ZEIT DER EINNISTUNG VON KAPITAL (11.Jh.): KIRCHE, KAISER, KÖNIGE(wird derzeit umgearbeitet)

 

 

Der Rahmen (Geld / Glauben)

Der Rahmen: Reformkirche

Königreiche (Ostfranzien / Westfranzien / Spanien / Italien / England)

Kaiser und Päpste

Königreiche 2 (Westfranzien / England / Italien und die Normannen)

Frömmigkeit als Weltflucht

Byzanz und der erste Kreuzzug

Heinrich V.

Volk und Völker

 

 

Der Rahmen

 

Aus der Schwellenzeit des 10. Jahrhunderts lässt sich, ins 11. in groben Zügen folgendes für das lateinische Abendland mitnehmen: Eine im wesentlichen landwirtschaftlich geprägte Welt mit kleinen, aber langsam wachsenden Städten ist in weltliche und geistliche Herren und eine produzierende Schicht ihnen unterschiedlich untertaner Bauern samt noch wenigen, meist ähnlich untertanen Handwerkern und Händlern geteilt. Das sind immer noch deutlich über 90% der Bevölkerung, dazu verurteilt, für sich und ihre Herren zu arbeiten und dabei von all den vielen Entscheidungen, die die Geschichtsbücher damals und heute ausmachen, ausgeschlossen bleiben.

 

Die Herren unterteilen sich einmal in einen sich langsam ständischer verstehenden Adel, der von der Arbeit der Produzenten auf dem ihm zur Verfügung stehenden Grund und Boden lebt, sowie ebenfalls adeligen höheren Kirchenleuten und Äbten, wobei letztere zusammen über die Mehrzahl der Ländereien verfügen. Der weltliche Adel vor allem ist nach Macht und Reichtum unterschieden, über die Macht in größeren Gebieten verfügen dabei solche, die sich als Fürsten sehen und versuchen, Adel darunter an sich zu binden. Allesamt sind sie Krieger, die mit Hilfe der Kirche behaupten, dass Herrschaft und Knechtschaft gottgewollt seien. Als Krieger gieren sie nach Macht und Reichtum und konkurrieren oft gewalttätig miteinander.

 

Adel und insbesondere Fürsten konkurrieren zudem mit Königen um die Macht; dabei bejahen sie das Königtum über sich, widerstreben aber dessen Versuchen, mehr Zugriffe auf ihr jeweiliges Reich zu bekommen. Im Osten und Norden Europas sind große Herren auf dem Wege, ihre Macht soweit zu erweitern, dass daraus wiederum Königtum möglich wird. Dabei findet ein erster Integrationsprozess in Richtung lateinisches Abendland statt, der über Christianisierung und elaboriertere Machtstrukturen läuft.

 

Es gibt einen kleinen Markt für Lebensmittel und Gerätschaften für die Produktion, ansatzweise wohl auch für Textilien, und einen anders gearteten für den Luxusbedarf vor allem der wohlhabenderen Herren. Vieles wird noch über Warentausch abgehandelt, aber langsam nimmt die Geldwirtschaft zu. Allmählich nistet sich auch Kapital in Städten vor allem Italiens wie in Venedig oder Amalfi ein, welches sich aus Handel und Finanzgeschäften vermehrt.

 

Geld

Während die Masse der Menschen nach der weströmischen Antike zunächst immer weniger Zugang zu Geld hat, verfügen die hohen Herren weiter darüber in größeren Mengen. Zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert nimmt dann das in Umlauf befindliche Geld zwischen England und Sizilien und von der Elbe bis nach Galizien immer schneller zu und gelangt zunehmend auch wieder in die Hände von Kleinbauern und städtischer Unterschicht. Das entspricht den Interessen der Mächtigen, die im 11. Jahrhundert bereits mit größeren Geldmengen in ihren Kassen rechnen. Damit wird nicht nur zunehmender Luxus im Lebensmittelbereich, in der Rüstung und Kleidung, schließlich auch in der Ausstattung von Gebäuden bezahlt, sondern auch Hoftage, Heerzüge, überhaupt kriegerische Unternehmungen verschlingen immer mehr Geld.

 

Zwar entsprechen in der bald im Süden aufkommenden feudalen Theorie dem Verleihen von Land, Rechten und Ämtern nichtmonetäre Gegenleistungen, tatsächlich werden die aber durch Geschenke und Bezahlung zunehmend gefördert und begleitet. Dabei nimmt auch das Schuldenmachen und der Geldverleih immer mehr Raum ein. Aber Finanzkapital spielt in den Machtstrukturen außerhalb des nordwestlichen Mittelmeerraumes noch eine untergeordnete Rolle .

Dennoch: Wir können nur vage ahnen, welche enormen Geldmengen zum Beispiel die Eroberung Englands 1066-70/74 durch Herzog Wilhelm von der Normandie gekostet haben muss und wie er sie vorfinanziert hat. Jedenfalls besteht ein stattlicher Teil seines Heeres aus Söldnern, die während der langen Wartezeit an der normannischen Küste bezahlt und durchgefüttert werden müssen. Das restliche Heer dürfte durch Landgier bewegt worden sein, die wiederum erweist sich aber bei Übernahme der angelsächsischen Güter als Geldgier: Ein Teil der Landräuber taucht nur selten auf seinen neuen Gütern auf und ist im wesentlichen an den Renten in Geld interessiert (Carpenter, S. 78)

 

Wie wichtig Geld inzwischen ist, belegt der erste Kreuzzug, für den enorme Summen bewegt und aufgebracht und riesige Kredite aufgenommen werden, wie zum Beispiel die 6666 Pfund, die der Normannenherzog Robert von seinem Bruder Wilhelm dafür erhält, und die dieser durch ein außerordentliches geld seiner Untertanen relativ schnell zusammen bekommt. Überhaupt dienen die frisch ausgebildeten feudalen Machtstrukturen in England zunehmend dem Zusammenraffen von Geld. Wilhelm Rufus braucht es deshalb, weil er damit Soldaten anheuert und sich mit dem Geld seine Haustruppe aus Rittern "from all over Europe" zusammenstellt (Carpenter, S.133).

 

Das was Moralisten später einmal Korruption nennen werden, ist spätestens seit dem 11. Jahrhundert in Italien gang und gebe, und wird im 12. Jahrhundert das ganze lateinische Abendland überrollen. Gemeint ist die Käuflichkeit von Ämtern, Titeln, Einfluss und Verträgen. Päpste (auch die frömmeren) kaufen sich Unterstützung bei den Parteiungen im zerstrittenen Rom, wer Privilegien und Einfluss will, reist in die Hauptstadt der westlichen Christenheit, geht zu den dortigen Geldleihern und kauft sich Beschlüsse der Kurie. Der große päpstliche Landbesitz ist verpachtet, aber die Päpste verfügen über große Mengen an Gold und Silber.

Hildebrand/Gregor gewinnt den Rückhalt in Rom auch über Geldgeschenke. 1084 verteilt Heinrich IV. dort pecunia und kann seinen Papst durchsetzen.

Roger von Sizilien kauft sich 1134 mit 240 Unzen Gold jährlich die Unterstützung der Pierleoni. Welche Rolle Korruption von da an im päpstlichen Rom durch die Jahrhunderte spielen wird, ist bekannt.

 

Glauben (siehe Anhang ...)

Das, was die meisten Leute als Christentum glauben, kann nur erahnt werden, aber vermutlich besteht es für sie weiter in der Adaption des wenigen, welches sie mitbekommen, an ihre Lebensverhältnisse, die im Kern eben auch kirchlich begründet werden.

Es gibt Ausbrüche besonderer kirchenkonformer Frömmigkeit bei einzelnen Laien und verstreut auch Gruppen, die sich zusammenfinden, um stärker dem Evangelium gemäß in der Welt zu leben, was sich vor allem auf die Ablehnung von Besitzgier und kirchlicher Machtgier konzentriert. Dazu gehört auch, dass solche "Armen Christi", "Apostel" oder einfach "Christen" von der Kirche erfundene Sakramente und andere Machtinstrumente ablehnen.

Damit werden sie von der Kirche als Gefahr erkannt, insbesondere wenn sie ganz ohne diese auszukommen trachten.

Nach dem altgriechische hairesis in der Bedeutung "selbstgewählte Anschauung" werden sie als Häretiker verdammt, denn die Kirche ist der einzige Lehrmeister über das, was Menschen zu glauben haben. Langsam werden sie in einigen Gegenden im 11. Jahrhundert etwas mehr, bleiben aber wohl überall eine kleine Minderheit. Immerhin werden Leute, die eine eigene Meinung, und das heißt eine andere als die Mächtigen und ihre Propagandisten haben, bis heute diffamiert, bedroht und verfolgt. Damals kann das schnell den Tod zum Beispiel durch Verbrennen bedeuten, wenn man nicht eilfertig widerruft. An ihrer gewalttätigen Verfolgung nehmen aber auch willfährige Leute aus dem selben Ort gelegentlich gerne teil.

 

Es gibt nur wenige Zeugnisse des offenen Unglaubens am kirchlich verordneten Christentum, soweit sie nicht in Häresien münden, deren Verfolgung dokumentiert wird. Das ist verständlich, denn dazu gehört sehr viel Mut, und zudem hat die Kirche kein Interesse, laut darüber zu reden. Aber da diese Kirche auch wenig Interesse daran hat, was die Leute wirklich glauben und meinen, solange sie sich ihr unterwerfen, findet weitergehende Christianisierung auch nur bei den evangelisch orientierten Minderheiten statt, eine Entwicklung, die am Ende zu jenen Reformbewegungen führen wird, die in die großen Reformationen des frühen 16. Jahrhunderts münden werden.

 

Christlich sein heißt derweil für die meisten Menschen, sich dem Machtapparat der Kirche zu unterwerfen, wenige formelhafte Glaubenssätze zu wiederholen und einige Rituale mitzumachen, was alles mit dem Jesus der Evangelien kaum etwas zu tun hat. Dieser Machtapparat ist auch wenig daran interessiert, den Menschen mehr Religion zu vermitteln. Stattdessen macht er sich dahin auf, diesen Apparat von der Spitze her effizienter zu gestalten, wodurch er im 11. Jahrhundert in Konkurrenz zur weltlichen Macht gerät.

 

Derweil werden ganz langsam jene Entwicklungen einsetzen, in denen eine christliche Philosophie durch neue Ansätze des Vernunftgebrauchs in Eigenbewegungen gerät, deren Weiterentwicklungen bis in die sogenannte Aufklärung Philosophie und Religion dann ganz trennen werden, was am Ende zum Untergang beider führen wird. Spätestens im 12. Jahrhundert werden die ersten im kirchlichen Machtapparat ahnen, dass freieres Denken diesen gefährdet wie überhaupt jeden Machtapparat dieser Welt. Nicht, dass solche Gedanken für "das Volk" direkt zugänglich werden, aber sie deuten (bis heute) für Mächtige bedrohliche Freiräume an.

 

Der Rahmen: Reformkirche

 

Die große religiöse Bewegung des 11. Jahrhunderts mit ihren Reformen an Kirche und Kloster wird zunächst von Fürsten, Königen und Kaisern zur Legitimation und Stabilisierung eigener Macht genutzt, und eine Etage darunter als Element in der Entstehung eines neuartigen Adels mit seinen Stammburgen, seinen Hausklöstern und seinen Grundherrschaften. Zum schlimmen Bruch kommt es erst dort, wo die autoritäreren Machtansprüche von König/Kaiser und Päpsten miteinander kollidieren. Das wird dann vor allem auch zu einem "deutschen" Sonderfall, denn das Kaisertum ist an Rom und seine Päpste gebunden.

Unübersehbar fällt das alles zusammen mit einer deutlicher werdenden Kommerzialisierung der Landwirtschaft besonders in Nord- und Mittelitalien, einem sich ausweitenden Marktgeschehen, zunehmendem Handel und mehr Kapitaleignern in vielen Bischofsstädten. Manche Kirchenleute sehen mit großem Misstrauen auf Auflösungserscheinungen der von ihnen vertretenen Ordnung in den Städten: Käuflichkeit, Elendskriminalität, Prostitution usw.

 

Friedensbewegungen

Ein  Vorläufer der Reformbewegungen sind die schon gegen Ende des 10. Jahrhunderts auftretenden und von der Kirche angeführten Friedensbewegungen.

Die Kirche ist zwar im Bündnis mit der weltlichen Macht militant gegen "Heiden", aber jenes Friedens bedürftig, der sie unter den Schutz von Kriegerherren stellt. Die geringe Königsmacht von Katalonien über Westfranzien bis ins "römische" Reich liefert sie aber zugleich dem Fehdewesen dieser Krieger aus. Zum Schutz davor entstehen vor allem von Bischöfen ins Leben gerufene Versammlungen, auf denen ein "Gottesfrieden" (treuga Dei) für bestimmte Zeiten und Regionen beschworen wird, der vor allem die nicht Waffen tragende Bevölkerung schützen soll. Das trifft auf Könige, für die Königsmacht und innerer Frieden zusammengehören.

