

Diese Erhebungen des Popolo sind ein gemein-italienisches Phänomen, welches im Süden bis Rom reicht, und es ist nicht abhängig von den guelfisch-ghibellinischen Parteibildungen, die in der Papststadt zum Beispiel keine Rolle spielen. In Rom gab es zunächst nach Barbarossas Abzug eine Übereinkunft zwischen Papst und Stadt, die diesem pro forma die Hoheit gewährleistet und den Spitzen eines neu aufgestiegenen Adels die "faktische Regierung" (Elke Goez). Aber im Kardinalskollegium und im Senat sitzen bald dieselben Adelsfamilien, was die päpstliche Macht über die Stadt befördert und es ihm erlaubt, dauerhaft in ihr ansässig zu sein.

 

In den 50er Jahren verdrängt dann aber der römische "Popolo" den neuen Adel von der politischen Macht und holt sich den Bologneser Brancaleone degli Andalò als Capitano del Popolo bzw. "Senator", der, mit erheblichen Mitteln ausgestattet, "Recht und Ordnung" für ein geordnetes Wirtschaftsleben herstellen soll. Gewalttätige Adelige werden verurteilt und als mahnende Beispiele an den Fenstern ihrer Paläste aufgehängt. Adelstürme werden zerstört. (Thumser in Hartmann (Hrsg), S.264f). Zugleich wird ähnlich wie in Florenz und anderswo versucht, immer mehr Umland zu erobern, über Tivoli bis hin nach Viterbo. Innozenz IV., dem natürlich feindselig gegenüberstehend, zögert seine Rückkehr aus dem Exil nach Rom hinaus, vielleicht auch, weil der Popolo Beziehungen zu den späten Staufern unterhielt, und muss von "seiner" Stadt zur Rückkehr gedrängt werden. Diese popolare Machtergreifung hält allerdings nur einige Jahre an.

 

Den Levantehandel dominieren längst Venedig, Genua und Pisa. Schon in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts sind einzelne florentinische Händler dort dokumentiert. In der zweiten Hälfte nun verbreiten sich ihre Handels- und Bankfirmen dort überall, die großen Firmen sind alle in Konstantinopel vertreten, einzelne Händler dringen bis ins Schwarze Meer vor. Sie liefern qualitativ hochstehende Wolltücher und süditalienisches Getreide, kaufen dafür Rohwolle, später auch Rohseide, zudem Baumwolle, Häute und Gewürze ein.

 

Der immer souveränere Stadtstaat des „guelfischen“ Großbürgertums, gegen Ghibellinen und Kaiser traditionell mit den Päpsten verbündet, wird diesen nun zu souverän; sie wollte sich nicht aus kaiserlich-königlicher Abhängigkeit in päpstliche begeben und verfiel 1256 für zwanzig Monate dem Interdikt, welches aber von einem selbstbewussten Bürgertum weithin unterlaufen wurde.

 

Die Päpste stehen im Verdacht, mit städtischen Ghibellinen wie den Uberti und solchen im Exil in Kontakt zu stehen. Vertreter der Uberti werden vom Podestà und seiner bewaffneten Begleitung zu Gericht zitiert und töten diese. Das bewaffnete Bürgertum sorgt für den Tod mehrerer Uberti. 1258 zieht ein Großteil der noch daheim gebliebenen Ghibellinengeschlechter ins Evil nach Siena um. Der Abt des Klosters von Vallombrosa wird ghibellinischer Sympathien verdächtigt und im Zentrum von Florenz verhaftet, gefoltert und dann von den städtischen Massen zum Henker begleitet. Darauf fällt die Stadt wieder unters Interdikt.

 

 

Ab 1258 gerät die Stadt dann auch politisch und militärisch wieder in die großen kontinentalen Konflikte. Manfred, Sohn Friedrichs II., macht sich auf, die staufische Macht über ganz Italien wieder auszubreiten und marschiert nach Norden. Im Bündnis mit den staufisch gesonnenen Städten der Toskana taucht er schließlich im dortigen Süden auf. Das popolane große Kapital von Forenz sieht sich gezwungen, die guelfische Partei zu vertreten (Najemy).

 

1260 trifft der Staufererbe Manfred mit deutschem und süditalienischem Reiterheer in Siena ein. Siena ist ghibellinisch, weil das immer bedrohlichere Florenz guelfisch ist, und umgekehrt. Florenz reitet und marschiert mit einem Heer, welches Chronisten viel zu hoch auf 70 000 schätzen, inklusive des Militärs der abhängig gemachten und verbündeter Städte wie Arezzo und Bologna nach Siena. Sie nehmen die Festung Montaperti ein. Das kleine kaiserlich-senesische Heer siegt bei einem Ausfall aus der Stadt, von 10 000 guelfischen Toten und 20 000 Gefangenen ist die Rede, von denen nur die, die reich genug sind für geforderte Lösegelder, überleben. Unter Führung des Dompropstes Adimari und des Abtes von Santa Maria Novella, einem Cavalkcanti, verlassen 17 guelfische Familien der Oberschicht die Stadt. Das ghibellinische Heer unter Manfred zieht darauf in Florenz ein. Was Guelfen mit den Gebäuden der Uberti gemacht hatten, geschah nun mit denen der führenden guelfischen Familien: Sie werden eingerissen und der Besitz eingezogen.In den Quellen ist von 11103 Palästen, 580 Häusern und 85 Türmen die Rede.

 

Die popolanisch-guelfische Herrschaft wird beseitigt und mit ihr der Capitano del Popolo. Manfred setzt wieder einen Podestà ein. Mit den immer noch sich feudal fühlenden Uberti im Hintergrund besetzen alte ghibellinische Familien wie die Amidei wieder die Machtposten, während das neuere große Kapital in der zweiten Reihe mitregiert.

 

Aber derweil hat der Papst Urban IV., ein Franzose, Karl von Anjou, den Bruder des französischen Königs, um Hilfe gegen Manfred und die staufische Einkreisung gerufen. Papst und Anjou sind mit dem Bankhaus der Frescobaldi liiert und viele andere guelfisch orientierte Firmen (Bardi, Cerchi, Rossi usw.) schließen sich an, die den ghibellinischen Städten Pisa und Siena ihre Märkte in Süditalien und Sizilien nehmen wollen. Mit der Verbindung Papst-Anjou bekommt die guelfische Sache nun endlich „an economic rationale“, wie Najemy (S.24) das sieht. Die großen Firmen finanzieren Anjous Krieg vor, nicht zuletzt mit den Kirchensteuern, die sie für die Päpste in Frankreich eintreiben, und bekommen dafür enorme Privilegien im von Karl zu erobernden Süden Italiens, Abgabenfreiheit, Monopole usw.

 

1265 segelt Karl nach Italien und 1266 lässt er sich zum König (beider) Sizilien krönen. Im Februar verliert Manfred bei Benevent Schlacht und Leben. Sofort werden die Ghibellinen mit Unterstützung des Papstes wieder vertrieben und ein neuer Capitano del Popolo bestellt. Die popolanische Verfassung wird schließlich für ein paar Monate halbwegs wiederhergestellt.

 

Dem Papst wird die Stadt dadurch wieder zu unabhängig und er beauftragt Karl von Anjou, sie einzunehmen. Es kommt zu einem Exodus von zahllosen Ghibellinen. Karl lässt die Stadt plündern, nachdem Bürger die Tore geöffnet hatten. Er macht sich selbst zum Podestà und lässt sich dabei durch einen lieutenant (Statthalter) vertreten. Die neuen Herren guelfischer Art lassen sich ihre kürzlich erlittenen Schäden aus dem ghibellinischen Besitz entgelten. Plünderer brechen in die Gruft der Uberti ein und werfen deren Leichenreste in den Arno. 1270 werden zwei Söhne des Farinata degli Uberti hingerichtet.

 

Im Windschatten der nun unangefochtenen alten guelfischen Familien, die die Konflikte der letzten Jahrzehnte überlebt haben, steigen neue Familien ins Großbürgertum auf. Zu den schon länger aufsteigenden gehören die Cerchi und Frescobaldi, neueren Datums in der Elite sind die Spini, Ridolfi und Acciaioli, zu denen dann um 1280 die Pitti, Albizzi,, Peruzzi und andere stoßen, während überlebendes ghibellinisches Großkapital (Ardinghelli, Portinari, Strozzi usw.) mit guelfischen Familien verschmilzt. Bis kurz nach 1300 stoßen die Baroncelli, Capponi, Davanzati, Rucellai und viele andere dazu. (aufgelistet bei Najemy, S.22f) In seiner 'Comedia' wird Dante dieses Florenz der Neureichen und Eingewanderten mit den Worten seines Vorfahren Cacciaguida beklagen.

 

 

1268 stirbt mit Konradin der letzte Staufer in Neapel auf dem Schafott auf Befehl Karls von Anjou. Das hindert insbesondere mittelitalienische Städte nicht daran, sich weiter in ghibellinische und guelfische Parteien zu spalten, sowohl in den Rivalitäten benachbarter Orte wie in denen der Oberschicht in den Städten selbst. Die ghibellinischen Städte Pisa und Siena, die nicht auf Päpste und Anjou setzen, werden nun von Florenz ihrer Märkte beraubt. Pisa verliert Süditalien und Sienas Banken werden durch die florentinischen beim Papst verdrängt. Sogar der Getreide- Woll- und Tuchhandel zwischen Südfrankreich und Süditalien wird von Handelshäusern von Florenz aus kontrolliert.

 

 

Florenz gerät in das bald auftretende Spannungsfeld zwischen päpstlichen und angevinischen Ansprüchen. Als Papst Gregor X. 1273 in Florenz auf dem Weg zu einem Konzil in Lyon auftaucht, ist auch Karl von Anjou zur Stelle. Beide wohnen in den Palazzi ihrer jeweiligen Geldgeber, der Mozzi und der Frescobaldi. Der Papst stellt die Stadt wieder unters Interdikt, und darin befindet sie sich noch, als ihn 1275 sein Rückweg durch die Stadt führt. Unter Nikolaus III., einem Orsini, schafft Kardinal Frangipani in Florenz einen gewissen Ausgleich zwischen den beiden Parteien.

 

Als 1277 Karl von Anjous ihm vom Papst auf zehn Jahre verliehener Auftrag, die Herrschaft in (über) Florenz auszuüben, endet, macht er keine Anstalten, sich zurückzuziehen. Damit ist der Kirchenstaat wieder eingekreist, diesmal von den Anjou. In der Stadt brodelt derweil erneut der Parteienstreit. 1280 gelingt es Papst Nikolaus, einen allgemeinen Frieden zu etablieren, in dem ein neuer oberster Rat der Vierzehn etabliert wird, und überhaupt die Ämter nach Einschätzung, wer Ghibelline, Guelfe oder neutral wäre, verteilt werden sollen. Die acht reichsten Artes wurden dazu herangezogen, um diese neue Ordnung zu bestätigen.

 

1282 vertreibt die „sizilianische Vesper“ die Anjou aus Sizilien. Florenz vertreibt die übriggebliebenen Franzosen aus der Stadt. Männer der Calimala etablieren ein Regiment der Häupter der mächtigsten artes. Zunächst setzen die Vorsteher dieser Zünfte oder Gilden dem obersten Rat (der Vierzehn) einen Rat von erst 3, dann 8 Prioren entgegen, der dann die Regierung selbst übernimmt.

 

Über den Anfang des Priorats schreibt der Zeitgenosse und wohlhabende Kaufmann Compagni:

Die Popolani fühlten sich so ermutigt, als sie sahen, dass die drei auf keinen Widerstand stießen, und (die Prioren) waren so bewegt von den freimütigen Worten der Bürger, die von ihrer Freiheit und dem Unrecht sprachen, welches sie erlitten hatten, dass sie es wagten, Verordnungen (ordenanze) und Gesetze zu machen, die man kaum noch umgehen konnte. Viel mehr brachten sie nicht zustande, aber wenn man ihre anfängliche Schwäche betrachtete, war das schon eine ganze Menge... Sie tagten abseits im Turm der Castagna bei der Badia, so dass sie nicht den Bedrohungen durch die Mächtigen ausgesetzt waren.

 

Dieses Priorat zusammen mit dem Gonfaliere di Giustizia bildet die „Signoria“, in der die reichsten und mächtigsten Zünfte das Übergewicht haben. Darunter gibt es die 16 Gonfaliere der Milizen der Nachbarschaften und zwölf Buonomini, die alle drei Monate gewählt werden.

Die Prioren werden auf zwei Monate gewählt und dürfen erst nach drei Jahren wiedergewählt werden. Das gewährt vielen Männern der kleinen Oberschicht den Zugang zu dem Amt. Und zwischendurch kann man Mitglied in den vielen Kommissionen werden, die die Verwaltung städtischer Aufgaben kontrollieren.

 

In dieser Zeit werden 33 guelfische und 27 ghibellinische Familien von den populanen Regierungen mit Magnatenstatus belegt und damit aus den kommunalen Ämtern entfernt. Um 1300 sind die großen Namen der letzten 150 Jahre fast alle verschwunden oder abgestiegen und die neuen Großhändler und Bankiers herrschen alleine, nun zunehmend auch über Investitionen in die Produktion.

 

Die Macht der alten guelfischen Elite wird nun dadurch gebrochen, dass eine neue des Großkapitals, bestehend aus etwa dreißig Familien, die Stadt kontrollierte, dabei aber in kurzer Zeit seinen Kredit bei den ärmeren Zünften verspielt. Die Bürger, die die Ämter innehatten, widmeten sich nicht der Einhaltung der Gesetze, sondern ihrer Korrumpierung, schreibt Compagni. Die guten Popolani-Bürger waren unglücklich, und sie schoben die Schuld auf das Amt der Prioren, weil die guelfischen Granden (grandi) zu Herren über die Stadt geworden waren.

 

Juni 1289 wird Arezzo bei Campaldino besiegt. Die Popolani wurden misstrauisch, dass die Granden aus Stolz über ihren Sieg sie noch stärker als üblich unterdrücken könnten, schreibt der Chronist Villani. Und darum verbündeten sich die sieben mächtigen Artes mit den nächsten fünf, und sie trafen Vorbereitungen bezüglich Waffen und Schilden und Bannern. Neun weitere Artes, die artes minores, dürfen sich diesem Bündnis anschließen. Zusammen mit den Nachbarschaftsmilizen steht nun ein großer Teil der erwachsenen männlichen Bevölkerung unter Waffen.

 

Es kommt zur rechtlichen Ablösung der Bindung der ländlichen Unterschicht an Boden und Herrn durch ein Gesetz vom August 1289, welches bestimmt, dass beim Verkauf von Land die daran gebundenen Menschen ihrer Bindungen an den Herrn ledig wurden und überhaupt die an einen Herrn Gebundenen sich freikaufen konnten. Dabei wird ein abstrakter Freiheitsbegriff formuliert, der in der Übersetzung von Davidsohn folgendermaßen lautet:

Da die Freiheit, aus der der Wille entstammt, nicht von fremdem Ermessen abhängen kann, sondern auf Selbstbestimmung beruhen muss; da die persönliche Freiheit aus dem Naturrecht stammt, demselben, das auch die Völker vor Bedrückungen schützt, ihre Rechte hütet und erhöht, so sind wir willens, sie zu erhalten und zu mehren.

 

Was war in den letzten Jahrhunderten geschehen: Der kollektive, ethnische Freiheitsbegriff, wie er aus der Antike tradiert war, ist inzwischen (wieder) ergänzt durch den persönlichen, individuellen, den der Familienvater repräsentiert. Was der kapitalistische Markt forderte, wird politisiert, und die Begründung wird ihres ökonomischen Ursprungs beraubt und ideologisiert. Implizit werden dabei Markt und Natur gleichgesetzt, denn was ersterer fordert, wird hier als natürlich überhöht. Zwei Analogien werden aufgestellt, die von (kapitalistischem) Markt und Natur und die von Individuum und Kollektiv.

 

Das Ganze hat seine ungeheure Modernität dann nicht zuletzt auch dadurch, dass in diesem Kernsatz eine übernatürliche, religiöse Begründung fehlt. Von nun an wird die Logik des Kapitals mit ihrer alles durchdringenden Vernünftigkeit regieren und jeder menschliche Einwand wird mit dem Argument der Natur und Natürlichkeit weggefegt werden. Kirche und Religion werden als Garnitur und Dekor am Rande verbleiben, ohne noch der Vernunft jener Freiheit, die auf dem Markt stattfindet, widerstehen zu können. Und sie werden erst wieder Argument werden, wenn sich nach dem Mittelalter das große Kapital aus der Politik zurückzieht, - nachdem es so übermächtig geworden ist, dass seine Interessen nun unabweislich die der neuen, sich immer nationaler gebenden Staaten geworden sind.

 

Die Siege nach außen hindern nicht die blutigen Fehden der Magnaten im Inneren. Gegen ihr ritterlich-adeliges Verhalten wendet sich jener Teil der Oberschicht, der nach einem verrechtlicht-befriedeten Innenraum der Stadt und ihres Territoriums für seine Geschäfte verlangt. Es handelt sich um einen Gegensatz zwischen zwei herrschenden Gruppen mit unterschiedlichem Selbstverständnis, beide Geschäftsleute, aber die „Popolanen“ mit bürgerlicherem Verhaltenskodex und Ehrbegriff: Honor, Ehre steht gegen Ehrbarkeit, bürgerliche Rechtschaffenheit.

 

Schon 1281 war durchgesetzt worden, dass besonders gewalttätige Magnatenfamilien Geld als Sicherheit für Friedenswahrung hinterlegen müssen. 1286 macht ein Gesetz den Familienvorstand verantwortlich für das friedliche Verhalten von Brüdern und Söhnen. Den Magnaten wird verboten, ihre Dienerschaft mit Waffen zu versorgen. Und dann wird versucht, diese Magnaten aufzulisten, und zwar nach den Kriterien der Mitgliedschaft in der Ritterschaft und dem öffentlichen „Ruf“ der Familien.

Der innere Frieden wird so ansatzweise bereits durch ein staatliches Gewaltmonopol definiert. Magnaten dürfen sich zwar noch gegenseitig bekriegen, aber bitte nur noch untereinander und möglichst ohne andere mit hineinzuziehen. Neben dem Frieden (pax) tritt das Recht auf (ius), welches den Frieden in der iustitia garantieren soll. Kapitalistische politische Ideologie knüpft längst direkt an antiken Vorstellungen an, jenen, welche die res publica begrifflich ausmachten. In Bologna werden die Juristen für diese Welt am römischen Recht ausgebildet.

 

Es gibt nicht nur blutige Konflikte im Inneren, in Florenz vielleicht mehr als in mancher anderen Stadt, sondern auch die gewalttätige Ausdehnung nach außen, die zunehmend mehr Geld verlangt. Mit dem Wachsen der Bevölkerung bieten sich spätestens ab 1290 indirekte Steuern neben den direkten aus Einnahmequelle an.

 

Ende 1292 spitzen sich die Debatten der mächtigsten Vertreter der zwölf wichtigsten Artes immer mehr auf die Frage einer besseren Institutionalisierung ihrer Macht zu: Wie soll der Staat des großen Kapitals aussehen und wie soll er begründet werden? Der Vorschlag unseres Chronisten und popolanen Kaufmanns Dino Compagni wird in etwa angenommen: Die Konsuln der zwölf Artes schlagen Kandidaten aller Artes für das Priorat vor, aus denen sie dann die Prioren wählen. Im Dezember werden sechs Prioren aus sechs Artes (für zwei Monate) gewählt. Diese arbeiten eine Art Frühform einer stadtstaatlichen Verfassung aus, die ordinamenti di giustizia.

 

Oberstes Ziel ist das Wohl der res publica, die definiert wird als politischer Verband von 21 Artes. Die gewählten Vertreter der Artes werden auf ihn eingeschworen, vertreten den populus und bestimmen in Summe das Gemeinwohl, welches sich aus iustitia und ius zusammensetzt und de facto das politisierte Kapitalinteresse ist. Ausgeschlossen von der politischen Republik sind 73 Vertreter des städtischen und 74 des „Adels“ bzw. der Grandi des Territoriums und natürlich alle Nichteigentümer von Firmen, die Lohn-Arbeit, die auch nicht zünftig vertreten ist, obwohl die Artes rechtlich über sie bestimmt.

 

Die wörtlich gemeinte Staatsgewalt ist in den Händen der Prioren, des Podestà und des Capitano del Popolo, geht aber tatsächlich auf einen Gonfaliere della Giustizia über, einen Bannerträger der Gerechtigkeit. Diesem wird eine neue Miliz von erst 1000, dann 2000 Mitgliedern des popolo und der artes zugeordnet, deren Hauptaufgabe es ist, einzugreifen, wenn von den alten Magnatenfamilien (Ghibellinen wie Guelfen) Gewalt ausgeht, und diese drakonisch zu bestrafen (durch Einebnen ihrer Häuser, Einziehen ihres Besitzes und Verbannung vor allem). Schon einfache öffentliche Beleidung durch diese Granden wurde unter Strafe gestellt.

 

Fast die Hälfte der stadtstaatlichen Spitzenpositionen werden in den nächsten Jahren von neu aufgestiegenen Familien des großen und mittleren Kapitals eingenommen, die nun zum ersten Mal zu Amt und Würden kommen, Acciaiuoli, Pitti, Medici, Rucellai und viele andere schaffen es erst mal nicht mehr ins Priorenamt und müssen auf bessere Zeiten für sie warten. Das neuere Kapital löst den alten Reichtum ab, nicht mehr das Alter der reichen Familie, sondern ihr Erfolg auf dem Markt bestimmt ihren politischen Einfluss. Ein Neubau symbolisiert den Neuanfang, die Regierung möchte aus dem alten Palast (Bargello) in einen neuen Priorenpalast umziehen, der heute Palazzo Vecchio heißt. Bei seiner Grundsteinlegung fühlt sich die neue Herrenschicht aber bereits bedroht von der alten, die alles tut, um die Macht des secondo popolo zu untergraben.

 

Der Gegenschlag der alten Magnatenfamilien lässt nicht lange auf sich warten, auch wenn sie ansonsten untereinander uneinig bleiben und ihr Fehdewesen weitergeht. Sie setzen auf Propaganda, die nach und nach Teile der Lohnarbeit wieder in ihr gewalttätiges Klientelgefüge aufnimmt und auch Kreise des mittleren popolo für sich gewinnt, wobei wohl auch Geld eine Rolle spielt. Die zentrale Figur der Reformen, Giano della Bella, selbst Mitglied der Calimala und über seine Familie der Pazzi-Bank, wird zum Feindbild für den Unterschicht-Mob aufgebaut und muss vor diesem fliehen. März 1295 wird er förmlich verbannt und sein Haus geplündert und verwüstet. Die beiden wesentlichen Neuerungen werden stark abgemildert: Magnaten können wieder Ämter besetzen, sofern sie einer ars beitreten und die drastischen Strafen gegen sie werden massiv herabgesetzt. Der riesige Besitz der Parte Guelfa bleibt unangefochten.

