ANHANG 11: SPÄTE KAROLINGERZEIT

 

Ludwig und seine Söhne

Das Westreich unter Karl ("dem Kahlen")

Das Mittelreich

Das Ostreich

Das Westreich bis Anfang des 10. Jahrhunderts

Bis zum Ende der Karolinger-Herrschaft im Ostreich

Italien unter den Karolingern

England im 8. und 9. Jahrhundert

Kirche in Franzien (Papsttum)

Kloster

 

Byzanz

Islamischer Orient und Nordafrika

Christentum und Islam in Spanien nach der Conquista

 

 

814 Tod Karls d.Gr. Nachfolger Ludwig der Fromme

817 Ordinatio imperii

819 Kaiser Ludwig heiratet Judith

831 Reichsteilung zugunsten von Karl

832 Aufstand der drei erstgeborenen Söhne gegen den Vater

838/9 Tod Pippins, Karl wird volljährig

840 Tod Kaiser Ludwigs

841 Sieg von Ludwig und Karl gegen Lothar bei Fontenoy

842 Straßburger Eide

843 Dreiteilungs-Vertrag von Verdun

855 Tod Kaiser Lothars

859 Angriff Ludwigs d.D. auf Karl d.K.

870 Vertrag von Meersen: Aufteilung Lothringens

877 Tod Karls des Kahlen

 

 

 

Ludwig und seine Söhne


813 ist von den legitimen Söhnen des inzwischen 65-jährigen Karl nur noch ein Ludwig übriggeblieben, der seit langem als eine Art Unterkönig für Aquitanien fungiert. "Herausgehoben wird in allen Quellen seine starke Religiosität, sein spiritueller Habitus und die von allen Zeitgenossen bereits beklagte Abhängigkeit von seinen geistlichen Beratern..." (Hägermann, Karl, S. 615)

Bei Ludwig ist die Vermutung entstanden, dass sein starker Geschlechtstrieb und seine "Frömmigkeit" in einem gewissen schuldbewussten Verhältnis stehen. (Vgl. Minois, Charlemagne, S.319). Mit 16 hatte er bereits zwei namentlich bekannte uneheliche Kinder. Sein Biograph (der "Astronom") wird später über seine erste Heirat schreiben:

Aus Angst, dass er nicht von der Heißblütigkeit seines Körpers mitgenommen werde und auf die vielfältigen und gewundenen Pfade der Ausschweifungen gezogen werde, nahm er nach dem Rat seines Gefolges als zukünftige Königin Irmingarde..., von edler Herkunft.


Auf einer Reichsversammlung im Herbst 813 akklamieren alle Großen dem Vorschlag des greisen Karls, Ludwig zum Kaiser zu machen. Und er fragte sie alle, ... ob es ihnen gefalle, dass er seinen Namen, das heißt den Namen des Kaisers, auf seinen Sohn Ludwig übertrage. So berichtet jedenfalls der Bischof von Trier.


Damit löst Karl das "Kaisertum" einmal von der Bindung an seine Person und, was eine mindestens genauso heftige Neuerung ist, von seiner Bindung an den Papst. Leo III. wird das zu korrigieren suchen, indem er 816, kurz nach Amtsantritt des "frommen" Ludwig nach Reims eilt, um dort die Kaiserkrönung zu wiederholen.

Die andere Bestimmung Karls wird die Bestätigung von Bernhard, dem Sohn des Karlssohnes Pippin, in seiner Rolle als Unterkönig für Italien.


Das Ende Karls 814 führt nicht zu einem kaiserlichen oder königlichen Begräbnis mit der Pracht und dem Pomp, mit dem später Herrscher beerdigt werden. Er wird wie jedermann gewaschen, in Tücher gehüllt, kurz aufgebahrt und dann einfach unter die Erde gebracht. Als Christ und doch noch etwas germanisch verwurzelter Franke der Zeit wird er im Tod wieder fast allen anderen ein wenig gleich, jedenfalls für einen Moment.

 

Ludwig: Reformen und "Säuberungen"
Den Beinamen "der Fromme" bekommt Ludwig später, weil er sich schon in Aquitanien mit einer neuen Welle von Kloster- und Kirchenreform verbündet hatte. Dass unter ihm das Reich Karls zerbrechen wird, ist aber weniger seiner Frömmigkeit geschuldet als eher der Tatsache, dass die Expansion nicht weiter vorangetrieben werden kann, weswegen die Bindung der großen Herren an die Krone nicht mehr durch kriegerische Erfolge und die Erwartung von Beute herzustellen ist. Stattdessen beginnt sich die Gewalttätigkeit dieses Adels nun nach innen zu wenden, und da Ludwig vier erbfähige Söhne hat bzw. haben wird, werden sich adelige Gefolgschaften an ihnen und der Tatsache orientieren, dass sie zu Konkurrenten werden, schließlich auch zu Konkurrenten des Kaisers, ihres Vaters.


Ludwig begreift sich nicht mehr wie sein Vater primär als "König der Franken" (rex Francorum et Langobardorum), sondern als christlicher Kaiser, imperator augustus. Ihm fehlt aber das Instrumentarium, um ein so - gemessen an seinen wenig entwickelten Strukturen - übergroßes Reich zusammen zu halten. Zudem wird sich sein eben auch zu diesem Zweck vom Vater übernommener kirchlich-monastischer Reformwille gegen ihn wenden, indem genau diese Kreise ihn übernehmen und für sich umdefinieren werden.

 

Nach dem Tod des Vaters schickt Ludwig ein Vorauskommando von Wala und mehreren Grafen nach Aachen, um seine Ankunft vorzubereiten. Offenbar findet dabei eine erste gewaltsame Säuberung mit Toten statt, und der neue König macht schnell deutlich, mit welcher Härte/Brutalität er seine proklamierte renovatio regni Francorum durchführen wird. Die Tötung eines der vorausgeschickten Grafen wird nach Unterwerfung des schuldigen Höflings mit Blendung beantwortet.

 

Der von Historikern so genannte Astronomus berichtet gleich für den Herrschafts-Antritt Ludwigs von Konflikten. Wala, der in höchstem Ansehen bei Karl gestanden hatte, wird unterstellt, etwas Verderbliches gegen ihn im Schilde zu führen, doch kam dieser schnell zu ihm und beugte sich in demütiger Unterwerfung, nach Sitte der Franken seiner Gnade sich unterwerfend. (so in: Althoff(5), S.157) Nachdem er sich unterwirft, tun die übrigen Großen aus dem Umfeld des Vaters desgleichen.

 

Regierungssitz bleibt Aachen, in dessen Nähe Ludwig ein Kloster für Benedikt von Aniane errichten lässt. Da der König sich hier zunächst überwiegend aufhält, verliert er wohl stärker den Kontakt zu den Regionen (Boshof). Die Kanzleichefs werden mit mehreren Abteien ausgestattet, der erste, Helisachar, erhält mindestens St.Aubin (Angers) und St. Riquier.

 

Er reformiert rabiater als sein Vater. Der Liederlichkeit bezichtigte Schwestern und die Prostituierten im Pfalzbereich werden laut Astronomus vom Hof verbannt.

 Die Konflikte nehmen zu. Eine ganze Anzahl einstiger Berater Kaiser Karls werden entmachtet. Adalhard, der Abt von Corbie, wird ins Kloster Noirmoutier auf einer Insel in der Loiremündung verbannt, der Bruder Wala verkriecht sich im Kloster Corbie, ein weiterer Bruder Bernhard, wird ins Kloster Lérins verbannt, seine Schwester ins Radegundiskloster nach Poitiers. Nicht besser ergeht es Theodulf von Orléans. Mit alledem entsteht eine latente Opposition.

 

Dafür soll Benedikt von Aniane, den Ludwig an den kaiserlichen Hof mitnimmt, die Klöster im Sinne einer Vereinheitlichung im Kaiserreich reformieren. 816 wird auf einer Aachener Synode die Regel Benedikts verpflichtend für alle Klöster und ein verbindlicher Kanon zu liturgischen Fragen wie zur Lebensführung des Weltklerus eingeführt, die 'institutio canonicorum Aquisgranensis'.  Der ordo canonicorum (für Kathedralklerus und Stiftskirchen) und ordo monachorum sollen klar geschieden werden, wobei die Eigenkirchen nicht betroffen sind. Das Ganze wird Reichsgesetz und soll von Königsboten überprüft werden. Alle diese Reformen werden ohne Einbeziehung des Papsttums durchgeführt.

 

Neben dem Königsschutz für Klöster taucht nun der für Bischofskirchen auf, mit dem Privileg der freien Wahl, aber ohne Einschränkung der königlichen Kirchenhoheit.

 

816 löst Papst Stephan den nach römischen Wirren gestorbenen Leo III. ab und lässt seine Untertanen einen Treueid auf den Kaiser ablegen. Er betont damit sofort das Bündnis mit dem Kaiser und bekundet Ludwig durch Gesandte, mit ihm zusammenkommen zu wollen. Er trifft sich im Oktober 816 mit Ludwig in Reims:

Vor der Stadt stiegen sie beide vom Pferd; der princeps warf sich dreimal mit dem ganzen Körper zu Füßen des höchsten Bischofs nieder und begrüßte, nachdem er das dritte Mal sich erhoben, den Papst (...) der ihn wiederum als zweiten König David anspricht und in der Kirche dann lauthals lobt. Jedenfalls behauptet das alles seine Papstvita.

Die Pippinsche Schenkung wird erneuert und der Papst setzt dem Kaiser eine Krone auf, die er mitgebracht hat, und salbt ihn. Die dominante Rolle des Kaiser dabei ist unübersehbar.

 

817 wird Nachfolger Paschalis die Bestätigung des teils erst noch zu erlangenden päpstlichen Herrschaftsbereichs Dukat von Rom, Exarchat von Ravenna, Pentapolis und Sabina gegeben, über das aber kaiserliche Oberhoheit bleibt.

 

Reformen gehen über den kirchlich-monastischen Bereich hinaus. Die wohl weiterhin erhebliche Korruption der königlichen Beauftragten soll z.B. eingeschränkt werden. Neben das Gottesurteil soll stärker der Zeugenbeweis treten, der nun für beide Parteien gilt. Und gegebenenfalls das königliche Inquisitionsverfahren.

 

Instabil wird die Lage für einige Jahre im Nordosten, wo sich die Abodriten mit den Dänen gegen das Kaiserreich verbünden. Basken und Bretonen müssen in Feldzügen erneut „unterworfen“ werden. An der spanischen Grenze finden kleinere Kämpfe statt.

 

Von Bernhard bis Attigny

Die früh festgelegte Erbfolge vom Juli 817 in der Aachener 'Ordinatio imperii' wird zu zukünftigem innerem Konflikt beitragen. Der älteste Sohn Lothar wird zum umgehend gekrönten Mit-Kaiser mit einem Zentralreich bis nach Italien, Pippin erhält vor allem ein Groß-Aquitanien und Ludwig ein nach Osten erweitertes Bayern. Letztlich wird die fränkische Erbteilung hier abgelöst durch das Primat der Reichseinheit. Die beiden jüngeren Söhne  sollen sich in einem gemeinsamen Reich als Unterkönige mit einer gewissen inneren Selbständigkeit dem Kaiser und seinem ihm untergeordneten Mitkaiser unterordnen, was ihnen auf Dauer schwerfallen wird (so Thegan von Trier).

 

Bernhard, dem vom "großen" Karl Italien zugesprochen worden war, fühlt sich ignoriert und lässt die Alpenpässe sperren. Als der Kaiser ein Heer aufstellt, unterwirft er sich.

Um diese Bewegung zu unterdrücken, heißt es in den Annales regni Francorum, bot der Kaiser augenblicklich aus ganz Gallien und Germanien ein großes Heer auf und beeilte sich, nach Italien zu ziehen. Da verzweifelte Bernhard an seiner Sache, zumal da er sah, wie seine Leute ihn täglich verließen; er legte die Waffen nieder und ergab sich dem Kaiser in Chalon-sur-Saône.

 

818 findet gegen ihn und seine Entourage ein Prozess statt, die Weltlichen erhalten die Todesstrafe, die Geistlichen Klosterhaft. Neffe Bernhard und seine wichtigsten Parteigänger werden dann zur Blendung begnadigt, die ersterer nicht überlebt. Er stirbt im April. Bischof Theodulf von Orléans muss ins Exil, Ludwigs drei Halbbrüder verschwinden hinter Klostermauern. Lothar wird nach Italien geschickt, wo er die Machtstrukturen stabilisieren soll.

 

Spätestens im Herbst 821, nach dem Tod Benedikts von Aniane, kommt es zu einer teilweisen Kehrtwende Ludwigs mit der Amnestie der Verschwörer gegen seine Ordinatio imperii.

Desweiteren schreibt er an die Großen im Reich eine 'Admonitio ad omnes regni ordines'. Darin ermahnt er Geistliche zu einem vorbildlichen Leben, Grafen und Vasallen zur Treue und die Laien vor allem zur Heiligung des Sonntags:

... dass jeder von euch an seinem Platz (locus) und in seinem Stand (ordo) Teil an unserem Amt (ministerium) habe, und speziell an die Bischöfe gerichtet, dass sie uns wahre Helfer bei der Ausübung unseres Amtes sind, damit wir nicht im Jüngsten Gericht für unsere und eure Nachlässigkeit verdammt, sondern eher für unserer beider guten Eifer belohnt zu werden verdienen. (in: Althoff(2) S.44)

 

Es kommt zu dem einmaligen Akt einer öffentlichen Bußerklärung Ludwigs auf einem Reichstag in Attigny 822.

Er legt ein Schuldbekenntnis ab und nahm für dies alles und für das, was er an seinem eigenen Neffen Bernhard gesündigt hatte (...), eine freiwillige Buße auf sich; was er nur irgendwo an Unrecht, von ihm oder seinem Vater begangen, ausfindig machen konnte, sühnte er überdies durch reiche Almosenspenden, durch inständiges Gebet der Diener Christi und durch eigene Buße. (in der Vita Hludowici des Astronomen, c.35, ähnlich in den Reichsannalen beschrieben).

 

Er unterwirft sich der von Kirchenvertretern gegen ihn verhängten Buße und zugleich legen viele hohe Kirchenleute, womöglich notgedrungen, ein eigenes Schuldbekenntnis ab.

 

Was für die einen wie den Astronomus religiöse Überhöhung des Kaisertums war, wird für die Gegner zum Zeichen von Schwäche. Unübersehbar zeigt sich aber hier die Macht der Bischöfe, die beginnen, eine Art geistliche Aufsicht über die Könige für sich einzufordern.

 

In einem Buch von Rabanus Maurus für Ludwig den Frommen wird ein Bild des Herrschers deutlich, wie es von diesem selbst wohl gewollt war. Christus wird da angerufen, dem Herrscher den Sieg zu verleihen, der ihn zur Krone des ewigen Lebens führen soll. Darauf wohl soll der Nimbus verweisen, der aber auch an den Kaiser Konstantin erinnern konnte, der laut frommer Legende im Zeichen des Kreuzes siegte, welches Ludwig wie eine Fahnenlanze hält, während die andere Hand auf dem Schild ruht. Damit steigert sich das Bild eines christlichen Kaisers, wie es Karl d.Gr. entwickelt hatte, noch einmal erheblich. (aus LHL, S.95ff)

 

823 zieht Sohn Lothar nach Rom und lässt sich auch von Papst Paschalis salben und krönen.

 

Opposition und Aufstand

818 war Kaiserin Irmengard gestorben. Laut Astronomus wird eine Brautschau, zu der man die Schönsten des Landes am Hofe versammelt. Ludwig wählt danach Judith, die Tochter des Grafen Welf. (Vita, cap.32) Er heiratet sie 819.

 

Vielleicht bereits unter ihrem Einfluss verschwinden einige Leute vom Hof und andere wie Bernhard von Septimanien, Graf von Barcelona steigen auf.

823 kommt für Kaiser Ludwig noch ein Sohn Karl dazu, für dessen Ausstattung Judith nun eintritt, so dass Thegan zu 829 schreiben kann:

Im nächsten Jahr kam er nach Worms, wo er seinem Sohn Karl, der von der Kaiserin Judith geboren worden war, das alemannische und rätische Land sowie einen Teil von Burgund übergab, dies in Gegenwart seiner Söhne Lothar und Ludwig. Sie ebenso wie ihr Bruder Pippin entrüsteten sich darüber. (cap.35)

 

Damit beginnen die Konflikte massiver zu werden, denn in den Regionalherrschaften wird durch Zuweisung zu den Kaisersöhnen die Macht der regionalen Magnaten geschwächt, die sich nun auf die aufkommende Opposition der übrigen Ludwigsöhne einlassen.

 

Inzwischen nehmen Reformforderungen einer erstarkenden hohen Geistlichkeit zu. Agobard beklagt, dass der Klerus der Eigenkirchen als allgemeine Dienstboten ihrer Herren herangezogen wird und dabei nicht einmal den Gottesdienst einigermaßen korrekt abhalten kann. Damit kommen Konflikte mit den laikalen Herren auf. Als Agobard dann den einflussreichen Höfling Graf Matfrid von Orléans wegen Korruption angreift, wird er isoliert. (Boshof(2), S.155) Der Kaiser muss lavieren.

 

Inzwischen ist ein neuer Versuch gescheitert, die Bretagne zu unterwerfen, und der Kaiser muss einen heimischen Dux einsetzen, mit dem die Verselbständigung der Bretagne weiter zunimmt.
827 schlägt Bernhard von Septimanien im Auftrag des Kaisers einen muslimischen Überfall und Aufstand in der Spanischen Mark nieder, die ein fränkischer Mächtiger zusammen mit dem Emir von Cordoba angezettelt hatte. Barcelona kann zwar verteidigt werden, aber das Umland wird verheert und dann mit Beute wieder verlassen.

Dann ist er in seinen Funktionen viel am Hofe, wo er regulär mit der Kaiserin zusammenarbeitet. Deshalb vielleicht und wegen der Nähe zum Sohn der Kaiserin wird ihm ein Verhältnis mit der Kaiserin Judith nachgesagt, was beide aber immer bestreiten. Eine solche Denunziation konnte von den Parteigängern der drei erstgeborenen Kaisersöhne ausgehen, die mit Judith auch ihren Sohn, einen neuen Konkurrenten, diffamieren wollen. Aber man weiß nichts genaues, jedenfalls wird Bernhard vom Kaiser aufgewertet zum secundus a rege und der Judithsohn soll Alemannien erhalten.

 

828 scheint Krisenstimmung aufzukommen, und die Kritik an Sittenverfall und Korruption nimmt zu. Manche Bischöfe scheinen aber auch über den Umfang  des Kirchenregiments des Kaisers besorgt.

 

Um 829/30 bildet sich auch um die Ereignisse bei Hofe deutlicher eine Opposition gegen Kaiser Ludwig, der ehemalige Getreue, aber auch Leute wie Wala angehören, der eine kirchenfreundliche Reformschrift schreibt und die Übergriffe der weltlichen Großen auf Kirchengut beklagt. Er wirft dem Kaiser unter anderem vor, Kirchengut an Laien zu vergeben und Bischöfe eigenhändig einzusetzen.

Längst ist Wala am Hof zurück und bei Paschasius Radbertus ist er Wortführer der Kritiker Ludwigs. Wala, nach der Thronbesteigung Ludwigs Mönch in Corbie, dem Kloster, welches der Kaiser Adalhard entzogen hatte, wurde insbesondere nachdem er die Nachfolge Adalhards als Abt angetreten hat, lauter in seiner Kritik am Kaiser. Vielleicht ist er der Autor der Dekretalen des (Pseudo-)Isidor, die die Macht der Kirche gegenüber der weltlichen Herrschaft stärken wollen und vielleicht auch Redakteur des 'Constitutum Constanini'.


Ganz anders und wahrscheinlich als sowohl mönchisch-religiöse wie machtpolitische Diffamierung gedacht, sieht das bei einem weiteren Zeitgenossen aus, dem Paschasius Radbertus, im Alter Abt von Corbie, der in einer Vita des Abtes Wala alle Register der Beschimpfungen zieht:

Kein Tag war von einem schlimmeren Schicksalsschlag gekennzeichnet als der, an dem der Halunke Bernhard aus Spanien zurückgerufen wurde, ein Elender, der alle Ehren wegwarf, die ihm von seiner Herkunft her zustanden. Wie ein Narr wälzte er sich in den Freuden der Gefräßigkeit. Wie ein verrücktes Schwein kam er daher; im Palast stellte er alles auf den Kopf, er ruinierte den Rat und schleuderte alle rechte und vernünftige Ordnung von sich. Er trampelte auf allen Räten, sowohl Klerikern wie Laien, herum und vertrieb sie. Er besetzte das kaiserliche Bett ... Der Palast wurde zum Bordell, von Schande und Ehebruch regiert, voller Verbrechen und durchdrungen von jeder Art von Hexerei und verbotenen schwarzen Künsten. Der Kaiser ging zu seiner Vernichtung wie ein unschuldiges Lamm. Diesem großen und gnädigen Kaiser wurde Unrecht getan von einer Frau, gegen die schon Salomon gewarnt hatte, und er wurde noch mehr getäuscht durch die Ränke eines Wüstlings, der ihn in den Tod trieb. (Nach: Thiébaux, Dhuoda, S.17)


Der Kaiser setzt darauf Reformsynoden an. Eine Synode von Paris 829 begründet mit der Zweigewaltenlehre des Papstes Gelasius I. die größere "Gewichtigkeit" des geistlichen "Schwertes", über das der König nicht richten dürfe und welches vielmehr die Aufgabe habe, über ihn zu urteilen. Dazu werden auch altjüdische Texte herangezogen.

