Die neuen Reiche und die Kirche (Deutsche Lande /Westfrancien / Italien / England)
Gruppenbildung und Stände (in Arbeit)
Geld und Macht
Einnistung von Kapital
Die neuen Reiche und die Kirche
Im 10. Jahrhundert trennen sich zumindest im Kernbereich deutsche Lande ganz vom Westteil des Frankenreiches ab und vereinigen sich zu einem Königreich, welches als Kaiserreich dann auch zumindest nominell die Nordhälfte Italiens umfasst. Die zunehmende Konzentration auf den Süden und dann der Bruch mit dem Reform-Papsttum verstärken die Verselbständigung von Stammesfürstentümern und Regionen am Rande des deutschen Kernlandes, dessen weitere Geschichte sehr stark von zentrifugalen Kräften geprägt wird.
Der auch für die Entwicklung des Kapitalismus wichtige Vorgang in dieser Zeit ist die grundsätzliche Trennung von Kirche und weltlicher Macht, welche aus einer kirchlichen Reformbewegung hervorgeht, die als solche aber substantiell weitgehend scheitert. Weder gelingt es, das Zölibat der Priester allgemein durchzusetzen, noch, jene Korruption abzuschaffen, die kirchlich als Simonie bezeichnet wird und die allen Ämtern und Institutionen im weitesten Sinne auch im weltlichen Raum zu eigen ist. Die Kirche begreift sich zwar deutlicher als geistliche Institution, bleibt aber im Kern eine vor allem weltliche Macht.
Folgen hat diese Reformbewegung aber schon: Mit dem Schlachtruf von der libertas ecclesiae in der Westkirche wird die endgültige Trennung von der oströmischen Kirche vollzogen, die wesentlich stärker in den weltlichen Machtapparat integriert bleibt. Wichtiger noch ist, dass mit der dogmatischen Verengung der römischen Kirche eine sich davon lösende weltliche Öffnung für einen offeneren Diskurs einhergeht, der mehr als ein Jahrhundert später in die ersten Universitäten münden wird, die ihre ganz eigene libertas unter dem Dach der Kirche zu praktizieren versuchen. Dieser "Markt" eines offeneren Austausches von Ansichten über Mensch und Welt geht einher mit der zunehmenden Privilegierung von städtischer Produktion und eines Marktes von Waren. Die Freiheit, die die Kirche für sich in Anspruch nimmt, findet zunächst in Bischofsstädten ihren Widerpart in ersten bürgerlichen Freiheiten, und zwar vor allem in der Nordhälfte Italiens und entlang des westlichen Mittelmeeres bis nach Katalonien. Erste Ansätze in diese Richtung werden dann auch nördlich der Alpen gegen Ende des Jahrhunderts sichtbar.
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Die Kirche ist zwar im Bündnis mit der weltlichen Macht militant gegen "Heiden", aber jenes Friedens bedürftig, der sie unter den Schutz von Kriegerherren stellt. Die geringe Königsmacht von Katalonien über Westfranzien bis ins "römische" Reich liefert sie aber zugleich dem Fehdewesen dieser Krieger aus. Zum Schutz davor entstehen vor allem von Bischöfen ins Leben gerufene Versammlungen, auf denen ein "Gottesfrieden" (treuga Dei) für bestimmte Zeiten und Regionen beschworen wird, der vor allem die nicht Waffen tragende Bevölkerung schützen soll. Das trifft auf Könige, für die Königsmacht und innerer Frieden zusammengehören.
Diese Verpflichtung der mächtigeren unter den Kriegern, die sich langsam als neuartiger Adel formieren, auf eine Einschränkung ihrer Fehden und Raubzüge und auf das Verschonen von Geistlichkeit, Mönchen und Bauern schafft ein verchristlichtes Kriegerbild, welches sich gleichzeitig im Kampf gegen "Heiden" bewähren kann.
Dazu dient das Zurückdrängen der islamischen Herrschaften auf der iberischen Halbinsel über den Norden Kataloniens und die Gebiete nördlich der Meseta hinaus. Zugleich fördert die Kirche die Vertreibung muslimischer Herrscher (Sarazenen) aus dem Süden Italiens, woran sich dann dort auch Normannen beteiligen.
Während im Westen die islamischen Mächte weiter zurückgedrängt werden und sich in Spanien ihre gelegentliche (militärische) Unterlegenheit zu erweisen beginnt, ist ihr Vormarsch im Osten unübersehbar. 1071 verliert Ostrom nicht nur Bari an die Normannen, sondern nach der Schlacht von Mantzikert auch fast ganz Kleinsien an die Seldschuken, die sich in Richtung Ägypten gegen das Abbassidenreich bewegen. 1073 fällt ihnen Jerusalem in die Hände.
Die bedrohliche Situation führt in Byzanz zu einer Militarisierung, die aus einer Landbesteuerung und der von Handwerk und Handel finanziert wird. Das ist möglich durch steigende Produktion von Keramik, Glasprodukten und Textilien (Seide) nicht zuletzt in Konstantinopel selbst, die bis nach Westeuropa und Ägypten exportiert werden.
Noch mitten im sogenannten Investiturstreit mit dem (West)Kaiser ruft Papst Urban II. 1095 in Clermont nach einem Hilferuf aus Byzanz zum Kreuzzug auf, der mit der Eroberung Jerusalems und der Abschlachtung der dortigen Bevölkerung endet. Teilnehmer sind vor allem kleine westfränkische Herren, denen neben der Aussicht auf Beute auch der Erlass der Kirchenstrafen auf ihr sündiges Leben versprochen wird.
Die nun einsetzenden Kreuzzüge führen dabei zu eher instabilen und auf die dauerhafte europäische Unterstützung angewiesenen christlichen Herrschaften in einigen Gegenden, die die Gefährdung von Byzanz aus solchen Richtungen kaum aufhalten und stattdessen vor allem den Aufstieg des Fernhandels italienischer Seestädte fördern. Andererseits verstärken sie ein propagandistisches Krieger als edle Ritter, welche sich nun auch kirchlich geadelt fühlen
Die große religiöse Bewegung des 11. Jahrhunderts mit ihren Reformen an Kirche und Kloster wird zunächst von Fürsten, Königen und Kaisern zur Legitimation und Stabilisierung eigener Macht genutzt, und darunter als Element in der Entstehung eines neuartigen Adels mit seinen Stammburgen, seinen Hausklöstern und seinen Grundherrschaften.
Während dann die auftauchenden Konflikte zwischen Papstkirche und Königen in Frankreich und England durch die Aufteilung der Ansprüche beider geregelt werden, gerät das Kaisertum und damit auch das römische (deutsche) Königtum aus vielen Gründen in bitteres Kriegsgeschehen. Die Imperatorenrolle wird durch die Päpste verliehen, auch darum muss die Kontrolle über die Nordhälfte Italiens aufrechterhalten bleiben, was nur durch Heerzüge möglich ist. Die Herrschaft in Italien wird aber wie in deutschen Landen immer noch ganz wesentlich durch die Kontrolle über Bischofskirche und Kloster vermittelt, die hier mächtiger sind als in Westfranzien oder England. Deutschstämmige Kaiser sehen durch die neuen Ansprüche der Kirche ihre Machtbasis gefährdet.
Zugleich versuchen die nunmehr "salisch-fränkischen" Könige/Kaiser in deutschen Landen, königliche Macht etwas stärker durchzusetzen, was besonders unter Heinrich IV. deutlich wird. Das ist nichts wirklich Neues, denn schon die Sachsenkaiser suchen nach Verfestigung königlicher Macht. Aber erst bei dem vierten Heinrich wird das deutlicher formuliert: Er will cum iustitia pacem componere, also das Recht nun explizit als Machtmittel einsetzen. (siehe Keller(2), S.47) Mir der im zehnten Jahrhundert noch gefeierten clementia der Herrscher geht es nun langsam zu Ende.