 

Familienfehden werden immer stärker ideologisiert und politisiert mit dahinter versteckten ökonomischen Interessen. In den Vordergrund schiebt sich der Konflikt zwischen jenem „alten“ Geschlecht, dessen führende Persönlichkeit Corso Donati ist, und den eher neureichen Cerchi. Beide „Guelfen“, werden sie wohl nach dem Vorbild einer Fehde in Pistoia die „Schwarzen“ und die „Weißen“ genannt. Die Spitzen beider Gruppen sind Bankiers und Großkaufleute.

 

Vielleicht eine der Wurzeln des bis in bürgerkriegsähnliche Zustände reichenden Konfliktes ist der Kauf eines Palastes der alten ghibellinischen Familie der Grafen Guidi durch die Cerchi, - ganz in der Nähe der Paläste der Pazzi und Donati, den die Neureicheren ausbauen und wo sie nun auf großem Fuß leben. Martines, der das so sieht (S.86ff), zitiert Dino Compagnis zeitgenössische Beschreibung der Cerchi in Band I seiner Cronica:

 

Es gab da eine Familie namens Cerchi, Leute von geringem Stand, aber gute Kaufleute und sehr reich. Sie kleideten sich gut, hielten sich viele Dienstboten und Pferde und machten einen angenehmen Eindruck. Einige von ihnen kauften den Grafenpalast der in der Nähe der Häuser der Pazzi und Donati war, die älteren Geblüts (piú antichi di sangue), aber nicht so reich waren. Als die Donati sahen, wie weit nach oben es die Cerchi gebracht hatten, die den Palast erweiterten und einen vornehmen Lebensstil pflegten, begannen sie sie zu hassen. Und: Leute die sie nicht kannten (sie und die weißen Guelfen überhaupt), hielten sie für reich, mächtig und klug. (…) Aber die, die Bescheid wussten, sagten: 'Sie sind nur Kaufleute und sind darum von Natur aus feige, während ihre Feinde (die adeligen Donati und andere schwarze Guelfen) stolze und wackere Männer sind und Experten im Kämpfen.

 

Für Villani sind die Cerchi unzivilisiert und undankbar, wie alle, die in kurzer Zeit zu Macht und Ansehen kommen. Die Donati wiederum waren Edelleute und Krieger, nicht sonderlich reich, aber sie hatten einen schlechten Ruf.

 

Najemy sieht die Ursache ähnlich: „Essential to the prestige of elite families was competition with other families, not only for economic advantage, but for power and favor among the people, for clients and followers, for control of neighborhoods and churches, for allies in other cities and the support of powerful foreign lords, for reputation, dignity, preeminence, and glory.“ (S.90) Man könnte so sagen: den Magnaten reichte die Vernunft des Kapitals nicht, um daraus Lebensäußerungen zu beziehen.

 

Corso Donati besticht 1295 nach einem Mord den Podestà. 1298 werden vier Cerchi von den Pazzi umgebracht. Gewalt wird wieder fast alltäglich. Tatsächlich waren beide Parteien auch wirtschaftlich orientiert, die Schwarzen in das süditalienische Regno und nach Frankreich, die Weißen auch hin zu ghibellinisch regierten Städten und Regionen.

 

Die Prioren vom Juni 1300, unter ihnen Dante Alighieri, sind allesamt Weiße. Im Maifest, dem Caldenomaggio treten sich Cerchi und Donati bedrohlich gegenüber, worauf Corso in Abwesenheit zum Tode verurteilt wird. Die Donati wenden sich um Unterstützung an Papst Bonifaz VIII., während die Cerchi sich mit (ghibellinischen) Städten der Toskana verbünden. Der Papst, selbst an der Toskana interessiert und darum mit den "Schwarzen" verbündet, während sein Gegner, die Colonna-Familie, es eher mit den "Weißen" hält, nutzt die Gelegenheit, exkommuniziert Florenz und der Bruder des fanzösischen Königs, Karl von Valois, wird zum Friedensstifter der Toskana ernannt. Fast alle Artes stimmen zu, dass man ihm die Tore öffnen solle, und er marschiert 1301 mit 500 Rittern in Florenz ein. Er deckt das Eindringen Corso Donatis, der daraufhin eine Woche lang mit aller Grausamkeit Rache an den Weißen übt, nachdem er Prioren seiner Wahl installiert hat. Danach werden gegen sie, die längst, wie Dante geflohen sind, Prozesse geführt; 599 Todesurteile werden ausgesprochen. Mit Dante flieht auch Notar Ser Petracco, Petrarcas Vater, der sich in Avignon niederlässt. Die große Literatur von Florenz wird außerhalb der Stadt aufgeschrieben werden.

 

Die Weißen gehen im Exil nach und nach unter Ghibellinen auf. Nachdem die Schwarzen ihr Mütchen gekühlt hatten, fallen sie selbst auseinander und beginnen sich gegenseitig zu bekämpfen. Dantes 'Comedia' ist nicht zuletzt, vielleicht zuallerst Reaktion auf das, Unglück, welches seine Heimatstadt befallen hat.

 

Papst Nikolaus versucht 1304 zu vermitteln, aber vergebens. Die Kämpfe flackern wieder auf und in ihnen kommt es zu einer großen Feuersbrunst, die das ganze Zentrum der Stadt erfasst. Villani und Compagni schreiben, zwischen 1700 und 1900 größere Gebäude seien dabei zerstört worden, mehr, als fast alle deutsche Städten damals besaßen. Außer Kirchen, Palästen und Geschlechtertürmen waren bislang wohl die meisten Häuser noch überwiegend aus Holz gebaut.

 

1305 wird Robert von Kalabrien als Capitano di Guerra von Florenz engagiert. Er lässt in der Stadt Diego de Rat mit 600 Mann Militär zurück, die einen Vertrag als Florentiner Söldner erhalten. Boccaccio nennt ihn im 'Decamerone' „von schönster Statur und ein großer Liebhaber.“

 

Als ein Teil der Schwarzen Guelfen sich von Corso Donati und seinen Machtansprüchen trennen, helfen die Katalanen 1306 den städtischen Truppen, ihn festzunehmen. Auf der Flucht stürzt er sich in eine katalanische Lanze.

Macchiavelli schreibt über ihn viel später: Ein solches Ende nahm Messer Corso, von dem die Vaterstadt und die Partei der Schwarzen viel Gutes und viel Übles erfahren hatten, und dessen Andenken in größeren Ehren gehalten würde, wäre er weniger ruhelosen Geistes gewesen... Nach dem Tode Messer Corsos, der sich im Jahre 1308 ereignete, hörten in Florenz die Unruhen auf, und man lebte in Frieden bis zu der Zeit, wo man vernahm, dass Kaiser Heinrich einen Zug nach Italien unternehme....

 

Was bei Macchiavelli schon politischer Rationalismus ist, war für die Zeitgenossen Donatis ein Mysterium voller Ambivalenzen: Einerseits Gewalttätigkeit übelster Art, andererseits nun untergehendes ritterlich-aristokratisches Kriegertum vom Feinsten, eine Welt, die in der Literatur weiter idealisiert werden wird. Bei Compagni, der ihn gut kannte heißt es über ihn:

Er war ein Ritter voller Mut und von großem Ruf, edel von Geblüt und Verhalten, und sehr gutaussehend noch in hohem Alter, von feiner Gestalt mit edlen Gesichtszügen und weißer Haut. Er war bezaubernd, weise und ein eloquenter Redner, und immer mit großen Dingen beschäftigt. Er war es gewohnt, auf vertrautem Fuß mit großen Herren und edlen Männern zu reden, hatte viele Freunde und war in ganz Italien berühmt. Er war ein Feind des popolo und der popolani, geliebt von seinen Soldaten; er war voll böser Gedanken, grausam und listig.

 

Najemy erklärt das Parteienwesen primär aus dem Fehdewesen eines sich immer aristokratischer gebenden Großkapitals von neuen Familien, deren Reichtum und Macht nur eine, bestenfalls zwei, drei Generationen zurückreicht, und die ihre gewalttätigen Konflikte dazu nutzen, sich ihrer Anhängerschaft in „ihren“ Nachbarschaften zu vergewissern, indem sie diese aktivierte, mobilisierte. Die einer zweckrationalen Vernunft des Kapitals widersprechenden, vergleichsweise nichtigen Anlässe (Ehrverletzungen, Beleidigungen usw.) wurden dann ideologisch aufgeladen. Wenn schließlich die Zeitumstände (Papst, Kaiser, Anjou usw.) das anboten, führten die miteinander verklammerten Familienloyalitäten der Oberschicht mit ihrem jeweiligen Anhang darunter zu jener Politisierung, die als Parteienbildung Bürgerkrieg hervorrief. „...the essence of such conflicts was the competition for loyalties and support among the middle and non-elite classes.“ (S.27)

 

Ein wesentlicher und wichtiger Nebeneffekt war laut Najemy die politische Neutralisierung des sich auf immer weitere Kreise der Mittelschichten ausdehnenden popolo: „fighting amongst themselves helped elite families neutralize the popolo politically by recruiting als many of them as possible into their factions.“ (s.o.) Es ist aber nicht belegt und eher unwahrscheinlich, dass man dabei für das 13. Jahrhundert von bewusst kalkuliertem Handeln reden kann, wobei Dino Compagni in seiner 'Cronica' über die Gewalttätigkeiten von 1300 schreibt: Die großen, mittleren und kleinen Leute und selbst der Klerus konnten nicht anders als sich von ganzem Herzen in diese Parteien einzubringen, dieser in diese und jener in jene.“ (Englisch zitiert bei Najemy, S.26)

Nach 1310 wird dieser Krisenzustand aber nachlassen. Das große Kapital lernt, mit den neuen Bedingungen anders umzugehen, die Konflikte werden stärker politisiert. Und 1310 kündigt König Heinrich von Luxemburg seinen Besuch in Italien an.

 

Florenz um 1300, Stadt des Kapitals und der Lohnarbeit

 

Der verspätete Aufstieg von Florenz beruht auf der Gleichzeitigkeit von mehreren Entwicklungen: Auf einer wachsenden Bevölkerung, die auf den Import von Lebensmitteln, insbesondere Getreide angewiesen ist, auf dem Wachstum der Produktion von Wolltuchen mitsamt dem Import fast aller Rohmaterialien, insbesondere der Wolle, und dem Wachstum eines Handels, der die Tuche in immer größeren Teilen Europas verkauft. Nur in diesem Kontext wächst auch das Finanzkapital, welches mit dem des Handels vielfältig verknüpft ist.

 

Dabei ist Florenz kein Zentrum des Handels für Mittelitalien, dort gehen viele Handelswege an der Stadt vorbei, sondern es expandiert weitgehend an seiner Region vorbei und über diese hinaus. Selbst das Finanzkapital hat zwar in der Stadt seine zentralen Büros, lebt aber stark von seinen weit entfernten Niederlassungen.

Umgekehrt lassen sich bis ins 15. Jahrhundert wenige Firmen von auswärts in der Stadt nieder und sie investieren auch nicht dort. Florenz ist kein Messestandort. Das Handwerk jenseits des Textilsektors produziert fast ausschließlich für den eigenen städtischen Markt.

 

Die großen Firmen von Handel und Banken haben zwar ihre Zentrale in Florenz, bestehen aber vor allem aus einem fluktuierenden Konglomerat von Firmen, die das westliche Mittelmeer und von dort aus den Norden mit ihren Niederlassungen überziehen. Neben der englischen Wolle wird von Brügge aus flämisches Tuch-Halbfabrikat eingekauft und in Florenz verfeinert, um dann teilweise wieder nach Norden zurück zu gehen.

Elementar ist die Versorgung der Stadt mit Getreide, welches im 12. Jahrhundert nicht zuletzt aus Sizilien kommt. Bis 1250 dringt der städtische Handel dann in das bis dato von Pisanern, Senesen, Genuesen und Venezainern dominierte Getreidegebiet Apuliens ein. Das guelfische Florenz unterstützt auch darum Charles von Anjou bei dessen Eroberungen bis 1268. Firmen wie die Frescobaldi, Bardi, Paruzzi, auch in Geldleihen an die englische Krone involviert, finanzieren nun auch den angevinischen Sieg. Seitdme etablieren sich die Firmen in allen süditalienischen Hafenstädten, wo nicht nur Getreide, sondern auch Öl, Wein, Mandeln und andere Agrarprodukte zu verhandeln sind. Die ungleiche Handelsbilanz wird durch von den Anjou privilegierte Finanzgeschäfte etwas ausgeglichen.

 

Nach dem Ende der lateinischen Herrschaften im Nahen Osten investieren Firmen aus Florenz zunächst in Zypern und helfen dann finanziell bei der Eroberung von Rhodos durch die Johanniter 1309, wo Bardi, Peruzzi und Acciaiuoli an den Staatsfinanzen beteiligt sind. Solche Firmen investieren auch in dem unter lateinischer Kontrolle stehenden Griechenland.

Zentraler Hafen für den Osthandel ist Venedig, und so wird die Straße von Florenz über Bologna dorthin zu einer "Hauptschlagader" des Handels (Goldthwaite). In Venedig kommen das Silber aus Süddeutschland an, welches für den Levantehandel gebraucht wird und die florentinischen Wolltuche. Neben den Deutschen werden hier Florentiner die wichtigste Ausländergruppe.

 

 

Das Florentiner Territorium war zunächst mit der Doppeldiözese Florenz/Fiesole identisch, und wird in seiner langsamen Expansion ein vom Stadtgebiet aus regierter Territorialstaat, in dem Kapital, Politik, Kirche und Orden in den Händen derselben reichen Familien liegen. Es hat Siena als ersten Kreditgeber der Päpste und Könige in Europa abgelöst. Im Krieg zwischen der anglonormannischen und der „französischen“ Krone schlagen sich die Bankiers, die zugleich Investoren im Handel und in die Textilindustrie vor allem sind, auf die „englische“ Seite. Anfang des 14. Jahrhunderts stehen deren Könige bei den Frescobaldi alleine bereits mit 100 000 Goldflorinen in der Schuld. Als Sicherheit bieten sie ihre Zolleinnahmen. Zwischen 1309 und 1311 erhalten die Frescobaldi das Monopol auf die beim Wollexport entfallenden Zölle und verhandeln die hochwertige englische Wolle nicht zuletzt an die Textilfirmen in ihrer Heimatstadt.

 

Die Bardi und Peruzzi finanzieren wiederum zunächst den Zweig des Hauses Anjou, der in Neapel herrscht. Dafür erhalten sie das Exportmonopol für Weizen aus deren Herrschaftsgebiet und dem aragonesischen Sizilien. Die Bardi werden derart drückende Gläubiger, dass die Anjou ihnen 1302 alle Steuern der angevinischen Provence abtreten.

 

Das sind nicht nur riesige Einnahmequellen, sondern auch gelegentlich Risikogeschäfte, denn das große Kapital kontrolliert zwar einigermaßen seine Heimatstadt, aber nur indirekt über seine Finanzmacht die Machenschaften der königlichen Territorialherren, deren „Politik“ von ihren fürstlichen Familieninteressen und nicht zuerst vom Geschäft bestimmt ist.

Bequemer nämlich aber noch risikoreicher als der Handel entwickeln sich die Finanzgeschäfte im 14. Jahrhundert. 1298 kommt es zum Bankrott der Bonsignori von Siena, 1300 zu dem der Ricciardi von Lucca, dann dem der Ammanati und der Chioventi von Pistoia.

Damit steigen die Florentiner Finanzgeschäfte auf, die zunächst noch nur eine Sparte der Firmengesellschaften darstellen, die aus aktiven Gesellschaftern und inaktiven Depositeneinlegern bestehen. Einige wie die Gianfigliazzi zwischen 1283 und 1325 spezialisieren sich schon ganz auf Finanzgeschäfte. "Sie liehen Geld an Herren und Städte im Südosten Franreichs, in der Dauphiné und in der Provence. Sie waren Bankiers der Dauphins, der Grafen von der Provence und des Königs von Sizilien." (Gilomen, S.112)

 

In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts hatte sich der Handel in der Arte di Calimala organisiert, weitere "Zünfte" folgen im 13. Jahrhundert. Man muss aber kein Mitglied in der Calimala sein, um Handel außerhalb des Staatsgebietes zu betreiben. Auf dem Weg ins 14. Jahrhundert sind die Artes dann immer weniger Fachverbände einzelner Gewerbezweige, sondern politische Einheiten. Man kann in einer Mitglied sein, an deren Gewerbe man überhaupt nicht teilhat, und schließlich kann man auch die Mitgliedschaft in mehreren besitzen.

 

Ab 1302 faillieren die ersten Handels- und Bankhäuser in Florenz, aber nicht nur deswegen, sondern auch zur möglichst friedlichen und zugleich doch Florentiner Kapitalinteressen dienlichen Abwicklung solcher Bankrotte gründet die oberste Liga des Handelskapitals der fünf mächtigsten Artes 1308 die Mercanzia (universitas mercatorum), die die Konflikte verrechtlichen und verfriedlichen soll.

Das große Kapital des Handels und seiner Finanzgeschäfte und seiner zunehmend europäischen Reichweite fällt inzwischen aus dem Arte-Rahmen heraus. Mehr und mehr von ihnen werden auch gar nicht mehr unbedingt Mitglied der Calimala, sondern sind über verschiedene Arti verstreut. Um ihre gemeinsamen Interessen zu wahren, gründen sie dementsprechend über dem "Zunft"verband die Mercanzia..

 

Wählen in das Gremium dieser neuen Institution konnten jene Mitglieder der fünf Artes, die Waren nach außerhalb der Grenzen des Stadtstaates exportieren oder von dort importieren oder in Geldgeschäften in irgendeinem Teil der Welt ihren Gewinn suchen (Calimala, Lana, Por Santa Maria, Cambio, Medici e Speziali). Ein von außerhalb geholter Rektor steht so fünf Artes-Vertretern vor, die jeweils drei Monate amtieren. Große Firmen dominieren nicht in diesem Gremium, vielmehr werden viele Firmen zu Beratungen herangezogen.

 

Erste Aufgabe wird die ordnungsgemäße Abwicklung von Bankrotten Florentiner Firmen gegenüber auswärtigen Gläubigern, gelegentliche Aufsicht über das Geschäftsgebaren durch Einsicht in die Bücher und dann bald auch Gesetzgebung in Handelsangelegenheiten und Berufungsinstanz in dazu gehörigen Gerichtsverfahren. Die Mercanzia schließt Handelsverträge mit Regierungen, sorgt für die Sicherheit der Transportwege und kümmert sich um das Abgabewesen dabei.

Gegen Ende des 14. und dann im 15. Jahrhundert nimmt ihre Bedeutung ab, da der "Staat" immer mehr ohnehin als Interessevertretung des großen Kapitals gesehen wird und zudem die Tuchproduktion an Bedeutung immer mehr neben Handel und Finanzen tritt.

 

Eine Auflistung von 1322 enthält 264 Firmen mit um die 800 dort investierenden Teilhabern, die also am Kapital, dem corpo beteiligt sind. Villani spricht von rund 300 Firmen, die außerhalb von Florenz operieren. Die Firmen sind dabei immer mehrheitlich in der Hand einer manchmal weitverzweigten Familie, die ihr auch den Namen gibt. (Nach dem Adel braucht jetzt auch das große Kapital Familiennamen). Neben den Anteilseignern haben die Firmen bis zu hundert Anleger, die Kapital zu einem festen, gewinnunabhängigen Zinssatz in ihr deponierten, Leute aus ganz Europa, der südlichen Mittelmeerküste und dem Orient. Das kann einer Firma ein gigantisches Volumen von bis zu 1.3 Millionen Goldflorin geben. Die Bardi zusammen mit den Peruzzi hatten bald an die englische Krone rund anderthalb Millionen Goldflorin verliehen, Außenstände, die sie nicht mehr würden eintreiben können. Das ist das Fünffache der jährlichen Gesamteinkünfte des Staates Florenz.

 

Florentiner Firmen bilden ein Netzwerk über große Teile Europas und im Süden und Südosten darüber hinaus. Sie kooperieren in wenigen Einzelfällen wirtschaftlich, häufiger politisch, wenn es um das Verhältnis zu Fürsten und Königen geht. Es gelingt keiner, die anderen mit ihrer Macht zu dominieren. Sie bilden keine Handelskolonien wie Venezianer und Genuesen, sondern nur dort, wo sie stark vertreten sind, das, was sie nazione nennen, eine Art bBruderschaft um eine Kirche herum. Ein Teil von ihnen geht, insbesondere in Lissabon, auf die Dauer in der heimischen Bevölkerung auf.

 

Das wichtigste Handelsgut ist längst Rohwolle aus England und sonstwo und sind daneben Tuche aus Florenz, Flandern und Gegenden Frankreichs. An zweiter Stelle steht Getreide aus Apulien und Sizilien, welches nach Florenz importiert und teilweise von dort dann wieder exportiert wird. Das ist besonders lukrativ, da sich die Firmen dort über ihre finanziellen Verbindungen mit den Fürsten eine Monopolstellung besorgt hatten, die die Preise aufwärts treibt. Der Transport läuft über von Genua und Venedig angemietete Schiffe.

 

Drei Säulen machten das Geschäft dieser Firmen aus: Der Handel, das Finanzwesen und zunehmend die Produktion. Rücklagen werden in Grundbesitz angelegt. In der Mercanzia schaffen diese "Welt"firmen nun eine Instanz, die sie aus dem politischen System des (Stadt)Staates herausnimmt und von ihm unabhängig macht. Zugleich verlassen sie damit die „Zunft“ordnung und ihre Regularien, ohne aus den oberen Artes auszutreten, die sie noch mehrere Generationen lang politisch nutzen. Aber es deutet sich bereits an, was dann die Medici im 15. Jahrhundert mustergültig vorführen werden: Das große Kapital operiert aus dem politischen Hintergrund heraus, besetzt immer weniger selbst die hohen Ämter, sondern benutzt dafür andere. Die Geburt des Humanismus wird auch die Geburtsstunde der ideologischen und politischen Wasserträger des Kapitals, die als politische Amtsinhaber, Kanzler, Autoren und Künstler in dessen Dienste treten.

 

Mit der Mercanzia und dem Diktat von Quantität, Qualität und Preisen geraten im Verlagssystem immer mehr Handwerker in eine Abhängigkeit, die die Bestimmungen der Zünfte unterläuft. Dasselbe gilt für Preisabsprachen innerhalb des Großkapitals und der Monopolbildung, gegen die sich Handwerker der Artes zunehmend und meist erfolglos wenden. Die Artes verlieren immer mehr an Bedeutung.