 

Um 1140 schließen so zum Beispiel Abt Odilo von Cluny und mehrere Bischöfe einen Vertrag, in dem es unter anderem heißt:

Von der Versper des Mittwochs bis zum Sonnenaufgang am Montag soll zwischen allen Christen, Freunden und Feinden, Nachbarn und Fremden, fester Friede und unverbrüchliche Waffenruhe herrschen, so dass in diesen vier Tagen und Nächten alle Christen zu jeder Stunde sicher seien und alles tun können, was nützlich ist (...) Alle, die diesen Frieden und diese Gottesruhe beachten und sicher halten, sollen (...) für alle Ewigkeit von ihren Sünden losgesprochen sein. (in: Neiske, S.141)

 

Diese Verpflichtung der mächtigeren unter den Kriegern, die sich langsam als neuartiger Adel formieren, auf eine Einschränkung ihrer Fehden und Raubzüge und auf das Verschonen von Geistlichkeit, Mönchen und Bauern schafft ein "verchristlichtes" Kriegerbild, welches sich gleichzeitig im Kampf gegen "Heiden" bewähren kann und wird im Aufruf zum ersten Kreuzzug münden. Tatsächlich werden aber die "Ritter" in der Blütezeit ihres Auftretens zwischen dem 12. und 14. Jahrhundert nicht weniger gewalttätig sein als zuvor; nur die Strukturen, in denen sie agieren, werden sich etwas verändern. Und: Gewalttätig wird auch die Kirche sein, - wo immer sie kann.

 

 

Kloster (siehe Anhang 20)

Auf die Reformen von Cluny, Gorze und anderen Klöstern und deren Austrahlung folgen im 11. Jahrhundert erneute Klagen über Verweltlichung vieler Klöster und neue Reformversuche. Zum Schlagwort der libertas ecclesiae kommt der der Freiheit der Klöster. Adelige in Lothringen wie 1049 jener Egisheimer Grafensohn, der zum Papst Leo IX. wird, beginnen „ihre“ Klöster direkt dem Papst zu unterstellen, was heißt, sie der königlichen Oberaufsicht zu entziehen, der bisher oberster Schutzherr der Klöster war.

Tatsächlich bleiben sie nun aber unter der erblichen Aufsicht der jeweiligen adeligen Stifterfamilie, im Egisheimer Fall wird dort die Vogtei an den Besitz des Stammsitzes der Familie, die Egisheimer Dagsburg gebunden. Das gilt aber selbst dort, wo die Familie den Mönchen nicht nur die Wahl des Abtes, sondern auch die freie Wahl des Vogtes gewährt, der die weltliche Gewalt ausübt. Auf diese Weise werden in den südwestdeutschen Reformklöstern dann lange vor den Übereinkünften zwischen Königen und Päpsten Temporalia und Spiritualia getrennt.

Zur gleichen Zeit beginnen norditalienische Klöster wie Fruttuaria mit Reformen.

 

 

Miss-Stand und Kritik in der Kirche

So wie die Bischöfe, ob nun reformerisch oder nicht, sich wenig mit weiterer Christianisierung ihrer Herde beschäftigen, so auch nicht ihr römisches Oberhaupt. Dabei bleibt die Vermischung vorchristlicher und kirchen-christlicher Vorstellungen und Rituale in der Laienschar, und vermutlich auch weiter eine gehörige Portion von Zweifel und Unglauben dort.

 

Es geht vielmehr um das Personal ihres eigenen Apparates und im Kern um die magischen Mittel, mit denen Priester als Hirten das Seelenheil ihrer Herde zu befördern haben. Dazu sollen sie ihren Geschlechtstrieb nicht ausleben (Zölibat), sie sollen nicht käuflich sein, sich also auch nicht in ihre Ämter und mehr oder wenige einträgliche Pfründe einkaufen. Das ist die Simonie, so benannt nach dem Simon der Apostelgeschichte, der sich magische Kräfte erkaufen wollte.

Manche fordern auch, dass sie nicht mehr von weltlichen Herren eingesetzt werden sollen.

Überhaupt soll der Klerus kein völlig von Mönchen verschiedenes Leben führen.

Dazu gehört, dass der Dom-Klerus Kirchengut nicht als individuellen Privatbesitz, sondern als kollektives Gut der Kirche behandeln solle. Idealerweise soll er darüber hinaus ein gemeinsames Leben führen, was mal wieder weitgehend verschwunden ist.

 

Damit so etwas durchgesetzt werden kann, muss die Kirche sich aus dem Einfluss weltlicher Macht lösen: Sie muss autonom eine Macht aus eigenem Recht werden, wiewohl ihr die militärischen Machtmittel fehlen. Dieser Widerspruch entspricht dem der weltlichen Mächte, die ihre christliche Legitimationsbasis nicht verlieren wollen und darum Reformen nur solange fördern, wie ihnen die Kirche dabei nicht entgleitet. 

Der zunehmend artikulierte Widerspruch zwischen der geforderten Heiligkeit der Priester und der Niedrigkeit der besonders sündhaften Laienwelt weist auf eine Entwicklung, die Kirche und "Welt" stärker trennen wird.

 

Dabei ist diese Reformbewegung eingebettet in die von Cluny begonnene klösterliche Reformbewegung und andere, ebenfalls beschränkte Frömmigkeits-Bewegungen, wie das zum Beispiel die langsam steigende Marienverehrung ist. Dort, wo sich solche Grüppchen von Leuten dabei stärker auf die Evangelien konzentrieren und diese damit überhaupt zur Kenntnis nehmen, somit implizit zur Kirchenkritik herausgefordert sind, werden sie verfolgt. Schließlich greifen sie damit auch den großen Reichtum der Bischofs-Kirchen an, den die kirchliche Reformbewegung für selbstverständlich hält, und vielfach zudem auch die magischen Rituale der Priester.

 

Käuflichkeit

Was heute Korruption heißt (eigentlich: Verderbnis), also Käuflichkeit, Bestechlichkeit, prägt das ganze Mittelalter und gilt eher als normal, wird also meist nicht als solche bezeichnet. Wer Privilegien (Vorrechte) will, muss etwas dafür bezahlen, und zwar bei höheren weltlichen wie geistlichen Herren. Ausgenommen sind nur die, die nicht genug Geld erwirtschaften, um die Käuflichkeit anderer auszuprobieren. Dass man sich in wohldotierte Pfründe, also geistliche Ämter samt dazugehöriger materieller Grundlage in Land und (arbeitenden) Leuten einkauft, gilt als selbstverständlich.

 

Dabei ist dann meist kein gemeinsames Leben eines Stiftsklerus mehr vorhanden. So kann denn der bedeutende Reform-Bischof Johannes von Cesena 1042 für die Zustände, die er in seinem Bistum vorfindet, schreiben,

dass die Priester, Diakone und übrige kirchlichen Stände ihre Einkünfte und die Oblationen (d.h. freiwilligen Zuwendungen) der Kirche nicht gemeinsam (communiter) besaßen und sie nicht für fromme Dinge verwendeten, sondern sie stattdessen – sie für schändliche Habgier (avaritia) nutzend – untereinander wie eine Beute aufteilten und in ihre jeweiligen Häuser wegschleppten, wo sie ihre Anteile auf höchst verächtliche Weise zusammen mit ihren Hausgenossen und – was noch schlimmer ist – zusammen mit Frauen verbrauchten.

 

Käuflichkeit ist dabei ganz allgemein Wesen einer Warenwelt, und sie wird sofort auf Menschen übertragen: Auf Lohnarbeiter auf Zeit, für eine Ernte zum Beispiel, auf Frauen, die ihre Körper zum männlichen Abreagieren des Geschlechtstriebes vermieten oder die als Töchter des Adels und der Fürsten gegen entsprechende Mitgift besonders vornehm verkauft werden.

 

Als Simonie gilt es aber auch, wenn Könige und andere Fürsten Äbte und insbesondere Bischöfe selbst einsetzen, wobei man unterstellt, dass dabei Geld fließt und/oder die Macht der weltlichen Herren vergrößert werden soll. Symbolisch dafür steht die Investitur der Bischöfe durch den König, einen Laien, mit Krummstab (baculum) und Ring (anulus).

 

Kaiser Heinrich III. setzt auch, was in einigen Kreisen Empörung auslöst, mit ihm befreundete Päpste ein, und unter seinen Vorgängern war das nicht anders gewesen, wenn es ihnen möglich war. Dass die Salier dabei reformfreundliche Päpste begünstigen, wird ihnen später nicht gedankt werden.

Diese Käuflichkeit setzt sich aber bis hinunter zu jenen Priester-Ämtern fort, die hinreichend einträglich sind.

 

Zölibat

(Menschen wirtschaften nicht nur, begründen Macht- und schließlich Herrschaftsverhältnisse, sie sind zu allererst lebendige Körper, die spüren, fühlen, Emotionen nach außen tagen, die begehren und nicht zuletzt sexuell begehren. Im Großkapitel über Körperlichkeit bis ins romanische Zeitalter habe ich mich den Grundkonstanten von Ekel, Scham, resultierenden Schuldgefühlen und Reinheitsvorstellungen bei gleichzeitiger Faszination für das Obszöne angenähert, dies alles von wenigen für viele auch optisch dargestellt.)

 

 

Zwar bleibt das Ausleben des Geschlechtstriebes weiter Haupt-Ursache menschlicher Sündhaftigkeit, aber zugleich hat die Kirche im Zuge ihrer Romanisierung und partiellen Re-Judaisierung schon lange ihren Frieden mit Ehe und Familie geschlossen, verwerflich bleibt dabei jedoch der Aspekt der Lust, Zentrum menschlichen Getriebenseins. Anders als beim Judentum und dem Islam wird das zentraler Widersinn christkatholischer Existenz  bleiben und am Ende ihren letztlichen Untergang herbeiführen. Zunächst einmal wird dieser Widersinn wohl weithin im Laienraum ignoriert werden.

 

Wir wissen schon aus vergangenen Jahrhunderten, dass nicht nur Priester sehr oft im Konkubinat leben oder regulär verheiratet sind und Kinder haben. Dasselbe gilt auch für nicht wenige Bischöfe. Von asketisch lebenden Eremiten und Mönchen insbesondere in Norditalien geht dann die Forderung aus, dass die magischen Kräfte der Priester nicht durch ausgelebten Geschlechtstrieb beschmutzt und entwertet werden dürfen.

Solche Askese als "Abtötung des Fleisches" betrifft nicht nur den Geschlechtstrieb, sondern auch ein Leben in möglichst extremer Einfachheit, Armut und angestrebter Bedürfnislosigkeit bis hin zur Selbstgeißelung. Wie diese Umleitung des Geschlechtstriebes in eine gewisse Lust am Schmerz sich mit dem Aufstieg in Kirchenämter verträgt, wäre eine eigene Untersuchung wert. Jedenfalls werden die Abbildungen von Folterphantasien und Grausamkeiten an Märtyrern in wenigen Jahrhunderten christliche Kirchen bevölkern.

 

1022 ordnen Benedikt VIII. und Kaiser Heinrich II. gemeinsam auf einer Synode in Pavia an, dass Geistliche künftig nicht mehr heiraten dürfen, was besagt, dass sie es bislang oft taten. Das nutzt aber wohl wenig, wie schon solche Forderungen in den 700 Jahren zuvor. 1059 wird dann auf einer Lateransynode verboten, das verheiratete Priester die Messe durchführen dürfen. Aber es kommt dagegen, soweit das überhaupt zur Kenntnis genommen wird, besonders in deutschen Landen zu heftigen Protesten, und noch um 1075 wehren sich die Priester auf Versammlungen in West- und Ostfranzien, darauf überhaupt einzugehen. In den nächsten Jahrhunderten wird dann auf die förmliche Priesterehe stärker verzichtet zugunsten des dann oft weiterlaufenden mehr oder weniger verdeckten Konkubinats.

 

Aber zunächst in Norditalien beginnen Laien in den größeren Städten vor allem sich gegen fehlende kultische Reinheit ihrer Priester zu wenden und dann auch die Simonie anzuprangern.

 

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Während den Priestern die Ehe verboten wird und sie ins Konkubinat abgedrängt werden, also zur massiven Entrechtung ihrer Frauen, greift die Papstkirche seit dem 10. Jahrhundert immer mehr in die Ehe von Fürsten und Königen ein. Ehen selbst entfernterer Verwandter werden verboten und dienen dann rückwirkend als (fast einziger) Scheidungsgrund.

