LAND 2: ADEL, BAUERN UND DORF (12.Jh. bis 1250)

 

Das Land in deutschen Landen (Verfügung / Grundherrschaft / Banngewalt / Monetarisierung / Stände / Landflucht / Intensivierung / Der Zehnte / Not)

Besiedelung

Der Wald: Nutzung und Zerstörung

Die Grafschaft Falkenstein

Vogteien

Das Dorf (Beaumont / Geschlechtlichkeit, Ehe, Familie)

Eine kurze Passage im Sachsenspiegel

England

Italien

Spanien

 

 

Das Land in deutschen Landen

 

Mit der Dynastiebildung im neuen Adel vor allem über männliche Primogenitur und der Etablierung von Adel auf Burgen schwinden die Reste freier Bauernschaft bis auf wenige Randgebiete.

 

Seit der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts setzt auch in deutschen Landen ganz langsam die Tendenz zu niederadeliger Ortsherrschaft mit Banngewalt und der Tendenz zu regionaler Territorialbildung ein. Insbesondere wenig mächtige Burgenbesitzer begeben sich dabei dann unter den Schutz Mächtiger, indem sie ihre Burg samt Landbesitz (und arbeitender Bevölkerung) an einen Herrn als Lehen "auftragen". Für die Entwicklung größerer Territorien auf diesem Wege sind Herren dann bereit, dabei "durch die Zahlung eines Geldbetrages nachzuhelfen", oder aber mit diesem Ziel Druck auszuüben. (Spieß, S. 38)

Andererseits werden Burgen der größeren Herren im Zuge der Territorialisierung mit festen Burgmannschaften besetzt, manchmal nur kleinen, manchmal mit bis zu fünfzig von ihnen. Als Burglehen gibt es die Wohnung auf der Burg oder in der Nähe und in der Regel Naturalien- oder Geldrenten.

 

"Im Zusammenhang mit dem Aufstieg der Ministerialität und der Formierung eines auf grundherrschaftlicher Basis lebenden Ritterstandes kam es zur Bildung zahlreicher Kleingrundherrschaften und zersplitterter Feudalrechte. Für die bäuerliche Bevölkerung hatte dies die Konsequenz, dass sich mit dem Aufstieg der Ritter, Ministerialen und Kleinvasallen die Zahl der Herren bedeutend vergrößerte und damit auch die Belastung der hörigen Bauernschaft anstieg." (Rösener, S.225)

 

Mit der Burgsässigkeit der kriegerischen Herren werden schon im 11. Jahrhundert ministeriale Meier zu lokalen Verwaltern der einzelnen Güter. Im 12. Jahrhundert entwickelt sich das dahin, dass solche ländliche, sich manchmal immer adeliger gebende Ministeriale ihr Amt wie ein erbliches Lehen behandeln wollen. Für klösterliche Meier bestimmt dann Konrad III., dass der Amtscharakter erhalten bleiben soll (siehe Großkapitel Kirche3). Zudem wird öfter darauf geachtet, dass Schulzen und Meier wie die übrigen Bauern keine Waffen tragen dürfen, was Bauern jetzt endgültig von den milites, den Rittern unterscheidet, die eben auch Ministeriale, Dienstleute sein können. Seinen Abschluss findet diese Entwicklung im Landfrieden von 1152, in dem Kaiser Friedrich I. den Bauern das Tragen von Waffen unter Strafandrohung verbietet.

 

Wem gehört das Land?

Ein Kennzeichen von Zivilisationen ist, dass eine Art Hoheit eines oder auch einer ganzen Anzahl Mächtiger das Eigentumsrecht der vielen Einzelnen insbesondere am Land, auf dem sie leben und arbeiten, einschränkt. Für das kurze Mittelalter zwischen dem 10. und 15. Jahrhundert sind die Verhältnisse darüber hinaus noch komplizierter.

Generell gilt, dass alles Land vergeben ist. Es ist im Eigentum Einzelner oder von Gemeinschaften wie der Allmende eines Dorfes. Bauern wie Städter wohnen auf Grund, der ihnen entweder gehört oder gepachtet ist. Ansonsten wohnt man als Ärmerer landlos zur Miete in bescheidenen Verhältnissen. Ein riesiger Teil des Landes gehört Großgrundbesitzern, weltlichen Wohlhabenden wie  auch Bischöfen und Klöstern, die andere auf ihrem Land wohnen und arbeiten lassen. Daneben gibt es noch freie Bauern, die ihr Land besitzen und selbständig bewirtschaften, besonders in Friesland und Dithmarschen. Aber zwischen dem 12. und 13. Jahrhundert verschwinden die freien Bauern selbst im Erzbistum Salzburg.

Wälder und andere nicht intensiv landwirtschaftlich genutzte Flächen sind vor allem Jagdreviere von Königen, Fürsten und in geringerem Umfang kleiner Adeliger. Im späteren (kurzen) Mittelalter werden sich wohlhabende Städte solche Gebiete auch durch Kauf zulegen, da deren Nutzung für sie immer wichtiger wird.

 

Kurz gesagt ist die Erde, auf der Menschen wohnen und arbeiten, längst "vergeben" und kann nur als Ware auf einem Markt gekauft werden.

Dasselbe gilt auch für Bäche, Flüsse und Seen, die ebenfalls parzelliertes Eigentum bzw. Verfügungsmasse sind.

 

Für die meisten Menschen ist Fisch wegen seines hohen Eiweißgehaltes lebenswichtig, weil Fleisch und selbst Milchprodukte eher Kostbarkeiten für Festtage sind und die zentrale Ernährungsbasis Getreide kaum Eiweiß enthält.

Der Fischreichtum in Flüssen, Bächen und Seen ist höher als heute. Lachse, Aale, Barsche, Schleien, Forellen und viele andere Wildfische gibt es reichlich. Aber Fischerei ist grundlegend Herrenrecht, auch wenn dieses sich wie die übrigen durch die Erbteilungen zersplittert, und so wie Adel sich Wildforste sichert, so wird er im späten Mittelalter sich vor allem Teiche reservieren, um Fischerei wie die Jagd als Sport, also Amüsement zu betreiben.

 

Professionelle Fischer schließen sich in Städten zu Fischergilden zusammen, um ihre Interessen zu vertreten, und die Städte setzen Gemeinderechte durch. Dasselbe gilt auch für Fischteiche und Mühlenteiche, die ursprünglich im wesentlichen von Grundherren angelegt werden, und über die es seit dem 13. Jahrhundert auch zu Fischzucht kommt (vor allem von Karpfen). Gemeinden eignen sich dann auch ganze Seen an wie die Vier Waldstätten den Vierwaldstätter See.

 

Der Warencharakter aller Flächen an Erde und Wasser ist eine wichtige Voraussetzung für die Entstehung von Kapitalismus, der dann danach strebt, alles möglichst zur Ware zu machen und auf einen Markt zu stellen. Dazu gehört dann auch nach und nach der Grund und Boden.

 

Niemand klagt diese Aufteilung von Land und Wasser grundsätzlich an, beklagt wird vielmehr, dass wenige so viel besitzen und vermarkten. Bei dem umherziehenden Kleriker und Vaganten Freidank hört sich das zur Zeit des Stauferkaisers Friedrichs II. so an:

die fürsten twingent mit gewalt / velt, stein, wazzer unde walt, / dar zuo beidiu wilt unde zam; (Nutztiere) /sie taeten lufte gerne alsam, (genauso) / der muoz uns doch gemeine sîn.  möhten s'uns der sunnen schin /verbieten, ouch wint unde regen, / man müeste in zins mit golde wegen. (d.h. aufwiegen. in: SchubertAlltag, S.22)

 

Immerhin erfahren wir nun mehr über eine Gruppe der großen Bevölkerungsmehrheit im nun (sogenannten) hohen Mittelalter. Meist tauchen die Landleute aber nur als "Zubehör" (pertinentes) eines Vasallen auf. Als Werner von Bolanden 1166 der Metzer Kirche im Tauschverfahren dem Elekten (noch nicht geweihten Bischof) von Metz eine Burg mit pertenentiis

schenkt, lautet das so:

Er schenkt dem heiligen Stephan und seiner Kirche seine Burg Holvingen mit ihrer gesamten, bis jetzt zugehörigen familia, mit Kirchen, Zehnten, Äckern Wiesen, Weiden, Fischen, Gewässern und Flussläufen, Mühlen, Wäldern, bebauten und öden (incultis) Stätten sowie mit allem, was ihm dort nach Besitzrecht (iure proprietatis) gehörte (..., in: Spieß, S.81f)

Und so wandern die Leute und schon mal ganze Dörfer nicht nur hier von einem Machthaber in die Hände eines anderen.

 

Die persönliche Unfreiheit in deutschen Landen verschwindet eben nur langsam. Ehlers beschreibt ein Beispiel, in dem noch 1163 Menschen fast wie Vieh verhandelt werden:

"Heinrich der Löwe besaß die Grundholden Christina, Merigarda und Gerlinda vom Reich zu Lehen und hatte sie an einen gewissen Heinrich von Kaufbeuren weiterverlehnt. Nun wollte der Kaiser als Oberlehnsherr eben diese drei Frauen mit ihren Kindern dem Kloster Tegernsee schenken, musste die Lehnsverträge also rückabwickeln, und Heinrich den Löwen entschädigen, aus dessen Lehnsgut die drei Frauen weggenommen werden sollten. Deshalb gab das Kloster Tegernsee Heinrich fünf namentlich genannte Grundholden aus seinem Bestand zu Lehen, und der Vogt des Klosters, Graf Berthold von Andechs, vollzog den anderen Teil des Rechtsgeschäfts, indem er Christina, Merigarda und Gerlinda durch einen gewissen Deginhard von Seefeld dem Tegernseer Konvent überstellen ließ." (EhlersHeinrich, S. 141)

 

Grundherrschaft

Im 12./13. Jahrhundert schwindet das alte System von Herrenhof und Mansen in immer mehr Gegenden. Die curtes treibt zwar über ihren Verwalter manchmal weiter Dienste und Abgaben ein, aber die Dienste verringern sich auf ein paar Tage im Jahr, sind oft abgelöst durch Gelder so wie auch immer mehr Abgaben. Der Verwalter wird langsam zum Renten-Einzieher.

Das gilt für das 12. Jahrhundert für viele deutsche Lande, auf der christlichen iberischen Halbinsel, für Nordfrankreich, die Niederlande und England. "Im Lothringischen wie im Gebiet nördlich der Loire, im Elsass, im Rheinland und im Thüringischen hat sich während des 12. Jhs. die Viertelhufe als Besitzform etabliert, quartier, Vierling o.ä. genannt. Sonst setzt die Auflösung der Villifikationen in fast ganz Europa auf breiter Front erst während des 13. Jhs. ein." (Dirlmeier, S.23)

 

Die Grundherrschaft von St.Truiden ist schon um 1100 so organisiert. Um 1180 zinsen ein Viertel der 1131 Bauernstellen nur noch in Geld und der Rest zumindest zu einem guten Teil. (Slicher van Bath in: Kuchenbuch, S.253f). Voraussetzung ist, dass Bauern zunehmend Überschüsse auf einem Markt verkaufen können.

 

Manche Hufen werden durch Teilung kleiner, das Salland, also Herrenland nimmt ab und wird in Mansen aufgeteilt und ganze Fronhöfe werden verliehen oder verpachtet. Am Anfang steht oft die Halbpacht, bei der Gut und Vieh beim Verpächter bleiben und der Pächter die Hälfte seines Ertrages abgeben muss. Im 13. Jahrhundert wird daraus Zeitpacht zu festen Zinssätzen. (Goetz, S.121)

 

Die Frauenarbeit in den Genitien wird derweil weiter auf die Frauen in den Mansen übertragen.

 

Der persönlich zur Gänze abhängige Mensch schwindet auch jenseits der Ausbaugebiete zunehmend auf dem Lande, und oft zuerst in den Gebieten des am weitesten entwickelten frühen Kapitalismus, aber nicht nur dort.

Die Schweizer Talgenossenschaften werden durch königliche Landfriedens-Privilegien reichsunmittelbar. 1231/40 werden Uri und Schwyz durch Friedrich II. in den unmittelbaren Schutz des Reiches genommen.

 

Allgemein kann man sagen: "(...) die grundherrliche Eigenwirtschaft wurde wesentlich verringert, die bäuerlichen Frondienste stark reduziert und die persönlichen Bindungen der Hörigen an die Grundherrschaft entscheidend gelockert. Die Bauern erlangten vielerorts eine größere Freizügigkeit, eine bessere rechtliche Stellung und gleichzeitig auch größere Besitzrechte an Hof und Leihegut. Soweit die Frondienste durch Geldzinsen abgelöst und die bäuerlichen Abgaben fixiert wurden, verstärkt sich die Selbständigkeit der bäuerlichen Wirtschaft beträchtlich, und machte die bäuerliche Arbeit lohnender," (Rösener, S.37)

 

Die Bindungen zwischen Bauern und Grundherr lockern sich. "Ferner lässt sich beobachten, dass die unterschiedlichen Herrschaftsrechte, die in der alten Grundherrschaft vereint waren, sich in wachsendem Maße in grund-, leib- und gerichtsherrliche Einzelrechte aufspalteten. Herrengewalt über Grund und Boden löste sich von leibherrlichen Befugnissen, grundherrliche Bannrechte von der Gerichtsherrschaft; Vogteirechte, die häufigzu äußerst ergiebigen Einnahmequellen geworden waren, verselbständigten sich, wurden verkauft oder verpfändet und wechselten oft den Besitzer. Grundherrenrechte wurden zunehmend entpersonalisiert, und Herrenrechte gingen als Verkaufsobjekte von Hand zu Hand; dies förderte gleichzeitig die Ausbreitung von vertragsrechtlichen Foermen in Gestalt von befristeten Pachtverträgen." (Rösener, S.225)

 

Die persönliche Befreiung der Bauern, dort wo sie stattfindet, ist als Freiheit für den Markt eine solche, die genau darauf beschränkt bleibt. Neuartige Herren über sich behalten die Bauern auch weiter, Grundherren und solche, die zu Landesherren werden und mit sich entfaltender Staatlichkeit dann das Ideal einer kompletten Bevölkerung als Untertanenverband anstreben, wie er dann zwischen dem 18. und 20. Jahrhundert zur Gänze erreicht werden wird.

 

Banngewalt (erweitern!)

Bannen hieß ursprünglich aufbieten (Heerbann), befehlen oder vor Gericht fordern. Ein Bannherr eines bestimmten Bezirks kann von den Einwohnern verlangen, dass bestimmte Lebensbedürfnisse nur allein von ihm oder vorzugsweise nur durch ihn befriedigt werden dürfen. Das verbreitetste Bannrecht ist der Mühlenbann, bei dem die Einwohner eines Gebietes verpflichtet sind, ihr Getreide ausschließlich bei einer Mühle (Bannmühle) mahlen zu lassen und dafür zu zahlen. Beim Back(haus)zwang wird ein Backhaus gestellt und der Bäcker bekommt einen Anteil vom Brot. Es gibt den Brau- bzw. Bierbann mit dem Monopol auf eine Brauerei und dem Zwang für die Gastwirte, sich nur vom Privilegierten ihr Bier zu einem bestimmten Preis zu beschaffen. Der Weinkelterbann besagt, das alle Winzer im Gebiet ihren Wein nur in der Bannkelterei keltern lassen dürfen oder teilweise ersatzweise eine entsprechende Abgabe zahlen muss. Es gibt den Branntweinzwang und den königlichen Wildbann. Schließlich gibt es eine Bannmeile um die Städte, in der diese das Recht haben, Gewerbe, Handwerk oder Gasthäuser zu genehmigen oder abzulehnen.

 Im Urbar für das Trierer Kloster St.Maximin heißt es für den Ort Schüttringen: Wenn jemand es unterlässt, unseren Wein zu kaufen, wird er ihm ins Haus geschickt und das fällige Geld eingefordert. (in: Haverkamp(2), S.317)

 

Monetarisierung

Übertragungen aus der Hörigkeit in die Zensualität sind schon ab dem 9. Jahrhundert dokumentiert, und sie vergeben ingenuitas bzw. libertas (Freizügigkeit und Freiheit von Knechtsdiensten) gegen eine jährliche Abgabe von wenigen, oft zwei bis vier Pfennigen, einer Todfallabgabe (Bestkleid) und einer im Falle einer Heirat. Im 11. Jahrhundert besteht die Bauernschaft vieler Klöster bereits aus Zensualen, die spätestens im 12. Jahrhundert dem Meier (villicus) einen jährlichen Zins zahlen, für den sie vom Herrn verliehenes Land bewirtschaften dürfen. Wer kein solches Land mehr verliehen bekommt, muss sich zunehmend dann als Lohnarbeiter verdingen.

 

In Stablo wird 1152 der Rechtsstatus der tributarii festgesetzt, deren Zins vom censuarius eingezogen wird, der auch die Todfallabgabe einzieht und das Gebot des Heiratens innerhalb der eigenen familia überwacht. "Sie wohnen in einem bestimmten geographischen Gebiet in Verwandtschaftsgruppen zusammen, die zugleich als Organisationszellen dienen; aus ihnen heraus werden die censuarii gewählt, sie sind Gerichtsgemeinde und wirtschaftliche Produktionseinheit. Damit sind sie nicht in das Villifikationssystem integriert. (...) Sie haben eine eigene, vom Fronhofsgericht unabhängige Gerichtsorganisation." (Linck in: Esders, S.89f) Das macht es anders als für das Kolonat naheliegend, sich selbst in diesen Status zu integrieren.

 

Die zukünftig noch deutlicher werdende Differenzierung der bäuerlichen Bevölkerung in den besser dokumentierten klösterlichen Herrschaftsverbänden wird schon Anfang des 12. Jahrhunderts offensichtlich, wie am Benediktinerkloster Zwiefalten abzulesen ist.