 

829 setzt Judith durch, dass Sohn Karl Alemannien, Elsass, Churrätien und ein Teil Burgunds zugesprochen werden, die alle aus dem Bereich Lothars kommen. Lothar wird des Hofes nach Italien verwiesen, und mit der Berufung Bernhards von Septimanien, des Sohnes von Wilhelm von Toulouse, und zweier Brüder Judiths an den Hof scheint ein gewisser Machtwechsel einzutreten.

 


In dieser Zeit ist bereits der Aufstand der Ludwigsöhne in vollem Gange. In den Annales Bertiniani (für 830) wird die Katastrophe ausgehend vom Reichstag im Februar beschrieben, auf dem der Kaiser einen Feldzug gegen die Bretagne durchsetzen möchte:

Das ganze Volk (omnis populus) aber war erbittert über diesen Zug und wollte dem Kaiser wegen der Beschwerlichkeit des Feldzugs nicht folgen. Denn einige der Großen (ex primoribus), die diese missmütige Stimmung im Volk kannten, riefen es zusammen, um es von der dem Kaiser gelobten Treue abwendig zu machen, und so versammelte sich das ganze Volk, welches in die Bretagne ziehen sollte, in Paris. Auch forderten sie den Lothar und Pippin auf, jenen von Italien, diesen von Aquitanien aus mit Heeresmacht gegen den Vater zu ziehen, um ihm die Krone zu entreißen, ihre Stiefmutter zu beseitigen und Bernhard zu töten.(in: Quellen karolReichsgeschichte II)

 

Februar 830 flieht Bernhard nach Barcelona. Die Opposition fordert Lothar und Pippin auf, zu ihnen zu stoßen. Der Kaiser zieht ihnen mit einem Heer entgegen und wird von Grafen festgenommen.

 

Judith gibt auf und wird ins Kloster der Radegundis in Poitiers eingesperrt (Thegan / Annales Bertiniani). Sie soll ihren Gemahlin dazu bringen, das Gleiche zu tun (Astronom). Ihre Brüder werden in aquitanische Klöster eingewiesen. Der Kaiser ist unter Kontrolle der Aufständischen und soll dazu bewegt werden, selbst ins Kloster zu gehen. Frühjahr 830 wird Judiths Klosterhaft bestätigt, ein Bruder Bernhards wird geblendet, einige werden verbannt oder inhaftiert.

 

Wala, Erzkanzler Hilduin und der frühere Erzkanzler Helisachar zwingen Ludwig 830, die Ordinatio von 817 wieder einzusetzen. Lothar, wieder in seine früheren Rechte eingesetzt, übernimmt die Regierung.

 

Im Sommer 830 treten Kaiser, Pippin und der bayrische Ludwig in Kontakt, wobei letztere sich Vorteile erhoffen. Die Stellung des Kaisers verbessert sich.

Judith wird aus dem Kloster befreit, die sich dann offenbar mit einem Eid "reinigen" kann.

 

Februar 831 wird durchgesetzt, das Lothar die Mitkaiser-Rolle verliert. Er muss seinem Vater einen Treueid leisten und dann nach Italien gehen. Zudem muss er mit voller Härte gegen seine Mitverschwörer vorgehen. Wala wird verbannt.

 

Anfang 831 wird das Reich so geteilt, dass Karl ein erweitertes Herrschaftsgebiet erhält, während Lothar auf Italien beschränkt wird, was die drei Söhne aus erster Ehe gegen den Vater aufbringt. Damit ist die Gewährleistung der Reichseinheit gefallen und es bleibt Unzufriedenheit bei den Söhnen.

 

Bernhard, der zunächst nach dem fränkischen Spanien enteilt war, kommt im Herbst 831 an den Hof zurück, beschwört seine Unschuld und fordert die Verleumder (?) zum Zweikampf heraus, für den sich allerdings keiner meldet. (Thiébaux, Dhuoda, S.18)

 

Auf einer Reichsversammlung zu Aachen flieht Pippin, der sich bedroht fühlt. Kurz darauf marschiert (der bayrische) Ludwig in Alemannien ein, wird dann von einem kaiserlichen Heer bedroht und unterwirft sich. Wenig danach marschiert der Kaiser in Aquitanien ein und Pippin muss sich unterwerfen, wird festgesetzt und als Unterkönig abgesetzt. Karl erhält nun Aquitanien. Bernhard verliert Ämter und Lehen.

Kurz darauf kann Pippin fliehen und ein Feldzug gegen ihn scheitert.

 

Derweil entladen sich die Besorgnisse von Lothar und Pippin 832 im bewaffneten Aufstand gegen den Vater, dem sich dann auch Ludwig anschließt. Mit Lothar kommt Papst Gregor IV., gegen den sich kaisertreue Bischöfe wenden. Um diese Zeit beschuldigen sie Judith und Bernhard des Ehebruchs. Der Kaiser zieht den Söhnen 833 ins Elsaß entgegen, will in der Gegend von Colmar verhandeln, und dabei verlässt ihn der Großteil seines Heeres und seine Söhne nehmen ihn gefangen.

 

Judith wird von ihren Stiefsöhnen in ein Kloster in Tortona in Norditalien gesperrt, Ludwig unter Lothars Aufsicht gestellt, landet schließlich in St.Médard von Soissons (Annales Bertiniani), Karl im Kloster Prüm. De facto ist Lothar nun Kaiser. In Compiègne formuliert ein Bischofsgericht einen Sündenkatalog des Kaisers. In St.Médard wirft sich Ludwig laut Agobard vor den Bischöfen mehrmals nieder auf ein härenes Gewand, bekennt unter Tränen seine Schuld, legt seine Waffen und sein Obergewand ab und bekommt von den Bischöfen sein Büßergewand. Er zieht unter strenger Bewachung mit Lothar mit.

 

Herr Ludwig erschien also in der Basilika der heiligen Gottesmutter Maria (...) Vor zahlreichen Priestern, Diakonen und anderen Klerikern sowie seinem Sohn, dem Herrn Lothar, dessen Großen und dem vielen Volk, das in der Kirche Platz fand, warf sich Ludwig auf ein ausgebreitetes Bußgewand vor dem Holzaltar auf den Boden und bekannte vor allen Anwesenden: Das ihm anvertraute Amt habe er sehr unwürdig verwaltet, dabei habe er Gott häufig gekränkt, Christi Kirche habe er Ärgernis erregt und durch seine Gleichgültigkeit das Volk in alle möglichen Gefahren gebracht. Um diese schweren Vergehen zu sühnen, wolle er öffentlich Kirchenbuße leisten, damit Gott sich seiner erbarme und er durch die Amtsgewalt und die Hilfe jener Männer freigesprochen werde, denen Gott die Gewalt zu binden und zu lösen gegeben habe. (in: Althoff(3), S.58)

Dann löste er seinen Waffengurt und legte auch ihn auf den Altar, entledigte sich auch seines weltlichen Gewandes, wonach er aus der Hand der Bischöfe das Büßergewand empfing. Nach einer so großen und schweren Buße darf niemand mehr zu weltlichenm Dienst zurückkehren. (Soweit die Sicht der Bischöfe. In: Althoff(3), S.59)

 

Wieder werden ganz übliche hochadelige Verhaltensweisen kirchlich verurteilt, aber wieder nur in der Person des obersten Herrschers.

 

Die harte Behandlung des (Ex)Kaisers trifft zunehmend auf Ablehnung, insbesondere bei Sohn Ludwig und Hrabanus Maurus, dem Abt von Fulda. Als Lothar nicht nachgibt, bewegt Ludwig Pippin zur Opposition. Beide fürchten um ihre Macht, wenn Lothar seine kaiserliche Rolle gegen sie ausspielt. Pippin aus Aquitanien und Ludwig aus dem Osten rücken gegen Lothar vor, der erst nach Vienne und dann nach Italien flieht.

 

Derweil, so berichten die Annales Bertiniani für 834, ziehen Dänen ungestört nach Friesland, und sie verwüsteten einen Teil des Landes; dann zogen sie über Utrecht nach dem Handelsplatz Dorestad, wo sie alles verheerten, die Einwohner teils töten, teils als Gefangene fortführten und einen Teil der Stadt durch Feuer zerstörten. (in: QuellenkarolReichsgeschichte, S.25) Damit beginnen die Normannen-Überfälle. Den Franken fehlt weiter eine Flotte.

 

Aber die Dänen sind nicht gewalttätiger als fränkische Große. Als Lothar gegen seinen Vater zieht, kommt er nach Châlons, eroberte die Stadt, steckte sie in Brand und nahm die Grafen, die in der Stadt waren, gefangen; drei von ihnen ließ er hinrichten, die übrigen führte er gefangen mit sich fort; die Schwester Bernhards aber, eine Nonne, ließ er in ein Fass stecken und in der Saone ertränken. (s.o.) Solche Szenen werden sich durch das ganze neunte Jahrhundert ständig wiederholen.

 

Bald darauf wird Judith in Italien befreit. Im Sommer wird Lothar militärisch geschlagen. Er muss sich auf sein Unterkönigtum Italien zurückziehen.

 

In Diedenhofen bereiten dieselben Bischöfe, die die Absetzung Ludwigs betrieben hatten, nun die erneute zeremonielle Wiedereinsetzung vor. Sie entlassen den alten Ludwig aus der Buße, er bekommt Waffen und Amtsgewänder zurück und trifft sich mit beiden Söhnen.

Die Bischöfe müssen einen Rückzieher machen und begründen nun die neuen Machtverhältnisse, wobei sie und später Ludwigs Biograph Thegan den Erzbischof Ebo von Reims zum Haupt-Übeltäter der Handlungen von zwei Jahren zuvor hinstellen, um sich davon distanzieren zu können. Der Bischof wird eigens aus seinem Klostergefängnis Fulda herbeigeholt, bekennt dann seine Sünden und wird zur Abdankung gezwungen.

 

Kaiser Ludwig wird in der Kirche von Saint-Denis wieder eingesetzt, Judith wird aus dem Kloster zurückgeholt und der Kaiser zwingt Lothar, dessen Macht nun wieder auf Italien beschränkt ist, zum Treueeid:

Der Kaiser saß in seinem Zelt, das hoch aufgerichtet war in einem weiten Felde, wo ihn das ganze Heer sehen konnte, und seine getreuen Söhne standen neben ihm. Dahin kam Lothar und warf sich zu Füßen seines Vaters nieder, nach ihm sein Schwiegervater, der furchtsame Hugo. Darauf bekannten auch Matfried und die übrigen alle, welche Anstifter jener Tat gewesen waren, nachdem sie sich von der Erde erhoben hatten, dass sie schwer gefehlt hätten. Dann schwor Lothar seinem Vater Treue, dass er nach Italien gehen und dort bleiben und nicht von da fortgehen werde ohne Befehl des Vaters (Thegan, cap.55)

 

Im Metzer Dom wird Ludwig 835 erneut im Beisein der Söhne von sieben Erzbischöfen gekrönt (Annales Bertiniani).

Währenddessen überfallen die Nordmanni, wie sie diesmal in den Annalen von St.Bertin heißen, Dorestad erneut ungehindert, und werden das auch im nächsten und übernächsten Jahr wiederholen. Das wird den Kaiser nicht hindern, im Herbst in den Ardennen seinem Jagdvergügen nachzugehen.

 

Inzwischen hat mit den Kämpfen in der Karolinger-Familie die Macht der Adelsverbände erheblich zugenommen, die von principes geführt werden, und gegen die Herrschaft nicht mehr möglich ist.

Von 835-37 kommt es zu Verhandlungen über die Machtverteilung, um die alleine es den hohen Herren geht. Eine Aussöhnung mit Lothar und seinem Anhang scheitert. Als Ludwig einen Romzug plant, lässt Lothar die Alpenpässe sperren. Dann verliert er aber durch eine Seuche einen Großteil seines Gefolges.

 

Derweil überfallen Sarazenen Marseille, rauben viele Einwohner und verwüsteten die Stadt

 

837 überträgt der Kaiser Sohn Karl nun ein Gebiet zwischen Nordsee, Rhein und Seine bis Burgund, also fränkische Kernlande, macht ihn aber nicht zum Unterkönig. Der jüngere Ludwig nähert sich darauf Lothar an, und der Kaiser beschränkt ihn nun auf Bayern. Kurz darauf erhält Karl, mit fünfzehn nun volljährig, nach seiner Schwertleite Neustrien zwischen Seine und Loire dazu und in Quierzy die Königskrone. Damit ist ein neues Unterkönigtum geschaffen.

 

Der Versuch des jüngeren Ludwig, militärisch die rechtsrheinischen Gebiete zu sichern, scheitert daran, dass ihn die dortigen Stämme nicht unterstützen.

Gegen die zunehmende Macht des ostfränkischen Ludwig wendet sich der alte Kaiser laut Nithard an Lothar, um die Macht von Sohn Karl für die Zukunft zu erhalten:

Wenn er fernerhin des Vaters Willen gegen Karl aufrechterhalten wolle, solle ihm alles, was er bisher gegen jenen verbrochen hätte, verziehen und das ganze Reich mit Ausnahme Bayerns zwischen ihm und Karl geteilt werden. (in: Althoff(2), S.80)

 

Ende 838 stirbt Pippin. Der Kaiser teilt nun 839 das Reich erneut entlang einer Nord-Südlinie von Maas, Saône und Rhone, und Lothar entscheidet sich für den Osten. Der jüngere Ludwig wird dazu verpflichtet, Bayern nicht zu verlassen.

 

Ein Teil der aquitanischen Großen akzeptiert die neue Teilung nicht und erhebt den gleichnamigen Sohn Pippins (also den II.) zum König. Ein Feldzug des Kaisers scheitert im Spätherbst und er geht nach Poitiers zurück. Im Frühjahr gelingt es dem jüngeren Ludwig, die östlichen Stämme zu gewinnen und er marschiert bis Frankfurt. Der Kaiser marschiert mit einem Heer gegen ihn und schlägt ihn in die Flucht. Aber der Kaiser ist nun todkrank. 

Die Hoheit über Abodriten und Wilzen muss 839 erneut hergestellt werden. Ein mährisches und ein bulgarisches Reich entwickeln sich bedrohlich. Sarazenen setzen sich auf Sizilien fest. Wikinger fallen zunehmend von Norden ein, Sarazenen von Süden, die in Etappen Sizilien erobern, um dann nach Süditalien auszugreifen, und derzeit fallen mal wieder Sclavores von Osten ein. Die fränkische Königsherrschaft sichert weder den Frieden im Inneren noch nach außen dauerhaft.

840 stirbt Kaiser Ludwig auf einer Rheininsel, von wo er gegen seinen Sohn Ludwig in den Krieg ziehen will. Er wird in Metz begraben.


Der Weg nach Verdun

Lothar marschiert über die Alpen gegen Ludwig und Karl ins Reich mit dem Ziel der Alleinherrschaft.  Karl verlangt die Gefolgschaft von Bernhard und dessen Vermittlung bei Pippin, Bernhard zögert aber und versucht sich herauszuhalten. Derweil überfallen Wikinger Rouen und wüten dort.

Lothar versucht von Aachen aus die sächsischen Stellinger zum Aufstand zu bewegen. Danach zieht er von Sens nach Le Mans, überall mit Plünderung, Feuer, Schändung, Kirchenraub und Eideszwang wütend. (...) er nahm unbedenklich alles mit, was er von Schätzen finden konnte. (Annales Bertiniani für 841, auch in: QuellenkarolReichsgeschichteII, S.56f))

 

Juni 841 kommt es zum Gemetzel von Fontenoy und der Niederlage von Lothar.

In diesem Kampf wurde die Streitmacht der Franken so aufgerieben und ihr glorreiches Heldentum so geschwächt, dass sie fortan nicht einmal zum Schutz des eigenen Gebietes ausreichten, geschweige denn zu einer Erweiterung des Reiches. (Chronik des Regino von Prüm). Die Sieger ziehen nach Aachen und hielten am Tag nach ihrer Ankunft Beratung, was nun mit dem Volk und Reich (populus ac regnum) zu tun sei, welches der Bruder verlassen habe. (Nithard in: Althoff(2), S.81)

 

In Aachen beschließen beide, die Angelegenheit an die Bischöfe und Priester (s.o.) zu übergeben, die pflichtschuldigst einen Sündenkatalog Lothars anlegen.

Eine Synode dort 842 spricht das Reich den Brüdern Lothars zu.  Dann wird von beiden Königen ein Ausschuss der Großen eingesetzt, der das Reich teilen soll.

 

Lothar kämpft weiter, und in Mâcon bereiten die drei Brüder die Reichsteilung von Verdun vor. 842 treffen sich die Erben des West- und des Ostteils des Frankenreiches in Straßburg und schwören sich gegenseitig vor ihren Heeren Bündnistreue. Damit alle das verstehen, werden die Eide in den Volkssprachen geschworen, in fränkischem Althochdeutsch, wie es später heißt, und dem Romanischen, welches später Altfranzösisch heißen wird. Der Grund ist kein Gedanke an "ethnische" Teilung, sondern die des Lateinischen zum großen Teil nicht mächtige Öffentlichkeit der Veranstaltung.


Dies ist der Anfang des Eides für die Romanen: Pro deo amur et pro christian poblo et nostro commun salvament, d'ist in avant, en quant Deux savir et podir me dunat, mi salvarai... (Um der Liebe Gottes willen und das gemeinsame Heil der Christenheit und unseres Volkes, unterstütze ich von heute an, soweit mir Gott die Weisheit und die Macht gibt...- meinen Bruder Karl etc). Der Westfranke wiederum schwört so, dass ihn die Ostfranken verstehen: In godes minna ind in thes christanes folches ind unser bedhero gehaltnissi fon thesemo dage frammordes so fram so mir got geuuizci indi mahd furgibit so haldih thesan minan bruodher soso man mit rehtu sinan bruodher scal in thiu thaz er mig so sama duo indi mit ludheren in nohheiniu thing ne gegango the minan uillon imo ce scadhen uuerdhen.

Man sieht, dies ist nicht mehr Latein, aber noch kein Französisch oder Deutsch.

 

Derweil unterwirft König Ludwig die Sachsen durch Gewalt und Schrecken (vi atque terrore): er ließ hundertundvierzig köpfen, vierzehn am Galgen aufhängen, eine ungeheure Menge verstümmeln und keinen am Leben, der sich noch irgendwie gegen ihn auflehnte. (Annales Bertiniani in QuellenkarolReichsgeschichteII, S.59)


Karl (der spätere "Kahle") muss nachgeben und verhandelt mit seinen beiden Brüdern. Dezember 842 heiratet er Ermentrude. Zwei Monate später stirbt Kaiserin Judith.

An vielen Orten in ganz Gallien sind die Menschen gezwungen, aus Erde mit etwas Mehl vermischtes Brot zu machen, (...) während die Pferde der Verwüster Überfluss an Futter hatten. (Annales Bertiniani)

 

Eine Kommission aus je 40 Vertretern des Hochadels sammelt nun ein Verzeichnis von Rechten und Einkünften für eine gerechte Reichsteilung. Im August 843 wird die Einigung von Straßburg in Verdun auf Kaiser Lothar ausgedehnt, der ein Mittelreich zwischen Aachen und Rom erhält. Karl erhält das Land westlich von Schelde, Maas, Saône und Rhône, Ludwig das östlich von Rhein und Aare bis zu den Alpen. In den nächsten Jahren wird aber noch eine gewisse Einheit des Frankenreichs bei Beschränkung jeden Bruders auf seinen Teil gewahrt. 844 setzt der Papst einen apostolischen Vikar für Gallien und Germanien (zusammen) ein.

 

 

Hatte der große Karl Bischöfe wie Äbte einfach eigenhändig eingesetzt, so begann sich unter Ludwig dem Frommen die Vorstellung durchzusetzen, dass Abtswürde wie Bischofsamt königliche Benefizien seien, was dazu führt, dass sie ebenfalls den Akt der Kommendation durchlaufen müssen. "Wie bei der Übertragung eines Beneficiums erhält der Bischof bei seiner Amtseinsetzung ein Symbol seines Amtes; per baculum überträgt der König ihm die Bischofswürde." (Leiverkus in LHL, S.165, es handelt sich um den sogenannten Krummstab). Entsprechend stellen auch Bischöfe ein militärisches Aufgebot für ihren König.

 

Schritt für Schritt ändert sich derweil auch der Charakter der weltlichen Vasallität, indem sie sich mit einem Lehen verbindet. Das Beneficium wird dann zunehmend vom Vater auf den Sohn vererbt, wobei es unteilbar bleibt. Damit verlieren die Herrscher den Zugriff auf Krongut und damit auch auf die Treue ihrer Vasallen. Zum anderen neigen Vasallen im Laufe der Zeit dazu, sich an mehrere Herren zu binden, um möglichst viele Benefizien zu erhalten. So zieht bezüglich der Treuepflicht Konfliktpotential auf.