Im folgenden Jahrhundert ist die Ehe immer noch kein Sakrament und wird von der produktiven Masse der Bevölkerung im wesentlichen weiter untereinander vereinbart, soweit sie nicht der Zustimmung durch einen Herrn bedarf. Aber die zunehmend wohlwollende kirchliche Haltung trägt dazu bei, dass Ehen schon mal auch an der Kirchenpforte, allerdings außerhalb des geweihten Bereichs, geschlossen werden und den Segen eines Priesters erhalten können.

 

 

Königreiche

 

Die Einnistung von Kapital verlangt halbwegs stabile Rahmenbedingungen für Handel und Gewerbe. Für italienische Städte bedeutet das, dass sie zum Teil zusammen mit Päpsten die sarazenische Gefahr im Mittelmeer zurückdrängen müssen, für den Ostseehandel müssen das mehr oder weniger regionale Fürsten leisten. Die Sicherheit der Handelswege und der Städte auf dem Kontinent liegt ansonsten in den Händen von Königen und Fürsten, immer wieder auch beim lokalen Adel, dessen kriegerisches Verhalten aber auch den Handel gefährdet.

 

Ostfranzien bis zum Streit mit dem Papst (siehe Anhang 19)

Das Königtum liegt in beiden Teilen Franziens in den Händen von Dynastien, Herrscherfamilien, die durchsetzen können, dass nach Möglichkeit der erstgeborene Sohn Nachfolger wird: Den Saliern und den Kapetingern. Aufgrund der Vorgeschichte beider Reiche entwickeln sie sich recht unterschiedlich.

 

Der letzte Herrscher aus der Familie der Ottonen, Heinrich II., und seine Nachfolger aus dem Herrscherhaus der Salier, Konrad II. und Heinrich III., versuchen in steigendem Maße, den Selbständigkeitsdrang der "Stammesherzöge", zunächst insbesondere der von Schwaben und Bayern, einzuschränken, aber die Verselbständigung von Stammesfürstentümern und Regionen am Rande des deutschen Kernlandes, dessen weitere Geschichte sehr stark von zentrifugalen Kräften geprägt wird, nimmt eher zu.

 

Das immer autoritärere Regieren Heinrichs III. äußert sich schließlich in den deutschen Landen mit der Einsetzung landfremder und damit eher schwächerer Herzöge. Dazu kommt ein Konflikt mit den Billungern. Der König versucht, sich stärker in Sachsen festzusetzen. Zur Schwächung der Familie Gottfrieds ("des Bärtigen"), die ganz Lothringen beherrscht, wird dieses unter zwei Herren in Unter- und Oberlothringen geteilt und Gebiete werden an den Grafen von Flandern abgegeben. All das ist mit militärischer Gewalt verbunden.

Immerhin gelingt es dem Kaiser, Dänemark, Polen, Ungarn und vielleicht auch Böhmen vorübergehend in eine Art Lehnsabhängigkeit zu bringen.

 

Zur Krise kommt es 1056, als Heinrich III. stirbt, der den noch kindlichen Sohn Heinrich drei Jahre vorher zum Nachfolger bestimmt hatte. Anfangs ist Mutter Agnes Regentin, unterstützt von Papst Victor II. Rudolf von Rheinfelden erzwingt für sich das Herzogtum Schwaben, Berthold von Zähringen das von Kärnten und Otto von Northeim das von Bayern. Während am Hof der Einfluss von Ministerialen zunimmt, empören sich die Fürsten darüber, ihrer würde abnehmen.

1062 entführt der Erzbischof Anno von Köln den Elfjährigen in seine Stadt, 1065 wird er mit der Schwertleite volljährig.

 

Erste Machtbasis sind weiterhin Familiengut und Krongut, dazu kommen zunächst weiterhin die Bischöfe und jene Großen, die salische Herrschaft anerkennen. Das Reisekönigtum bleibt auf das servitium regis der Bischofsstädte angewiesen, und bewegt sich von Ort zu Ort mit seiner Hofkapelle, die neben den geistlichen Aufgaben für den Hof auch das Notariatswesen beinhaltet. Dort sind wie schon unter den Sachsenkaisern hochadelige Geistliche versammelt, von denen nicht wenige später auf Bischofsposten landen.

 

Mehr unmittelbares Instrumentarium versammeln die Könige weiterhin nur auf ihren Hoftagen in Form eines Gefolges der Großen, und auf den Heerfahrten, die allerdings weiter sehr häufig sind. Gewalttätigkeit und Gewaltandrohung bleibt eine zentrale Betätigung der Herrenwelt, neben der religiösen ihre einzige handfeste Rechtfertigung.

 

Schon Heinrich II. tritt ganz auf die Seite der zunehmenden kirchlichen Reformbewegung und nutzt die Reichskirche dabei noch mehr als seine Vorgänger für die Herrschaftsausübung. Gut 40% der neu eingesetzten Bischöfe entstammen nun der Hofkapelle und immer mehr von ihnen erhalten nun volle gräfliche Rechte.

Die Sakralisierung des Königtums nimmt immer stärkere Züge an Unter den Saliern wird das Bündnis von Königen/Kaisern mit der Kirche weiter ausgebaut, was mit der aufwendigen Errichtung des monumentalen Domes zu Speyer demonstriert wird. Auf einem Italienzug sorgt Heinrich III. 1046 in Sutri für die Absetzung dreier Päpste und installiert dann in Rom Clemens III.

Der Kaiser kombiniert die Förderung der Bistümer mit der Verleihung von Immunitäten, Forsten, geldlich nutzbaren Hoheitsrechten und Grafschaften auch gegen die Interessen von Klöstern mit der Förderung der Kirchenreform. In der Summe soll beides seine Herrschaft stärken. Er regiert mit dem Erzkanzler, welcher Erzbischof von Mainz ist, und mit der von ihm kontrollierten Hofkapelle, aus der viele Bischöfe kommen. Die Pfalz Goslar erhält ein Stift als eine Art Kaderschmiede für eine kaiserlich kontrollierte Kirche.

 

Tatsächlich bleibt überall in diesem Reich königliche Herrschaft darauf begrenzt, dass die Großen sich in seine Hoheit begeben, wobei das noch nichts über den tatsächlichen Zugriff auf diese Gebiete aussagt, der sich in den Hoftagen dort ausdrückt und in Hof-Fahrt und Heerfahrt. Obwohl so die Könige keine dauerhafte Lösung für gesicherte Herrschaft zu finden, streben sie alle danach, auch andere Gebiete unter ihre Hoheit zu bekommen. Sie verstehen sich eben nicht deutsch, sondern als Machthaber ihrer Familie. Ein gemeinsames deutsches Selbstverständnis entsteht aber auch nur in rudimentären Zügen und wird auch in Zukunft nur selten einmal aufflackern.

 

Hohes Ziel königlichen Machtbegehrens, für das sie die deutschen Lande in ihre Dienste stellen, ist ein gewisses Maß an Herrschaft über ein zersplittertes Italien, bei dem auch Rom erreicht werden muss, um den Kaisertitel zu erringen. Immer wieder ziehen die Könige dafür mit bedeutenden Heeren in Unterwerfungs-Feldzügen  über die Alpen, da im Süden keine dauerhafte Kontrolle erringen können.

Sie stützen sich in Italien mit der bedeutenden Ausnahme von Mailand wesentlich auf von ihnen eingesetzte ostfränkische Bischöfe. In Süditalien, wo sich langsam auch normannische Herrschaften bilden, bleiben sie, manchmal unter Opferung großer Teile des Heeres, erfolglos. Dabei wird erste Ablehnung gegen die Fremden deutlich.

So geht es zum Beispiel auch 1037 unter Konrad II. wieder nach Italien, wobei es heftige Konflikte mit dem Mailänder Erzbischof gibt. Als Reaktion auf Aufstände in Städten wird mit der 'Constitutio de feudis' die Unterstützung von hohem Adel und Valvassoren gesucht.

Die Herrschaft über Nord- und Mittelitalien muss bei jedem königlichen Amtsantritt neu errungen werden, und das wird nicht nur so bleiben, sondern bleibt auch immer sehr unvollständig und schafft immer neue Feinde wie den Erzbischof von Mailand bei der Aufwertung der Valvassoren: Die Zersplitterung des Landes und die andersartigen Entwicklungen erschweren Dominanz aus deutschen Landen.

 

Am Rand der deutschen Lande herrscht wie im Inneren von Gewalt durchsetzte Unruhe. Im Westen bleibt das in einen frankophonen und einen deutschen Bereich völkisch geteilte Lothringen Zankapfel zwischen den beiden Königen und im Inneren zwischen Familien des Hochadels.

Nachdem der kinderlose Rudolf III. von Burgund 1016/18 sein Reich dem Kaiser aufträgt, gibt es letztlich vergebliche Versuche, es in Konkurrenz dem französischen König in das Salierreich einzugliedern, denn kaiserliche Macht kann dort in großen Teilen nicht durchgesetzt werden. Nur wenige heimische Adelige unterstützen 1033 die Königskrönung von Konrad in Peterlingen/Payerne.

Nachdem Polen und Böhmen zunächst weiter dem kaiserlichen Einflussbereich entgleiten, beginnt dann die nachhaltigere Integration Böhmens als Herzogtum in das Reich. Erfolglos bleibt Eingreifen in Ungarn.

 

Im Nordosten werden es nicht Könige, sondern regionale Fürsten, bürgerliche Unternehmer und bäuerliche Siedler sein, die in den nächsten Jahrhunderten die deutschen Lande nach Osten um ein Drittel des Raumes erweitern, und es werden Fürsten sein, die davon profitieren und ihre Macht auf Kosten der königlichen erweitern.

 

Westfranzien (siehe Anhang 26)

Ähnlich wie im Ostfrankenreich und in England wird auch in Westfranzien ein Königtum als oberste Ordnungsmacht wie selbstverständlich angenommen, ja, die Großen in den Reichen werden ihre Macht auch weiterhin aus der königlichen ableiten. Aber die nominellen Herrscher über das ehemalige Gallien verfügen zur tatsächlichen Machtausübung zunächst nur über die alte robertinische Hausmacht in der Île de France um Paris und in wenigen Gegenden südlich davon bis zur Loire. De facto zur Gänze unabhängig sind die Herzogtümer der Normandie und von Aquitanien sowie mächtige Grafschaften wie die von Anjou, von Blois/Champagne, Poitou oder Flandern. Ein Sonderleben führt die noch immer stark keltisch geprägte Bretagne. Immerhin fällt das Herzogtum Burgund schließlich für rund dreihundert Jahre in die Hand einer Kapetingerlinie. Die Tatsache, dass mit der Erbfolge der Kapetinger zwar etwas durchgesetzt wird, was zunächst auf der Schwäche des Königtums beruht, wird sich auf die Dauer eher in ein Moment der Stärke verwandeln.

 

König Robert II. ("der Fromme") verlässt seine Krondomäne kaum und residiert vorwiegend in Orléans und Paris. Viel mehr noch als in deutschen Landen sind die kapetingischen Könige auf einen sakralen Nimbus angewiesen, auf die enge Verbindung von Kirche, Kloster und Macht. Dazu gehört zum Beispiel, dass der schwache Westkönig Anfang des 11. Jahrhunderts an hohen Festtagen ostentative Armenspeisungen durchführen und sich auf Reisen von zwölf Armen begleiten lässt, die ihn und Gott lobpreisen. (Fichtenau, S.61) Helgaud von Fleury berichtet in seiner Vita, die Gnade Gottes habe dem König Heilkraft verliehen. Sobald er Wunden berühre und das Kreuzeszeichen mache, verschwänden Schmerzen und Krankheit. Was früher St. Rémi in Reims war, wird nun St. Denis und später dann auch die Pariser Kathedralkirche.

 

Sohn Henri I. kämpft zunächst gegen seine Brüder um die Herrschaft und muss das von ihm zugunsten des Königtums abgegebene Burgund 1031/32 seinem Bruder Robert II. überlassen.

 

Während sich in der Normandie ein alles aufs Zentrum hin orientierendes Fürstentum ausbildet, müssen die übrigen Herrscher jenseits von Flandern mit einer in viele Burgherrschaften zerfallenen Landschaft umgehen, die dann in Aquitanien durch neue Grafschaften, wie das Poitou, das Anjou oder das Toulousain gegliedert wird, die nicht zufällig alle nach einer Haupt-Stadt benannt sind.

Selbst im eigentlichen Krongebiet muss Königsmacht gegen starke Burgherren immer wieder neu etabliert werden, und zwar noch bis tief ins zwölfte Jahrhundert. Zugriff gewinnen die Könige in Kernfranzien vor allem durch ihren Einfluss auf rund zwanzig Bistümer und das Erzbistum Reims, wo sie die Bischöfe einsetzen und bei Sedisvakanzen die Einnahmen einziehen können.