Da sind die "Zinsbauern (tributarii) mit der Verpflichtung zur Entrichtung von Geld- und Wachszinsen und auf der anderen Seite die breite Unterschicht der leibeigenen Bauern (servi), die neben den üblichen Feudalabgaben in besonderem Maße zur Leistung von Frondiensten verpflichtet sind. (...) In beruflicher Hinsicht gehören außer den überwiegend in der Landwirtschaft beschäftigten Personen auch noch andere Gruppen der Landbevölkerung, wie Dorfhandwerker und Händler, zum klösterlichen Grundherrschaftsverband. (Rösener, S.204)

 

Die schon vor der Jahrtausendwende einsetzende Verringerung von Viehzucht als germanischem Erbe durch Ackerbau, und zwar Anbau von Getreide, hält in Zeiten der Bevölkerungszunahme an. Schon für das 11. Jahrhundert wird dabei beschrieben, dass einzelne Bischöfe und Äbte ein zunehmendes Interesse an der Steigerung der Produktion und damit der Abgaben entwickeln. Im 12. Jahrhundert kann man dann innerhalb einer Tendenz hin zur Kommerzialisierung der Wirtschaft auch eine solche auf dem Lande erkennen. "Die Grundherren zogen sich vielfach aus der direkten Bewirtschaftung zurück, gaben Herrenland parzelliert gegen Pacht an Bauern, verpachteten auch viele Herrenhöfe und wandelten die überflüssig gewordenen Frondienste in Geldabgaben um." (Gilomen, S.59)

 

Schriftliche Hofrechte ergänzen bzw. ersetzen weiter Besitz- und Leistungskataloge der Urbare. Um 1150 formuliert so zum Beispiel das Marienkloster in Ettenheimmünster für den Hof (curia) St. Marien in Münchweier folgendes zur grundherrlichen Gerichtsbarkeit:

Der Abt oder der Beauftragte des Klosters soll richten über das Zertreten von Saaten, Weingärten und Wiesen, über deren Abweiden sowie deren Überfahren, über das Abschneiden der Feldfrüchte und das Überpflügen der Äcker, und über Schuldner richten. Bei der Gelegenheit erfährt man auch etwas über allgemeine Konfliktpotentiale. Es gibt drei (echte) Dinge als Gerichtstage und drei zusätzliche. Alle aber, die in der Pfarrei ein Haus besitzen, müssen in Gegenwart des Abtes erscheinen, damit das bestehende Recht statthat. Für die Übeltäter gilt: Der Hof soll ein Gefängnis (scippum) haben, was Stock (stoc) heißt. Wenn ein Dieb gefangen worden ist, muss er mit allem, was bei ihm gefunden worden ist, dem Hof übergeben werden. Und sein Oberkleid fällt dem Weibel (weibilis) oder Büttel (praeconis) zu. (in: Kuchenmeister, S.228ff)

 

Die Entwicklung hin zur Erbleihe von Land macht den Pächter zunehmend zu einer Art Nutzungs-Besitzer, indem es nun vererben und sogar verkaufen kann. Das vollzieht sich parallel in den Städten, "in denen die Hausbewohner zunehmend zu Eigentümern ihrer Häuser und Grundstücke wurden, die zuvor dem Stadtherrn oder kirchlichen bzw. adligen Grundherrn gehört hatten." (Ertl, S.155) Diese immer klarer werdenden Eigentumsrechte werden zur Grundlage eines sich weiter entfaltenden Kapitalismus.

 

Je stärker die Fronhofswirtschaft in eine Abgabenwirtschaft verwandelt wird, desto mehr verschwindet die Unterscheidung in liber und servus bei den Bauern, die nun gemeinsam als rusticus von dem miles abgesetzt werden. In den auch dadurch entstehenden Dorfgemeinden findet dann Differenzierung eher nach wirtschaftlichen als nach rechtlichen Gesichtspunkten statt, was durch die Anbindung an die städtischen Märkte noch verstärkt wird. (Rösener) Dabei nehmen durch Erbteilung die kleinen Höfe zu.

 

Noch immer geht der Batzen bäuerlicher Produktion für die Selbstversorgung drauf, aber es entsteht nun recht eigentlich erneut eine bäuerliche Landwirtschaft mit einer gewissen für den Markt befreiten Selbstständigkeit, ein neues Bauerntum neben den bescheidenen Resten des alten freien, die nun den Bestrebungen der neuen Formen von Untertänigkeit unter Bannherrschaft und ansatzweise einsetzender Territorialherrschaft mehr und mehr zum Opfer fallen.

 

Ständische Abgrenzung

Immer mehr Dokumente wenden sich an ganze Dörfer, wie der rheinfränkische Landfrieden von 1179. Es wird auch deutlicher, dass Bauern (gebure, buman von buwen, also (an)bauen) am Markt teilhaben. Für eine flämische Siedlung in einem Dorf (villa) setzt der Bischof von Meißen fest:

Vom Zoll sind sie in unserem Gebiet befreit, außer vom Marktzoll, wenn sie Handelsgeschäfte treiben. Brot, Bier und Fleisch untereinander zu verkaufen steht ihnen zu, doch sollen sie in ihrem Dorf keinen öffentlichen Markt abhalten. (in: Franz, S.224)

 

Da langsam ein Teil der Bauern stärker am Markt teilnimmt und langsam etwas wohlhabender wird, nehmen die Abgrenzungsversuche zum Adel bzw. den Rittern zu, was sich in Forderungen nach schwarzer oder grauer Kleidung und Ablehnung bäuerlicher Bewaffnung niederschlägt.

Sie werden auf ein sie kennzeichnendes Erscheinungsbild verpflichtet. Um 1150 schreibt ein Regensburger Geistlicher in der Kaiserchronik, Nû will ich iu sagen umbe den bûman,

welche Kleidung er tragen soll: Sie soll schwarz oder grau sein, nichts anderes ist ihm erlaubt; daran ein Saumstück, das sich für seinen Stand geziemt; schließlich noch seine Schuhe aus Rindsleder: damit soll es genug sein. Für Hemd und Hosen sollen sieben Ellen groben Tuchs ausreichen;  und an den Füßen soll er Schuhe aus Rindsleder tragen … Sechs Tage mit dem Pflug oder anderer Mühsal (arbait) sollen genügen; am Sonntag soll er zur Kirche gehen; dort darf der Bauer kein Schwert bei sich haben, sondern nur einen Treibstock (gart) mitnehmen. Wird er aber mit einem Schwert angetroffen, dann soll man ihn gebunden an den Kirchhofszaun führen; dort halte man den Bauern (gebûren) fest und verprügele ihn mit Haut und Haar. (in Nonn, S.16f  /Rösener, S.100f )

Ein Prediger Honorius aus Augsburg fügt hinzu: Ihr sollt den Priestern gehorchen (obedire) und bereitwillig auf sie hören... (Nonn, S.23).

 

Es ist davon auszugehen, dass die Bauern immer wieder neu solcher Aufforderungen bedürfen und derartige Bestimmungen wiederholen sich, in der Pax Bavariae von 1244 heißt es sogar De rusticis: Die Bauern und ihre Söhne sollen ihr Haar bis auf die Ohren abschneiden (ad auriculas, Nonn, S.17). Zudem dürfen Bäuerinnen nun auch keinen Seidenbesatz tragen und keine bunten und kostbaren Kopftücher.

 

Die Befreiung ist eine für den Markt, und mit dem frühen Kapitalismus und den von ihm ausgelösten Bewegungen, seiner Beweglichkeit geht der Versuch einher, den Gesamtkorpus eines gedachten Gemeinwesens ständisch zu fixieren. Da voran schreitet die Rechtfertigungs-Ideologie produzierende Kirche mit ihrer Drei-Stände-Lehre, in die nun das Handwerk und das große Kapital eingegliedert werden müssen. Immer wieder wird den Bauern nun in der Landfriedensgesetzgebung das Waffentragen untersagt:

Im Reichslandfrieden von 1152 legt Kaiser Friedrich I. dann fest:

Wenn ein Bauer Waffen oder einen Spieß oder ein Schwert trägt, dann soll der Richter, in dessen Bereich er angetroffen wird, ihm entweder die Waffen wegnehmen oder 20 Schilling für sie von dem Bauern empfangen. (in: Franz, S.222)

1179 spezifiziert Friedrich I. im rheinfränkischen Landfrieden, dass man außerhalb des Dorfes nur Schwerter tragen dürfe, im Dorf aber gar keine Waffen: In ihrem Häusern aber sollen sie irgendwelche Waffen haben, damit sie, wenn der Richter zur Wiederherstellung des gestörten Friedens ihrer Hilfe bedarf, mit Waffen bereitstehen (..., in: Franz, S.248)

Der bayrische Landfrieden von 1244 erlaubt Bauern nur noch ein kurzes Messer und einen Eisenstab für den Pflug." (Goetz, S.138) Waffen dürfen sie hier aber besitzen pro communi necessitate provincie et iudicii exequendi et patriam ab incursi hostium defendendi, also im Dienste ihrer Herren, und sie dürfen sie auch zum sonntäglichen Kirchgang tragen (!)

 

Die immer festere Einordnung in ein Ständemodell macht den Bauern, den rusticus, dabei auch in den Augen von Adel und Städtern zum dummen Bauern, der grob ist, ungehobelt und ohne Schulbildung.

Andererseits gibt es weiter Geistliche wie Stephan de Fougères, den Bischof von Rennes, der in seinem stände-kritischen Gedicht 'Livre des manières' irgendwann nach 1160 schreibt:

Ritter und Geistlicher leben fraglos von dem, was der Bauer erarbeitet. Viel Arbeit und Mühe hat er auch am schönsten Tag der Woche (...) Wir sollten unsere Eigenleute recht hoch halten, denn die Bauern tragen die Lasten, von denen wir allesamt leben, sowohl Ritter als auch Geistliche und Damen (...) wenn er eine fette Gans hat oder ein Küken oder einen Kuchen von weißem Mehl, dann ist das alles für seinen Herrn bestimmt oder dessen Dame auf ihrem Faulbett. Und wenn er Wein von seinem Weinstock hat, dann betrügt und beschwindelt ihn sein Herr darum mit einer List oder einer Drohung - jedenfalls nimmt er es ihm weg (...) (in: Dinzelbacher, S.19)

 

Im Sachsenspiegel wird bereits um 1220 die kirchliche Begründung der Leibeigenschaft verworfen. Im 'Meier Helmbrecht' um 1250 tritt ein selbstbewusster, ja stolzer Bauer auf, der die ritterlichen Sehnsüchte seines Sohnes verurteilt.

 

Offenbar beginnt inzwischen auch der Aufstieg einzelner Bauern in die Ritterschaft, wie er dann in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts im 'Meier Helmbrecht' satirisch überhöht dargestellt werden wird. Jedenfalls bestimmt schon Kaiser Friedrich I. 1186

über die Söhne von Geistlichen, Diakonen und Bauern (rustici...), dass sie kein ritterliches Leben beginnen dürfen und dass die, die es schon begonnen haben, durch den Landrichter aus dem Ritterstand ausgestoßen werden sollen. (in: Franz, S.262)

 

Einerseits profitieren nicht nur Bauern, sondern auch Adel von den steigenden Agrarpreisen bis Anfang des 14. Jahrhunderts, andererseits reagieren die immer förmlicheren Abgrenzungen der Stände auch auf jene Verunsicherung, die mit dem langsam einsetzenden Abstieg von Teilen des niederen Adels einhergeht, der sich darin äußert, dass er seinen Status-Verpflichtungen nicht mehr nachkommen kann. So wie im Laufe der Zeit die Zahl der durch die Schwertleite bzw. das adoubement vollgültigen Ritter wegen der steigenden Kosten dafür abnimmt, so findet besonders in Frankreich seit dem 13. Jahrhundert, mehr noch dem 14., eine Verarmung des niederen Adels statt, der dann an Lebensstil unter den reicher Bauern fallen kann.

 

Mitte des 13. Jahrhunderts ist die ritterliche Rüstung aufwendiger und das Streitross selbst wird gepanzert. Die Übergewänder werden luxuriöser. Mindestens ein Knappe wird obligatorisch und die Zahl der Pferde nimmt zu. Das kann man sich nur noch mit einer mehrfachen Basis an Land und Einkommen leisten. Die Turniere werden prächtiger und entsprechend das ritterliche Erscheinungsbild dort. Die Zahl der Ritter und Ministerialen überhaupt nimmt entsprechend ab. (Rösener in: Laudage/Leiverkus, S.132)

Wer übrig bleibt, ist nun wohlhabender und der Abstand zu den Bauern nimmt zu.

 

Konflikte

Mit der wachsenden Bevölkerung, der Entfaltung eines frühen Kapitalismus und den neuen Städten wächst der Bedarf an zu nutzendem Land, eine Entwicklung, die in England schon im 11. Jahrhundert, in deutschen Landen im späten Mittelalter dann Naturlandschaft fast völlig beseitigt haben wird. Für die entstehende Bauernschaft mit ihrem aufkeimenden Selbstbewusstsein, welches sich vor allem im dörflichen Rahmen und in Kontakten zwischen Dörfern etnwickelt, wird es dabei immer enger. Auf der einen Seite entstehen durch Urbarmachen neue dörfliche Siedlungen mit größerer rechtlicher Sicherheit, auf der anderen verschwinden die traditionell von den Bauern genutzten freien Räume zunehmend. Burgherren und Klöster beanspruchen immer mehr des Landes, es kommt dort entsprechend zu Zusammenstößen mit der Landbevölkerung, die sich erbittert gegen die Einengung ihres Raumes wehrt. (siehe....)

Im Verlauf des 13. Jahrhundert stößt der Landausbau dann an seine Grenzen, nachdem alle landwirtschaftlich nutzbaren Flächen nun bereits genutzt werden. Nach dem Stand der technischen Möglichkeiten lässt sich von Überbevölkerung reden (Favier), denn von nun an werden Produktionssteigerungen im Mittelalter nur noch dort möglich sein, wo Zivilisierung erst noch ansteht. Das Ergebnis wird, zusammen mit einer Klimaverschlechterung, in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts in Serien von Hungersnöten bestehen, die dann 1348 in der Pest kulminieren und der drastischen Senkung der Bevölkerungszahlen in vielen Gebieten.

 

Dass Bauern ihre Aggressionen auch über die ganze Zeit hinweg immer einmal wieder gegen die Herren richten, belegt unter anderen eine Stelle aus der vom Abt Nortbert von Iburg gegen 1100 verfassten Vita des Bischofs Benno II. von Osnabrück, wo der vulgus ignobile et rusticam conditionem in maiores armavit:

Er bewaffnete sich also gegen seinen Herren, als er einen vom Bischof vernachlässigten Berg, der inzwischen wüst und zwar mit Eichen bestanden war, zur Eichelmast für die Schweine nutzte. Als nun der Verwalter (villicus), dem damals der Speicher unterstand, ihrem Treiben Einhalt gebieten und das ihm anvertraute Gut auch mit Waffengewalt schützen wollte, widersetzten sie sich, fügten ihm schwere Unbill zu und zwangen ihn, nach Osnabrück zu entfliehen. (in: Nonn, S.43)

 

So etwas hat auch Ursachen: Im Hofrecht für Wohlen im Aaargau von der Mitte des 12. Jahrhunderts heißt es:

Es gab dort ursprünglich viel mehr Freibauern als heute: ein elender Bösewicht aus jener Gemeinde namens Gerung bedrängte sie heftig, hinterging sie mit Trug und Gewalt, vertrieb sie von ihrem Erbe und jagte sie aus der Gegend. (in: Franz, S.210)

 

Das passt zu dem literarischen Ausbruch des in adeligen Kreisen beliebten Bertran de Born, Herrn von Hautefort, der vor allem durch seine Kampfes- und Kriegsbegeistung auffällt:

Der Bauer folgt der Art und Weise des Schweines. Ein sittliches Leben ist ihm zuwider. Erhebt er sich auch zu großem Reichtum, so verliert er den Verstand. Drum muss man ihm den Trog leer halten, man muss ihm von dem seinigen abschneiden und ihn dem Wind und Regen aussetzen. Wer seinen Bauern nicht drückt, der bestärkt ihn in seiner Bosheit. (...) Niemand darf ihn beklagen, wenn er ihn Arme und Beine brechen und ihm das Nötigste mangeln sieht. (in: Dinzelbacher, S.142)

 

Im sogenannten hohen Mittelalter gibt es dort, wo Untertänigkeit seit fast schon "ewigen" Zeiten Gewohnheit geworden ist, ansonsten kaum bäuerlichen Widerstand gegen die Machtverhältnisse, der wohl umso aussichtsloser erscheint, je geringer ihre Freiheits-Spielräume sind. Eine Ausnahme sind die Stedinger, wo Siedler der Weser und der Küste bei Bremen Land abgewinnen und sich dabei genossenschaftlich organisieren.

Im 12. Jahrhundert hatte der Erzbischof von Bremen holländische Siedler zwecks Urbarmachens in das Sumpfland der Unterweser geholt. Dabei war ihnen die Erblichkeit ihrer Höfe versprochen worden, zudem ihre internen Angelegenheiten selbst regeln zu dürfen und geringere Abgaben zu zahlen, wohl überhaupt nur den Kirchenzehnten. Die Bauern entwickelten dort so etwas wie eine sich selbst verwaltende Gemeinschaft mit eigenem Siegel.

 

Im Zuge der Intensivierung und Verdichtung von fürstlicher Landesherrschaft seit dem späten 12. Jahrhundert, in dessen Gefolge der Erzbischof Burgen am Rande des bäuerlichen Gebietes errichtet und einem Kloster erlaubt, bäuerliche Rechte zu reduzieren, kommt es zum bewaffneten Konflikt der ihre Autonomie ausbauenden Bauern mit der Herrschaft, nachdem ihnen unrechtmäßige Abgaben an den Fürsten auferlegt werden.

Nach und nach entziehen sie sich Abgabenleistungen gegenüber dem Erzbischof und dem Grafen von Oldenburg und zerstören 1187 deren Burgen. 1207 fällt der Erzbischof von Bremen in ihr Land ein, um ihnen mehr Abgaben abzupressen, erhält etwas Geld und scheitert ansonsten. 1212 zerstören die Stedinger eine Burg. Im Jahr darauf werden Burgen gegen sie erbaut. 1229 scheitert erneut ein Bremer Ritterheer in der Schlacht bei Hasbergen.

 

1230/31 erklärt die Bremer Kirche sie zu Ketzern und Feinden der christlichen Kirche und greift sie erneut an. 1233 schließt sich Papst Gregor IX. an, der zum Kreuzzug gegen die Stedinger aufruft und dafür denselben Ablass wie für den Zug nach Jerusalem verspricht. Er wirft den Stedingern in übertriebenem Maße und mit Diffamierung heidnische Bräuche und Dämonenverehrung vor. Den beutesuchenden Kreuzzüglern wird derselbe Ablass wie auf einer Fahrt nach Jersualem versprochen. Es ist nach seiner Ansicht nötig, dass Feuer und Schwert bei den Wunden, die keine Linderung fühlen, angewandt, die faulen Fleischstücke abgeschnitten werden müssen, damit sie die gesunden Teile nicht anstecken (... in: Franz, S.314). Schlimmer wird sich auch Hitler gegen die Juden nicht ausdrücken!

 

Nach einem ersten Erfolg gegen ein großes Ritterheer verbünden sich der Herzog von Brabant und die Grafen von Holland und Kleve   mit dem Aufgebot des Erzbischofs und des Herrn von Oldenburg, um erfolgreich einen für sie bedrohlichen Präzedenzfall abzuwenden. Sie vernichten 1234 ein Bauernheer bei Altenesch. Abt Albert beschreibt, wie die Geistlichkeit mit einigem Abstand von der Schlacht fromme Lieder zur Anfeuerung der Ritter singt und jubiliert dann, dass die Bauern von Lanzen durchbohrt, von Schwertern getroffen, von den Füßen der Pferde zertreten werden. (in: Franz, S.320)

Teile des so erbeuteten Landes werden dann unter den beteiligten Herren aufgeteilt. Die Stedinger Bauern werden ihrer relativen Freiheit beraubt, soweit sie das Gemetzel unter ihnen überlebt haben. Der Weg in die neue Staatlichkeit wird über Unterdrückung und Entrechtung beschritten, und das wird bis heute so bleiben. "Abgaben wurden erhöht, die Erbzinslehen in ungünstigere Besitzrechte umgewandelt und umfangreiches Bauernland für die Ausstattung ritterlicher Dienstmannen konfisziert." (Rösener, S.251)

 

Das ist aber untypisch. Üblicher ist wohl, wie man an zahlreichen Strafandrohungen ablesen kann, dass es an Vollständigkeit und Pünktlichkeit von Abgaben und Diensten mangelt.