 

Ein weiteres Problem entsteht dadurch, dass kleinere Vasallen, insbesondere solche ohne Beneficium, durch größere mediatisiert werden, indem sie von diesen selbst in Vasallität gebracht werden. Zwischen König und Vasall kann so ein Herr treten, dessen Eigeninteressen bevorzugt zu beachten sind.

 

 

Das Westreich unter Karl ("dem Kahlen") und seine Beziehungen nach Osten

 

Die Reichsteilung von Verdun gibt Karl dem Kahlen dauerhaft einen geschlossenen Herrschaftsbereich im Westen, dessen Kern Westfranzien ist, der aber außerdem die Spanische Mark, Aquitanien, die Gascogne und Septimanien umfasst.

In Aquitanien brechen nach dem Tod Pippins I. 838 schwere Konflikte um die Nachfolge seines Sohnes Pippin II. aus. Der behauptet sich allerdings bis 852, als ihn Karl ins Kloster sperren kann.

 

Unter die potentes, die sich eigene Herrschaftsräume bewahren wollen, gehört auch Bernhard, Graf von Barcelona, Graf der spanischen Mark und Herzog von Septimanien, Gemahl der Dhuoda.

Er verbündet sich wie sein Vater mit Pippin II. von Aquitanien, der ihm die Grafschaft Bordeaux anvertraut. Juni 844 schlagen sie eine Armee König Karls bei Angoulême. Danach versucht er auch die Spanische Mark zu gewinnen und findet dafür 847 einen Verbündeten im Emir Abderrahman II von Cordoba, der ein Interesse am Niederschlagen maurischer Aufstände hat. 848 versucht er sein Erbteil Barcelona einzunehmen. Dabei wird er von seinen muslimischen Verbündeten im Stich gelassen und 850 bei Barcelona entweder erschlagen oder hingerichtet. Sohn Bernhard wird 886 sterben. Sein mutmaßlicher Sohn wiederum, Wilhelm von Aquitanien, wird das Kloster Cluny gründen.

 

Karl der Kahle kann sich im Westen wie seine Vorgänger nicht gegen den bretonischen Machthaber durchsetzen, der sich um 850 zum König krönen lässt und sein Reich auch als Kirchenprovinz konstituiert, in welcher er die von Tours abhängigen fränkischen Bischöfe ab- und bretonische einsetzt. Die Bischofstädte der von Karl ("dem Großen") eingerichteten bretonischen Mark, Nantes, Vannes und Rennes, bleiben aber romanisch und gallofränkisch geprägt, auch wenn Karl Nantes und Rennes an den bretonischen Herrscher abgibt. Dessen Reich wird besonders übel durch Normanneneinfälle mitgespielt. Herzöge und Grafen spielen die wesentliche Rolle bei ihrer Abwehr, es wird zu keiner Bischofsherrschaft kommen.

 

Im Kerngebiet des zweiten Karl wird die Macht der Bischöfe wie der weltlichen Großen von ihm bestätigt, so dass sie "auf diesem Wege eine sehr viel stärker auf der persönlichen Bindung an den Herrscher basierende als vom Amtsgedanken geprägte Machtstellung, die dem Ausbau einer eigenen Haus- und Territorialpolitik zustatten kam," erreichen. (Hageneier in LHL, S.71)  Einer dieser Bischöfe, Hincmar von Reims, erklärt den Vorrang der geistlichen vor der weltlichen Macht ähnlich wie der Gelasiusbrief: Insoweit ist die Würde der Bischöfe größer als die der Könige, weil die Könige von den Bischöfen zu ihrer königlichen Höhe geweiht werden (sacrare), die Bischöfe aber nicht von den Königen geweiht werden können. (in: Althoff(2), S.64)

 

Im Codex aureus von St. Emmeran verbinden sich im Herrscherbild Karls des Kahlen Prächtigkeit und christliche Überhöhung. Schultern und Kopf des Herrschers ragen in die himmlische Sphäre hinein, blau gefärbt wie der sichtbare Himmel und durch zwei Engel als der zugleich unsichtbare gekennzeichnet. Ein von vier antikisierenden Säulen getragener Baldachin überspannt Karl, und hinter ihm ist die Hand Gottes zu sehen, die hinunterzugreifen scheint auf die Krone des Herrschers. (in LHL S.99ff)

 

Karl mehr noch als die anderen karolingischen Herrscher bedarf dieser christlichen Begründung zur Durchsetzung seiner begrenzten Macht in Zusammenarbeit mit mächtigen Bischöfen. Aber angedeutet ist auch spätantikes Erbe, die Berufung nicht nur auf altjüdische, sondern zunehmend auch antik-römische Herrschergestalten.

 

Hinkmar (Ingmar) von Reims, einst als junger Mann am Hof Ludwigs des Frommen, beschreibt die Verhältnisse bei Hof als sehr alter Mann 881 in seiner 'De ordine palatii' folgendermaßen:

Die gute Leitung des Palastes und insbesondere die Aufrechterhaltung der königlichen Würde sowie das jährliche Verteilen der Geschenke an die höheren Krieger (außer jedoch der Nahrung und des Wassers für die Pferde) waren besondere Aufgaben der Königin und des camerarius (Kämmerer) unter ihr ... Sie kümmerten sich zu gegebener Zeit um die Vorbereitung künftiger gesellschaftlicher Ereignisse, damit nichts fehle, wenn es gebraucht würde. Die Geschenke an die verschiedenen Gesandtschaften standen unter der Aufsicht des camerarius, wenn der König nicht im besonderen Fall befahl, dass sich die Königin selbst zusammen mit ihrem camerarius damit befassen sollte. (Nach: Thiébaux, Dhuoda, S.15, Anm. 36)

Hinkmar ist lebenslang ein treuer Gefolgsmann Karls des Kahlen und wird dafür mit dem Erzbistum Reims belohnt.

 

847 beschließen die drei Frankenherrscher in Meersen Freundschaft, und dass ihre Söhne in ihren Reichen erbberechtigt seien, womit die Reichsteilung zementiert wird.

852 gelingt es Karl II. (dem "Kahlen"), Pippin II. in ein Kloster einzusperren. Auf Einladung aquitanischer Großer schickt Ludwig seinen Sohn Ludwig ("den Jüngeren") quer durch das Lothar-Reich dorthin. In den westfränkischen Annales Bertiniani heißt es: Die Aquitanier fielen fast alle von Karl ab und sandten an Ludwig, den König von Germanien, Gesandte nebst Geiseln, um sich seiner Herrschaft zu unterstellen

Als Ludwig anrückt, gelingt es Pippin II. zu entkommen, vielleicht mit Einverständnis Karls. Er kann sofort Scharen von Anhängern um sich versammeln, worauf Ludwig sich wieder zurückziehen muss. Die Probleme mit Aquitanien bewegen Karl den Kahlen dazu, dieses an den etwa achtjährigen Sohn Ludwig "das Kind" abzugeben, der sich aber nicht wird durchsetzen können.

 

Um 840 kam Robert ("der Starke/Tapfere") aus dem Rheingau an den Hof Karls ("des Kahlen") und wurde dort palatinus. Er beginnt systematisch Macht auszubauen. 853/56 übergibt der König Robert ("den Starken/Tapferen") ein missus-Amt gegen die Bretonen und Normannen, welches unter anderem aus Maine, Anjou und der Touraine gebildet ist. Er wird dann bald auch Laienabt von Marmoutier und St.Martin in Tours.

 

858/59 bietet eine Adelsgruppe um diesen Robert Ludwig ("dem Deutschen") die Herrschaft im Westen an. Es kommt es zu einem Vormarsch von diesem bis Orléans. Karl der Kahle muss sich zurückziehen und Ludwig führt sich mit Unterstützung weltlicher Großer in Orléans schon als Herrscher auch Westfrankens auf. Er nennt sich Rex in occidentali Francia. Darauf empört sich ein Großteil der westlichen Bischöfe unter Führung Hinkmars von Reims, und Ludwig muss 860 im Frieden von Koblenz klein beigeben.

Von allen drei Karolinger-Herrschern wird  bei Anerkennung der bestehenden Grenzen Frieden geschlossen, diesmal wieder auf Romanisch und Fränkisch-Germanisch. Neu ist die namentliche Erwähnung von 11 Bischöfen, 2 Äbten und 33 weltlichen Großen, die offenbar in die Beschlussfindung eingebunden werden und den Vertrag garantieren.

 

861 versöhnt sich der König mit Robert und übergibt ihm ein ducatus zwischen Seine und Loire.

862 erzielt Robert einen wichtigen Erfolg im Kampf gegen den Bretonenfürsten Salomon. Ludwig ("der Stammler") verbündet sich darauf mit Salomon und verwüstet Roberts Grafschaft Angers, wird aber dann von diesem verjagt, muss fliehen und unterwirft sich bald darauf seinem Vater. 865 erhält Ludwig dann Angers und Robert bekommt dafür die Grafschaften Auxerre und Nevers. Er fällt dann im folgenden Jahr im Kampf mit den Normannen. Hugo ("der Abt") erhält darauf die Markgrafschaft bis zu seinem Tod 886, worauf sie an den Robertiner Odo fällt, der sie als König gleich an Bruder Robert abgibt.

 

Raubzüge und Ansiedlungen der Wikinger bzw. Normannen, die immer rabiater werden, haben ihren Ursprung wohl unter anderem in deren erheblicher Fruchtbarkeit, einem wesentlichen Motor der Menschheitsgeschichte. Ihre Anfänge liegen in der aggressiven Mischung aus Händlertum, Räubertum und spezifischem Geschick. Die zunächst kurzen Raubzüge an den Küsten und dann auch flussaufwärts leben vom Überraschungseffekt und davon, dass die Räuber so schnell wieder verschwinden, wie sie gekommen sind. Es sind manchmal nicht einmal hundert, selten mehr als tausend Männer, die Städte erobern und ganze große Landstriche, meist von den Flüssen aus, und nach Vergewaltigung, Mord und Totschlag und Raub alles in Flammen stecken.

Mit der Verbindung von Raub, Vergewaltigung und Zerstörung entwickeln sie eine Aura des Schreckens, die überall dazu führt, dass man, um ihnen zu entkommen, und nachdem sie schon große Verwüstungen angerichtet haben, hohe Lösegelder zahlt.

In einem zweiten Schritt setzen sich die Normannen wie im Mittelmeer die sarazenischen Piraten an einzelnen Punkten der Küsten fest, die zunächst Stützpunkte für ihre Überfälle sind. Dort entwickeln sie aber schnell eine enorme Anpassungsfähigkeit an die zivilisatorisch Überlegenen, sofern sie die dort vorfinden. An den irischen Küsten gründen sie sogar die ersten dortigen Städte.

 

Im vor allem betroffenen westfränkischen Raum erweist sich, dass das Königtum des zweiten Karl gegenüber den Leiden der von normannischem Wüten Jahr für Jahr betroffenen Bevölkerung selten seiner Schutzpflicht nachkommt, da es einmal immer wieder mit der Aufrechterhaltung seiner Macht gegenüber den eigenen Großen und seinen fränkischen Nachbarn beschäftigt ist, andererseits, während mordbennende und raubende Nordmänner bis tief ins Innere seines Reiches vorstoßen, lieber seinem regelmäßigen Jagdvergnügen nachgeht, sich mit Luxus umgibt und regelmäßig Feste feiert. Wenn, dann sind es lokale Grafen oder die Einwohner selbst, die Gegenwehr leisten.

In den Annales Bertiniani für 866 fahren Nortmanni die Seine hinauf bis Melun. werfen angreifende Franken, darunter auch den diesmal aktiven König zurück, und kehrten auf ihren beutebeladenen Schiffen zu den Ihrigen zurück. Karl schloss mit diesen Normannen ein Abkommen, ihnen eine Summe von viertausend Pfund Silber zu zahlen, und legte, um diesen Tribut aufzubringen, eine Steuer auf das Reich. (in: Quellen karol.ReichsgeschichteII, S.155) Die Menschen werden so erst von den Normannen ausgeplündert und dann als Ergänzung auch noch von ihrem König. Und wenn die Mordbrenner wiederkommen, stehen sie erneut alleine da. Oft müssen die Einwohner von Städten sich dann selbst verteidigen.

 

Wenn man den Annalen folgt, dann verwüsten Heerzüge der christlichen Könige ihre Länder nicht weniger als Normannen oder Sarazenen. Es tauchen immer wieder Passagen wie diese auf:

Der westfränkische König Karl will sich 866 mit dem von seinen Söhnen bedrohten ostfränkischen König Ludwig treffen, und in Verdun erreicht ihn die Nachricht, der Vater habe sich wieder mal mit seinem Nachwuchs versöhnt. Karl bleibt ungefähr zwanzig Tage in Verdun, diese Stadt und ihre Umgegend wie ein Feind verwüstend (hostili more depraedans) und will sich mit Lothar treffen, der beabsichtigt, Gemahlin Theutberga aus der Ehe heraus zu diffamieren. Schließlich kam Karl auf dem Wege, welchen er vorher gezogen war, indem die Seinen die Gegenden, durch welche der Rückzug führte, verwüsteten (depraedantibus suis loca per quae redierunt), wiederum nach Reims und begab sich von hier nach Compiègne, wo er das Geburtsfest des Herrn feierte. (Annales Bertiniani in : QuellenkarolReichsgeschichteII, S.163)

Nur zwei Janre später heißt es in denselben Annalen: König Karl will die Ermordung eines Bischofs rächen und so zog Karl (...) in den Gau Bourges und hier wurde mit Plünderung der Kirchen, Bedrückung der Armen und Verübung jeglicher Schandtaten, sowie mit Verwüstung des Landes so viel Übles vollbracht, dass es der Mund nicht erzählen kann, wie ja auch der Hungertod vieler Tausende von Menschen als Zeugnis für diese Verheerung (depopulatio) bewiesen hat. Der Einzelfall lässt sich heute oft nicht historisch nachweisen, aber die Masse solcher Berichte spricht für sich, vor allem auch, da sie allemal nicht vollständig sind.

 

864 gelingt es Karl ("dem Kahlen"), nachdem er gegen seinen Sohn Karl ("das Kind") einmarschiert ist, Pippin II. wieder ins Kloster einzusperren und damit Aquitanien etwas mehr zu kontrollieren. "Das Kind" wird 866 sterben.

 

Von St. Denis aus versucht der König, seine Einkünfte, welche auf Karls Reich schwer lasteten, besser zu organisieren.

Er befiehlt, dass die Bischöfe, Äbte und Äbtissinnen ein Verzeichnis aller ihrer Lehen (honores), so viel jedes Hufen hätte, bis zum 1. Mai einreichen; die herrschaftlichen Vasallen sollten aber die Lehen (beneficia) der Grafen und die Grafen die Lehen der Vasallen verzeichnen und auf dem Reichstage die Liste der Häuser vorlegen.( Annales Bertiniani)

 

Als Lothar II. erbenlos stirbt, marschiert Karl im Mittelreich ein und lässt sich von Hincmar in Metz salben und krönen. Nachdem dann der militärische Versuch, sich nach Lothars Tod ganz Lothringen einzuverleiben, scheitert, erhält Karl im Vertrag von Meersen 870 den Westteil des Mittelreiches.

 

Im Süden setzt Karl seinen Schwager Boso ein, der sich 879 von einer Versammlung der Großen zum König von Provence-Burgund ausrufen lässt.

Das ursprüngliche Burgunderreich verschwand in dem merowingischen Teilreich und dieses wiederum im karolingischen Herzogtum (ducatus) Burgund bei unterschiedlichen Grenzen. Nach 843 steht es wohl unter der Oberhoheit des Grafen von Autun, der Mitte des Jahrhunderts neben der eigenen Grafschaft auch die von Mâcon, Chalons und Dijon kontrolliert. 879 folgt Boso, der das Gebiet zusätzlich zu seinem südlichen Machtbereich übernimmt, dann aber den westfränkischen Teil Burgunds an seinen Bruder Richard verliert. Er begründet dann das westfränkische Herzogtum Burgund in neuen Grenzen und mit dem Zentrum Autun. Gegen Ende des Jahrhunderts hat er auch Langres, Sens und Troyes gewonnen.

 

Hugo, der Sohn der Waldrada König Lothers II., wird nach Kämpfen geblendet und im Kloster zu Prüm eingesperrt.

 

Karl der Kahle schreibt an Papst Hadrian II. einen Brief, in dem (seine) Souveränität religiös begründet wird:

Er ist jemand, der zum Titel und der Würde eines Königs durch die Gnade Gottes gelangt ist. Und: Ich, von Gott eingesetzt, mit einem zweiseitigen Schwert ausgestattet, um am Bösen Rache zu üben und die Unschuldigen zu verteidigen (…) Ihr wisst, dass Christus gesagt hat: "Durch mich herrschen die Könige".(in Audebert/Treffort, S.17)

Anders ausgedrückt: der Jesus radikaler Jenseitigkeit dient weiter als Begründung zur Unterdrückung der Massen durch die christlich gewendete Macht weltlicher Herrscher.

 

875 stirbt auch der italienische Kaiser Ludwig II.; Karl der Kahle eilt mit einem Heer nach Italien und erobert sich die Kaiserkrone aus der Hand von Papst Johannes VIII., der ihn eingeladen hatte.

 

876 entlädt sich die Ablehnung der Großmacht- und Italienpolitik Karls II. durch den westfränkischen Adel bei andauernder Normannengefahr in einer Versammlung in Ponthion. Karl kann sich der Normannengefahr nur noch durch Tributzahlungen erwehren, die er auf sein Reich umlegt. Dennoch beschließt er auf einen päpstlichen Hilferuf gegen die Sarazenen noch einmal einen Heerzug nach Italien, und der Regentschaft des Sohnes Ludwig ("des Stammlers") werden vorher enge Zügel angelegt.

Zudem verfügt Karl im Kapitular von Quierzy vor seiner Abreise, dass im Falle des Todes eines Grafen während der Heerfahrt der Sohn in das Amt (honor) und die Benefizien und Lehen des Vaters eintreten soll, genauso ist es auch in Bezug auf unsere Vasallen zu machen. Damit ist in einem eng beschränkten Fall die Erblichkeit des Lehens offiziell geworden, was sich bald auf alle großen Lehen ausdehnen wird. 

 

Der ostfränkische Karlmann eilt mit einem größeren Heer Karl ("dem Kahlen") entgegen. Als der aus seinem Reich Verstärkung anfordert, verweigern sich dort die Großen. 877 stirbt er auf der Flucht.

 

Das Mittelreich

 

Zwischen West- und Ostfranzien liegt das Mittelreich Lothars, "das sich von Rom über die Provence und Burgund bis an die Nordsee erstreckt." (Althoff, S.12) Lothar überlässt Italien seinem Sohn Ludwig (II.) und bleibt selbst nördlich der Alpen. 844 erreicht Ludwig die päpstliche Anerkennung. 850 macht Lothar den Sohn  zum Mitkaiser, wofür der inzwischen nach fünfzig Jahren wieder der Mitwirkung des Papstes bedarf.

 

855 stirbt Kaiser Lothar und teilt vorher sein Reich gegen alle Abmachungen, aber nach fränkischem Recht unter seinen drei Söhnen auf. Ludwig II. erhält Italien und wird Kaiser, Provence und Bourgogne gehen an Karl, der ganze Norden fällt an Lothar II., also das Gebiet, welches später Lotharingien heißen wird und viel später nach dessen Reduktion auf einen kleinen Bereich Lothringen. Nun ist das Frankenreich in fünf Teile geteilt, das Kaisertum basiert auf Italien, und Lothar ist damit wieder zur alten fränkischen Erbteilung zurückgekehrt.

 

Der Lothar II. des nördlichen "Lothringen" lebt zunächst mit der concubina Waldrada zusammen, von der er Sohn Hugo und drei Töchter hat. Er heiratet dann 855 eine Markgrafentochter Theutberga, die kinderlos bleibt, weshalb er sie mit der Beschuldigung, sie habe Unzucht mit ihrem Bruder getrieben, verstößt. Er kehrt zu Waldrada zurück. Theutberga kann sich durch Gottesurteil "reinigen". Anfang 860 wird er auf Synoden unter Leitung der Erzbischöfe von Trier und Köln geschieden, wobei Theutberga offenbar ziemlich brutal ein Geständnis (ihres Inzestes) abgenötigt und sie dann ins Kloster gesperrt wird.

Hinkmar von Reims und der Papst verurteilen die Annullierung der Ehe mit Theutberga als illegal. Theutberga kann nach Westfranken entfliehen und wendet sich an den Papst.

862 gelingt es Lothar, auf einer weiteren Synode seine Ehe annullieren zu lassen. Nun heiratet er Waldrada:

Lothar, durch Zauberkünste, wie es heißt, verhext, und von blinder Liebe zu seinem Kebsweibe Waldrada getrieben (...) krönte diese seine Beischläferin und nahm sie förmlich als Ehegattin und Königin an. (Annalen von St. Bertin)

 

Auf einer nächsten Synode 863 werden päpstliche Legaten dazu gebracht, anzuerkennen, dass die ursprüngliche Beziehung zu Waldrada eine rechtsgültige Ehe gewesen sei. Das wiederum wird von Papst Nikolaus zurückgewiesen, der die Synode laut dem Annalisten von St. Bertin ein Hurenhaus nennt (prostibulum). Theutberga geht ins Exil ins Westreich.