Damit machen sie nichts anderes als die Normannenherrscher in England und die Kapetinger in Westfranzien unter anderen und am Ende für sie günstigeren Bedingungen, aber die römisch-deutschen Könige stoßen dabei auf heftigen Widerstand in einigen Gegenden, und nicht zufällig besonders in Sachsen.
Während die auf Bistümern beruhende königlich-kaiserliche Macht in Norditalien noch halbwegs stabil bleibt und die Reformbewegung dort in eine Art Volksbewegung gegen die oft kaisertreuen Bischöfe ausartet, entscheidet sich ein Gutteil der deutschen Kirche im Konflikt Kaiser-Papst für letzteren und verbündet sich mit jenen Fürsten, die ihre Macht durch die königliche bedroht sehen.
In Westfranzien stabilisiert sich in der Île de France um Paris das de facto noch kleine Kapetingerreich, welches sich gegenüber dem des Ostens deutlicher zu behaupten beginnt. Geschickt wird dann der Konflikt zwischen Kaiser und Papst genutzt, um sich östlicher Bevormundung zu entziehen.
Als drittes beginnt dann ein englisches Reich unter den Normannen in ersten Schritten aus der insulären Isolierung in das gewalttätige Konzert der Mächte einzutreten. Im Osten etablieren sich Polen, Böhmen und Ungarn als neue kleinere Mächte.
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Die Binnenstrukturen der Macht in den christlichen Reichen und Fürstentümern verändern sich weiter. Von Feudalismus kann zwar im 11. Jahrhundert ohnehin nicht die Rede sein, wenn dann begänne so etwas erst im zwölften. Anders als Kapital strukturiert das feudum als spezifisches beneficium auch ab dem zwölften Jahrhundert nicht die Reiche insgesamt, sondern nur einen wenn auch wesentlichen Aspekt der Machtbeziehungen in ihnen, während Kapital nun immer mehr zum zentralen Movens, Bewegenden wird.
Was sich im 11./12. Jahrhundert herausbildet, ist ein Lehnswesen, welches zunehmend vor allem in Westfranzien die politische Ordnung erfasst. Dieses entsteht durch Verrechtlichung bzw. Systematisierung bestimmter Formen von Leihen/Verleihungen, durch ein Lehnsrecht. Dazu gehört die zunächst nur praktisch durchgesetzte Erblichkeit von Lehen und ihre Integration in eine ständische Ordnung.
Dabei schreitet Norditalien 1037 mit der Konstitution von Konrad II. auch in der schriftlichen Fixierung voran, die Herren (die Bischöfe und Markgrafen), große und kleine Vasallen (vavassores) voneinander trennt, und zudem implizit von den Bauern (rustici) absetzt. Etwas vergleichbares gibt es dann weder dort noch in deutschen Landen in schriftlicher Form im 11. Jahrhundert. Erst die sogenannten Feudisten des 12. Jahrhunderts werden daraus ausführlichere Rechtsnormen entwickeln.
Die Verbindung von Lehen und Vasallität, zugleich Vasallentum gegenüber mehreren Herren, die Bannherrschaft von einer Burg aus über einen Ort und seine Umgebung und die Verbreitung ständischer Vorstellungen werden allesamt befeuert von einer Zunahme des Handels und der Geldwirtschaft. Das, was sich da als Vorstellung und Wirklichkeit neuartiger adeliger Geschlechter etabliert, bedarf der Statusausprägung, die zunehmend ohne größere Geldsummen nicht mehr denkbar ist.
Was auffällt ist die Interdependenz von sich andeutenden feudalen Strukturen, Verfestigung von Reichen, Aufstieg der Städte, Ausweitung des Handels und Anhäufung von Kapital in städtischen Händen - und das alles in verschiedenen Gegenden in unterschiedlichem Maße. Entscheidend ist dabei, dass sich weder reichsweit noch regional despotische Strukturen wie im islamischen Raum und in Teilen Asiens ausbilden, die die Einwurzelung und Entfaltung von Kapitalismus abwürgen würden. Es kann auch noch nirgendwo von Formen ausgebildeter Staatlichkeit geredet werden, die eine starke Regulierungstendenz entwickeln könnten, wie sie dann hundert Jahre später in einigen Gegenden häufiger wird. Kapital hat also sich durch die Gewährung von Freiheiten weitende Räume zur Verfügung.
Wichtigste Faktoren dabei sind einmal die Dualität von weltlicher und geistlicher Sphäre im christlichen Raum und der immer noch vorrangig dezentrale Charakter weltlicher Machtausübung. Macht ist im Bereich weltlicher Herren geteilt, während die Kirche es im 11. Jahrhundert schafft, für die nächste Zeit zu einem hierarchisch durchorganisierten Machtblock zu werden, der allerdings genau deswegen immer neue Spaltungen wird durchstehen müssen. Das führt zu Konflikten, in denen die Kirche volle Autonomie beansprucht, und zur gedanklichen und manchmal auch tatsächlichen Entflechtung von kirchlicher und weltlicher Macht. Etwas anders ist es in deutschen Landen, wo Bistümer und einige Abteien sich zu zugleich weltlichen Fürstentümern entwickeln und in der Nordhälfte Italiens, wo die Bischöfe immer mehr Macht an den Hochadel abgeben müssen, um dann in den Städten zunehmend auf ihre geistliche Funktion reduziert zu werden.
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Eine einheitliche Sicht auf das lateinische Abendland wird im 11. Jahrhundert durch immer mehr regionale und die Reiche betreffende Unterschiede zunehmend schwieriger. Selbst der Status der Städte beginnt sich unterschiedlich zu verändern. Allgemein gilt, und selbst für Skandinavien und Osteuropa, dass die Zahl der Städte zunimmt und sie allenthalben in Wachstum begriffen sind. Es wächst die Zahl der Dienstleute für die städtischen Herren, die der Handwerker und der Händler, und zwar nicht durch natürliche Vermehrung, sondern durch Zuzug vom Lande, ein Problem für die Herren dort.
Das Wachstum der Städte wird auf dem Lande generiert, durch mehr Produktivität und Produktion. Der ländliche Bevölkerungsüberschuss geht dabei nicht nur in das Zurückdrängen von Naturlandschaft und die Ausweitung vernutzter Fläche, sondern auch in die Abwanderung in die Stadt. Kapitalismus nistet sich dabei vor allem in jene Gegenden wie die Poebene ein, wo es zu einer gewissen Verdichtung der Bevölkerung sowohl in Stadt wie Land kommt.
Wo das nördlich der Alpen noch nicht soweit ist, wächst doch das Selbstbewusstsein eines sich zunehmend spezialisierenden Handwerks und einer freieren Händlerschaft, was sich auch in gewerbespezifischen Zusammenschlüssen niederschlägt, die die Stadtherren durch Privilegien eher fördern. Mit Spitzen von Handel und Finanzen arbeiten die Herren zunehmend zusammen, um so ihre Einnahmen zu fördern. Aber weiterhin unterstehen die städtischen Gewerbetreibenden dem herrschaftlichen Hofrecht.
Wachstum und Veränderung beschleunigen sich ganz langsam gegenseitig. Interdependenz vieler Faktoren findet zusammen. Das Tempo der Veränderungen nimmt bis ins 14. Jahrhundert zu, anders als in statischeren Despotien außerhalb Europas.
***Die deutschen Lande***
Bis 1024 herrscht Heinrich II., den es erhebliche Mühen kostet, die immer selbständigeren Herzogtümer unter königliche Kontrolle zu bringen, und der daneben am Ende auch das Kaisertum der ottonischen Herrscher erneuert.