"Als 1117 der Abt des elsässischen Klosters Maursmünster den bäuerlichen Frondienst von drei Tagen pro Woche in einen Geldzins umwandelt, wird diese Ablösung der Fronen durch Geld ausdrücklich damit begründet, dass die Bauern ihre Arbeiten äußerst träge und nachlässig, ja widerwillig leisten, so dass sie der Klosterwirtschaft mehr Schaden als Nutzen bringen. Im Urbar des ostsächsischen Klosters Helmstedt aus der Mitte des 12. Jahrhunderts wird ebenfalls auf die Nachlässigkeit der Bauern bei der Frondienstleistung hingewiesen. Wenn ein Höriger seinen Dienst versäumt oder ihn nachlässig ausführt, erhält er zur Strafe eine Tracht Prügel; statt der dreißig Rutenschläge kann er ersatzweise auch eine angemessene Geldbuße zahlen." (Rösener, S.247)

 

Dort, wo sich Dorfgemeinden herausbilden, wird ein kollektives Konfliktthema die Nutzung von Wald und Weiden. Manchmal werden die Bauern dabei rabiat, wie die von Oberzell, die um 1198 den Wirtschaftshof des Klosters Salem in Adelsreuthe verwüsten.

Besonders heftig  tobten die Auseinandersetzungen zwischen dem Kloster Himmerod in der Eifel und den Bauern dreier Dörfer um eine Waldnutzung. "Die Bauern glaubten sich in ihren hergebrachten Rechten verletzt, überfielen einen Klosterhof, raubten Vieh und bewarfen die Laienbrüder des Klosters mit Steinen. Erst nach Verhängung der Exkommunikation über alle beteiligten Bauerngemeinden wurde um 1228 ein Kompromiss zwischen beiden Parteien geschlossen (..., Rösener, S.249)

 

Landflucht

In den Rodungsdörfern war als Anreiz für Siedler ihre Belastung an Abgaben heruntergesetzt und auf Dienste oft verzichtet worden. Der sich entfaltende Kapitalismus wirkte aber nun auch mit ähnlichen Ergebnissen auf die sich entfaltenden Dörfer ein.

"Die Grundherren waren jetzt mit der gefährlichen Situation einer drohenden Landflucht konfrontiert, der sie zunächst wenig entgegenzusetzen hatten. Das Hauptmittel, die Hörigen von der Abwanderung abzuhalten, war die Gewährung von Zugeständnissen. Ungeliebte Abgaben wie die Heiratsgebühr oder der Todfall wurden gemildert oder völlig erlassen und insbesondere die verhassten Fronen stark verringert und vielerorts auf wenige Tage im Jahr begrenzt; statt der früheren Ackerfronen und vielfältigen Feldarbeiten waren es von jetzt an in erster Linie Transportverpflichtungen und wenige Tageseinsätze bei der Heu- und Getreideernte. Mit Hilfe ihrer steigenden Gewinne aus dem Marktabsatz von Agrarprodukten kauften sich die Bauern überdies bedeutende Zugeständnisse von ihren Herren ab, sei es durch Pauschalbeträge oder durch jährliche Rentenzahlungen. (Rösener, S.223)

 

Privilegierungen dienen also auch der Verhinderung von (illegaler) Flucht von Bauern aus einer Grundherrschaft in eine angenehmere oder gar in die Städte mit ihren langsam wachsenden Freiheiten und Erwerbsperspektiven. Dabei kann es im Extremfall zur partiellen Entvölkerung ganzer Dörfer kommen, was das Einkommen der Herren mindert, die eher auf mehr Bevölkerung aus sind.

 

1158 erklärt der Kölner Erzbischof für die Leute des Kölner Klosters Maria im Kapitol, nachdem viele von ihnen geflohen waren, die Dagebliebenen brauchten statt 10 Denaren jährlich nur 2 Pfennige je Kopf zu zahlen. Nach dem Tod eines Mannes soll der Meier das Besthaupt empfangen oder, wenn er kein Vieh hat, dass beste Kleid und 6 Pfennige empfangen. (etc) Für die Erlaubnis zur Eheschließung sollen Mann wie Frau 6 Pfennige zahlen. (in: Epperlein(2), S.152)

 

Und so erklärt der Kölner Erzbischof zu den Rechten einiger Oberhöfe im Raum Soest 1186:

Damit die Leute,.die zu jenen Höfen gehören, ruhig (quieta) seien, und sich freuen, der Dienstbarkeit (servitus) der Kölner Kirche übergeben worden zu sein, und damit ihre Ansammlung zahlreich werde bei Soest (frequensque fierit apud Susatum eorum collectio), sollen sie das folgende Gnadenprivileg (clementioris graciae privilegium).erhalten. (in: Franz, S.258)

 

Auf der anderen Seite wird Landflucht in die Städte immer mehr bekämpft. 1220 verbietet Kaiser Friedrich II. seinen Städten, Leute aufzunehmen, die in irgendeiner Form der Dienstbarkeit (servitus) zu den geistlichen Fürsten stehen aus welchem Grund auch immer sie sich ihrem Dienst entzogen haben. (in: Epperlein(2), S.153)

 

Vier Jahre später erklärt der Bischof von Münster,

dass der Kirche gehörige Leute sich mit List und Tücke in anderer Gebiete begeben und, nachdem sie sich in den Städten eine Behausung besorgt haben, in die Freiheit ausbrechen (se frangant in libertatem), die doch in Leibeigenschaft gehalten werden (qui proprietatis iuris tenentur) (...) und ihren Hals der Kenchtschaft entziehen (collum excutiunt a iugo servitutis). Sie sollen exkommuniziert werden. (in: Franz, S.296)

Im selben Jahr wendet sich König Heinrich VII. gegen die Pfahlbürger im Elsass, verlangt aber den Adeligen und Ministerialen gegenüber, dass sie nicht zur Gewalt greifen, um Landflüchtige aus der Stadt zurück zu holen.

1232 wendet Kaiser Friedrich II. an alle im Reich:

Eigenleute (homines proprii) von Fürsten, Edlen (nobiles) und Kirchendienern sollen in unsere Städte nicht aufgenommen werden. (in: Franz, S.310)

 

Intensivierung

Getreide ist vielfältig nutzbar, für die ärmere Masse der Menschen als gekochter Brei, sonst als Brot, als Rohstoff für Biere und als Viehfutter. Langsam breit sich der Brotweizen von Italien nach Norden aus, während der Hartweizen, für Pasta geeignet, von den Arabern in Italien und Spanien eingeführt, nördlich der Alpen nicht mehr reift. Dort wachsen aber wiederum Hirse, Dinkel, Hafer und vor allem Roggen. Neben den Getreidebrei treten bei den produktiv Arbeitenden weiter vor allem Hülsenfrüchte und Gemüse. Die wohlhabenderen Kreise in den Städten hingegen fragen neben allerlei Luxus immer mehr Brotgetreide nach. Das und die steigende Bevölkerung lässt die Getreidepreise in der 1. Hälfte des 12. Jahrhunderts tendenziell steigen, ohne dass das der Masse der Bauern viel hilft.

 

Wichtigster Fleischlieferant ist das Schwein in Stadt und Land, geschätzt als genügsamer Allesfresser. Sie wachsen schnell heran und können von Abfällen und der Mast im Wald leben. Daneben gibt es die in Herden gehaltenen und ebenfalls genügsamen Schafe, von denen wie bei den Schweinen und Rindern  Leder gewonnen werden kann, zudem auch Wolle und das kostbare Pergament.

 

Man kann annehmen, dass damals die Intensivierung der Landwirtschaft der Extensivierung vorausgeht, und dass es Steigerung der Produktivität vor allem ist, die die Vermehrung der Bevölkerung ermöglicht, also vor allem Kindersterblichkeit herabsetzt. Drei Dinge sind dabei hervorzuheben. Da ist zum ersten der Wendepflug, der die Produktivität im Ackerbau erheblich verbessert, bei schwereren Böden aber mehrere Zugtiere benötigt, und weiterhin wenigstens zwei Personen.

Zuum zweiten schreitet die Ablösung des Ochsen als Zugtier durch das Pferd vor allem in Norddeutschland voran, wobei Hufeisen und Kummet sich nun überall langsam verbreiten. Das Pferd bewegt sich bei gleicher Zugkraft etwa anderthalbmal so schnell wie der Ochse. Außerdem ist es ausdauernder: Es kann auf dem Feld zwei Stunden länger eingesetzt werden. Die Verbreitung von Pferden nunmehr nicht nur als Reittier und zu militärischen Zwecken, sondern auch in der Landwirtschaft beschleunigt dann auch den Warentransport als Last- und Zugtier. In der Konsequenz wird nun aber auf den Äckern auch der Anbau von Futterpflanzen wichtiger, ein zunehmender bäuerlicher Erwerbszweig nicht zuletzt auch für den Verkauf auf dem Markt.

Dritte Neuerung ist mit den für Wendepfüge praktischeren Streifenfluren in Gewannen die nördlich der Alpen weiter zunehmende Dreifelder-Wirtschaft, die die Brache erheblich verringert. Es wird geschätzt, dass sich dadurch die Getreideerträge um bis zu 50% vergrößern. Für die Bauern verteilt sich die Arbeit auf den Feldern nun besser durch das Jahr und eine einzelne Missernte kann besser ausgeglichen werden.

 

Wer kein Zugvieh und entsprechend keinen Pflug hat, muss weiter mit Grabscheiten graben, wo er Dienstpflichten nachzukommen hat, wie noch Quellen des 13. Jahrhunderts belegen.

 

Eine gewisse Verbesserung stellt auch der zweiteilige Dreschflegel aus Holz und Leder dar und die seit etwa 1200 erwähnten Schubkarren, von denen allerdings erst seit dem 16. Jahrhundert (hölzerne) Exemplare erhalten sind.

Manches bleibt aber noch beim Alten: Die für die Verbesserung des Ackerbaus notwendigen Eggen, die nach dem Pflügen eingesetzt werden, sind vorläufig weiter aus Holz, und das Getreide wird weiter halbhoch mit der Sichel geschnitten, wiewohl es bereits Sensen gibt. Diese werden aber vorläufig nur für das Mähen von Wiesen genutzt, wobei durch das Heu die Winterfütterung von Vieh verbessert wird.

 

Wassermühlen gibt es seit der Römerzeit. Sie verbreiten sich im 11. Jahrhundert als unterschlächtige nun weiter und können dort dann die Handmühlen für das Getreide-Mahlen ablösen, die Zeit sparen helfen. Dort, wo es an Fließgeschwindigkeit mangelt, wird gegen Ende des 12. Jahrhunderts mit Wasserbau-Maßnahmen erreicht, dass das Wasser oberschlächtig auf das Mühlrad fällt. Im 13. Jahrhundert kommt die (Bock)Windmühle hinzu, die sich in den Wind drehen kann.

Da Mühlenbau aufwendig ist, ist er oft Sache der Grundherren, die die Bauern mit dem Mühlenbann dazu zwingen, in ihren Mühlen zu mahlen, um so Einnahmen zu generieren. Manchmal teilen sich Müller und Bauern (für die Bewässerung) das Wasser an unterschiedlichen Tagen.  

 

Der Zehnte

Seit Karl ("der Große") den Zehnten zur Pflichtabgabe erklärte, ist sie ein wesentlicher Teil des kirchlichen Einkommens. Er betritt alle Ernteerträge des Bauern, wobei der nach der Ernte insbesondere von Getreide dem jeweiligen Herrn Bescheid zu geben hat, dass die entsprechende Anzahl Garben auf dem Feld oder dem Hof abzuholen sind. Im Sachsenspiegel ist dafür die Länge des Seiles genau festgelegt. Vieh wird nach der Geburt von Nachwuchs verzehntet.

 

Ermahnungen, den Zehnten nicht zu verweigern samt Androhung der Exkommunikation belegen, wie oft widerwillig oder gar nicht die Abgabe geleistet wird, die offiziell als Almosen den Bedürftigen zukommen soll. Daneben wird versucht, schlechtere Qualität oder durch Dreck beschwerte Ernte abzugeben.

 

Not

Die Notzeiten der Bauern sind vor allem wetter-bedingt, durch Kälte, Dürrre, Stürme usw., aber auch durch (Vieh)Seuchen. Jede Generation dürfte eine ganze Anzahl davon erleben. Hier nur einige Beispiele: 

1139 gibt es im südlichen Holland und Flandern eine von Seuchen begleitete Hungersnot. Sie weitet sich 1144 nach England, dem westlichen Rheinland aus und 1145-47 wird auch Nordwest-Frankreich und fast der gesamte deutschsprachige Raum erreicht. In den Annalen des Klosters Reichersberg heißt es zu 1145:

In dieser unfruchtbaren Zeit (der letzten 7/8 Jahre) sind fast in allen Ländern zahllose Menschen an Hunger gestorben; die übrigen haben ihr Leben mit Kräutern, Pflanzenwurzeln und auch mit dem Verzehr von Baumrinde kläglich gefristet. Manche machten es sich auch zur Gewohnheit, dem Großvieh wöchentlich Blut abzuzapfen, und erhielten mit dieser Nahrung ihr Leben. (in: Epperlein(2), S.23)

 

Nach kurzer Erholung kehrt die Not 1149 und 1150 in Flandern, Lothringen und Österreich wieder zurück, die in den gesamten deutschen Landen 1151 über ein Viehsterben zu einer besonders großen Hungersnot wird. Zu 1151 heißt es in den Ottobeurener Annalen: (...) mehrere Tausend Menschen starben vor Hunger, so dass in den Dörfern viele Häuser von Bewohnern leerstanden. (in: Epperlein(2), S.24)

 

Not kehrt auch ein, wo es zu Trockenperioden wie der an der Donau 1170/71, zu Heuschreckenplagen und solchen von Mäusen und Ratten kommt. Nicht nur aber auch in solchen Fällen wird von Priestern unter Beisein der Bauern um göttlichen Beistand gebeten. Besonders schlimm ist auch, wie zum Beispiel die Melker Annalen für 1187 schreiben, wenn eine allgemeine Hungersnot von einer Seuche begleitet wird, die Mensch und Tier erfasst.

 

Nicht menschengemachte Not wird wie so oft regional und lokal begleitet von kriegerischen Aktionen geistlicher und weltlicher Herren. Zwar gibt es wenig erfolgreiche Versuche, Landfrieden durchzusetzen, aber wenn weltliche oder gesitliche Herren Fehden ausfechten, sind es vor allem die Bauern, die Schaden leiden. Bauernhöfe werden überfallen, die weibliche Bevölkerung vergewaltigt, Felder werden abgefackelt, Abgaben müssen für Kriegsdienste geleistet werden, Romzüge der Herrscher müssen durch Geld abgelöst werden, und die Bauern müssen Pferde stellen.

Dem Dorffriede soll dienen, dass Bauern im Dorf nur mit Messern und Stäben bewaffnet herumlaufen dürfen, und manchmal wird ihnen weitergehender Waffenbesitz überhaupt verboten, manchmal dürfen sie aber sogar ritterliche Waffen für den Notfall zu Hause aufbewahren.

 

 

Besiedelung

 

Ein großer Teil des Landes selbst in der Mitte Europas ist zunächst immer noch sogenanntes Ödland (im Gegensatz zu Kulturland). Die steigende Bevölkerung und die Klimaerwärmung führen zunehmend zu Neusiedlungen, und  zwischen 1100 und 1300 ziehen so Leute in Wälder, Heide- oder Sumpflandschaften, roden, entwässern, legen Felder und Weiden an, und dies manchmal sogar, ohne die Herren über das Land vorher zu fragen. (Pirenne, S.73 gibt ein französisches Beispiel). In der Regel aber initiieren Grundherren die Rodungen und das Urbar-Machen von Feuchtgebieten, um dem steigenden Geldbedarf nachzukommen.  "Der Zugewinn produktiver Flächen im 10. bis 13. Jahrhundert wird für Frankreich auf ein Viertel bis die Hälfte geschätzt." (Gilomen, S. 61)

 

Waldrodungen in dieser Zeit sind härteste Arbeit. Bäume werden mit Äxten gefällt, der Niederwald wird abgebrannt und dann zwischen den Baumstümpfen Ackerbau betrieben, bis diese verrottet sind. Manchmal werden diese auch mit speziellen Hacken beseitigt.

 

Solche villae novae werden von relativ freien Bauern besetzt, die weder Frondienste noch Abgaben vom Ertrag per se leisten, sondern für die Nutzung von Mühlen zum Beispiel zahlen. Der herrschaftliche Bann beruht dann auf den Investitionen eines Herrn, die die Bauern nicht leisten können oder sollen. Solche Investitionen machen aus Bannherren allerdings bei aller Ähnlichkeit keine Kapitalisten, denn sie dienen nicht der Vermehrung von Kapital, sondern von jenem Reichtum, der weiter in den Konsum geht.

 

Natürlich ist der Grund und Boden dabei nicht Eigentum dieser Bauern, sondern bleibt beim bisherigen Eigentümer. Aber sie können seine Nutzung vererben und zahlen für diese eine Abgabe. De facto geht das Land so auf die Dauer an sie über. Der Meier, der die Dorfgemeinschaft leitet, wird zunehmend mit Zustimmung der Bauern eingesetzt und dann manchmal sogar von ihnen gewählt. Dazu kommt ein eigener Schöffe für die Rechtsstreitigkeiten. Manchmal verleihen große Herren dem Dorf Rechte, die von Stadtrechten abgeleitet sind (Pirenne, S.76f)

Freie Landarbeit zeichnet auch die spanischen poblaciones aus, mit denen das dem Islam abgerungene Land besiedelt wird.

 

Landausbau geht aber vor allem auf die Initiative größerer Herren und Fürsten zurück, wie bei den südfranzösischen bastides, von denen man so manche noch heute gut erhalten besichtigen kann. Das bedeutet für Fürsten Ansätze zu Territorialisierung, hat aber auch unübersehbar ökonomische Gründe, denn ihr Geldbedarf nimmt rapide zu.

In deutschen Landen stellt Caesarius von Heisterbach 1220 in seiner Version des Prümer Urbars vom Ende des 9. Jahrhunderts fest: (...) und es steht fest, dass in dieser so langen Zeit viele Wälder gerodet, Dörfer erbaut und die Zehnteinnahmen vermehrt wurden; viele Mühlen wurden in dieser Zeit errichtet, viele Weinberge angelegt und unendliche Ländereien urbar gemacht. (in: Epperlein, S.50)

 

Mit der Landgewinnung nehmen Ackerbau und Viehzucht zu, was den Aufschwung der Tuchhandelsstädte Brügge, Ypern und Gent ermöglicht. Damit mischen sich hier dann Adel und Graf in die Eindeichung ein, ohne aber ausführliche Grundherrschaft zu entwickeln. (DMeier, S.93)

 

Neben den "Landesausbau" tritt im Mittelalter an der Nordsee zwischen Flandern und Nordfriesland die Landgewinnung. Während der Ausbau des Nutzlandes mit Vernichtung von Naturland im wesentlichen in herrschaftlichem Auftrag geschieht, beginnen schon im 11. Jahrhundert die in Kirchspielen zusammengeschlossenen Marschenbauern in den niederen Landen die Landgewinnung in eigener Regie. Dabei ist nur einen Anerkennungs-Zins an den Bischof von Utrecht zu zahlen. Die Siedlung auf Wurten bzw. Warften wird durch Deichbau und Neulandgewinnung  ergänzt. "Die heutige Landschaft in den Marschen mit den geradlinigen Sielzügen und Deichen ist das Produkt des Mittelalters." (DMeier, S.91)

 

1106 (oder 1113) schließt Erzbischof Friedrich von Bremen einen Vertrag mit Leuten, die Holländer genannt werden, und denen Land in unserem Bistum, das bisher unbebaut und sumpfig und für unsere Untertanen überflüssig war, zum Ausbau (ad excolendam) überlassen wird. Dafür geben sie den Zehnten, einen Pfennig je Hufe und in geringem Umfang Naturalabgaben. Sie errichten Kirchen, die sie zusammen mit dem Herrn ausstatten. (in: Franz, S.171) Iurati vergeben die Parzellen an die Neusiedler.