865 muss Lothar II. Theutberga wieder aufnehmen und Waldrada verstoßen. Im folgenden Jahr soll viel Geld Theutberga dazu gebracht haben, den Papst aufzusuchen und um Auflösung der Ehe selbst zu bitten. Im selben Jahr 867 vergibt Lothar das Elsass an Hugo, seinen Sohn von der Waltrada. (Ann.Bert.)

 

All das benutzen Karl der Kahle und Ludwig von Ostfranken 867 in Metz zu Absprachen über eine Teilung von Lothars II. und Ludwigs II. Reichen.

 

869 stirbt Lothar II. in Italien, wo er mit dem Papst vergeblich über seine Ehe verhandelt. 870 gelingt dem ostfränkischen Ludwig und dem westfränkischen Karl die Aufteilung des nördlichen Lotharingiens im Vertrag von Meersen, nachdem alle drei Söhne Kaiser Lothars gestorben sind. An den Osten fällt der Ostteil mit Metz, Trier, Köln und Aachen, an Karl den Kahlen Gebiete von Friesland über Lüttich, das Maastal bis nach Toul und die Regionen um Lyon und Vienne. Damit sind die alten Teilgebiete Gallien, Germanien und Italien fast wieder hergestellt, letzteres unter Ludwig II., der allerdings keine männlichen Erben hat.

 

König Arnulf gibt Lotharingien an seinen Bastardsohn Zwentibold, 895 reserviert er es für seinen spätgeborenen Sohn Ludwig ("das Kind").

 

 

Das Ostreich

 

Zentrum des Ostreiches bleibt Bayern mit dem Hauptort Regensburg und dem zentralen Raum Mainz/Frankfurt. Von hier aus herrscht Ludwig ("der Deutsche") seit 843 alleine als rex Germanorum. Dabei hat er wenig Einfluss auf den Norden dieser Germania, wo nun die Liudolfinger aufsteigen.

Tatsächlich hat sich, wohl nicht nur durch Zufälle der Geschichte, ergeben, dass unter seiner Herrschaft nur germanisch sprechende Völker leben. Mit ihm beginnt die Orientierung des Ostreiches auch nach Osten, vor allem erst einmal seit 846 gegen die Mähren, gegen die er mit den Böhmen verbündet ist.

 

853 laden ihn westfränkische Große gegen den westfränkischen Karl ein und er schickt im folgenden Jahr seinen Sohn Ludwig ("den Jüngeren") dorthin, der sich dann aber vor dem aus dem Gefängnis geflüchteten Pippin II. zurückziehen muss.

858 laden ihn erneut westfränkische Große ein, und er stößt bis in die Gegend von Orléans vor, scheitert dann aber an der von Hinkmar von Reims angeführten Gegenbewegung. 860 verspricht man sich bei Koblenz Frieden.

 

Schon 858 beginnt Sohn Karlmann sich abzusetzen, und 863 zieht sein Vater mit einem Heer gegen ihn und inhaftiert ihn dann für mehrere Jahre. 866 möchte der jüngere Ludwig laut Annalen von St.Bertin einen Aufstand im Bündnis mit Slawen durchfühen, der im Ansatz scheitert. Abgesehen von seinen Söhnen kann sich der König gegenüber dem Adel problemlos durchsetzen, wobei er mit Mainzer Erzbischöfen als Kanzlern regiert.

 

866 teilt Ludwig ("der Deutsche") sein Erbe auf: Karlmann soll Bayern und angrenzende Marken erhalten, Ludwig ("der Jüngere") Thüringen, ein neu definiertes Franken und Sachsen, Karl III. ("der Dicke") Alemannien und Churrätien, am Ende auch das Elsass.

Nach dem Tod Lothars fällt Karl ("der Kahle") in Lothringen ein, aber ein Teil der dortigen Mächtigen tendiert zu Ludwig, so dass es 870 zum Teilungsvertrag von Meersen kommt. Maas, Obermosel und Sâone bilden in etwa die Grenze.

 

871 und 873 kommt es zu Aufständen der Söhne Karl und Ludwig gegen den Vater, vor allem weil Ludwig sich gegenüber Karlmann benachteiligt fühlt. Der Vater kann auch den letzten  zu seinen Gunsten beilegen kann. Irgendwann in dieser Zeit heiratet der jüngere Ludwig Luitgart, die Tochter des Grafen Liudolf.

 

Bis zu seinem Tod 876 bleibt der Versuch der Unterwerfung des langsam christianisierten großmährischen Reiches wechselvoll und wenig erfolgreich. Dann wird es aber bald von den Ungarn überrannt.

 

 

Das Westreich bis Anfang des 10. Jahrhunderts

 

Westfranzien zerfällt nach und nach in regna, die von mächtigen Herrscherdynastien regiert werden, die die königlichen Rechte und Machtvollkommenheiten wie die Ernennung der Grafen und die Verfügung über die Kronvasallen an sich gezogen haben: Franzien/Neustrien, Bretagne, Burgund, Aquitanien, Gascogne, spanische Mark.

 

Unterhalb dieser hohen principes, Fürsten, kristallisieren sich ab dem letzten Viertel des 9. Jahrhunderts vor allem kleinere Machthaber heraus. In Aquitanien werden nach und nach aus den (Groß)Grafschaften der Auvergne, vom Poitou, dem Bordelais und dem Toulousain Herzogtümer. Bernhard ("Plantevelue") erwirbt sich dann die Oberhoheit in einem Großteil Aquitaniens.

 

Balduin II., ein Enkel Karls des Kahlen und Gegner der Robertiner, erbt 879 Grafschaften um Gent und weitere Regionen, bis 899 kommt er an eine große Grafschaft Flandern aus romanisch und germanisch Sprechenden.

 

König des Westreiches ist der letzte überlebende Sohn Karls des Kahlen, Ludwig ("der Stammler"), der sofort Probleme mit den Großen seines Reiches bekommt: 

Als Ludwig in Orville den Tod seines Vaters erfuhr, suchte er sofort möglichst viele für sich zu gewinnen, indem er Abteien, Grafschaften und Güter verlieh, wie jeder forderte. (...) Als er hörte, die Großen (primores) des Reiches, sowohl Äbte wie Grafen, seien empört, weil er ohne ihren Konsens einigen Lehen gegeben hatte, und sie hätten sich deshalb wider ihn verschworen, ging er nach Compiègne. Diese Großen aber kamen (...) alles verwüstend, was auf ihrem Wege lag, nach dem Kloster Avenay, beriefen eine Versammlung der Ihren nach Montaimé und entsandten von da ihre Abgeordneten an Ludwig, der ebenfalls seine Gesandten an sie schickte. (Annales Bertiniani in:QuellenkarolReichsgeschichteII, S.255f)

 

Erst nach längeren Verhandlungen und Konzessionen wird Ludwig gekrönt. Ihm macht dann nicht nur seine Behinderung zu schaffen, sondern auch zunehmende Krankheit. Inzwischen werden die Sarazenen in Süditalien so stark, dass der Papst ins Westfrankenreich flieht. 879 stirbt Ludwig. Boso von Vienne lässt sich in Lyon zum König krönen, was dazu führt, dass Ludwig III., Karlmann und Karl III. im Herbst 880 Vienne belagern und 882 die Stadt erstürmen, wobei Boso zwar fliehen kann, aber nun aller Macht beraubt wird.

 

Schon während der Nachfolgekonflikte in Westfranzien kamen auch noch die Normannen jenseits des Meeres, da sie von dieser Uneinigkeit hören, auf ihren Schiffen in ungeheurer Menge über das Meer gefahren und verwüsteten erst Flandern und dann ganz Brabant  und setzen sich über Winter in Gent fest, während die Könige wie meist anderweitig sich beschäftigen. (Annalen von Sint Vaast, auch in: QuellenkarolReichsgeschichteII, S,295f)

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880 erhält der im Westen einmarschierte Ludwig ("der Jüngere") im Vertrag von Ribemont auch den Westteil von Lotharingien. Das Westreich wird in Amiens geteilt. Die von Gauzlin angeführte Adelspartei erhält die Francia und Neustrien mit König Ludwig III., die Partei von Hugo ("dem Abt") erhält Burgund, Aquitanien und Gothien mit König Karlmann. Königs-Sohn Karl III. ("der Einfältige") kann von anderen erst einmal nicht durchgesetzt werden.

 

Normannen dringen 880/81 wieder tiefer ins Inland der Frankenreiche ein. 881 zieht ihnen der König dann endlich erfolgreich entgegen, was laut den Fuldaer Annalen für 882 aber zu demütigenden Tributzahlungen Karls führt, von welchen der Regensburger Bericht dazu neben fröhlichem Miteinander mit dem gerade getauften Normannen Gottfried berichtet, dass es Geschenke (...) in Gold und Silber 2080 Pfund oder etwas mehr, das Pfund zu zwanzig solidi gerechnet, gibt. (in; Althoff(5), S.102)

Das hindert Normannen aber noch 882 nicht daran, plündernd und mordend bis Trier vorzustoßen. Im Jahr darauf geht dieser Gottfried ein Bündnis mit Hugo, dem Sohn Lothars III. gegen Karl III. ein, gegen den sich auch Heribert von Vermandois wendet.

 

Der westfränkische Karlmann spricht 884 zu seinem Gefolge über die Normannenplage:

Soll man sich wundern, dass die Heiden und fremden Völker Herr über uns werden und unseren zeitlichen Besitz wegnehmen, wo doch jeder von uns mit Gewalt seinem Nächsten das Lebensnotwendige entreißt? Wie sollen wir mit Zuversicht gegen unsere und der Kirche Feinde kämpfen, da wir doch in unserem eigenen Haus das den Armen geraubte Gut aufbewahren und da wir doch ins Feld ziehen, den Bauch vollgeschlagen mit Geraubtem. (übersetzt aus Riché, S.301)

Das Unheil von außen entspricht den zu schwachen Bindekräften im Inneren, die sich als Lasterhaftigkeit, Sündhaftigkeit erweisen. Der Topos von den grausamen Normannen wird bestehen bleiben und in Süditalien und bezüglich Siziliens durch den von den tyrannischen Normannen noch ergänzt werden.

 

878 gelingt es Boso, ein Königtum in der Provence zu etablieren, gegen das 881 der west- und der ostfränkische Herrscher gemeinsam und eher erfolglos ziehen.

 

Der Ostfrankenherrscher Karl III. ist nach dem Tod von Karlmann ab 885 auch Herrscher im Westfrankenreich. Er kann nicht verhindern, dass die Normannen 885/86 bis nach Paris vordringen und es ein Jahr lang belagern, bis er dann heran rückt und die Normannen mit großen Geldern zum Abzug bewegt, worauf sie Burgund verwüsten. In den Annales Vedastini heißt das: ihnen wurde freier Weg gelassen, um im Winter Burgund zu plündern. Als Strafe für Gottfrieds Handeln lässt Karl ihn ermorden. (Chronicon des Regino von Prüm für 885)

 

Karl III. begütert den Grafen Odo von Paris mit Gebieten in Neustrien und an der Loire. Dann gelingt es ihm 887, vor seinem Tod 888 nicht mehr, seinen Wahlerben durchzusetzen. Es folgt der Robertiner Odo (den die Franzosen Eudes nennen). Regino von Prüm berichtet: Nach dem Tode des Kaisers lösen sich die Reiche, die seinem Gebote gehorcht hatten, da sie eines gesetzmäßigen Erben entbehrten, aus ihrem Verbande in Teile auf (...), ein jedes schickt sich an, sich einen König aus seinem Inneren zu wählen. Mit der Beschränkung Arnulfs auf Ostfranken wird die Reichsteilung nun endgültiger.

 

Mit der "Wahl" König Odos, des ältesten Sohnes von Robert ("dem Tapferen"), in Compiègne kommt damit 888 ein erster Nicht-Karolinger auf den Königsthron. Robert I. wird im selben Jahr Graf von Paris.Er eilt erst mit mäßigem Erfolg nach Aquitanien und dann nach Norden gegen die Normannen, die nach ihrer Gewohnheit, ohne auf Widerstand zu stoßen, Burgund, Neustrien und einen Teil Aquitaniens mit Feuer und Schwert verwüsteten. (Annales Vedastini) Erst eine Hungersnot im Frankenreich bringt sie dazu, 892 ganz abzuziehen. (s.o.)

 

Bis zu seinem Tode gibt es Kämpfe mit dem Karolinger Karl. Odo baut die Macht seiner Familie aus, verzichtet am Ende aber auf die Thronfolge des Sohnes Robert, so dass der Karolinger Karl 898 folgen kann, der den weiteren Machtausbau der Robertiner und anderer Fürstengeschlechter hinnehmen muss. Aus dem Aquitanier Bernhard wird so der princeps, dux et marchio, ähnlich halbsouverän wird das westfränkische Burgund unter Richard, sowie Neustrien unter König Odos Bruder Robert. 

 

Derweil erobert sich Berengar, ein Enkel Ludwigs des Frommen, die italienische Königskrone. Nach dem Tod Widos und seines Sohnes erkämpft sich Ludwig von der Provence 900 gegen Berengar den Kaisernamen, um fünf Jahre später von diesem überwältigt und geblendet zu werden.

 

 

893 wird im Westreich der dreizehnjährige Karl ("der Einfältige") zum König gekrönt, um ein Königtum des allzu mächtig gewordenen Sohnes Roberts, Odo zu verhindern. Folgende Passage aus den 'Annales Vedastini' zu 897 macht aber die Machtverhältnisse deutlich: Indem den Gesandte ihn- und hergingen, kam Karl zu Odo. Dieser empfing Karl gütig, gab ihm soviel vom Reich, als ihm angemessen schien, stelle ihm noch mehr in Aussicht und entließ ihn darauf wieder nach Hause. (in LHL, S.86) Kurz darauf stirbt Odo kinderlos und Bruder Robert bescheidet sich mit der ererbten Macht.

 

Der Karolinger Karl ("der Einfältige") wird nach Einvernehmen der Fürsten in Reims erneut inthronisiert. Er ist darauf bis 922 westfränkischer König. Sein Königreich ist allerdings in regna zerfallen (Neustrien, Bretagne, Burgund, Aquitanien, Gascogne, Spanische Mark), von denen er eine direkt kontrolliert, die Francia um Paris, seine Krondomäne, wie Historiker das später nennen werden. Die übrigen regna fallen den Erben der karolingischen „Reichsaristokratie“ des Westens zu, „einige zehn Familien als Nachfahren von alten Grafen“, von denen „rund zehn unter ihnen über mehrere pagi verfügen.“ (Audebert/Treffort, S.22. Aus dem pagus wird das französische pays.)

Immerhin siegt Karl über die Normannen und er siedelt sie dann 911 an. Es gelingt ihm, sich zumindest nominell zur Oberherrn über Lothringen zu machen. 

 

In den Fuldaer Annalen heißt es:

Viele kleine Könige in Europa oder im Reiche Karls steigen empor. Berengar machte sich zum König in Italien, Rudolf aber beschloss, Hochburgund für sich in der Art eines Königs zu behalten. Ludwig, Bosos Sohn, und Wido nahmen sich vor, das belgische Gallien imd die Provence wie Könige zu haben. Odo nahm das Land bis an die Loire und die aquitanische Provinz für sich in Anspruch. Hiernach wollte Ramnulf als König gelten.

 

Richard ("Justiciarius"), der die Wurzeln für ein neues Burgund schafft, stammt aus vornehmem Haus. 880 wird seine Treue zu den westfränkischen Königen mit dem Titel eines Grafen von Autun belohnt. Darauf führt er mit ihnen Krieg gegen seinen Bruder Boso, der sich in Niederburgund und der Provence hat zum König ausrufen lassen.

Seit etwa 887/888 ist Richard verheiratet mit Adelheid, einer Schwester des transjuranischen Dux und späteren Königs Rudolf I. aus der Familie der Welfen. Seine Frau bringt ihm die Grafschaft Auxerre als Mitgift in die Ehe ein. Richard unterstützt weiter die legitimen Karolinger gegen die Robertiner, erobert Nevers und wird von den Grafen von Châlons und Dijon als Oberherr anerkannt. Nach 892 bei nun etwas größerer Nähe zu König Odo kommen Langres, Sens und Troyes dazu.

Parallel zu diesen Eroberungen gelingt es ihm, ab 888 immer wieder die Normannen zurückzuschlagen, was seinem Renommée enormen Auftrieb gibt.

Seit 895 bezeichnet sich der Graf von Autun als princeps von Burgund, seit 918 als dux. Sein Sohn und dann dessen Bruder Hugo der Schwarze folgen ihm.

 

Derweil begründet Schwager Rudolf ein Königreich Hochburgund. Richard immerhin darf ab 918 den Titel eines Grafen und Herzogs von Burgund führen.

 

Ganz am Rand ist das Königreich der Bosonen mit dem Zentrum Provence, wo Graf Ludwig, der Sohn des Grafen Boso, 888 König wird. 900 lässt er sich in Pavia zum König von Italien krönen, obwohl das schon Berengar war. 901 wird er in Rom Kaiser neben dem mehr oder weniger legitimen Berengar. Ab 905 überlässt der nach Höherem strebende Boso die Regentschaft Hugo von Arles.

Ebenfalls 888 lässt sich der Welfe Rudolf I. in Saint-Maurice d'Agaune von den Großen zum König von Burgund wählen. Sein Sohn Rudolf II. kontrolliert Hochburgund bis zur Saône. Als Hugo von Arles sich Italien zuwendet, erhält er von ihm die Provence.

 

893 begibt sich Wilhelm (bald) von Aquitanien ("der Fromme", 898-918) in ein Bündnis mit dem Grafen von Autun und König Odo gegen Karl den Einfältigen, wofür er Saint-Julien de Brioude im Bereich der Diözese von Autun als Eigenkloster erhält, also dort Laienabt wird. Der Graf der Auvergne, Markgraf von Gothien und Abt nennt sich von nun an (spätestens 898) dux, was die Könige aber zunächst nicht anerkennen.

Mit der Gründung von Cluny 910 markiert der Dux Wilhelm von Aquitanien nun seine Selbständigkeit. Die Grafschaft Toulouse wird er allerdings genauso wenig kontrollieren können wie die Gascogne unter Garcia Sanchez und das um 922 verselbständigte Katalonien.

 

Um 910 gelingt es dem künftigen König Robert, Richard von Burgund und dem Grafen von Poitiers, den Normannen bei Chartres eine deutliche Niederlage zuzufügen. Der normannische Anführer Rollo denkt offenbar deshalb über Sesshaftigkeit für seine Scharen nach.

911 akzeptiert der westfränkische Herrscher die dauerhafte Ansiedlung der Normannen in der zukünftigen Normandie in einer in Westfranzien eingegliederten Grafschaft mit dem Hauptort Rouen. Das Grenzgebiet zwischen der Krondomäne und der Normandie, der pagus Veliocassinus, später Vexin, wird in einem Teil fränkisch und in einem normannisch. Nach 911 nennt sich die neue Herrscherdynastie der Normandie princeps. Ein Jahr nach der festen Ansiedlung lässt sich der Anführer Rollo mit einem Teil seines Gefolges taufen. 924 kommen die normannisch besiedelten Gebiete von Le Mans und Bayeux dazu. 940 sind die städtischen Normannen bereits vielerorts romanisiert, um 1000 sind sie es vollständig.

Die Normannengefahr verschwindet in den nächsten Jahrzehnten von den Küsten und zum Beispiel der Loiremündung.

 

 

Das Ostreich bis zum Aussterben der Karolinger

 

Königslandschaften sind die, in denen Könige den meisten Besitz, die meiste Macht und das größte Gefolge haben. In Ostfranken ist das bis ins 10. Jahrhundert vor allem das Rhein-Main-Gebiet. In Westfranzien wird es immer mehr die Île de France. Daneben entwickeln sich im Ostreich Metropolitan-Landschaften um zentrale Erzbistümer, deren mächtigstes Mainz wird, an zweiter Stelle erscheint dann Köln.

 

876 stirbt Ludwig II. ("der Deutsche"). Die drei Söhne müssen sich nun des Übergriffes von Kaiser Karl II. erwehren, der ihnen Ost-Lotharingien bis zum Rhein wieder wegnehmen möchte. Ludwig ("der Jüngere") übernimmt aufgrund von Karlmanns Erkrankung bald dessen Herrschaftsraum in Ost-Lothringen. Er gewinnt nach einem Sieg über Kaiser Karl II. in der Schlacht bei Andernach 876 den Ostteil des nunmehrigen Lothringens für Karlmann zurück.

Bei Nördlingen beschwören die drei ihr Bündnis in ostfränkisch-germanischer Sprache. Karlmann erhält freie Hand für Italien und gibt die Mark Kärnten an den vorehelichen Sohn Arnulf ab, Ludwig erhält Ostlothringen bis auf das Elsass, welches nun Karl (III.) zufällt.

 

 

Hugo ("der Abt") lädt Ludwig ins Westfrankenreich ein, und 880 entsteht daraus der Vertrag von Ribemont, mit dem ganz Lothringen an das Ostreich fällt. Danach belagern der westfränkische mit dem ostfränkischen Ludwig und dem ostfränkischen Karlmann das Vienne des selbsternannten Königs Boso.

