Lesen, Schreiben, Sprache
Humanismus
Papier, Druck, Buch
Gesellschaften
Schulen
Sogenannte Universalgenies
Naturwissenschaften (Materialsammlung)
Medizin
Literaten
Renaissance-Kunst
Lesen, Schreiben, Sprache (Materialsammlung)
Das Lesen überschreitet den Kreis der Fachleute dort, wo Texte in der Volkssprache häufiger werden. Seit dem 12. Jahrhundert nehmen in deutschen Landen volkssprachliche Texte in deutlich unterschiedlichen "Dialekten" zu. Weltliche oder geistliche Fachtexte bleiben aber bis durch das 15. Jahrhundert lateinisch, auch weil die dialektalen Unterschiede im Deutschen noch erheblich sind. Dennoch gibt es im 15. Jahrhundert nun Chroniken, die bereits zweisprachig verfasst werden, wie die von Andreas von Regensburg.
Texte werden durch Verleihen und Kopieren verbreitet. Letzteres betreiben im 15. Jahrhundert Universitätsstudenten, Notare, Schulmeister und "professionelle" Lohnschreiber, Skribenten.
Wie viele Leute zu Hause andachtsvoll religiöse Texte lesen, bliebt dabei genauso unbekannt wie auch die Lektüre von Gerichtstexten, die zunehmend die direkte Öffentlichkeit ersetzen. Es bleibt aber jedenfalls eine kleine Minderheit der Bevölkerung in der Stadt und auf dem Land.
Immerhin lernen die Töchter der Veckinghusen bereits lesen und schreiben, und im 15. Jahrhundert "gibt es in Köln bereits von Frauen geführte Rechnungsbücher". (Irsigler in: Meckseper/Schraut, S.69)
Im 14. Jahrhundert entsteht eine Ratsbibliothek in Regensburg, die im 15. vor allem juristische und medizinische Fachtexte aufnimmt.
Im 15. Jahrhundert entstehen viele deutsche Universitäten, die manchmal kaum höheres Niveau haben als bessere Lateinschulen wie in Schlettstadt. Ziel der meisten Studenten ist nicht "Bildung", sondern ein Karriere-Interesse, welches immer noch oft in kirchlichen Karrieren mit ihren Pfründen mündet, aber auch in solchen von Fachkräften der ratsregierten Städte und solchen an fürstlichen Höfen. Entsprechend sind die Lehrer oft mit kirchlichen Pfründen ausgestattet und brav gegenüber dem Rat der Stadt bzw. dem Fürsten.
Entfalteter "Humanismus"
Schon im 14. Jahrhundert nimmt die Suche nach "klassisch"-antiken Texten zu. Ein Randphänomen bleibt 1417 die Entdeckung von Lukrez 'De rerum natura' in einem Kloster durch Poggio Bracciolini, der gerade mit einem in Konstanz abgesetzten Papst seinen Dienstherrn verloren hat.
1380 wird Poggio in Terranova im Herrschaftsgebiet von Florenz geboren. Ein Großvater und sein Vater sind Notare gewesen. Nach finanziellen Problemen der Familie muss sie nach Arezzo umziehen, wo Poggio wohl eine Schule besucht. Irgendwann in den 1390er Jahren zieht er nach Florenz. Um 1400 gelangt er in den Gesprächskreis von Coluccio Salutatis und entwickelt eine lesbarere Schreibschrift. Er tritt dann als Scriptor in den Dienst von Päpsten, u.a. von Baldassare Cossa (Johannes XXIII.). Nach Konstanz ist er nach einem kurzen Aufenthalt in England wieder in päpstlichen Diensten. 1453 bis 1458 ist er Kanzler in Florenz.
Mit dem Aufspüren "klassisch"-antiker Texte, ihrer philologischen Untersuchung und moralisierenden Texten in einem möglichst klassischen Stil lässt sich nur dann Geld verdienen, wenn man seine Talente den Reichen und Mächtigen andienen kann. Die erfreuen sich an Texten wie denen von Poggio Bracciolini, der gegen die Habgier wettert, ohne sich von so etwas selbst beirren zu lassen. Unter anderem in Diensten fürstlicher Päpste schafft dieser es bis in die 1450er Jahre laut Lauro Martines, einen Stadtpalast und ein Landgut, insgesamt 19 Grundstücke und zwei Häuser in Florenz zu erwerben, dazu kommt er zu großen Einlagen bei Banken und anderen Geschäftshäusern. (nach: Greenblatt, S.30)
Wie peinlich idealisierend auch frühe Humanisten der Macht dienen, zeigt Coluccio Salutati. Nach Studium der Rechte wird er Notar, schließlich Kanzler erst in Lucca und dann in Florenz, dessen Außenpolitik er dann bestimmt. Er entdeckt Cicerobriefe und wird Bewunderer Petrarcas. Für ihn mit seiner großen Bibliothek fallen Belesenheit und Engagement für die Stadtrepublik zusammen.
Als Kaiser Karl IV. im Oktober 1368 beim Einzug in Rom das Pferd des Papstes am Zügel führt, ein in deutschen Augen damals eher peinlicher Vorgang, schreibt er an Giovanni Boccaccio:
O lieber Herr Jesus, welch ein Schauspiel, die beiden höchsten Fürsten, ja die einzigen Monarchen des ganzen Erdkreises, den Beherrscher der Seelen und den der Leiber, in solchem Frieden und solcher Eintracht, in solcher Herzensheiterkeit und solchem Wohlwollen einander verbunden zu sehen. (in: Monnet, S.81)
Die Idealisierung der Antike auf der Basis von deren Texten führt zur ungenierten Idealisierung eines aktuellen Schauspiel, welches für wirklich ausgegeben wird.