Nach 1135 beginnen Holländer mit der Urbarmachung des Alten Landes, wobei sie ihre Niedergerichtsbarkeit und ihr eigenes Recht behalten. 1149 verteilen Lokatoren das Stedinger Land, welches ausdrücklich für Ackerbau (Getreide) zu nutzen sein soll. 

Bauerngemeinden, die manchmal nun universitates genannt werden und sich von consules vertreten lassen, gewinnen ein gewisses Maß an Unabhängigkeit. (Haas, S.28)

 

Eine andere Besonderheit ist die Neulandgewinnung und Ansiedlung freier Bauern in den Niederlanden auf neu eingedeichten Gebieten, Poldern, wie sie zuerst die Grafen von Flandern seit der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts fördern, einem für die Zeit gigantisches Projekt. In all diesen Fällen entsteht eine freiere Bauernschaft dadurch, dass sie mit Freiheiten auf Neuland angelockt werden. Bevölkerungspolitik wird üblich aus dem Interesse der Mächtigen heraus, und das wird bis heute so bleiben.

 

Auf Dauer härteste Form der Gewinnung nutzbaren Landes ist die in den Höhenlagen der Gebirge, insbesondere der Alpen, die bei den Walsern bis hin zur ethnischen Überfremdung geht.

 

Neben den wenigen Gebieten, in denen sich alte bäuerliche Freiheit hält, gibt es die neue als Siedlungsanreiz in einigen der Rodungsgebieten und solchen übriger Kolonisierung. "Zu den besonderen >Freiheiten< (...) gehören vor allem ein erbliches Besitzrecht ohne grundherrliche Bindung alten Typs. Die Bauern haben danach ihr Land zu freier Erbleihe inne, genießen persönliche Freizügigkeit und brauchen von ihrem Nachlass keine Abgaben an den Dorf- oder Landesherrn zahlen. (...) Sie erhalten großzügige Selbstverwaltungsrechte, dürfen ihre eigenen Dorfrichter wählen und sind von den bestehenden Gerichten weitgehend befreit." (Rösener, S.231f)

 

Landgewinnung und Landausbau verhelfen Bauern zu Neuland und des öfteren auch zu mehr oder weniger größeren Freiheiten, sie helfen hohen Herren auch zu extensiver wie intensiver Bildung von Territorien und zu mehr Einkünften. Auf den Landesausbau folgt entsprechend dann die Förderung von Handel und Handwerk. Dies gilt auch für den Ausbau des Fürstentums Savoyen durch Erschließung von Tälern und Ausbau von Pässen, die Bindeglieder zwischen flämischen Städten, der Lombardei, Venedig und der Toskana bilden.

 

Ostsiedlung

Als eine besonders weiträumige Form des Landausbaus erweist sich die Entwicklung im zukünftigen deutschen Osten. Zunächst werden Niederländer, besonders Flamen, nach 1100 zum Eindeichen und Bevölkern an die untere Elbe geholt, und dann später auch nach Brandenburg und Mecklenburg. Sie bringen ihre flämischen Freiheiten mit und behalten sie zunächst. Nach den Flamen kommen Westfalen und übrige Deutsche und Europäer, die entsprechende Rechte erhalten.

 

Anfang des 12. Jahrhunderts ließ Graf Wiprecht eine Rodung in der Merseburger Diözese urbar machen.

Er wandte sich nach Franken, wo seine Mutter (...) in Lengenfeld vermählt war, und führte von dort viele Ansiedler (colones) herbei. Er ordnete an, dass sie den Wald völlig ausroden und dann diesen Gau bestellen und im Erbrecht besitzen sollen. So gründet er mehrere Dörfer und ein kleines Kloster, welches Pfarrei für alle umliegenden Orte sein und dem Kloster Pegau unterstellt sein sollte. (in: Franz, S.166) Zum Kloster gehören Wälder, Wiesen, Weiden, bald sieben Dörfer und Mühlen.

 

Fürsten des Ostens heuern oft adelige Siedlungsunternehmer, locatores, an, die durch die Lande ziehen, um Leute anzuwerben. Sie erhalten dafür zinsfreie Hufen, das Dorfrichteramt und Einkünfte aus Mühlen- und Schankrechten. (Mitterauer(2), S.59)

Für 1143 berichtet Helmold von Bosau über Adolf II. von Schauenburg und Holstein:

Da das Land verlassen war, schickte er Boten in alle Lande, nämlich nach Flandern und Holland, Utrecht, Westfalen und Friesland, dass jeder, der zu wenig Ackerboden hätte, mit seiner Familie herbeikommen solle, um hier das schönste, geräumigste, fruchtbarste, an Fisch und Fleisch überreiche Land neben günstigen Weidegründen zu erhalten.(...) Zunächst erhielten die Holsten Land (...) Das Darguner Land besiedelten die Westphalen, das Eutiner die Holländer und Süsel die Friesen. Das Plöner Land aber ließ er noch unbewohnt. Oldenburg und Lütjenburg sowie die anderen Küstengegenden ließ er von den Slawen besiedeln, und sie wurden ihm zinspflichtig. (in: Franz, S.192f))

 

Über den aufsteigenden Markgraf Albrecht den Bär wiederum heißt es bei ihm zu 1160, dass er Boten schickte

nach Utrecht und den Rheingegenden,  ferner zu denen, die am Ozean wohnen und unter der Gewalt des Meeres zu leiden hatten, den Holländern, Seeländern und Flamen, zog von dort viel Volk herbei und ließ sie in den Burgen und Dörfern der Slawen wohnen. Durch die eintreffenden Zuwanderer wurden auch die Bistümer Brandenburg und Havelberg sehr gekräftigt. denn die Kirchen mehrten sich und der Zehnt wuchs zu ungeheurem Ertrage an. Zugleich begannen die holländischen Ankömmlinge aber auch das südliche Erbufer zu besiedeln; von der Burg Salzwedel an besetzten Holländer das ganze Sumpf- und Ackerland mit vielen Städten und Dörfern bis hin zum böhmischen Waldgebirge. (Helmold in: Borgolte, S.236)

Zunächst muss von den Markgrafen die Altmark mit ihren ansässigen Adeligen unter seine Gewalt gebracht werden. Es gelingt ihnen, "(...) beim Landesausbau, bei der Anlage von Straßen und Brücken und unter weiter Nutzung des Regalien, des Markt-, Münz- und Zollrechts, ihre Stellung als Inhaber einzelner Grafschaften am Ostharz allmählich in die Form einer markgräflichen Landesgewalt über die Altmark durchzusetzen" (Haas, S.53) Daneben ist es für sie im Osten leichter, über Straßen, Märkte und Städte ab 1160 Macht über das Land zu gewinnen.

 

Besiedelt wird die Mark Brandenburg durch Ministerialen der Askanier, wobei die Fürsten ausgesprochen planmäßig vorgehen. Bei bald vielleicht 20% städtischer Bevölkerung werden die Stadt-Land-Beziehungen bald recht intensiv.

1164 erklärt der Erzbischof von Magdeburg für Poggendorf an der Elbe,

er habe für eine bestimmte Geldsumme das Land mit angrenzenden Wiesen und Sümpfen erworben und es in die Hand von zwei Lokatoren mit der Auflage gegeben, dass sie dort neue Bewohner ansiedeln, die den Boden voller Sumpf und Gras, der außer für Gras und Heu zu nichts nutze ist, austrocknen, durchpflügen und durch Ansaat ertragreich machen, und dass sie dann einen jährlichen Zins an bestimmten Tagen zum Nutzen des Erzbischofs von dieser Siedlung zahlen. (in: Haas, S.46)

 

In einer Urkunde von 1175 bestimmt der Piastenfürst Boleslaw I. für die von Kloster Pforta ausgehende Gründung von Leubus:

dass alle Deutschen, die künftig die Güter des Klosters bebauen oder, durch den Abt auf ihnen angesiedelt, dort Wohnung nehmen werden, für immer ohne jede Ausnahme von dem polnischen Recht frei sein sollen (in: Haas, S.49).

Zur Erbleihe kommen so die mitgebrachten Rechte, die sie aus der bisherigen dünnen Bevölkerung herausheben.

 

Im Süden sind es Leute aus dem Rheinland und Bayern, die nach Böhmen, Mähren und Schlesien ziehen. Die "Modernisierung" und Integration in den Westen bringt ungarische Herrscher dazu, Einwanderung zu fördern. Es kommen neben Deutschen und Lombarden auch Savoyarden und Slowenen. Die erhebliche Silber- und Goldgewinnung im Land fördert dann dort die Entstehung von Märkten und Städten.

 

Diese Wanderungsbewegung in den Osten bleibt bis tief ins 13. Jahrhundert mit allerhöchstens einer halben Million Menschen insgesamt intensiv, um dann bis ins 15. auszulaufen. Im 12./13. Jahrhundert bedeutet das allerdings auch nicht mehr als etwa 2000 Neusiedler im Jahr, was im Rahmen der damals ohnehin üblichen Mobilität liegt (Borgolte / Haas). Diese Kolonisten scheinen sich dann aber enorm vermehrt zu haben, in Sachsen soll sich die Bevölkerung von 1100 bis 1300 verzehnfacht haben, wobei der Bevölkerungsüberschuss dann weiter nach Osten wandert.

Die Besiedlung der Gebiete westlich der Oder ist wohl überwiegend friedlich erfolgt und diente nicht der ethnischen Veränderung, sondern der Entwicklung von Landwirtschaft und Handel. In Preußen ging sie hingegen eher gewalttätig vonstatten und in Teilen des Baltikums ebenfalls.

 

Dabei hat diese Bewegung ethnisch und politisch mehrere Folgen. Bis an die Oder und bis ins Deutschordensland entstehen neue Fürstentümer, die teilweise ins römisch-deutsche Reich eingehen, teils, wie an der Ostsee, zwischen diesem und skandinavischen Reichen umstritten bleiben. Daneben gibt es geschlossene Siedlungsgebiete in Böhmen (und Mähren), die eine eher slawische Herrschaft unter der römischen Krone fördert, und solche Gebiete wie in Siebenbürgen, wo sie ebenfalls ihr Deutschtum unter fremder Herrschaft bis in die Katastrophen des 20. Jahrhunderts bewahren können.

 

 

Weit entfernt davon findet eine weitere solche Bewegung statt: In dem Maße, in dem die islamischen Herrschaften auf der iberischen Halbinsel von Norden nach Süden zurückgedrängt werden, strömen Menschen aus Westfranzien vor allem nach, besiedeln Teile des sich nach Südwesten ausdehnenden Kataloniens, Orte entlang der Pilgerwege nach Santiago de Compostela und drängen dann von dort nach Süden. Sie vermischen sich im Laufe der Zeit mit der einheimischen Bevölkerung, aus der dann neue Völkerschaften entstehen: Katalanen, Aragonesen, Asturier, Galizier, Leonesen und Kastilier.

 

Bevölkerungswachstum, Landes"ausbau" im Westen und fürstliche Bevölkerungspolitik im Osten samt zunehmendem Ackerbau verwandeln die Landschaften. Während die natürlich gewachsenen Wälder erst im späteren Mittelalter in Forste, also Holzäcker verwandelt werden, bestimmen Getreideäcker und andere Monokulturen wie Hanf, Färberwaid oder insbesondere Wein das Bild ganzer Gegenden wie Umbrien, Toskana, die Champagne und das Bordelais, aber auch Mittelrhein und untere Mosel. Damit verschwinden immer mehr Pflanzen- und insbesondere Tierarten, wobei die fürstliche Jagd auf Großwild eine weitere erhebliche Rolle spielt.

 

 

Der Wald: Nutzung und Zerstörung in deutschen Landen

 

Zwischen dem 10. und dem Ende des 13. Jahrhunderts wird (lebendige) Natur noch umfangreicher zum Rohstoff, und das gilt insbesondere für das Holz der Bäume. Durch Besiedlung und Umnutzung verschwinden Wälder weithin bis zu den Höhen der Mittelgebirge und hinauf bis zu den Alpenhängen. Abgesehen davon ist Holz vielleicht der wichtigste Rohstoff der Zeit, und Wälder sind auch für die Nahrungserzeugung ein notweniger und elementarer Bereich.

 

Wir wissen heute mehr über die Bedeutung des Waldes für das Klima auf der Erde und überhaupt auf den ganzen Lebensraum. Das aber ist den Menschen damals nicht bewusst, die ihn durch Nutzung verändern und zudem in hohem Maße ganz zerstören. Das ist zwar noch nicht die heutige lebensbedrohende Katastrophe, aber schon der Weg dahin.

Walter von der Vogelweide singt in seiner Altersklage 'Owê war sint verswunden alliu mîniu jâr!' um 1222: bereitet ist daz velt, verhouwen ist der walt: / wan daz daz wazzer fliuzet als ez wîlent flöz, / für wâr mîn ungelücke wânde ich wurde grôz. Felder haben den Wald vetrieben, als Trost bleibt nur, dass Bäche und Flüsse noch weiter fließen.

Schon vorher beklagt Petrus, Kantor an Notre Dame von Paris, die Bauwut in den Städten. Selbst Flüsse, Seeufer und Wasserquellen seien der Natur entrissen, von den Menschen durch Mauern und Wege eingefasst. Das alles sei auf die menschliche Gier nach Luxus zurückzuführen. (Schmidt, S.26)

 

 

In Mitteleuropa schwindet der Wald schon auf dem Weg ins Mittelalter, seitdem ganze Völkerschaften mehr oder weniger mit Gewalt zivilisiert werden, was mit der Entstehung von Städten einher geht, die in Mitteleuropa immer mehr Holz verbrauchen. Zugleich verschwindet das naturnahe Verhältnis zu ihm auch mit der Christianisierung, die im Kern Naturferne bis hin zu Feindseligkeit gegenüber allem Natürlichen propagiert.

 

Die erste Ursache für den massiven Rückgang des Waldes ist der Anstieg der Bevölkerung, die Flächen zum Wohnen und für die Landwirtschaft braucht und zudem Holz als Rohstoff zum Heizen und für die Produktion.

Irgendwann in der späteren Karolingerzeit beginnt in stärkerem Umfang die Verwandlung von Wald und übrigens auch Sümpfen und Mooren in Ackerland und Weiden. Diese nimmt zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert rapide zu. "Auf deutschem Boden wurde ein Gebiet von der Größe Englands dem Wald und der Wildnis abgerungen." (SchubertAlltag, S.72) Dort, wo am Ende im 13. Jahrhundert kaum noch Bäume wachsen, wird das Wasser von Niederschlägen weniger gehalten, fließt schneller ab und führt zu periodischen Überschwemmungen und Dürren, denen nun mit neuen Maßnahmen begegnet werden muss.

 

Die schon in der Jungsteinzeit begonnene Entwaldung zwecks Umwandlung in Kulturlandschaft nimmt im Hochgebirge der Alpen sogar bis tief ins 14. Jahrhundert zu: Der untere Waldrand wird hier zur Gewinnung von Äckern vor allem nach oben verschoben, der obere wiederum für die Erweiterung von Weideland für die kurzen Sommer einer Almwirtschaft nach unten.

Eine Besonderheit sind in diesem Zusammenhang die oft Klöstern zinspflichtigen Schwaighöfe, die zwischen dem 12. und 15. Jashrhundert auf über 1200 m Höhe in Alleinstellung angesiedelt werden und reine Viehwirtschaft samt Käserei betreiben.

 

In der Nachantike besteht in Germanien weithin Urwald mit Siedlungsinseln oder verwilderter Wald. Im Hochmittelalter wird Wald, wo er nicht gerodet wird, stärker zum Nutzwald und verändert so seinen Charakter unter menschlichem Einfluss, bis spätestens im 14. Jahrhundert die Urwälder in Mittel- und Westeuropa fast völlig verschwunden sind. Der resultierende Nutzwald ist dann im späten Mittelalter bereits ebenfalls in seinem (Rest)Bestand gefährdet. Damit ist der Mensch zum bestimmenden Gestalter von Landschaft geworden, die sich immer mehr von Natur- in Kulturlandschaft verwandelt.

 

Wälder verschwinden nicht nur durch Verwandlung in Siedlungen und Agrarflächen, sie werden durch Nutzung als Viehweide und Holzreservoir auch lichter. Damit verwandelt sich ihre Zusammensetzung aus Baumarten. Ursprünglich herrschen in Mitteleuropa "von Natur aus" Linden, Buchen und etwas weniger Eichen vor, in den Talauen vor allem Ulmen. Mit der Vernutzung ändert sich die Zusammensetzung des Waldes immer mehr hin zu Nadelhölzern. Eine Form der Vernutzung ist die Kopfholzwirtschaft: Man fällt Bäume so hoch, dass Kopfholz daraus noch ausschlagen kann. Dieses wiederum wird zum Beispiel zum Flechten von Körben, Zäunen und Wänden von Fachwerkhäusern verwendet.

 

Dort, wo Sandböden vorherrschen, wird ohne Pause Winterroggen angebaut, was zur Verarmung der Böden führen würde, wenn diese nicht ergänzt würden, da es keine ausreichende andere Düngung gibt. Als Ersatz "begann man in den Wäldern humusreiche Soden, Plaggen, zu stechen und auf die Felder zu bringen. Nach dem Rückgang der Wälder wich man auf Heideplaggen aus, die man in den Ställen  mit dem Dung vermischte, kompostierte und auf die Äcker brachte." Heide verkam so manchmal im Laufe der Zeit zur Sandwüste. (DMeier, S.48f)

 

In England und Frankreich sind zunächst große Teile der Wälder königlicher Besitz oder fürstlicher in der Champagne oder Flandern, und um 1200 finden die hohen Herren diese als ihre Jagdgebiete so bedroht, dass sie drakonische Rodungsverbote erlassen, (N.Fryde in: Stromer/Fees, S.72) Wo Landgewinnung nicht mehr möglich ist, wandern die Menschen in Städte oder andere Gegenden Europas ab.

Derweil verliert das deutsche Königtum inzwischen seine Wälder, die in die Hand hoher Geistlichkeit, von Klöstern (Fulda!) und Hochadel fallen. Damit wird sich im späten (kurzen) Mittelalter auch keine zentrale Schutzpolitik für Wälder mehr ergeben.

 

Ein Faktor des Schwindens von Wäldern ist auch der großflächige Weinbau in Mittel- und Westeuropa. In Portugal beginnt diese Entwicklung im 12. Jahrhundert und nimmt im 13. Jahrhundert überhand. Zur Entwaldung und Terrassierung von Hängen kommt zudem auch die Trockenlegung von Sümpfen.

 

Wichtig für die Menschen ist der Nutzwald für Feuerholz zum Heizen und Kochen. Für die Schweinezucht dient der Wald vor allem als Viehweide vorzugsweise für Eicheln, aber auch für Bucheckern.Bauern sind so am Schutz vor allem von Eichen- und Buchenbeständen interessiert.