 

Verbesserte Anbaumethoden auf dem Lande führen zu einem rapiden Bevölkerungsanstieg dort, den das Land dann wiederum nicht verkraftet. Die Massen drängen in die Städte, im 13. Jahrhundert, so wird geschätzt, steigt die Bevölkerung der Stadt Florenz um mehr als das Dreifache. Mehrere neue Mauerringe werden nötig, um die vielleicht 120 000 einzuschließen (Würzburg hat damals vielleicht 3000 Einwohner). Die rapide Zunahme des Kapitals in der Stadt schafft es, sie als Lohnarbeit über dem Existenzminimum zu halten, wenn nicht gerade Erntekrisen oder Epidemien sie wieder dezimieren. Die Stadt kann aber damals ihr Bevölkerungsniveau aufgrund schlechter Lebensverhältnisse nicht aus eigener Kraft halten – sie braucht das Land.

 

 

Die Entstehung des Kapitalismus und der politischen Gemeindestrukturen hinterlässt kein klares Bild der Schichtungen nach Besitz, Einkommen, Verfügung über Kapital oder wirtschaftlicher Selbständigkeit. Ein nicht bezifferbarer großer Teil der Bevölkerung ist praktisch besitzlos, lebt dicht zusammengedrängt in „billigen“ Wohnquartieren zur Miete, wie zum Beispiel in Florenz in der Nähe von Santa Croce, und bietet seine Arbeitskraft auf dem Markt an oder bezieht karitative Unterstützung. Darüber hinaus gibt es in großen Städten wie Florenz viele hunderte „kleiner“ Selbständiger, die ihren Betrieb, ihr Geschäft, ihren Laden besitzen oder mieten, und deren Chefs bzw. Meister, zunehmend auch in den als niedriger erachteten Gewerben zünftig organisiert und eingebunden sind. Im produktiven Bereich, dem klassischen Handwerk, sind das Bäcker, Metzger, Schuhmacher, Kürschner, Goldschmiede und viele andere, im distributiven Lebensmittelhändler, Weinhändler, aber auch Gastwirte usw. Zunächst vom politischen Leben ganz ausgeschlossen, und in ihren unternehmerischen Entscheidungen an Gesetze und Verordnungen gebunden, sind sie nicht die entscheidenden Kräfte der Veränderung. Diese Selbständigen wiederum verfügen über Gesellen und Lehrlinge, in beschränktem Umfang, aber eben ein Vielfaches an Unselbständigen, die aber direkt selbständigen Betrieben eingegliedert sind.

 

Großes Kapital entsteht und wird investiert in Großhandel und Finanzgeschäfte. Daneben gibt es aber einige produktive Gewerbe mit besonders zunehmender Kapitalkonzentration, in Mailand die Metallverarbeitung, Seide in Lucca und Wolle in Florenz zum Beispiel. In solchen Fällen erlaubt ein sich ausdehnender Absatzmarkt mit seiner Konkurrenz über Qualität und Mode immer weitergehende Arbeitsteilung. In dieser geraten die in den einzelnen Arbeitsschritten Beteiligten in immer größere Abhängigkeit von großen Kapitaleignern. Chronist Villani gibt für seine Heimatstadt Florenz für die aus Wolle hergestellten Textilien für 1310 rund 300 Großbetriebe mit mehr als dem Doppelten an Kapitaleignern an. Die zunehmende Kapitalkonzentration verringert diese Anzahl dann binnen einer Generation um ein Drittel bei erheblicher Wertsteigerung der einzelnen Produkte auf dem Markt. (Raith, S.33)

 

Diese Firmen beschäftigen rund 10 000 Handwerker und Lohnarbeiter (ein hier immer fließenderer Begriff). Wenn man die Produktion von Tuchen aus Seide und anderen Rohstoffen, von Pelzen, Leder und Schuhen dazu nimmt, dann hängen gut 15 000 Arbeitskräfte und vielleicht 40 000 Menschen insgesamt an der Bekleidungsindustrie, dabei eingedenk der Tatsache, dass Spinnen und Weben weithin in der Hand von Frauen ist.

 

Die enormen Gewinne der Unternehmer beruhen darauf, dass der Faktor Arbeit bzw. Produktion zum Marktwert des Produktes nur ein (von Raith geschätztes) Drittel ausmacht, wodurch die Besitzer der größten Firmen zu Umsatzmillionären in Goldflorinen werden. Derweil sinkt ein Handwerk wie die Weberei bereits im 13. Jahrhundert in die Abhängigkeit, während die vorausgehenden Arbeitsschritte wie das Schlagen, Hecheln, Kämmen und Kratzen der Rohwolle bereits zuvor Lohnarbeit war.

Manche frühe Arbeitsgänge wie das Spinnen werden in Betriebe auf dem Land ausgelagert. Indem der Unternehmer Rohstoffe, zunehmend auch Geräte stellt, und am Ende auch das fertige Produkt vermarktet, behält er die Kontrolle über alle Etappen der Arbeit. In der Regel handelt es sich dabei um kleine Werkstätten mit wenigen Arbeitskräften, aber einzelne Etappen werden auch in größeren Einheiten in der Stadt erledigt, wie zum Beispiel die Färberei. Vor den dampfgetriebenen Maschinen, die zur Konzentration verschiedener Arbeitsvorgänge in einer Fabrik führen, und bevor es zu Manufakturen aufgrund eines gesicherteren Absatzes kommt, besteht kein Grund, die Arbeiten an einem Ort zu konzentrieren, und damit die Arbeiterschaft eines Unternehmens lokal zu vereinen. Die räumliche Trennung hat vielmehr alle Vorteile einer Zersplitterung der abhängigen Arbeit.

 

In dieser Entwicklung steigt die Zunft der wollverarbeitenden Unternehmer zur umsatzstärksten und mächtigsten in Florenz auf. Selbständigkeit und Unternehmertum waren an Mitgliedschaft in den artes gebunden, wie auch politische Beteiligung in der Stadt. Die Aufnahme in eine solche hing aber von Eigentumsqualifikationen und den Empfehlungen von Zunftmitgliedern ab. So wiederum kontrollierten die artes das Ausmaß der Konkurrenz in der Stadt. Versuche von Gesellen oder zugereisten Kapitaleignern, sich jenseits davon selbständig zu machen, werden mit allen Mitteln unterbunden.

 

Laut Villani arbeitet um 1300 ein Drittel der Bevölkerung in der Wolltextilbranche, d.h. mehrere zehntausend Menschen. Bei von ihm erwähnten 300 Betrieben wären das im Durchschnitt solche mit 60 Arbeitskräften, Großbetriebe können dann auf weit mehr als hundert kommen. Als der guelfische Teil der Guidalotti-Firma 1260 von den Ghibellinen enteignet wird, hatte eines der Häuser „im Erdgeschoss 5 Werkstätten; drei Häuser waren allein für die Färberei da, wobei eines den Ofen enthielt, der für das Tuchtrocknen benötigt wurde. Drei weitere Häuser enthielten zehn Tuchspannereien, auch ein umfangreiches Grundstückwurde zusätzlich hierzu verwendet. Eine nicht genau zu ermittelnde Zahl von Räumen war ausschließlich für die Aufbewahrung der Produkte vorgesehen, sowie für Brennmaterial (Reisig etc.). Der Betrieb bestand also aus nicht weniger als dreißig Häusern, wenn man den Handelstrakt mit einbezieht...“. (Raith, S.75)

 

Neben die Verarbeitung importierter Wolle bis zu verfeinerten und neuesten Moden gehorchenden Tuchen tritt in Florenz als wichtiger Geschäftszweig die Waffenproduktion, die sich in immer mehr verschiedene Handwerke aufteilte (Schwertfeger, Messerschmiede, Armbrustproduzenten, Bogenmacher, Eigenkugelhersteller, Herstellers des oberen Bereichs der eisernen Rüstung, des Halsberges, Spezialisten für Arm- und Beinschienen und die eigenen Kürassmacher hat Raith in den Dokumenten des 13. Jahrhunderts gefunden). "Die wegen ihrer Qualität hochgeschätzten Florentiner Waffen wurden zu einem derart einträglichen Exportartikel (...), dass ihre Herstellung im 13. Jahrhundert neben der Tuchproduktion zum wichtigsten Wirtschaftszweig der Toskanischen Metropole wurde." (Pauler in Hartmann (Hrsg), S.304.) Nach Davidsohn (4) bemächtigt sich auch ihrer zunehmend das Verlagssystem, ähnlich wie der Schuhproduktion. Auffällig ist andererseits, dass sie in den Quellen kaum als geschlossene politische Gruppe in Erscheinung treten.

 

Handwerksmeister (weibliche Meister eingeschlossen) sind als den Zunftregeln unterliegend keine wirklich freien Unternehmer, was Preis, Qualität und Menge ihrer Produkte angeht. Solange er zugleich Verkäufer seiner Waren bleibt, ist er aber dennoch Herr seiner Arbeit (und der für ihn wohlfeilen von Gesellen und fast kostenlosen der Lehrlinge). Wenn sie für einen sehr beschränkten Markt arbeiten, wie Talglichtzieher, oder aber eigene spezialisierte Märkte halten können wie Goldschmiede, bleibt ihre relative Selbständigkeit erhalten. Andernfalls geraten sie spätestens im 14. Jahrhundert in die Abhängigkeit vom großen Kapital.(Raith, S.67) In der Selbständigkeit wiederum findet keine weitere Binnen-Arbeitsteilung statt: Jeder soll dasselbe fertige Produkt herstellen können. Arbeitsteilung im selben Betrieb gibt es erst in den Manufakturen.

 

Zweitwichtigster produktiver Wirtschaftszweig war wohl zumindest zeitweilig das Baugewerbe, das besonders florierte, als nach dem großen Brand von 1304 die Stadt in Stein wiederaufgebaut wurde. Zugleich war es in Großprojekten wie den neuen Mauerringen und der Kathedrale eingesetzt. An beiden wurde jahrzehntelang gebaut. Die Stadt als Staat ist Auftraggeber für Stadtmauern und deren Türme und Tore, und zwischen 1284 und 1334 wird der letzte und größte solche Mauerring gebaut, der den ummauerten Raum etwa verneunfacht.

 

Staat, Großkapital und Bauwirtschaft verschmelzen so zu einer Einheit, die bis heute Bestand haben wird. Die Stadt finanziert ihre Bauvorhaben aus dem regulären Haushalt und aus zusätzlichen Beiträgen von der Bürgerschaft, auch für die Einrichtung größerer und geraderer Straßen und neuer, größerer Platze und deren Pflasterung. Mit der Organisation eines solchen Straßenzuges ist auch Dante kurz beauftragt. Maurer und Zimmerleute sind in einer Zunft organisiert, Möbelhandwerk in einer anderen. Alleine am Bau des Hospital von Santa Maria Nuova sind über Jahrzehnte im 14. Jahrhundert rund 250 Leute dauerhaft beschäftigt.

 

Der Übergang von der Holzbauweise zu Steingebäuden auch im privaten Bereich lässt neue von größerem Kapital betriebene Gewerbe aufblühen: Ziegelbrennereien, Kalkbrennereien für den Mörtel, Steinbrüche. An vielen Stellen schafft die Bauwirtschaft Gelegenheitsarbeit für Tagelöhner, die sich kurzfristig verdingen und ihre niedrigen Subsistenz-Löhne nur ebenso kurzfristig bekommen.

 

Ein dritter Großbereich, der sich zwischen produktivem und distributivem Bereich abspielte, ist die Lebensmittelwirtschaft, in der über 1000 Meisterbetriebe arbeiten. An der Spitze in Rang und Einfluss stehen die Metzger (330), gefolgt von den Pizzicagnoli e Oliandoli (200-400), die die Stadt mit Öl, Köse, Obst, Gemüse, Nüssen usw. versorgten, den Bäckern mit über 150 Meistern (darunter viele Meisterinnen), und den knapp hundert Inhabern von Weinläden, dem wichtigsten Getränk ähnlich wie das Bier in nördlichen Breiten (Wasser war oft eher gesundheitsschädlich).

 

Die Eroberung des ländlichen Territoriums der Städte durch die popolane Stadt als Kapitalisierung des ländlichen Raumes und seine Integration in die Warenwelt funktioniert als eine Art Kolonisierung: Die Befreiung der arbeitenden Landbevölkerung aus den persönlichen Bindungen an die adeligen Grundherren treibt diese entweder als mittellose Arbeitskräfte in das städtische Proletariat oder aber in nun stärker durch den Markt vermittelte Abhängigkeiten von den Grundeigentümern. Als Pächter zunehmend in Formen der Halbpacht (mezzadría) können Bauern nun halbwegs selbständig wirtschaften, aber ihnen fehlt das Fundament bäuerlichen Grundeigentums. Zugleich werden die großen geistlichen und weltlichen Grundeigentümer so zu Rentiers. In Anverwandlung adeligen Lebensstil erwerben Bürger mit genügend Kaufkraft nun Güter auf dem Land, wo sie im Sommer eine der Behausungen als Sommerfrische beziehen oder zumindest Frau, Kinder und Gesinde dort hinschicken.

 

Die arbeitende Landbevölkerung, zu der der alte grundbesitzende Adel zumindest einen gewissen Bezug hatte, wird von den Städtern als unzivilisiert, tölpelhaft und bösartig betrachtet, wie aus vielen Texten hervorgeht. Es sind die Wilden der ersten Kolonisierungsphase, unbekannter als das ansonsten nicht viel besser behandelte städtische Proletariat. Im Landschaftsteil von Ambrogio Lorenzettis 'Guter Regierung' im senesischen Palazzo Publico ist die von der Stadt kolonisierte Kulturlandschaft als wirtschaftlich wohlgenutztes städtisches Territorium zu sehen. Überhaupt gibt das Bild eine von Konsum geprägte Freizeitwelt der Oberschichten wieder. Erarbeitung des Wohlstandes und die damit Befassten fehlen fast völlig.

 

Der neue (Stadt)Staat des Kapitals bekommt ein umfangreicheres Haushaltswesen.Zunächst dominieren im 13. Jahrhundert noch direkte Steuern.

Aber die städtischen Einnahmen basieren dann nach 1290 vor allem auf den indirekten Steuern, gabelle, die auf den Verkauf von Gütern, und ihre Einfuhr durch die Tore der Stadt erhoben werden, und sie treffen vor allem die, die gerade so von ihrer Arbeit leben können. Daneben gibt es Abgaben auf ausgestellte Urkunden, Kontrakte und ähnliches. Einen Gutteil muss das Umland beitragen, dessen Last höher ist, und müssen unterworfene Städte aufbringen. Direkte Steuern, die den städtischen Reichtum treffen könnten, bleiben nun zweitrangig und werden 1315 durch Zwangsanleihen ersetzt, die auf dem geschätzten Einkommen der Besitzbürger beruhen. 

 

Die Ausgaben betreffen vor allem einmal den sich immer mehr ausweitenden Verwaltungsapparat, die Finanzierung der Ämter, und zum anderen die in kurzen Abständen aufeinander folgenden Kriege, in denen die Stadt ihr Territorium erweitert und damit den Markt, den sie direkt kontrolliert. Letztere Kosten zumindest verschlingen weit mehr, als die indirekten Steuern einbringen. Sie werden über Anleihen aufgebracht, die mit Zinsen zurückgezahlt werden müssen. Diese können erzwungen werden oder freiwillig sein, sie können (nach Einschätzung des Besitzes) alle betreffen oder nur wenige. Die Staatsschuld wird zum wesentlichen Instrument des großen Kapitals.

 

Zum Konfliktfall mit der Masse der Bevölkerung werden vor allem jene häufigen Anleihen, die das große Kapital in der Stadtregierung sich bei besonders hohem Zins selbst „auferlegt“, und die einen hohen Kapitalertrag versprechen. In ihnen wird besonders deutlich, wie das Großkapital nicht nur über Lohnarbeit, sondern über den neuen Stadtstaat selbst „verdient“: Die indirekten Steuern der Masse der Bevölkerung dienen der Zinszahlung und Tilgung der Einlagen der Schwerreichen in den Staatshaushalt. Im einzigen großen Aufstandsversuch, dem der Ciompi, werden die Handwerksmeister der „minderen“ Artes vergeblich versuchen, das zu ändern.

 

Die „Ungerechtigkeit“ ist dem Kapitalismus inhärent, sie ist für seine Entwicklung notwendig: Möglichst niedrige Arbeitskosten und möglichst hohe Gewinne auch über die Staatskasse sind genauso Voraussetzung wie eine vom Kapitalinteresse geleitete „Außenpolitik“, deren Kern Kriege sind und ihre Finanzierung.

 

Siena im 13. Jahrhundert (in Arbeit)

 

Siena konkurriert im 13. Jahrhundert mit Florenz nicht nur um Macht und Reichtum, sondern auch um die Größe der Kathedrale. 1339 plant die Stadt, das Langhaus ihres ohnehin schon großen Kirchenbaus zum Querschiff einer neuen Kathedrale zu machen, was aber über seine Anfänge nicht mehr hinaus kam (die man heute noch anschauen kann).

Zwischen 1296 und 1308 wird dann der große neue Kommunalpalast errichtet, der die zentrale Piazza del Campo abschließt, wohl einen der schönsten und zumindest beeindruckendsten Plätze Italiens, wenn nicht der lateinischen Christenheit.

Das Beispiel Mailand

 

1288 liefert der Grammatiklehrer Bonvesin della Ripa mit 'De magnalibus Mediolani' eine begeisterte Beschreibung seiner Heimatstadt, die sich offenbar auf recht genaue Kenntnisse berufen kann – lange vor Giovanni Villanis Ausführungen zu Florenz und wohl auch genauer.

Mit dem Scheitern der staufischen Gegner, des gemeinsamen Feindes also, waren die oft gewalttätigen Konflikte in der Stadt wieder aufgebrochen, die Wirtschaft und Verwaltung in Frage stellten. Zunächst versuchte Ezzelino da Romano, die Situation zu nutzen und sich auch diese lombardische Stadt zu unterwerfen. Danach gelingt das aber dem Markgrafen Oberto Pelavicino, der schon dominus von Pavia, Cremona und anderen Städten war. Nach seinem Tod gewinnt 1258/59 das Adelsgeschlecht der della Torre in der Stadt die Oberhand.

 

Seit 1262 ist Ottone Visconti Erzbischof, seiner Familie gelingt es 1277, sich militärisch in der Stadt durchzusetzen und bis 1287 auch den Contado von Mailand unter seine Kontrolle zu bringen. Damit ist eine frühe Signoria als Familiendynastie begründet, ein Fürstentum auf städtischer Grundlage und mit großen territorialen Ansprüchen. In Bonvesins Beschreibung wird in aller Ausführlichkeit eine Form moderner Staatlichkeit sichtbar, wie sie sich in allen Lebensbereichen niederschlägt, und wie sie ihren Vorgänger nur im Sizilien Friedrichs II. hatte. (Keller in Hartmann (Hrsg).

 

 

Laut Bonvesin hatte die Stadt eine Mauer von über 6 Kilometern Länge mit rund 100 Türmen und sechs großen Stadttoren. Stadt und Vorstädte kamen auf 200 000 Einwohnern bei 200 Kirchen, über 20 Klöstern und Stiften, zehn Spitälern mit fast 1500 dort ständig Versorgten. Für Stadt und Contado insgesamt schätzt er mehr als 700 000 Münder beiderlei Geschlechts, die ernährt werden müssen.

 

Es gab eine staatlich reglementierte Lebensmittelpolitik mit Besteuerung der Getreidemühlen vor der Stadt. Das Getreide wurde auf dem Weg zu den Mühlen und an den Toren auf dem Weg in die Stadt gewogen und registriert. Es gab eine Buchführung über die Ernten und die Bevorratung und eine der Müller. In Klostern wurden große Mengen Getreide von der Gemeinde bevorratet. Im Contado gab es über 900 Wassermühlen, in der Stadt 400 Backöfen für den Markt bei 300 Bäckereien. 440 Metzfer schlachten pro Tag in Schnitt 70 Ochsen alleine. Es gab etwa 1000 Ladengeschäfte und 150 kommerzielle Beherbergungsstätten.

 

Es gibt über 100 Werkstätten, die Harnische herstellen, 80 Hufschmiede: Sie versorgten rund 10 000 berittene Krieger der Stadt und 30 000 Mann Infanterie. 70 weltliche Lehrer unterrichteten Lesen, Schreiben und Rechnen, 8 in den sieben artes liberales, 14 Gesangslehrer. 120 Volljuristen, über 1500 Notare.

 

Wenn man bedenkt, dass Bonvesin ein Mitglied des Dritten Ordens der Humiliaten war, dann ist schon beachtlich, dass nicht Geistliches, sondern ganz und gar Weltliches im Zentrum der Begeisterung für seine Stadt steht, und dass offenbar Quantität hier über Qualität geht.

 

 

Als Friedrich II. mit den Konstitutionen von Melfi und dem Liber Augustalis Anfänge moderner Staatlichkeit umschreibt, waren die Mailänder längst dabei, ihre „Verfassung“ in einem Statutenbuch als Sammlung von Rechtsverordnungen niederzulegen. „Die Statuten in den neuen Codices und das verschriftete Gewohnheitsrecht wurden thematisch geordnet, allgemein zugänglich gemacht, und immer wieder wird ausdrücklich gesagt, dass vor Gericht fortan nur noch das als Recht anerkannt werden solle, was in den offiziell verabschiedeten, laufend aktualisierten, durch die Kommune gesichtern „Gesetzbüchern“ aufgeschrieben war.“ (Keller in Hartmann (Hrsg), S.287)

 

An die Stelle alter Unfreiheit in der Knechtschaft der servi trat in der Stadt die neue, die aus der Zwangsgewalt (Keller) der neuen Obrigkeit hervorging. Wer nicht zu den Rittern gehörte, musste Kriegsdienst als Spanndienst oder in den Befestigungen leisten. Es gibt ein ausführliches Steuerkataster für die Besteuerung der Vermögen, jeder Bürger muss eine Art Vermögensaufstellung inklusive Hausrat und Vorräten abgeben, und es wird zu Denunziationen ermuntert und amtlicherseits regelmäßig kontrolliert. Das gilt ebenso für den Contado und die zukünftig zu erobernden Gebiete.

 

1302-10 gelingt es den de la Torre noch einmal, die Macht in der Stadt zu erringen, bevor die Visconti sie wieder ablösen.