 

Um die Mitte des Jahrhunderts versucht sich die Krone stärker aus ihrer Abhängigkeit von den Normannen-Herzögen zu lösen, und mit der Heirat mit einer Kiewer Prinzessin versucht Henri Machtansprüche zu demonstrieren. 1060  wird Sohn Philippe beim Tod seines Vaters König (bis 1108).

 

Spanien

Um die erste Jahrtausendwende teilt sich das christliche Spanien in das westliche Königreich León, das im Süden bald das Duerotal und den Nordteil des späteren Portugal umfasst, östlich davon das Königreich Navarra unter Sancho III., im Osten Baskenland, im Westen Kastilien, und südöstlich davon ein Streifen Aragon samt benachbarter Grafschaften, was der dritte Sancho sich ebenfalls einverleibt. Unter den Söhnen teilt sich das Reich in Kastilien, Navarra und Aragón. 1037 vereint Fernando Kastilien mit León und nennt sich nun König, ebenso wie der Herrscher von Aragon.

Nach dem Tod Fernandos II. 1065 teilt sich sein Reich in die von Galizien, León und Kastilien. Nach heftigen Bruderkämpfen erbt Alfonso von Kastilien 1072 alles und erobert Gebiete bis nach Toledo.

 

 

Italien

Eine fränkische, besser karolingische Oberschicht etabliert sich im Norden über die langobardische, die längst wieder an Bedeutung zunimmt. Beide integrieren sich langsam in eine gemeinsame norditalienische militia, die im 11. Jahrhundert bereits stark stadtbezogen ist und sich in zwei Adelsschichten gliedert, die, manchmal auch mit Hilfe des städtischen "Volkes" an der Machtausübung der bischöflichen Stadtherren partizipiert. Kapital - und Gemeindebildung hat hier frühere Anfänge als anderswo. Die Bedeutung von weltlichen Fürstentümern wie den Markgrafschaften von Ivrea und der Toskana nimmt ab und schwindet mit dem Ende des Hauses Canossa zur Gänze.

 

Die Macht der deutschstämmigen Kaiser ist meist fern und wird neben kaiserlichen Abgesandten fast nur noch von den Bischöfen getragen, die mit dem Aufstieg ihrer Städte an Bedeutung verlieren. In diesen Städten wird dann im nächsten Jahrhundert machtvoller Widerstand gegen die Fremdherrschaft aus dem Norden mit ihren anderen Traditionen wachsen.

 

In der Mitte Italiens strebt im selben Jahrhundert das Reform-Papsttum als geistliches Fürstentum nach Ausweitung seines Herrschaftsraumes, des sogenannten Kirchenstaates in Mittelitalien, stößt dabei im Süden auf die Normannen und im Norden auf die Ansprüche deutscher Kaiser. Es wird dabei in seiner die damalige lateinische Welt umfassenden und sich intensivierenden geistlichen Machtausübung mit frühesten Elementen zukünftiger Staatlichkeit operieren, einer wachsenden Schriftlichkeit, Verrechtlichung und Finanz-Verwaltung vor allem. In ihrem weltlichen Bereich werden die Päpste dann versuchen, städtische Autonomisierung und Gemeindebildung zu unterdrücken, was aber nicht dauerhaft gelingen wird.

 

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In Florenz wendet sich der Mönch Johannes gegen seinen simonistischen Abt und den Bischof. Als er das öffentlich macht, muss er fliehen und geht erst zu den Kamaldulensern, um dann mit asketischerem Anspruch bei Eremiten im Vallombrosa-Tal zu landen, wo er ein Kloster gründet. Die aufblühenden Klöster der Vallombrosaner wenden sich gegen den neuen und für simonistisch erachteten Bischof in Florenz. Die Leute befürchten inzwischen, dass die Sakramente solcher Priester nicht ihre magische Funktion erfüllen können. 1068 muss der Bischof fliehen.

 

In Mailand und mehreren anderen norditalienischen Städten entsteht in der Mitte des 11. Jahrhunderts eine Bewegung vieler Laien und einiger Priester gegen die übliche Priesterehe und die Ämterkäuflichkeit in der Kirche. Seit den siebziger Jahren wird sie als Pataria bezeichnet. Unter Ariald und Landulf praktizieren einige Geistliche in Mailand das gemeinsame Leben und fordern dies auch von ihrer Kirche. Der Gegensatz zu Erzbischof und hohem Klerus weitet sich immer mehr auch zu einem zwischen Oberschicht und unteradeligen Kreisen aus.

In den späten fünfziger Jahren erwirken sie die Unterstützung des Reform-Papsttums.

 

Mit Landulfs Tod wird sein Bruder, der Laie Erlembald, zum Führer der militanter werdenden Bewegung. Nach 1063 ruft Alexander II. die Patarener zunehmend zum Widerstand gegen ihren Bischof und seinen Klerus auf, was dann 1064 noch an Militanz gewinnt, das er Erlembald in Rom die Petersfahne überreicht und ihn zu einem päpstlichen Krieger (miles) macht.

 

Erlembald gelingt es 1066 in Rom, die Exkommunikation des von Heinrich III. 1045 eingesetzten Mailänder Erzbischofs Wido zu erreichen. Die Tumulte in der Stadt nehmen zu, Ariald muss fliehen und wird auf der Flucht ermordet. Mit ihm verliert die Pataria ihren religiösen Führer.

Gestützt auf seine Verwandtschaft und Gefolgschaft, übernimmt Erlembald mit militärischen Mitteln die Führung in Mailand.

 

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Südlich der Toskana, von Mittelitalien insgesamt, sind schon die Versuche der Sachsenkaiser gescheitert, wirkliche Hoheit herzustellen. Hier teilen sich alte langobardische Dynastien im Inneren und Byzanz an der Küste die Machtausübung, können aber nicht verhindern, das nordafrikanische Muslime die Herrschaft über Sizilien mit einer gewissen Einwanderung und Überfremdung verbinden, sozusagen parallel zu der Entwicklung auf der iberischen Halbinsel. Dazu gewinnen sie immer wieder Stützpunkte mit Städten an der Festlandküste, wobei sich Byzanz als relativ ohnmächtig erweist.

 

Ein erfolgreicher Gegner erwächst dem Islam erst mit den noch nicht lange christianisierten und romanisierten Normannen, die sich in Süditalien schon festsetzen, bevor einer ihrer Herrscher zu Hause sich mit seinem Heer an die Unterwerfung Englands macht.

Schon vor 1020 beginnen normannische Krieger in Süditalien einzusickern, um sich dort als Söldner bei verschiedenen Herren zu verdingen. 1029 erhält der erste mit der Grafschaft Aversa eine eigene Herrschaft, die ihm von Konrad II. dann knapp zehn Jahre später bestätigt wird.

In den vierziger Jahren erobern Söhne eines Tankred Apulien und Kalabrien. 1047 macht ihn Kaiser Heinrich III. zum Herzog beider Gebiete.

 

Papst Leo IX. nimmt die Übergriffe der Normannen auf das päpstliche Benevent nicht mehr hin und zieht mit einem Heer nach Süden. 1053 wird er bei Civitate vom vereinten Heer von Richard von Aversa und Humfred geschlagen und muss nach einjähriger Gefangenschaft in Benevent die normannische Herrschaft anerkennen.

Robert "Guiskard" (Schlaukopf oder: der Verschlagene) unterwirft kurz nach seiner Ankunft 1046/47 stattliche Teile Kalabriens und nimmt an der Schlacht von Civitate teil. Es gelingt ihm, zum wichtigsten Anführer der Normannen und 1057 zum Nachfolger von Humfred zu werden.

Richard von Aversa erobert derweil das Fürstentum Capua und weitere Grafschaften, aus denen er langobardische Adelige vertreibt.

1057/59 erobert Robert Kalabrien und wird 1059 in Reggio von seinem Heer zum Herzog von Apulien ausgerufen. Robert erhält seine Territorien von Nikolaus II. mit dem Titel eines dux Apulie et Calabrie et (…) futurus Sicilie samt Melfi und dem erst noch zu erobernden Sizilien als Lehen, nachdem er dem Papst die Treue schwört. Das verpflichtet ihn auch in eigenem Interesse zur Rechristianisierung und Relatinisierung Süditaliens. Zugleich erklärt der Papst Richard zum Fürsten von Capua. Damit bleiben die beiden Herren Süditaliens aber Konkurrenten.

 

 

England

Die Entwicklung des englischen Königreiches geschieht zunächst in relativer insulärer Abgeschlossenheit und wird dann immer aufs neue durch skandinavische und dann dänische Einfälle und deren Macht über von ihnen kontrollierte Teile Englands beeinträchtigt. König Svein von Dänemark macht sich dann an die komplette Eroberung, die Knut der Großen (1017-35) abschließt. Er übernimmt Herrschaftsstrukturen und gewinnt  die Macht über alle englischen Königreiche, wobei er Wessex vor allem von Winchester aus direkt regiert und die anderen durch Jarls/Earls regieren lässt.

Zum Nachfolger wird nach dem Tod der Knutsöhne 1041 für die alte Wessex-dynastie Edward ("der Bekenner"), unter dem dänische, angelsächsische und zunehmend auch normannische Interessen im Lande widerstreiten, wobei der in der Normandie aufgewachsene Edward letztere vor allem unterstützt.

 

 

Kaiser und Päpste

 

Die deutsche Lande sowie Nord- und Mittelitalien so prägenden Konflikte zwischen Kaisern und Päpsten sowie den darunter liegenden Gruppen bis hin zu den Ansätzen von städtischem "Bürgertum" resultieren einmal aus der Bindung des Kaisertums an das römische Papsttum, zum zweiten daraus, dass deutsche Große den Konflikt für ihre Machterweiterung nutzen wollen, und schließlich haben sie auch damit zu tun, dass sich in italienischen Städten von zunehmender Kommerzialisierung geprägte und sich verselbständigende Strukturen ausbilden.

 

1046 zieht Heinrich III. mit einem Heer nach Italien. Auf einer gegen Simonie vorgehenden Synode in Sutri werden de facto drei gleichzeitige Päpste verurteilt. Suitger von Bamberg wird als Clemens III. eingesetzt, welcher  den König zum Kaiser krönt. Es kommt zu weiteren Beschlüssen gegen den Ämterkauf in der Kirche. 1049 wird mit Leo IX. ein reformorientierter Bischof von Toul mit Unterstützung des Kaisers Papst. Aber seitdem gibt es lauter werdende Kritik an der Einsetzung von Päpsten und Bischöfen durch Könige und Fürsten.

 

Mit Papst Leo IX. (1049-54) beginnt die Kirchenreform, noch im Einklang mit Kaiser Heinrich III. Er umgibt sich in Rom mit seinen reformfreudigen Freunden aus der lothringischen Heimat und mit einer schlagkräftigen Kurie. Mit der Einsetzung reformfreudiger Bischöfe in den mächtigsten Kirchen Roms wird der Anfang zur Entstehung eines Kardinalskollegiums gelegt. Mit Papst Leo kommt auch Hildebrand nach Rom zurück und gewinnt Einfluss an der Kurie.

 

Leo reist viel und nutzt jährliche lateinische Gesamtsynoden zur Durchsetzung seiner Ziele über Nord- und Mittelitalien hinaus, aus denen dann die Fastensynoden werden. Das päpstliche Primat wird betont und von Humbert von Silva Candida wird auf die Unfehlbarkeit päpstlicher Äußerungen ex cathedra hingearbeitet.

Priesterehen werden für ungültig erklärt und Simonisten werden Bußen auferlegt.

Päpste sind aber auch längst kriegerische Herrscher in ihrem Territorium. 1053 erleidet Leo ohne kaiserliche Unterstützung eine heftige Niederlage gegen die Normannen Süditaliens.

 

Nachdem Heinrich III. das Kleinkind Heinrich zu seinem Nachfolger gemacht hat, stirbt er bereits 1056 noch relativ jung. 1057 wird in aller Eile von den Reformkräften, die auch dem Einfluss des römischen Stadtadels entkommen wollten, der Kardinalpriester und Abt von Monte Cassino Friedrich (von Lothringen) als Stephan IX. inthronisiert. Das immer häufiger aufkommende Schlagwort von der libertas ecclesiae ist dabei zunächst als Befreiung aus den Fängen der Adelsfraktionen vor Ort gemeint. Hildebrand und der Bischof von Lucca werden von den Reformern nach Norden geschickt, um die Zustimmung des Königshofes zur Papstwahl zu gewinnen.

 

Kurz nachdem er den radikalen Reformer Petrus Damiani zum Kardinalbischof von Ostia gewählt hat, stirbt Stephan IX. im März 1058. Die Reformkräfte wählen darauf in Siena als "ihren" Papst den aus Burgund stammenden Bischof Gerhard von Florenz, nunmehr Nikolaus II. Mit Hilfe eines mächtigen Heeres unter Gottfried, dem Herrn der Toskana, weiter Teile Norditaliens und Lothringens, wird er nach Rom gebracht.