Bucheckern und Haselnüsse liefern zudem Speiseöl. Waldbienen liefern Wachs und Honig, wobei letzterer auch in das Rauschmittel Met vergoren wird, bis es durch Bier vor allem abgelöst ist.

 

Bauholz bildet das Fachwerk der Häuser und die Etagenböden, dünnes Holz das Flechtwerk für die Wände und massivere Stämme wieder das Dachgebälk, welches bis ins spätere Mittelalter mit Holzschindeln gedeckt ist.

 

Kein entstehender Kapitalismus damals ohne Wälder. Sehr viele handwerkliche Gewerbe (ver)brauchen Holz, am wenigsten noch Tischler und Schreiner, da es wenig Möbel in den Wohnungen gibt und diese möglichst lange benutzt werden.

Ganz langsam werden Holzschüsseln und Holzbecher durch Tongefäße der Wohlhabenderen ersetzt. Aber mit der Zunahme von Töpferbetrieben und ihres Ausstoßes wird (idealerweise) mehr Eichenholz zum Brennen bei rund 900 Gard Celsius benötigt, und wenn dieses mangels Masse zu teuer wird, sozusagen zu schade zum Verbrennen, ist das Haselholz dran. Wo es keine Natursteine gibt, werden Ziegel mit der Energie aus Holz gebrannt.

 

Ansätze der Verwandlung von Wald in Industrielandschaft betreiben die Zisterzienser von Walkenried im Südharz, die Erz-Bergbau und Verhüttung betreiben und im 13. Jahrhundert immer mehr Holz in Holzkohle für ihr Hüttenwesen verwandeln. Ähnlicher Nutzung führt die Stadt Goslar zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert den Braunschweiger Herzögen abgerungenen Wäldern zu. In diesen wie vielen anderen Fällen verschwinden die Laub-Mischwälder und werden vor allem durch Fichten ersetzt. (Epperlein, S.20ff)

 

Für die Vielfalt all dessen, was aus dem Wald genutzt wird, seien hier nicht nur die vielen aus Holz gearbeiteten Gegenstände, Gerätschaften und Werkzeuge erwähnt, sondern weniger offensichtliches: Das Gerben für Leder und Pelze geschieht mittels einer Gerberlohe, die aus der Rinde vornehmlich von Stockausschlägen der Eichen hergestellt wird, indem man sie in Lohmühlen zermahlt.

Rinden werden außerdem zu Rindenbast verarbeitet, aus dem Seile hergestellt werden. Baumharz wird als Pech genutzt, dem wichtigsten Klebemittel des Mittelalters. Für Notizen werden Wachstäfelchen mit Holzrahmen benutzt. In Skriptorien wird auf Pergament Tinte aus Eichengalläpfeln benutzt. (siehe: SchubertAlltag, S.66ff)

 

Teile der Ernährung, zudem Behausung und Wirtschaften hängen nun praktisch vollständig vom Wald ab, was dann schließlich zu der Erkenntnis führen wird, dass man seine Reste schützen muss. Im Rahmen dieser Erkenntnis verwandelt sich Wald langsam in Forst und damit in Eigentum vor allem hoher Herren, Fürsten, Ratsherren und damit zusammenhängend großem Kapital.

 

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In deutschen Landen sind geistliche Institutionen die Herren über viel Wald und es gibt überall immer wieder Konflikte zwischen ihnen und den Bauern um die Nutzung sowohl von Holz wie als Weideland. Dabei geht es einerseits um Besitzrechte und andererseits um tradierte Nutzung. Das Land ist nicht kartiert und zudem fehlt es zunächst des öfteren an Urkunden. Ansprüche von Bauern, die sich auf traditionelle (gemeinsame) Nutzung berufen ("das alte Recht"), werden mit immer neuen Entscheiden und Urteilen zurück gedrängt. Dieser Vorgang wird sich bis hin zum deutschen Bauernkrieg von 1525 immer weiter zuspitzen, aber er beginnt schon früh.

 

Ein sehr einseitig beschriebenes Beispiel aus der Lebensbeschreibung des Bischofs Bennos (II.) von Osnabrück. Dieser gründet das Kloster Iburg am Hang des Teutoburger Waldes mit entsprechenden Waldgebieten:

Nun heißt es für kurz nach 1050, dass (...) der gemeine und ungebildete Haufe (....) sich waffnete und nach seiner Gewohnheit auf Neuerung sann. Als daher eines Jahres dieser Gegend eine reiche Ernte, besonders aber auch ein Überfluss an Eicheln beschert war (...) schickten sich die umwohnenden Bauern, die man hier Markgenossen nennt, an, ihre Schweine hierher zu treiben, die Eicheln in Säcken fortzuschaffen und so das Eigengut des Bischofs als Allmende in Anspruch zu nehmen. Als aber der Meier, der hier dem Speicher vorstand, ihrem Treiben wehren und das ihm anvertraute Gut selbst mit den Waffen verteidigen wollte, da ließen sich jene nicht zur Ordnung weisen, sondern taten ihm großen Schimpf an und zwangen zur Flucht bis nach Osnabrück. (in: Epperlein, S.23f)

Der Bischof kann sich erst nach längerem (Rechts)Konflikt am Ende durchsetzen.

 

1088 beschweren sich Bauern, dass ihnen das Kloster St.Georgen immer mehr Land raube. Als sie nicht ernstgenommen werden, versuchen sie das Kloster zu stürmen und werden dann vom Herzog von Schwaben unterworfen und bestraft. (Epperlein, S. 64)

 

Ein weiteres Beispiel: Nachdem 1140 am Nordrand des Thüringer Waldes das Zisterzienser-Kloster Georgenthal gegründet und vom Stifter mit viel Wald ausgestattet wird, gibt es vom 13. bis Anfang des 16. Jahrhunderts immer wieder neue Auseinandersetzungen mit sieben Dörfern um die Nutzung eines Freiwaldes, die die Mönche mit Hilfe der Landgrafen zu beschneiden suchen. Im Laufe des 15. Jahrhundert erklärt das Kloster den Wald praktisch zu seinem alleinigen Besitz, und reduziert die bäuerliche Nutzung weiter massiv. Am Ende wird das Kloster im Rahmen des Bauernkrieges 1525 von Bauern zerstört werden. (Epperlein, S.15ff)

Zisterzienser gelten als besonders ruppig im Umgang mit Bauern, die sie im Extremfall zu vertreiben versuchen. Um 1180 bekommt die Zisterze Marienthal bei Helmstadt den Lappwald geschenkt und versucht den zum Kanonikerstift Walbeck gehörenden Bauern eines nahegelegenen Dorfes die Nutzung einzuschränken, sowie auch die Nutzung anderer Wälder für andere Dörfer. Gegen Ende des 12. Jahrhunderts beginnt das Zisterzienser-Kloster Eberbach Wald zu erwerben und gerät darüber dann in Konflikte mit den Nutzungsansprüchen von Bauern, die auch im 13. Jahrhundert anhalten. Dabei genießt das Kloster die Rückendeckung durch den Mainzer Erzbischof. Zwei Förster betreuen den klösterlichen Wald im Rheingau. Ähnlich kann sich das Kloster Himmerod in der Südeifel mit Hilfe des Trierer Erzbischofs gegen Bauern durchsetzen. die immer mehr Zugriff auf die Wälder verlieren, für deren Nutzung sie in der Regel bislang immerhin schon Abgaben zahlen mussten. Teilerfolge erzielen Bauern dort, wo ihnen nobiles und milites mit ihren eigenen Interessen zur Seite stehen.

 

Schon um 1230 heißt es im sogenannten Freidank:

Die fürsten twingent mit gewalt / velt, stein, wazzer unde walt. / dazuo beidiu wilt unde zam; / sie taeten lufte gerne alsam; / der muoz uns doch gemine sin. / Möchtens uns der sunnen schin / verbieten wint auch unde regen.

 

1291 gibt Rudolf von Habsburg den Herren Möglichkeiten, die Nutzung der Allmende einzuschränken.

 

Konflikte über die Verfügungsgewalt und Nutzung von Wäldern gibt es aber auch zwischen Klöstern, Klöstern und weltlichen Herren und durch Streit zwischen letzteren.

Zur Aufsicht über die Wälder setzen im 12./13. Jahrhundert sowohl Bauern wie Klöster, Stifte und weltliche Herren Waldgrafen, Förster o.ä. ein. 1144 erlässt der Abt des elsässischen Klosters Maursmünster eine Art Forstordnung für seinen Oberförster und sechs Förster, die für Holznutzung Abgaben einfordern, für die Zuteilung von Brennholz Abgaben bekommen und bei genügend Eicheln den Bauern gegen Abgaben die Schweinemast erlauben. (Epperlein, S.69f) 

 

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Irgendwo zwischen der Nutzlandgewinnung durch Eindeichung im Norden und durch Entwaldung weiter südlich liegt die Zerstörung der vielen und zum Teil großen Moorlandlandschaften von Nordholland bis ins Voralpenland. In Holland werden Moore seit dem späteren 11. Jahrhundert kultiviert, seit dem 12. Jahrhundert auch durch Verkauf von Parzellen an Siedler. Sind dann allerdings im Laufe der Zeit manchmal mehrere Meter tief die Moore abgetragen, können daraus dann Marschlandschaften entstehen, die erst mithilfe neuzeitlicher Poldermühlen wieder entwässert werden können.

Mithilfe holländischer Einwanderer werden dann die vermoorten Flussmarschen von Weser und Elbe kultiviert. Von Bremen aus organisiert schon der dortige Erzbischof die Landgewinnung in der von Heinrich IV. geschenkten Wesermarsch. Im 12. Jahrhundert tauchen bereits Siedlungsunternehmer auf, die das Land auf- und verkaufen.

 

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Das 12./13. Jahrhundert sind - grob gesagt - die Zeit, in der im lateinischen Abendland menschliches Verhalten von der Versorgung mit dem Lebensnotwendigen immer mehr zum Überfluss, also dem Überflüssigen übergeht, wobei diese Entwicklung langsam von den Reichen und Mächtigen nach unten durchsickert, um erst im 20. Jahrhundert in den Industrieländern die Masse der produktiv Arbeitenden zu erreichen, was allerdings nur durch Ausbeutung der Menschen in ärmeren Regionen der Welt gelingt.

 

Mit dem Aufstieg des Kapitals, der Bevölkerungszunahme, der Gier von Königen, Fürsten, Adel und Kapitaleignern einher geht das bis heute anhaltende Schwinden von Naturlandschaften, die Ausbreitung der Kulturlandschaften und  die bis heute immer schneller voranschreitende Verlust von Artenvielfalt von Tier und Pflanze. Es setzt das ein, was - mit einem Modewort - konsequent in die ölkologische Katastrophe führt, der wir inzwischen ausgeliefert sind. Es ist die verantwortungslose Ausplünderung der Erde und Vernichtung ihrer Lebewesen, das, was, bis heute als Fortschritt gepriesen wird.

 

Die Entfremdung von der Natur begann mit der brutalen Zivilisierung der Menschen, ihrer Einordnung in institutionalisierte Machtstrukturen. Aber erst die Dominanz des Kapitals, die sich im sogenannten hohen Mittelalter immer deutlicher abzeichnet, versperrt jede Auseinandersetzung damit. Die fatalen Folgen eines Innehaltens machen für fast alle jede Nachdenklichkeit unmöglich. Die Menschen können immer mehr, und damit hält kein Verantwortungs-Bewusstsein schritt. Um das zu verstehen, darf man nicht erst im 19./20. Jahrhundert anfangen. Aber bisherige Geschichtsschreibung hat beim Verstehen ohnehin nicht viel geholfen, und die von globalisiertem Kapital und Politik heute favorisierte Geschichtslosigkeit und Wurzellosigkeit der Menschen lässt nur Mythenbildungen und Lügenmärchen von rechts bis links, wie die Politverdummung von heute eingeordnet wird, noch zu.

 

 

Die Grafschaft Falkenstein.

 

Die Familie, die Macht und die Nutzung der Macht in ihrem Bereich machen die mittelalterliche Herrschaft aus. Macht und Herrschaft sind Familienbesitz, ausgeübt werden sie vom Herrn der Familie, von der Frau nur an seiner statt – wenn er im Krieg ist, auf dem Kreuzzug oder das Zeitliche gesegnet hat, und sie ist Witwe.

 

Die Potestas wird über Grund und Boden ausgeübt und zugleich über die Menschen dort. Sie beinhaltet militärische, wirtschaftliche und gerichtsherrliche Macht. Nach der Zeit Karls des Großen ist sie in einem befestigten Gebäude zuhause, erst oft nur einem Turm, dann einer Burg, im Hochmittelalter einer aus Stein. Rundherum werden Territorium und Herrschaft immer mehr arrondiert.

Über dem kleinen Adeligen ist dann der mittlere angesiedelt, und über dem wiederum bilden sich Fürstentümer heraus. Hier aber geht es um die unterste Ebene auf dem Land.

 

Die Herrschaft der Grafen von Falkenstein im Hochmittelalter bietet sich vor allem aus zwei Gründen an, um den Zustand gehobener gräflicher Grundherrschaft zu beschreiben. Einmal ist sie sehr gut dokumentiert (und von Werner Rösener schön beschrieben), zum anderen betrifft sie eine bekannte deutsche Urlaubslandschaft zwischen Tegernsee und Chiemsee vor allem. Das Dokument entstand 1166, bevor ein Graf Siboto von Falkenstein auf einem der vielen Kriegszüge Kaiser Friedrichs I. mitzog, um alles für seinen minderjährigen Sohn zu ordnen, falls der Vater aus dem Krieg nicht mehr zurückkäme. Da es wenig Dokumentiertes über bäuerliches Leben bis ins Hochmittelalter gibt und dieses fast überall im Rahmen adeliger Herrschaften stattfindet, ist der Codex Falkensteiniensis ein einzigartiges Dokument in seiner ganzen Ausführlichkeit als erstes weltliches Einkünfteverzeichnis, welches erhalten ist (Noichl). Der Graf kam übrigens lebendig von seinem Kriegszug zurück, worauf der Codex bis etwa 1196 ergänzt wurde, um dann ins Deutsche übersetzt zu werden.

 

Der Ursprung der Familie könnte auf der Burg Hernstein bei Wien gewesen sein. Das Hantgemahl, also der offizielle Ursprungsort des freien Adelsgeschlechts, liegt allerdings in einem Ort in der Grafschaft Moosburg. Das ist auch der Ort, an dem der Adelige bis ins späte Mittelalter gerichtspflichtig war. her is dâ ouch dingplichtich, heißt es im Sachsenspiegel, als diese Regel schon langsam verfällt. („durch dieses Stammgut wird die volle Freiheit und die Adelsqualität seines Geschlechts bewiesen.“ RösenerErinnerungskulturen S.44)

 

Von dort wurde, wie auch immer, die Burg Falkenstein in der Mitte zwischen Tegernsee und Chiemsee erworben. Durch Heirat mit der Erbtocher der Grafen von Weyarn kommt es zum Besitz der zwei Burgen Weyarn und Neuburg.

 

Erstere war bereits 1133 vom Schwiegervater mitsamt den dazugehörigen Gütern dem Salzburger Erzbischof übergeben worden, damit der dort ein Chorherrenstift einrichtet, über das die Weyarner dann die Vogteirechte hatten, also die weltlichen Herrschaftsrechte mit den entsprechenden Einkünften. Dazu übergibt der Bischof als Dankeschön den Falkensteinern auch noch 1158 die Vogteirechte über Herrenchiemsee. Zusammen mit der Wasserburg Hartmannsberg besitzen die Falkensteiner also am Ende vier Burgen und die Vogteirechte über drei Klöster. Zu jeder der drei ursprünglicheren Burgen gehörte noch eine Eigenkirche mit dem ihr zugehörigen Gut (tres ecclesiae urbibus suis positae, in RösenerErinnerungskulturen S.41)

 

Jede dieser Burgen bildete ein Amt (officium), welches ein Amtmann (procurator/praepositus) verwaltet, ein Kind abhängiger Bauern, das durch Bildungsinitiative seiner Eltern und Unterstützung seines Herren aufsteigen konnte. Er war Dienstmann, Ministerialer des Adeligen und Teil von dessen Familie durch seine Tätigkeit. Solche Dienstleute für eine Vielzahl von Aufgaben lebten und wohnten in der Burg des Herrn, jedenfalls sind sie dort regelmäßig anwesend. Soweit die adeligen Herrn dort eine Hofhaltung im Sinne der sich entfaltenden „höfischen Kultur“ mit ihrer Pracht, ihrem repräsentativen Amüsiergehabe einrichten, was von den Falkensteinern weniger überliefert ist als von den gleichzeitigen Welfen in Ravensburg, sind Ministeriale auch für solche Dienstleistungen zuständig.

 

Die Burgbesatzungen bestanden ebenfalls aus Ministerialen, Kriegern der untersten Ebene, die hofften, durch diesen Dienst frei, und das heißt auf dem Land selbst adelig, also zu Rittern zu werden.

 

Zu jeder der Burgen gehörten ungefähr zehn Herrenhöfe, die jeweils über eine ganze Anzahl abhängiger Bauern verfügten, die teils Getreide anbauten, teils Vieh züchteten. Zusätzlich gehörten zu den Herrenhöfen jeweils eine Anzahl Mühlen und bei zweien auch Weingüter, die allerdings teils in Österreich, teils in Südtirol lagen.

 

Ein Teil der Produktion der Güter, die im Raum der drei bayrischen Burgen lagen, diente der direkten Versorgung der gräflichen Familie, zu der die Amtsleute gehörten. Im Urbar des Codex werden die Abgaben der Ämter jeder Burg aufgeführt. Da sind die Schweine, Gänse, Hühner, das Gemüse und Getreide. Darauf spezialisierte Güter liefern Widder oder Wein, auf Viehzucht spezialisierte Schwaighöfe, liefern Käse, andere Öl, Flachs, Eisen oder Salz. Der Rest wurde, soweit er nicht der Ernährung der Meier und Bauern diente, vermarktet. Davon zahlten die einen Zins an den Herrn. Zinsabgaben nehmen dort zu, wo wie beim niederösterreichischen Herrnberg der Gütertransport zu aufwendig wäre.

 

Soweit zu den Erbgütern des Hauses Falkenstein, den allodia oder praedia. Lehen sind die Vogteirechte (advocatiae) über die drei Klöster und Stifte Weyarn, Herrenchiemsee und Petersberg.Zudem besaßen die Falkensteiner noch weit verstreute Lehen (beneficia) von wohl über zwanzig anderen Herren (Welfen, Herzögen von Bayern, bayrischen Bischöfen), die sie weiterverliehen. Aus ihnen hatten sie keine Einkünfte, aber ihre Lehnsmannen, insgesamt fünfundzwanzig Untervasallen, gehörten zum kriegerischen Aufgebot der Grafen. Mit ihm nahmen die Grafen Herrschaft als Schutz der ihnen Untergebenen wahr, während er selbst als Vasall des Welfen Welfs VI. diesem verpflichtet war.

 

Zur Schutzpflicht bzw. Aufgabe der Friedenswahrung gehörte auch die Rechtsprechung. Das betraf den Umkreis um ihre Burgen mit ihrem Eigentum genauso wie den Bereich der Vogteien, die sie innehatten. Auch dort musste der Graf also mit den dazu Verpflichteten Gericht halten.