Noch bezeichnender ist seine gegen Giangaleazzo Visconti gerichtete Lobrede auf sein Florenz:
Wir sind eine vom Volk regierte Stadt, wir widmen uns nur dem Handel, sind aber, was er in größter Freundschaft verachtet, frei. Nicht nur zu Hause verehren wir die Freiheit, sondern bewahren sie auch außerhalb unserer Grenzen, so dass es für uns eine notwendige Gewohnheit ist, den Frieden zu suchen, in dem allein wir die Süße der Freiheit verspüren. (in: Schreiner/Meier, S.46)
Schlimmer als in diesem Propagandatext kann man erfahrbare Wirklichkeit nicht auf den Kopf stellen.
Ein Leonardo Bruni wird wie vor ihm Coluccio Salutatis bis zum Staatskanzler von Florenz aufsteigen. In seiner Trauerrede auf Nanni degli Strozzi zeigt er, dass er (1428) ein Florentiner Republikanertum vertritt, feiert er Freiheit und Gleichheit (aequitas) der Bürger, ignoriert aber, dass das kleine Bürgertum, also seine Masse, kaum handfesten Zugang zur Macht hat. (Meier in: Schreiner/Meier, S.63ff) Wie die cives im römischen Kaiserreich sind die meisten Bürger von Florenz Untertanen der Signoria, die der oberste Magistrat ist, der gleichsam königliche Gewalt zu haben scheint. Also gilt: Private Bürger, auch Menschen niederen Standes, müssen den Magistraten also gehorchen und sind gehalten, den Zeichen ihrer Amtsgewalt Ehre zu erweisen. (in: Schreiner/Meier, S.175)
Inwieweit Humanisten oft Fürstenknechte sind, formuliert ihr bedeutender nördlicher Vertreter Erasmus von Rotterdam später am schönsten:
Ihrem frommen Sinn verdanken wir es, dass überall wie auf ein gegebenes Zeichen die glorreichen Geister aufwachen, emporsteigen und sich untereinander verbinden sehen, um die guten Wissenschaften wiederherzustellen. (Brief an Wolfgang Fabricius Capito 1517, so in: Huizinga, S.38))
Dass solche Humanisten "politisch" konservativ sind, zeigt sich auch in dem Vergleich mit Macchiavelli oder Guicciardini zum Beispiel, die Gegenentwürfe liefern. Wenn Humanisten antik-römische Bürgertugenden feiern, operieren sie moralisch und ergänzen dabei christliche Vorstellungen, und wenn sie "Politik" säkular definieren, dann doch nicht viel anders als schon zuvor.
Das "Volk" derer, die als Produzenten jenen Reichtum herstellen, von dem auch die Humanisten ihr Auskommen haben, bleibt außerhalb ihres Blickpunktes. Da dieses seine sporadischen Versuche, ein wenig mehr vom großen Kuchen abzubekommen, seien es Bauern oder Handwerker, immer noch auf schlicht volksfromme Gläubigkeit gründet, ist es weit entfernt von humanistischen Interessen.
Das Leitbild Aristoteles wird durch das von Cicero abgelöst, dessen verfeinerter Stil auf seine Person übertragen wird. "Als Schöpfer des perfekten Sprachstils musste Cicero auch den perfekten Lebensstil verkörpern. Aus dieser Denklogik heraus bestimmten viele Humanisten ihre Position in der politischen Öffentlichkeit." (Hirschi in: Kinthinger/Schneidmüller, S.402) Dazu passt, dass sie Ciceros Rolle in den verfallenden "republikanischen" Machtstrukturen ignorieren und dann auch den Verfall großbürgerlich verfasster Städte in Kauf nehmen werden, auch wenn sie sie vorher gefeiert haben.
Wo Humanisten sich nicht den Mächtigen anbieten, um zum Beispiel als Juristen deren Verwaltung effektiver zu machen oder auch anderweitig deren Macht zu vergrößern, gebärden sie sich in Distanz zu ihnen als "spirituelle Elite", um "höhere Wahrheiten zu verkünden und eine moralische Überlegenheit gegenüber Herrschenden wie Beherrschten auszuspielen, beruhend auf einer Aura der Reinheit, weil sie sich die Hände nicht in irdischen Dingen schmutzig machten." (Hirschi in: Kintzinger/Schneidmüller, S.409)
Damit beginnen sie aus einer letztlich ganz mittelalterlichen Gelehrsamkeit heraus parallel zu den Priestern aufzutreten und in gewissen Kreisen diese abzulösen. Eine ähnliche Rolle beginnen herausragende bildende Künstler zu belegen, im 19. Jahrhundert als Renaissance idealisierend zusammengefasst. Das markiert keinen Epochenwechsel, sondern ist konsequente Weiterentwicklung von dem, was sich seit dem 11. Jahrhundert andeutet: Neben herrschaftlicher und wirtschaftlicher Macht etabliert sich langsam als dritte die eines im Kern säkularen Priestertums, welches seine eigenen Offenbarungen schafft und auf einem dafür immer offeneren Markt unterbringt.