 

Religion

 

In etwa dieser Zeit wird die Synthese von Christentum und Kapitalismus abgeschlossen. Eine über Papsttum, Bistümer und Orden längst über ihr Rentierdasein hinaus kapitalistisch wirtschaftende Kirche und ein Kapitalverwertung betreibendes Bürgertum bilden in den Städten eine meist ungestörte Einheit. Der Popolo begreift wie Kirche und Orden, inzwischen auch die Bettelorden, bürgerliche Rechtschaffenheit (also die ökonomisch vermittelten Wertvorstellungen von Handel und Handwerk) und Christentum andererseits als identisch. Der zunehmend verrechtlichte Moralkodex bürgerlichen Wirtschaftens wird als alltäglicher Kern gelebter Religiosität betrachtet.

 

Um 1300 haben die Bettelorden sich fast zur Gänze von ihren asketischen Ursprüngen abgewendet und insbesondere die Ideale eines Franziskus abgelegt. Wer im Orden daran noch erinnerte, war inzwischen Verfolgung ausgesetzt. Und wenn der Dominikanermönch Remigio Girolami über Florenz schreibt, hört sich das ähnlich an wie beim Humiliatenbruder Bonvesin über Mailand: Der große Reichtum und die riesige Bevölkerung werden gelobt, die Goldwährung, die Textil- und Rüstungsindustrie und die großartigen Gebäude.

 

Kirchen und Klöster werden baulich wie Einrichtungen des Großkapitals behandelt. Die Calimala und danach breitere Unternehmerkreise finanzieren den Neubau der Kathedrale, die nun Maria geweiht wird. Kathedralen werden Monumentalbauten, die die Macht des Kapitals und seinen politischen Triumph feiern sollen. Dieselben Leute finanzieren Kirchenbauten und Ordensgebäude und deren Ausstattung, wie man heute noch in Santa Maria Novella und Santa Croce ausführlich sehen kann, und auch hier ist Größe ein elementarer Faktor. Solche Gebäude fördern die Bauwirtschaft, die zumindest zeitweilig zum zweitgrößten Gewerbe nach der Textilindustrie wird. Und die Einheit von Kapital, Politik und Kirche scheut sich bald auch nicht, grausamste Söldnerführer mit ihren am Markt hängenden „Loyalitäten“ in der Kathedrale zu verherrlichen. Die Familien, die Spitzen des Großkapitals sind, sind zugleich führend in der Kirche und den Orden.

 

Daneben ist Christentum Ritual, Zeremonie und Festkultur. Man geht regelmäßig in die Kirche, die zentralen Familienfeste (Taufe, Hochzeit zumindest unterhalb der Oberschicht, Beerdigung) finden im Rahmen der Kirche statt, und die öffentlichen Feste, ohnehin aus der Synthese kirchlicher Feste mit vorchristlichen Traditionen entstanden, vereinigen religiöse und weltliche Aspekte aufs Angenehmste. Man feiert den Anbeginn des Mais ebenso wie den Stadtpatron Johannes den Täufer, und zudem sehr ähnlich, mit Prozession, Darbietungen wie Schauspielen, Tanz und Musik, mit Alkohol usw.. Dazu wird der heilige Ambrosius gefeiert, und neu dazu der Leichnam des Herrn (die Hostie), der in der Monstranz, dem Herzeig-Gefäß, in einer großen Prozession durch die Straßen getragen wird.

 

Der Wunderglaube, in der zweckrationalen Praxis der Kapitalverwertung ausgegliedert, hat weiter öffentlich seinen Platz. Wenn Not in der Stadt ist, wird das wunderwirkende Gnadenbild der Jungfrau aus Impruneta geholt und in einer Prozession durch die Stadt getragen. 1292 weint plötzlich die Maria vom Getreidemarkt von Or San Michele Tränen und die Mühseligen, Kranken und Beladenen eilen herbei, um geheilt zu werden oder sonstwie Erlösung zu finden.

 

Die Astrologen werden zur Beratung für allerlei Entscheidungen herangezogen. In ihnen verbindet sich ein rationales Weltbild mit irrationalen Nebenschauplätzen: Die Planeten bestimmen wie in der Antike manchmal das Schicksal, die Berechnung des Schicksals hingegen führt in Richtung moderner Mathematik und Astronomie.

 

Zugleich ist das alles von großen Gegensätzen geprägt. Relativ illiterate Volksfrömmigkeit trifft auf an Aristoteles und Cicero geschulte Vernünftigkeit, das Ausscheren Einzelner aus der auf bürgerliche Rechtschaffenheit geschrumpften Religion in die Imitatio Christi trifft auf eine reguläre Praxis, in der von der evangelischen Botschaft nur ein paar wenige Worte, aber keine Taten mehr übriggeblieben sind.

 

Dazu passt eine neue Bildersprache, die am Ende biblische und kirchengeschichtliche Ereignisse im aktuellen städtischen Raum darstellen wird. Aus Aposteln und Heiligen samt der heiligen Kernfamilie werden Florentiner Bürger in einem zum Teil realistischen Florenz werden, bis später im Extremfall die heiligen Gestalten die Gesichter und Kleider der schwerreichen Auftraggeber zeigen, und sie zumindest in deren Umgebung darstellen. Aber der Umbruch in diese neue Welt um 1300 hat bescheidene Anfänge. In den Mosaiken des Baptisterium und von San Minato al Monte taucht noch ein letztes Mal ein von Byzanz beeinflusster majestätischer Christus auf, während Bencivieni di Pepi mit dem Spitznamen Cimabue für Santa Croce auf ein Holzkreuz einen stärker vermenschlichten Jesus malt.

 

Vermenschlichung gelingt eher bei der (wenn auch heiligen) Gottesmutter als beim vergöttlichten Sohn. Den Einstieg liefern Cimabue für Santa Trinità und Duccio di Buoninsegna für Santa Maria Novella im Auftrag der dort angesiedelten Laudesi-Bruderschaft, die am Ende in der Kapelle der reichen Familie Rucellai landet. In Siena hatte sich Kapitalismus früher als in Florenz entfaltet und die Malerei war weiter, „bürgerlicher“ beeinflusst. Neben die zentrale Darstellung trat zunehmend eine Ansammlung kleinerer Bilder, in denen biblische Geschichte in aktuellem Gewand erzählt wird. In ihnen können sich die Maler mehr auf die Wirklichkeit ihrer Zeit einlassen. Ein Museum solcher Versuche wird die Grabeskirche des armen Francesco in Assisi, in der großformatig Geschichten aus seinem Leben abgebildet werden. Der ist zwar längst heilig, aber er lässt sich, wenn auch legendär ausgeschmückt, als wirklicher Mensch in seiner Zeit darstellen und legendär überformen.

 

 

Der immer noch gelegentlich auftauchenden Legende vom christlichen Mittelalter steht einerseits die Tatsache gegenüber, dass Christianisierung wenig inhaltlich geblieben war und sich auf die Unterwerfung unter kirchliche Autorität beschränkte, andererseits aber ein sich im hohen Mittelalter immer deutlicher erkennbarer Antiklerikalismus äußerte, der sicher auch schon früher da war. („...the strong undertow of radical criticism of the clergy became a permanent feature of the urban scene“. Hyde, S.117). Gewiss sind solche Äußerungen in ein „christliches“ Vokabular gekleidet, ein anderes stand nur als antikes Zitat zur Verfügung, aber das soll nicht verdecken, dass „Christentum“ ein aufgesetzter Fremdkörper in der mittelalterlichen Welt war, der immer neu adaptiert werden musste, um nicht zunächst in vorchristliche Religionen zurück oder aber in Säkularisierung unterzugehen.

 

 

Zivilisierung

 

Zivilisierung ist Etablierung von Machtstrukturen als Herrschaft, ihre Institutionalisierung und deren Verstaatlichung in ihrer Vergesetzlichung. Es ist die Funktionalisierung des Raubtiers Mensch als Machthaber in seine Amtsrolle und als Untertan in seine domestizierte Situation als ein den Machtstrukturen Unterworfener.

 

Der Popolo übernimmt aus der Antike den Begriff der civilitas, das Ideal der grundbesitzenden und staatstragenden (civitates kontrollierenden) Oberschicht mit dem von Leuten wie Remigio de Girolami propagierten Kern der civilitas vivendi, was ich einmal unter Vorbehalten mit zivilisiertem Lebensstil übersetze und was nichts anderes wird als moralisierender bürgerlicher Lebenstil. Für ihn wie schon vorher für Brunetto Latini und manch anderen Belesenen und Intellektuellen ist das eine aus dem Kaufmännischen abgeleitete Form von Ehrbarkeit und Rechtschaffenheit, wie sie auch der textlich überlieferten römischen Republik zugrunde lag. Gegen die ritterlich-höfische Adelswelt mit ihrem kriegerischen Kern setzt diese bürgerliche Zivilisierungsbestrebung auf Selbstdisziplin und fordert Domestikation (die patriarchale disciplina des domus). Die zentralen Begriffe sind „Friede“ (pax), Gemeinwohl (bonum commune) und Gerechtigkeit (iustitia), letztere bedeutet im Kern Verrechtlichung.

 

Vor der Zivilisierung in die neuen Formen von Staatlichkeit stand ihre Vorform in der kirchlich- religiösen Erziehung, hinter der sich weltliche Gewalt verbarg. In den Städten bleibt sie für die immer weitergehender Proletarisierung unterliegenden Massen der wesentliche von außen und oben kommende Einfluss. Für das freier unternehmerisch operierende Kapital wird dieser Einfluss äußerlich, ein vom Geschäftsgehabe abgetrennter Bereich, aber wichtig nicht zuletzt, weil die geistliche Macht im Bündnis mit der wirtschaftlich- politischen immer als deren Legitimation herhalten muss: Im Kern sind die Verhältnisse von Kapital und Arbeit, arm und reich, mächtig und ohnmächtig gottgewollt oder bei den säkulareren Einzelnen dann naturgegeben

 

Städte sind nicht nur nach Vierteln oder Sechsteln und Nachbarschaften unterteilt, sondern auch nach Pfarreien. Städtische Horizontlinien werden nach dem Schleifen der Adelstürme von den Türmen von Kirchen, Klostern und Konventen bestimmt. Kathedralen werden Bauten des Bürgerstolzes und bezeugen die Einheit von Kirche und Bürgertum. Der Anteil von Geistlichen und Ordensleuten an der Stadtbevölkerung ist erheblich. Villani gibt für Florenz 1338 200 bis 300 Weltgeistliche und hunderte von Ordensmitgliedern an. Zusammen wären das einer von dreißig Einwohnern, heute unvorstellbar. (Raith, S,26) Die Zahlen sind extrem ungenau und geben wie so oft in damaligen Chroniken einen oberflächlichen Eindruck der damaligen Autoren wieder – sie haben oft nicht genau nachgezählt.

 

Zivilisierung bedarf immer der religiösen oder säkularen Legitimierung. Im nord- und mittelitalienischen „Hochmittelalter“ verschwindet die christliche Grundlegung der neuen Strukturen, standen doch zunächst die christlichen Vorstellungen jenem entstehenden Kapitalismus diametral entgegen, aus dem die politischen Strukturen erwuchsen. Die kirchlichen Rituale und Zeremonien bleiben, aber sie selbst wird an den Rand des Geschehens gedrängt und zum bloßen Dekor. Wiewohl die Texte der Zeit sich mit christlichem Vokabular schmücken und formelhaft darauf zurückgreifen, die Verhältnisse in den Städten wirken, soweit wir das heute noch nachvollziehen können, zunehmend säkular. An den Texten von Dante über Petrarca bis Boccaccio lässt sich dieser Vorgang der Säkularisierung im Nachherein gut nachvollziehen.

 

Der dem Kapital innewohnende Zweckrationalismus überträgt sich auf die neuen politischen Strukturen, deren von Eigennutz und Gruppeninteressen getragene Durchsetzung eine neue Qualität von Brutalität und Grausamkeit erhält. Aber zugleich verlangt das enge Zusammenleben in der Stadt sowohl ein neues säkular-ideologisches Kleid, um den aufgeklärteren Geist mit neuem begrifflichem Nebelwurf milde zu stimmen, und für die friedlicheren Phasen des städtischen Miteinanders Umgangsformen, die die Gegensätze situativ überdecken.

 

Vorstellungen von Freiheit (im Begriff des populus liber zum Beispiel) statt nur Freiheiten, von Rechtlichkeit, von Gemeinschaft und Gemeinwohl und von Souveränität kommen auf und verbreiten sich bei der Intelligentsia und durch sie. Strukturen eines politischen Bewusstseins entwickeln sich aus der Beobachtung von Wahlvorgängen, ihrer rechtlichen Beurteilung, den neuen „politischen“ Machtstrukturen jenseits derer von Land und Kapitalverfügung und der Entstehung kommunaler Haushalte.

 

 

Im Konflikt mit Friedrichs II. Vorstellungen von monarchischer territorialer Staatlichkeit verlor das Studium des römischen Rechtes seine imperialen Sympatien, besonders nachdem der Kaiser seinen süditalienischen Studenten den Besuch der kommunal geprägten „Universiäten“ von Bologna und ihres konkurrierenden Ablegers Padua untersagt hatte. Diese waren zunächst ein Verbund einzelner Doktoren, die um sich zahlende Schüler versammelten und dabei deutlich definierte Unterrichtsverpflichtungen eingingen. Lehrende und Lernende waren in eine Vielzahl von Verbänden „organisiert“, insbesondere jene Studenten, die aus der Ferne kamen und Verbrüderungen zur gegenseitigen Unterstützungen ausformten. Aus diesen gingen um 1200 mehrere Verbände hervor, die sich universitates nannten, die jeweils einen rector an ihre Spitze wählten. Diese Rektoren begannen dann, sowohl ihre Studenten wie die Doktoren zu kontrollieren, dabei aber die studentischen Interessen vertretend. Laut Hyde erinnert die Machtposition der Lernenden an die der sich selbst vertretenden Oberschicht in den Kommunen (S.91)

 

Recht begründet und propagiert Machtverhältnisse und in den entstehenden italienischen Stadtstaaten sind diese am weitesten fortgeschritten. Ein wesentlicher Schritt ist die Verwandlung der Kommune als Schwurgemeinde einzelner Personen bzw. Familien und Firmen in eine territorial gebundene Institution, die über ihre Einwohner verfügt. Dabei waren wie auch nördlich der Alpen Konflikte mit Landadel, Kirche und Kloster unausweichlich, die sich rechtlich außerhalb des kommunalen Verbandes sahen. Der Adel wird wo irgend möglich gewaltsam integriert, wenn er sich nicht von sich aus einbindet. Dabei verschwindet er aber nicht, sondern verwandelt sich nur. Im 12. Jahrhundert wird dann wie in Pisa (Hyde, S.99) der Versuch unternommen, die Zuständigkeit der weltlichen Justiz auch für diese Bereiche (außer den kirchlichen Abgaben und den religiösen Belangen) durchzusetzen. Kirche und Staat gehen dabei Interessenverbände ein in der Stadt.

 

Staaten beruhen auf Herrschern und Beherrschten, Machthabern und Untertanen, und zwar auf einem klar umgrenzten Territorium. Zudem ist die Macht in festen Institutionen verankert, die nicht auf die Lebenszeit der Machthaber beschränkt sind und es existiert eine Trennlinie zwischen der privaten Macht und dem privaten Vermögen der Mächtigen und ihrem öffentlichen, staatlichen Gegenpart. Die Auflösung der antiken Welt brachte das Ende solcher Staatlichkeit mit sich. An die Stelle institutionalisierter Machtausübung traten Reiche, die auf persönlichen Bindungen und Beziehungen beruhten.

 

Nach der grundsätzlichen Feststellung der allgemeinen Untertänigkeit der Einwohner von Stadt und Contado unter die Kommune beginnt sehr schnell die Ausdehnung der kommunalen Zuständigkeiten. Das beginnt mit dem Schutz der Person und des Eigentums, geht zur Verteidigung der Stadt und dann zur kriegerischen Eroberung über.

Militärdienst der Untertanen wird zur Pflicht.

 

Diese Aufgaben verlangen Geld und damit Besteuerung. Diese übernimmt stadtherrliche und königliche Formen und gewinnt dann Raum mit der allgemeinen direkten und indirekten Besteuerung von Eigentum und Waren. 1162 versucht sich Pisa an einer frühen Aufstellung des beweglichen und immobilen Besitzes der Untertanen, ein neuer Versuch nach dem Domesday-Book von Wilhelm dem Eroberer.

 

 

Von diesen Aufgaben wird dann vorangeschritten zu Eingriffen in das Privatleben der Menschen, vermittels des Familienrechts und vielem anderen, bis dann im späten Mittelalter sogar die Sexualsphäre dazu kommt. Um als das zu bewältigen, werden immer neue Ämter und Räte geschaffen, die wiederum Geld kosten, das von den Untertanen eingetrieben werden muss. Zu den Konsuln kommt die Gerichtsbarkeit, um 1300 beschäftigen größere Gemeinden zehn oder zwanzig hauptamtliche Rihter, mehr als fünfzig Notare. Da ist das Amt des Kämmerers, der die Finanzen verwaltet, was ihm im Laufe der Zeit viele Angestellte beschert, da ist das Amt der Schreiber bzw. Notare und dann kommen immer neue Ämter hinzu.

 

 

Die Verwaltung weitet sich immer weiter aus und kostet selbst immer mehr, aber die eigentlich politischen Ämter, also die, in denen relevante Entscheidungen getroffen werden, bleiben wenige und werden von wenigen besetzt: Erst von Konsuln, dann von einem Podestà und schließlich in den meisten Kommunen von einem Alleinherrscher bzw. Despoten, dem signore, der allerdings manchmal auch kein Amt innehatte, sondern nur die politische Macht.

 

Inzwischen ist der freiwillige Charakter der kommunalen Einung längst dem Zwangscharakter geschwunden. Das Spiel der Ambivalenzen wird dabei nirgendwo so deutlich wie bei der Tatsache, dass die wachsenden Städte immer abhängiger wurden von der Einfuhr von Lebensmittel, und ab einer bestimmten Größe war dafür der Import aus fernen Gegenden nötig, Nord- und Mittelitalien wurden so von Getreideeinfuhren aus Sizilien, Apulien und anderen noch ferneren Gegenden abhängig.

 

Zunächst wurde auch zu diesem Zweck das städtische Umland unterworfen, das, was Hyde „taming of the contado“ nannte (S.106). Die Kommune setzte dann einen Podestà in den unterworfenen Orten ein und verlangte einen Eid persönlichen Gehorsams von den neuen Untertanen. Zugleich begannen die Mächtigen der Kommunen die Ein- und Ausfuhr von Nahrungsmitteln unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Abhängigkeit von den von außen kommenden Lebensmitteln war zugleich Abhängigkeit von den Mächtigen in der Kommune.

 

Die Usurpation einer solchen Vielfalt von Aufgaben und Machtvollkommenheiten macht verständlich, dass neue Rechtsvorstellungen entwickelt werden mussten und die Rechtsgelehrten immer wichtiger wurden. Aber es gelingt ihnen bis weit ins vierzehnte Jahrhundert nicht, statt religiöser nun säkulare Begründungen für die Macht der neuen Institutionen zu finden, die über das Eigeninteresse der Amtsinhaber hinausgehen. Die Erfindung der schönen Fiktion von der Souveränität von Stadt und Staat, in der Praxis im normannischen England und Süditalien und im Sizilien Friedrichs II. bereits ein wenig vorhanden, wird noch auf sich warten lassen. Aber ihr Vorläufer, der Patriotismus, ist bereits vorhanden: Die Stadt und ihr Staat ist nun patria, aber das ist zwar inzwischen populär, aber noch nicht rechtlich zu Ende gedacht.

 

Aber neben der Justiz war die Rhetorik, eng mit ihr verbunden, ähnlich wie in der Antike ein Kernthema der neuen Intelligentsia und in ihr wurde die Briefstellerei immer wichtiger. Mit Boncompagno da Signa, der um 1200 in Bologna lehrte, taucht ein erster Meister solcher Rhetorikbücher auf, in denen unter anderem Modellbriefe für fast alle Lebenslagen und Zwecke gesammelt werden. I ihnen geht es natürlich nicht nur um die Form, denn solche Texte transportieren immer auch Inhalt, Argumentationen, Propaganda.

 

Da ist dann auch die Domestikation in neue urbane Umgangsformen, die Verbreitung von Tischmanieren aus der höfischen Welt. Da sind die Manierenbücher des Brunetto Latini und Bonvesin de la Riva. Dabei orientiert man sich unten eher nach oben, wie hätte es anders sein können. Das demonstriert der Popolo auch architektonisch bis in die Paläste seiner neuen Stadtregierung und der Zünfte und Gilden, die sich an aristokratischen Vorbildern orientieren. Andererseits emanzipiert sich die Malerei auf dem Weg zu Giotto von ihrer christlichen Aufgabe. Zwar bleiben die biblisch-christlichen Themen zunächst, aber der Erzählrealismus der Ausführung reduziert die Botschaft und fasziniert stärker durch das Erschließen neuer technischer Möglichkeiten, die die Imitation „der Natur“, die realistische Illusion, erst einmal in den Vordergrund stellt – und den theatralischen Realismus eines Spektakels.

 

Die Literatur zeigt aber, das Ratio und Irrationalismus sich durchaus treffen bzw. nebeneinander bestehen können. In den bildlichen Darstellungen wird der Gottessohn stärker vermenschlicht, literarisch bleibt er aber tabu. Stattdessen gelingt es dem neu aufgekommenen Marienkult, in die säkulare Literatur über Toubadourlyrik zu den stilnovisti des dolce stil nuovo zu gelangen. In Dantes Beatrice zum bis ins Philosophische gesteigerten Ideal, wird dieses bei Petrarca stärker vermenschlicht, um in Boccaccios Fiammetta, die nun für sich selbst spricht, völlig entchristianisiert subjektiv, gefühlvoll und zugleich innerlich zerrissen zu sein.