 

Mit ihrer Organisation von Herrschaft haben die Falkensteiner bereits erste Vorformen von Staatlichkeit geschaffen: Verwaltung, Urkundenwesen, Schutzfunktionen für die untergebene Bevölkerung, für die dortigen Kirchen und Klöster. Aber sie haben noch kein geschlossenes Territorium, außer direkt um die Burgen herum. Es gibt also in ihrem Gebiet auch andere Grundherren, und es gibt darum auch noch keine Dörfer mit einer Dorfgemeinschaft, sondern kleine Ansiedlungen, deren Bewohner zum Teil unterschiedlichen Herren unterstanden. In Teilen des entstehenden Frankreich ist solche Territoriumbildung weiter gediehen, wie auch in Nord- und Mittelitalien, wo sie nicht von den Grundherren, sondern von den Städten ausgeht.

 

 Was geschieht mit solchen gräflichen Grundherrschaften? Zunächst einmal nahm der Graf des Codex Falkeniensis schon 1185 eine Erbteilung unter den zwei Söhnen vor.

 

Nebenan ist eine ziemlich ähnliche, nämlich die der Herren von Andechs. Beide werden unter Vorwänden von den Wittelsbachern einkassiert – mit militärischer Gewalt. Vorwände sind zum Beispiel unkluge Koalitionen mit Feinden dieser bayrischen Herzöge, manche Herrschaften sterben auch einfach aus. Einigen geschieht das bei Italienzügen der staufischen Kaiser, die manchmal in Malaria-Epidemien oder ähnlichen Desastern enden.

 

Vogteien

 

Im neunten Jahrhundert ist im Karolingerreich ein advocatus nicht mehr nur ein Vertreter vor Gericht, sondern zunehmend auch eine Art Schutzherr über Klöster und Kirchen. Sie werden langsam zu einer dauerhafteren Institution, die sich die geistlichen Einrichtungen aussuchen.

Sie gehören dem Adel an und haben bewaffnetes Gefolge und Grundbesitz. Wie die Stifter versuchen sie, ihre Verwandten und Freunde in geistlichen Einrichtungen unterzubringen. Spätestens seit dem 11. Jahrhundert häufen sich Klagen, die Vögte beraubten ihnen anvertraute geistliche Einrichtungen, obwohl sie doch deren defensor seien. Seit der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts versuchen adelige Vögte, immer mehr Vogteien zu bekommen. Dafür setzen sie dann Untervögte ein, die von den entsprechenden Klöstern als Bedrückung erlebt werden.

 

Gratian erklärt in der zweiten Hälfte des 12, Jahrhunderts: Eigenkirchen und Eigenklöster sind aus dem Besitz der Stifter hervorgegangen, und diese dürfen dafür über Ausstattung, Mitsprache und Stellenbesetzung als Patronatsrechte verfügen. (Willoweit in: Kirchenvogtei, S.43) Damit liegt die Vogtei meist in der Adelsfamilie, was die Kirche auch nicht bezweifelt, denn sie bedarf des weltlichen Schutzes.

 

Im 11./12. Jahrhundert besteht die Tendenz von Klöstern, die Macht der Vögte einzuschränken: Sie verlangen die Wahl durch den Konvent, die Absetzbarkeit des Vogtes, den Umfang seiner Gerichtsbarkeit und seiner Einkünfte dabei. (A. Stieldorf in: Kirchenvogtei, S.81f). Dabei versuchen sie Verrechtlichung und Verschriftlichung durchzusetzen, was im 13. Jahrhundert häufiger wird. Dabei wenden sich Klöster am erfolgreichsten an ihren Herrn, wenn dieser Bischof ist und die Vögte im Zuge der Territorialisierung verdrängen wollen.

 

Im Zuge von Territorialisierung versuchen mächtigere Adelige, möglichst viele Vogteien in ihre Hände zu bekommen. Den rheinländischen Grafen von Berg gelingt es so im 12. Jahrhundert bis 1217, 5 Klöster, 3 Stifte und 5 weitere geistliche Besitzungen in der Verfügungsgewalt des Kölner Erzbischofes unter ihre Vögte einzuordnen, die oft Familienmitglieder sind (M. Clauss in: Kirchenvogtei, S.173f). Solche Vogteien kontrollieren sie aber nicht ununterbrochen.

Andererseits wird die Vogtei über das mit großen Ländereien ausgestatteten Klosters Amorbach zwischen 1168 und dem Beginn des 14. Jahrhunderts durch dasselbe Geschlecht der aufstrebenden Edelherrn von Dürn ausgeübt. Dabei verselbständigen sich die ritterlichen Untervögte im späteren 13. Jahrhundert immer mehr und verdrängen dabei auch das Kloster in vielen Einzelaktionen oft schleichend von Besitzungen.

Pfälzer Kurfürsten und staufische Könige schaffen es mit Hilfe ihrer Vogteien, dass das Bistum Worms schließlich nur noch über wenige Dörfer um Worms herum verfügen.

 

 Im 13. Jahrhundert wird weiter beklagt, dass Vögte Kleriker ein- und absetzen, ihre Rechte verkaufen und von den Bauern Abgaben erpressen (Lucius III./Gregor IX.) sowie sich am Kirchenbesitz vergreifen. (1274). Die in Einzelfällen auch gewalttätigen Konflikte zwischen Kirche und Vögten nehmen zu, auch wegen des Umfanges, in dem sie sich mehr als erlaubt Erträge aus kirchlichen Liegenschaften nehmen oder Burgen auf geistlichem Land bauen.So bildet oft "die Burg den eigentlichen Kern und Ausgangspunkt adliger Herrschaftsbildung auf und zu Lasten von Kirchengut." (Andermann in: Kirchenvogtei, S.217) Von der Burg gehen die weltlichen Herren wie die Dürner dann zu Stadtgründungen über, die díe geistlichen Institute weiter schwächen.

 

Um die Vögte einzuschränken, wird gerne auch auf Fälschung von Urkunden zurückgegriffen (St.Maximin/Trier, Reichenau u.v.a.) Allerdings ist die Quellenlage einseitig, da der Blick von seiten der Vögte fehlt.

 

Auch in der Konsequenz davon werden im 13. Jahrhundert zunehmend "die konkreten Funktionen des Vogtes vor Ort durch Beauftragte der Konvente und die übergeordneten Schutzfunktionen durch den Landesherrn oder den Kaiser übernommen." (Stieldorf in: Kirchenvogtei, S.54) Vögte sollen nun, so wird gefordert, unentgeltlich vor allem Patronats-Aufgaben zu übernehmen, Schutz nach außen und hohe Gerichtsbarkeit, aber weniger die Rechtsvertretung. Es gibt eine Tendenz zur "Entvogtung" der Klöster, oder aber Erzbischöfe auf dem Weg zur Territorialherrschaft übernehmen selbst Vogteien.

 

 

In Italien schreitet der Verrechtlichungsprozess der Vogteien schneller voran als nördlich der Alpen. Seit dem 11. Jahrhundert kommen sie zunehmend aus dem Kreis der Notare und anderer Rechtskundiger. Dabei wird ihre Funktion als Vertreter vor Gericht besonders betont sowie die bei der inquisito und im Notfall beim gerichtlichen Zweikampf (duello).

In den Kommunen werden Advokaten zu einem alternativen Karriereweg zur klassischen Kapitalbildung. Vornehme Familien werden das später im Beinamen avvocati (u.ä.) konservieren

 

Die avouerie spielt im entstehenden Frankreich eine geringere Rolle als im römisch-deutschen Reich. Im Süden tauchen advocati wohl vor allem als Rechtsbeistand auf, da hier das römische Recht stärker erhalten bleibt. Hier sind Grafen per se die Beschützer der Kirche.

In der Île de France versucht der König, die Macht der Vögte zu begrenzen oder aber ganz auszuschalten. Im 13. Jahrhundert wird der König immer mehr zur Schutzmacht der Kirche. In der Normandie scheint es überhaupt keine Vogtei zu geben, und in Flandern üben die Grafen den Schutz über ihre vielen Burgen ebenfalls direkt aus.

 

 

Das Dorf

 

Nachantike und frühes Mittelalter kennen allgemein die Streusiedlung der Bauern oder die Bildung kleiner Weiler. Wohl früher als auf dem Kontinent (von deutschen Landen bis zum christlich- lateinischen Spanien) beginnt Dorfbildung in einem breiten Streifen von Ost-Schottland nach Süden bis nach Kent in Britannien. Auch dort dauert es aber bis ins 12. Jahrhundert, bis sie in einer ersten Etappe abgeschlossen wird. In Dänemark entstehen nach dem Ende der Wikingerzeit durch Zusammensiedeln Dörfer, die im 13, Jahrhundert Rechtsgemeinschaften werden.

 

Für das nachantike Germanien, welches durch Merowinger und Karolinger annektiert wird, entstehen aus kleinen Inseln in Wäldern und Feuchtgebieten durch Rodung und Entwässerung größere Siedlungsräume, welche die Kontakte der bäuerlichen Produzenten verbessern und im Zuge der Bevölkerungsvermehrung das Zusammensiedeln in Dörfern erleichtern und nahelegen. Geplante Rodungsunternehmen und andere des Landausbaus führen zu geplanten Dörfern. Am Ende entstehen so ganze Dorflandschaften.

 

Dorfbildung in deutschen Landen wird auch durch das ganze Spätmittelalter weitergehen und folgt direkt der Herausbildung der neuartigen Städte, mit denen sie einiges in Grundzügen gemeinsam hat. Schon vor dem 11. Jahrhundert gibt es einzelne größere Weiler mit 20 bis 40 Höfen, die von der Größe her an ein Dorf heranreichen, ohne dessen Binnenstrukturen zu besitzen.

 

Ein wichtiges Ziel des Zusammensiedelns der Bauern ist sicher die gemeinsame Organisation des Schutzes nach außen (mit Wällen, Gräben, Hecken und Toren) und des Schutzes der Feldflur durch Bewachung. Im sogenannten Hochmittelalter beginnt man in deutschen Landen, ein Dorf mit Wall und/oder Graben und zum Teil sogar Zugbrücken zu versehen, man befestigt es in kleinem Maßstab so wie eine Stadt (eine „Burg“ also, weswegen in Beaumont von burgenses die Rede ist). Ein Bauernhof, der einzeln liegt, außerhalb, erhält dann zum Beispiel wenigstens einen Flechtzaun oder eine starke Hecke.

Dazu kommt die gemeinsame Organisation der Feldflur insbesondere bei Dreifelder-Bewirtschaftung, die sicher auch auf dem Interesse von den Grundherren beruht.

 

Dazu kommt die Organisation der Weiden, der Nutzung des Waldes und nicht zuletzt die entstehende gemeinsame Kirchengemeinde. Gemeinde ist nun ein anderes Wort für stärker strukturierte Gemeinschaft, die Kommune, wie auch die Stadt jetzt heißt und wie es die Landgemeinde nun wird, Gemeinde ist also etwas, was durch moderne Staatlickeit nach dem Mittelalter zumindest partiell zerstört werden wird, wenn den Mitgliedern der Gemeinschaft ihre (begrenzte) Selbstbestimmung durch Vorschriften Schritt für Schritt weggenommen wird.

 

Dörfer bestehen im wesentlichen aus Bauern in unterschiedlichen Rechtspositionen, also mit unterschiedlichen Freiheiten. Aber geprägt werden sie dann insbesondere im späteren Mittelalter durch bei uns heute inzwischen fast völlig verschwundene bäuerliche Landwirtschaft, zunehmende Befreiung von Lasten und eine Tendenz zur dörflichen Selbstverwaltung durch Schultheißen/Schulzen und Schöffen, die am Anfang noch im Auftrag von Grundherren arbeiten, aber bald von der Dorfgemeinschaft, also der Versammlung zumindest der bessergestellten Bauern, übernommen werden.

 

Gemeinschaftsbildend ist zunächst einmal der gemeinsame Bau und die gemeinsame Aufrechterhaltung der äußeren Dorfumgrenzung. Gemeinschaft bildet noch stärker die oft von den Bauern genutzte Allmende, also das gemeinsam besessene und bewirtschaftete Land, besonders Dorfteich, Weideland und Wald. Dazu kommen dann Brunnen, Backhaus, Waschplatz und manches mehr. Am wichtigsten aber ist die gemeinsame Verwaltung der Feldflur. Im Hochmittelalter setzt sich immer mehr Zwei- und Dreifelderwirtschaft durch, die die Erträge hebt bei gleichzeitig schonenderem Umgang mit der Fruchtbarkeit des Bodens. Über den zunehmenden Anbau von Hülsenfrüchten auf der Brache wird die Erde mit Stickstoff angereichert und der Eiweißanteil an der Ernährung gesteigert, da Fleisch für die meisten eher selten auf den Tisch kommt. Dazu wird die Feldflur geschaffen mit verschiedenen Bereichen, von denen einer immer brachliegt. Die Organisation dieser Feldflur und zum Teil gleichzeitige bis gemeinsame Bearbeitung ist ein wichtiges Moment der Dorfgemeinschaft.

 

Die Ackerflur wird nun "teils individuell, teils kollektiv bewirtschaftet und unterliegt einer strengen Flurordnung: Die Dorfgenossenschaft oder der Dorfvorsteher bestimmen, wann gesät und geerntet, wann das Saatfeld eingezäunt oder der Zaun wiederum entfernt wird, um so nach der Ernte als gemeinsame Stoppelweide für das Dorfvieh zu dienen. Wer den angesetzten Erntetermin versäumt, muss damit rechnen, dass ihm das aufgetriebene Vieh das noch nicht geerntete Getreide vernichtet. Die starke Parzellierung und die Gemengelage der Felder machen es dem einzelnen Bauern unmöglich, aus der Flurordnung auszuscheren, da er seine Felder in der Regel nur über die Felder seiner Nachbarn erreichen kann." (Rösener, S.55)

 

Eine weitere Produktionssteigerung erreicht der schwere Räderpflug mit seinen Pflugscharen, zunächst von zwei bis sechs Ochsen und dann vom ins Kummet gespannten Pferd gezogen. Mit ihm kann der Boden stärker aufgerissen und zugleich umgewälzt werden.

 

Mit der Entstehung des Dorfes und eines neuartigen Bauerntums kommt so ein wenn auch geringer Wohlstand auf das Land. Durch die Landflucht von Hörigen, die nicht Teil einer Dorfgemeinschaft werden, steigt die Nachfrage in den Städten nach Nahrungsmitteln, die Nahrungsproduktion durch die Städter verschwindet dabei nicht, aber sie nimmt ab. Auf diese Weise verstärkt sich eine Arbeitsteilung zwischen Land und Stadt, zwischen Lebensmittelproduktion und Produktion von textilen Rohstoffen einerseits, und dem städtischen Handwerk und Handel andererseits.

 

Arbeitsteilung ist eine Folge von Wohlstand, aber zugleich schafft sie ihn auch (und entsprechend Armut). Dabei werden einige ländliche Handwerke nach und nach in die Stadt verlagert.

 

Mit dem Wohlstand leistet sich ein Teil der Bauern den Übergang vom Pfosten- zum Ständerbau. Indem die tragenden Teile der Gebäude nun auf Fundamentsteine und Schwellen gesetzt werden, werden die Bauernhäuser erheblich dauerhafter und sie können darüber hinaus zweigeschossig werden. Damit werden die Funktionen frühmittelalterlicher Wirtschaftsgebäude zunehmend in ein großes Gebäude integriert, welches nun aber nicht mehr vom Bauern selbst, sondern zumindest öfter von Zimmerleuten erbaut wird. Dadurch kann in den Dörfern nun auch enger zusammengesiedelt werden.

Wer er sich nun leisten kann, einen aus Lehm und Stein gebauten Heizofen zu installieren, bekommt eine rauchfreie (Wohn)Stube, die sich wohl von Süddeutschland aus im 13./14. Jahrhundert nach Norden verbreitet, wo sie erst im 15. Jahrhundert häufiger wird. Sie bleibt aber mit Tischen, Bänken, Schemeln und Truhen einfach möbliert, auf gestampfter, oft mit Stroh bedeckter Erde .

Zum Haus gehört dann draußen ein Garten und eine Abortgrube. Alles wird mit einem Flechtzaun oder einer Hecke umgeben.

 

Arme Ritter und reicher werdende Bauern nähern sich im Konsum einander an, was zu schriftlichen Kleiderordnungen zwecks ständischer Differenzierung führt, die aber die meisten Bauern wohl kaum lesen (können, s.o.).

Man kann aber davon ausgehen, dass nur eine kleine Gruppe zu diesen Großbauern gehört, die sich zum Beispiel wie Städter und Adel inzwischen auch Brot leisten, während die meisten Bauern bis ins späte Mittelalter weiter eher Brei aus zerriebenen Getreidekörner in Wasser oder Milch unter Zugabe von Salz essen. Geröstet wird der Brei auch als Fladenbrot genutzt. Richtiges Brot, mit Treibmittel hergestellt, gibt es für die meisten Bauern wohl am ehesten aus Hafer oder Gerste.

 

1182 vergibt der Erzbischof von Reims dem neugegründeten Dorf Beaumont bei Verdun ein Privileg, welches dann über 500 Dörfer im deutsch-französischen Grenzgebiet übernehmen. Hier hat man jetzt das Recht, den Dorfvorsteher und den Schöffen selbst zu wählen. (siehe weiter unten)

 

Als die Landbewohner in den Dörfern Bauern werden, nehmen sie nach und nach auch in deutschen Landen den verschiedenen Grundherren die (unterschiedliche) Gerichtsbarkeit aus der Hand. Dadurch gelingt es ihnen, nicht mehr der Rechtsprechung mehrerer Herren in einem Dorf zu unterliegen, sondern einer von ihnen gemeinsam akzeptierten Gerichtsbarkeit. Dies geschieht dadurch, dass nicht mehr unterschiedliche Vögte verschiedener Grundherren, sondern ein Vogt bzw. Meier oder Schulze für das ganze Dorf durchgesetzt wird, den alle mit denselben Abgaben finanzieren.

Um 1200 werden nach dem Vorbild Frankfurter Stadtrechtes hunderte Dörfer zwischen Rhein und Maas für Gericht und Verwaltung unter dem Vorsitz eines vom Dorfherrn ernannten Schultheißen.

 

Er wird von einem grundherrlichen langsam zu einem Vogt/Meier der Bauern. Manchmal wird auch die Gerichtsbarkeit eines Grundherrn über die Bauern des ganzen Dorfes durchgesetzt, Auch dadurch tritt dann eine Trennung von Grundherrschaft und dörflicher gemeinsamer Gerichtsbarkeit, dem iudicium villae ein. Ein Dorf wird so eine Agrargemeinschaft und eine Rechtsgemeinschaft. Im Unterschied zu den wachsenden Städten gibt es hier dann eine Gesellschaft und nicht mehrere.

 

Als Rechtsgemeinschaft kann das Dorf seine Rechte formulieren und selbst auch einklagen. Das Dorf kann als Gemeinschaft etwas kaufen oder verkaufen, so wie ihre einzelnen Mitglieder. Es ist also rechtlich (wie die Stadt) eine Körperschaft, bis es nach dem Mittelalter wie oft auch die Stadt in die Untertänigkeit neuen Typs herabsinkt. Dabei ist allerdings zu beachten, dass eine spätmittelalterliche Dorfgemeinde je nach Gegend und Entstehungsgeschichte des Dorfes sehr verschieden ausgeprägt sein kann, Gemeindebildung findet zudem in den ostelbischen Kolonistendörfern früher statt als weiter westlich und in Teilen des deutschen Südens fast gar nicht.