Die salischen Könige und Kaiser beginnen mit einer Entscheidung eines Teils der Großen für das Königtum dieser Familie (Konrad II.) und führen dieses dann mit einer Kombination aus Designation, Kür und Einsetzung fort. Erste Machtbasis sind Familiengut und Krongut, dazu kommen zunächst weiterhin die Bischöfe und jene Großen, die ihre Herrschaft anerkennen. Das Reisekönigtum bleibt weiter auf das servitium regis der Bischofsstädte angewiesen, die lokale Finanzierung des Hofes, und bewegt sich von Ort zu Ort mit seiner Hofkapelle, die neben den geistlichen Aufgaben für den Hof auch das Notariatswesen beinhaltet. Dort sind wie schon unter den Sachsenkaisern hochadelige Geistliche versammelt, von denen nicht wenige später auf Bischofsposten landen.
Mehr unmittelbares Instrumentarium versammeln die Könige weiterhin nur auf ihren Hoftagen in Form eines Gefolges der Großen, und auf den Heerfahrten, die allerdings weiter sehr häufig sind. Gewalttätigkeit und Gewaltandrohung bleibt weiter eine zentrale Betätigung der Herrenwelt, neben der religiösen ihre einzige handfeste Rechtfertigung.
Die Herrschaft über Nord- und Mittelitalien muss bei jedem königlichen Amtsantritt neu errungen werden, und das wird nicht nur so bleiben, sondern bleibt auch immer sehr unvollständig und schafft sich immer neue Feinde wie den Erzbischof von Mailand bei der Aufwertung der Valvassoren: Die Zersplitterung des Landes und die andersartigen Entwicklungen erleichtern Dominanz aus deutschen Landen nicht.
Das Kaiserreich wird zunächst neben den deutschen Landen und (Nord)Italien auf Burgund ausgeweitet, wobei kaiserliche Macht dort in großen Teilen nicht durchgesetzt werden kann. Zudem beginnt die Integration Böhmens als Herzogtum in das Reich. Tatsächlich bleibt überall in diesem Reich königliche Herrschaft darauf begrenzt, dass die Großen sich in seine Hoheit begeben, wobei das noch nichts über den tatsächlichen Zugriff auf diese Gebiete aussagt, der sich in den Hoftagen dort ausdrückt und in Hoffahrt und Heerfahrt.
Das Reich ist multiethnisch, wobei sich Volkszugehörigkeit an den Sprachgrenzen ausdrückt. Sie wird von den Menschen deutlich von den Herrschaftsbereichen unterschieden, und das gilt auch innerhalb der deutschen Lande, wo man Bayer, Alemanne, Sachse oder Friese zum Beispiel ist, bevor man sich zu Deutschtum bekennt. Das erweist sich auch am ethnisch definierten tradierten Recht, dem man unabhängig von Herrschaftsgrenzen angehört, wie auch in Norditalien.
Im Annolied, nach 1080 geschrieben, ist die Wahrnehmung einer gemeinsamen Sprache diutisch aus Dialekten bereits zu der eines Volkes übergegangen, den diutischi liuti, und der seines Territoriums, dem diutischemi lande. Letzter Singular wird aber die Ausnahme bleiben.
In diesem Sinne wird Frankreich nach und nach anders entstehen, und in England bildet sich nach 1066 ein zweisprachiger Dualismus aus frankophonen Normannen und altenglisch sprechenden Engländern heraus, bis beide später miteinander verschmelzen werden.
Überhaupt muss man mit neuhochdeutscher Begrifflichkeit vorsichtig sein. Erst im 13. Jahrhundert wird die aus dem slawischen zunächst im Nordostdeutschen entlehnte "Grenze" die etwas andere Bedeutung der deutschen Mark ablösen, die eher den Rand von etwas ("Markgrafschaft") als eine präzise Grenze im neueren Sinne meint. Genauso steht es mit dem germanischen Wort Land, welches alles mögliche bedeuten kann und oft noch keinen Herrschaftsraum meint. Das Wort Volk ist weiterhin in stetem Wandel begriffen, wobei es in Texten immer noch eher ein militärisches Gefolge meint als etwas, was mit dem neuhochdeutschen Begriff zu tun hätte.
Die Konflikte, mit denen sich Heinrich IV. zu beschäftigen haben wird, deuten sich unter seinem Vorgänger Heinrich III. bereits an. Da sind Aufstände in Sachsen und Lothringen, Probleme mit dem slawischen Osten und Ungarn. Kritik von kirchlicher (Reform)Seite wird an der weiterhin engen Verbindung von Päpsten und Kaiser geübt und von weltlicher Seite an den kaiserlichen Versuchen, vor allem in deutschen Landen die Macht gegenüber den immer mächtigeren Großen auszubauen, wobei Sachsen und Bayern eine herausragende Rolle spielen. In der langen Zeit der Regentschaft für den kindlichen vierten Heinrich bricht die Verbindung zum Reformpapsttum ab und kann danach nicht mehr dauerhaft wiederhergestellt werden. Bald danach befindet sich der Kaiser im ständigen Konflikt mit dem Papsttum und zugleich in kriegerischen Auseinandersetzungen mit den manchmal mit den Päpsten verbündeten Großen und es erweist sich, wie labil seine Herrschaft ist. So wie unter teils anderen Umständen in Nordfranzien und Norditalien beginnen Städter dabei, mal für und mal gegen ihren Bischof oder den König eigenständiges Handeln zu erproben, wobei sie von einer unteradeligen Führungsgruppe angeleitet werden und nun häufiger als eigenständige Gruppe der cives auftauchen, die dann deutsch zu den Bürgern (burgenses) werden.
Am Ende sind die großen Gewinner in deutschen Landen einmal die Fürsten, die sich langsam als eigenständige Gruppe vom übrigen Adel abheben und mehr Machtanteile verlangen. Dabei zeichnet sich ab, dass ihre im Kern militärisch und auf Eigentum begründete Macht zunehmend von den in Geld zu rechnenden Einnahmen abhängt. Zwar gibt es dafür noch keine planmäßige Wirtschaftsförderung, aber doch die Förderung von Städten und der in ihnen enthaltenen Einnahmequellen. Damit werden solche langsam in ersten Ansätzen verbürgerlichenden Städte zum zweiten Gewinner der Entwicklung.
Im zwölften Jahrhundert werden Fürsten in ein klarer definiertes Vasallenverhältnis zu den Königen bzw. Kaisern treten, welches ihnen im Inneren ihrer Herrschaften immer mehr Autonomie geben wird. Unterhalb der Fürsten bilden sich Adelsherrschaften aus, rechtlich unter ihnen die Minsterialen, die in den Städten eine zunächst noch unteradelige Führungsschicht in der Bevölkerung zusammen mit reich werdenden Kaufleuten formen und ansonsten in einem entstehenden Rittertum aufgehen werden.
Mit alledem wandelt sich das Königtum, welches von der Sakralisierung des Amtes überall zu der der Person überzugehen versucht, nachdem ihnen die Papstkirche erstere ein Stück weit erfolgreich abspricht. Das betrifft mehr als anderswo das Westfrankenreich. Überhaupt werden Christianisierung und Säkularisierung mit dem Aufstieg von Städten und Kapital nun Hand in Hand gehen, tatsächlich wird sich in beiden derselbe noch näher zu beschreibende Vorgang äußern.