 

Der andere Bruder Karl ("der Dicke") 880 schafft es, von Papst Johannes VIII. als Karl III. zum König von Italien und 881 zum Kaiser gekrönt zu werden. Kurz darauf wird Ludwig ("der Jüngere") mit dem krankheitsbedingten Tod Karlmanns 880 unter Umgehung des voehelichen Arnulf von Kärnten Alleinherrscher im Osten.

 
In dieser Zeit steigen die drei Familien auf, die unter sich in Zukunft das Königtum des Ostreiches ausmachen werden: Die Babenberger, die Konradiner und die Liudolfinger (später: Ottonen).

 

882 stirbt Ludwig ("der Jüngere") und Karl III. beerbt ihn. Derweil fallen die Normannen immer heftiger an Rhein und Mosel ein, wo sie die Städte in Schutt und Asche legen. Im Winter 881/82 werden Lüttich, Aachen, Köln, Trier und andere Städte von ihnen verwüstet.

882 stirbt der westfränkische Ludwig III., und der westfränkische Karlmann beerbt ihn. 884 stirbt auch dieser und es bleibt nur Karl III. übrig, unter dem das ganze Franken-Reich 885 noch einmal vereinigt ist. Er versucht, in zahlreichen Feldzügen auch Italien wieder zu kontrollieren. 

 
Schon 887 wird Arnulf zum ostfränkischen König gewählt.

Als die Großen des Reiches sahen, dass nicht nur seine Körperkraft, sondern auch sein Verstand ihn (Karl) verließ, holen sie aus eigenem Antriebe Karlmanns Sohn Arnolf in die Regierung, fallen in einer plötzlichen Verschwörung vom Kaiser ab und gehen um die Wette zu besagtem Mann über, schreibt Regino von Prüm in seiner Chronik.

 

Arnulf ist Karolinger in der weiblichen Linie, Bastard von Karlmann, der seinem Bastardsohn Zwentibold ein Königreich Lothringen überträgt.

 

891 wird als Gegenspieler Berengars Wido von Spoleto zum Kaiser gekrönt, was Bände über den Verfall des Titels spricht. 892 salbt Papst Formosus dann den Berengarsohn Lambert ebenfalls zum Kaiser. Zweimal tritt Arnulf gegen Berengar und seinen Sohn an, und 896 gelingt es ihm, Rom zu erobern, und der Papst macht auch ihn zum Kaiser. Tatsächlich teilen sich aber Berengar und Lambert die Macht in Italien.

 

Immerhin gelingt es Arnulf, 891 bei Löwen über die Normannen zu siegen, was ihre Einfälle ins Ostreich beendet. 895 setzt er Sohn Zwentibold in ein Königreich Lothringen ein, zu dem auf dem Papier auch Burgund gehören soll. Im Schreiben zur Synode von Tribur von 895 wird das Gottesgnadentum des ostfränkischen Königs betont, dessen Ausmaß erst von der Reformkirche der zweiten Hälfte des elften Jahrhunderts beschnitten werden wird.

Arnulf ist der Fürst, der durch den rex regum (Gott) allen kirchlichen und weltlichen ordines und dignitates vorangestellt sei; dessen Herz die Glut des Heiligen Geistes entflammen und zum Eifer für die göttliche Sache entbrennen wolle, damit die ganze Welt erkenne, dass er nicht vom Menschen und durch den Menschen, sondern von Gott selbst erwählt worden sei. (in: Althoff(2), S.91)

 

Zwentibold verbündet sich mit dem westfränkischen Karl III. gegen Odo. Schon 899 verbünden sich die Spitzen der Konradiner mit lothringischen Großen zum Sturz Zwentibolds und Arnulfs. Die lothringischen Großen schaffen es, sein (Unter)Königtum 900 wieder zu beseitigen. Die Konradiner bilden eine Art Regentschaft zusammen mit den Bischöfen (Hatto) von Mainz, Augsburg und Konstanz für Arnulfs kränkelnden siebenjährigen Sohn Ludwig IV. ("das Kind").

Der Bischof von Konstanz anlässlich der Erhebung Ludwigs zum König 900:

Wenige sind unter den unsrigen einträchtigen Sinnes; alle hadern, der Bischof, der Graf und die Dienstmannen; untereinander kämpfen Mitbürger und Stammgenossen, das Stadtvolk murrt, auch in den Städten tobt der Aufruhr ... Wenn die Zerissenheit eines Volkes groß ist, glaubst du, das Reich, deshalb gespalten, könnte bestehen?. (deutsch in: Jussen, S. 83)

 

903 verleiht Ludwig dem Konradiner Gebhart (Kebehart) den Titel dux regni quod al multis Hlotarii dicitur (bis 910). Lotharingien bleibt aber zwischen den dortigen Adelsfamilien umkämpft. 908 wird Burchard von Thüringen egregius dux genannt wie Konrad von Franken 910. (Guillot/Favreau, S.75) Danach taucht der Herzogstitel für Lothringen erst wieder unter Heinrich I. für Giselbert auf.

 

Die Liudolfinger bleiben abwartend am Rande und sehen auch zu, wie die Konradiner zusammen mit Bischof Hatto von Mainz die Familie der Babenberger brutal vernichten. Das wird ihnen 919 die Königswürde einbringen. (Hageneier in LHL, S.83f)

In gerade dieser Zeit fallen die Ungarn fast jährlich in den zukünftigen deutschen Landen raubend und mordend ein und siegen zum Beispiel 910 bei einer Schlacht bei Augsburg. Die Zentralgewalt im Ostreich löst sich völlig auf. 911 unterstellen sich die lothringischen Großen dem westfränkischen König.

 

911 stirbt Ludwig das Kind kinderlos. Damit verschwinden die Karolinger als dem Ostreich. Es kommt zum kurzen Intermezzo mit König Konrad I. 

 

Auch indem es keine Herrscher vom Format Karls d.Gr. gibt, fällt alles auseinander bzw. in sich zusammen. Dies liegt daran, dass es keinen Staat gibt, sondern ein Bindegeflecht persönlicher/personaler Beziehungen, dessen Zentrum und Gipfel ein Herrscher sein muss. Wenn das nicht mehr funktioniert, sind in der Deutung der Zeit fehlende Sittlichkeit oder Moral schuld, es ist also das falsche persönliche Verhalten des einzelnen. Erst deutlich nach der Jahrtausendwende werden Institutionen von konkreten Personen gelöst, zunächst als Vorstellung, und viel später in rechtlicher Form.

 
Während die Normannen langsam sesshafter und friedlicher werden, sieht sich Ostfranken dem nächsten Sturm aus den asiatischen Steppen gegenüber: Den Ungarn, die Oberitalien und Bayern plündernd durchziehen.

 

Sie kommen wie Hunnen und Awaren ursprünglich aus den Weiten Nordasiens. Anfang des 9. Jahrhunderts lassen sie sich zwischen Don und Donau nieder, und ziehen dann mit etwa einer halben Million Menschen unter dem Druck der Bulgaren und von Byzanz nach dem heutigen Ungarn.

Sie sind Reiterkrieger, die als erstes das Reich der Mähren vernichten, und dann für etwa 150 Jahre in schnellen Raubzügen durch Italien und die beiden Frankenreiche Beute machen.

 
Ohne handlungsfähigen König gerät das Ostreich dabei immer mehr in die Hand regionaler Großer: Der Welfen, der Konradiner, der sächsischen Liudolfinger, der Babenberger. Ähnlich ergeht es dem westfränkischen Karl. Ihm gelingt es aber, 911 den Normannenhäuptling Rollo vom Plündern abzubringen, worauf der das Christentum annimmt und sich fest mit seinen Leuten in der Normandie niederlässt.

 

Ein Zeitalter geht zu Ende, als 919 von den östlichen Großen der Sachsenherzog Heinrich zum "König der Franken und Sachsen" gewählt wird. Mit dieser Zäsur ist der Einstieg in eine zukünftige "deutsche Geschichte" erreicht, und damit zerteilt sich der Kern des lateinischen Abendlandes in zwei Herrschaftsbereiche, welche die zukünftigen Deutschen und Franzosen umfassen, die bis 1945 gegeneinander um Macht und Einfluss kämpfen werden, - mit dem direkten Ergebnis der weitgehenden Zerstörung Deutschlands und dem indirekten des Absinkens Frankreichs zu einer immer unbedeutenderen Macht in der Welt. 


Die Ansätze einer auf Schriftlichkeit beruhenden höfischen Kultur und einer Hofhaltung bei Karl d.Gr. verschwinden bei den Ostfranken im 9. Jahrhundert fast völlig. Bis zum ersten Sachsenkönig im 10. Jh. werden stärker wieder germanische Strukturen in neuem Gewand sichtbar.

 

Kirche in Franzien

 

Die Verklammerung von Kirche und Macht erreicht, wie schon einmal in der Endphase des römischen Reiches einen neuen Gipfelpunkt mit der Annäherung karolingischer Herrscher und der Päpste, also der römischen Bischöfe, die ein geistliches Primat über die „katholische“ Kirche beanspruchen, und endet in der päpstlichen Kaiserkrönung Karls.

 

Darunter besteht eine Bischofskirche, die "geistliche" Macht mit der weltlichen eines großen Grundherren mit seiner abhängigen Bevölkerung und mit Ansätzen von Herrschaft über die oft nicht mehr weiter verfallenden Städte zunächst in Konkurrenz mit einem Grafen"amt" verbindet. Weltliche Grundherrschaft wiederum kontrolliert Kirche in ihrem Bereich, errichtet bescheidene Kirchengebäude als Pfarren und bestellt Pfarrer dafür, die in der Regel kaum dafür ausgebildet sind. Auch von Grundherren gestiftete Klöster geraten unter ihre weltliche Kontrolle.

 

Mit dem Verfall der kaiserlichen Zentralgewalt unter den Kindern und Enkeln des großen Karl wird die Kirche als Klammer und Ordnungsfaktor noch wichtiger. Benedikt von Aniane vertritt eine von Ludwig dem Frommen unterstützte Klosterreform, die die Klöster im Reich vereinheitlichen soll, und mit der Institutio canonicorum Aquisgranensis (Aachener Institution) von 816 soll so etwas im kaiserlichen Sinne auch für die Kirche erreicht werden.

 

Vorbild für die nun erneut verlangte vita communis ist Augustinus, der schon in seinem Elternhaus in Thagaste und dann als Bischof von Hippo mit seinen Klerikern in einer Art klösterlicher Gemeinschaft lebte.

Regularkanoniker, auch Augustiner-Chorherren genannt, legen ein Gelübde auf ihr Domstift (Hochstift) oder Kollegiatstift (Niederstift) ab und wählen unter den beiden überlieferten Augustinusregeln entweder die maßvollere Version Praeceptum / ordo antiquus oder der strengeren Observanz folgend die Version Ordo monasterii / ordo novus aus. Ein so oder ähnlich einheitlich geregeltes Leben wenigstens des hohen Domklerus in Ehelosigkeit, Gemeinschaft und kirchlichem Gemeineigentum soll also nun durchgesetzt werden, um Kirche auch im Interesse weltlicher Herrschaft zu stabilisieren. Das gelingt aber nicht überall und auf Dauer.

Vielmehr geraten die Kirche und das Kloster in den gewalttätigen Wirren des neunten Jahrhunderts immer mehr in Abhängigkeit von fürstlichen und kleineren weltlichen Herren, deren Schutz sie bedürfen, dabei gleichzeitig von ihnen bedroht.

Unter Ludwig werden Bistümern und Klöstern sowohl Immunität garantiert, wie auch königlich-kaiserlicher Schutz erklärt. Es gilt offiziell freie Bischofs- und Abtswahl, wobei der König ein Bestätigungsrecht hat und Treue einfordert. (Angenendt). Auch die Klöster sind zum Gebet für den Herrscher und zum Kriegsdienst verpflichtet. Historiker sprechen von einer "Reichskirche".

 

Die Autorität Karls ("des Großen") über die Kirche schwindet nun ausgerechnet unter jenem Sohn Ludwig, der als "der Fromme" in die Geschichtsbücher eingehen wird. In seinem Fürstenspiegel für Ludwigs Sohn Pippin, 'De Institutione Regia', rekurriert der einflussreiche Jonas, Bischof von Orléans, bereits wieder auf die gelasianische Zweischwerter-Theorie:

Da das geistliche Amt eine solche Autorität besitzt, und eine solch gewichtige Entscheidungsmacht, dass sie für die Könige selbst vor Gott Rechenschaft abzulegen haben, ziemt es sich, was sage ich, ist es nötig, dass wir uns ständig mit eurem Seelenheil befassen und das unsere wachsamen Ermahnungen euch hindern zu irren – Gott schütze euch davor - (…) Das königliche Amt ist ganz besonders das, das Volk Gottes mit Billigkeit und Gerechtigkeit zu regieren (...) In der Tat, der König muss zuallererst der Verteidiger der Kirchen und der Diener Gottes sein. (Nach dem Französischen in Audebert/Treffort, S.18))

 

Zugleich bleibt Jonas aber ein treuer Anhänger Ludwigs, wie er zum Beispiel auf dem Konzil von Paris 829 beweist. Als ein solcher weist sich auch Hinkmar aus, der 822 zur Ausbildung an den Hof Ludwigs des Frommen zu Aachen geschickt wird. Er wird Vertrauter des Kaisers und danach Vertrauter des westfränkischen Königs Karls des Kahlen und als solcher 845 Bischof von Reims.

 

882 richtet er kurz vor seinem Tod an den westfränkischen König Karlmann in Quierzy einen als 'Admonitio Hincmari ... ad episcopi et ad regem Karolomannum' betitelten Text, der als 'De ordine palatii' in die Geschichtsschreibung eingehen wird. Der erste Teil ist eine Art Einleitung, in der die königliche Gewalt nicht zuletzt im Verhältnis zur geistlichen dargestellt wird:

So möge denn der Herr König begreifen, zu welchem Amte (officium) er aufgestiegen ist, und er möge hören auf die warnende Mahnung des Königs der Könige, der ihm ebenso wie anderen Königen sagt: „Und nun, ihr Könige, habt Einsicht, lasst euch belehren (…) Wie daher der selige Papst Gelasius im Brief an Kaiser Anastasius aus der heiligen Schrift zeigt, und wie auch in den Akten der kürzlich beim Märtyrergrab der hl. Macra gefeierten Synode enthalten ist, sind es zwei, von denen (...) diese Welt hauptsächlich regiert wird: die geheiligte Autorität der Priester und die königliche Gewalt.

Es folgt dann, dass die Bischöfe Aufseher (episcopoi) seien. Aufgabe der Aufseher ist es, dem ihm anvertrauten Volk (populo) durch Beispiel und Lehre unablässig zu verkünden, wie es zu leben hat. (Kap.III) Schließlich heißt es: Es gilt, Gott mehr (zu) fürchten als menschliche Satzung.

 

Außer auf Papst Gelasius bezieht sich Hinkmar für die Rolle von geistlicher und weltlicher Gewalt auf die kurz zurückliegenden Synode von Firmes (April 881), die er maßgeblich beeinflusst hatte.

 

In 'De ecclesiis et capellis' wird das in einen großen Zusammenhang gestellt: Wahrlich, Christus ist das Haupt der Christenheit, und die Kirche, die der Körper Christi ist, setzt sich aus zu Engeln gewordenen Heiligen, den lebenden und den toten Christen, zusammen. Derart sieht man, dass sie den Körper bildet, der die unterschiedlichen Glieder vereinigt. (in Audebert/Treffort, S. 70)

Der Himmel reicht so, wie dann auch bei Herrscherdarstellungen des 11. Jahrhunderts, bis auf die Erde hinunter, und vermittels der Kirche leben die noch irdisch Lebendigen und die auferstandenen Toten und die, die noch der Auferstehung harren, in einer Gemeinschaft zusammen.

 

 

Die Bindung der kirchlichen an die weltliche Macht gibt der Kirche nicht nur den Doppelcharakter einer totalen Macht über die Welt-Konstrukte, die sich Menschen machen, sondern zugleich einer enormen sehr weltlichen Macht durch ihren riesigen Besitz an Grund und Boden samt der Verfügung über die darauf arbeitenden Menschen. Diese doppelte Macht wird von Anfang an mit allen Mitteln verteidigt und erweitert.

Voraussetzung dafür ist im Frankenreich seit Chlodwig die unumschränkte Kontrolle über den gesamten kirchlichen Beamtenapparat und seine gerade aktuelle religiöse Korrektheit. Da Evangelien wie Apostelgeschichte und Paulusbriefe etwas anderes hergeben als das, was die Kirche dann vertritt, ist die Geschichte der lateinischen Christenheit auch immer eine der Unterdrückung derjenigen, die meinen, sich der kirchlichen, also bischöflichen Autorität nicht unterwerfen zu müssen. Ein Beispiel dafür liefern die wie alle anderen kirchenhörigen Xantener Annalen für 867:

Zwei Priester benahmen sich in Mönchstracht in Sachsen, obwohl unerfahren, weil man ihnen Verehrung zollte, wie Männer von ungemeiner Heiligkeit, so dass sie bei allen Bischöfen und Priestern dieser Provinz den Eindruck größter Heiligkeit erweckten. Denn sie führten beide zusammen zuerst in Heuchelei ein Einsiedlerleben. Aber hernach, als der Geist der Zwietracht zwischen sie trat, trennten sie sich voneinander, suchten jedoch entlegene Behausungen auf und rühmten sich immerfort, sogar Engelserscheinungen gesehen und Zeichen (signa) getan zu haben. Und es strömte zu ihnen eine große Menge dieses Volkes, sowohl Reiche wie auch andere, die ihnen verschiedene Geschenke brachten. Den einen rafft dann dank Gottes Klugheit der Teufel hinweg, der andere wird unter dem Vorsitz des Mainzer Bischofs überführt und widerlegt und seiner Stellung entsetzt. (in: Quellenkarol.ReichsgeschichteII, S.359)

Beide haben sich zweier Arten von Ungehorsam (laut Text) schuldig gemacht: Sie sind als Priester in verdächtiger Weise viel zu fromm und entziehen damit Leute dem alleinigen Zugriff der Kirche, indem sie sich ihr selbst entziehen, und sie lenken mögliche Spenden auf Wege jenseits der Kirche. Der totalitäre Zugriff der Kirche(n) auf die Menschen wird denn auch erst zwischen dem 18. und 20. Jahrhundert verschwinden.

 

Dieselben Annalen beschreiben für 871 einen vom östlichen König Ludwig gegen den zum ehebrecherischen Lothar haltenden Bischof von Köln eingesetzten Willibert folgendermaßen: (...) der war nicht aufgeblasen, kein Jäger (venator), kein Heuchler, kein Mietling und mit Lohn gedungener, sondern durch schwere Not gezwungen und begabt mit jeder geistlichen Bildung. (s.o., S.367) Das aber ist implizit ein Bild, welches zu dieser Zeit viele Bischöfe abgeben und auch in den nächsten Jahrhunderten abgeben werden.

 

Kein Wunder, wenn Menschen stillschweigend ihnen jene heilsbringenden magischen Kräfte und ihre geheimnisvolle Vermittlertätigkeit hin zu Gottes Allmacht manchmal nicht abnehmen. Dabei bedürfen sie ihrer unter Bedingungen der Schrecken von Fehde und Krieg sowie einer "Natur", die in Krisenzeiten nicht einmal mehr die damaligen (geringen) Menschenmassen ernähren kann, insbesondere, wenn es keine hinreichende kulturelle Einbettung in diese "Natur" mehr gibt. So heißt es in den Xantener Annalen zu 873, bevor der Schreiber die Feder ganz aus der Hand legt:

Mitte August erhob sich die alte Plage der Ägypter,, d.i. ein unzählbarer Schwarm Heuschrecken, wie aus dem Korb ausfliegender Bienen, ganz neu von Osten her durch unsere Länder, welche in der Luft fliegend einen feinen Ton wie kleine Vögelchen von sich gaben. Und wenn sie sich erhoben, konnte man kaum den Himmel wie durch ein Sieb sehen. An sehr vielen Orten nun zogen die Hirten (pastores) der Kirchen und die ganze Geistlichkeit ihnen mit Reliquiaren und Kreuzen entgegen, unter Anrufung von Gottes Erbarmen, dass er diese Plage von ihnen abwendete. (s.o. S.371)

 

Der diözesane Apparat wird im neunten Jahrhundert ausgebaut. Teile des Bistums werden nun von priesterlichen Archidiakonen verwaltet, deren Gebiete wiederum in Dekanate unterteilt werden. Mehrmals im Jahr soll der Bischof seine versammelte Gemeinde visitieren, und er hält dort mit Geschworenen der Gemeinde auch kirchenrechtliches Gericht ab.

 

Auf dem Lande breiten sich Pfarrkirchen weiter aus, deren wichtigste Funktion die einer Taufkirche ist, denn die Taufe ist Pflicht für alle Untertanen-Kinder. Über das Niveau der Glaubensverkündung erfährt man in einem Zitat von Theodulf von Orléans:

Wer die Heilige Schrift kennt, möge über die Heilige Schrift predigen; wer nicht, soll wenigstens dem Kirchenvolk sagen, was am bekanntesten ist: dass es vom Bösen ablassen und das Gute tun soll. (in: Angenendt(2), S.370)

Die Landkirchen sind überwiegend grundherrliche Eigenkirchen, dazu gehören auch bischöfliche und klösterliche. Unter Ludwig ("dem Frommen") wird dies System grundsätzlich bestätigt, und der Kirchenherr behält das Recht, einen allerdings geeigneten Pfarrerkandidaten vorzuschlagen. Er muss ihn mit einer Hufe Land für seinen Lebensunterhalt ausstatten und von grundherrlichen Abgaben freimachen. Da über diesen der Zehnte eingesammelt wird, gelingt es den Kirchenherren nicht selten, diesen an sich zu reißen.