Der Ausstieg humanistischer Intellektueller aus der Theologie wird zunehmend kompensiert durch den Einfluss von Plato und besonders des Neoplatonismus. Daraus lassen sich ersatz-religiöse ideale Gedanken-Konstruktionen ableiten, die letztlich erst durch Leute wie Marx, Nietzsche und Freud entthront werden, allesamt dann außerhalb eines akademischen Rahmens, aber ebenfalls fast gänzlich ohne Einfluss auf eine breitere Menschenmenge.
Die Selbstbeschau unter dem Einfluss der 'Confessiones' des Augustinus setzt zwar mit Petrarca und seinem 'Secretum' ein, ohne aber dessen Tiefe zu erreichen. Sie mündet immer wieder in Gedankengebilde als Schutz vor allzu persönlichen Einsichten.
Damit kommt zur Aufspaltung in Theologen und die unbelesene Masse der Gläubigen die in die Kenner vorheidnisch-antiker Texte und die vielen, die davon nichts mitbekommen. Über mehr Schulgänger in den größeren Städten und mehr Universitätsstudenten schiebt sich dazwischen eine kleine bürgerliche Schicht mit einer gewissen Schulbildung, bald Träger jener Reformationen, die ein religiös etwas gebildeteres Personal benötigen. Wenn Leonardo Bruni von den studia humanitates schreibt, weil sie den ganzen Menschen bilden, wird das die große Mehrheit der (Waren)Produzenten auch weiterhin nicht erreichen.
Philologie
Was dabei langsam schwindet, ist das „mittelalterliche“ Interesse an Philosophie, welches auf die Universitäten abgedrängt wird, wo die Scholastik akademisch erstarrt ist. Das theoretische Interesse schwindet dann auch zugunsten eines, welches nach praktischer, politischer Anwendung drängt. Dabei entwickelt sich als etwas Neues die Philologie, die sich auf die Rekonstruktion der in der Überlieferung verdorbenen Texte der „Klassiker“ konzentriert und dabei ein insofern kritisches Lesen entwickelt. Am bekanntesten heute ist Lorenzo Vallas kritische Lektüre der „Konstantinischen Schenkung an das Papsttum“, die er 1440 als Fälschung entlarvt. Hier kommen mustergültig „wissenschaftliches“ Arbeiten, politisches Interesse und Säkularisierungstendenz zusammen. 'Elegantiarum linguae Latinae libri sex' wird zu einem Meisterwerk historisch-kritischer Philologie.
Als Juristensohn aus niederem Adel steigt Valla durch seine studierende Belesenheit der Klassiker auf an den Hof des Königs von Aragon, und schließlich an den päpstlichen Hof, um als Rhetorik-Professor zu enden. Inzwischen sind humanistische Karrieren manchmal auch an der Universität möglich.
Erweiterung des Horizontes
Coluccio Salutatis hat Griechisch kaum beherrscht, aber er ist von den alten Griechen fasziniert. 1375 wird er Kanzler von Florenz, was er bis zu seinem Tod 1406 bleibt. 1397 richtet er in Florenz einen Lehrstuhl für griechische Sprache ein, auf den er den Griechen Manuel Chrysoloras beruft. Chrysoloras berühmtester Schüler wird dann Leonardo Bruni werden, der später Platon, Aristoteles, Demokrit und Plutarch übersetzt.
1439 soll auf dem Konzil zu Florenz Cosimo de Medici durch einen byzantinischen Gelehrten vom Platonismus neoplatonistischer Prägung überzeugt worden sein.
Poggio übersetzt Lukians Eselsroman ins Lateinische. Um 1453 übersetzt mit Carlo Marsuppini ein Nachfolger Leonardo Brunis im Florentiner Kanzleramt Homers Ilias ebenfalls ins Lateinische.
Leonardo Bruni (1370-1444), aus niederen Kreisen in Arezzo stammend, erhält 1416 das Bürgerrecht von Florenz. Er wird wie Niccolò Niccoli und andere in den engsten Gesprächskreis um Coluccio aufgenommen. Er wird Sekretär mehrerer Päpste und begleitet wie Poggio Bracciolini einen von ihnen auf das Konzil von Konstanz. Zurück in Florenz widmet er sich dem Studium der Geschichte dieser Stadt. 1427 wird er Nachfolger Coluccios im Spitzenamt der Stadt. In Cicero feiert er die Verbindung von Gelehrtem und Staatsmann.
Er schreibt Biographien von Dante und Petrarca in der Florentiner Volkssprache und setzt sich für deren Verwendung ein.
Er gehört zu denen, die am ungeniertesten bildungsbürgerliche Vorstellungen vertreten, auch wenn er erklärt, dass Reichtum eine Voraussetzung zum Glück sei und denen, die ohne Vermögen sind, die Möglichkeit "wahrer Tugend" abstreitet.
Niccolò Niccoli entstammt einer der reichsten Familien von Florenz, die u.a. mit Wollhandel und Geldgeschäften ihren Reichtum begründet hat. Schon vor 1400 steigt er aus den Geschäften aus und wendet er sich ganz dem Sammeln von Büchern und Altertümern zu. Er ist auch nicht an öffentlichen Ämtern interessiert. Sein Interesse richtet sich auf griechische Texte und antike Geschichte, wobei er offenbar enorme Kenntnisse anhäuft. Als er 1437 stirbt, kauft Cosimo de Medici gemäß seinem Testament die rund 800 Handschriften seiner Bibliothek und überlässt sie etwas später San Marco als Grundstock einer öffentlichen Bibliothek.