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Nichts wird für die europäische Geschichte so wichtig wie das schwach bleibende römische Königtum in Verbindung mit dem ebenso schwachen Kaisertum "deutscher Nation", wie es viel später heißen wird. Kaiser Heinrich III. versucht zwar ein Großreich mit dem Mittel der Lehnsabhängigkeit im Westen (Lothringen), Osten (Polen, Böhmen) und Süden (Tuscien) zusammenzuhalten, kann aber die Dezentralisierungstendenzen nicht wirklich aufhalten. Noch unter Otto III. war das Abdriften Polens und Ungarns mit der Errichtung der Erzbistümer in Gnesen und Gran beschleunigt worden.
Nicht Könige, sondern regionale Fürsten, bürgerliche Unternehmer und bäuerliche Siedler werden in den nächsten Jahrhunderten die deutschen Lande nach Osten um ein Drittel des Raumes erweitern, und es werden Fürsten sein, die davon profitieren und ihre Macht auf Kosten der königlichen erweitern.
Zugleich wird der deutsche Sprachraum im Südwesten der nideren Lande, wo zunächst noch dietsch gesprochen wird, immer weiter zurückweichen. In den Reichsteilungen der späteren Karolinger war das damalige Flandern zum größten Teil in westfränkische Hand geraten. 863 setzt Karl der Kahle mit Balduin "Eisenarm" einen ersten Grafen ein, der sich vom Münzort Brügge ein größeres flämisches Gebiet erobert. In den nächsten Jahrhunderten heiraten flämische und französische Adelige untereinander und gehen zur nördlichen altfranzösischen Sprache über.
Ganz langsam setzt eine ähnliche Entwicklung in Lothringen ein, bis dann im 17. Jahrhundert aus dem fränkischen Diedenhofen endgültig das französische Thionville wird, und ebenso ergeht es dem Westen und Südwesten des Gebietes, das heute zur Schweiz gehört. Auf diese Weise wird Neuenburg zu Neuchâtel und Freiburg zu Frîbourg werden.
Man muss dabei aber sehen, das abgesehen von Westfranzien, dem von einem kleinen Zentrum aus expandierenden Reich der französischen Krone, nirgendwo Volkstum und damit vor allem auch Sprache mit Herrschaft übereinstimmen. Menschen, einmal hier mit dem modernen Wort Bevölkerung benannt, sind Manövriermasse der Machthaber, Quelle für Wirtschaftskraft und damit Finanzen und entsprechend für militärische Macht. Die Machthaber eignen sie sich über Heirat an, durch Kauf und sehr häufig durch Kriege. Wenn Schlesien mal an Böhmen und mal an Polen fällt, werden die Untertanen so wenig gefragt wie dann, wenn eine mächtige norditalienische Stadt eine andere erobert. Untertänigkeit heißt letztlich immer Wehr- und Hilflosigkeit, und um das für sich erträglich zu machen, versuchen die Untertanen sich in ihrer Ohnmacht mit ihren Machthabern zu identifizieren, solange diese machtpolitisch erfolgreich sind.
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Bis zum Zusammenstoß mit Papst Gregor VII. steht das Westkaisertum wenigstens propagandistisch in voller Blüte. Anselm von Besate, Notar in der Kanzlei Kaiser Heinrichs III. schreibt zum Beispiel 1049 über diesen:
Du aber hast wilde und überaus schreckliche Völker besiegt, die rohen, ruchlosen und jeder Menschlichkeit baren Geister unter deine Herrschaft gezwungen. Die Länder, Burgen, befestigten Plätze und die Reiche mit ihren Kleinkönigen (reguli), die lange verloren waren, erkennt die Roma jetzt wieder als das Ihre durch deine siegreiche Rechte. (in: Borgolte, S.32)
Das Bild von den Wilden, die durch gewaltsame Unterwerfung und Unterdrückung zu zivilisieren sind, stammt zwar schon aus der Antike, aber es gewinnt nun neuen Schwung und wird letztlich bis heute die Sicht der Europäer bestimmen. 1075 erklärt dann Adam von Bremen ausdrücklich, dass die summa imperii Romani ad gentes Teutonum populus übertragen worden sei, also an die deutschen Völkerschaften.
Tatsächlich wird diese Rhetorik im Dienste deutscher Könige bald darauf ihren Schwung verlieren und dagegen wird sich die wesentlich rationalere in England und Frankreich erheben, die die Fiktion deutscher Zuständigkeiten ablehnen wird. Darüber hinaus wird die völlig von der antik-römischen Tradition abweichende Bindung des Kaisertums an einen Ethnos und nicht an eine echte imperiale Idee, deutliches Zeichen, dass sie mit antikem Kaisertum tatsächlich nichts mehr zu tun hat, dieses auch weiterhin chancenlos lassen, wenn man von dynastischem Machtwillen einmal absieht.
Neben die kaiserliche Propaganda mit ihrem nicht einzulösenden Größenwahn tritt die quasi-kaiserliche einiger Päpste seit Mitte des Jahrhunderts, die sich - meist unterschwellig - auf die Fälschung von der konstantinischen Schenkung bezieht, die das römische Westreich den Päpsten als quasikaiserlichen Machthabern verlieh. Damit wird der Konflikt zwischen weltlicher Macht und Reformkirche auf die deutschen Lande und das von dort aus beanspruchte Norditalien konzentriert. Erst die Schwäche der deutschen Lande und der Aufstieg Frankreichs zur Vormacht auf dem lateinischen Teil des Kontinents zwischen 1214 und 1250 wird den Konflikt dann dorthin transportieren.
***Westfranzien***
Ähnlich wie im Ostfrankenreich und in England wird auch in Westfrawennzien ein Königtum als oberste Ordnungsmacht wie selbstverständlich angenommen, ja, die Großen in den Reichen werden ihre Macht auch weiterhin aus der königlichen ableiten. Aber in allen drei Reichen nimmt es eine unterschiedliche Entwicklung. Im Westreich etabliert sich unter den Kapetingern ebenso wie in England mit Wilhelm dem Eroberer ein Erbkönigtum. Aber die nominellen Herrscher über das ehemalige Gallien verfügen zur tatsächlichen Machtausübung zunächst nur über die alte robertinische Hausmacht in der Île de France um Paris und in wenigen Gegenden südlich davon bis zur Loire. De facto zur Gänze unabhängig sind die Herzogtümer der Normandie und von Aquitanien sowie mächtige Grafschaften wie die von Anjou, von Blois/Champagne, Poitou oder Flandern. Ein Sonderleben führt die noch immer stark keltisch geprägte Bretagne. Immerhin fällt das Herzogtum Burgund nun für rund dreihundert Jahre in die Hand einer Kapetingerlinie.
Während sich in der Normandie ein alles aufs Zentrum hin orientierendes Fürstentum ausbildet, müssen die übrigen Herrscher jenseits von Flandern mit einer in viele Burgherrschaften zerfallenen Landschaft umgehen, die dann in Aquitanien durch neue Grafschaften, wie das Poitou, das Anjou oder das Toulousain gegliedert wird, die nicht zufällig alle nach einer Haupt-Stadt benannt sind.
Selbst im eigentlichen Krongebiet muss Königsmacht gegen starke Burgherren immer wieder neu etabliert werden, und zwar noch bis tief ins zwölfte Jahrhundert.
Die Machtkonflikte mit der Reform-Kirche fallen nicht so sehr wie in deutschen Landen mit denen mit Fürsten zusammen, deren Macht die Kapetinger vorläufig respektieren müssen, und auch nicht mit den Bistümern, die im Westreich nicht so reich und mächtig sind. Sie lassen sich darum früher als im Ostreich durch Kompromisse lösen.
Die Konzentration auf die im Zentrum des Westreichs liegende Hausmacht des Königtums fördert eine im 12. Jahrhundert weiter zunehmende Zentralisierung, die sich auf wenige Königsstädte reduziert, wobei Paris als Residenz bereits zunehmend Orléans ablöst. Ein das ganze Reich umfassendes Reisekönigtum wie unter den Saliern findet dabei mangels Autorität nicht statt.