 

Auf einer großen Synode Ostern 1059 wird nun die Laieninvestitur verurteilt und der Papst aus den Reihen gewöhnlicher Bischöfe herausgehoben, indem er nicht mehr "von Klerus und Volk" gewählt werden soll, sondern dass von nun an die gerade herausgebildeten Kardinalbischöfe einen neuen Papst aussuchen. Damit soll nun zudem dem römischen Stadtadel jeder Einfluss entzogen werden, womit der Kaiser noch nicht völlig ausgeschlossen ist, der sich gerade das Patricius-Amt von Rom hat bestätigen lassen, welches ihm ein Vorschlagsrecht für die Papstwahl gibt.

Neu zu weihende Priester sollen nun auf ihre Qualifikation hin überprüft werden (Kenntnis der Messtexte und der wichtigsten Gebete zum Beispiel), und an den hohen Kirchen sollen sie in kanonischer Gemeinschaft leben. Der Privatbesitz, den der Priester mitbringt, kann ihm aber weiter gehören.

 

Was dann geschieht, ist, dass einzelne Bischöfe an ihrer Kirche die Umwandlung des geweihten, höheren Klerus in ein reguliertes Stift neuer Form mit klerikaler Besitzlosigkeit durchsetzen, zum Teil gegen erhebliche Widerstände, während viele Gruppen von Säkularkanonikern daneben existieren, die bald nach der Reformzeit anfangen werden, größere Teile des gemeinsamen Kirchenbesitzes für sich abzuspalten.

 

Als Nikolaus sich dann im Bündnis mit den Normannen neue Verbündete sucht und diese auf einer Reformsynode in Melfi im Sommer 1059 gar mit ihren Eroberungen belehnt, was eigentlich dem Kaiser zusteht, rücken die deutschen und norditalienischen Bischöfe von ihm ab. Zum Bruch kommt es im Winter 1060/61, als Kaiserwitwe Agnes für den von ihr eingesetzten Erzbischof Siegfried von Rom die Übersendung des Palliums erbittet. Die Kardinäle lehnen das in einem von Damiani verfassten Brief scharf ab: Er solle dieses in Rom persönlich abholen. 1061 wird Nikolaus II. darauf von einer Reichssynode exkommuniziert. Der drohende massive Konflikt wird wohl nur durch den Tod des Papstes im Juli 1061 vermieden.

 

Vertreter des stadtrömischen Adels und die Bischöfe von Piacenza und Vercelli erscheinen im Herbst 1061 am Königshof in Basel mit der Bitte, einen neuen Papst zu bestimmen, und dazu wird der Bischof Cadalus von Parma auserkoren, der sich Honorius II. nennt. 1062 wird er unter Beteiligung vieler lombardischer Bischöfe von Heinrich IV. auf einer Reichsversammlung in Basel ernannt.

 

Hildebrand rief bereits vier Wochen zuvor die Normannen zur Hilfe, die Teile der Stadt erobern, so dass in der Kirche San Pietro in Vincoli der Bischof Anselm von Lucca als Alexander II. ausgerufen werden kann. Man einigt sich dann aber unter dem Herzog von Lothringen und Tuscien darauf, die Entscheidung des römischen Königs im Norden einzuholen.

In dieser Situation des Schismas entführt Bischof Anno von Köln mit Unterstützung des Erzbischofs von Mainz und des bayrischen Herzogs im April 1062 das Kind Heinrich IV. und bringt es in seine Gewalt. Darauf gewinnen die  Unterstützer Alexanders II. im Nordreich die Oberhand.

 

In die Amtszeit des letzten Papstes vor Gregor VII. fällt der erste gravierende Konflikt mit dem Königtum. In Mailand war "Volk" unter der Führung einiger Adeliger als zweite Etappe der  'Pataria' auch gegen die traditionelle ambrosianische Kirche aufgestanden, inzwischen nicht nur gegen Simonisten, sondern auch gegen die verheirateten Priester. Zudem unterstützen diese Leute das Reformpapsttum.

 

 

Zunächst sucht der Erzbischof von Köln nach Machtausbau, indem er das Kind entführt, danach  stützt sich der Heranwachsende mit sechzehn Jahren auf Erzbischof Adalbert von Bremen/Hamburg, bis die konkurrierenden Reichsfürsten dem Erzbischof soviel Macht vorübergehend nicht mehr erlauben.

Anno von Köln hatte Heinrichs Ehe mit Bertha von Turin gestiftet, und zum Eklat kommt es, als dieser 1069 die Scheidung mit der Begründiung fehlender sexueller Attraktivität der Frau sucht, und eine Synode unter dem päpstlichen Legaten Petrus Damiani dies verhindert, indem dieser päpstlicherseits Exkommunikation und Ablehnung eines zukünftligen Kaisertitels androht.

In der langen Zeit der Regentschaft für den kindlichen vierten Heinrich bricht die Verbindung zum Reformpapsttum ab und kann danach nicht mehr dauerhaft wiederhergestellt werden.

 

1065 tritt Heinrich IV. mit seiner Volljährigkeit die Herrschaft an. Er ist mit innerdeutschen Problemen beschäftigt und enttäuscht die Hoffnung von Reformern wie Damiani, dass er bald nach Italien ziehen und dort diese gegen Cadalus/Honorius unterstützen würde.

 

1066 heiratet er Berta von Turin, um diese wenige Jahre später unter wohl skandalösen Umständen wieder loswerden zu wollen.

 

Nach 1063 ruft Alexander II. die Patarener zunehmend zum Widerstand gegen ihren Bischof und seinen Klerus auf. 1066 wird der noch 1045 von Heinrich III.  eingesetzte Mailänder Erzbischof Wido von Rom exkommuniziert.

In den gewaltsamen Konflikten ist dann ein Bischof zurückgetreten und ein neuer von Heinrich IV. wie üblich bestimmt worden. Wie ebenfalls üblich sind die lombardischen Bischöfe und überhaupt die norditalienischen bislang ausgesprochen königstreu und zugleich gegen die nach Einfluss strebenden Städter eingestellt. Zudem bestehen sie wie die meisten im Norden auf ihrer bischöflichen Autonomie und der kollegialen Regelung ihrer Angelegenheiten.

 

1068 wird der für simonistisch erachtete Bischof von Florenz aus der Stadt vertrieben. Seit der Mitte der 50er Jahre tritt in Mailand die Pataria, geprägt vor allem von unteradeligen Kreisen, gegen Simonie und für das Zölibat als eine Art Volksbewegung auf.

 

Ab 1070 kommt es erst zum Konflikt mit Otto von Northeim und dann mit dem Billunger Magnus, den der König schließlich dauerhaft gefangen nimmt. Heinrich versucht, Sachsen und seine Harzer Silbergruben mit Burgen und seinen Leuten zu durchsetzen.

 

1073 eskaliert der Widerstand des sächsischen Adels gegen die für sie überfremdende und unterjochende Haltung Heinrichs. Er muss bis Worms fliehen, da ihn die lothringischen und süddeutschen Fürsten nicht unterstützen.

 

Im Kern geht es durch das 10. und 11. Jahrhundert in diesem Reich darum, wer sich stärker durchsetzt, die Fürsten oder der König. Dabei sind bis hin zum vierten Heinrich alle weniger autoritären Machtmittel ausgereizt.

Schon die Sachsenkaiser suchten nach Verfestigung königlicher Macht. Aber erst bei dem vierten Heinrich wird das deutlicher formuliert: Er will cum iustitia pacem componere, also das Recht nun explizit als Machtmittel einsetzen. (siehe Keller(2), S.47) Mit der im zehnten Jahrhundert noch gefeierten clementia der Herrscher geht es nun langsam zu Ende.

Damit machen sie nichts anderes als die Normannenherrscher in England und die Kapetinger in Westfranzien unter anderen und am Ende für sie günstigeren Bedingungen, aber die römisch-deutschen Könige stoßen dabei auf heftigen Widerstand in einigen Gegenden, und nicht zufällig besonders in Sachsen.

Es sind weiterhin die Interessen ganz weniger, die auf dem Rücken der produktiven Bevölkerung ausgekämpft werden.

 

1075 dann kann Heinrich ein Reichsheer aufbieten, welches die Sachsen erst einmal niederkämpft.

 

Noch einmal: Klosterreformen

Zum Hintergrund der weiteren Entwicklung gehört auch, dass der sich zunehmend nach Stammburgen benennende deutsche Adel zwecks Einkaufs in sein Seelenheil und als weiteres Zentrum seiner machtorientierten Familienpolitik Reformprozesse in "seinen" Klöstern unterstützt, die deren Ansehen fördern und die Wirksamkeit ihrer Gebete für sie unterstützen. Mit der Beerdigung dort wird dann das inzwischen entstehende Adelsgeschlecht dort ganz eingebunden. Solche Klöster werden zentralen Reformklöstern, Bischöfen oder direkt dem Papst unterstellt. Zugleich bleiben aber die meisten Bischöfe des Reiches zunächst noch kaisertreu. 

 

Gregor VII. und Heinrich IV.

1073, während Heinrich IV. noch gegen Sachsen kämpft, kann sich Gregor VII. als Papst durchsetzen. Zwei mit von steigender Unduldsamkeit ausgestattete Machtansprüche treffen schnell aufeinander.

Im Kern fügt Gregor den Positionen bisheriger Reformpäpste kaum etwas hinzu, vertritt all das nur mit zunehmender Härte und Unduldsamkeit. Der behauptete Besitz absoluter Wahrheit führt bei ihm in letzter Konsequenz zu diktatorischer Macht über die Kirche und geistlicher Überordnung des Papstes über die weltlichen Mächte. So schreibt Gregor 1075 an den Mailänder Erzbischof:

Vergiss nicht, dass die Macht der Könige und Kaiser und alle Anstrengungen der Sterblichen vor dem apostolischen Recht und der Allmacht des höchsten Gottes wie Asche gelten und Spreu. (So in Weinfurter, S.116f) 

 

 

Schon 1073 ruft Gregor VII. seine Getreuen (fideles) auf, weiter gegen die reformresistenten lombardischen Bischöfe zu kämpfen. In einem Brief berichtet er, Heinrich IV. wolle sich in seinem Sinne um die Besetzung des Mailänder Bischofsstuhls kümmern. Aber bereits 1073 werden wegen der strittigen Besetzung des Mailänder Bischofsstuhls mehrere Räte Heinrichs IV. vom Papst exkommuniziert.

 

Im sogenannten 'Dictatus Papae', also einem vom Papst diktierten und wohl so nicht für eine Öffentlichkeit bestimmtem Text von 1075 sind die Leitlinien seiner Praxis dargelegt: Da Gott die Kirche gegründet hat, irrt sich diese niemals, und mit ihr auch nicht der Papst, der deshalb die höchste Instanz für Glaubenslehre und oberster Zensor ist. Er operiert mit Synoden, die er inhaltlich führt, und mit Legaten, denen er Gerichtsbarkeit auch über den hohen Klerus übertragen kann. Maiores cause, also von ihm für wichtig erachtete (kirchliche) Rechtsfälle kann er jederzeit an sich ziehen. Bischöfe kann er nach eigener Entscheidung einsetzen und absetzen, Bistümer neu einrichten, teilen oder zusammenlegen. Er kann Kaiser und damit praktisch jeden auch weltlichen Herren absetzen und Untergebene von ihrem Treueid lösen. Quod Romanus pontifex, si canonice fuerit ordinatus, meritis beati Petri indubitanter efficitur sanctus.

 

 

Bischöflicher Widerstand gegen ihre letztendliche Entmachtung bleibt solange stark, bis der Konflikt mit dem Kaiser und den Königen völlig zugespitzt ist. So schreibt der von Gregor VII. suspendierte Erzbischof Liemar von Hamburg-Bremen:

Ich glaube nicht, dass dies gegenüber irgendeinem Bischof ohne das Urteil seiner Amtsbrüder auf einer allgemeinen Synode geschehen dürfe. Aber dieser gefährliche Mensch (periculosus homo) will den Bischöfen nach Belieben befehlen, als seien sie irgendwelche Gutsverwalter (ut villicis suis), wenn sie nicht alles so ausführen, dann müssen sie nach Rom kommen oder werden ohne jedes Gerichtsurteil (sine iudicio) suspendiert.

 

Das, was da besonders empört, ist die Umsetzung des vierten Satzes des 'Dictatus': Dass sein Legat den Vorrang auf einem Konzil vor allen Bischöfen einnimmt, auch wenn er einen niedrigeren Weihegrad hat, und dass er gegen sie ein Absetzungsurteil fällen kann. In manchem können die Bischöfe dabei auch darauf verweisen, dass Gregor ungeniert überkommenem Kirchenrecht widerspricht und selbst den Fälschungen, deren sich seine reformerischen Vorgänger schon bedient hatten.