Marsilio Ficino (1433-99) studiert mit Unterstützung von Cosimo de Medici Aristoteles und ist eine kurze Phase lang von Lukrez begeistert, bevor er dann ganz vom Neoplatonismus eingenommen wird, wobei ihn die Medici-Familie weiterhin großzügig unterstützt. 1484 kommt seine komplette Übersetzung der Platon-Dialoge in Druck. Darauf macht er sich an die Übersetzung der Enneaden des Plotin. Insgesamt bemüht er sich um eine Synthese von Platonismus und Christentum, wobei er in seiner Interpretation u.a. von Platons 'Symposion' über Seele und das Schöne philosophiert, was die Kunst von Leuten wie Botticelli im Umfeld von Lorenzo de Medici beeinflusst.
Anders als Kollegen in Florenz vertritt er für Philosophen ein Leben in einem otium im antiken Sinne, eine Art philosophisches Priestertum. (Procacci)
Der Rückgriff auf Plato und Plotin mit seinem Versuch, Christentum philosophisch zu retten, im Einklang mit der politischen Macht des mediceischen Großkapitals, wird aber den Weg in eine kritische Skepsis insofern nicht lange verbauen, als parallel dazu andere, von Kirche und Philosophie unbelasteter, mit den Gesetzen des Kosmos neue Wege gehen werden.
Aeneas Sylvius Piccolomini wird 1405 in Corsignano nahe Siena geboren. Der Pfarrer unterrichtet ihn zunächst. Mit 18 kommt er nach Siena und beginnt begeistert zu studieren, unter anderem mit Büchern, die er sich leiht und selbst kopiert. 1431 wird er Sekretär eines Kardinals, mit dem er zum Konzil von Basel reist, wo er wegen seiner rhetorischen Talente auffällt. Von dort geht es nach Feising und Mailand als bischöflicher Sekretär. Dann wird er nach Schottland geschickt, wo er einen unehelichen Sohn hinterlässt. 1432 schreibt der Bewunderer Boccaccios seine 'De duobus amantibus', eine Liebesgeschichte mit frommem Ausgang. 1442/43 wird er Hofpoet bei Kaiser Friedrich III., für den er sich acht Jahre in deutschen Landen aufhält. Sogleich schreibt er noch 1443 den Pentalogus, in dem er sich mit dem Kaiser, zwei Bischöfen und dem Reichskonzler auf Augenhöhe und per Du unterhält. Darin fordert er den Kaiser auch auf, Italien zurück zu erobern.
Nach einem zweiten unehelichen Sohn wird er als Diakon ordiniert und lebt nun keuscher. 1447 wird er Bischof von Triest und 1451 von Siena. Papst Calixt III. (Alfonso Borja) macht ihn zum Erzbischof. Seine verbannte Adelsfamilie kann nun dorthin zurückkehren und verewigt sich mit der dortigen Loggia und einem Stadtpalast. 1454 ruft er in einer Rede in Frankfurt zum Krieg gegen die Türken auf, deren Humanistenlatein die Vertreter von Städten und Fürsten kaum verstehen, und die nach der deutschen Zusammenfassung dann hinreichend unklar wird. Aber der Redner lässt das Original schnell danach handschriftlich veröffentlichen (Caspar Hirschi). 1464 wird er als Pius Papst und ein Campano, Mitglied der Kurie, lobt ihn bald als den größeren Cicero.
Pico della Mirandola (1463-94)
Der klassisch belesene Grafensohn begegnet in Padua den Texten von Averroes und gerät in Florenz unter den Einfluss Ficinos, mit dem er befreundet ist. Dazu kommt dann noch die Begegnung mit der Kabbala. Am Ende steht ein Versuch der Versöhnung von Neoplatonismus und Christentum. Als er Thesen in Rom verteidigen will, gerät er unter Häresieverdacht und muss unter dem Schutz von Lorenzo de Medici fliehen. Er gerät schließlich unter den Einfluss Savonarolas und wird am Ende wohl ermordet.
Mit dem zunehmenden Sammeln von Handschriften antiker Texte und Skulpturen beginnt in seiner massiven Rückwärtsgewandtheit etwas Neues: Dem Fortschrittsglauben des Kapitalismus wird in "gebildeten" Kreisen zunehmende Irritation über die Gegenwart entgegen gesetzt. Mit dem Rekurs auf die Antike wird "Bildung" zum Kontrapunkt für Erfahrungen von Wirklichkeit, im 18. Jahrhundert ebenso wie "Kultur" Fluchtpunkt für Teile eines neuen "Bürgertums" zwischen Adel/Kapital und (produktiver) Arbeit.