 

Die Idealisierung der Frau heraus aus ihren realen Zusammenhängen in der neuen bürgerlichen Literatur ist ein exzellentes Übungsfeld für die weitere Theoretisierung politischer Zusammenhänge, die die vom frühen Kapitalismus hervorgebrachteten Machtstrukturen zu idealisieren sucht. Dabei lässt sich verfolgen, wie die Innovationskunst des Kapitalismus immer neue theoretische Konstrukte hervorbringt, die sich auf die Kritik bestehender Verhältnisse berufen, um dann im Nebel von oft unhinterfragten Begrifflichkeiten zu enden: Freiheit, Gleichheit, Recht und Gerechtigkeit (im immer wieder neuen Wortsinn), Frieden (nach innen und durch Aggression nach außen) usw. Eine Etage darunter schafft es die sich politisierende Sprache des Bürgertums bald, auch die Machtverhältnisse zu poetisieren: Aus der antiken „Liebe“ zum Vaterland wird die zur eigenen Stadt als Lokalpatriotismus mit der Kehrseite des Hasses auf rivalisierende Städte. Und dann kommt die Speichellecker-Lyrik gegenüber den neuen Despoten dazu: Martines zitiert Saviozzo aus Siena: „Oh edler und gerechter Signore, milder Vater, hochgeschätzt und gut, durch den die niedrige Witwe hofft Frieden und Ruhe zu finden.“ (S.91)

 

Die Welt von Kapital, Markt, Ware und Konsum ist neu und der Analyse noch wenig zugänglich. Veränderungen werden unmittelbar erlebt und entziehen sich so der kritischen Distanz. Das führt dazu, dass in den überlieferten Texten nicht obige vier Begriffe, sondern das Geld im Mittelpunkt steht und zwar vor allem in Form des vom aufsteigenden Zentrum der Geldwirtschaft, Florenz, eingeführte Goldflorin, deutsch Gulden, der zur zumindest europäischen Leit-Währung wird.

 

Mit dem Schwinden der Selbstversorgung und der Angewiesenheit auf den Geldwerb zum Erwerb von Konsumgütern auf dem Markt wird Geld zu einem erstrebenswerten Gut für so ziemlich alle. Das hindert die Nachdenklicheren und die Ressentiment-Geladeneren nicht daran, die Folgen der sich rapide ausweitenden Geldwirtschaft auch negativ zu betrachten. Der Grundton ist entweder rundweg moralisch oder aber der Finger wird auf die Käuflichkeit von immer mehr als Ausdruck einer Verderbnis der Sitten gelegt. Was beim Seneser Cecco Angiolieri einen boshaft-satirischen Ton erhält, wird beim Florentiner Zeitgenossen Dante zur nostalgischen Verklärung einer idealisierten Vergangenheit – der komplementär der Wunsch nach einem idealisierten universalen Kaisertum gegenübersteht.

 

Dagegen klagt er im 'Convivio', dass Reichtum „von Natur etwas Niedriges“ sei, beunruhige, statt Frieden zu bringen, „Tag und Nacht / hast du angesammelt und in deine Hände gepresst / das, was so bald zur Gänze verloren ist.“

 

Dagegen steht die ironische Verklärung des Geldes: „Du magst predigen was du willst, /Florinen sind deine besten Verwandten … Keiner soll sagen, ich bin edel geboren / wenn er kein Geld hat. Dann soll er sagen / Ich bin wie ein Pilz geboren, in Dunkelheit und Wind.“ (Cecco Angiolieri aus Siena) Oder derselbe: „Pass auf, dass du jederzeit Geld zur Hand hast. Beschütze es sorgsam und nutze es weise, es ist dein bester Freund und Verwandter.“ Bei einem weiteren florentiner Zeitgenossen, Tedaldi, heißt das so: Die kleinen Florinen von Gold und Silber /haben mich ganz und gar verlassen. … Nicht ein einziger Florin sucht ein Zuhause / in meinem Geldkasten, meiner Hand, meiner Börse, oder an meiner Seite. … Tag und Nacht sehne ich mich nach ihnen und träume von ihnen.“

 

Dass das Geld nicht nur Käuflichkeit von Waren, sondern auch von Menschen bedeutet, bedroht eine frühere Vorstellung von Menschenwürde, aber Literaten neigen von Natur aus dazu, elitär zu sein und vergessen, dass es um Wertvorstellungen der kleinen Minderheit des Adels ging. Und sie neigen dazu, die Ambivalenzen nicht zu sehen, die Fernhandel, Großhandel, Geldgeschäfte und inebesondere die von den Städten geförderten Formen von Spekulation für Aufstiegswillige bieten. Der Neureiche mit seinen Schwierigkeiten, Sprache, Verhaltensweisen, Manieren und Lebensform beim Aufstieg anzupassen, wird zum Objekt des Spottes oder gar des Hasses. Poesie neigt dazu, Komplexes zu simplifizieren und wird dadurch populär.

 

Modern ausgedrückt, die Kritik bleibt „konservativ“ und auch darum natürlich wirkungslos. Wenn überhaupt, wird sie den alten Adel zum Mäzen von Autoren machen. Wir wissen auch nicht, was die Masse der Bevölkerung dachte und empfand. In die neuen Verhältnisse gezwungen, bleibt ihr ohnehin nichts anderes übrig, als mit ihnen zurechtzukommen. Zu vermuten wäre, dass die, die ohnehin in einem täglichen wirtschaftlichen Überlebenskampf standen, Geld für das hielten, was vor allem anderen erstrebenswert ist.

 

Martines präsentiert einen zeitgleichen bürgerlichen Anonymus aus Genua, der in seinen Poesie alle Neuerungen der Zeit in sich birgt und zugleich das neue bürgerliche „Christentum“ daneben vertritt. (S.114ff) Er steht für einen Lokalpatriotismus, der die frühen territorialen und kolonialen Neigungen seiner Stadt vertritt, die er verherrlicht wie ihre kriegerischen Unternehmungen, ihre frühkapitalistischen Strukturen, der zugleich aber eine auf Zeremonie und Partizipation an Institutionen reduzierte religiöse Praxis vertritt und eine Form neuer bürgerlicher Ehrbarkeit als alltägliche Lebenspraxis, die er als moralische für eine christliche ausgibt. Das setzt er ab gegen Luxusgebaren der Oberschicht, obwohl er an anderer Stelle die Prachtentfaltung (in) seiner Stadt lobt, und gegen das unwürdige Proletariat, aber auch gegen den in der Warenwelt schnell aus der Plebs Aufgestiegenen.

 

Das alles wird in christliches Vokabular gekleidet, so dass dieses nun auch noch bürgerliches Verhalten zu schmücken hat, aber Christentum ist soweit nur noch Dekor. Daneben kann er das vorbürgerliche 'Memento Mori' anstimmen, jenen Ton, der mahnt, dass die „Liebhaber der Welt“ nichts ins Grab mitnehmen können, und ähnliches. Ehedem Selbstverständliches wird mitgeschleift, unhinterfragt neben das Neue gestellt, welches dann zum Beispiel so lautet: „Alle Menschen sind Herren ihres Geschicks / solange sie leben. / Ihnen gehört der freie Wille zu tun / was sie wollen, Böses oder Gutes / und die anderen Geschöpfe leben, / um ihnen zu dienen.“ (Aus dem Englischen von Martines, S.123) In dieser Formulierung ist Gott aus dem Alltag ausgegliedert und in die Kirche und die „religiösen“ Bruderschaften des Bürgertums weggesperrt. Aber natürlich hätte er sagen können: Wenn man Gott dabei mitdenkt, entspricht das der alttestamentarischen Botschaft.

 

Der Mailänder Grammatikmeister Bonvesin de la Riva schreibt um 1274: „Reichtum, herausragender Platz und weltliche Ehren / Sind nichts als ein von Sündern geträumter Traum.“ (Martines, S.278). Aber das klingt bereits nach lehrbuchartiger Formelhaftigkeit. Der Autor, so können wir uns denken, gehört zu den untersten Schichten neuer Bürgerlichkeit, zu denen, die einen „Beruf“ nötig haben. Die Zeilen stammen aus dem 'Libro delle tre scitture', einem im lombardischen Volgare geschrieben Vorläufer von Dantes Comedia mit den drei Teilen „Hölle“, „Passion Christi“ und „Paradies“.

 

Bürgerliche Rechtschaffenheit muss erst einmal im Wirtschaften erfunden und dann auch jenseits davon eingeübt werden. Laienbruderschaften waren dafür ein idealer Ort. Das individuelle Amüsement jenseits offizieller Festivitäten soll für Mitglieder massiv eingeschränkt werden, Kartenspiele, Würfeln um Geld, Kneipen als Freizeitort werden unehrenhaft, eheliche Treue wird angemahnt. Dazu gehören Unterordnung unter geistliche und weltliche Autoritäten. Man erkennt als treibenden Faktor eine Werteorientierung des mittleren und niederen Bürgertums, an der die kleine, reiche Oberschicht weniger Anteil hat, auch wenn es diese Vorstellungen nach außen zunächst mittragen wird.

 

Indem das Christentum verbürgerlicht, wird es für die Unternehmer möglich, es als unentbehrliches Randphänomen in sein Geschäftsgebaren einzugliedern. Händlersozietäten nehmen Gott und die Caritas in ihre Verträge auf, Gott wird als stiller Teilhaber eingetragen und die Calimala erklärt in ihren Statuten ihre Glaubenstreue und ihre Ablehnung aller Ketzerei. Zudem teilt sie mehrmals die Woche Brot an die Armen aus. Caritas erhält den inneren Frieden und erhöht den Preis der Arbeit nicht. Aber zwei Dinge sind festzuhalten: Zum einen nehmen die Unternehmer ihr neues, verbürgerlichtes Christentum als Ausdruck ihrer Ehrbarkeit und Rechtschaffenheit ernst, und zum anderen wären Kapitalanhäufung und -konzentration mit den älteren christlichen Vorstellungen nicht möglich gewesen.

 

Die Ablehnung von Eigentum und Geld durch Franz von Assisi wurde durch päpstliche Aprobation entschärft und als Zustand der Heiligkeit aus dem Alltag des Bürgertums delegiert. Als die Franziskaner sich in Florenz niederlassen, werden sie gerne aufgenommen, und die reiche Oberschicht beteiligt sich am Bau und der prächtigen Ausstattung von Santa Croce. Der noch ein wenig an das Armutsideal erinnernde Baustil wird durch die Größe des Gebäudes und die Pracht im Inneren deutlich in die neue großbürgerliche Welt integriert.

 

Die Scholastik schafft es, den Kapitalismus meisterhaft in die kirchliche Lehre zu integrieren. Der Dominikaner Thomas von Aquin schreibt: „Wenn man den Handel mit der Absicht der Gemeinnützigkeit treibt, wenn man verhindern will, dass lebensnotwendige Dinge fehlen, dann wird der Gewinn, anstatt als Zweck betrachtet zu werden, nur als Lohn der Mühen in Anspruch genommen.“ Böser ausgedruckt: Da Warenproduktion und Verteilung auf dem Markt dem Konsum dienen, also den Konsumenten zugute kommen, ist der Gewinn für den Unternehmer nur die Entschädigung für seine willkommenen Bemühungen. Die reiche Kirche bietet dem Bettelmönch nicht nur Unterschlupf und Betätigungsfeld (Finanzierung), sie hilft auch, Reichtum zu rechtfertigen.

 

Das Dominikanerkloster von Florenz ist mit Mitgliedern der reichsten und vornehmsten Familien bestückt. In Santa Croce residierte um 1293 ein Mitglied der Bardifamilie als Oberinquisitor der Toskana

 

Großkapital, Bettelorden und Bruderschaften werden zu Auftraggebern für eine Kunst, die immer noch Handwerk ist, aber in der Ausstattung von Kirchen religiöse Themen immer mehr mit den Insignien (groß)bürgerlicher Rechtsschaffenheit und einer Vermischung adeliger und bürgerlicher Idealvorstellungen schmückt. Die biblischen Geschichten halten Einzug in der neuen bürgerlich-kapitalistischen Stadt.

 

Ziegelbauten lösen im 13. Jahrhundert die Holzgebäude ab. Erste Versuche öffentlicher Abwasserableitung (Latrinen, Färberwasser usw), Schweine sollen von den Straßen ferngehalten werden. Beatrice und ihre Begleiterinnen müssen auf dem Weg zur Kirche nicht mehr durch Fäkalien waten.

 

Politisierung

 

Die griechische polis war der Stadtstaat, der sich selbst regierte und verwaltete. Dieser veranlasste Aristoteles in der Rückschau, vom „Menschen“ als eines zóon politikón zu reden, eines in die städtische Gemeinschaft vergesellschafteten Wesens. Das Wort 'Politik' taucht erst im sechzehnten Jahrhundert im Deutschen auf, nachdem es vorher schon von seiner latinisierten Form ins Französische und Englische übernommen worden war (das Adjektiv taucht schon mehrere Jahrhunderte vorher auf). Dantes politischer Lehrer Brunetto Latini liefert die erste bekannte italienisch/französische Definition.

 

Politisch ist dabei alles, was mit dem neuen Staatswesen zu tun hat, inbesondere sind es die neuen Ämter und Einrichtungen. Politiker ist jemand, der die Machtspiele in den neuen Strukturen mitspielt, ohne dass er zunächst so benannt wird. Politisierung bedeutet aber auch die Verschleierung realer Machtverhältnisse als Gewaltverhältnisse durch ihre Verrechtlichung, welche Gewalt von innen nach außen lenkt. Das gelingt aber zunächst nur wenig in der alltäglichen Gewalttätigkeit in Stadt und Land. Besser gelingt das in einer neuen, zweiten Etappe der Verbindung von Religion und durchaus auch brutalster und grausamster Gewalt.

 

Der Jesus der Evangelien war seit der Spätantike in ein Nischendasein abgedrängt und durch den alttestamentarischen Gott ersetzt worden, der schon anhand von Kaiser Konstantin durch hochkirchliche Autoren zum Kriegsgott erklärt worden war, wobei sich die „Christen“ auf das antike Judentum berufen konnten. Die bürgerliche Stadt übernahm ihn vom Adel und machte ihn, die heilige Familie und die übrigen Heiligen zu Bannerträgern ihrer Gewalttätigkeit.

 

Die bewaffneten, militärischen Organisationen benennen sich nach christlichen Heiligen, zum „christlichen“ Kirgesgott wird für den militärischen Sieg gebetet und die Vaterfigur der Vorformen neuen Fürstentums wird mit dem militanten Vatergott des Krieges und der Gewalt zunehmend in Analogie gesetzt. In den Worten von Martines: „... all political opponents could boast that God was on their side.“ (S.152) Der Franziskaner Giacomino da Verona bezeichnet Christus als „jenen ruhmreichen Baron“, der „Herzog, Herr und Verteidiger der ganzen Stadt“ ist (Martines S.153)

 

Diese politisch korrekte Propagandabotschaft steht aber sehr lange noch gegen die alltägliche Wahrnehmung von Wirklichkeit, die sich ebenfalls christlicher Formeln und Moralität bedient. So wie das Geld die frühere Rolle von verwandschaftlichen, familiären Bindungen, ihrer persönlichen Bindekraft übernimmt, wird nun die Stadt als Mutter durch das politische Spiel geschändet und entehrt, ein Bild, dass auf der offiziellen Verbindlichkeit der jungfräulichen Tochter und der sexuell auf ihren Mann verpflichteten Ehefrau beruht, deren Entehrung auf dem Markt der neuen Eitelkeiten immer öfter thematisiert wird, - bis dann Boccaccio dabei zwischen Jovialität, ironischer Heiterkeit und bittersten Zynismen oszilliert.

 

Das merkwürdige Wort Humanismus ist eine deutsche Erfindung des frühen 19. Jahrhunderts, während der Begriff Renaissance als italienische „Wiedergeburt“ schon in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhundert zur Beschreibung eines Programms der Wiederaufnahme antiker Äthetik in den bildenden Künsten verwendet wurde. Als Epochenbegriff mit seinen ganzen bildungsbürgerlichen Konnotationen ist das Wort eine französische Erfindung einige Jahrzehnte nach der Erfindung des „Humanismus“ und wurde etwas später dann ins Deutsche eingebürgert. Beide Wörter haben den Fehler, dass sie seitdem wie eine bunt gefärbte Brille den Blick in die Vergangenheit eher behindern als fördern. Dennoch kommt man um sie wie um so viele Wortkuriositäten des 19. Jahrhunderts kaum noch herum.

 

Im Kern folgen sie den Ideologen zwischen Petrarca und der frühen „Neuzeit“ bis in das mit Barock im Nachhinein betitelte Zeitalter, die die Zeit zwischen der Antike und dem entfalteten Kapitalismus als dunkle, bildungslose Zeit einer „gotischen“ oder überhaupt von den Nachwehen der Völkerwanderung behinderten Epoche enormer Barbarei sehen wollen. Dabei gibt es in den bildenden Künsten einen wirtschaftlich bedingten Niedergang gewisser Techniken, aber keine völlige Loslösung von antiken Traditionen, und die antike Literatur und Philosophie wird nie ganz aus den Augen verloren. Im Grunde ist die Zeit zwischen 500 und 1500 vielmehr eine unaufhörliche Abfolge von „Renaissancen“ recht unterschiedlicher Art, die sich allesamt auf die Antike beziehen, bis man dann meint, sie „überwinden“ zu können.

 

Dennoch gibt es um das dreizehnten Jahrhundert herum einen besonders heftigen Innovationsschub nicht nur in der Entfaltung des Kapitalismus, nicht nur über die damit verbundenen neuen Techniken, sondern auch hin zu einem aufblühenden Rationalismus, der mit dem kapitalistischen Wirtschaften und der zunehmenden Verrechtlichung der wirtschaftlichen Strukturen, sondern vor allem auch ihrem politischen Gegenstück geschuldet ist. Dabei tauchen alle wesentlichen Grundzüge für das, was dann im 19. für das 15. und 16. Jahrhundert als „Humanismus“ deklariert wird.

 

Das belegt bereits der Florentiner Brunetto Latini mit drei im Exil geschriebenen Texten, den im damaligen Südfranzösischen verfassten 'Li Livres dou Tresor', dem im Toskanischen geschriebenen 'Il Tesoretto' und der 'Rettorica'. Latini ist geprägt von ciceronischen Texten wie dem 'De inventione', welches er in seiner 'Rhetorik' in die Volkssprache übersetzt und kommentiert, und von der Philosophie des Aristoteles, die seit Anselm von Canterbury und Abaelard in Paris längst auf neue Weise gelesen wird.

 

Enzyklopädien wie den 'Tresor' gab es schon bald nach dem Zusammenbruch der Antike als Zusammenschau des damaligen „Wissens“. Aber sie waren von christlicher Geistlichkeit und für die wenigen damals Literaten in der Oberschicht geschrieben. Der studierte Jurist Latini schrieb von einer weltlichen Warte und für die literaten Kreise des neuen Bürgertums. Eine solche Zusammenschau seiner damaligen „Kenntnisse“ wird sein Schüler Dante in poetischer Absicht in der 'Comedia' leisten, in der das christliche Weltbild nur noch die Formeln und Bilder für ein recht säkular-politisches abgeben wird.

 

Neben dem Rekurs auf die Antike steht bei ihm das Insistieren auf die Bedeutung der Rhetorik, wie er im Abschnitt über die 'Regierung der Städte' im 'Tresor' formuliert: „Die wichtigste Kenntnis für das Regieren einer Stadt ist die Rhetorik, das heißt, die Redekunst, denn ohne wirksame Sprache gäbe es keine Stadt und auch keine Gerechtigkeit noch menschliches Zusammenleben.“ (Nach Martines, S.156)

 

Der gesamte Text politisiert die alltägliche Wirklichkeit in die neue Staatsidee hinein. Im 'Tesoretto' heißt es entsprechend: „Jeder Mensch/ Mann, der zur Welt kommt, ist zunächst für seinen Vater und seine Verwandtschaft geboren, dann für seine Gemeinschaft (communo). ...Ich möchte, dass du ehrlich und loyal zu deiner Gemeinschaft bist, und was ihr immer geschieht, strebe danach, sie nicht untergehen zu lassen.“ (Nach Martines, S. 166) Zur Not muss man bereit sein, für seine Stadt zu sterben.

 

Im Kern gilt diese Aufforderung für seine Leserschaft, die herrschenden Schichten des neuen Kapitalismus, von denen er Belesenheit und Bildung verlangt. Diese soll dem lokalpatriotischen (politischen) Zweckrationalismus dienen, der – was er natürlich nicht schreibt – jenem der Kapitalverwertung entspricht. Im idealen Podestà schafft er nicht nur ein Leitbild guter Politik (überparteilich, gerecht, vom herrschenden Recht, nicht von Emotionen geleitet, sondern bedacht handelnd usw.), sondern das Muster aller folgenden Texte vor Macchiavelli, die das Muster zum Verbrämen, Schönen und Kaschieren der Wirklichkeit politischer Machtspiele geben wird.

 

Noch deutlicher wird das in den Auswahlkriterien für einen Podestà, die in dem „Adel seines Herzens, der Ehrbarkeit seines Lebens und seiner Gewohnheiten und den tugendhaften Werken zu Hause und in den übrigen Herrschaften...“ besteht (Martines, S.160). Das Brunetto im Herzen der praktischen Politik in Florenz vor und nach seinem Exil mitten in den zum Teil brutal ausgetragenen Konflikten seiner Heimatstadt mitmacht, steht auf einem anderen Blatt.

 

Bei Brunetto wie dem Bologneser Professor Guido Fava und vielen anderen fehlt noch jede theoretische Begründung für die Herkunft und Rechtfertigung der Machtverhältnisse, wie sie später aufkommen wird. Sie stammen in letzter Instanz von Gott, sind quasi vom Himmel gefallen so wie die Konflikte, insbesonders der gewalttätig ausgetragene Streit das Werk der aus dem Himmel gefallenen Engel ist. Herrschaft/Machtausübung ist darum in augustinischer Nachfolge ohne dessen gedankliche Qualität oder theologische Tiefe die Unterdrückung des Bösen im Menschen.

 

Die Glorifizierung des eigenen Stadtstaates begleitet diesen Weg in die Säkularisierung, der nur noch die Leerstellen in den politischen Konstrukten „religiös“ ausfüllt. Jede „christlicher“ die Argumentationslinie dabei ausfällt, desto stärker wird der repressive Charakter des Staates betont, der der Unterdrückung des der „Welt“ inhärenten Bösen dient, was den Staat zum Beispiel auch zunehmend zum ausführenden Arm der Verfolgung religiöser Dissidenten, der Häretiker und Ketzer macht.

 

Daneben kommt es zur Idealisierung des Staates der „guten Regierung“ als Rahmenbedingung für ein gutes vergesellschaftetes Leben. Hier schwindet ganz „fortschrittlich“ die religiöse Fundierung und wird durch die auch heute immer noch moderne Fkition vom Gemeinwohl ersetzt, die ihre grausamste und wahnhafteste Ausführung in Texten von Jean-Jacques Rousseau viele Jahrhunderte später finden wird.Im 'De bono communi' des Remigio de Girolami wird die Fetischisierung des Staates auf dieser Grundlage bereits auf Höhen betrieben, die sich vom heutigen Staatsfetischismus nur noch wenig unterscheiden (Mensch wird man dadurch, dass man Stadtbürger ist). Er hatte etwa in derselben Zeit wie Brunetto in Paris studiert, war unter den Einfluss des dortigen Aristotelismus geraten und von Thomas von Aquin und unterrichtete danach in Florenz im Rahmen des studium des Dominikanerklosters, welches 1294 eine Art studium generale wird, Vorläufer einer Universität.