Die königliche Macht erweitern kann nicht wie über die Etablierung königlicher Machtpunkte in den vielen Regionen des römisch-deutschen Reiches versucht werden, was allerdings auch dort dann scheitert, sondern nur über die Perspektive der Erweiterung der königlichen Hausmacht, was im 11. Jahrhundert nur in geringem Maße gelingt. Aber genau das wird dann anders als in deutschen Landen später eine erfolgreiche royale Perspektive werden, ebenso wie die Nutzung dort allgemeiner feudaler Strukturen, also der Tatsache, dass alles Land sich in Lehnsverhältnisse einfügt.
Dem Zusammenschweißen eines Reiches kann auch das mit dem Papst-Kaiser-Konflikt beginnenden Feindbild des Imperiums als direktem Konkurrenten in Gang gesetzt werden, welches gegen Ende des Jahrhunderts im Bündnis mit den kaiserfeindlichen Päpsten Konturen gewinnt und hundert Jahre später in nunmehr "französischer" Übermacht gegenüber dem Kaiserreich und Interventionen in "deutsche Angelegenheiten" sich äußern wird.
Im 11. Jahrhundert ist klar, dass der Kaisertitel in "deutschen Händen" nicht mehr bedeutet, dass es irgendeine Form östlicher Oberhoheit über das Westreich gibt, die Trennung ist endgültig, auch wenn die Grenzlinie keine klar ethnische ist und auch nicht so gedacht wird.
Damit tritt immer mehr Abgrenzung und Konkurrenzverhalten in den Vordergrund. Nicht einmal der Kampf gegen die islamischen Eroberer der sogenannten heiligen Stätten im vorderen Orient kann noch solide Einigkeit erzeugen. Otto von Freising erwähnt für den ersten der Kreuzzüge die Francos Romanos et Teutonicos, qui quibusdam amaris et invidiosis iocis frequenter rixari solent, die sich in bitteren und gehässigen Scherzen hänselten, wie Adolf Schmidt übersetzt (Chronik, S.508), wobei das allerdings in höherem Maße erst für die nächsten Kreuzzüge gelten wird.
Während Deutsche als Teil einer deutschen Sprachfamilie beginnen, Gemeinschaftsgefühle zu entwickeln, die aber wenig mit Machtpolitischem zu tun haben, aber umso mehr mit Herkunft und verwandten landschaftlichen Eigenheiten, wird sich so etwas im entstehenden Frankreich erst in der Identifikation mit der aufsteigenden Macht des Königtums im nächsten und übernächsten Jahrhundert einstellen.
Immerhin: In der Begegnung von Deutschen und Franzosen 1107 in Châlons-sur-Marne entdeckt Abt Suger von St.Denis "französische" Überlegenheit in aristokratischer Lebensart. Besonders Welf V. schneidet dabei schlecht ab: Er ist fett, und wie Schneidmüller zusammenfasst, „ein Schreihals, dem prahlerisch immer ein Schwert vorangetragen wurde. Wie seine Genossen knirschte er mit den Zähnen und drohte beim Scheitern der Verhandlungen, die Dinge würden besser mit deutschen Schwertern in Rom ausgetragen.“ (Schneidmüller, S.154)
Ein Zusammengehörigkeitsgefühl (horizontaler Art) brauchen Könige des 11. Jahrhunderts nur bei denen, auf die sich ihre Macht unmittelbar stützt. Seine Basis ist die vertikale Abstufung von Rechten, zu deren Verpflichtung die Heeresfolge gehört. Fast alle Menschen sind da eingeordnet, ohne gefragt zu werden. Erst die Gewöhnung an ein kontinuierliches Machtzentrum macht aus "Westfranken" Franzosen.
Viel mehr noch als in deutschen Landen sind die kapetingischen Könige auf einen sakralen Nimbus angewiesen, auf die enge Verbindung von Kirche, Kloster und Macht. Was früher St. Rémi in Reims war, wird nun St. Denis und später dann auch die Pariser Kathedralkirche. (Siehe Anhang 20)
Wie das Deutsche in die Dialekte des Nieder- und Oberdeutschen zerfällt, so ist Westfranzien in die langue d'oeil im Norden und die langue d'oc im Süden geteilt, die wiederum, aber nicht ganz so deutlich, in Dialekte geteilt sind. Sprachlich ist so der Süden stärker mit Katalonien und dem Piemont verwandt und an den Norden und das Königtum angeschlossen wird er erst mit dessen militärischer Unterwerfung und dem darauf folgenden Anschluss.
Die Entwicklung der Städte im Süden verläuft zunächst ähnlich wie in Norditalien, bei einer schwächeren Position der Bischöfe dort und einer stärkeren der Grafen, die sie als ihr Kerngebiet betrachten. Die Tendenz zur Gemeindebildung und zur Ausbildung eines Konsulats wird aber wie dort erst im 12. Jahrhundert deutlicher werden, wobei dann die gräfliche Herrschaft über die Stadt deren weitere Autonomisierung verhindert.
Die Städte wachsen auch weiter nördlich, allerdings findet dort ähnlich wie in deutschen Landen mit Ausnahme von Paris Kapitalbildung noch nur in recht geringem Maße statt. Während in deutschen Landen massive "bürgerliche" Konflikte mit Stadtherren wenig politisiert sind und noch nicht zu Gemeindebildung beitragen, ist bürgerliches Selbstbewusstsein in einigen "französischen" Städten bereits in seinen Forderungen ausgepräger. Die Könige versuchen in ihrem direkten Einflussbereich Gemeindebildung zu unterdrücken, während sie sie überall da fördern, wo sie damit einen Fuß in Fürstentümer setzen können.
***Italien***
Das spezifische Los Italiens seit dem Ende des Imperium Romanum im Westen ist Fremdherrschaft und Teilung. Ostrogoten kontrollieren dabei nie die ganze Halbinsel, werden dann kurz durch das wieder griechischer werdende Byzanz abgelöst, dann durch die Langobarden im Norden und in Teilen des Südens. Wirklich prägend wird dabei nur Byzanz bleiben, und zwar besonders in Neapel und in den apulischen Seestädten. Aber als die Franken in der Nordhälfte einmarschieren, sind auch Städte wie Venedig und Rom unter byzantinischer Oberhoheit.
Eine fränkische, besser karolingische Oberschicht etabliert sich im Norden über die langobardische, die längst wieder an Bedeutung zunimmt. Beide integrieren sich langsam in eine gemeinsame norditalienische militia, die im 11. Jahrhundert bereits stark stadtbezogen ist und sich in zwei Adelsschichten gliedert, die, manchmal auch mit Hilfe des städtischen "Volkes" an der Machtausübung der bischöflichen Stadtherren partizipiert. Kapital - und Gemeindebildung hat hier frühere Anfänge als anderswo. Die Bedeutung von weltlichen Fürstentümern wie den Markgrafschaften von Ivrea und der Toskana nimmt ab und schwindet mit dem Ende des Hauses Canossa zur Gänze.
Die Macht der deutschstämmigen Kaiser ist meist fern und wird neben kaiserlichen Abgesandten fast nur noch von den Bischöfen getragen, die mit dem Aufstieg ihrer Städte an Bedeutung verlieren. In diesen Städten wird dann im nächsten Jahrhundert machtvoller Widerstand gegen die Fremdherrschaft aus dem Norden mit ihren anderen Traditionen wachsen.