Was solche Menschen von der Kirche halten, lässt sich punktuell erschließen, und auf eine bequeme Art sind sie wohl weit überwiegend irgendwie Christen. Als Poggio Bracciolini die Verbrennung von Hieronymus, einem Predigerkollegen von Hus, in Konstanz miterlebt, schreibt er an Leonardo Bruni:
Es war erstaunlich, mit wie gewählten Worten, mit wie dichten Argumenten, mit welcher Zuversicht er seinen Gegnern antwortete. So beeindruckend war sein Auftreten, dass man sich doch sehr wundert, dass ein Mann von so edlem und ausgezeichnetem Geist sich in Ketzerei verirrt haben sollte. Ich kann mir nicht helfen, in diesem letzteren Punkt hege ich einige Zweifel. Leonardo antwortet ihm u.a.: Ich muss dir raten, in Zukunft über solche Themen in einer bedachteren Weise zu schreiben. (in: Greenblatt, S.182)
Vielleicht heißt das vor allem, dass Poggio nicht versteht, dass ein Mensch von solchem Niveau sich überhaupt in die Netze religiöser Dispute begibt?
Dass Leute wie Petrarca oder Poggio wenig von der Bändigung der Geschlechtigkeit in der Ehe halten und sie stattdessen mit Geliebten samt unehelichen Kindern ausleben, passt zwar zu klerikaler Wirklichkeit, aber nicht zu offiziell deklariertem Christentum. Wenn Poggio mit 56 Jahren dann doch noch eine Achtzehnjährige aus vornehmem Haus heiratet, begründet er das in einem Text damit, dass junge Mädchen für alte Greise den Vorteil hätten, noch wie Wachs geformt werden zu können. Zu den vielen früheren, unehelichen Kindern kommt er dann noch zu sechs ehelichen, wobei die ersteren im Dunkel der Geschichte verschwunden sind.
Über den Humanismus entwickelt sich eine Art von Wissen von der Welt, welches Teile der alltäglich erfahrbaren Wirklichkeit ausschließt. Je mehr Kenntnisse davon von einzelnen Spezialisten erworben werden, desto mehr geht dieser Humanismus in das über, was viel später Bildungsbürgertum genannt wird, das Ansammeln von ein wenig Kenntnissen von vielem, Halbwissen in vielen Bereichen, und der Versuch des Ideologisierens dieses Halbwissens als Versuch, damit noch eine Gesamtschau zu erreichen.
Kapitalismus
Wer vom Geld der Fürsten lebt, wird auch einen noch nicht so bezeichneten Kapitalismus verteidigen, der diese vor allem wiederum nährt.
In 'Sull'Avaritia' verteidigt Poggio Bracciolini letztlich die Gier nach Gewinn gegen die Predigten der Bettelmönche,
diese ungeschliffenen, bäuerischen und scheinheiligen Parasiten, die umherwandern, immer auf der Jagd nach Ess- und Trinkbarem unter dem Vorwand der Religion, ohne eigene Arbeit und Mühe, den anderen Armut und Verachtung des Besitzes predigend. Dabei lässt er aus, dass er selbst von der Arbeit und Mühe anderer lebt.
Denn wir werden unsere Stadt nicht gründen auf diesen Larven von Männern. Wenn jeder nur soviel produzieren würde, wie er selbst benötigt, alle Pracht und Herrlichkeit aus den Städten verschwinden würde; alle Schönheit und aller Schmuck wären weg, keine Tempel würden mehr errichtet und keine Bogengänge, alle Kunst würde aufhören. (...) Der Staat braucht das Geld wie Nerven, die ihn aufrecht halten, und wenn es viele Habsüchtige darin gibt, müssen diese als die Basis und sein Fundament angesehen werden. (in: OrigoBernadino, S.76)
Das wird denn auch das Argument eines zukünftigen Bildungsbürgertums werden. Bei Peutinger werden wir es sehr deutlich wiederfinden.
Natur
Während unbelebte Welt immer mehr zum Forschungsobjekt wird, ist sie längst einem Naturbegriff unterworfen, der Natur (u.a.) als das nicht vom Menschen Geschaffene versteht. Tatsächliche (lebendige) Natur wiederum gilt weiterhin als bedrohlich, sofern sie sich nicht antikisierend einer annehmlichen Parklandschaft annähert. Als Leonardo Bruni nach Konstanz zum Konzil gereist ist, schreibt er über die Alpen-Überquerung:
Doch so viele Berge, so viele Felsen, so zahlreiche und lang gestreckte Bergrücken, so viele Gipfel, so viele Höhen stellten sich uns überall in den Weg, dass man sich fragen muss, was die Mutter und Bildnerin der Welt, die Natur, bezweckt haben kann, als sie dies alles erschuf. Mich wenigstens hat ein gewisser Schauder, aber auch Ehrfurcht ergriffen, als ich jene ewigen und aneinanderhängenden Massen betrachtete, und ich kann sie mir auch jetzt nicht in Erinnerung rufen, ohne zu schaudern. (in: Keupp/Schwarz, S.134)
Nicht mehr Gott oder die Götter ist hier Subjekt, sondern "die Natur", die aber stört, soweit sie nicht menschengerecht zugerichtet ist. Der pathetische Ton erinnert an Petrarcas Beschreibung seines Aufstiegs auf den Mont Ventoux.
Geschichte
Die langsame Entchristianisierung der Weltsicht, die Verlagerung der Ursachen in innerweltliche Zusammenhänge, schafft eine neue Geschichtsbetrachtung zumindest was die Geschichte der eigenen Stadt betrifft, wie man an der Entwicklung der Chroniken der Villani Vater und Sohn bis zur Geschichte von Florenz des Macchiavelli sehen kann. Menschliche Interessen, Absichten und Zwecke beginnen zunehmend die Weltsicht zu bestimmen.