 

Auf der römischen Fastensynode 1075 suspendiert Gregor VII. nicht erschienene deutsche Bischöfe und lädt die 1073 wegen der Besetzung des Mailänder Bischofsstuhls bereits exkommunizierten Räte Heinrichs IV. vor. Der Konflikt um Mailand verschärft sich dann, als Heinrich entgegen vorheriger Zusicherungen wiederum seinen Erzbischof (Tedald) einsetzt. Gregor sendet ihm ein Protestschreiben, welches Anfang 1076 am Königshof ankommt und dort Empörung auslöst.

 

Der Konflikt eskaliert also um Mailand und allgemeiner die norditalienischen Verhältnisse, um die Gregor besonders besorgt ist. Da insbesondere die Lombardei mit kaisertreuen und antigregorianischen Bischöfen als Herrschaftsträgern durchsetzt ist, kocht er hier hoch und steigert sich dann erst im römisch-deutschen Königreich durch seine Verbindung mit den äufständischen Sachsen und oppositionellen Fürsten überhaupt.

 

Heinrich sorgt für ein Schreiben zusammen mit deutschen (Erz)Bischöfen, welches Gregor VII. nicht anerkennt und ihn zum Rücktritt auffordert. Darauf kommt der enorme Schritt des Papstes, den König und manche Bischöfe abzusetzen und zu exkommunizieren. Eine Fürstenopposition nutzt in Tebur die Situation und fordert Heinrich auf, beim Papst die Aufhebung seiner Exkommunikation zu erbitten, was dieser in Canossa auch tut. In deutschen Landen nützt ihm das nicht mehr, denn noch 1077 wählen die Fürsten Rudolf von Rheinfelden. Heinrich setzt ihn als Herzog von Schwaben ab und gibt das Herzogtum an Friedrich von Büren (später Hohenstaufen). Bis zum Tod des Gegenkönigs 1080 ist Krieg zwischen beiden Königen. Den Widerstand der Sachsen kann er aber nicht brechen. Schon bzw. erst 1078 verbietet Gregor den deutschen, französischen und englischen Herrschern explizit die Investitur der Bischöfe.

 

Heinrich zieht schließlich nach Italien und lässt in Brixen einen Gegenpapst wählen. Erst 1084 kann er Rom nach zweijähriger Belagerung einnehmen. Gregor wird abgesetzt und durch Clemens (III.) ersetzt. der den König zum Kaiser macht. Gregor, in die Engelsburg geflüchtet, ruft nun die Normannen unter Robert Guiscard zur Hilfe, die nach dem Abzug des Kaisers Rom verwüsten. Gregor stirbt dann in Salerno.

 

Mit Manegold von Lautenbach zieht auf kirchlicher Seite relativ hasserfüllte Propaganda gegen den Kaiser auf, so wie es solche auch auf der anderen Seite gibt. Mit der nunmehr einsetzenden Ideologisierung von Machtkonflikten bekommen diese einen ersten politischen Anstrich. Andererseits propagiert Manegold auch eine Art gegenseitige Verpflichtung von König und Volk, die dazu berechtigt, den König abzusetzen, wenn er sich nicht daran hält.

 

1088 wird ein nordfranzösischer Adeliger und zuvor Prior von Cluny als Papst Urban II. (bis 1099) gewählt. In seinen Positionen an Gregor anschließend, entwickelt er sich langsam in Sprache und aktuellem Verhalten konzilianter.

Während Heinrich in den folgenden Jahren seine Macht in deutschen Landen etwas stabilisieren kann, setzt sich Opposition gegen ihn unter Leitung von Urban durch, der sich immer mehr italienische (Erz)Bischöfe anschließen. Urban kann ein Ehebündnis zwischen Mathilde von Canossa und dem jungen Welf IV. vermitteln. Der Kaiser zieht wieder nach Italien, erringt kleinere militärische Erfolge, ohne Canossa einnehmen zu können, muss aber dann den Abfall seines Sohnes Konrad und dessen Überlaufen zum Papst erleben. 1093 schließen sich Mailand, Lodi, Cremona und Piacenza gegen den Kaiser zusammen. 1093 bis 96 verbringt er notgedrungen und enorm geschwächt in Italien, da die Alpenpässe für die Rückkehr gesperrt sind. Das gibt Urban den Spielraum, 1095 in Clermont zum Kreuzzug aufzurufen, der nicht unter kaiserlicher, sondern unter päpstlicher führung stattfinden soll.

 

Welf IV. erhält schließlich Bayern, was dem Kaiser ermöglicht, in den Norden zurückzukehren. Sohn Heinrich wird als Nachfolger durchgesetzt. Es herrscht etwas mehr Friede.

 

Die anderen Königreiche

 

Westfranzien

Die Konzentration auf die im Zentrum des Westreichs liegende Hausmacht des Königtums fördert eine im 12. Jahrhundert weiter zunehmende Zentralisierung, die sich auf wenige Königsstädte reduziert, wobei Paris als Residenz bereits zunehmend Orléans ablöst. Ein das ganze Reich umfassendes Reisekönigtum wie unter den Saliern findet dabei mangels Autorität nicht statt.

 

Die königliche Macht erweitern kann nicht wie über die Etablierung königlicher Machtpunkte in den vielen Regionen des römisch-deutschen Reiches versucht werden, was allerdings auch dort dann scheitert, sondern nur über die Perspektive der Erweiterung der königlichen Hausmacht, was im 11. Jahrhundert nur in geringem Maße gelingt. Aber genau das wird dann anders als in deutschen Landen später eine erfolgreiche royale Perspektive werden, ebenso wie die Nutzung dort allgemeiner feudaler Strukturen, also der Tatsache, dass alles Land sich in Lehnsverhältnisse einfügt.

 

Seit 1066 nimmt der Konflikt mit den anglonormannischen Herrschern deutlich zu, in dem sich der König mit Fürsten verbünden muss.

 

Dem Zusammenschweißen eines Reiches kann auch das mit dem Papst-Kaiser-Konflikt beginnende Feindbild des Imperiums als direktem Konkurrenten in Beziehung gesetzt werden, welches gegen Ende des Jahrhunderts im Bündnis mit den kaiserfeindlichen Päpsten Konturen gewinnt und hundert Jahre später in nunmehr "französischer" Übermacht gegenüber dem Kaiserreich und Interventionen in "deutsche Angelegenheiten" sich äußern wird.

Schon im 11. Jahrhundert wird klar, dass der Kaisertitel in "deutschen" Händen nicht mehr bedeutet, dass es irgendeine Form östlicher Oberhoheit über das Westreich gibt, die Trennung ist endgültig, auch wenn die Grenzlinie keine klar ethnische ist und auch nicht so gedacht wird.

 

Damit tritt immer mehr Abgrenzung und Konkurrenzverhalten in den Vordergrund. Nicht einmal der Kampf gegen die islamischen Eroberer der sogenannten heiligen Stätten im vorderen Orient kann noch solide Einigkeit erzeugen. Otto von Freising erwähnt für den ersten der Kreuzzüge die Francos Romanos et Teutonicos, qui quibusdam amaris et invidiosis iocis frequenter rixari solent, die sich in bitteren und gehässigen Scherzen hänselten, wie Adolf Schmidt übersetzt (Chronik, S.508), wobei das allerdings in höherem Maße erst für die nächsten Kreuzzüge gelten wird.

 

Die Machtkonflikte mit der Reform-Kirche fallen nicht so sehr wie in deutschen Landen mit denen mit Fürsten zusammen, deren Macht die Kapetinger vorläufig respektieren müssen, und auch nicht mit den Bistümern, die im Westreich nicht so reich und mächtig sind und auf deren Mehrzahl der König gar keinen Einfluss hat. Sie lassen sich darum früher als im Ostreich durch Kompromisse lösen. die u.a. durch Ivo von Chartres Unterscheidung zwischen dem geistlichen und dem weltlichen Amt der Bischöfe gefördert werden. Dabei kommt es zu keinem ausformulierten Kompromiss wie dem Wormser Konkordat.

 

Italien

Robert gelingt es in der Folge, 1071 Bari den Byzantinern abzunehmen und das letzte langobardische Fürstentum Salerno zu erobern, während sein jüngster Bruder Roger I., erst kürzlich in Süditalien eingetroffen, mit der Eroberung des reichen Siziliens unter muslimischer Herrschaft beauftragt wird.

Der erobert 1072 mit Palermo eine Stadt von mehr als 100 000 Einwohnern und bis in die neunziger Jahre die ganze Insel.

 

In wenigen Generationen gelingt es relativ wenigen Leuten, sich erst große Teile Süditaliens und dann Sizilien zu unterwerfen und mit einem normannischen Königreich das einzige zentraler organisisierte Machtgebilde in Italien zu schaffen, welches im 12. Jahrhundert dann erste Züge moderner Staatlichkeit erhält, die unter den letzten Staufern noch ausgebaut werden.

 

England

Nach Edwards Tod wird der Earl Harold von Wessex zum König ausgerufen, wogegen der norwegische König Harald Hardrada sowie Wilhelm von der Normandie aufbegehren. Während der erstere 1066 in Yorkshire von Harold geschlagen wird, landet Wilhelm bei Hastings, besiegt dort dann Harold und erringt die Königskrone. Er überzieht das Land und inbesondere die Städte mit Zwingburgen, die er mit seinen mitgebrachten und nachziehenden Leuten besetzt. Von ihnen aus kontrolliert der König das Land. In großen königlichen Zwingburgen sitzen zukünftige "Barone". Ansonsten fügt er sich in die eher zentralistischen angelsächsischen Traditionen ein.

 

Zunächst wird das Land in mehreren Jahren brutal unterjocht und die weltliche angelsächsische Herrenschicht wird sehr schnell komplett enteignet.

Neben die neue weltliche Herrenschicht  tritt auch eine neue landfremde geistliche: Mit einer Ausnahme sind die Bischöfe Normannen, Franken oder Lombarden.Das bisherige Krongut eignet sich Wilhelm selbst an und verdoppelt es durch Enteignungen. Große Grenzgebiete nach Wales (Marken) werden an normannische Große abgegeben.

 

An Wert in Einkommen gemessen behält der König etwa 17% des Landes, weitere 34% verteilen sich sehr ungleich auf gut 6000 Landbesitzer, deren Zahl wohl insgesamt bei etwas über 8000 liegt. Der Rest geht zu einem Viertel an zehn, elf Magnaten und ein weiteres Viertel gehört Kirchen und Klöstern. Teile dieser Ländereien von tenants-in-chief werden als Lehen an tenants als enfeoffments weitergegeben.

 

Der neue Herrscher verbindet die stärker zentralistischen Strukturen, die angelsächsische Herrscher hergestellt hatten, mit denen aus der Normandie. Er übernimmt so die Steuer auf Landbesitz, die die Angelsachsen geld nannten, und das nun lateinische Urkundensystem der königlichen writs sowie die königlichen Münzen. Er bleibt dabei Reisekönig, der überwiegend wie seine unmittelbaren Nachfolger von der Normandie aus herrscht.

 

Tenants-in-chief leisten dem König homagium und sind in der Summe verpflichtet, dem König rund 5000 Ritter zu stellen. Der Erbe eines solchen großen Macht- und Land"besitzes" zahlt dem König relief für sein Erbe, ist er minderjährig, wird er ward des Königs, der dafür Geld kassiert und zudem während dieser Zeit alle Einkünfte einzieht. Dasselbe gilt für die Zeit, in der ein Bischof oder Abt verstorben und ein neuer noch nicht im Amt ist. Heiraten der Witwen und der Minderjährigen werden vom König gegen eine erhebliche Geldzahlung vermittelt und bei Ausbleiben eines Erben zieht der König den gesamten Besitz ein, was escheat heißt.

Alles das findet nun auch im Verhältnis zwischen den tenants-in-chief und ihren tenants wiederum statt. Sie alle zusammen lassen sich als Landhalter und nicht produktiv arbeitende Krieger als neuer französischsprachiger Adel zusammenfassen, dessen unterste Schicht als Ritter (chevaliers, später knights) bezeichnet wird, die im 12. Jahrhundert sich nach unten von dem nun als Gentry ausgegrenzten ländlichen Kleinadel abgrenzen wird. Dieser Adel wird ähnlich wie schon in der Normandie und in anderen Teilen Westfranziens sich patrilinear und toponym entfalten, also mittels Primogenitur und Bezeichnung der Familie nach dem zentralen Ort, in der Regel der wichtigsten Burg.

Unterhalb der tenants, also derer, die derart über Land verfügen, existiert die Masse der Bevölkerung, der eigentlichen Produzenten auf dem Lande.