Südlich der Toskana, von Mittelitalien insgesamt, sind schon die Versuche der Sachsenkaiser gescheitert, wirkliche Hoheit herzustellen. Hier teilen sich alte langobardische Dynastien im Inneren und Byzanz an der Küste die Machtausübung, können aber nicht verhindern, das nordafrikanische Muslime die Herrschaft über Sizilien mit einer gewissen Einwanderung und Überfremdung verbinden, sozusagen parallel zu der Entwicklung auf der iberischen Halbinsel. Dazu gewinnen sie immer wieder Stützpunkte mit Städten an der Festlandküste, wobei sich Byzanz als relativ ohnmächtig erweist.
Ein erfolgreicher Gegner erwächst dem Islam erst mit den noch nicht lange christianisierten und romanisierten Normannen, die sich in Süditalien schon festsetzen, bevor einer ihrer Herrscher zu Hause sich mit seinem Heer an die Unterwerfung Englands macht. In wenigen Generationen gelingt es relativ wenigen Leuten, sich erst große Teile Süditaliens und dann Sizilien zu unterwerfen und mit einem normannischen Königreich das einzige zentraler organisisierte Machtgebilde in Italien zu schaffen, welches im 12. Jahrhundert dann erste Züge moderner Staatlichkeit erhält, die dann unter den letzten Staufern noch ausgebaut werden.
In der Mitte Italiens strebt im selben Jahrhundert das Reform-Papsttum als geistliches Fürstentum nach Ausweitung seines Herrschaftsraumes, des sogenannten Kirchenstaates in Mittelitalien, stößt dabei im Süden auf die Normannen und im Norden auf die Ansprüche deutscher Kaiser. Es wird dabei in seiner die damalige lateinische Welt umfassenden und sich intensivierenden geistlichen Machtausübung mit frühesten Elementen zukünftiger Staatlichkeit operieren, einer wachsenden Schriftlichkeit, Verrechtlichung und Finanz-Verwaltung vor allem. In ihrem weltlichen Bereich werden die Päpste dann versuchen, städtische Autonomisierung und Gemeindebildung zu unterdrücken, was aber nicht dauerhaft gelingen wird.
***England***
Die Entwicklung des englischen Königreiches geschieht zunächst in relativer insulärer Abgeschlossenheit und wird dann immer aufs neue durch skandinavische und dann dänische Einfälle und deren Macht über von ihnen kontrollierte Teile Englands beeinträchtigt. König Svein von Dänemark macht sich dann an die komplette Eroberung, die Knut der Großen (1017-35) abschließt. Er übernimmt Herrschaftsstrukturen und gewinnt die Macht über alle englischen Königreiche, wobei er Wessex vor allem von Winchester aus direkt regiert und die anderen durch Jarls/Earls regieren lässt.
Zum Nachfolger wird nach dem Tod der Knutsöhne 1041 für die alte Wessex-dynastie Edward ("der Bekenner"), unter dem dänische, angelsächsische und zunehmend auch normannische Interessen im Lande widerstreiten, wobei der in der Normandie aufgewachsene Edward letztere vor allem unterstützt.
Nach Edwards Tod wird der Earl Harold von Wessex zum König ausgerufen, wogegen der norwegische König Harald Hardrada sowie Wilhelm von der Normandie aufbegehren. Während der erstere 1066 in Yorkshire von Harold geschlagen wird, landet Wilhelm bei Hastings, besiegt Harold und erringt die Königskrone. Er überzieht das Land und inbesondere die Städte mit Zwingburgen, die er mit seinen mitgebrachten und nachziehenden Leuten besetzt. Ansonsten fügt er sich in die eher zentralistischen angelsächsischen Traditionen ein.
Das neue Reich hat nun zwei Besonderheiten: Einmal existiert eine frankophone Oberschicht, in die sich andere Große dann im Laufe der Zeit integrieren. Unter dieser dünnen Oberschicht gibt es eine angelsächsische Bevölkerung, in die sich nach und nach eine große skandinavisch-dänische Minderheit integrieren wird.
Als zweite Besonderheit von großer Tragweite ist das Ausgreifen der neuen "englischen" Krone nach dem Festland, vermittelt über die schon immer recht selbständige Normandie, was dann bekanntlich über die Verschränkungen beider "Länder" zu einem Zugriff auf große Teile des formal unter "französischer" Herrschaft stehenden Reiches führen wird.
Die nun anglo-normannischen Herrscher setzen die Bestrebungen nach Ausweitung ihres Hoheitsraumes in Richtung Cornwall, Wales und Northumbrien fort, immer in Richtung auf einen britannischen Herrschaftsraum. Das interferiert dann in Zukunft mit "englischen" Festlandsinteressen. Klar ist, dass es sich nicht um völkische (politisch- korrekt neudeutsch: ethnische) Interessen handelt, sondern wie in allen Nachfolgeregionen des Karolingerreiches um dynastische, also im weitesten Sinne Familieninteressen. Nur in ihrem Gefolge werden im Laufe der Zeit die die neuartigen "Völker" als Untertanenverbände entstehen.
Für die Entstehung von Kapitalismus spielt England weiterhin eine Rolle am Rande, vermittelt über Seehandelsstädte wie York und London, und weniger durch eigene Produktion von Fertigprodukten für einen europaweiten Markt als durch die Lieferung von Rohstoffen, von Wolle vor allem und dann auch von Metallen. Selbst der Seehandel ist in den Händen kontinentaler Kaufleute: England ist noch weit entfernt davon, eine Seemacht zu werden.
Gruppenbildung und Stände (derzeit in Arbeit)
Weiterhin bleibt die engere (Haus) und weitere Verwandtschaft (Sippe) die engste Bindung, die Menschen vorfinden und eingehen, aber dabei wird die angeheiratete (cognatische) Verwandtschaft eher unwichtiger und die Bedeutung der agnatischen nimmt zu, aus der sich Geschlechter bilden, zunächst beim entstandenen neuen Adel und dann auch in der stadtbürgerlichen Oberschicht. Adelssippen als Fehde- und Rachegemeinschaften
Gefolgschaftsbindungen aus, Schutz und Hilfe einerseits auxilium et consilium andererseits, deren Gewicht aber immer wieder neu definiert werden muss, da klare Definitionen bis ins 12./13. Jahrhundert völlig fehlen.
Lehnsbindungen
Ständetheorien
Bindungen durch Auftrag
Bindungen zur Gebetshilfe für das Seelenheil
Horizontale Bindungen als Schwurgemeinschaften: Bruderschaften, Berufsgenossenschaften für Hilfe und Schutz
Macht und Geld
Macht ist das, was jemand vermag, und darüber hinaus auch das, was jemandem an Vermögen zugeschrieben wird, was nie ganz dasselbe sein kann. Sie ist an die Person oder (seltener) an ein Kollektiv gebunden und zudem dem Wandel der Zeit unterworfen. Macht hat so im Mittelalter der Familienvater über Frau und Kinder, was einmal rechtlich fixiert ist, zum anderen aber zur Gänze daran hängt, dass er sie auch durchsetzen kann. Solche Macht hat der Herr über den Knecht, der Herr von Grund und Boden über die, die darauf leben, der Herr über Gebäude über die, die sie mieten müssen, der Besitzer von Kapital über die, die er für seine Vermehrung arbeiten lässt.
Macht hat der Herr über Herren, die er sich unterordnen kann. Macht gewinnt im Verlauf des Mittelalters die städtische Obrigkeit durch die Verordnungen, die sie erlassen wird, über die Untertanen innerhalb der Mauern und im Weichbild drum herum.
Macht ist von der Spätäntike der neuen Reiche bis in das Ende des langen Mittelalters von Rechts wegen immer ungleicher verteilt, eine Entwicklung, die sich dann in den Demokratien und Diktaturen noch weiter vertieft. Sie kann aber die verschiedensten Formen annehmen, politische und wirtschaftliche Macht sind ausgesprochen unterschiedlich und die politische entwickelt immer wieder den Wunsch, die wirtschaftliche unter ihr Kuratel zu stellen.