Aber: "Als Historiker waren die Humanisten in erster Linie Garanten des Nachruhms, sei es eines Fürsten, einer Stadt, einer Region oder einer Nation." (Hirschi in: Kintzinger/Schneidmüller, S.425)
Und: "Mit dem Festhalten an ihrer anachronistischen Rolle als öffentliche Gelehrtenpolitiker wirkten die Humanisten letztlich als Meister des Verbergens von politischen Entscheidungsstrukturen. Sie stellten Kulissen des antiken Roms auf, vor denen sie die Öffentlichkeit des Politischen uneingestanden als Schauspiel inszenierten. Hinter diesen Kulissen konnte sich die Macht des Renaissance-Staates im Geheimen beschleunigt entfalten." (Hirschi s.o., S.426)
Gesellschaften
Neben die aristotelisch-scholastisch orientierten Universitäten treten in der Nordhälfte Italiens informelle Kreise und privater organisierte Akademien.
Die Casa Giocosa in Mantua war ursprünglich ein Gebäude für das Amüsement der Gonzaga-Familie. 1423 lässt Gianfrancesco Gonzaga sie in ein aristokratisches Erziehungs- und Schulinstitut samt Internat für die Kinder der Gonzaga und befreundete hochadelige Familien verwandeln und beauftragt den humanistischen Erzieher mit der Leitung. Zur ganzheitlichen Erziehung gehören Rhetorik, Mathematik und Philosophie, aber auch Fechten, Reiten, Schwimmen und Ballspiele.
Neben vielen Gonzagas werden hier auch Federico da Montefeltre, Pallavicino und Lorenzo Valla unterrichtet und erzogen.
In Florenz holt Cosimo de Medici um 1460 den jungen Neo-Platoniker Marsilio Ficino in die Nähe seiner Villa von Careggi. In Florenz unterstützt er dann Plethons Vorträge und Ficino wird Kern einer informellen Gruppe, die später missverständlich als Platonische Akademie bezeichnet wird.
In großen Teilen Frankreichs, wohl vor allem im Norden, entwickeln sich im 15. Jahrhunderts aus religiösen Bruderschaften die Puys, eine Art literarische Gesellschaften, die jedes Jahr Wettbewerbe organisieren, meist zu Ehren der Jungfrau Maria. So muss das Oberhaupt des Puy von Rouen dreimal im Jahr eine Ballade zu ihren Ehren produzieren. Man zeichnet darüber hinaus einen Schönredner aus.
Daneben gibt es Chambres de Rhétorique, die Schauspiele aufführen und Poesie-Wettbewerbe veranstalten.
1449 werden im englischen Norwich die zwölf Spiele des Fronleichnamsfestes auf die einzelnen Gilden verteilt. 1465 steht in den Verordnungen zu den Schmieden des kleinen Beverly in der Grafschaft Yorkshire, dass jeder für das Fastnachtsspiel 4 Denare entrichten muss. (Heers(2), S.228)
Anfang des 16. Jahrhunderts führen die Pariser Gerichtsschreiber dann nicht mehr Mysterien, sondern komisch-satirische Moralitäten als regelrechte Theaterstücke auf.
Schulen
Das Schulwesen wanderte einst von den Klöstern zu den Kathedralen und diente zunächst dem geistlichen Nachwuchs. Dann breitet es sich in den Städten aus, wo es in deutschen Landen zunächst immer noch um die Geistlichkeit geht. Im 14. Jahrhundert hat Nürnberg vier Lateinschulen u.a. bei St. Lorenz und St. Sebald. Dann tauchen Schreib- und Rechenmeister auf, die auf die weltlichen Interessen besonders von Kapitaleignern ausgerichtet sind und Lesen, Schreiben und Rechnen mit kaufmännischem Rechnen verbindend. Solch volkssprachlicher Unterricht muss dann auch bezahlt werden.
Papier, Druck, Buch
Zwei Dinge vor allem werden die Welt des Schreibens und Lesens erheblich verändern: Der Ersatz des enorm teuren Pergamentes durch das Papier und noch erheblich später der Buchdruck. Das Papier, ein pflanzliches Produkt, gelangt von China über die Islamische Welt nach Spanien und Süditalien und im späten Mittelalter auch über die Erfindung von Papiermühlen und die Verfeinerung von Herstellungsmethoden ins Zentrum Europa.
An die Stelle der Kloster-Bibiliotheken treten deutlich weltlicher orientierte. Niccolò Niccoli richtet im florentinischen San Marco eine Bibliothek ein, welche die Buchsammlung des Boccaccio erbt. In Venedig geht das Erbe des Kardinals Bessarione in die Bibliotheca Marciana ein. Um 1450 gründet Papst Nikolaus V. die Vatikanische Bibliothek.
Die so genannten Universalgenies
Die Renaissance ist das große Zeitalter Einzelner, die manchmal zugleich "Künstler" im späteren Sinne, Ingenieure/Architekten und protowissenschaftliche Theoretiker sind. Zu ihren Grundlagen gehört ganz wesentlich das Studium antiker Texte, worunter Vitruv für die Architektur, Archimedes und die alexandrinische Schule für die Mechanik herausragen. Der weit fortgeschrittene Kapitalismus liefert die Mittel, dass sich Fürsten ihrer bedienen können, und eröffnet so Leuten aus der Unterschicht und den unteren Mittelschichten neue Karrierewege. Nicht zum Adel und dem bürgerlichen Kapital gehörend, können sie des öfteren sogar zu einem gewissen Reichtum aufsteigen. Sie partizipieren aber nicht an der Macht, sondern sind ihr in der Regel dienstbar, um sich zu finanzieren.