 

Der zentrale, bis heute von staatlicher Ideologie und Propaganda vertretene Ausgangspunkt ist, dass der Einzelne ohne den Staat nichts ist, und darum dessen Wohl und Wehe als Gemeinwohl über dem des Einzelnen steht. Das völlig unjesuanische „Liebe deinen Staat (deine Stadt) mehr als dich selbst“ wird zum völlig Unchristlichen der Vorstellung, sogar sein Seelenheil für das Gemeinwohl aufs Spiel zu setzen. Der Schritt, diametral entgegen der evangelischen Botschaft des Christen höchste Bestimmung zu der eines Staatsbürgers zu machen, gebiert die Vorstellung vom totalitären Staat, der noch ein halbes Jahrtausend brauchen wird, bis sich die „fortschrittlichsten“ Kreise an seine Verwirklichung machen. Ursache waren die immer wieder gewaltsam ausgetragenen Konflike in der Stadt, die in Ermangelung eines über sein Territorium hinausgehenden Ordnungsrahmens aus den Erfahrungen bürgerlich-ökonomischer Organisation nach befriedeten Formen neuer Staatlichkeit suchte.

 

 

Marsilius von Padua ist Sohn eines Notars und über dessen Arbeit für die Kommune eng mit deren Geschichte verbunden und dem Ende ihrer Komunalverfassung, auch durch Signori wie die della Scala von Verona berbeigeführt. Er studiert Medizin, geht an die Pariser Universität, wo er sich allgemein für Naturstudien interessiert. Er gerät unter den Einfluss aristotelischer Schriften und des schloastischen Rationalismus. Dabei interessiert er sich vor allem für Aristoteles Sichtweise auf den Staat als eines quasi natürlichen Organismus und überträgt sie auf seine Paduaner Kommunalerfahrungen.

 

Im 'Defensor pacis“ nimmt er 1324 dann den Gemeinwohlgedanken und rationalisiert ihn unter dem Einfluss eines immer weiter modernisierten Aristoteles, indem er ihm zwei Körper gibt, einmal die von ihm konstruierten politische Bürgerschaft (legislator humanus), deren wertvollerer Teil als sein pars valentior, vermutlich die bürgerliche Oberschicht, Vorrang haben soll. Die Gesamtheit (universitas) der Bürgerschaft, allerdings nicht der Einwohnerschaft, bildet dabei den Souverän. Das Gemeinwohl drückt sich hier in einem Vorläufer des Rousseauschen „Allgemeinen Willens“ aus, der die Gesetze macht und die Regierung (pars principans) einsetzt und ihrem Willen unterwirft. Was Recht ist, liegt nun in Menschenhand, genauer gesagt in der Hand der Auswahl der dazu befähigten Menschen, und welche Art von Exekutive sie ausführt, ebenso.

 

Da die Glaubenssätze der (christlichen) Religion nur dann als Gesetze taugen, wenn sie von einer exekutiven Gewalt durchgesetzt werden, sollten sie laut Marsilius der legislativen Gewalt unterworfen sein, wie auch die Geistlichkeit, die damit ins Staatswesen integriert und ihrer Sonderstellung beraubt wäre. Die Sonderstellung des Papsttums, biblisch durch nichts begründet, soll abgeschafft werden und Priestern jeder Einflusses außerhalb der Erteilung der Sakramente entzogen sein. Damit schließt er eine religiöse Begründung von Staatlichkeit implizit aus, was ihm die Exkommunikation einbringt und den Schutz durch Ludwig den Bayern. Vermutlich hoffte er darauf, dieser möge Italien den dringend benötigten Frieden bringen.

 

Damit bekommt der Staat zweierlei in die Hand: Eine konsistente Rechtfertigungsideologie und zudem die Rechtfertigung der Willkür jener, die nun die Politik in die Hand nehmen. Wichtig an diesen „bürgerlichen“ Rechtfertigungs-Zusammenhängen ist zuallererst, dass die ökonomischen Machtverhältnisse von den politischen in der Betrachtung abgetrennt bleiben und diese damit im Anschluss an die Antike in den luftigen Höhen rational-geschlossener Texte hängenbleiben. Die Säkularisierung solcher Gedankengänge macht sie abhängig von der dünnen Luft eines Rationalismus, der als Zweckrationalismus vom sich entfaltenden Kapitalismus abgeleitet ist, ohne sich noch wieder darauf zurückzuführen.

 

Der politisierende Weltgeist kann nun solange frei walten, wie er der Kapitalverwertung immer größeren Raum einräumt. Erst mit dem beschleunigten neuen Schub der Industrialisierung im 18./19. Jahrhundert kommt es zu der scheinbar genialen Idee, diesen Geist in der Ökonomie zu materialisieren. Mit dem Marxschen Sozialismus, der Diktatur des Proletariats, findet der Staat dann in seinen Texten seine höchste, vollendet totalitäre Stufe, um daran im „Kommunismus“ zu verenden. Der Idealismus als Verselbständigung politisierender Vorstellungswelten stirbt erst im Massenmorden von Bolschewiken, Nationalsozialisten und denen, die sie sich anzuverwandeln suchen. Erlösung der Menschheit von sich selbst.

 

 

Signorien: Despotie

 

Das deutsche Wort „bürgerlich“, abgeleitet vom „Bürger“, verleitet dazu, einer Idee im nachhinein Wirklichkeit zu verleihen und die Geschichte im Sinne einer bestimmten Art des Philosophierens zu idealisieren. Sinnvoll lässt es sich nur mit wirtschaftlicher Selbständigkeit, also entsprechendem Eigentum und dem Begriff „Kapitaleigner“ verbinden und der damit verbundenen Selbständigkeit, die Lebensformen, Arbeitsverhältnisse und eine bestimmte Art zu wirtschaften miteinander verbindet. Aber schon in unserer Zeit hier strebt das obere Stratum in Richtung Adel und das untere ist immer wieder von Proletarisierung bedroht. Ohne einen gemeinsamen Gegner fallen die unterschiedlichen bürgerlichen Gruppen auseinander, haben kein gemeinsames Programm und unterschiedliche Ziele. „Bürgerliche Politik“ ist schon für das sogenannte Mittelalter ein Stück weit eine ideologisierende Fiktion des neunzehnten Jahrhunderts.

 

Die immer stärker anwachsende und bald überall größte Gruppe in den Städten ist das Proletariat, die Masse derer, die kaum Grund und Boden und oft nicht einmal ihre Behausung besitzen, immer öfter auch keine Werkzeuge und Gerätschaften für jene Erwerbsarbeit, ohne die sie auf Almosen angewiesen waren. Diese Gruppe, die vor allem durch Zuwanderung wächst, ist durch die Zeiten politisch rechtlos, ist der Rechtsetzung und Rechtsprechung des Adels und/oder der bürgerlichen Kapitaleigner besonders in deren oberen Schichten ausgeliefert und damit ihrer Willkür. Sie mögen von bürgerlichen Vorstellungen geringfügig und oberflächlich beeinflusst werden, dies aber ohne sonderliche Nachhaltigkeit. Ihre prekären Lebensverhältnisse erlauben das nicht.

 

Über ihnen steht die Masse des zünftigen Handwerks, der Ladenbesitzer und des auf den engeren Umkreis um die Stadt beschränkten Kleinhandels. Soweit dieses „Kleinbürgertum“ das für den Warenverkehr benötigt, erwirbt es sich im 13. Jahrhundert bereits rudimentäre Kenntnisse in Lesen, Schreiben und Rechnen, was zur Etablierung eines „Schulwesens“ jenseits von Kirche und Kloster führt. Die Masse des Handwerks lernt alles Nötige in Lehre und Gesellenschaft.

 

Dieses Bürgertum der kleinen Betriebe, die Masse der Bürgerlichen, schafft es nur in bestimmten Situationen, in die Institutionen der Städte einzudringen und solche Positionen dann zeitweilig zu halten. Dabei gelingt es ihnen aber nicht, die adeligen und/oder bürgerlichen reichen Familien in ein gemeinsames Konzept einer neuen Stadt einzubinden. Dieser geringer kapitalisierte popolo minuto, das geringere Volk, wie es in Italien genannt wird, ist dabei vermutlich so gewalttätig wie die Oberschicht und tendiert dazu, ihr mit seinen Forderungen Angst zu machen. Zwar wird immer häufiger auch von der neuen politisierten Schriftstellerei vom „Gemeinwohl“ geredet, aber in der Praxis gelingt es nicht, dies anders als in der Verallgemeinerung von Partikularinteressen von Adel und Großkapital zu formulieren. Das aber führt dazu, dass die politischen, in der Regel gewaltsam durchgesetzten kleinbürgerlichen Ansprüche entweder in Oligarchien der Reichen oder in despotischen Herrschaftsformen münden.

 

Letztere werden nach dem italienischen Wort für den Herrn, den signore, signoría genannt. Solche entstehen im 13. Jahrhundert vor allem in Norditalien, wie die der Este in Ferrara seit 1240, des Ezzelino da Romano in Verona, Vicenza und Padua (1236-59), nach ihm 1263 der della Scala,  oder der Pallavicini über Cremona, Piacenza und Pavia um 1250. Aber wenn Dante im sechsten Teil des 'Purgatorio' sagt, die Städte Italiens seien voller Tyrannen, meint er damit wohl nicht nur die despotischen Ein-Mann-Herrschaften über Städte, sondern die Neigung vieler einzelner Familien der Oberschichten, aggressiv und gewalttätig ihren Eigennutz zu verfolgen. Und tatsächlich war Dante ja nach seiner Exilierung auf die Gastfreundschaft von Tyrannen angewiesen, und so widmet er einen Teil der 'Comedia' Cangrande della Scala, dem Signore von Verona.

 

Die erste Welle von Signorien bis 1250 entsteht auch, weil Friedrich II. Bündnispartner für die Wiederherstellung des Reiches nur in solchen frühen „Fürsten“ findet, nachdem es ihm nicht gelingt, Bündnisse mit dem Popolo herzustellen, dessen Modernität er wohl unterschätzt. Die meisten Signori sind denn auch Häuper großgrundbesitzender Magnaten, die im Parteienstreit mit anderen Familien standen. Als Beispiel erwähnt Hyde den Kampf zwischen den Corregio und den Rossi in Parma, der erst die eine Seite, und dann 1328 die andere nach oben bringt (S.148).

 

Dort, wo der Adel und die kleine bürgerliche Oberschicht von den mittleren und unteren Rängen des Popolo daran gehindert werden, sich in oligarchischen Machtstrukturen abzuschotten, oder von rabiaten einzelnen Machthabern wie Ezzelino da Romano entmachtet wurden, sind es wie in Verona die Zünfte, die sich reiche Magnaten als Führer aussuchen. Hier ernennenen sie Mastino della Scala zum capitan des popolo und nach seiner Ermordung seinen Bruder Alberto, der nicht nur zum capitan und rector der Zünfte gewählt wird, sondern gleich auch zum Herrn von ganz Verona. Alberto wird das Recht der Gesetzgebung gewährt und der Aneignung städtischen Eigentums (Martines, S.126). Nachdem er seine Alleinherrschaft hinreichend solide etabliert hat, gelingt es ihm dann am Ende, 1298, die Zünfte zu entmachten. Ihre Vertreter dürfen sich jetzt nur noch versammeln, wenn sie die Genehmigung durch die zwei hohen capitani bekommen, deren einer sein Sohn war – und er selbst der andere (Martines, S,127) Der großbürgerliche Ausgangspunkt des Mastino endet unter seinen Erben in aristokratisch-fürstlichem Prunk und Gepränge. Cangrande wird dann als gefeierter Heerführer und Kriegsheld seine Herkunft weit hinter sich gelassen haben.

 

In Mailand ernennt die Credenza des kleinen und mittleren Kapitals Mitte des 13. Jahrhunderts hintereinander vier Mitglieder der mächtigen della Torre – Familie zu Vorsitzenden ihres obersten Rates. Als militärische Führer des Popolo führen sie dessen Armee gegen die Streitkräfte exilierter Adeliger. Aber offiziell wird erst nach ihnen Erzbischof Ottone Visconti als Vertreter des in der Stadt durch einen großen Teil des Jahrhunderts vom Popolo bedrohten alten Adels Signore der Stadt.

 

Die Despotie der signori beruht auf dem Scheitern der bürgerlichen Kommune, die aus dem letztlich unversöhnlichen Hass und den immer wiederkehrenden gewalttätigen Konflikten der wirtschaftlichen Interessengruppen herrührte, den Versuchen, die Stadt im Inneren zu pazifieren durch immer neues Lenken aggressiver Gewalt gegen Nachbarstädte, was den Fiskus der Städte unerträglich belastete, bevor im Erfolgsfall dann neue Einnahmen flossen, und der Neigung des oft exilierten Adels, mit Hilfe eines Alleinherrschers, in dessen Entourage sie aufsteigen würden, privilegiert zu bleiben. Als Faustregel mag wohl dienen, dass divergierende Kapitalinteressen als Familien- und Firmeninteressen zur Konfliktregelung einer übergeordneten Staatlichkeit bedürfen. Insoweit kann man Karl Marx wohl folgen.

 

In den Signori wie in den regierenden Oligarchien findet das „Mittelalter“ in Nord- und Mittelitalien zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert sein Ende, sofern es überhaupt Sinn macht, von einem solchen zu sprechen, wird es doch zur Erfindung genau dieser neuen Zeit, die von der „dunklen Zeit“ zwischen Antike und kapitalfundierter neuer Staatlichkeit zu reden beliebt, was sie in eine Wiederbelebung der Antike umdeutet.

 

 

Es ist eben kein Zufall, dass in der nördlichen Hälfte Italiens weithin der Sieg des Popolo schnell durch Despotien abgelöst wurde. In der Regel kamen diese Signori von außen, aus dem Contado, und wie Oberto Palavicino, Azzo VII d'Este and Ezzelino III da Romano waren sie fast alle Mitglieder alter reicher großgrundbesitzender Familien, „whose resources could give them a decisive grip on the crucial nexus between city and countryside.“ (Hyde, S. 82)

 

 

Ähnlich wie Fürsten und Monarchen anderswo und später legten die italienischen Despoten (das griechische Wort für: Herren) immer einmal wieder Wert auf Legitimität, die sie im Bündnis mit der Kirche religiös und in der formellen Aufrechterhaltung einiger der Institutionen der bürgerlichen Kommune rechtlich begründeten. Tatsächlich werden die Versammlungen der politischen Bürgerschaft nicht abgeschafft, einige städtische Räte und viele Ämter bleiben erhalten. Aber die Besetzung wird durch formale Tricks, zwar mit einem rechtlichen Anschein versehen, wie bei den Oligarchien so manipuliert, dass einmal die Unterstützer des Despoten, einmal immer die Vertreter des kleinen, fast abgeschlossenen Kreises oligarchischer Familien in Versammlungen und Ämter gelangen.

 

Die Este von Ferrara besetzen im Permanenz das Amt des Podestà von Ferrara, Napoleone della Torre wird lebenslanger Anziano von Mailand und Alberto Scotto Capitano del Popolo in Piacenza. Der della Torre wird zudem von Rudolf von Habsburg 1273 zum kaiserlichen Vicar ernannt.

 

Legitimierung (Martines: patina of legality) im Einflussbereich der Päpste wie in der Romagna wurde von diesen vorgenommen, ansonsten, im Norden, fand sie durch die Übertragung eines kaiserlichen Vikariats wie im Falle der Mailänder Visconti statt. In beiden Fällen blieb die Unabhängigkeit des Stadtherren erhalten, und gelegentlich ließen sich die Despoten von oben und unten in ihrer Macht bestätigen, auch wenn sich dies rechtlich gegenseitig ausschloss.

 

Die Rechtsprechung blieb bei den entsprechenden Ämtern, aber der Signore war im Verurteilen und Begnadigen die oberste Instanz. Die Verwaltung der Exekutive leitete weiter der Podestà, der auch Versammlungen leitete wie den consiglio degli provvisioni, und der selbst wieder gegenüber dem Despoten rechenschaftspflichtig war. Zunehmend etabliert dieser eigene fürstliche Geheimräte zu seiner Beratung.

 

Die handfeste Macht des Signore beruhte auf der Entwaffnung der Bürgerschaft, seiner Festung in der Stadt und der kleinen Truppe, mit deren Hilfe er eine weitgehend in Unterwürfigkeit erstarrende Bevölkerung kontrollieren konnte. Carlo Malatesta riet viel später, 1408, Giovanni Maria Visconti: „Lass deine Festungen in der Hand von Fremden und fern der Hände von Bürgern und einheimischen Leuten.“ (Martines, S.147) Das Militär für die immer wieder stattfindenden Kriege wurde angeheuert in der condotta von Söldnerhaufen. Zunächst hauptsächlich Deutsche und Franzosen. Der Krieg wird zum Geschäft und ist es bis heute geblieben, so wie sich zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert jene modernen Formen von Staatlichkeit ausbilden, die wir im Kern noch heute kennen.

 

Von der bürgerlichen Kommune übernahmen diese neuartigen Stadtfürsten den Krieg als ihre vornehmste Aufgabe. Er soll eine Investition in neue Einnahmen sein und größere Machtfülle, aber nicht zuletzt soll die Bevölkerung vom Adel, großen Kapital bis zum kleinsten Proleten in der Konfrontation mit dem Feind die Identifikation mit „seinem“ (Stadt-)Staat einüben und darum auch mit „seinem“ Fürsten. Beide Aufgaben dieses neuartigen Krieges bleiben dann bis heute erhalten.

 

In Kriegszeiten wurde gelegentlich der Staatshaushalt massiv strapaziert, zudem durch die Ausweitung staatlicher „Aufgaben“, also des staatlichen Einflussbereichs. Krieg und Regierungsgeschäfte verlangen die Ausweitung des Haushalts und seiner Verwaltung aus Steuerschätzern und Eintreibern, Buchführern, Anwälten, Notaren und Referendaren. Neben das Bürgertum tritt eine sich ausweitende Mittelschicht von Dienstleistern im Staatswesen und unter diesem in den Firmen des großen Kapitals. Diese Unselbstständigen und zum Teil eben Freiberufler, die ihre Dienstleistungen auf den Markt tragen, werden zusätzlich zu Ärzten, Lehrern und dem Kunsthandwerk, welches sich auf einen neuartigen Kunstbegriff zubewegt, und vielen anderen in dieser frühen Neuzeit zu einer neuen Mittelschicht, die zwischen Loyalität zu fürstlichen Staaten und Sympathien für bürgerliche und adelige Wertvorstellungen schwankt. Mit der politischen Entrechtung des selbstständigen, kapitalgetragenen Bürgertums werden sie mit diesem in gemeinsame politische Unselbstständigkeit einer neuen Mittelschicht verschmelzen, die ein neues „bürgerliches“ Selbstverständnis entwickelt, welches nicht mehr handfest, sondern nur noch von gemeinsamer Ideologie geprägt sein wird. Dass sie sich weiter als bürgerlich begreifen werden, wird etwas mit der ideologischen Verschmelzung von Kapital und den Entwicklungen eines staats“bürgerlichen“ Denkens zu tun haben. Beide Fraktionen dieses neuen „Bürgertums“ werden die Einübung staatsbürgerlicher Untertänigkeit zu ihrer gemeinsamen Sache machen.

 

Genua

 

Ähnlich wie auch Venedig ist Genua eine Stadt des Seehandels, und inzwischen eine, die in vielen Jahren direkt oder indirekt hauptsächlich mit Waren aus der muslimischen Welt handelt. Im Vergleich zur Seefahrt ist die Bedeutung des produzierenden Gewerbes zu Hause gering, einen gewissen Rang nimmt die Waffenproduktion nach dem Schiffsbau und der Tuchherstellung ein. Wichtiges Datum im Kalender der Stadt sind die Abfahrt in den Nahen Osten (oltremare) im Herbst und die Rückkehr der Schiffe im nächsten Juni. Tausende Genuesen arbeiten jedes Jahr auf Schiffen, über hundert auf einer Galeere, auf einem großen Segelschiff (navis) wenigstens 20-30. 

 

Ungeachtet des Konfliktes mit dem stauferfreundlichen Pisa hielt sich Genua immer wieder einmal im Bündnis mit dem Reich, was dann unter Friedrich II. und seiner konkurrierenden sizilischen Flotte zur Gänze aufhört. In die Wendezeit gehört ein Abschnitt in den 'Annales Ianuenses', in dem sich Genua über die schroffe Haltung des bald zum Kaiser Gekrönten beklagen. Konrad aber, der Bischof von Metz und Speyer und Kanzler des kaiserlichen Hofes, behandelte unsere Mitbürger, wie wir nicht übergehen dürfen, mit größerer Ehre und Güte. Er ließ es sich angelegen sein, unsere Geschäfte nach Kräften zu fördern und geruhte sogar, dreimal das Zelt unseres Podestà aufzusuchen und bewies ihm, um die Stadt Genua zu ehren, eine nicht geringe Vertraulichkeit und Freundschaft. Da für überreichte ihm der Podestà im Namen der Stadt herrliche Geschenke als Zeichen der Liebe. (In: Eickels/Brüsch, S.106) 

 

Seit der Abstieg Pisas seinen Lauf nimmt, wird Genua zum Hauptkonkurrenten Venedigs im östlichen Mittelmeer. 1204 wird es von ihm aus Konstantinopel vertrieben und tritt in einen dauerhaften Kleinkrieg mit ihm ein, der zeitweilig Piraterie bedeutet und dann immer wieder in große Seekriege ausartet.

Anders als in Venedig steht die Handelsflotte nicht unter städtischer Aufsicht, und es kommt viel stärker als in Venedig zu Konflikten zwischen den sich ebenfalls adelig fühlenden Handelshäusern, die außerdem ein gewisses, wenn auch eingeschränktes Hinterland besitzen. Zum Nachteil gegenüber der Adriametropole gereicht darum immer wieder aufflackernde politische Instabilität mit Mord und Totschlag.

 

Ein Enrico de Castro erhält in den 90er Jahren des 12. Jahrhunderts Malta als Lehen von den Normannen und versucht zwischen 1206 und 1212 Kreta zu erobern. Ein erstes Mal unterstützt ihn Genua 1208 mit Schiffen und 3000 Lire zur Anmietung von Söldnern, ein zweites Mal 1210 im Wert von etwa 20 000 Lire. In derselben Zeit werden Festungen, Orte und Ländereien Hochadeligen in Ligurien weiter abgekauft, und es wird Krieg gegen Pisa geführt. 1212 kommt es zu einem Frieden mit beiden, Venedig hat im Fall von Kreta gesiegt. Neue städtische Einkünfte werden in Kriegszeiten an Unternehmer verkauft und dann in Friedenszeiten zurückgekauft.