Die meisten Menschen haben in der Entwicklung der letzten anderthalb Jahrtausenden erleben müssen, dass sie sowohl von politischer wie wirtschaftlicher Macht ausgeschlossen bleiben und müssen darum andere Auswege finden, um Macht ausleben zu können. Man erlebt sie in der Abstufung der Ohnmacht, in der man immer noch Schwächere findet, oder aber gerne auch im Brechen der Gesetze bzw. Verordnungen der Mächtigen, und so ist das Verbrechen eine Begleiterscheinung der Zivilisationen, die es zu erdulden gelernt haben und mit ihm in den Demokratien, die von ihm profitieren und es nicht mehr als Konkurrenten betrachten müssen, inzwischen weltweit kooperieren.
Alle Lebewesen konkurrieren miteinander dort, wo sie aufeinander treffen, ob es sich nun um die eigene Art oder eine fremde handelt. Macht äußert sich als Freiheit(en), man ist so frei wie es einem in der Macht steht, etwas zu tun. Aber am Anfang steht Macht als Naturphänomen, als Kampf jedes Lebewesens um Lebensraum und die Möglichkeit, sich fortzupflanzen. Alle Lebewesen sind darum wesentlich aggressiv zumindest in dem Maße, in dem es Not tut. Kulturen sehen das als Erfahrungs-Tatsache und versuchen es intern zu regulieren.
Beim Menschen wird der Gewaltcharakter dieser Konkurrenz in Zivilisationen von den großen Machthabern für sich monopolisiert und die Gewalttätigkeit der Untertanen untereinander so weit als möglich kriminalisiert: Alle Energien der Untertanen sollen auf die Interessen der ganz wenigen Mächtigen konzentriert werden. Diese Konzentration der Macht und Gewalttätigkeit als Herrschaft wird in allen Varianten zum Gemeinwohl erklärt. Dieses repräsentieren Könige, Diktatoren, Despoten und auch der heutige, rabiat herarchisch geschichtete Staat, der nicht nur den Gehorsam in seinen Reihen von oben nach unten, sondern auch den aller derer, die ihm ausgeliefert sind, als heiliges Recht für sich in Anspruch nimmt, ohne dieses noch anders zu erklären als einfach dadurch, dass es den Staat eben gibt, - und zudem wie Fürsten und Despoten, dass es ohne ihn gar nicht anders geht.
Während die Masse der Menschen nach der weströmischen Antike immer weniger Zugang zu Geld hat, verfügen die hohen Herren weiter darüber in größeren Mengen. Zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert nimmt dann das in Umlauf befindliche Geld zwischen England und Sizilien und von der Elbe bis nach Galizien immer schneller zu und gelangt zunehmend auch wieder in die Hände von Kleinbauern und städtischer Unterschicht. Das entspricht den Interessen der Mächtigen, die im 11. Jahrhundert bereits mit größeren Geldmengen in ihren Kassen rechnen. Damit wird nicht nur zunehmender Luxus im Lebensmittelbereich, in der Rüstung und Kleidung, schließlich auch in der Ausstattung von Gebäuden bezahlt, sondern auch Hoftage, Heerzüge, überhaupt kriegerische Unternehmungen verschlingen immer mehr Geld.
Zwar entsprechen in der bald im Süden aufkommenden feudalen Theorie dem Verleihen von Land, Rechten und Ämtern nichtmonetäre Gegenleistungen, tatsächlich werden die aber durch Geschenke und Bezahlung zunehmend gefördert und begleitet. Dabei nimmt auch das Schuldenmachen und der Geldverleih immer mehr Raum ein.
Wir sind noch nicht so weit wie bei dem Juden Aaron aus Lincoln, der bei seinem Tode 1186 vor allem an hohe englische Herren ausstehende Kredite besitzen wird, die knapp dem englischen "Staats"haushalt entsprechen. Finanzkapital spielt in den Machtstrukturen noch eine untergeordnete Rolle außerhalb des nordwestlichen Mittelmeerraumes.
Aber wir können nur vage ahnen, welche enormen Geldmengen zum Beispiel die Eroberung Englands 1066-70/74 durch Herzog Wilhelm von der Normandie gekostet haben muss und wie er sie vorfinanziert hat. Jedenfalls besteht ein stattlicher Teil seines Heeres aus Söldnern, die während der langen Wartezeit an der normannischen Küste bezahlt und durchgefüttert werden muss. Das restliche Heer dürfte durch Landgier bewegt worden sein, die wiederum erweist sich aber bei Übernahme der angelsächsischen Güter als Geldgier: Ein Teil der Landräuber taucht nur selten auf seinen neuen Gütern auf und ist im wesentlichen an den Renten in Geld interessiert (Carpenter, S. 78)
Wie wichtig Geld inzwischen ist, belegt der erste Kreuzzug, für den enorme Summen bewegt und aufgebracht und riesige Kredite aufgenommen werden, wie zum Beispiel die 6666 Pfund, die der Normannenherzog Robert von seinem Bruder Wilhelm dafür erhielt, und die dieser durch ein außerordentliches geld seiner Untertanen relatv schnell zusammen bekommt. Überhaupt dienen die frisch ausgebildeten feudalen Machtstrukturen in England zunehmend dem Zusammenraffen von Geld. Wilhelm Rufus braucht es deshalb, weil er damit Soldaten anheuert und sich mit dem Geld seine Haustruppe aus Rittern "from all over Europe" zusammenstellt (Carpenter, S.133).
Im zwölften Jahrhundert dann regiert Geld zwar nicht die Welt, aber große Teile Europas. Die für 1130 erhaltene pipe roll König Heinrichs I von England gibt an, was Barone dem König für das Jahr an Abgaben schulden: Beim Earl Ranulf II von Chester sind das 1613 Pfund, bei Geoffroy de Mandeville 846, und beim Earl Roger von Warwick immerhin noch 218 Pfund, allesamt enorme Summen (Carpenter, S.161)
Das was Moralisten später einmal Korruption nennen werden, ist spätestens seit dem 11. Jahrhundert in Italien gang und gebe, und wird spätestens im 12. Jahrhundert das ganze lateinische Abendland überrollen. Gemeint ist die Käuflichkeit von Ämtern, Titeln, Einfluss und Verträgen. Päpste (auch die frömmeren) kaufen sich Unterstützung bei den Parteiungen im zerstrittenen Rom, wer Privilegien und Einfluss will, reist in die Hauptstadt der westlichen Christenheit, geht zu den dortigen Geldleihern und kauft sich Beschlüsse der Kurie. Der große päpstliche Landbesitz ist verpachtet, aber die Päpste verfügen über große Mengen an Gold und Silber.
Hildebrand/Gregor gewinnt den Rückhalt in Rom auch über Geldgeschenke. 1084 verteilt Heinrich IV. dort pecunia und kann seinen Papst durchsetzen.
Roger von Sizilien kauft sich 1134 mit 240 Unzen Gold jährlich die Unterstützung der Pierleoni. Welche Rolle Korruption von da an im päpstlichen Rom durch die Jahrhunderte spielen wird, ist bekannt.
Einnistung von Kapital: Erklärung des Begriffs
Das Verständnis für das, was Kapital ausmacht, entwickelt sich praktisch über seine Handhabung, theoretisch aber in den kirchlichen Rechtfertigungsstrategien des späten Mittelalters für Zins und Gewinn, von denen der Wucher als ungerechtfertigt unterschieden wird. Anfang des 15. Jahrhunderts dann erkennt der recht heilige Bernardino de Siena: Geld hat nicht nur das Wesen von Geld; es hat daneben auch einen fruchtbaren Charakter, den wir gemeinhin Kapital nennen. (in: Spufford, S.34) Kapital zeugt Kapital, und so beginnt dann die Analogisierung von Vorgängen der Natur mit denen der Ökonomie und eine "Vernatürlichung" des Kapitalismus.