 

***Papsttum***

 

Der Jesus der Evangelien wollte kein Religionsgründer sein, sondern „Erfüller der Schrift“ der Juden. Noch unsinniger wäre es, ihn zu einem Kirchengründer zu machen, wie man später in ein Evangelium einfügt, in dem ein Petrus dann auch noch zum Gründer-Chef dieser Kirche erklärt wird, ausgerechnet er unter den Aposteln. Es erscheint offensichtlich, welches Interesse dahinter steckte.

Mit der ergänzenden Erzählung, dieser Petrus sei in Rom als Haupt seiner Gemeinde als Märtyrer gestorben, verstärkte das jene Begründung einer herausragenden Rolle der Stadt, deren tiefster Grund die Tatsache war, dass es sich um die Hauptstadt des Weltreiches handelte, welches für ein Christentum und die entstehende Kirche zu gewinnen sei. Daraus resultierte die für uns heute erstaunliche Behauptung, die Christianisierung sei von Rom ausgegangen.

 

Die vermutlich spätere Einfügung in Matthäus 16 begründet dabei nicht nur nachträglich die Entstehung einer Kirche, sondern eben auch den Rang derer, die sich selbst als Nachfolger Petri bezeichnen. Wenn der evangelische Jesus angeblich Petrus die Macht "zu binden und zu lösen" gibt (im Himmel wie auf Erden), dann lässt sich daraus später ein totaler Machtanspruch ableiten. Andererseits lässt sich schon aus Paulus und dann aus Matthäus auch ein Nebeneinander geistlicher (privater) und weltlicher (öffentlich römischer) Mächte ableiten.

 

Da für Kirchenchristen das Heil über die Eucharistie und andere sakramentale Akte verliehen wird, wird später die originäre tatsächliche Machtbefugnis von Päpsten die, einzelne Leute zu diesen Vorgängen zuzulassen oder aber von ihnen fernzuhalten, was durch die sogenannte Exkommunikation geschieht, oder noch schärfer, indem ganze Orte oder Länder dem Interdikt verfallen, dem Verbot an die Priesterschaft, dort ihres Amtes zu walten. Da nach Verfall des weströmischen Staatswesens die Bindekräfte unter den Menschen persönlicher werden, wird der religiös gestaltete Treueeid immer wichtiger. Aus Matthäus leiten die Päpste dann später auch das Recht ab, die Menschen von solchen Eiden zu lösen, was am Übergang vom frühen zum hohen Mittelalter immer wichtiger werden wird.

 

Auch nach der augustinischen Lehre von der himmlischen und der irdischen civitas und der gelasianischen Zweigewaltentheorie auf Erden um 500 bleibt das Papsttum doch abgesehen von seinem Führungsanspruch in Fragen der Lehre im wesentlichen das Bistum von Rom und die übrigen Bischöfe des Westens sind in ihrem kirchlichen Bereich eigenverantwortlich.

 

Unter Gregor ("dem Großen", 540-604) wird um 600 die bischöflich-päpstliche Stadtherrschaft über Rom ausgebaut.

Er selbst unterhält Korrespondenz mit den Königen der Angeln, Westgoten, Franken, Lombarden wie ein weltlicher Herrscher. Er stammt aus einer Patrizierfamilie, war Praefectus Urbi, dann Mönch auf dem Monte Celio, dann sechs Jahre in Konstantinopel, wo er Leander von Sevilla kennenlernt.

 

Die Ambivalenz dieses Mannes repräsentiert mehr als die seiner Vorgänger die der Institution, der er am Ende angehört. Das mögen zwei so enorm divergierende Zitate verdeutlichen. Das erste: Ein Diakon wird von Gregor von Tours nach Rom geschickt, um von dort Reliquien mitzubringen. Der berichtet, was nach dem Tod des Papstes Pelagius geschah:

Sed quia eclesia Dei absque rectorem esse non poterat, Gregorium diaconem (Gregor den Großen) plebs omnis elegit. Er stammte von den Ersten der Senatoren ab, war von Jugend an Gott ergeben, gründete aus eigenen Mitteln sechs Klöster in Sizilien und richtete ein siebtes innerhalb der Mauern Roms ein; er übereignete ihnen soviel Land, wie reichte, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Alles übrige verkaufte er mit seinem ganzen Haushalt und verteilte es an die Armen. Er, der vorher gewohnt war, in Seide und mit Edelsteinen geschmückt durch die Stadt schritt, trug nun gewöhnliche Kleidung, wurde für den Dienst am Altar des Herrn geweiht und als siebter Diakon für die Unterstützung des Papstes bestellt. Er enthielt sich so sehr der Speisen, war so wachsam im Beten, eifrig im Fasten, dass sein Magen kränkelte und er sich kaum aufrechthalten konnte. Hochgebildet ist er zudem, und so bescheiden, dass er Kaiser Mauritius schreibt, er wolle kein Papst werden. Des Kaisers Statthalter in Rom fängt den Boten mit dem Brief ab und schickt die Wahlurkunde an den Kaiser. At ille gratias Deo agens pro amicitia diaconi, quod repperisset locum honoris eius, data praeceptione, ipsum iussit institui. (befahl ihm, das Amt anzutreten). (Historien X,1). 

 

590 wird er zum Papst gewählt. In der Homilie für Hesekiel schreibt er:

Wo ist der Senat? Wo ist das Volk? … Weil der Senat fehlt und das Volk untergegangen ist und bei den wenigen, die noch leben, Schmerz und Trauer sich vervielfachen, brennt das menschenleere Rom … Sieh an, alles ist verlassen, alles ist vernichtet, und gedrückt vor Trauer.

In ihm vereint sich also wie bei Gregor von Tours zweierlei: Der fromme Christ und der der römischen Antike verpflichtete weltliche Herrscher, aber sein Christentum ist zudem bereits massiv alttestamentarisch eingefärbt. Vorbilder für die neuen katholischen Könige und ihre regna sind die Könige David und Saul: Reich, Kirche, Religion fallen so zusammen. Das Königsamt ist von Gott abgeleitet, er ist ein guter Hirte wie seine Vorbilder Abt und Bischof.

 

Die römischen Päpste gewinnen weitere Einkommensquellen aus ihren über Italien verstreuten Gütern, die als Patrimonium Sancti Petri bezeichnet werden, und aus einem sich vor allem über Latium erstreckenden Herrschaftsraum über ihre Diözese hinaus, den die Langobarden dann gefährden, was zum Hilferuf an die Frankenherrscher führt.

 

Ab dem 7. Jahrhundert nimmt die Bindung der Päpste an Byzanz ab, und es kommt auch zu Differenzen über die Glaubenslehre. Zwischen der Königserhebung Pippins 751 und der Kaiserkrönung Karls 800 steigt die päpstliche Macht und ihr Anspruch unmittelbarer Herrschaft über die (West)Kirche.

Gewählt wird der Papst im Lateranpalast, seinem Amtssitz, und seit dem 7. Jahrhundert wird er im Petersdom geweiht und inthronisiert. Seit der Pippinschen Schenkung 756 des Exarchats Ravenna, der Pentapolis, der Emilia und des Dukates von Rom besitzen bzw. beanspruchen die Päpste ein erhebliches Territorium. Der Anspruch auf mehr wird dann mit der nicht genau datierbaren Fälschung einer "Konstantinischen Schenkung" erfunden werden, die im Kern besagt, dass Kaiser, als er sich nach Byzanz zurückzog, den Westteil des Reiches den Päpsten überlässt.

"Als Zeichen seiner kaiserlichen Stellung habe Konstantin Silvester und seinen Nachfolgern unter anderem das Phrygium verliehen, das als schneeweiße Kopfbedeckung für die goldene Krone stand, den purpurfarbenen Mantel und die scharlachrote Tunika sowie das Szepter und andere Herrschaftsinsignien; er habe festgelegt, dass die Päpste das Phrygium bei Prozessionen zur Nachahmung Unseres Reiches tragen dürften." (Borgolte, S.76)

 

Karl ("der Große") hatte das Papsttum vor den Langobarden geschützt. Unter seinen Nachfolgern ist das Interesse an Rom dann deutlich geringer. 846 ziehen Sarazenen über Benevent nach Rom, morden und plündern den Petersdom, wie die Xantener Annalen berichten. Es gelangen kaum noch Nachrichten von dort ins Frankenreich.

 

Dennoch betrachten sich die Kaiser als Schutzmacht über das päpstliche Rom und verlangen den Treueid von Römern und Päpsten. Kaiser Lothar verschärft 847 seine Aufsicht über die Papstwahl, die in Gegenwart seiner Boten stattfinden soll. Im Gegenzug nimmt die Tendenz in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts zu, dass Päpste ein Krönungsrecht für die Kaiser haben. 875 entscheidet Papst Johannes VIII. selbständig über die Vergabe der Krone. Aber Karl ("der Kahle") ist nicht imstande, den Papst gegen die Sarazenen zu schützen und stirbt darüber. Nach der Ermordung dieses Papstes gerät das Papstamt in gewalttätige innerrömische Auseinandersetzungen.

 

Für die Verselbständigung des Papsttums und Zentralisierung der Kirche steht mehr als andere Nikolaus I., Papst von 858-867. Im letzten Kanon des Konzils von 863 wird die päpstliche Position deutlich:

Wenn jemand den Dogmen, Anweisungen, Verboten, Sanktionen oder Dekrete , wie sie heiligmäßig vom Haupt des apostolischen Stuhls erlassen werden, handele es sich um den katholischen Glauben, die kirchliche Disziplin, die Ermahnung der Gläubigen, die Züchtigung der Missetäter, Interdikte, die gegenwärtige oder zukünftige Übel betreffen, nicht folgt, er sei verflucht. (Nach Audebert/Treffort, S.18)

 

Seine Machtposition (plenitudo potestas) belegt er im Konflikt mit König Lothar II. (von Lotharingien), der sich wegen Kinderlosigkeit 862 von seiner Ehefrau trennen möchte, um die Konkubine Waltrada zu heiraten, mit der er bereits einen Sohn hatte. Zwei Aachener Synoden genehmigen ihm das, worauf sich Hinkmar von Reims mit Rückendeckung Karls des Kahlen dagegen und an Nikolaus wendet. Nikolaus exkommuniziert nun die Synoden und die die Scheidung betreibenden beiden Erzbischöfe.

Diese erklären das päpstliche Handeln zur Tyrannei. In den Xantener Annalen liest sich das so zu 865:

Sie erklärten, dass sie ohne Rücksicht auf ihn gleiche Würde auf ihren Stellen forderten wie er in Rom und dass ihre Stellung in nichts der seinigen untergeordnet sei, ohne daran zu denken, dass sie von ihm das Pallium der Würde erhalten hatten. (in: QuellenkarolReichsgeschichteII, S.357)

 

Nikolaus regiert direkt in die gallische Landeskirche hinein, indem er einen Bischof gegen den Willen des Erzbischofs wieder einsetzt und ebenso einfachere Kleriker. Der Konflikt über den Rang der Päpste wird bis in die großen Reform-Auseinandersetzungen des 11. Jahrhunderts hineinreichen.

 

Etwa in der Zeit kommt es zum Konflikt mit Ostrom, da sich Nikolaus intensiv für die Slawenmission engagiert. Im Konflikt mit dem neuen Patriarchen Photius exkommuniziert Nikolaus ihn zunächst 863, wobei er sich mit Byzanz über die filioque-Frage so entzweit, dass der östliche Patriarch 867 gegen ihn den Bannfluch (anathema) erlässt.

 

Abt Regino von Prüm schreibt einige Jahrzehnte später lobend und etwas übertreibend über ihn:

Seit dem seligen Gregor kann ihm kein Bischof, der in der Stadt Rom auf den Sitz des Pontifex erhoben wurde, verglichen werden. Den Königen und Tyrannen gebot er und beherrschte sie durch seine Autorität, als ob er der Herr der Welt gewesen wäre. Er zeigte sich demütig, süß, fromm und wohlwollend gegenüber den gewissenhaften Bischöfen und Priestern, die die Vorschriften des Herrn beachteten, furchtbar und von äußerster Härte für die nicht Frommen und die, die vom rechten Weg abwichen. (Nach Audebert/Treffort, S.18f)

 

Der sogenannte Investiturstreit des hohen Mittelalters kündigt sich leise an, wenn auch nur in solchen Texten, denn in der Praxis sind Päpste vor allem Bischöfe ihrer Diözese, darüber hinaus mit der Realisierung ihres Patrimonium Petri beschäftigt. Zu den Bistümern jenseits der Alpen besteht nur sporadisch Kontakt und fast keine Oberaufsicht, und selbst in Italien ist der tatsächliche Einfluss gering. „Die Umgebung der Päpste in dieser Zeit ist so lokal und provinziell wie im allgemeinen der päpstliche Wirkungsbereich.“ (Tellenbach in Bernward, S.74)

 

Die Zustände in der Bischofskirche erhellt schlagartig jenes in den Annalen von St.Bertin erzählte Detail von 868:

Eleitherius, der Sohn des Bischofs Arsenius von Orte, entführt die Tochter des Papstes Hadrian, Verlobte eines anderen, und "nimmt sie zur Frau". Nach dem darauf folgenden Tod von Arsenius und der drohenden kaiserlichen Untersuchung aber brachte Eleutherius Stephania, die Gattin (uxor) des Papstes und deren von ihm entführte Tochter um.

 

In derselben Zeit wird eine Konstantinische Schenkung erfunden.

 

Als letzter bedeutenderer Papst schafft es Johannes VIII., eine Flotte gegen die Sarazenen aufzubieten. Er macht Karl ("den Kahlen") und dann Karl III. zum Kaiser, ohne von ihnen Schutz zu bekommen. Er soll 882 von einem Verwandten erst vergiftet und dann mit einem Hammer erschlagen worden sein.

Stephan V. verbündet sich mit den Widonen von Spoleto, und 891 erhält Graf Wido die Kaiserkrone, nach ihm dann auch sein Sohn Lambert durch Papst Formosus. 896 wird dann Arnulf von Kärnten zum Kaiser gekrönt. Kurz danach beginnen in Rom Kämpfe zwischen Anhängern des Formosus und seiner Gegner. Stephan VI. lässt seinen verstorbenen Gegner aus dem Grab holen, "mit den Papstgewändern bekleiden, und auf eine Cathedra setzen, um dann ein förmliches Absetzungsverfahren durchzuführen, wobei die Insignien wieder abgenommen, die Schwurhand abgeschlagen und die Leiche zunächst verscharrt und zuletzt in den Tiber geworfen wurde." (Abenendt(2), S.458)

Auch er wird 911 ermordet. Die folgenden Päpste schaffen es nur für wenige Jahre, an der Macht zu bleiben.

 

Kloster

 

Für den Adel und die Herrscher sind die Klöster nicht nur Machtfaktoren, sondern auch solche einer eigenartigen spät-nachantiken Religiosität. Als integraler Bestandteil von gewalttätigen Machtstrukturen und eines den offiziell hochgehaltenen Evangelien diametral widersprechenden Lebenswandels dienen sie der Delegation des Einhaltens christlicher Gebote. Mönche sind stellvertretend für den übrigen Adel einigermaßen so fromm und heilig, dass es den Eadel beeindrucken kann. Darum können sie es übernehmen, durch kultische Handlungen wie Gebete und spezielle Messen diesem Adel "draußen" in der Welt zu helfen, die Hölle zu vermeiden, jene, die sie auf Grund ihres Lebenswandels „eigentlich“ nach dem Tod erwartet, was wenigstens einige wohl auch glauben.

"Die Mönche des Klosters Aadorf im Thurgau, des Hausklosters des Linzgaugrafen Udalrich im späteren 9. Jh., sollten beispielsweise täglich drei Messen und wöchentlich drei Psalter für die verstorbenen sowie eine Messe für das Heil der lebenden Familienmitglieder singen. Zunächst gedachte man der Eingetragenen einzeln, als deren Zahl aber überhand nahm, musste man sich mit einem summarischen Gedächtnis begnügen." (Goetz, S.76)

 

Nicht überall gibt es da allerdings ein so beeindruckendes Spektakel wie in Centula nordwestlich von Amiens, wo der von Karl ("dem Großen") gesandte Laienabt Angilbert drei Mönchschöre organisiert, die sich unentwegt durch die Abteikirche und zwischen der Marienkirche und der dem hl. Benedikt geweihten hin und her bewegen und dabei den Lobgesang Gottes anstimmen. (Fried, S.352f). Aber überall sind sie der Ersatz für regulär sehr unchristliche Lebensführung "in der Welt".

 

Hatte die Familie eines weltlichen Großen ein Kloster gegründet, so kann man dort nachgeborene Söhne und ebenfalls Töchter in herausragender Stellung unterbringen. 852 gründet Graf Liudolf, Stammvater der Liudolfinger und Ottonen, das Kloster Gandersheim, und sorgt dafür, dass seine Töchter, die damals 12-jährige Hathumod, dann Gerberga und schließlich Christina, dieses leiten.

 

Naheliegend ist es dann natürlich auch, dass man dies Kloster zur Grablege der eigenen Familie macht, und so werden zum Beispiel Liudolf und Gemahlin Oda in Gandersheim begraben. Zudem wird der adelige Familiensinn und sein genealogisches Element gestärkt, wenn ihrer nach dem Tode in Kirche und Kloster regelmäßig gedacht wird, was man allerdings durch Stiftungen und Spenden vorher „bezahlen“ muss.

 

Neben dem wohlhabenderen Adel sind Klöster als Reichsklöster auch direkt den Königen unterstellt, entweder weil Könige sie selbst gegründet haben oder aber weil sie ihnen übertragen wurden. Um sie als Mittel zur Herrschaftsausübung nutzen zu können, erhalten sie Privilegien, wie 818 St.Gallen die freie Abtswahl (bei Zustimmungsrecht des Königs) und die Immunität durch Ludwig ("den Frommen").

"Damit war das Kloster unmittelbar dem König unterstellt und der Amtsgewalt des Grafen entzogen; die königlichen Amtsträger durften den Immunitätsbezirk zur Ausübung ihrer Amtsgeschäfte, etwa um Gericht abzuhalten oder Abgaben einzutreiben, nicht mehr betreten. Die Klöster wurden dadurch in ihrer Verwaltung autonom und durften selbst Gericht über die in der Immunität lebenden Menschen halten." (Goetz, S.84)

 

Dafür sind Reichsklöster zu Abgaben und dem servitium regis verpflichtet. 854 hat St.Gallen beispielsweise zwei Pferde und zwei Schilde abzuliefern. Zum Königsdienst gehört die Beherbergung und Verköstigung des Königs und seines Gefolges ähnlich wie in einer Königspfalz. Eine weitere Verpflichtung ist der Kriegsdienst, für den Äbte dem König Klostervasallen zuführen, oft genauso viele Panzerreiter wie Bischöfe. Äbte dienen darüber hinaus als Königsboten und anderweitig im Herrschaftsapparat.

"Abt Grimald von St.Gallen (841-72) war zugleich Abt von Weißenburg im Elsaß (einer ebenfalls bedeutenden Reichsabtei) und vor allem als Erzkanzler Ludwigs des Deutschen Vorsteher der königlichen Kanzlei und der Hofkapelle, die für den Gottesdienst am Hof ebenso verantwortlich war wie für den gesamten königlichen Schriftverkehr. Es ist begreiflich, dass er kaum noch im Kloster anwesend war" (Goetz, S.87)

 

Die Benediktregel ist weder bis Anfang des 9. Jahrhunderts als einzige für verbindlich erklärt worden, noch wird sie sonderlich genau eingehalten, gibt sie doch viel Spielraum für einzelne Gebräuche (consuetudines), und zudem werden selbst die weiten Regeln des Benedikt (von Nursia) von den Mönchen aristokratischer Herkunft oftmals nicht ganz eingehalten.

Das widersprach schon der Vorstellung Karls ("des Großen") von möglichst großer Vereinheitlichung seines Reiches als Herrschaftsinstrument. 789 wird auf einer Synode die admonitio generalis erlassen, die bereits implizit deutlich macht, woran es mangelt:

"Alle Klosterangehörigen, auch die Vorsteher und Vorsteherinnen, sollten ihrer Residenzpflicht nachkommen, gemeinsam sollte man Speise- und Schlafräume aufsuchen, die (...) Novizen sollten unter kontrollierter Aufsicht stehen, niemand sollte durch Gaben von außen irgendwelche Vorteile genießen." Deutlich wird: "Äbte und Äbtissinnen absentierten sich regelmäßig und ohne Gewissensbisse, und wohl auch ohne Widerstand von Seiten der Klosterinsassen, von den ihnen Anvertrauten, und pflegten weiterhin ihre früheren sozialen und familiären Kontakte; Mönche und Nonnen lebten nicht zönobitisch, sondern individuell nach ihren persönlichenVorstellungen in eigenen Haushalten oder doch zumindest eigenen Räumlichkeiten und genossen die Gaben und Geschenke, die ihnen durch Verwandte und Freunde zuflossen." (Gleba, S.75f)

 

Tatsächlich dürfte der König mit seinen Bestrebungen wenig Erfolg gehabt haben. Die einschneidendste Reform in Richtung genauerer Befolgung benediktinischer Pflichten beginnt ein fränkischer Grafensohn namens Witizer, der nach längerem Kriegsdienst für die Könige773 in ein Kloster bei Dijon eintritt. Seine strenge Askese trifft auf Ablehung bei den dortigen Mönchen, und er zieht sich auf sein Erbgut Aniane bei Montpellier zurück. Nach zwei Jahren Askese gründet  er dort ein Reformkloster und benennt sich selbst als Mönch ganz programmatisch in Benedikt um.