 

Zweimal unterstützt Genua scheiternde "Kreuzzüge", zunächst den von Damiette 1218, welcher 1221 kläglich endet. Derweil erhebt sich Ventimiglia gegen Genua, welches 1222 wieder unterworfen wird. Kaiser Friedrichs II. Versuche, die Lombardei zu unterwerfen, führen dazu, dass sich die westliche Reviera ihm anschließt und nun ebenfalls gegen Genua rebelliert. Derweil versucht die Stadt, gegen Alessandria und seine Verbündeten Capriata zu erobern, welches es gekauft hatte.

1230 geht Genua gegen Piraten aus der eigenen Stadt vor, die den Seehandel beschädigen. Sie werden eingefangen und abgeurteilt. Aber das bedeutet kein dauerhaftes Ende der Piraterie.

 

1232 verlangt Friedrich II. von seinen Verbündeten, dass sie in ihre Regierungen keine Lombarden aufnehmen. Genua bittet vergeblich um eine Ausnahme, da es gerade einen Podestà aus Mailand eingesetzt hat, behält ihn aber dennoch. Darauf unterbindet der Staufer allen genuesischen Handel mit seinem Königreich Sizilien/Unteritalien. 

 

1233 kommt es in der Nähe von Albenga zu einem Bauernaufstand, der auf die Kommerzialisierung auf dem Lande reagiert, unter der die Bauern leiden (Epstein, S.122). Den Bauern gelingt es, ein Heer zu  schlagen, zumindest zwei Burgen zu erobern und einen eigenen Podestà zu wählen. Am Ende müssen die Bauern gegen die großen Heere aus Genua klein beigeben.

In genau dieser Zeit greift der König von Marokko unter anderem mit christlichen Söldnern Ceuta an, wo eine große genuesische Kolonie zuhause ist. Genuesische Schiffe unterstützen den Sultan von Ceuta, scheitern aber zunächst. Darauf schickt Genua 1235 eine riesige Flotte von 70 großen Schiffen, 30 kleineren und 20 Galeeren los, die vom König dann einen Anteil an den Steuern von Ceuta wenigstens erkämpfen können, die der Entschädigung Genueser Kaufleute dienen sollen und die später an ein Konsortium (maona) verkauft werden.

 

Zwischen 1238 und 1250 befindet sich Genua im offenen Krieg gegen den Staufer, damit auch gegen Pisa und Friedrichs lombardische Verbündete Pavia und Tortona. Zugleich erhebt sich die Masse der ligurischen Städte, die sich mit Friedrich verbünden, und in der Stadt flackert immer wieder Bürgerkrieg zwischen kaiserlichen und päpstlichen Adelshäusern auf. Vor der Stadt bewegt sich eine kaiserliche Flotte, der es aber nicht gelingt, Genua einzunehmen.

Andererseits schafft es Genua nicht, das aufständische Savona zu unterwerfen. 1244 gelingt es dann einer genuesischen Flotte, Papst Innozenz IV. von Civitavecchia nach Genua zu bringen und dann auf dem Landweg nach Lyon.

Mit dem Tod Friedrichs versöhnt sich die Stadt wieder mit ihren ghibellinischen Adeligen.

 

1250 ist die Stadt mit rund 50 000 Einwohnern größer als die meisten im lateinischen Abendland, aber kleiner als Paris und Venedig. Mehr noch als sein Hauptkonkurrent ist sie auch ein Zentrum des Sklavenhandels und es wimmelt in ihr selbst entsprechend auch von Sklaven.

Aufgrund seiner Lage auf der anderen Seite Italiens orientiert sich Genua sowohl auf das östliche wie das westliche Mittelmeer, und in letzterem wird es zu einer der Vormächte, die nun in Konkurrenz zum aragonesischen Katalonien tritt.

1253 wagen sich genuesische Schiffe zum ersten Mal weit über Gibraltar hinaus, hunderte von Seemeilen entlang der afrikanischen Küste, um dann zu verschwinden.

 

1250 kommt es zu einem brutalen Überfall von Genuesen ihrer Handelsstation in Konstantinopel auf die dortigen Venezianer, die umgebracht werden. Darauf führt der Doge Tiepolo 1255 eine Flotte dorthin, die dann die Genuesen von Akkon und Tyros überfällt. Nun rüstet Genua eine neue Flotte aus und 1258 kommt es zu einer großen Seeschlacht vor der Küste Palästinas, in der die Genuesen unterliegen, viele Schiffe und Mannschaft verlieren. Ihr Quartier in Akkon ist zerstört.

 

Möglicherweise kommt es nach dem Tod Friedrichs zu einer Depression in Genua (Robert Lopez), auf jeden Fall faillieren zwischen 1256 und 58 mehrere Banken, allesamt in den Händen von Piacentinern. Als Anfang 1257 der scheidende Podestà Filippo della Torre die Stadt in sein heimatliches Mailand verlassen will, kommt es zu einem Aufruhr mit dem Ruf fiat populus. Das "Volk"  versammelt sich in San Siro und wählt Guglielmo Boccanegra zum Capitano del Popolo. Einige Tage später werden dazu noch 32 Anziani gewählt, die seine Amtszeit auf zehn Jahre festlegen. Unter den Anziani werden auch einige Konsuln der Zünfte sein. 62 Bewaffnete werden ihm zugeordnet. Unter ihm soll es weiter einen Podestà geben. Das Ganze spielt sich ohne viel Gewaltanwendung ab.

Boccanegra stammt aus einer reichen unteradeligen Familie und war erst Konsul in Aigues Mortes und dann in Akkon für die dortigen Handelsniederlassungen gewesen. Mit ihm gelingt es, das nichtadelige Kapital und sogar einige Vertreter der Zünfte an der Politik der Stadt zu beteiligen.

Die privatisierten Einkommen der Stadt gehen an diese zurück. Dafür schafft der Staat eine konsolidierte Schuld, die den Anteilseignern alle zwei Monate 8% auszahlt und die Möglichkeit gibt, ihre Anteile zu verkaufen. (Epstein, S.147) Der Staat wird allerdings weiter überwiegend durch die Abgaben auf den Konsum finanziert und zum weit geringeren Teil durch Abgaben auf Handel und Grundbesitz.

Ein Bauprogramm schafft Arbeit. Zum ersten Mal wird ein Kommunalpalast gebaut, der die Zusammenkünfte in Palästen des Adels oder des Bischofs überflüssig macht.

 

Boccanegras Genua verbündet sich mit dem Staufer Manfred. Zum Gegenschlag gegen Venedig kommt es, als Genua 1261 einen Vertrag mit dem im Exil in Nicäa lebenden griechischen Kaiser Manuel VIII. Paläologos schließt, in dem die Stadt fünfzig Schiffe gegen den eher machtlosen lateinischen Kaiser Balduin II. in Konstantinopel anbietet, während der Grieche die Finanzierung (15 000 Besants pro Monat) übernehmen soll. Dafür wird Genua eine Niederlassung am Goldenen Horn (Pera) und die Positionen Venedigs im östlichen Mittelmeer bekommen, die es aber dann erst einmal erobern muss, und es bekommt als neue Besonderheit, den Zugang zum Schwarzen Meer. Dagegen wiegt wenig, das Papst Urban IV. die Genuesen exkommuniziert.

 

Tatsächlich werden die Venezianer aus Konstantinopel vertrieben und Genua

besitzt bald Niederlassungen am Schwarzen Meer, Werften in Kaffa auf der Krim, eine Niederlassung in Tana an der Mündung des Don ins Asowsche Meer und Alaunbergwerke bei Trapezunt. Es hat Händler in Astrachan, Täbriz und Kerman, von wo es Teppiche aufkauft, während die Polo-Brüder zum zweiten Mal ins mongolisch beherrschte China reisen. 1254 ist zum ersten Mal chinesische Seide auf dem genuesischen Markt belegt. Aus dem Schwarzmeerraum werden vor allem Getreide und Sklaven über Genua gehandelt, darüber hinaus gibt es Handel mit Sklaven aus Nordafrika.

 

1262 rebelliert ein Teil des Adels gegen Boccanegra; er muss nach Aigues Mortes fliehen, wo er in die Dienste des französischen Königs tritt. Genua wird nun wieder von Podestà regiert.

 

Venedig, welches inzwischen eine fast monopolartige Stellung an Ägyptens Küste besitzt, antwortet Genua mit einem Seekrieg, siegt 1263 bei Negroponte und kann die meisten seiner Stützpunkte halten. 1265 rebelliert eine Gruppe der popolaren Oberschicht unter Oberto Spinola und setzt dann einen Spinola und einen Doria als Podestà ein.Ein Jahr später stirbt Manfred in seiner letzten Schlacht. Genua ist gespalten zwischen Anhängern und Gegnern von Charles von Anjou, der sich in Mittelitalien etabliert.

 

Als die Genuesen dann in Konstantinopel zu mächtig auftreten, werden sie 1267 aus der Stadt nach Pera (Galata) ausgewiesen. 1268 werden auch die Venezianer wieder zugelassen und dürfen sich dann auch am Schwarzen Meer niederlassen. Genua beteiligt sich auch am Kreuzzug von Louis IX. 1269. Wieder nimmt sein Ägyptenhandel danach erheblichen Schaden.1270 vermittelt der Papst einen Waffenstillstand zwischen Genua und Venedig.

Nachdem dann der griechische Kaiser zwanzig Jahre später seine Flotte aus Kostengründen auflöst, gerät er völlig in die Hände der beiden Seemächte.

 

Oberto Spinola und Oberto Doria gelingt es, gemeinsam als Capitani del Popolo Genua zu regieren. Ein Versuch von Charles von Anjou, in den Contado einzudringen, wird zurückgeschlagen. Weitere Zigtausende Lire werden für den Ankauf ligurischer Ländereien ausgegeben.

 

1283 überfällt Genua Elba und kassiert Beute im Wert von 15 000 Lire. 1284 wird Pisa in der Seeschlacht bei Meloria vernichtend besiegt und geht als Seemacht unter. Die Genuesen behaupten stolz, sie hätten 5000 Pisaner getötet und über 9000 gefangen genommen. Der Krieg zieht sich noch bis 1288 hin.

 

Die großen Flotten, mit denen Genua Krieg führt, werden inzwischen durch eine Sondersteuer finanziert, die ein 15tel auf größere Vermögen beträgt. Wer sie nicht bezahlen kann, muss einen Monat pro Jahr auf den Galeeren dienen, so wie die Städte des Contados entsprechend Leute abzustellen haben. 1285 rüstet so Genua insgesamt 95 Galeeren aus. Ermöglicht wird das durch den enormen Reichtum in der Stadt, der im wesentlichen aus Handel herrührt.

 

In diesem Jahr tritt Oberto Doria als Capitano zurück und bestimmt seinen Sohn als Nachfolger. Die Capitani verhalten sich fast so wie norditalienische Signori. Als das Unwillen hervorruft, treten sie 1291 zurück und ein auswärtiger Podestà wird bestellt. Aber alle paar Jahre kommt es wieder zu bürgerkriegsänhlichen Auseinandersetzungen in der Stadt.

 

1291 bis 1381 kommt es immer wieder zu Kriegen mit Venedig, die Genua auf Dauer nicht gewinnen kann.1298 treffen bei Curzola vor der dalmatinischen Küste 87 genuesische Galeeren auf rund 90 venezinaische Schiffe und erreichen einen deutlichen Sieg, der im folgenden Jahr zu einem (vorübergehenden) Frieden führt.

Inzwischen stehen Genua aber große Teile des westlichen Mittelmeeres offen und die Orientierung Richtung Atlantik beginnt. Befördert wird das durch die Eroberung von Sevilla 1248 und von Cádiz 1265. Dort, in Málaga und in kleinerem Umfang in Lissabon etablieren sich genuesische Gemeinden. Von 1277 ist eine erste Umfahrung der iberischen Halbinsel von Genua nach Flandern überliefert, die schnell regelmäßig stattfindet.

Diese Entwicklung führt 1291 dazu, dass zwei genuesische Schiffe mit zwei Vivaldis und einem Doria an Bord die Straße von Gibraltar Richtung Indien passieren, um sich dann aber in den Weiten des Atlantiks zu verlieren.

 

Andererseits gehen in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts die nordafrikanischen Handelsbeziehungen weithin verloren. Damit schwindet auch Genuas direkter Zugang zum afrikanischen Gold, dessen Preis sich in diesem Zeitraum verdoppelt. Auch der Handel mit Sizilien erholt sich weder unter den Anjou noch den Aragon.

 

Pisa

 

Pisas Niedergang im 13. Jahrhundert hängt unter anderem eng mit dem Niedergang des Stauferreiches zusammen. Daneben korrelliert er mit dem Aufstieg Genuas, welches im 13. Jahrhundert mit Venedig um die Vorherrschaft im Mittelmeer konkurriert, wobei Pisa eher auf venezianischer Seite steht. Pisa hat auch mangels Einwohnern (etwa 40 000) keine Möglichkeiten wie Genua oder Venedig, überall hin zu expandieren und Außenposten anzulegen. Zwar dürfen sie bis ins Schwarze Meer Handel treiben, machen davon aber nur wenig Gebrauch. Der Menschenmangel liefert auch nicht genug wehrfähige Männer für häufigere große kriegerische Aktionen.

 

Dort, wo Pisaner in Nordafrika im 12. Jahrhundert tätig werden können, nämlich in Tunis, Bougie, Oran und Ceuta, werden sie nun zunehmend Repressalien ausgesetzt. Für Bougie ist überliefert, dass von dort Wolle, Tierhäute, Wachs und Gold (vom Senegal-Fluss) exportiert werden, importiert werden dorthin Olivenöl, Wein, Holz, Hanf, Flachs, Holz, Eisen und Silber. (Mitterauer, S.136)

1218 nimmt neben Genua auch Pisa am sogenannten "Kreuzzug" nach Damiette teil, der scheitert und die Herren Ägyptens verständlicherweise dazu veranlasst, ihre Handelskontakte mit beiden Regionen massiv zu reduzieren.

Davon profitieren die Venezianer, die schon den eigentlich gegen Ägypten gerichteten vierten "Kreuzzug" nach Byzanz umgeleitet hatten und im weiteren versuchen, antiägyptische Aktionen zu vermeiden.

 

Das Ende der Staufer erweist, dass die Pisaner am Ende auf das falsche ("ghibellinische") Pferd gesetzt hatten. Sie scheiden zum guten Teil aus dem Handel im östlichen Mittelmeer aus, um den jetzt Genua und Venedig kämpfen.

Wenig Nutzen haben sie zunächst auch daraus, dass sie auf Alfons X. als Westkaiser-Kandidaten setzen.

Die Außenpolitik spiegelt sich nach dem Ende der Staufer zunehmend in inneren Konflikten. Nach der Niederlage Karls von Anjou ist der popolo aus Handwerk und nichtadeligem Kapital ghibellinisch und der Adel guelfisch, und es kommt zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen, die die Stadt weiter schwächen. Dazu steigen die alten Feinde Lucca und insbesondere Florenz nun auf. 1406 unterliegt es zur Gänze der florentinischen Übermacht.

 

Als dann vor allem die Genuesen, aber auch Venezianer in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts die Atlantikroute nach Lissabon, Brügge und England nutzen, schließt sich Pisa nicht mehr an. Das heißt auch, dass es sich mit der geringerwertigen Rohwolle aus Nordafrika und Sardinien für seine ein wenig auftrebende Textilindustrie zufrieden gibt.

 

1262 unterwirft der mit Genua verbündete Karl von Anjou Marseille, welches darauf als Verbündeter für Pisa verloren geht. 1277 greifen pisanische Galeeren noch einmal das genuesische Pera bei Konstantinopel an, aber das bleibt eher folgenlos. 

 

Der langsame Niedergang pisanischer Macht hindert die Stadt nicht daran, nach 1279 mit dem Camposanto den großen Komplex aus Kathedrale, Baptisterium und Kirchturm abzuschließen, so wie kurz zuvor in Amalfi mit dem Chiostro del Paradisa lange nach dessen Machtverfall noch ein ästhetisch herausragender Adelsfriedhof entsteht.

 

1282 erobert ein korsischer Iudex Bonifacio und erklärt sich zum Vasallen Pisas. Im Gegenzug plündert Genua Elba und kann dann die pisanische Flotte einkesseln. 1284 schwächt die Katastrophe von Meloria die Stadt erheblich. Es soll tausende Tote gegeben haben, 6000-9000 Gefangene werden nach Genua verschleppt, ein stattlicher Teil seiner Bevölkerung, und von der pisanischen Flotte bleibt zunächst nur wenig übrig.

Ein Jahr danach kann der genuesische Großunternehmer und Flottenkommandant Zaccaria die Kette an der Einfahrt zu Porto Pisano sprengen. Der Hafen verliert durch Zerstörungen seine frühere Bedeutung. Im Frieden von 1288 erhält Genua Elba und Korsika, dazu Cagliari und Sassari auf Sardinien

 

Dennoch engagiert sich Pisa im Gegensatz zu den beiden italienischen Vormächten in der vergeblichen Verteidigung des Restes der Kreuzfahrer-Herrschaften. 1291 fällt Akkon und bald danach der Rest. Fluchtpunkt wird Zypern, wo sie neben Pisanern vor allem auch Venezianer, Genuesen und die Kaufleute aus Florenz und Barcelona niederlassen, vor allem im Zentrum Famagusta.

1296 einigt sich Pisa mit Venedig über friedliche Koexistenz des Handels auf der Adria, was in beiderseitigem Interesse zu sein scheint. Inzwischen ist aber klar, dass Pisa in seinem Großmachtstreben deutlich hinter Genua und Venedig zurückgefallen ist.

Genua kontrolliert inzwischen Cadiz. 1291 siegt der genuesische Großkapitalist und Flottenführer Benedetto Zaccaria über die Marokkaner und erhält dafür Puerto Santa Maria als Lehen. Damit kann es die Straße von Gibraltar blockieren.

 

Mit ihrer Vormachtstellung kann genuesisches Kapital nun den Pisanern ihre Kontrolle über die Eisenproduktion entreißen. Da diese längst an die zwei Faktoren Holz und Wasserkraft gebunden ist und der Rohstoff ohnehin dorthin transportiert werden muss, kann Genua nun ein Stück weit übernehmen.

Was Pisa verbleibt, sind die Textilproduktion und die Keramik als heimische Exportprodukte. Händler investieren nun stärker in Produktion und Banken. Handeltreibende versenden ihre Waren nun überwiegend auf fremden Schiffen.

 

Was Pisa vor allem zunächst noch bleibt, ist ein Großteil von Sardinien. Um 1300 stammt fast die Hälfte aller pisanischen Einkünfte von dort und aus Elba. Mit Castello di Cagliari wird aus einer Zwingburg eine fast ausschließlich Pisanern reservierte Stadt. Pisanische Kaufmannskolonien an der Küste entwickeln sich zu Städten mit pisanischer Bevölkerungs-Mehrheit.

Wer sich als Sarde nicht in die pisanische Zivilisation assimiliert, bleibt billige und relativ rechtlose Arbeitskraft, meist illiterat. Sardisch wird keine Schriftsprache, neben Pisanisch bleibt gelegentlich Griechisch bestehen. Wer sich viel später für vorkapitalistische Volkskultur interessierte, konnte diese bis tief ins 19. Jahrhundert im ländlichen Sardinien studieren.

 

1297/1306 belehnt der Papst Jaime II. von Aragon mit Sardinien und Korsika. 1324 greift eine katalanische Flotte Sardinien an. 1326 unterliegt Pisa dabei endgültig.

 

Der Niedergang der Großmacht Pisa bedeutet aber nicht den aller seiner Großkapitalisten. Dafür steht zum Beispiel Neri da Riglione im späten 13. Jahrhundert: "Er importierte Luxusartikel für die Reichen Sardiniens: Teppiche aus aus Spanien und Nordafrika, Trinkgefäße aus Syrien sowie Seide, Gewürze und Olivenöl. Da Reglione exportierte Silber, wahrscheinlich auch Getreide und dürfte als Kreditgeber außerdem im Erzabbau tätig gewesen sein." (Mitterauer, S.171)

 

Venedig

 

Das staatlich organisierte Fernhandelskonsortium, als welches Venedig politisch konstituiert ist, erlebt nach 1204 Großmachtstatus als stato di mar.

 

Die Kontrolle der Macht in der Stadt von geschätzten 80 000 Einwohnern obliegt einigen hundert Familien des Stadtadels und damit vor allem des Großhandels. Ein zunehmend ineinander verwobenes System von Kollegialorganen mit zeitlich begrenzter Mitgliedschaft sorgt dafür, dass viele Vertreter des engeren Kreises der Macht fast immer irgendwo vertreten sind.

Der Rat von 41 nobili, welcher die richtungsweisende Wahl des Dogen betreibt, wird in einem komplizierten mehrstufigen Verfahren gewählt, welches das gegenseitige Misstrauen gegenüber Manipulationen und gegenüber dem Machtüberhang einzelner Familien zeigt: "Aus dem Großen Rat wurden durch das Los 30 ausgewählt; diese 30 wurden durch das Los auf 9 reduziert; die 9 nannten 40; die 40 wurden durch das Los auf 12 reduziert; die 12 nannten 25; die 25 wurden durch das Los auf 9 reduziert; die 9 nannten 45; die 45 wurden durch das Los auf 11 reduziert; die 11 nannten 41; die 41 nominierten den Dogen zur Billigung durch die Versammlung." (F. Lane, so in: Rösch, S.117)

 

Nach der Bekanntgabe der Wahl lässt man die Glocken von San Marco läuten, damit sich "das Volk" versammelt. Zur Wahl von Lorenzo Tiepolo 1275 heißt es weiter: Als aber das Volk Venedigs in der Kirche des heiligen Markus versammelt war, betraten jene 41 Adeligen die Kanzel, die Herrn Lorenzo Tiepolo zum Dogen von Venedig gewählt hatten. Und dann sprach Herr Jacopo Baseggio sehr klug zum Volk über die Wahl, die sie gemäß ihrem Eid vorgenommen hatten. Und am Ende seiner Rede verkündete er, dass sie Herrn Lorenzo Tiepolo zum Dogen von Venedig gewählt hätten. Und jetzt wurde Herr Lorenzo ergriffen und akklamiert und ihm wurden die Kleider ausgezogen und so wurde er vor den Altar des heiligen Markus geführt. Und dort leistete er den Eid gemäß dem Wortlaut, der ihm vom Kaplan des heiligen Markus mitgeteilt wurde. Und dann gab ihm der Kaplan und Herr Niccolò Michiel, der Vikar, das Banner des heiligen Markus, ganz in Gold. Schließlich wird der Doge laut dem Berichterstatter unter allgemeinem Jubel in seinen Palast geführt. Mit Booten kommen die Bewohner der anderen Inseln. Und die Zunftmeister kamen, angetan mit großem Aufwand, um ihren Herren zu sehen. Die Schmiede mit ihrem Personal versammelten sich unter einer Fahne, und jeder hatte eine Girlande auf dem Kopf. Sie machten sich auf den Weg, das Banner vorneweg, und spielten auf Trompeten und anderen Instrumenten. Auf diese Weise betraten sie den Palast und begrüßten den Herrn Dogen und jeder wünschte ihm Segen und Sieg. (usw. Martin da Canal so in: Rösch, S.118ff)

 

Der Eid, die promissioni, wird auf einen seit 1191 von einer Kommission neu formulierten Text seiner Pflichten und Rechte abgelegt, der seine monarchische Macht einschränken soll.