Insofern lassen sich die Machtstrukturen ähnlich wie bald auch im französischen Königreich als feudal bezeichnen, da nun in der Theorie alles Land sich von den Königen ableitet, also anders gesagt keines ohne Herr mehr ist.

 

In England wie in der Normandie werden die Untervasallen der Vasallen direkt an den Herrscher gebunden, da jedes Lehen nun mit dem Recht des Eroberers vom König stammt und alles Land mit dem Recht des Eroberers in Lehen aufgeteilt ist.

In den Quellen taucht nun häufiger das Wort feodum (fief / fee) auf, welches aber bald stärker noch als auf dem Kontinent dazu neigt, als erblich betrachtet zu werden. Die Barone werden wie in der Normandie unter königliche Kontrolle (hier der sheriffs) gestellt. 1086 lässt sich der König von allen Landbesitzern einen Treueid schwören. Mit dem Domesday-Book werden die Eigentumsverhältnisse notiert und ein zentrales königliches Finanzsystem nimmt seinen Ausgang.

 

An der Spitze des Landes stehen nun rund 200 mächtige tenants-in-chief, wie sie später heißen werden, zunächst romanisch counts und barons genannt. Aus Sheriffs werden nun vorübergehend viscounts. Der feudale Komplex aus Land und Rechten heißt honor in lateinischen Texten, was später zur honour wird.

Darunter stehen rund 1000 tenants mit jährlichen Einkommen von wenigstens 5 Pfund, die fiefs halten, die später zu fees werden,  und wiederum darunter kleinere Herren mit manchmal nur einer hide Besitz.(Dyer, S.85)

Jeder Mann leistet seinem Herrn einen Eid der fealty (Treue), wie es dann anglisiert heißen wird und vollzieht die homage (Mannschaft). Er muss aid und council leisten und bei Todfall und Erbe relief zahlen, alles romanisches Sprachgut vom Kontinent.

 

Das neue Reich hat zwei Besonderheiten: Einmal existiert eine frankophone Oberschicht, in die sich andere Große dann im Laufe der Zeit integrieren. Unter dieser dünnen Oberschicht gibt es eine angelsächsische Bevölkerung, in die sich nach und nach eine große skandinavisch-dänische Minderheit integrieren wird.

 

Als zweite Besonderheit von großer Tragweite ist das Ausgreifen der neuen "englischen" Krone nach dem Festland, vermittelt über die schon immer recht selbständige Normandie, was dann bekanntlich über die Verschränkungen beider "Länder" zu einem Zugriff auf große Teile des formal unter "französischer" Herrschaft stehenden Reiches führen wird.

 

Die nun anglo-normannischen Herrscher setzen die Bestrebungen nach Ausweitung ihres Hoheitsraumes in Richtung Cornwall, Wales und Northumbrien fort, immer in Richtung auf einen britannischen Herrschaftsraum. Das interferiert dann in Zukunft mit "englischen" Festlandsinteressen. Klar ist, dass es sich nicht um völkische (politisch-korrekt neudeutsch: ethnische) Interessen handelt, sondern wie in allen Nachfolgeregionen des Karolingerreiches um dynastische, also im weitesten Sinne Familieninteressen. Nur in ihrem Gefolge werden im Laufe der Zeit die die neuartigen "Völker" als Untertanenverbände entstehen.

 

Für die Entstehung von Kapitalismus spielt England weiterhin eine Rolle am Rande, vermittelt über Seehandelsstädte wie York und London, und weniger durch eigene Produktion von Fertigprodukten für einen europaweiten Markt als durch die Lieferung von Rohstoffen, von Wolle vor allem und dann auch von Metallen. Selbst der Seehandel ist in den Händen kontinentaler Kaufleute: England ist noch weit entfernt davon, eine Seemacht zu werden.

 

Den englischen Königen gelingt es gegenüber den Päpsten, ihre Macht über die Kirche zu behalten. Vereinbart wird, dass Bischöfe und Äbte unter königlicher Aufsicht gewählt werden und vor der Weihe bereits ihre weltlichen Würden erhalten.

 

 

Frömmigkeit als Weltflucht (siehe Anhang 20)

 

Neben dem Machtkampf der Kirche mit der weltlichen Macht um ihre libertas und der Mobilisierung der lateinischen Ritterschaft im einzigen tatsächlich kirchlich geleiteten Kreuzzug findet in etwa derselben Zeit und von einer noch kleineren Bevölkerungs-Minderheit betrieben eine vielfältige radikale Frömmigkeitsbewegung statt, die oft mit einzelnen Männern beginnt, deren religiöses Charisma andere mitreißt.

Während der Konflikt zwischen Kaiser und Papst stattfindet, gründet ein Bruno von Köln mit einer Handvoll Gefährten die Chartreuse (Karthause) bei Grenoble, eine Mischform aus ritueller Gemeinschaft und Eremitage, die allerdings nie zum größeren Orden wird.

Robert d'Abrissel ist ein Priester, der gegen Ende des 11. Jahrhunderts mit rabiaterer Selbstkasteiung beginnt und dann zum Wandereremit wird, der unter anderem das Einüben von Keuschheit in körperlicher Nähe von Frauen sucht, um schließlich mit Unterstützung lokaler und regionaler Mächtiger im Loiretal bei Chinon mit Fontevrault ein Doppelkloster unter einer Äbtissin zu gründen. Hier wie auch andernorts leben Männer und Frauen direkt nebeneinander in frommer Nachbarschaft und bei Gebet und anderen Ritualen dennoch vereint, - eine Hrausforderung, die das 12. Jahrhundert nicht überleben wird.

Ein weiteres Beispiel ist der Adelige Robert, der erst alleine und von einer zur anderen frommen Gruppe umherzieht auf der Suche nach einem besonders frommen Leben, um dann zunächst mit einer Handvoll frommer Gefährten in Nordburgund das Kloster Molesmes zu gründen und als ihm dieses zu erfolgreich, d.h. zu weltlich wird, auch noch das Kloster Cîteaux, aus dem bald der Zisterzienserorden hervorgehen wird.

 

 

Byzanz und der erste Kreuzzug

 

Auf der einen Seite kommt es zum Zurückdrängen der islamischen Herrschaften auf der iberischen Halbinsel über den Norden Kataloniens und die Gebiete nördlich der Meseta hinaus. Zugleich fördert die Kirche die Vertreibung muslimischer Herrscher (Sarazenen) aus dem Süden Italiens, woran sich dann dort auch Normannen beteiligen, bis sie die ganze Region übernehmen.

 

Während im Westen die islamischen Mächte weiter zurückgedrängt werden und sich in Spanien ihre gelegentliche (militärische) Unterlegenheit zu erweisen beginnt, ist ihr Vormarsch im Osten unübersehbar. 1071 verliert Ostrom nicht nur Bari an die Normannen, sondern nach der Schlacht von Mantzikert auch fast ganz Kleinsien an die Seldschuken, die sich in Richtung Ägypten gegen das Abbassidenreich bewegen. 1073 fällt ihnen Jerusalem in die Hände.

 

Die bedrohliche Situation führt in Byzanz zu einer Militarisierung, die aus einer Landbesteuerung und der von Handwerk und Handel finanziert wird. Das ist möglich durch steigende Produktion von Keramik, Glasprodukten und Textilien (Seide) nicht zuletzt in Konstantinopel selbst, die bis nach Westeuropa und Ägypten exportiert werden.

 

Noch mitten im sogenannten Investiturstreit mit dem (West)Kaiser ruft Papst Urban II. 1095 in Clermont nach einem Hilferuf aus Byzanz zum Kreuzzug auf, der mit dem Tod Zigtausender auf dem Landweg beginnt und mit der Eroberung Jerusalems und dem Abschlachten der dortigen Bevölkerung endet. Teilnehmer sind vor allem kleine westfränkische Herren, denen neben der Aussicht auf Beute auch der Erlass der Kirchenstrafen auf ihr sündiges Leben versprochen wird.

 

Die nun einsetzenden Kreuzzüge führen dabei zu eher instabilen und auf die dauerhafte europäische Unterstützung angewiesenen christlichen Herrschaften in einigen Gegenden, die die Gefährdung von Byzanz aus solchen Richtungen kaum aufhalten und stattdessen vor allem den Aufstieg des Fernhandels italienischer Seestädte fördern. Andererseits verstärken sie ein propagandistisches Verwandeln von Kriegern zu edlen Rittern, welche sich nun auch kirchlich geadelt fühlen dürfen.

 

 

Heinrich V.

 

1098 wird Sohn Heinrich anstelle des aufständischen Konrad zum Thronerben ernannt. Ende 1104 kommt es zum Aufstand des Sohnes mit einigen jüngeren Hochadeligen. Vielleicht tritt der Sohn im Bündnis mit Teilen des Hochadels gegen die Neigung des alten Vaters an, sich mti Städten und Ministerialen zu verbünden. Mit einer List nimmt der Sohn seinen Vater gefangen und zwingt ihn zum Rücktritt. Der kann dann 1106 entkommen, stirbt aber in Lüttich, bevor er Erfolge über den Sohn erzielen könnte.

 

Heinrich V. gelingt es zunächst anders als sein Vater in einem gewissen Konsens mit den deutschen Fürsten zu handeln. Dabei setzt er weiter Bischöfe in deutschen Landen ein. 1111 zieht er mit einem großen Heer nach Italien, wo sich die Städte immer mehr verselbständigen. Mit Papst Paschalis kommt es zu einer ersten Übereinkunft über die Trennung von geistlicher und weltlicher Bischofs-Einsetzung und dem Verzicht auf alle weltliche Herrschaft der Bischöfe, was die deutschen Bischöfe dann nicht hinnehmen werden.

Heinrich wird darauf, nach kurzer Gefangennahme des Papstes, zum Kaiser gekrönt.Die erzwungene Übereinkunft mit dem Papst zerbricht dann wieder. In den folgenden Jahren wird der Konflikt mit den Fürsten erneut stärker, was vor allem zum Abfall von Sachsen und in den Rheinlanden führt. Unterstützung gibt es aus Bayern.

1116-18 zieht er erneut nach Italien, um das Mathildische Erbe zu übernehmen. Nach Erfolgen dort zeigt sich im Norden die mangelnde Unterstützung.

 

Kompromisslinien deuteten sich schon 1111 an, als der Papst die Trennung in Temporalia und Spiritualia auch als solche zwischen Klostervogtei und Unterstellung unter den Papst im deutschen Südwesten vor allem hinnimmt. Aber sie deuten sich auch überall dort an, wo deutsche Bischöfe einerseits die königlich-kaiserliche Partei ergreifen, andererseits beispielsweise die Klosterreformen unterstützen.

 

Es dauert dann noch mehrere Jahre der Verhandlungen bis zum Wormser Konkordat von 1122. Die Kirche investiert nun mit Ring und Stab. Die Bischöfe wurden durch die Domkapitel gewählt. Dafür dürfen kaiserliche Vertreter bei der Wahl der deutschen Bischöfe und Äbte dabei sein, und der Gewählte wird dann mit den Hoheitsrechten, die mit seinem geistlichen Amt verbunden sind, vom Kaiser durch das Zepter belehnt. Tatsächlich bleibt die Einsetzung von Bischöfen eine Machtfrage.

Während im deutschen Teil des Kaiserreichs die Verleihung der Regalien durch den Kaiser vor der Weihe vorgesehen ist, soll sie in Italien und Burgund erst nach der Weihe erfolgen, weshalb dort der Einfluss des Kaisers auf die Einsetzung von Bischöfen praktisch verloren geht.

 

Der auch für die Entwicklung des Kapitalismus wichtige Vorgang in dieser Zeit ist die grundsätzliche Trennung von Kirche und weltlicher Macht, welche aus einer kirchlichen Reformbewegung hervorgeht, die als solche aber substantiell weitgehend scheitert. Weder gelingt es, das Zölibat der Priester allgemein durchzusetzen, noch, jene Korruption abzuschaffen, die kirchlich als Simonie bezeichnet wird und die allen Ämtern und Institutionen im weitesten Sinne auch im weltlichen Raum zu eigen ist. Die Kirche begreift sich zwar deutlicher als geistliche Institution, bleibt aber im Kern eine vor allem weltliche Macht.

 

In der Trennung in temporalia und spiritualia formuliert sich eine erste Tendenz zur Säkularisierung der Gesellschaft, wie sie sich zunächst in der Dichtung niederschlägt, in der Kirche und Religion zunehmend an Bedeutung verlieren, von der Liebeslyrik zwischen Katalonien und der Toskana und Sizilien über die ritterliche Epik von Nordfrankreich bis in die deutschen Lande und einer Prosa, in der es zunehmend auch zu Angriffen auf die Kirche in Gestalt ihres Klerus kommt.