Er widmete sich mit ganzem Herzen dem Studium der Benediktregel (...) Er bestellte für sein Kloster Gesangs- und andere Lehrer, Sprachgelehrte und Kenner der heiligen Schriften (...) Er sammelte eine große Menge Bücher, er trug kostbare liturgische Gewänder zusammen, silberne Messkelche und Hostienteller. Und was er sonst an liturgischem Gerät für den Gottesdienst für notwenig erachtete, erwarb er mit höchstem Eifer. (in: Gleba, S.77) Das bedeutet für das Kloster nicht nur Prachtentfaltung, sondern auch einen Schatz als Geldreserve.

 

Andere südgallische Klöster schließen sich seiner Reform an, was auf die Unterstützung Ludwigs ("des Frommen") dort zurückzuführen ist. Als dieser 814 auf Vater Karl folgt, nimmt er Benedikt mit an den Hof. und macht ihn zu einer Art Generalabt für sein Reich. 816-19 wird dort neben der neuen und allgemeinverbindlichen Kanonikerregel eine entsprechende für die Klöster beschlossen. Und zwar wird das nun für alle eine streng ausgelegte Benediktregel, die sogar in den Details festgelegte "Gewohnheiten", consuetudines, absteckt. Damit wird das Ziel des "großen" Karl, Zentralisierung und damit Vereinheitlichung voranzutreiben, neben der Geistlichkeit auch für die Klöster stärker gefordert. Das Problem ist nur, dass es wenig Mittel zur Durchsetzung gibt, aber Benedikt und seine Mitstreiter schaffen es, rund 45 Klöster derart zu reformieren.

 

Spätestens in der Karolingerzeit bildet sich die Gestalt größerer und wohlhabender Klöster heraus, wie sie als Idealbild im St. Gallener Klosterplan um 820 aufgezeichnet wird. Danach ist der Kern die Klausur, der eigentliche Lebensraum der Mönche. Wichtiger Teil davon ist die Kirche für die Messe mit dem Hauptaltar und mit dem Chor für das gemeinsame (Chor)Gebet. An eine Seite der Kirche schließt der Kreuzgang an, an diesen der Kapitelsaal, Refektorium (gemeinsames Essen) und Dormitorium (gemeinsames Schlafen). Manchmal außerhalb der Klausur ist die Bibliothek und auf jeden Fall das Abtshaus, oft eine Schule, fast immer ein Gästehaus und eine Kranken- und Novizenabteilung. Anschließend kommen kleine Gärten und zahlreiche Wirtschafts- bzw. Handwerker-Gebäude.

Mächtige Klöster sind große Grundherrschaften, die schon mal 10 000 oder       20 000 abhängige Menschen kontrollieren. Diese leisten Abgaben und Dienste am Herrenhof, je nach tradierten Rechten von Hufe zu Hufe unterschiedlich. Klassische Sklaverei ist hier wohl imn 9. Jahrhundert verschwunden. "Auf den Besitzungen von Prüm war es offenbar für die Hintersassen die Regel, dass sie heiraten konnten, dass jede Familie ein Haus und viele sogar einen Hof hatten und ihr Anwesen vererben durften. Besonders ausgestattete Hörige dienten dem Abt als Vasallen und leisteten die dem Kloster obliegenden Heerespflichten." (Angenendt(2), S.413)

 

Die Aristokratisierung der Klöster, die zur Abschließung der fränkischen Klöstern von nichtadeligen Kreisen führt, tendiert natürlich dazu, der Arbeit möglichst viel Gewicht wieder zu nehmen, offiziell begründet durch den Wunsch nach stärkerer Spiritualisierung des klösterlichen Alltags, wie es Cluny eindrücklich als Dominanz des Liturgischen formulieren wird. Schon Benedikt von Aniane erklärt zwei tägliche Hochämter und das Abbeten von 137 Psalmen durch jeden Mönch zur Pflicht.

 

Statt produktiver Arbeit nimmt die in den Skriptorien zu, in denen vor allem religiöse Texte, aber auch profan-heidnische kopiert und manchmal illustriert werden. Eine der zwei jährlich geschriebenen Vollbibeln im großen Kloster von Tours verbrauchte ca. 200 Schafshäute, und die gesamte jährliche Buchproduktion etwa 1000 für das Pergament.

Mit dem Eintritt von immer mehr Kindern ("Oblaten") ins Kloster wird die dortige Schule immer wichtiger: Dort soll Lesen, Schreiben und Latein vor allem für die zukünftigen Mönche erlernt werden. Dort wird aber auch viel Klerikernachwuchs aufgenommen.

In der Karolingerzeit findet des weiteren auch eine "Klerikalisierung" (Angenendt) des Mönchtums statt. Immer mehr Mönche lassen sich zu Priestern weihen, ohne dass ihnen eine Gemeinde zugeordnet ist. Am Ende besteht oft die deutliche Mehrheit aus Priestermönchen und die Anzahl der Altäre in der Klosterkirche vermehrt sich. "Viele Klöster stellten im 9. Jahrhundert regelrechte Pläne auf, in welchem Anliegen und für welche Personen täglich Messe zu feiern waren." (Angenendt(2), S. 406)

 

 

Neben der wohlhabenderen Oberschicht und den Königen dient das Kloster über seine Kirche auch als Pfarrkirche und damit dem einfachen Volk. Im 9. Jahrhundert nimmt dabei die Zahl der geweihten Mönche als Kleriker erheblich zu.

"In St.Germain-des-Prés bei Paris bildeten die geweihten Mönche im 8. Jh. noch die Minderheit, im Laufe des 9. Jh. aber erreichte fast jeder Mönch im Laufe seines Lebens einen Weihegrad; im Jahre 838 waren in St.Denis 65% der Mönche geweiht; in St.Gallen besaßen 42 von den 101 Mönchen des Jahres 895 allein die Priesterweihe." (Goetz, S.77)

 

Damit verbunden wird die Tatsache, dass Klöster Schulen anschließen, die zunächst die eigenen Leute, insbesondere die als Kinder dem Kloster gegebenen pueri oblati unterrichten, zum anderen aber auch die Geistlichen des Weltklerus. In seiner 'Admonitio generalis' fordert Karl ("der Große") schon 789, dass jedes Kloster eine solche Schule und Schulbücher haben soll. Dazu passt, dass das Kloster einer ausgesprochenen Schriftreligion eine Bibliothek besitzt und eine Schreibstube, das scriptorium, in dem vor allem Texte kopiert werden.

 

Neben dem Kontakt mit dem einfachen Volk als Pfarrkirche nimmt der äußere Bereich des Klosters auch Pilger und Arme auf und verköstigt und (manchmal) bekleidet sie. Große Klöster besitzen für diesen Zweck Xenodochien, wörtlich Fremdenhäuser, von denen die Armenhäuser im 9. Jahrhundert manchmal abgetrennt werden. Solche karitativen Einrichtungen können auch der Versorgung von Kranken dienen.

 

Zu all den vielen Außenbeziehungen der Klöster kommen noch die Gebetsverbrüderungen einzelner Klöster miteinander.

"Am Beginn stand der sog. Totenbund von Atigny von 762: 22 Bischöfe, 5 Abtbischöfe und 17 Äbte verpflichteten sich dort gegenseitig, beim Tod eines der Verschworenen jeweils 100 Psalmen zu singen und 100 Messen (...) zu lesen.

(...) nach der Verbrüderung zwischen St.Gallen und der Reichenau (um 800) sollten die Priester beim Tod eines Mönchs aus dem anderen Kloster jeweils drei Messen lesen und die übrigen Brüder einen Psalm und eine Vigilfeier singen; am siebten Tag wurden dann noch einmal 30 Psalmen gesungen, am 30. Tag schließlich wiederum eine Messe gelesen bzw. 50 Psalmen gesungen." (Goetz, S.99)

 

Es waren übrigens vielleicht die Klöster, die neben dem König die sogenannte Villifikation mit ihrer Trennung in Salland mit Herrenhof, den für Klöster ein Verwalter übernehmen konnte, und der Verhufung von Bauernland vorantrieben. Klösterliche Grundherrschaften sind so weithin aus dem Aufgabenbereich der Mönche ausgegliedert, deren Arbeit sich auf Garten und Selbstversorger-Handwerk zurückzieht, was den Mönchen Zeit für Arbeit an ihrem Seelenheil gibt.

 

Finanziert werden Klöster und Mönche über fromme Spenden, dazu kommt das Arbeitsgebot des Benedikt in seiner Ordensregel. Zu der Handarbeit der Mönche selbst soll auch die von am Rande des Klosters angesiedelten Handwerkern kommen. Mit den Reformbeschlüssen von 816/17 soll der Anteil dieser Handwerker dann verstärkt werden, damit die Mönche sich stärker auf ihre geistlichen Ziele hin orientieren können. Der sogenannte St.Gallener Klosterplan, kurz darauf entworfen, benennt um die Klausur Brauerei, Bäckerei, Mühlen, ein Handwerkerhaus der Schuster, Sattler, Drechsler, Gerber, Schwertfeger und Schildmacher, Goldschmiede, Eisenschmiede und Walker. Auch im Bereich des Klosters Corbie werden viele verschiedene Handwerker erwähnt. Landarbeit über die beschauliche Tätigkeit in einem Klostergarten hinaus sollen abhängige Bauern leisten. Große Klöster reservieren darüber hinaus Hufen für Leute, die eben auch handwerkliche Produkte abzuliefern haben.

 

Italien unter den Karolingern

 

Mit Karl ("dem Großen") beginnt für viele Jahrhunderte eine lange Kette "italienischer" Könige, in der Regel irgendwann auch Kaiser, die mit wenigen Ausnahmen ihr Königreich nur selten überhaupt betreten und es nach und nach auch immer weniger beherrschen. Viel ändert sich zunächst nicht. Nach und nach werden langobardische Herzöge durch fränkische (und alemannische) Grafen ersetzt, was vor Ort wohl wenig bedeutet. Das gallische Franken und das langobardische Italien hatten sich recht ähnlich entwickelt. Macht beruht schon länger nicht mehr auf der Besteuerung, sondern dem Besitz von Land und der Verfügung über dort produzierende Leute.

 

Völkisch ändert sich wenig, Italien wird nicht durch Masseneinwanderung fränkisch. Am ehesten führt die Unterwerfung unter die fränkische Krone zu einer stärkeren Integration von Langobarden und Vorbevölkerung in der nun fränkischen Nordhälfte der Halbinsel. Langobardische Große bleiben, soweit sie nicht rebellieren, im Besitz ihrer Ländereien und ihrer Macht. Recht schnell steigen sie in der neuen, fränkisch kontrollierten Hierarchie wieder in hohe Ämter auf wie nach 800 die Aldobrandeschi-Familie in Lucca, deren Mitglieder zu Bischöfen und Grafen werden (Wickham, S.74).

 

Erst jetzt ist durchgehend von einem Königreich Italien die Rede, von dem das fränkische Heer aber nur den Norden und das Herzogtum Spoleto erobert. Die Päpste halten nicht nur das große römische Territorium, sondern auch das Exarchat Ravenna für ihrem Machtbereich, was dazu führt, dass Spoleto ein Stück weit autonom bleibt. Das Herzogtum Benevent demonstriert trotz gelegentlicher fränkischer Überfalle seine Unabhängigkeit, indem sich seine Duces als princeps, Fürsten bezeichnen. Gaeta und Salerno sind zunächst noch unbedeutende castra. Arichis II. von Benevent umgibt um 780 Salerno mit einem weiten Mauerring, baut sich dort einen Palast und macht die Stadt zur zweiten seines Reiches (Wickham, S.149)

 

Byzanz verfügt nominell noch über Venedig, Neapel und das castrum Amalfi, etwas deutlicher über Kalabrien und Otranto.

 

Auf Pippin folgt Bernhard und dann Lothar, dem der Kaisertitel gegeben wird, der dadurch nicht an Bedeutung gewinnt. Mit dem Bruch zwischen Ludwig ("dem Frommen") und Lothar strömen die Unterstützer Lothars nach Italien, wo sie mit Lehen aus Kirchenbesitz versorgt werden. Fränkisch geprägte Gesetzgebung nimmt zu. 850 wird Ludwig II. als Kaiser sein Nachfolger bis 875, ein Herrscher, der seine ganze Regierungszeit in Italien verbringt. Sein Interesse an den nördlichen Karolingerreichen bleibt gering.

 

Die immer labile Macht nachantiker Könige bedarf der Loyalität ihrer regionalen und lokalen Vertreter, die bis zu Karl ("dem Großen") vor allem durch Kriege mit der Erwartung von Ruhm und Beute hergestellt wird. Ludwig II.gelingt das zeitweilig mit Kriegen gegen Benevent und gegen den "Sultan" von Bari, den allerdings erst eine byzantinische Seeblockade 871 besiegen kann, so wie auf der anderen Seite Bonifaz II. von Tuscien Flottenkommandos gegen das muslimische Nordafrika führt.

 

Zum anderen müssen sie mit Land ausgestattet werden, um regionale und lokale Macht zu fundieren. Das muss dann und wird nun durch mehr Gesetzgebung flankiert, durch kontrollierende Königsboten (missi) und durch eine Aufwertung loyaler kirchlicher Großer als mögliches Gegengewicht gegen die Grafen.

 

In Italien unter fränkischer Herrschaft werden die Gesetze wohl schriftlich über die Grafen vermittelt. Gericht wird gehalten mittels scabini, im Deutschen später Schöffen, kleine Landbesitzer vor Ort. Die missi sind vermutlich oft selbst Grafen, die wohl nicht selten Eigeninteresse mit ihrem Auftrag verbinden.

 

Die Langobarden hatten sich wenig in kirchliche Belange eingemischt. Unter den Karolingern werden nun auch in Italien kirchliche Große stärker in das Regierungshandeln integriert. Wie schon in der gallischen Francia dient dazu auch offensive Kirchengesetzgebung, direktes Hineinregieren in kirchliche Belange. Bischöfe sind in den Städten ohnehin schon oft die größten Landbesitzer und es ist naheliegend, dass die Könige ihnen gefällige Leute in das Amt einsetzen. Wenn die dann noch richterliche Funktionen bekommen, sind sie solange es keine Konflikte zwischen Kirche und Königtum gibt, durchaus wichtige Instrumente für königliches Regieren.

 

Vielerorts müssen sich die Bischöfe die Macht mit den Grafen teilen. Sind diese loyal gegenüber den Königen, können sie zu enormer Macht aufsteigen wie die Familie eines Suppo, 817 selbst Graf in Brescia, dessen Familie sich im 9. Jahrhundert auf Piacenza, Parma bis ins Piemont ausbreitet und zeitweilig bis Spoleto. Überall häufen sie erheblichen Landbesitz und Ämter an und schaffen schließlich die Verheiratung einer der ihren, Angilberta, mit Ludwig II.

 

Um 812 erscheint der bayrische Bonifaz als Graf in Lucca. Er und sein gleichnamiger Sohn schaffen es, erst das Arnotal zu kontrollieren und dann sogar Einfluss in Korsika zu bekommen. Als der zweite Bonifaz sich 833 gegen Lothar auf die Seite Ludwigs ("des Frommen") stellt, wird er enteignet, aber sein Sohn Adalbert taucht nach der Reichsteilung von 843 bald in Lucca als Markgraf der Toskana auf, dem Norden des alten Tusciens. Er baut sich bald zum de facto obersten Gerichtsherr auf und eignet sich immer mehr königliche Gewalt an, während er unter sich keine Machtentfaltung mehr zulässt. Dagegen kommen auch die zahlreichen Bischofs-Einsetzungen Ludwigs II. nicht mehr an. Nach 875, als das Königreich in Bürgerkriegen versinkt, besitzt er ein praktisch selbständiges Reich.

 

Ludwig II. (840/44-75) ist der letzte "italienische" König im Vollbesitz königlicher Macht, die er über Verwaltung, Königsboten, Grafen und Bischöfe ausübt. Aber er besitzt keinen männlichen Erben und Nachfolger. Seine zwei Onkel in West- und Ostfranzien besitzen nun gleiche Nachfolgerechte und der resultierende Konflikt wird dem Königtum seine Macht nehmen.

 

In den nächsten 150 Jahren wird die königliche Verwaltung fast zum Erliegen kommen, Grafen werden gewöhnlicher Hochadel, der ähnlich wie Bischöfe Eigeninteresse über die des zerfallenden Königreichs stellt. Selbständig agieren Markgrafen wie Wido II. von Spoleto, Adalbert I. von Tuscien und Berengar I. von Friaul.

 

Auf Ludwig II. folgen mehrere meist abwesende Karolinger, deren letzter, Karl ("der Dicke), Sohn Ludwigs ("des Deutschen") 887 stirbt. Die Nordhälfte Italiens versinkt für knapp zwei Jahrzehnte in bürgerkriegsartige Kämpfe der Markgrafen von Friaul und Spoleto. Im Hintergrund stehen westfrankische, burgundische oder deutsche Ansprüche.

 

888 wird Berengar I. gekrönt. Nachdem aus der Karolingerfamilie nicht mehr die einzigen möglichen Herrscher kommen, weitet sich das Potential der Prätendenten. 891 gelingt es Guido/Wido von Spoleto, nachdem er in Westfranzien gescheitert ist, als erster Nichtkarolinger gegen Berengar den Kaisertitel zu erhalten. 898 stirbt sein Sohn Lambert.

 

Während die Frankenherrscher Norditalien erobern, kontrolliert Byzanz immer noch Sizilien, die Südhälfte Kalabriens und Otranto, während sich das Dukat Neapel immer mehr verselbständigt. Das übrige Gebiet gerät in die Hände des beneventanischen Dux Arichis II.

 

In der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts gerät Benevent in innere Wirren. Sarazenen setzen sich in Bari fest und bald dann in Agropoli und am Garigliano, von wo aus sie Überfälle auf die christlichen Gebiete starten. Um 840 verselbständigen sich Gaeta und Amalfi von Neapel.

 

849 löst sich Salerno von Benevent, worauf Capua wiederum beginnt, sich von Salerno zu lösen, was um 860 abgeschlossen ist. Kurz danach beginnt Byzanz mit der Rückeroberung von Bari (876), nimmt bald danach Tarent ein und dann den Rest von Apulien. Salerno wird eine Art byzantinischer Klientel"staat". Inzwischen schaffen Sarazenen die Eroberung ganz Siziliens.

 

 

England im 8. und 9. Jahrhundert

 

Im 8. Jahrhundert sind in Wessex und Mercia stabilere Verwaltungsstrukturen erkennbar - mit einem königlichen Rat und der Einsetzung von earldormen, dem Gegenstück zu den fränkischen Grafen. Die erste Hälfte des englischen 8. Jahrhunderts dominiert ein Aethelbald von Mercia, von dessen Herrschaft eine größere Anzahl königlicher Urkunden zeugen. Darin heißt er schon mal rex Britanniae. Noch wahrnehmbarer für uns Heutige wird König Offa von Mercia, der in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts herrscht. Noch heute kann man an dem Erdwall entlang wandern, den er gegen Wales anlegen ließ (King Offa's Dyke), eine für damals enorme organisatorische Leistung. Offa und seinem Nachfolger Cenwulf (bis 821) gelingt es offenbar, eine Oberhoheit über die übrigen britischen Könige zu gewinnen. Offa steht im Kontakt zu den fränkischen Herrschern, übernimmt die Münzreform von Karl d.Gr. und lässt sich als rex totius Anglorum patriae titulieren. Ein Gemeinschaftsgefühl unter den Angelsachsen wächst vor allem über die kirchlichen Synoden und überhaupt die kirchlichen Kontakte.

 

Wikinger nannten die Skandinavier jene Männergruppen, die auf räuberische Expeditionen ausfuhren. Ende des 8. Jahrhunderts wird die Bedrohung durch sie immer größer; 793 plündern sie Lindisfarne und 795 das westschottische Iona. Ihre Überfälle machen sie mit gut gebauten Schiffen, die sowohl von Segeln wie von Rudern bewegt werden und zwischen dreißig und sechzig Männer tragen.

Im 9. Jh. dringen Norweger nach Caithness und auf die nördlichen und westlichen Inseln vor und Dänen immer weiter in England. Sie etablieren dort gegen Ende des Jahrhunderts ihre Herrschaften und siedeln vor allem zwischen East Anglia und Yorkshire.

 

Ende des 9. Jh. beginnt von Wessex aus mit Alfred the Great (871-99) durch Ausbau eines stehenden Heeres, einer Flotte und durch Bau befestigter Orte (burh) eine konzentrierte angelsächsische Gegenbewegung, die die Entstehung eines angelsächsisch-englischen Gemeinschaftsbewusstseins vorantreibt.