Kunst ist immer noch das, was einer kann, es sind die freien Künste (artes liberales) und die mechanischen, die von oben herab eher verachtet werden, andererseits aber sich inzwischen mit einem gewissen Selbstwertgefühl ausgestattet haben und von denen einige aufgewertet werden: Die der Baumeister, Skulpteure und Maler sowie der Goldschmiede, wenn sie denn auf der Höhe der neuesten Mode sind. Diese setzt sich aus der ästhetisch-stilistischen Neuerung und der technischen Innovation zu etwa gleichen Teilen zusammen.
Gut sichtbar wird das bereits in der Geometrisierung der "gotischen" Architektur, die lichtdurchflutete größere und höhere Räume mit der massiven Reduzierung des Mauerwerks erzielt und dafür Stabilität durch Berechnung neuer Abstützungswerke erreicht.
In der Malerei bedarf es wenige Generationen später der Perspektive, um besser "Realität" vortäuschen zu können, und diese entwickeln Leute wie Dürer und seine italienischen Vorbilder durch mathematische und insbesondere geometrische Kenntnisse. Daneben wird die Abbildung sichtbarer "Realität" durch die Schärfung zeichnerischen Vermögens vorangetrieben. Renaissancemaler wie Dürer oder Leonardo und viele andere sind hervorragende Zeichner vor allem. Die Zeichnung wiederum wird wichtig für die Ingenieurskunst der Architekten und Maschinenbauer, und für Leute wie Leonardo wird die technische Zeichnung bis hin zum Entwerfen phantastischer Maschinen auf dem Karton zu einer Haupttätigkeit. Die Reichen und Mächtigen benutzen solche Talente nicht nur, um sich damit zu schmücken, sie lassen sich von ihnen manchmal auch Festungswerke, Waffen und anderes Kriegsgerät entwickeln. Brunelleschi ist gelernter Goldschmied, dann wird er Bildhauer, bevor er die berühmten Gebäude in Florenz entwirft.
Seit der beginnenden Romantik des späteren 18. Jahrhunderts wird in diese Genies etwas priesterhaft Offenbarungsmäßiges hineingesehen, was diesen Dienern von Kapital und Macht zunächst eher fremd war, auch wenn es bei Leuten wie Michelangelo bereits durchzuscheinen vermag. Die unter den Rahmenbedingungen des voranschreitenden Kapitalismus sich ausbreitenden Säkularisierungstendenzen, noch kaum als solche erkannt, fangen so an, die Priesterschaft hochtalentierter "Künstler" neuen Wortsinnes, worunter auch die sich in Büchern verbreitenden Schriftsteller zu fassen sind, an die Stelle der alten Priesterschaft treten zu lassen.
Tatsächlich sind diese neuartigen Künstler bis ins 16. Jahrhundert hinein oft noch zünftig organisierte Handwerker, immerhin produzieren die Malerei-Werkstätten ihre Farben noch aus natürlichen Rohstoffen. Duccio, Stern unter den Seneser Malern, ist auch für die Stadt mit Brunnenbau befasst. Mariano di Jacopo ("Taccola") betreibt zunächst in Siena Bildschnitzerei, ist zudem Notar, arbeitet dann in Genua für den Ausbau des Hafens und ist schließlich beteiligt am Bau eines Wasser-Reservoirs. (Stevenson, S.238) Er wird Miglied der Casa de sapienza, aus der die Seneser Universität hervorgehen wird.
Unter seinem Einfluss entwickelt sich Francesco di Giorgio Martini, später Freund von da Vinci und Bramante. Er lernt bei Vecchietta, einem Maler, Bildhauer (Bronzeguss), Architekten und Militär-Ingenieur. Dann verbessert er die Wasser-Versorgung von Siena, um schließlich mit Federico da Montefeltro über Probleme angewandter Mathematik zu diskutieren. 1495 lässt er unter Neapels Castel Nuovo Schießpulver explodieren, was einen Teil der Festung zum Einsturz bringt. In einem Aufsatz über Architektur von ihm heißt es:
Da man heutzutage deutlich sieht, dass eine Anzahl geometrischer Formen unterschiedlicher Länge und Breite mit einer Vielzahl verschiedenartiger Angriffe übereinstimmt, scheint es mir nicht unangebracht herauszufinden, welches diese Formen sind. (in: Stevenson, S. 244)
Bedenkenloser Beitrag zur Macht und dem kriegerischen Erfolg der Mächtigen gehört bei diesen "Genies" dazu. die weit über die Karrieren üblicher Handwerker hinausgehen.
Ansonsten sind es eher die Poeten und Komponisten, die anfangen, sich aus handwerklichen Strukturen zu emanzipieren. Im Unterschied zu den "bildenden" Künstlern bleiben sie aber überall dort arm, wo sie nicht in die Dienste von Fürsten treten oder peinlich-liebedienerisch deren Lob singen. Immerhin wird die Verbilligung des Papiers und der Buchdruck im 16. Jahrhundert neue Einkommensquellen mehr oder weniger gewähren.