 

Mit dem Schlachtruf von der libertas ecclesiae in der Westkirche wird zudem die endgültige Trennung von der oströmischen Kirche vollzogen, die wesentlich stärker in den weltlichen Machtapparat integriert bleibt. Wichtiger noch ist, dass mit der dogmatischen Verengung der römischen Kirche eine sich davon lösende weltliche Öffnung für einen offeneren Diskurs einhergeht, der mehr als ein Jahrhundert später in die ersten Universitäten münden wird, die ihre ganz eigene libertas unter dem Dach der Kirche zu praktizieren versuchen. Dieser "Markt" eines offeneren Austausches von Ansichten über Mensch und Welt geht einher mit der zunehmenden Privilegierung von städtischer Produktion und eines Marktes von Waren. Die Freiheit, die die Kirche für sich in Anspruch nimmt, findet zunächst in Bischofsstädten ihren Widerpart in ersten bürgerlichen Freiheiten, und zwar vor allem in der Nordhälfte Italiens und entlang des westlichen Mittelmeeres bis nach Katalonien. Erste Ansätze in diese Richtung werden dann auch nördlich der Alpen gegen Ende des Jahrhunderts sichtbar.

 

Die Reformbemühungen führen zunächst weiter zu fromm-asketischen Gründungen von Klöstern wie dem von Fontevrault durch Robert d'Abrissel, der Karthause durch Bruno und denen der Zisterzienser. Zugleich wird aber weiter über Verweltlichung geklagt. Derweil geraten die alten nicht reformierten Benediktinerklöster in immer größere Schwierigkeiten.

 

Das Gesicht des frühmittelalterlichen Kaisertums verändert sich massiv, es verliert seine theokratischen Züge und öffnet sich einem rationalen Pragmatismus der Macht, der im Staufer Friedrich II. kulminieren wird, der nicht mehr an Religion, sondern an päpstlicher, sehr weltlicher Machtpolitik unter anderem scheitern wird.

 

Am Ende sind die großen Gewinner beim immer neu zu erringenden Kaisertitel und dem daraus resultierenden Konflikt mit dem Reform-Papsttum in deutschen Landen die Fürsten, die sich langsam als eigenständige Gruppe vom übrigen Adel abheben und mehr Machtanteile verlangen. Dabei zeichnet sich ab, dass ihre im Kern militärisch und auf Eigentum begründete Macht zunehmend von den in Geld zu rechnenden Einnahmen abhängt. Zwar gibt es dafür noch keine planmäßige Wirtschaftsförderung, aber doch die Förderung von Städten und der in ihnen enthaltenen Einnahmequellen. Damit werden solche langsam in ersten Ansätzen verbürgerlichenden Städte zum zweiten Gewinner der Entwicklung.

 

Im zwölften Jahrhundert werden Fürsten in ein klarer definiertes Vasallenverhältnis zu den Königen bzw. Kaisern treten, welches ihnen im Inneren ihrer Herrschaften immer mehr Autonomie geben wird. Unterhalb der Fürsten bilden sich aber bereits Adelsherrschaften aus, rechtlich unter ihnen die Minsterialen, die in den Städten eine zunächst noch unteradelige Führungsschicht in der Bevölkerung zusammen mit reich werdenden Kaufleuten formen und ansonsten in einem entstehenden Rittertum aufgehen werden.

 

 

Volk und Völker

 

Die Geschichte auch des 11. Jahrhunderts stellt sich bislang als keine von Völkern, sondern von Herrschern, ihren Familien und ihrer Gefolgschaften dar. "Volk" wie ein deutsches oder französisches Volk gibt es noch kaum, der Bedeutungswandel von Volk als Kriegerschar/Gefolgschaft zu Volk als Ausdruck von Gemeinsamkeit(en) großer Menschenmengen setzt erst langsam ein. Da das nie zu einem ganz klaren Begriff wird, soll hier Volk vor allem durch die gemeinsame tradierte Sprache definiert sein. Dabei soll es aber auch als durch Integration unterschiedlicher Völkerschaften entstandener Genpool verstanden werden, der sich ein Stück weit durch ähnliches Aussehen erkennen lässt und so Verwandtschaft ein wenig äußerlich sichtbar macht. Insofern gibt es weiter kein Volk der USA zum Beispiel und in diesem Sinne ist die BRD inzwischen ein Vielvölker-Staat.

 

Ein Beispiel: Der Machtraum einer altfranzösisch sprechenden Normannen-Dynastie reicht seit 1066 von der Normandie bis über England, dort mit Herren altfranzösischer Sprache und einer beherrschten Bevölkerung altenglischer Sprache. Es wird Jahrhunderte dauern, bis aus der Synthese beider eine gemeinsame mittelenglische Sprache entsteht.

Die zunächst altfranzösisch sprechenden süditalienischen Normannen-Herrscher mit ihrem kriegerischen Anhang herrschen über Leute, die entweder dabei sind, süditalienische Idiome auszubilden oder sogar noch byzantinisches Griechisch zu sprechen.

 

Ein Zusammengehörigkeitsgefühl (horizontaler Art) brauchen Könige des 11. Jahrhunderts nur bei denen, auf die sich ihre Macht unmittelbar stützt. Seine Basis ist die vertikale Abstufung von Rechten, zu deren Verpflichtung die Heeresfolge gehört. Fast alle Menschen sind da eingeordnet, ohne gefragt zu werden. Erst die Gewöhnung an ein kontinuierliches Machtzentrum macht aus "Westfranken" Franzosen. Für die Deutschen wird es noch viel länger dauern, bis sie ansatzweise eine Art Gemeinschaftsgefühl entwickeln.

 

Immerhin: In der Begegnung von Deutschen und Franzosen 1107 in Châlons-sur-Marne entdeckt Abt Suger von St.Denis "französische" Überlegenheit in aristokratischer Lebensart. Besonders Welf V. schneidet dabei schlecht ab: Er ist fett, und wie Schneidmüller zusammenfasst, „ein Schreihals, dem prahlerisch immer ein Schwert vorangetragen wurde. Wie seine Genossen knirschte er mit den Zähnen und drohte beim Scheitern der Verhandlungen, die Dinge würden besser mit deutschen Schwertern in Rom ausgetragen.“ (Schneidmüller, S.154)

 

Wie das Deutsche in die Dialekte des Nieder- und Oberdeutschen zerfällt, so ist Westfranzien in die langue d'oeil im Norden und die langue d'oc im Süden geteilt, die wiederum, aber nicht ganz so deutlich, in Dialekte geteilt sind. Sprachlich ist so der Süden stärker mit Katalonien und dem Piemont verwandt und an den Norden und das Königtum angeschlossen wird er erst mit dessen militärischer Unterwerfung und dem darauf folgenden Anschluss.

 

Das römische Reich der werdenden Deutschen ist multiethnisch, wobei sich Volkszugehörigkeit an den Sprachgrenzen ausdrückt. Sie wird von den Menschen deutlich von den Herrschaftsbereichen unterschieden, und das gilt auch innerhalb der deutschen Lande, wo man Bayer, Alemanne, Sachse oder Friese zum Beispiel ist, bevor man sich zu Deutschtum bekennt. Das erweist sich auch am ethnisch definierten tradierten Recht, dem man unabhängig von Herrschaftsgrenzen angehört, wie auch in Norditalien.

 

1075 erklärt Adam von Bremen ausdrücklich, dass die summa imperii Romani ad gentes Teutonum populus übertragen worden sei, also an die deutschen Völkerschaften. Im Annolied, nach 1080 geschrieben, ist die Wahrnehmung einer gemeinsamen Sprache diutisch aus Dialekten bereits zu der eines Volkes übergegangen, den diutischi liuti, und der seines Territoriums, dem diutischemi lande. Letzter Singular wird aber die Ausnahme bleiben.

 

Aber man muss überhaupt mit neuhochdeutscher Begrifflichkeit vorsichtig sein. Erst im 13. Jahrhundert wird die aus dem slawischen zunächst im Nordostdeutschen entlehnte "Grenze" die etwas andere Bedeutung der deutschen Mark ablösen, die eher den Rand von etwas ("Markgrafschaft") als eine präzise Grenze im neueren Sinne meint. Genauso steht es mit dem germanischen Wort Land, welches alles mögliche bedeuten kann und oft keinen Herrschaftsraum meint. Das Wort Volk ist weiterhin in stetem Wandel begriffen, wobei es in Texten immer noch eher ein militärisches Gefolge meint als etwas, was mit einem schwierig bleibenden neuhochdeutschen Begriff zu tun hätte.

 

 

Dabei wird der deutsche Sprachraum im Südwesten der nideren Lande, wo zunächst noch dietsch gesprochen wird, immer weiter zurückweichen. In den Reichsteilungen der späteren Karolinger war das damalige Flandern zum größten Teil in westfränkische Hand geraten. 863 setzt Karl der Kahle mit Balduin "Eisenarm" einen ersten Grafen ein, der sich vom Münzort Brügge ein größeres flämisches Gebiet erobert. In den nächsten Jahrhunderten heiraten flämische und französische Adelige untereinander und gehen zur (nördlichen) altfranzösischen Sprache über.

 

Ganz langsam setzt eine ähnliche Entwicklung in Lothringen ein, bis dann im 17. Jahrhundert aus dem fränkischen Diedenhofen endgültig das französische Thionville wird, und ebenso ergeht es dem Westen und Südwesten des Gebietes, das heute zur Schweiz gehört. Auf diese Weise wird Neuenburg zu Neuchâtel und Freiburg zu Frîbourg werden.

Umgekehrt wird mit der Eroberung westslawischer Gebiete ein langsamer Prozess der Eindeutschung beginnen.

 

Man muss dabei aber sehen, dass vorläufig abgesehen von Westfranzien, dem von einem kleinen Zentrum aus expandierenden Reich der französischen Krone, nirgendwo Volkstum und damit vor allem auch Sprache mit Herrschaft übereinstimmen. Menschen, einmal hier mit dem modernen Wort Bevölkerung benannt, sind Manövriermasse der Machthaber, Quelle für Wirtschaftskraft und damit Finanzen und entsprechend für militärische Macht. Die Machthaber eignen sie sich über Heirat an, durch Kauf und sehr häufig durch Kriege. Wenn Schlesien mal an Böhmen und mal an Polen fällt, werden die Untertanen so wenig gefragt wie dann, wenn eine mächtige norditalienische Stadt eine andere erobert. Untertänigkeit heißt letztlich immer Wehr- und Hilflosigkeit, und um das für sich erträglich zu machen, versuchen die Untertanen sich in ihrer Ohnmacht mit ihren Machthabern zu identifizieren, solange diese machtpolitisch erfolgreich sind.

 

Dabei gibt es in der herrschaftlichen Propaganda gute und schlechte Völker. Anselm von Besate, Notar in der Kanzlei Kaiser Heinrichs III. schreibt zum Beispiel 1049 über diesen:

Du aber hast wilde und überaus schreckliche Völker besiegt, die rohen, ruchlosen und jeder Menschlichkeit baren Geister unter deine Herrschaft gezwungen. Die Länder, Burgen, befestigten Plätze und die Reiche mit ihren Kleinkönigen (reguli), die lange verloren waren, erkennt die Roma jetzt wieder als das Ihre durch deine siegreiche Rechte. (in: Borgolte, S.32)

 

Das Bild von den Wilden, die durch gewaltsame Unterwerfung und Unterdrückung zu zivilisieren sind, stammt zwar schon aus der Antike, aber es gewinnt weiter an Schwung.

 

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Zur Problematik eines Volksbegriffs gehört auch die Entwicklung dahin, Volk zur Bezeichnung der unteradeligen Menschen, also fast aller, zu machen. Damit beginnt jene Entwicklung, die viel später dazu führen wird, dass auch das Bürgertum das Wort abschätzig für die Menschen "unter" ihnen benutzen wird, bis dann im späteren 18. Jahrhundert eine Art Romantisierung einsetzt, die u.a. auch zu neueren Formen von Nationalismus führt.

 

Spätestens im 12. Jahrhundert werden Bürger wahrgenommen als Partner von oft geistlichen Stadtherren und eben auch von Königen und Kaisern. Besonders geistliche Herren begegnen ihren Bürgern da oft bei Gelegenheit auch abschätzig oder verächtlich. Groten erwähnt zur Urkunde des Bischofs Friedrich von Halberstadt für seine cives forenses zum Nachbarschaftsgericht in der Stadt folgenden Satz: „Was sie gemäß dem bäuerlichen Wesen (rusticitas) und der Gewöhnlichkeit (vulgaritas) ihrer Sprache burmal nennen.“ (S.105) Die bürgerliche Oberschicht seiner Stadt spricht also nicht sein höfisches Latein, sondern die Sprache der Bauern und des vulgus, des Pöbels.