An die Stelle der tuns, der Zentren königlicher Güter treten dabei rund 30 burhs, manchmal in deren Nähe. Sie sind groß genug, um kleine Heere aufzunehmen. In ihnen lässt der König Gericht halten, Münzen schlagen und Abgaben einsammeln.Nördlich der Themse werden sie Zentren neuer shires, die nach ihnen benannt werden. Über die von ealdormen und shire reeves königlich verwalteten Counties, wie sie später heißen werden, und die auf dieser Ebene Recht und Verwaltung betreibenden Gerichtshöfe samt den in writs verschickten königlichen Aufträge an diese kann zentrale königliche Herrschaft ausgeübt werden.

Eine Ebene darunter sind die Hundertschaften angesiedelt, deren Gerichte Kleinkriminalität aburteilen. Noch darunter dienen inzwischen die hides als Einheiten zur Einziehung von Abgaben und Militär. Worcestershire hat im 11. Jahrhundert 12 Hundertschaften mit jeweils 100 hides, liefert also 1200 Mann Militär und 2400 Silberpfennigen an geld, also gelegentlichen Steuern (Dyer, S.52). Gegen Ende des 10. Jahrhunderts gibt es so rund siebzig Münzstätten, die das ganze Land mit Geld versorgen.

Burhs sind zudem auch Marktplätze, die die Könige fördern, denn Marktwirtschaft verbreitet die Verfügung über Bargeld und fördert so die königlichen Einkünfte.

Abgerundet wird die Durchstrukturierung von Herrschaft durch Bistümer und Klöster und dabei auch nach fränkischem Vorbild von Adaptionen spätrömischer Texte begleitet.

 

Nach der schweren Niederlage eines Dänenkönigs 878 lässt dieser sich taufen und zieht sich nach East-Anglia zurück. Dort und nördlich davon siedeln sich insgesamt wohl ein paar tausend Dänen an. Sie treiben bald Fernhandel, wie Münzfunde aus Arabien und Samarkand bezeugen.

 

In der Folge wird Alfred auch in Mercia anerkannt. 886 gelingt es ihm, London zu erobern. Bald danach wird seine Oberhoheit in den übrigen Stammesgebieten  Englands und auch von den Dänen mehr oder weniger akzeptiert.

 

Byzanz

 

In die kriegerische Zange genommen, von Norden durch Awaren und dann Bulgaren, im Südosten durch die Sassaniden und dann durch islamisierte Araber, befindet sich Ostrom bis ins 9. Jahrhundert in einer tiefen Krise.

 

812 besiegt der bulgarische Khagan Krum die oströmische Armee und tötet Kaiser Nikephoros .In den folgenden Jahren erobert er Adrianopel und stößt denn bis Konstantinopel vor. Ab 813 kann Kaiser Leo V. die Bulgaren zurückdrängen, was er auf seinen Ikonoklasmus zurückführt.

 

827 setzen arabisierte Nordafrikaner nach Sizilien über und beginnen mit der Eroberung, die bis Anfang des 10. Jahrhunderts dann vollendet wird. 828 erobern aus Spanien stammende arabische Piraten Kreta.

 

843 beenden Theodora und ihr Sohn Michael den Ikonoklasmus.

 

Zwischen 850 und 1050 kommt es zu einer neuen Blütezeit von Byzanz. Es wird wieder stärker Bezug genommen auf das römische Erbe und eine entsprechende Belesenheit. Das Hofzeremoniell wird immer prächtiger. Das hat auch mit neuem wirtschaftlichem Aufschwung zu tun, der sich an verbesserten Techniken im Handwerk niederschlägt und wohl im zehnten Jahrhundert auch an einem Anstieg der Bevölkerung.

 

864 greift Byzanz wieder einmal Bulgarien an und dessen Khagan konvertiert zum Christentum und erlaubt Missionare in sein Reich. Bis 880 schließen sich die westlich davon angesiedelten Moravier dem lateinischen Christentum an und die Bulgaren dem byzantinischen. Letztere entwickeln dann auch in der neuen Hauptstadt Preslaw die kyrillische Schrift und gehen darin langsam zum Slawischen über.

 

867 ermordet Haushofmeister Basilios (I.) Kaiser Michael und beginnt damit die Makedonische Dynastie. Er dringt bis Kilikien und das Euphrattal vor, kann zwar den Verlust von Sizilien nicht aufhalten, aber Boden in Süditalien gewinnen.

 

Zwischen 894 und 924 finden zweimal Kriege der Bulgaren gegen Byzanz statt, Konstantinopels Vorstädte werden beide Male zerstört. Führer Symeon nimmt den Titel basileus an und im Slawischen Czar (Caesar).

 

Im 'To eparchikón biblíon' des Leo VI. wird um 900 festgesetzt, dass Kaufleute, Ladenbesitzer, und viele Handwerker in einer von 22 Pflichtvereinigungen (systema) organisiert sein müssen und ihnen ähnlich wie bald auch im lateinischen Abendland bestimmte Plätze zum Verkaufen ihrer Waren zugewiesen sind. Zudem dürfen sie ebenfalls nur bestimmte spezialisierte Tätigkeiten ausführen, und die Konkurrenz wird stark reguliert, unter anderem durch Regulierung von Profiten und von Verkaufspreisen, vor allem für das Brot des Bäckers und den Wein in der Schenke. (Wickham(3), S.348) Der Vorstand der Korporation wird vom Staat bestellt. Außerhalb ist Handwerk verboten und Mitgliedschaft ist an staatliche Bedingungen geknüpft. (Schreiner in: Jankuhn/Ebel, S.54). Sklaven, Frauen und Juden sind offenbar grundsätzlich zugelassen.

Händler sind zwar selbständig, aber unter staatlicher Kontrolle, und die Nachfrage des Staates bleibt höher als die private. Der Fernhandel wird weiter von Venezianern, Lombarden, Amalfitanern und Kaufleuten des byzantinischen Sizilien dominiert. Im 11. Jahrhundert werden die Venezianer ihn praktisch monopolisieren.

 

Um 960 gelingt es dem Feldherrn Nikephoros Phokas, Kilikien, dann Zypern und schließlich Kreta zurück zu erobern. Beim Tod von Kaiser Romanus heiratet er dessen Witwe Theophano und entmachtet ihre Kinder.

969 lässt Johannes I. Tzimiskes zusammen mit seiner Geliebten deren Ehemann Nikephoros Phokas ermorden, worauf der Patriarch den neuen Kaiser zwingt, sie zu verstoßen. Derweil überrennt Fürst Swjatoslaw von Kiew Bulgaren und wird dann von Johannes I. vertrieben. Der herrscht nun von der Donau bis zum Euphrat.

Während die Fatimiden in Syrien aufsteigen, dehnt Kaiser Basilios II. das Reich bis an die heutige afghanische Granze aus. Es entsteht stärker als zuvor eine auf Land und hochdotiertem Amt basierende Aristokratie, die aber eng an den Staat gebunden ist.

 

Islamischer Orient und Nordafrika

 

Zwischen 750 und 860 gelingt es den Abbassiden von Bagdad aus ein zentrales Herrschaftssystem durchzusetzen, von dem nur El-Andalus unter seiner Omayadendynastie eine große Selbständigkeit bewahrt. Die Macht reicht von Nordafrika bis zum Westen der indischen Halbinsel.

Bagdad wächst bis ins 9. Jahrhundert auf fast eine halbe Million Einwohner an, alle mit dem Wasser aus dem Tigris versorgt. Von hier aus sorgt Almansur (754-75) mit einer effizienteren Verwaltung unter einem Wesir dafür, dass die Steuern nicht länger beim Militär in den Provinzen bleiben, sondern zunehmend in die Zentrale fließen.

 

Es kristallisiert sich immer deutlicher die Schicht der ulama heraus, angeführt von Korangelehrten und Juristen, die nun die Religion zu definieren versuchen und die Bedeutung von Koran oder Hadith (Tradition) zwecks späterer Gesetzgebung auf die Rechtspraxis der Scharia diskutieren.

Bald setzt eine Förderung der Übersetzung griechischer Mathematiker, Ärzte und Physiker durch Kalifen ein.

 

Auch unter seinem Sohn Al Mahdi gibt es aber weiter eine kriegerische Frontlinie mit Byzanz und Aufstände in Provinzen. Nach dem Ende Harun Al Raschids 809, der später zu einem Märchenkönig hochstilisiert wird, kommt es bald zum Bürgerkrieg, da die Provinzen ihre Steuern nicht abgeben wollen.

 

Um die lokale und provinzielle Oberschicht nicht zu stark werden zu lassen, setzen Kalifen nun stärker Mitglieder von Turkvölkern als Soldaten ein. In den sechziger Jahren des neunten Jahrhunderts werden diese zu Bürgerkriegsarmeen, die einzelne Provinzen kontrollieren, welche wie Ägypten keine Steuern mehr abgeben, während Persien sich unter den Saffariden immer mehr verselbständigt. Im Kern kontrollieren Abbassiden nur noch ihr Kernland, den heutigen Irak, der dann aber auch noch durch einen Aufstand jener afrikanischen Sklaven erschüttert wird, die das Bewässerungssystem dort aufrechterhalten.

 

Nach wechselhaften Zeiten verlieren die Kalifen ihre Macht an Militärbefehlshaber, Emire der Emire. Um 860 wird das südliche Zweistromland vom westlichen Iran aus kontrolliert, östlich davon werden bald Ghasnaviden herschen, zudem einzelne Familien von syrischen Städten aus, die Aghlabiden und dann die Fatimiden in Tunesien und Sizilien, die mehr oder weniger schiitischen Berber- Idrisiden in Marokko und Omayaden in Spanien. Das Reich ist zu groß geworden und es fehlt der Zusammenhalt durch die Seefahrt, den das Römerreich mit dem Mittelmeer hatte. (Wickham(3), S.333)

 

Die neuen Herrschaften sind strukturell Kalifate im Kleinen mit zentraler Steuereinziehung, einer Berufsarmee und Verwaltungs-Bürokratie. Auch weiterhin beruht Macht nicht auf Landbesitz, sondern auf Steuern und Ämtern.

Die erfolgreichsten sind die ismaelitisch-schiitischen Fatimiden, deren Herrschaft in Kairouan in Ifriqia (Tunesien) mit Al-Mahdi beginnt, der sich als Wiedergeburt von Ali ausgibt. Er gründet Mahdiya als Hauptstadt und regiert von dort aus seine überwiegend sunnitischen Untertanen. Als Imame sind sie zugleich geistliches Oberhaupt. 960 kontrollieren sie ganz Nordafrika. 969  erobern sie mit Berberarmeen Ägypten, gründen dort Kairo als Hauptstadt, während Fustat kommerzielles Zentrum bleibt, und dringen dann bis nach Syrien vor. Um 990 beschränken sich fatimidische Kalifen in direkter Herrschaft dann auf das reiche Ägypten und die Levante und lassen zu, dass Gouverneure sich in Nordafrika verselbständigen.

 

Die arabisiert-islamischen Herrschaften sind stärker als die zunächst germanisch-christlichen von despotischem Charakter, was zivilisatorische Effizienz verspricht. Um das seit der Bronzezeit existierende südmesopotamische Deich-, Kanal- und Entsalzungssystem aufrechtzuerhalten, setzen abbassidische Herscher zum Beispiel Sklavenscharen aus dem ostafrikanischen Zanj-Raum ein, unter anderem Bantuneger, mit denen Araber ohnehin Sklavenhandel betreiben.

 

Die Märkte im "arabischen" Raum sind ähnlich wie die von Byzanz streng reguliert, da beide Herrschaften für ihr Militär hohe Steuereinnahmen erzielen müssen. Die Kaufleute sind zwar formell selbständig, anders als oft noch in Franzien, aber unter enger herrschaftlicher Aufsicht. Hafenämter im arabisierten Raum setzen so überall die Importpreise für ankommende Güter fest. Flachs, ein wichtiges Produkt des reichen Ägyptens (für die Leinenproduktion) wird von Ämtern an die Händler abgegeben. Einige der wichtigsten Leinenweb-Zentren wie Damietta sind Eigentum der Herrscher.

 

Unter den Abbassiden wird Bagdad nicht nur zu einer der größten Städte auf ehedem römischem Boden, sondern für rund hundert Jahre auch zum wichtigsten Marktplatz in diesem Raum. Seide, Baumwolltextilien und Glasprodukte entstehen hier und seit 795 entstehen Papiermühlen, wobei die Technik der Papierherstellung über Samarkand aus China kommt.

 

Aber abgesehen von dieser "irakischen" Blütezeit bleibt Ägypten seit der Römerzeit die reichste Region, und seit dem 10. Jahrhundert zudem Kernland des Mittelmeer-Fernhandels. Grundlage sind die regelmässigen Nil-Überschwemmungen, die meist Weizenernten des Zehnfachen der Aussaat hervorbringen, die neben Anbau von Wein und Flachs es ermöglichen, dass das Land urbanisierter ist als irgendwo sonst auf ehedem römischem Boden, - es ernährt mehr Amtsinhaber, Handwerker, Ladenbesitzer und Händler als sonstwo.

Dabei wird die zunächst überwiegend bäuerliche Landwirtschaft im 9./10. Jahrhundert stärker mit Großgrundbesitz nicht zuletzt auch einwandernder Araber durchzogen, so dass im 10. Jahrhundert dann das Wort für Landgut auch das Dorf bezeichnen kann. (Wickham(3), S.364)

Der Machtapparat verfügt weiter über ein funktionierendes System der Steuereintreibung, welches spätestens im 9. Jahrhundert lokal verpachtet wird, so dass Pächter ebenfalls in die landbesitzende Oberschicht aufsteigen können.

 

Bis ins neunte Jahrhundert ist in Unterägypten auch noch die Papyrus-Produktion wichtig, die dann spätestens im zehnten durch Papierproduktion als Nebenerzeugnis des Leinengewerbes abgelöst wird.

 

Nachdem der Handel im westlichen Mittelmeer zwischen 450 und 700 fast ganz zum Erliegen kommt, geschieht dasselbe im siebten Jahrhundert im östlichen Teil. Das ändert sich danach dann nur langsam und zunächst nur im schmalen Sektor der Luxusprodukte, wobei "arabische" Handelsschiffe vorläufig und zwar für ihren internen Handel dominant bleiben, zwischen dem heutigen Tunesien, Sizilien und Ägypten vor allem. Im neunten Jahrhundert nimmt der venezianische Handel mit Byzanz und Alexandria zu, im zehnten der von Byzanz mit Ägypten (Seide, Holz und Käse vor allem). Dazu kommt nach der Gründung von Almería durch Abdalrahman III. 955 der stärkere Anschluss von Al-Andalus an den Mittelmeerhandel.

Im zehnten Jahrhundert nimmt dabei auch der Handel mit Massengütern wieder zu.

 

Um das Jahr 1000 betreibt ein Yusuf ibn Yakub ibn Awkal von Fustat bzw. Kairo aus mit seinen Söhnen ein großes Import-Exportgeschäft, "wobei sie zahlreiche Sekretäre in ihren Zentralen beschäftigen, sowie Agenten sowohl in Ägypten wie im Ausland, vor allem in Tunesien und Sizilien. Sie exportieren Flachs aus Ägypten, welches sie von Kleinstädten im Hinterland von Bahnasa und dem Fayyum kaufen und dann nilabwärts von Fustat nach Alexandria senden. (...) und dann in den Westen.Sie exportierten auch Färbemittel, Färberkrapp, Indigo und Brasilholz (die zuvor importiert wurden); sie importierten Pfeffer und Gewürze und in Ägypten hergestellten Zucker. sowie noch teurere Luxusgüter , insbesondere Perlen, alles in allem 83 verschiedene Waren. Die Importe kamen weithin aus dem Handel über den Indischen Ozean. (...) Von seinen mediterranen Partnern wiederum werden Gold (...), Kupfer, Blei, Olivenöl (...), sein Nebenprodukt Seife, Wachs, Tierhäute und Seide gekauft." (Wickham(3), S.366)

 

Christentum und Islam in Hispanien nach der Conquista

 

718 ist Hispanien bis auf einen nördlichen Streifen unter islamischer Herrschaft. Cordoba löst nun Toledo als Hauptstadt ab.

Der visigotische Aristokrat Pelagius (Pelayo) organisiert den christlich-hispanischen Widerstand im Nordosten Spaniens und gründet 718 ein Reich von Asturien. Sein zweiter Nachfolger Alfonso I. bezeichnet sich als König und gründet entgegen der visigotischen Tradition eine lange Zeit überdauernde Dynastie, die allerdings von wilden und oft mörderischen Nachfolgekämpfen gekennzeichnet ist. Zentrum wird, anders als im Frankenreich ohne Hauptstadt, bald Oviedo.

 

Die neuen christlichen Reiche wie Asturien und dann Navarra überleben zunächst durch hohe Tributzahlungen an Cordoba. 740 kommt es wie in Nordafrika zum großen Berberaufstand, der 742/43 durch syrische Truppen niedergeschlagen wird, die das "arabische" Element in Hispanien verstärken. 745 brechen dann

zehn Jahre Bürgerkrieg unter ihnen aus. In dieser Zeit wird das weite Duerotal wohl frei von einem Herrscher und für etwa ein Jahrhundert Land freier bäuerlicher Besiedlung.

 

750 werden die Omayaden von Damaskus entmachtet und ein Abdalrahman flieht erst zu Berbern in Nordafrika und dann nach Spanien,wo er bis 799 als Emir herrscht. Al-Andalus ist aber viel dezentralisierter, gegliederter als die anderen Provinzen des Omayadenreiches, besitzt eine weniger entwickelte Wirtschaft und nur sehr einfaches Handwerk, ist auch weniger verstädtert. Entsprechend schwieriger ist es, ein zentrales Steuersystem zu etablieren.

 

Berber der Städte und Syrer beginnen langsam, in visigotische Familien einzuheiraten und legen nun  größeren Wert auf Landbesitz, was sie an europäische Strukturen stärker annähert. Zugleich wächst damit ihr Widerstand gegen Steuerzahlungen. Bis in die 780er Jahre gibt es auch Widerstand einer großen Familie mit Basis in Nordafrika und Spanien. Abdalrahman kann dabei nur auf eine kleine besoldete Armee zurückgreifen und Steuern auch nur aus dem Raum von Cordoba einziehen.

 

785-801 gelingt es Karl ("dem Großen"), den Norden des zukünftigen Kataloniens einzunehmen, der gegen Ende des 9. Jahrhunderts an eine Familie von Grafen von Barcelona fallen wird.

 

Zwischen 822 und 852 gelingt es Abdalrahman II., mehr Zentralherrschaft mit mehr Steuern und einem Verwaltungsapparat aufzubauen. 825 gründet er Murcia als rein "arabische" Stadt und lässt Zwingburgen in Merida und Toledo bauen, um dort seine Herrschaft gegen Rebellen zu sichern. In Cordoba entwickelt er eine ausgefeiltere Hofhaltung und die Stadt wächst nun immer schneller. 

 

842 kann sich der navarrische König Inigo Arista mit Hilfe der Banu Quasi von der Oberhoheit der muslimischen Herrschaft lösen.

Unter Nachfolger Mohammed 852-86 nehmen die Konflikte mit Toledo und Merida wieder zu, auf die dann knapp vierzig Jahre innere Unruhen folgen. Hohe Aristokraten verlangen immer mehr Macht. 899 erklärt sich Sevilla zum Königreich.

 

Im  9. Jahrhundert wird Oviedo von Alfons II ("dem Keuschen") mit einem Palast und mehreren Kirchen versehen, die letztere noch heute im fast ursprünglichen Zustand dort zu besichtigen sind. Ordono I. dringt in das Gebiet südlich der nördlichen Bergkette vor, und unter Alfonso III. oder seinen Söhnen wird 875/910 die Hauptstadt nach León verlegt, nach dem sich das Reich dann bald benennt. Es beginnt eine erneute Rückbesinnung auf das Visigotenreich.  Das Königreich breitet sich über das spätere Nordkastilien bis nach Alavá aus und im Süden Richtung Duero. 

 

Eine ähnliche Entwicklung nimmt auch Navarra, das regnum Pampilonense mit seiner Hauptstadt Pamplona.  Das Gebiet ist zunächst unter fränkischem Einfluss, aber um 816 gelingt es der heimischen Adelsfamilie Arista mit Unterstützung der Banu Qasi, sie zu vertreiben. Nach einem Sieg über Mauren 824 erhebt sich Inigo Arista zum König. Beim Aussterben der Familie 905 übernehmen die Jiménez unter Sancho I. die Macht.

 

Die Isolierung der Kirche unter islamischer Herrschaft mag mit dazu beigetragen haben, dass sich in Toledo eine sowohl dem alten Arianismus wie dem Islam etwas näherliegende Theologie entwickelt, die den von einer Frau geborenen Jesus zu einer Art Adoptivsohn Gottes macht. Dagegen wendet man sich in der asturischen Kirche, und nachdem der "Adoptianismus" bis in den fränkischen Einflussbereich nach Urgell gelangt, wird er dem Hof Karls d.Gr. zugetragen, der die Abweichler auf einem Reichstag zu Frankfurt 794 als Häretiker verurteilt. Die Kirche ist wie schon bei Kaiser Konstantin ein Instrument weltlicher Macht und soll schon darum einheitlich bleiben.