Die Nester, in denen im 11. Jahrhundert der Kapitalismus ausgebrütet wird, sind vor allem die sich dafür in eine geeignete Form entwickelnden Städte, und die zwei zentralen Triebkräfte, die ihn ins Leben rufen, sind die Nachfrage wohlhabender und weiterhin gewalttätiger Herren und das Warenangebot eines zunehmenden und sich in einigen Gegenden aus den Händen dieser Herren emanzipierenden Handels, der an immer mehr Orten mit Kapitalbildung beginnt.
Als Einnistung in einem weiteren Sinne lässt sich damit auch das begreifen, was Karl Marx in seinem radikalen Schematismus als Geburt des Kapitalismus im Schoße des Feudalismus bezeichnet hatte, und was man besser als in etwa zeitgleiche Entstehung neuer Machtstrukturen und zunehmendem Aufkommen von Kapital bezeichnen sollte, eben verbunden mit ersten Tendenzen hin zu einer im weitesten Sinne bürgerlichen Stadt.
Diese Entwicklung lässt sich im 11. Jahrhundert vor allem im nordwestlichen Mittelmeerraum zwischen Venedig, Amalfi, Marseille und Barcelona feststellen, während sie im Raum nördlich der Alpen zeitlich erheblich hinterher hinkt, und östlich des Rheins noch kaum überhaupt einsetzt.
Die zeitliche Einteilung in halbe oder ganze Jahrhunderte täuscht dabei eine Einheitlichkeit vor, die nur den Zwängen eines Textes geschuldet ist und die sich erst und nur in entfaltetem Kapitalismus als gemeinsame Gesetzmäßigkeit des Kapitals wird darstellen lassen.
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Das Land mit den Produzenten in sich langsam wandelnder Abhängigkeit und Untertänigkeit liefert den Reichtum der Herren, der sich auf dem zunehmend freieren Markt in Rüstungs- und Konsumgüter transformiert. Nicht zuletzt durch Unterdrückung und Gewalt angehäufter Reichtum der Machthaber vermählt sich mit den Versuchen unteradeliger Individuen, alternative Karrieren zu denen von privilegierten Kriegern und zugleich adeligen Rentenbeziehern zu entwickeln, möglichst ohne Gewalttätigkeit und mit zunehmend unternehmerischem Elan. Dabei sind die, welche mit Handel und Geldgeschäften zu prosperieren beginnen, zum Teil in jenen Zwischenschichten zwischen Adel und "einfachem Volk" angesiedelt, die wir als Ministerialen bezeichnen, und im nordwestlichen Mittelmeerraum beteiligen sich daran auch viele stattsässige Adelige.
Soweit das erheblich schematisierende Grundmodell, welches erst durch die Darstellung einer vielfältig differenzierten Wirklichkeit Qualität bekommt. Für das 11. Jahrhundert lässt es sich auf den nordwestlichen Mittelmeerraum zwischen der italienischen Halbinsel und Katalonien konzentrieren, darüber hinaus auf wenige Regionen nördlich davon: vor allem auf Bischofsstädte am Rhein, auf Flandern und wenige Gegenden des nördlichen (zukünftigen) Frankreichs.
Die Räume nördlich und nordwestlich Italiens können von dort aus nur mühsam mit Packtieren auf abenteuerlichen Gebirgspfaden erreicht werden. Nur wenig besser sehen die zentralen Pyrenäenübergänge aus. Während der langen Gebirgswinter werden sie fast undurchquerbar.
Kapitalbildung selbst gibt es darüber hinaus in dem ganzen Großraum, der außerhalb dieser europäischen Gebiete auch den noch islamischen Süden der iberischen Halbinsel, Teile der Nordhälfte Afrikas, den islamischen Orient und Teile Asiens bis nach China betrifft. Die nun zunehmenden Handelsbeziehungen dahin werden die Entstehung von Kapitalismus im christlichen Europa befördern, ohne dass sich dort dann aber daraus auch Kapitalismus entwickeln wird. Die Verhältnisse dort bieten ihm keine hinreichenden Möglichkeiten der Entfaltung.
Das alles muss weithin erschlossen werden und bestätigt sich oft erst im nachhinein. Es gibt kaum Zahlen über die Größe der über den Markt in die Kapitalbildung fließenden Reichtümer der Herren und genauso wenig über die Kapitalmengen, die Einzelne im 11. Jahrhundert und noch darüber hinaus anhäufen. Wir erfahren nur von Einzelfällen schwerreicher Handelsherren, die insbesondere in Italien beginnen, einen Teil des Adels an Reichtum zu überflügeln, und zwar dann, wenn sie Stiftungen und Schenkungen im kirchlichen Raum tätigen, die an die von manchen Bischöfen und höherem Adel heranreichen, oder wenn sie in der Lombardei beginnen, selbst in großem Umfang an (von Landbevölkerung bearbeiteten) Grundbesitz zu gelangen, oder wenn man zufällig einmal von ihrem Immobilienbesitz in Städten oder Krediten an große Herren liest.
Dabei handelt sich um einzelne Fernhändler und dann auch Finanziers vor allem, während lokale und selbst regionale Marktplätze vor allem von Bauern und Handwerkern, die ihre Waren feilbieten und von Krämern mit höchstens äußerst geringer Kapitalbildung, eher mit bestenfalls kleinen Rücklagen ausgestattet, beschickt werden. Das, was sich da einnistet und einwurzelt, beginnt erst langsam, zu einer bestimmenden Größe in jenem Geschehen zu werden, in welchem ihnen nach und nach ökonomische Macht zuwächst, bleibt aber am Rande jenes großen Geschehens aus kriegerischer Gewalttätigkeit, Mord, Totschlag und Unterdrückung, über das in den Geschichtswerken über das 11. Jahrhundert seit dieser Zeit im wesentlichen berichtet wird.
Und zur Erinnerung: Dort, wo dann in den nächsten Jahrhunderten aus Kapital Kapitalismus werden wird, befinden wir uns in sich gegenüber zurückweichender Natur ausweitenden großen Agrarlandschaften mit kleinen Städten von wenigen tausend Einwohnern und geistlichen und weltlichen Herren über Land und Leute, die miteinander um Macht und Reichtum konkurrieren und selbst über sich Herren bis hoch zu Königen haben, die wiederum miteinander konkurrieren und dabei in ihren Herrschaftsräumen noch wenig Kontrolle ausüben. Insofern bieten sich dem Kapital große, relativ freie Räume, die für seine Entfaltung noch weiter befreit werden, während sie sich für alle anderen im Verlauf des Mittelalters immer mehr schließen werden, bis sich an seinem Ende im deutschen Raum zum Beispiel in den nunmehr im heutigen Sinne gebrauchten Wörtern Obrigkeit und Untertan generalisierte Unfreiheit ausdrückt, die wesentlich in den neuartigen Städten erfunden wird.
Während sich immer mehr und größeres Kapital einnistet, begründet es im 11. Jahrhundert doch noch kaum institutionalisierte "bürgerliche" Macht. Die Machtverhältnisse "verbürgerlichen" nicht, aber sie verweltlichen. Die neuen weltlichen Teilhaber an der Macht sind weiterhin, von wenigen Ausnahmen wie in Venedig, Amalfi und Genua abgesehen, durch die Verfügung über Ländereien und darauf produzierende Menschen machtmäßig legitimiert.