 

Private Geschäfte sind dem Dogen verboten, aber natürlich nicht seiner Verwandtschaft. Dafür erhält er ein großes Gehalt und zusätzlich Geld für angemessenes Auftreten. Seine Söhne dürfen keine Staatsämter bekleiden. Bei Auslandsreisen wird er von Begleitern überwacht, Heiraten mit Ausländerinnen müssen für ihn und seine männlichen Nachkommen offiziell genehmigt werden.

 

Der Doge selbst ist Mitglied eines kleinen Rates von zunächst sechs, später zehn Mitgliedern, die die wesentlichen Entscheidungen treffen.

 

Die Versammlung der sich in die Staatsmacht teilenden Familienvertreter ist der Maggior Consiglio, aus dem heraus man Amtsinhaber wird. 1297 schließt er sich in der 'Serrata' nach außen ab. "Jeder Sohn aus Ratsgeschlechtern, der fünfundzwanzig Jahre zählte, saß automatisch im Maggior Consiglio." (Rösch, S.130) Nur nach verlustreichen Kriegen gibt es Neuaufnahmen. Dieser Rat beschließt über Gesetze, Krieg und Frieden, setzt die das militärische Oberkommando ein und aus ihm werden die Ämter und Kollegialorgane aufgefüllt.

 

Die mächtigen Großkaufleute, die die Stadt leiten, sind zugleich ökonomisch gesehen Bürger, politisch aber in ihrer Spitze machthabender Adel. Diese Mischung prägt ihre Lebensformen, zunehmend ihre Gebäude und auf jeden Fall ihr Auftreten. Das beginnt schon beim Dogen, wie Crowley anlässlich des Osterfestes 1253 beschreibt: "Der Doge ging in einer Prozession den kurzen Weg vom Dogenpalast zum Markusdom. Ihm voran schritten acht Männer mit goldbestickten Seidenbannern, die das Bild des Evangelisten zeigten; dann kamen zwei Mädchen, eines trug den Thron des Dogen, das andere die goldenen Kissen, gefolgt von sechs Fanfarenbläsern mit silbernen Trompeten, zwei Musikern mit Zimbeln aus reinem Silber, einem Priester, der eine geschmückte Bibel in Händen hielt, sowie 22 Psalmen singende Kapläne des Markusdoms in goldenen Prozessionsgewändern. Dann kam der Doge selbst, der unter einem rituellen goldenen Baldachin ging, begleitet vom Primas der Stadt und einem Priester, der die Messe feiern würde. Der Doge, der aussah wie ein byzantinischer Kaiser, trug ein goldenes Gewand und eine mit Juwelen besetzte goldene Krone und hielt eine große Kerze. Hinter ihm schritt ein Adliger mit dem Dogenschwert, gefolgt von allen Adligen und Bürgern von Rang und Namen." (S.125).

Ähnlich prachtvoll ist die durch einen Ring symbolisierte Verheiratung der Republik mit dem Meer durch den Dogen auf dem vergoldeten Bucintoro. Deutlich vor der ritterlich-aristokratischen Prachtenfaltung des burgundischen Herzogshofes zeigt hier großes Handelskapital, dass es zwar ökonomisch bürgerlich denkt, aber in seiner Lebensform und seinen politischen Vorstellungen sich aristokratisch darstellt.

 

Die Bezeichnung Adel ist wie die vom Bürger germanischen Traditionen verpflichtet und von einer der Wirklichkeit geschuldeten Unklarheit, sobald man ihn verallgemeinern möchte. In Venedig ist es von vorneherein eine Besonderheit, dass sich keine Oberschicht auf Verfügung über Land und darauf arbeitende Menschen stützen konnte, weswegen der noble Venezianer des 13. Jahrhunderts einem Geschlecht angehört, welches schon seit vielen Generationen durch Handel vor allem reich geworden ist. Er unterscheidet sich zunehmend von der übrigen Kaufmannsschaft durch seinen Zugang zum Großen Rat, und als dieser dann 1297 geschlossen wird, wird er zum ersten Mal (politisch) definiert.

Reiche Familien, denen es bis dahin nicht gelingt, in den Maggior Consiglio aufzusteigen, wird der Rang eines cittadino zuerkannt, welcher sie berechtigt, ebenfalls in der Stadt und im Seehandel Geschäfte zu machen. Sie unterscheiden sich dabei an Reichtum und prächtiger Lebensführung kaum von den Aristokraten im engeren Sinne. Mit dem Amt des Großkanzlers und wichtigen Notarsposten werden sie in das politische Geschäft mit eingebunden.

Solcher Adel erster und zweiter Klasse hat in der Regel höchstens ein Vermögen von rund 3000 Dukaten, aber wenige schaffen auch das Zehn- oder bald Dreißigfache.

 

Das ganze sich entwickelnde Staatswesen ist in den Dienst des heimischen Handels gestellt. Die auswärtigen Kaufleute werden zwecks Kontrolle in extra dafür bestimmte Häuser einquartiert. 1225 wird der deutsche Handel in Venedig mit der Errichtung des Fondaco dei Tedeschi städtisch kontrolliert. Vorbild ist der venezianische Fondaco in Alexandria. Direkter Handel zwischen den Kaufleuten ist bei strenger Strafe untersagt, und muss über einen staatlichen Makler, den Sensal, abgewickelt werden. Dafür ist es ihnen überlassen, den (Land)Handel mit dem Norden abzuwickeln, der den Venezianern eher fremd ist..

Die Kaufleute oder Faktoren wohnen (nur) dort manchmal monatelang unter einem Dach, müssen dort ihre Waren lagern und verkaufen.

 

Ab 1231 kontrolliert die Stadt Makler, über die der gesamte Großhandel in der Stadt läuft. Damit wird der direkte Handel zwischen Kaufleuten verhindert. Die Stadt  garantiert dafür Maße und Gewichte und leistet eine gewisse Qualitätskontrolle, hat dafür aber eben auch den direkten Zugriff auf die zu leistenden Abgaben. (Fuhrmann in 'Verwandlungen', S.384)

Um 1225 wird der Fondaco dei Tedeschi errichtet. "Die Händler waren gewzungen, persönlich im Fondaco abzusteigen, wofür man ihnen auch noch Miete abnahm. Nur im Handelshof durften sie ihre Ware verkaufen und zwar ausschließlich an Bürger Venedigs, wobei dolmetschende Makler obligatorisch waren. Gewinne mussten dann vor Ort reinvestiert werden. Man gestattete den Bewohnern des Fondaco keine Selbstverwaltung" (..., Uwe Israel in: Felten, S.143)

 

Die venezianischen Kaufleute selbst sind in zwei bzw. drei Gruppen geteilt: "Der kleine Mann besaß das Bürgerrecht de intus, das ihm Rechte in der Stadt selbst gab. Nobili und Cittadini dagegen hatten das Recht  de intus et extra, das allein die Teilhabe an den Handelsprivilegien garantierte." (Rösch, S. 154)

 

Es gibt auch gewerbliche Produktion in der Stadt, vor allem für Bau und Ausrüstung von Schiffen, daneben Produktion von Metallwaren, darunter von kostbaren Waffen, und Textilproduktion, von Barchent (Fustane), aber auch von teuren Brokat- und anderen Stoffen. Eine besondere Rolle nimmt die Glasproduktion und darunter auch die Brillenproduktion ein, die wegen Feuergefahr Ende des 13. Jahrhunderts nach Murano ausgelagert werden wird. Die Gerberei wiederum wird wegen des Wassers dort auf die Giudecca verlegt.

Es gibt zeitweilig 52 zunftartige arti, aber sie gewinnen wenig politischen Einfluss.

 

Das hohe Maß an Staatlichkeit, welches die Stadt zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert entwickelt, bedeutet konsequentes Durchregieren von oben (Dogenpalast) nach unten (in die Stadtviertel). Aus den Pfarreien werden contrate gebildet, in  denen - in der Regel aus den Adeligen - zwei der Regierung verantwortliche capi gewählt werden. Sie haben sich um Wege und Brücken zu kümmern und müssen die Kosten auf die Anwohner verteilen. Für den Fiskus leiten sie die Steuerschätzungen. Für die Flottenbesatzungen beaufsichtigen sie die Gruppen von jeweils zwölf Männern, die unter sich auslosen, wer Dienst tun muss und wer stattdessen bezahlt.

Um 1300 werden über die vielen Contraden sestiere errichtet, sechs Bezirke, in denen die Regierung je einen Capo einsetzt. Sie sind für die öffentliche Ordnung zuständig, kontrollieren zum Beispiel Gasthäuser und Schenken, also die Fremden und das alkoholisierte Volk. Zudem werden die Consiglieri des mächtigen Kleinen Rates werden je einer aus den Sechsteln der Stadt gewählt.

 

Die Inselmetropole Venedig hat keinen Contado und versucht direkt von dem kleinen Herrschaftsbereich am Meer aus immer Kontrolle über das Festland auszuüben. 1240 werden die Wirren im Konflikt zwischen Kaiser Friedrich II., dem Papst und den lombardischen Städten dazu genutzt, Ferrara zu überfallen, allerdings nur solange mittels venezianischer Podestà gehalten, bis Venedig seine Interessen hinreichend durchgesetzt hat. Der Stadt wird aller Schiffsverkehr außer mit der Stadt Venedig untersagt, was seinen Handel massiv schädigt.

Noch geht es Venedig aber um den Machtbereich seines Handels, nicht um direkte Herrschaft über Land und Leute in der Poebene. Als der Papst zum "Kreuzzug" gegen Ezzelino da Romano, dem Verbündeten Kaiser Friedrichs und inzwischen Herr über Verona, Vicenza und Padua aufruft, nimmt Venedig bereitwillig teil, zieht sich aber nach Zerschlagung des Machtkonkurrenten wieder zurück.

 

1258 erwirbt Venedig von Ravenna Land am südlichsten Po-Arm im Delta.

Darauf errichtet man mitten im Podelta die Festung Marcamò und kontrolliert nun die Handelslinie der westlichen Poebene mit der Adriaküste. Was immer nun an Waren aus Sizilien, Apulien und den Marken in die Poebene gelangen soll, muss nun über Rialto geleitet werden.

 

In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts gelingt es schließlich, ein Salzmonopol bis in die Lombardei und die Romagna hinein gegen das päpstliche Cervia (zwischen Ravenna und Rimini) durchzusetzen. Dabei hilft das Verbot eines Salzhandels zwischen den einzelnen Städten, die direkt von Venedig abhängig sein sollen. Dieser enorme garantierte Absatzmarkt führt dazu, dass Venedig bald auch Salz aus Kreta einführen muss.

 

Eine Politisierung wie in Florenz findet nur begrenzt statt, da der enorme Reichtum für viele etwas abfallen lässt: Politisierung ist Ideologisierung von Konflikten, die hier so weniger stattfinden. Stattdessen wird der Verwaltungsapparat immer größer, mit ihm die Fülle der Ämter für die Oberschicht, die zum Teil von Ausschüssen kontrolliert werden. Verwaltung verlangt Verrechtlichung und etwa gleichzeitig mit Mailand werden Gesetze und Verordnungen, nicht zuletzt für Schiffahrt und Handel, kodifiziert. Nach der Teil-Unterwerfung von Ferrara wird ein immer einheitlicherer verrechtlicher Raum geschaffen, ein „Verfassungsraum“ für moderne Staatlichkeit. Und wer von den Nachkommen der Oberschicht keinen Platz in einer Handelsfirma und kein lukratives Amt bekommt, der wird Herzog von Naxos oder kauft sich Grundbesitz auf dem Festland, der terra firma, und übt sich dort in aristokratischer Lebensweise.

 

1257 werden die Venezianer vor Akkon von den Genuesen besiegt. Genua verbündet sich mit Michael Paläologos, der sich in seinem Reich von Nikäa als Kaiser ansieht. Der nutzt mit einer Flotte die Tatsache, dass sich die venezianischen Schiffe gerade im Schwarzen Meer befinden, zum erfolgreichen Überfall auf Konstantinopel.

Zwischen 1261 und 1268 gelingt es den Genuesen, mit der Wiedererrichtung des griechischen Kaiserreiches die Venezianer aus Konstantinopel zu vertreiben. Danach kehren sie allerdings wieder zurück und teilen sich in der Folge mit Genua den lukrativen Handel mit dem nahen und fernen Osten.

 

Nach dem (Silber)Grosso wird 1284 mit dem bald so genannten Dukaten auch eine Goldmünze eingeführt, deren Wert ebenfalls stabil gehalten wird. Die Edelmetalle müssen importiert werden, aus den Alpen, der Slowakei, den Karpaten und aus Afrika. Um insbesondere die europäischen Quellen hinreichend sprudeln zu lassen, muss eine dabei besonders kunstvolle Außenpolitik betrieben werden. Überhaupt ist die venezianische Diplomatie dabei, eine immer größere Rolle für den Staat zu spielen.

 

Die Last des Staatshaushaltes liegt weiter über die Verbrauchssteuern im wesentlichen auf dem Rücken der machtlosen Mehrheit. Schon länger wird der Staatshaushalt durch Aufnahme von Schulden finanziert. Die Stadtregierung besorgt sich um das Jahr 1200 Darlehen, deren Zinsbelastung durch Salzsteuer und Marktgebühren bezahlt wird. (Ertl, S.159) Die Staatsschulden durch  Staatsanleihen werden 1262 dann im Monte Vecchio in einer konsolidierten Staatsschuld zusammengefasst. Die Darlehensgeber bekommen dafür einen jährlichen Zins von 5 Prozent. Dabei wächst die Schuld immer mehr, Ende des 13. Jahrhunderts werden es rund 500 000 Dukaten sein, im nächsten Jahrhundert werden sie bald auf eine Million ansteigen.

Während Wohlhabendere die Anleihen als Alterssicherung und Geldanlage rentabel nutzen können, müssen die Zinsen vor allem von den kleinen Leuten über ihre Abgaben aufgebracht werden.

 

Der rapide ansteigende Reichtum der venezianischen Oberschicht führte schon länger dazu, dass Teile der Renditen nicht mehr direkt reinvestiert, sondern in Grund und Boden angelegt werden, welche auch als Sicherheit für Finanzgeschäfte dienen. In der Folge verteuert sich der Boden im unmittelbaren Herrschaftsraum immer mehr, weswegen die Kapitaleigner gezwungen sind, auf die terra firma, das Festland auszuweichen, also die Gebiete von Treviso, Padua und Ferrara. "Am Ende des 13. Jahrhunderts besaß so mindestens jede zweite Adelsfamilie Grund auf der Terraferma." (Rösch, S.86) In Einzelfällen kann das zu Interessenkonflikten einzelner Familien und dem venezianischen Machtzentrum kommen, weswegen mehrmals der Landkauf außerhalb des Staatsgebietes verboten wird, wenn auch ohne dauerhaften Erfolg.

 

 Der Sonderfall Rom

 

Das Fürstentum römische Kirche und Kirchenstaat mit seiner Residenzstadt Rom ist in vielerlei Hinsicht ein Sonderfall der Geschichte. Es bezieht seine Einkünfte aus der Stadt Rom, aus dem Kirchenstaat, darüber hinaus aber als Papstresidenz vor allem aus der gesamten lateinisch-christlichen Welt. Zum Fürstentum gehört ein ganz eigenartiger Hofstaat, der als besondere hohe Höflinge auch die Kardinäle einbezieht, deren Entourage oder familia wiederum jeweils 40-100 Mitglieder umfasst, und deren Einkünfte wiederum auf großen, über (West)Europa verstreuten Pfründen und Besitzungen beruhen.

Die nun erneut wachsende Stadt Rom (um 1300 auf vielleicht 45 000 Einwohner) ist weniger an Warenproduktion beteiligt, sie konsumiert im wesentlichen, nur die hocharistokratischen Viehbarone mit ihren riesigen Herden in der Campagna produzieren Fleisch und Käse vor allem. Ansonsten wird hier in Behörden Kirche verwaltet mit ihren Reichtümern, die enormen Finanzströme werden beaufsichtigt und daneben gibt es für die Pilgerströme wie für hohe Besucher ein riesiges Beherbergungswesen.

 

Die Unsummen, die in die Stadt fließen, werden in die Einfuhr von Waren zu Lande und zu Wasser umgesetzt, und zwar von Lebensmitteln wie einfachen Dingen des täglichen Bedarfs wie für Mengen an Luxusgütern für die sehr breit gestreute konsumierende Oberschicht. Die Organisation des Geldflusses in die Stadt übernehmen dabei florentinische Firmen ebenso wie den stetig fließenden Warenstrom.

 

1188 anerkennt die Stadt die Oberhoheit der Päpste, die ihr dafür erhebliche Autonomie zugestehen.

 

Innozenz III. stellt nach dem Tod Heinrichs VI. 1197 den Kirchenstaat wieder her und gliedert Ancona und Spoleto an. Auf ihm gewinnen Barone mit großen Ländereien immer mehr Reichtum und Macht, ähnlich wie die in Süditalien unter den Staufern. In seinem Machtbereich beginnt nun mit immer größerer Härte Ketzerverfolgung, in diesem Ausmaß ein neues Phänomen.

Er gerät er in den Konflikt mit Friedrich II. Nach dessen Ende gerät das Papsttum immer wieder in die stadtrömischen Konflikte zwischen den Orsini und Colonna.

 

Nachdem das als Umklammerung angesehene Stauferreich vernichtet ist, unterstützen die Päpste zunächst die Anjou, bis sie auch diese im Zusammenhang mit der königlich-französischen Politik als Bedrohung ansehen. Päpste sind seit dem späteren 11. Jahrhundert Machtpolitiker, und das unterscheidet sich auch nicht nach ihrer Herkunft aus stadtrömischem Hochadel, dem Frankreichs oder aus dem Franziskanerorden wie bei Nikolaus IV. (1288-92). 1294 wird als Sonderfall und machtpolitischer Kompromisskandidat der Eremit Pietro del Morone als Coelestin V. Papst, verlegt die Kurie nach Neapel und muss dann doch nach wenigen Monaten abdanken. Sein Nachfolger Bonifaz VIII. lässt ihn bis zu seinem Tod inhaftieren und verlegt dann die Zentrale wieder nach Rom.

 

Im 13. Jahrhundert gewinnt Rom ein neues Stadtbild durch die vielen Prachtbauten von Päpsten und Kardinälen. Hospize und Hospitäler werden gebaut. Die Stadt wächst auf knapp 40 000 Menschen Anfang des 13. Jahrhunderts, nach den Pestzügen sind es um 1400 noch etwa 25 000, im Rom der "Hochrenaissance" werden es um 1525 über 50 000 werden.

 

Die Versuche, seit der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts ein Primat der römischen Kirche über alle weltliche Macht anzustreben, scheitern mit Bonifaz VII. endgültig gegenüber der französischen Krone, führen zu langsam größerer Distanzierung Englands von Rom und haben ihren letzten Anlauf gegenüber König Ludwig dem Bayern. Die großen kirchlichen Fürstentümer in deutschen Landen verlieren langsam ihre alte Bedeutung, ohne aber zu verschwinden. Kirche wird zunehmend in die weltlichen Herrschaftsstrukuren eingegliedert, ganz früh in italienischen Stadtstaaten, mustergültig für die großen "Nationen" dann in Frankreich.

 

Der Konflikt Philipps des Schönen mit dem Papsttum führt über den enormen Finanzbedarf der Krone wegen der Konflikte um Flandern und Guyenne. Dafür erhebt der König auch Abgaben auf die Kirche, was Papst Bonifaz zunächst ablehnt, um dann aber einzulenken. Der nächste Konflikt entsteht, als Bonifaz als Vermittler gegenüber Flandern und England auch deren Interessen vertritt. Nachdem der König einen französischen Bischof verhaften und aburteilen lässt, kommt es zu einer päpstlichen Bulle, die den Bruch vertieft. Der König lässt darauf Pierre Lote erklären, dass der Papst für die inneren Zustände Frankreichs nicht zuständig sei. Im selben Jahr 1302 erscheint die Bulle 'Unam Sanctam' mit dem Anspruch päpstlicher Oberhoheit über alle Reiche.

Unter der Führung von Guillaume de Nogaret wird nun der Papst praktisch wegen Häresie abgesetzt und dieser zieht nach Italien, um eine Versammlung für eine Neuwahl zu organisieren. Als der Papst dagegen nach Verbündeten sucht, wird er in Anagni überfallen, darauf aber wieder befreit. Er stirbt auch an den Folgen davon.

 

Süditalien

 

Unter den Anjou reduziert sich der Handel Amalfis fast ganz auf italienische Küstenschiffahrt und auf Landhandel in der Region. Damit betrachten die großen italienischen Handelsstädte sie nicht mehr so sehr als Konkurrenz. Die Macht der Stadt ist bei einer gewissen Autonomie dahin, aber der Wohlstand einer Oberschicht bleibt noch weiter bestehen. In Sizilien eng verbunden mit den Anjou und in deren Verwaltung integriert, erweist sich die "sizilianische Vesper" für sie als katastrophal.

Spätestens nach dem Erdbeben von 1343 bietet Amalfi ein ruinöses Bild. (Abulafia)

 

Wichtigste sizilische Handesstadt ist inzwischen Messina, von den Herrschern mit Privilegien ausgestattet. im 14. Jahrhundert sind Leute von dort in Handelsbeziehungen mit Kalabrien und Tunesien, mit Zypern und wohl sogar bis nach Armenien. Mit Waren wie Wein und Obst sind sie überall willkommen, und sie konkurrieren mit den mächtigen Handelsstädten Italiens hauptsächlich über sizilisches Getreide. Mit diesem konkurriert nun vor allem der Masserien-Besitz in Apulien.