 

Formell tritt die Dorfgemeinde als Rechtsgemeinschaft in der Gemeindeversammlung auf. "Die Hauptaufgabe der Gemeindeversammlung besteht darin, den Gemeindehaushalt zu kontrollieren, die Anbauordnungen im Rahmen der Dreifelderwirtschaft festzusetzen, das dörfliche Recht zu verkünden und die Organe der Dorfgemeinde zu wählen." (Rösener, S.174) Dazu gehören der Dorfvorsteher und das Dorfgericht (Richter und Schöffen), beide oft im Einvernehmen mit dem Herrn eingesetzt.

Im Sachsenspiegel heißt es: Was der burmester anordnet zu des Dorfes Nutzen mit Zustimmung der größeren Menge der Bauern, das kann der kleinere Teil nicht widerreden.

 

Dieser Bauermeister ist auch Richter für eine niedere Gerichtsbarkeit, die laut Sachsenspiegel einen Schaden von 3 Schillingen nicht übersteigt, und übt die Aufsicht über Maß und Gewicht aus. Als schwere Verbrecher, die vom Herrengericht zu beurteilen sind, gehören folgende im selben Text:

Wer einen Menschen erschlägt, fängt oder ausraubt oder wer ein Haus ansteckt oder wer Frauen oder Mädchen vergewaltigt, den Frieden bricht oder wer im Ehebruch ertappt wird, dem soll man den Kopf abschlagen. (Sachsenspiegel 2,13)

Das alles findet also statt und wird gleich bewertet. Im Zweifelsfall finden Gottesurteile mittels glühendem Eisen, siedendem Kessel oder Zweikampf statt.

 

Diese universitas villanorum wird also durch Schultheißen und Schöffen vertreten, die ursprünglich Beauftragte von Grundherren waren und immer mehr zu solchen der Bauern werden - wie in der mittelalterlichen Stadt, wo allerdings eine bürgerliche Oberschicht wesentliche Rechte an sich reißt. Im hochmittelalterlichen Dorf gibt es allerdings oft auch einen niedrigen Adeligen (miles = Ritter), der manchmal sogar lesen oder gar schreiben kann, und dadurch dann gut als Schultheiß fungiert. Nicht selten ist er in das bäuerliche Wirtschaften integriert. Solche kleinen Dorf-Ritter stehen wohl oft an der Spitze der Entwicklung hin zu dörflichen Freiheiten und Rechten.

 

Die hochmittelalterliche Dorfgemeinschaft wird oft als „Einung“ bezeichnet, die auch als Fachwort in die lateinischen Urkunden eingeht. Sie entspricht damit den „Verschwörungen“ (coniuratio), aus denen die städtische politische Vergesellschaftung hervorgeht, die ebenfalls mitsamt den (stadt)bürgerlichen Freiheiten nach dem Mittelalter durch das Aufkommen des Staates zerstört wird.

 

Ein  anderer Aspekt ist ebenfalls zu beachten: "Mit der Entstehung kleinräumiger Herrschaftseinheiten stellte das Gebiet eines Dorfes nunmehr den untersten Bezirk dar, in dem der Ortsherr seine Rechte ausübte. Der Dorfverband bildete in diesem Bezugsrahmen nicht nur eine genossenschaftliche, sondern zugleich eine herrschaftliche Einheit. Diese doppelte Funktion des Dorfes spiegelt sich in einigen Einrichtungen und Organen und besonders in den dörflichen Ämtern. Der Dorfschultheiß ist in den südwestdeutschen Gemeinden einerseits Vertreter der Herrschaft, andererseits aber auch ein Organ der Dorfgemeinde. Herrschaft und Genossenschaft berühren sich demnach im Bereich der Dorfgemeinde und wirken aufeinander ein." (Rösener, S.163)

 

In manchen Gegenden wie dem Elsass, der Pfalz oder der Wetterau umgeben bald Mauern die Dörfer, und wo die Lücken zwischen den Häusern durch Zuzug nicht zuletzt auch von Kleinbauern und Landarbeitern zugebaut werden, wirken Dörfer dann wie kleine Städtchen. Nicht wenige davon enthalten noch etwas ländliches Handwerk wie zum Beispiel eine kleine Töpferei, wobei solche Betriebe nur noch das Dorf selbst versorgen.

 

Mit der Bildung der Dorfgemeinden kommen die ersten Weistümer und ähnliche Sammlungen von Dorfrechten auf, die dann im 13.-15. Jahrhundert häufiger werden. Sie entstehen im allgemeinen im Einvernehmen zwischen Herren und Bauern.

 

Der Begriff "Gesellschaft" im Dorf passt noch besser auf die geistliche Gemeinschaft. Waren im frühen Mittelalter Kirchen auf dem Lande solche, über die der Grundherr, der sie auch bauen ließ, verfügte, so finden sich in einigen wohlhabenderen Gegenden wie zum Beispiel im Rheingau und in Rheinhessen jetzt Dörfer, die ihre eigenen Kirchen bauen und sich eigene Priester aussuchen. Das Dorf ist so eine Kultgemeinschaft. Wenn das wohlhabender werdende Dorf dann an Mitgliedern zunimmt, baut es in eigener Regie auch noch ein gemeinsames Beinhaus. Wo die Mittel dafür ausreichen, werden seit dem 12. Jahrhundert aus den einfachen Holzkirchlein nun etwas solidere Steinkirchen, rechteckige Saalbauten mit eingezogener Apsis oder rechteckigem Chor.

 

Die Bauern waren keine Theologen, christlich war ein bestimmter Lebenswandel (für den man anderswo auch nicht christlich sein musste), die Zahlung des Zehnten und der sonn- und festtägliche Kirchenbesuch, mit viel Ungeduld dabei bei den weniger Frommen, die aber nach den hübschen Jungfrauen schauen oder das Festtagsgewand der Witwe XY kritisch mustern konnten. Dreifaltigkeit, Messwunder und anderes wurde bestaunt und meist stillschweigend hingenommen. Aber die Kirche bot Gelegenheit, Feste zu feiern, Kirchweih, Fest des heiligen Dorfpatrons, Feste anderer Heiliger, die üblichen Feste des Kirchenjahres, Erntedank und das Holterdipolter des carne-vale vor der großen Passions-Fastenzeit. Dann war das Dorf immer wieder an Geburt, Taufe, Hochzeit und Beerdigung beteiligt.

 

***Der Freiheitsbrief von Beaumont***

 

Mit den Veränderungen in der Landwirtschaft gewinnen das Dorf und die mit ihm entstehende Dorfgemeinschaft immer mehr an Bedeutung. Für die Herren über Land und Leute ist es naheliegend, den Dörflern die Regulierung ihrer inneren Verhältnisse soweit zu überlassen, wie es ihre herrschaftlichen Einkünfte nicht berührt.

1182 verbrieft der Erzbischof von Reims den homines Bellimontis, also allen Bewohnern des Dorfes (villa), eine Reihe von Rechten und Pflichten. Dabei werden die Dörfler wie sonst Städter durchweg als burgenses bezeichnet. Der Ort ist auch wie eine Stadt mit einer Befestigung versehen (munitio villae), die die "Bürger" unterhalten. Dem Dorf ist auch ein Marktfrieden (forum villae) zugeordnet. Bedeutsam wird dieses "Dorfrecht" deshalb, weil es bald auf etwa 500 Landgemeinden im deutsch-französischen Grenzraum übertragen wird und zudem typische Züge darüber hinaus für das hochmittelalterliche Dorfrecht erhält.

 

Die herrschaftlichen Einkünfte bestehen hier aus einem jährlichen Zins der einzelnen Besitz"bürger" von 12 Pfennigen, weiteren vier Pfennigen für die Wiesenmahd und einem Sechstel bzw. Siebtel des Getreides. Dazu kommen der der Kirche geschuldete Zehnte und die unter die Bannherrschaft fallenden Abgaben für die Nutzung von Backofen und Mühle, die der Herr selbst erbauen lässt. Natürlich dürfen die Dörfler dann keinen anderen Brot-Backofen mehr errichten.

 

Dafür gehören Haus und Land (masura et terra) dem Bauern zu freiem Eigen und das Dorf hat freie Nutzung des Wassers und des Waldes. Die Dörfler dürfen Schöffen (iurati) und Schultheiß/Schulze (maior) selbst wählen, wobei der letztere eine besondere Treuepflicht gegenüber dem Herrn hat. Beide werden für ihre Pflichten mit geringeren Abgaben privilegiert.

 

Dreimal im Jahr ist Gerichtstag beim erzbischöflichen Herrn, für den Anwesenheitspflicht der "Bürger" gilt. Die wesentlichen mit Geldstrafen belegten Vergehen betreffen im weitesten Sinne Eigentumsdelikte, hoch bestraft wird der Bruch des Marktfriedens.

 

Während es einmal den Vorgang der Abgrenzung der Stadt von ihrem Umland gibt, wie er im zunehmend steinernen Mauerbau am Sichtbarsten wird, gibt es andererseits den Ausgangspunkt des gemeinsamen Hofrechts in Stadt und Land für alle vom selben Herrn Abhängigen. Daraus ergeben sich Ähnlichkeiten in der Gemeindebildung von Stadt und Dorf. Den wesentlichen Unterschied wird dann die Konzentration von Kaufleuten und Handwerkern in den Städten mit sich bringen.

 

***Geschlechtlichkeit, Ehe und Familie***

 

Während sich im Umfeld der Herrenmenschen eine immer freier schwebende erotische Vorstellungswelt entwickelt, leben die ihnen Untertanen in einer wenig dokumentierten Welt, in der sie mit ihrer Arbeit abgewertet sind. Mit der christlichen Aufwertung der Ehe seit dem 11. Jahrhundert und der Eheschließung erst an der Kirchenpforte und dann später noch vor dem Altar wird ihre Ehe wie schon die des Adels zuvor nach und nach aus einer persönlich-privaten Sphäre in eine öffentlich-offizielle gehoben.

Dabei bleibt sie rechtlich bis tief in das hohe Mittelalter in die grundherrliche familia eingebunden: Regulär hat der Hörige und zunächst auch der Zensuale innerhalb dieser zu heiraten, was mit einer Heiratsabgabe verbunden ist. Ausnahmen müssen besonders genehmigt und extra bezahlt werden.

 

Noch in Wernher des Gärtners 'Meier Helmbracht' von um 1270 gibt es aber eine nach germanischen Rechtsvorstellungen vollzogene Heirat mit allerdings satirischen Überspitzungen.

Nach dem Aushandeln der Gabe des Bräutigams geht es so weiter:

Dô Lemberslint hêt vernomen, daz im Gotelint was komen, balde er gegen ir gienc. hœret wie er si enphienc: «willekomen, frou Gotelint!» «got lône iu, her Lemberslint!» friuntlîche blicke under in beiden dicke gegen einander giengen entwer: er sach dar, si sach her. Lemberslint schôz sînen bolz mit gefüegen worten stolz gegen Gotelinde;

daz galt si Lemberslinde ûz wîplîchem munde, sô si beste kunde. Nû sul wir Gotelinde geben Lemberslinde und sulen Lemberslinde geben Gotelinde. ûf stuont ein alter grîse, der was der worte wîse; der kunde sô getâniu dinc.

er staltes beide in einen rinc. er sprach ze Lemberslinde: «welt ir Gotelinde êlîchen nemen, sô sprechet jâ!» «gerne» sprach der knabe sâ. er fraget in aber ander stunt: «gerne» sprach des knaben munt. zem dritten mâle er dô sprach: «nemt ir si gerne?» der knabe jach: «sô mir sêle unde lîp ich nîme gerne ditze wîp»

dô sprach er ze Gotelinde: «welt ir Lemberslinde gerne nemen zeinem man?» «jâ, herre, ob mir sîn got gan.» nemt ir in gerne?» sprach aber er. «gerne, herre, gebt mirn her!» zem dritten mâle: «welt irn?» «gerne, herre, nû gebt mirn!» dô gap er Gotelinde ze wîbe Lemberslinde und gap Lemberslinde ze manne Gotelinde.

si sungen alle an der stat, ûf den fuoz er ir trat.

Nû ist bereit daz ezzen. wir sulen niht vergezzen, wir schaffen ambetliute dem briutegomen und der briute. Slintezgeu was marschalc, der fulte den rossen wol ir balc; sô was schenke Slickenwider. Hellesac der sazte nider die fremden und die kunden: ze truhsæzen ward er funden. der nie wart gewære, Rütelschrîn was kamerære. kuchenmeister was Küefrâz, der gap swaz man von kuchen âz, swie manz briet oder sôt. Müschenkelch der gap daz brôt

diu hôchzit was niht arm.

 

Je weniger Eigentum der landwirtschaftlich oder handwerklich arbeitende Mensch hat, desto eher können Zuneigung und Verliebtheit bei der Eheschließung eine Rolle spielen. Diese ist für die arbeitende Bevölkerung spätestens mit ihrer Christianisierung unauflöslich.

Im Kern handelt es sich einerseits um eine Besitz- und Arbeitsgemeinschaft, wobei die Verfügung über den Besitz rechtlich weit überwiegend beim Manne liegt und die Arbeit geteilt ist. Zum anderen dient die Ehe zum Aufbau einer Familie, also der Erzeugung von Nachkommen, was auch die Formen von Arbeitsteilung teilweise erklärt. Zudem ist sie der einzige christlich legitimierte Ort des Auslebens des Geschlechtstriebes.

 

In die Familien der arbeitenden Bevölkerung des 11./12. Jahrhunderts können wir kaum hineinschauen. Anzunehmen ist, dass mehr eheliche Treue bei den Frauen erzwungen wird als bei den Männern, da diese verständlicherweise darauf bestehen, nur ihre eigenen Kinder großzuziehen, zu ernähren und zu beerben. Inwieweit hier bei der Eheschließung Virginität der Frauen eine Rolle spielt, bleibt unklar, immerhin heiraten auch Witwen wieder, und sei es auch nur aus Gründen der Versorgung und des Schutzes.

Hörige Mädchen, Mägde, dürften nicht nur immer wieder Opfer kurzweiliger sexueller Gelüste von adeligen Herren und Ministerialen geworden sein, wobei zumindest manchmal diese sich um die Versorgung der daraus erwachsenden Kinder kümmern und gelegentlich deren Tradierung in den freieren Zensualenstand erkaufen. Aus solchen Tradierungsurkunden geht auch hervor, dass "bürgerliche" Mittelschicht in den Städten Konkubinen und Kinder von ihnen haben, oft wohl mit Wissen der Ehefrau. Dasselbe gilt für servi (Knechte). Üblich ist darüber hinaus das oft eheähnliche Konkubinat von Priestern mit Mägden.

 

Das  Leben der noch reisenden Kaufleute nördlich der Alpen lässt sich nur in geringen Streiflichtern erahnen. Als 1199 ein Friede zwischen dem Fürsten von Nowgorod und den deutschen und gotländischen Kaufleuten dort erneuert wird, sind dort in auffälliger Fülle "Regelungen für unterschiedliche Formen sexueller Gewalt" enthalten, "von der gewaltsamen Annäherung (>wird der Frau eines anderen oder einem Mädchen die Bedeckung vom Haupt gerissen, sodass sie barhäuptig dasteht...<) bis hin zur Vergewaltigung." (Kümper, S.125)

 

Wie es um die voreheliche Virginität der Mädchen auf dem Lande bestellt ist, lässt sich kaum noch nachvollziehen. Während Neidhart von Reuental die Ausgelassenheit munterer Tänze und die Eroberung von Bauernmädchen feiert, und Walter von der Vogelweide den Beischlaf mit ihnen in freier Natur, ist doch zu bedenken, dass zwar vielleicht nicht jedes Mädchen darauf aus war, seinen Hymen zu verteidigen, aber doch seine "Ehre", die mit dem außerehelich erworbenen Kind dahinsank. Und die Möglichkeiten empfängnisverhütender Maßnahmen sind damals sehr unsicher. Immerhin kann man annehmen, dass diese Mägde/Mädchen nicht in bürgerlichen Keuschheitsvorstellungen des 18./19. Jahrhunderts befangen sind.

 

Was den Mädchen nicht gegeben war, nämlich der Zugang zu Prostituierten, steht jungen Männern, solange sie nicht verheiratet sind, durch das ganze Mittelalter offen, auch wenn es immer stärker reguliert wird.

 

 

Eine kurze Passage im Sachsenspiegel

 

Just in dieser Zeit schreibt ein Eike von Repkow (irgendwann zwischen 1220 und 1235) wohl im Auftrag eines adeligen Herrn seine Sicht gängigen sächsischen Rechtes auf, etwa in der Zeit, in der auch sein Kaiser das für sein Reich beider Sizilien tut. Darin ist folgende Passage enthalten, die von der Erklärung ausgeht, dass man kein allgemeines Recht der Dienstmannen aufschreiben könne, da dieses zu vielfältig sei (siehe Großkapitel Adel):

 

Got hat den man noch im gebildit unde mit siner martir irlost, den einen als den andern; im was der arme also liep alse der riche. (Gott hat den Mann nach seinem Ebenbild geschaffen und durch seine Marter erlöst den einen wie den anderen; ihm war der Arme so teuer wie der Reiche.)

 

Da man ouch recht sazte von erst, da enwas kein dinstman, alle lute waren vri, da unse vordem her zu lande quamen. An minen sinnen enkan ich is nicht usgenemen nach warheit, das iemant des andern sulle sin. Ouch enhabe wirs kein Urkunde. Doch sagen sumeliche lute, di der warheit irre gen, das sich eigenschaft irhube an Kaine, der sinen bruder irslug. Kains gesiechte wart vortiliget, da di werlt mit wassere zuging. Ouch sait man, das eigenschaft queme von Kamme, Noe sone. Noe seinte zwene sone, an dem dritten gewog he keiner eigenschaft. Kam besas Affri- cam. Sem bleip in Asia. Jafet, unse vordere, besazte Europam. Sus enbleip ir kein des anderen. M an sait ouch, eigenschaft queme von Ismahele. Di heilige Schrift heist Isma- hele der dirnen son, andirs enlutet si keiner eigenschaft von im. S o sait man ouch, is que- me von Esau. Jacob wart geseint von si- neme vatere unde hies en herre wesin bobin sime brudere Esau, envorvluchte he nicht noch eigenschaft gewog he nicht. Wir habenouch noch in unseme rechte, das nimant sich selbe zu eigene gegeben mag, is widerlege sin erbe wol. Wi mochte da Noe oder Isaac einen andern zu eigene gegeben, sint sich selbe nimant zu eigen gegeben mag? Ouch habe wir ur- kundes me: Got rugete den sibinden tag, di sibende woche gebot he ouch czu haldene, da he den juden di e gab unde uns sante sinen geist. Den sibendin manden gebot he ouch zu haldene unde das si- binde jar, das heist das jar der losunge. So sol- de man ledig lasin unde vri alle, di gevangen waren unde in eigenschaft gezogen, mit sulche- me rechte, so man si vieng, ab si ledig unde vri wolden sin. Ubir siben mal siben jar quam das vunfczigeste jar, das hies das jar der vrouden, so muste aller menlich ledig unde vri sin, he wolde oder enwolde. Ouch gab uns got urkunde an eime phenninge, da man en mite vorsuchte, da he sprach: Lasit den keiser sines bildes gewaldig unde gotis bilde ge- bit gote. Da bi is uns kundig von gotis wor- tin, das der mensche gotis bilde is unde gotis wesin sal. Wer en im anders zusagit den- ne gote, der tut wider gote. Noch rechtir warheit so hat eigenschaft begin von ge- twange unde von gevengnisse unde von unrechter gewalt, di man von aldir an unrechter gewon- heit gezogen hat unde nu vor recht haben wil.  (Sachsenspiegel C.XLII.)

 

(Als man zum ersten Mal Recht setzte, da gab es keinen Dienstmann; alle Leute waren frei, als unsere Vorfahren hierher in das Land kamen. Mit meinem Verstand kann ich es nicht für Wahrheit halten, dass jemand des anderen Eigentum sein solle. Auch haben wir keine Beweise hierfür. Doch behaupten manche Leute, die an der Wahrheit vorbeigehen, dass die Unfreiheit mit Kain beginne, der seinen Bruder erschlug. Kains Geschlecht wurde vernichtet, als die Welt durch Wasser unterging. Es behaupten auch einige, dass die Unfreiheit von Ham, Noahs Sohn, käme. Noah segnete zwei seiner Söhne, von dem dritten erwähnte er keine Leibeigenschaft. Ham besetzte Afrika. Sem blieb in Asien. Japhet, unser Vorfahre, besetzte Europa. Es gehörte also keiner von ihnen dem anderen. Man behauptet auch, die Unfreiheit käme von Ismael. Die Heilige Schrift bezeichnet Ismael als Sohn der Magd; sonst lässt sich nichts über ihn in bezug auf Unfreiheit verlauten. So behauptet man auch, sie (die Unfreiheit) käme von Esau. Jacob wurde von seinem Vater gesegnet und dabei geheißen, Herr über seinen Bruder Esau zu sein; doch weder verfluchte er Esau noch erwähnte er Unfreiheit. Wir haben auch noch in unserem Recht (den Satz), dass sich niemand selbst in die Leibeigenschaft begeben kann, wenn dem sein Erbe widerspricht. Wie konnten da Noah oder Isaak einen anderen zu Eigen geben, wenn sich selbst niemand zu Eigen geben kann? Auch haben wir noch mehr Beweise: Gott ruhte am siebten Tag; die siebte Woche gebot er auch zu halten, als er den Juden das Gesetz gab und uns seinen Geist sandte. Den siebten Monat gebot er auch zu halten und das siebte Jahr, das das Jahr der Freilassung heißt. Da sollte man alle ledig und frei lassen, die gefangen und in die Unfreiheit geraten waren, und zwar mit jenem Recht, das sie besaßen, als man sie fing - wenn sie ledig und frei sein wollten. Nach sieben mal sieben Jahren kam das fünfzigste Jahr, das hieß das Jahr der Freuden; da musste jedermann ledig und frei sein, ob er wollte oder nicht. Auch gab uns Gott einen Beweis mehr mit einem Pfennig, als man ihn damit versuchte, wozu er sagte: "Lasst den Kaiser über sein Bild Gewalt haben und Gottes Bild gebt Gott." Daran ist uns Gottes Wort offenbar geworden, dass der Mensch Gottes Ebenbild ist und Gott gehören soll. Wer ihn jemand anderem als Gott zuspricht, der handelt gegen Gott. Nach rechter Wahrheit hat Unfreiheit ihren Ursprung in Zwang und Gefangenschaft und unrechter Gewalt, die man von alters her zu unrechter Gewohnheit hat werden lassen und nun für Recht erachten will.)

 

Von getwange, gevengnisse und unrechter gewalt kommt also, dass ein Mensch einem anderen zu eigen ist (diese "Eigenschaft" des hochmittelalterlichen Deutsch hat in der "Leibeigenschaft" überlebt). "Walten" hieß ursprunglich, stark sein, Stärke zeigen, herrschen. Gewalt und Herrschaft haben also dieselbe gedankliche Wurzel in der deutschen Sprache. Nicht die Gewalt an sich ist hier schlecht, sondern nur ihr (hier) unrechter Charakter. Gewalt wird erst im späten Mittelalter, lange nach Eikes Text, peiorativ eingesetzt, und "gewalttätig" kommt als Bezeichnung einer Eigenschaft erst im Barock auf.

 

Der Freiheitsbegriff, der hier von Gott gegeben ist, oder wie man später sagen würde, von Natur aus, ist das Gegenbild zu dem, was der Autor damals für Unfreiheit hielt: Die Unterwerfung unter einen Herrn. Es ist verlockend, zu sagen, er sei nicht zufällig in Sachsen so formuliert worden, wo Stammeskulturen Bauern größere Freiheiten beließen, bis sie von König Karl mit Gewalt zerstört wurden. Aber naheliegender ist es wohl, ihn in direkte Beziehung zu jenen größeren Freiheiten zu setzen, die mit der Entlassung der Bauern für den Markt zusammenhingen. Darüber hinaus hatten sich durch Spätantike und frühes Mittelalter inselartig freie Bauern erhalten, an denen man sich orientieren konnte.

 

Die agrarischen Produzenten auf dem Lande waren wohl in der Regel immer noch illiterat, jedenfalls erfahren wir von ihnen weiterhin nur von außen und indirekt, in Texten von Klerikern, Adel und Bürgern. Wir wissen nicht, was die große Mehrzahl rechtlich und besitzmäßig Herren unterworfener Produzenten von Nahrungsmitteln und gewerblichen Rohstoffen auf dem Land von ihrer Situation halten, an die fast alle durch inzwischen so viele Jahrhunderte als gegeben gewöhnt sind. Repkows biblische Begründung von "Freiheit" jedenfalls scheint auf Texte des 12. Jahrhunderts zurück zu gehen und geht weit über bäuerlichen Bildungshorizont hinaus. Die fern einer Schriftlichkeit lebende Landbevölkerung hatte seit ihrer Missionierung seit der Spätantike etwas völlig anderes von den geistlichen Propagandisten der Macht gehört: dass nämlich Herrentum und Herrschaft gottgegeben seien und damit auch ihre Untertänigkeit. Anders hätte sich ein wie auch immer geartetes "Christentum" schon im römischen Imperium gar nicht durchsetzen können.

 

Umwerfend neu erscheint, dass der Autor am Ende die Konstruiertheit biblischer Begründungen für Freiheit und Unfreiheit implizit verwirft, indem er Zwang und Gefangenschaft und unrechte Gewalt als schechthinnige Ursache für Unfreiheit sieht und damit den Gewaltcharakter jeder Form institutionalisierter Herrschaft, jeden Herrentums, formuliert. Üblich war bis dato und oft noch darüber hinaus die Lehre, dass der paradiesische Sündenfall die Menschen sündig und böse gemacht habe und dass durch die Gewalt der Herrschenden den Knechten die Freiheit, übel zu tun, beschränkt werde. (Bischof Burchard von Worms im 11. Jh. z.B.)

 

Das alles darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieser Text vor allem die Machtverhältnisse auf dem Lande positiv beschreibt.

 

Der Sassenspegel des kleinen Adeligen Eike von Repkow mit seinem Land- und Lehnsrecht ist im Auftrag des Grafen von Falkenstein ins Deutsche übersetzt worden, um ihm weitere Verbreitung zu sichern. Beide unterstützen den Grafen von Anhalt beim Ausbau seiner Landesherrschaft und vieles spricht dafür, dass der Text diesem Zweck dienen soll, also einem neuen Verhältnis von Obrigkeit und Untertänigkeit. Deshalb wohl auch benutzen ihn umgehend die Magdeburger Schöffenkollegien. Magdeburger Franziskaner verfassen dann für ihre Augsburger Brüder eine süddeutsche Bearbeitung, die Ausgangspunkt für süddeutsche Rechtsbücher wird. (Heinzle, S.283)

 

England

 

Auch ins Spätmittelalter hinein sind rund neunzig Prozent der englischen Bevölkerung Bauern. Die erhebliche Bevölkerungsvermehrung bis um 1300   geht darum auch auf ihr Konto.

 

In England wie auf dem Kontinent ist es nicht einfach, eine klare Grenze zwischen freier und unfreier Landbevölkerung zu ziehen. Das ändert sich im angevinischen Königreich mit der Einführung des common law und dem zunehmenden Ausgreifen königlicher Rechtsprechung in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts.

In England unter den Bedingungen des sich im 12. Jahrhunderts durchsetzenden (königlichen) common law wird es für die persönlich freien Bauern (freeholders) etwas einfacher, sich gegen Übergriffe der Herren (lords) vor Gericht zu wehren, aber sich sein Recht friedlich einzuklagen kostet wie immer auch später Aufwand und Geld. Wo mehrere Bauern oder ganze Dorfgemeinschaften betroffen sind, schließen sie sich für den Klageweg zusammen, der in Einzelfällen sich über viele Jahre hinziehen kann.

 

Da es nun detailliertere Bestimmungen über die Klagemöglichkeiten "freier" Bauern gegen ihre Herren gibt, wird die Arbeitspflicht der Landbevölkerung zum Kriterium ihrer Unfreiheit als villeins. Solche Unfreie können mit dem Land verkauft werden, von ihnen können typisch feudale Abgaben im Erlebnisfall erhoben werden (Heirat zum Beispiel) und ihre Arbeits- und Abgabepflichten unterliegen sehr stark der Willkür des Herrn (Carpenter, S.53).

 

Zunehmende Unfreiheit ist zudem in dem Vorgang in derselben Zeit angelegt, in dem Teile der Herrenschicht den demesne-Anteil ihrer Güter steigern, was stärkere Kontrolle und Disziplinierung der dort arbeitenden Menschen nach sich zieht.

 

Unfreie Frauen brauchen zum Heiraten eine licence vom Herrn und zahlen eine Strafe bei unehelichem Geschlechtsverkehr (leirwite) und bei der Geburt unehelicher Kinder (childwite). Überhaupt gibt es ein Interesse des Herrn an einem geordneten Geschlechtsleben seiner Bauern, aber das existiert auch innerhalb der dörflichen Gemeinschaft. Der menschliche Geschlechtstrieb ist eine der wesentlichen Ursachen für Verbrechen aller Arten und überhaupt für jene Unordnung, die das Überleben aller gefährden kann. Heutzutage muss bekanntlich schon mal in den sozialdemokratisch gestrickten Metropolen des Kapitals daran erinnert werden, dass Ehe (und Familie) ebenso wie Verwandtschaft soziale und sozioökonomische Institutionen waren und nicht primär einer eher haltlosen Lust und Laune unterlagen.

 

Wie schon für früher angemerkt (siehe...) sind unfreie wie freie Bauern mit wenig Land, smallholders, auf andere als agrarische Einkommensquellen angewiesen. Männer versuchen, kurzzeitige Lohnarbeit zu finden, als carters, die mit ihren Karren Transporte übernehmen, als Einsammler von Brennholz oder von Schilf, bei der Ernte etc. Um 1300 verbrennt die Einwohnerschaft von London bereits um die 140 000 Tonnen Holz zum Heizen, Kochen und als Energiebasis für Handwerk.

Reste von ländlichem Handwerk bleiben bei solchen Kleinbauern oder kehren wieder zurück: Töpferei zum Beispiel, Schmiedearbeit, Köhlerei 

 

Wo es Vorkommen von Eisen, Blei und Kohle gibt, und diese nicht in großem Stil abgebaut werden, können Bauern in Teilzeit gegen eine Abgabe an den Herrn mit Spaten, Eimer und Seilwinde zusätzliches Geld verdienen. Saisonale Lohnarbeit gibt es auch in den Steinbrüchen.

Dazu kommt das Bierbrauen, welches in jedem Dorf stattfindet, wobei es oft die Frauen sind, die das ale verkaufen. Daneben arbeiten viele Frauen auch als Spinnerinnen. Kinder können ab dem zwölften Lebensjahr als Dienstboten verdungen werden. 

Mit dem Einkommen aus solcher Vielfalt von Tätigkeiten ist dann fast die Hälfte der bäuerlichen Bevölkerung imstande, auf die Notwendigkeit zu reagieren, Getreide auf dem Markt für den Eigenverbrauch zuzukaufen. Das ändert aber nichts daran, dass es weiter periodische Hungersnöte auf dem Lande gibt. 1157 beispielsweise ist die Ernte so schlecht, dass der Getreidepreis auf das Zweieinhalbfache steigt und für große Teile der Bevölkerung unerschwinglich wird.

Solch große Hungersnot und Sterblichkeit herrschte auf dem Lande, dass das Maß Getreide auf 15 Schillinge und mehr anstieg ... Die Toten lagen herum, angeschwollen und verrottend, auf Misthaufen, im Dreck der Straßen, und es gab kaum jemanden, um sie zu begraben; außerdem wollten die Leute die Toten aus Angst vor Ansteckung auch nicht in ihren Häusern aufnehmen. (Matthew Paris zu 1158, in: Carpenter, S.57)

Ähnliche Hungersnöte gibt es dann in den 70er Jahren. Das verhindert aber nicht, dass die Bevölkerung weiter zunimmt und mit ihr auch die Zahl ärmlicher smallholder auf dem Lande.

 

Jeder Bauer, der die Möglichkeit hat, produziert selbst für de Markt. Wer in den Midlands zu den freien Bauern mit größeren Flächen gehört, kann bis zu einem Drittel seines geernteten Getreides verkaufen, was ihm ein, zwei Pfund im 13. Jahrhundert einbringt. Da die Domänen der Herren größere Quantitäten von Getreide, Wolle und Vieh auf den Markt bringen, schließen d ie Bauern die Lücken bei Hühnern, Eiern, Gemüse, Honig und Bienenwachs. Frauen mit Körben ziehen dann durch die Straßen der nächsten Stadt, um diese Dinge zu verkaufen. Aber auch wenn der einzelne Bauer nur wenige Schafe hat, deren Zahl oft auf maximal vierzig von der Dorfgemeinschaft beschränkt wird, gibt es Schätzungen, dass zwei Drittel der gesamten englischen Wollproduktion von einfachen Bauern herstammt.

Spezialisierung ist etwas für große Herrenhöfe, während die Bauern wegen den Unsicherheiten des Marktes sich so etwas wegen der Absicherung ihrer Nahrungsmittelzufuhr nicht leisten können.

 

Gebäude für die knappe Mehrheit etwas wohlhabenderer Bauern werden zunehmend von Handwerkern gebaut. Sie haben nun ein solides Steinfundament und solideres Fachwerk und können bis zu 6 Pfund kosten, die allerdings manchmal der Herr übernimmt. Wichtigere Ausgaben betreffen den zunehmenden Hausrat, der oft aus Massenproduktion stammt, ebenso wie in Massen produzierte Wolltuche der Oberbekleidung und Leinen der Unterwäsche und für Betten und Handtücher, dazu Schuhe von einem Schuster aus der Stadt.

 

 

Schon vor den großen Krisen des 14. Jahrhunderts gibt es so etwas wie wetterbedingte Konjunkturen. Eine vielbeachtete Anfang des 13. Jahrhunderts führt zu einer allgemeinen Inflation in England. Schon für 1201 wird über "schlechtes" Wetter berichtet, es kommt in den folgenden Jahren zu einem Kälteeinbruch, mehrere Getreideernten hintereinander werden heftig geschädigt. Die Getreidepreise verdreifachen sich und mehr, und selbst die Fleischpreise schnellen in die Höhe.

 

Dabei beschleunigt sich eine Entwicklung, die schon vorher begonnen hatte: Die großen Herren, insbesondere große bischöfliche Grundherren, lassen bei größerer Gewinnerwartung ihr Land vermehrt direkt über zu Arbeitsleistungen verpflichtete Bauern bewirtschaften, d.h. über estate stewards, die ein wenig deutschen Meiern der Zeit entsprechen. "Am Ende eines Rechnungsjahres legte der Verwalter vor dem Bischof Rechnung ab und präsentierte dabei die Einnahmen, Ausgaben und Vorräte der ihm übertragenen Grundherrschaft. Das Ergebnis waren Pergamentblätter, die zusammengebunden und eingerollt wurden." (Ertl, S.71)

 

Das Studium einer effektiveren Landbewirtschaftung führt dazu, dass die ersten unter ihnen nun Bücher schreiben, wie Walter von Henley sein 'Husbandry', also einen Text über herrenmäßige Landwirtschaft.

 

Italien

 

Im 12. Jahrhundert beginnt mit der Verstädterung vor allem von Norditalien, aber auch in der Toskana eine zunehmende und vergeblich von den Städten bekämpfte Landflucht, so dass am Ende das Umland in Reichweite die Städte nicht mehr mit Lebensmitteln versorgen kann.

Manche Städte versuchen Landverbesserung für mehr Getreide-Produktion, viele verbieten die Ausfuhr vor allem von Getreide, deren Handel immer mehr von den Städten kontrolliert wird. Ansonsten greifen sie auf Getreide aus Istrien und Friaul zurück, dessen Handel Venedig kontrolliert, allgemein bei Lebensmitteln auf die Marken, und für Getreide auch auf die Maremmen, die über Genua auch Norditalien beliefern. Lebensmittel kommen auch aus Sizilien und nach 1204 vom Schwarzen Meer. (Rösch in: Stromer/Fees, S.101ff)

 

Lebensmittelhandel ist so Grundlage des Aufstiegs der Städte und zugleich der Hoch-Kapitalisierung.

 

Spanien

 

In der Reconquista entstehen sowohl neue Dörfer dort, wo die Gegend, zum Beispiel auf der Meseta, entvölkert ist, aber je weiter man nach Süden kommt, desto eher werden Eigentumsstrukturen der großgrundbesitzenden islamischen Oberschicht übernommen und noch ausgeweitet. Daneben eignet sich der König große Flächen direkt an, der Kirche werden solche ebenfalls übereignet und den Ritterorden (wie Osuna oder Estepa). Auf diese Weise entstehen die großen Latifundien des heutigen Andalusiens, kontrolliert von einer neuen Aristokratie, die im Zuge der Reconquista im Süden aufsteigt.

 

Großgrundbesitz und Monokulturen passen hier ähnlich zusammen wie in Süditalien. Im Zentrum ist das der Getreideanbau, in vielen Gegenden Wein, der auch zur Produktion von Rosinen genutzt wird, und im ganzen Süden sind es Oliven, deren Öl die orientalischen Einwanderer der Butter vorzogen. Dazu kommen an einigen Stellen Zuckerrohrim äußersten Süden, Safran (Úbeda, Baeza) und Reis (Huerta von Murcia). Schließlich Maulbeerplantagen für die Seidenproduktion.

 

Schweinezucht kehrt zurück, aber besonders wichtig wird Schaf- und Rinderzucht. Klöster und weltliche Große unterhalten bald riesige Herden. Die transhumancia, die jährlichen, oft über hunderte von Kilometern reichenden Wanderungen der Herden von Sommer- zu Winterweiden und wieder zurück, führen zu erheblichen Konflikten mit den lokalen Weidebersitzern. Die Könige erlassen Privilegien, um diesen sehr gewinnträchtigen Geschäftszweig zu fördern. Mit der Verbreitung der Merinoschaffe gewinnt Spanien im 14. Jahrhundert eine führende Rolle bei der Rohstoffgewinnung für Tuchproduktion. Rund fünf Millionen Schafe wandern in dieser Zeit von Weide zu Weide.