Medizin
Das Wort wird im 13. Jahrhundert aus der lateinischen ars medicina übernommen, was Heilkunst meint.
Den Arzt gibt es schon im Althochdeutschen, aber das Wort wird im wesentlichen seit den Leibärzten der Merowinger-Könige auf solche hochgestellte Personen angewandt. Das häufigere Wort in der Volkssprache wird für das spätere Mittelalter der "Doktor", eigentlich der gelehrte, mit Abschluss versehene Mann.
Bis ins 17. Jahrhundert und den Anfängen einer verwissenschaftlichten Medizinalkunde teilt sich das Heilwesen in drei Bereiche: Den soliderer Erfahrungsheilkunde, den spekulativer Theoriebildung und den gänzlich phantastischen religiösen und parareligiösen Unfugs.
Das Heil wird von der christlichen Kirche für die Religion in Anspruch genommen. Im Heilen steckt aber nicht nur die Errettung der christlich vorgestellten Seele, sondern auch das Gesundmachen des Körpers. Beides können "heilige" Objekte erreichen, Reliquien vor allem, wobei Suggestion bei Erfolg sicher eine wesentliche Rolle spielt.
Von den Reliquien ist nur ein kurzer Weg zu anderen Wundermitteln wie der Alraune, Mandragora, einer vom Mittelmeerraum nach Süden verbreiteten Wurzel mit menschenähnlicher Gestalt. Einerseits Basis für Medizin seit der Antike, ist sie zugleich für viele ein Gegenstand, mit dem man vielerlei Zauberei betreiben kann.
Größeren Schaden richtet die antike Humoraltheorie des Hippokrates und Galenus an, welche Gesundheit als ausgeglichenes Verhältnis von vier Körpersäften benennt. Da sind die gelbe Galle (cholera), die schwarze Galle (melancholia), das Blut und der Schleim (phlegma), von denen vier Temperamente abgeleitet werden. Aus der Dominanz solcher noch weiter diversifizierter Körperflüssigkeiten werden dann Krankheiten und Heilmethoden abgeleitet. Auf diesem Wege geraten Schulen akademischer Medizin bis in das 17./18. Jahrhunder auf Abwege, während andererseits schon Paracelsus dieses theoretische "Wissen" ablehnt. Rund 20 Jahre nach seinem Tod bildet sich in seinem Gefolge in Basel eine Medizinerschule heraus, die sich gegen die Galenusanhänger wendet und seine Drei-Prinzipien-Lehre weiterentwickelt, die auf den Grundstoffen Schwefel, Quecksilber und Salz beruht. Dabei richtet er sich gegen den allgemeinen Wunderglauben.
Die Mischung aus parareligiösen und alchemistischen Elementen richtet nicht nur mit ihrer Art rein spekulativer Theoriebildung ebenfalls großes Unheil an, sondern wird im Zuge der Säkularisierung des 18.-20. Jahrhunderts parareligiösen Sehnsüchten insbesondere nach einem harmonisierten und "spiritualisierten", also antiintellektuellen Weltbild auf die Sprünge helfen, wie es sich von Goethe bis zu Esoterikern wie den Anthroposophen und dem Unfug der "Homöopathie" niederschlagen wird.
Erfahrungsmedizin ist sicher bis ins 17./18. Jahrhundert, als die Verwissenschaftlichung einsetzt und darüber hinausgeht, der heilsame Zweig des Medizinwesens und Unwesens. Sie gewinnt schon früh Spezialisten und insbesondere Spezialistinnen, die sich vor allem mit Kräuterheilkunde im weitesten Sinne befassen und dabei dort, wo das überhaupt helfen kann, durchaus erfolgreich sind
Zwischen Erfahrung und antiker Spekulation bewegen sich zunächst einige Medizinschulen wie die von Salerno, aus denen akademische Medizin des Mittelalters hervorgeht. Kenntnis vom menschlichen Körper gewinnen Wundärzte, die bis ins 18. Jahrhundert auch den Militärs in die Kriege folgen und bei den Verletzungen tief in die Menschen hineinschauen können. Durch die bei Körperstrafen erworbene Kenntnis der Anatomie erwerben sich auch Henker eine gewisse Expertise. Bis ins 17./18. Jahrhundert bedienen sie allerdings, oft wohl in bewusst betrügerischer Weise, auch die Gläubigkeit der Menschen, die zu Salben geronnene Leichenteile, insbesondere Fett von mit dem Tode Bestraften als Heilmittel verkaufen.
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Naturwissenschaften (Materialsammlung)
Der gelehrte Geistliche Nicole d'Oresmes (gest.1382) ist neben William of Ockham einer der bedeutendsten Denker seiner Zeit. Abgesehen von Theologie und Kennerschaft des Aristoteles betritt er den Weg, der die Entwicklung der Naturwissenschaften im 16. Jahrhundert vorbereitet, wozu auch gehört, dass er die Astrologie ablehnt, indem er fordert, dass natürliche Erscheinungen auf natürliche (und nicht auf überirdische) Ursachen zurückgeführt werden müssen, und Ansätze einer Mahematisierung der Naturwissenschaften betreibt.
Literaten
Mit Boccaccio und Chaucer beginnt in unterschiedlicher Weise eine Erzählliteratur in Prosa, die sich als Kunstform versucht. In der Novelle mit ihrem Wirklichkeitssinn, ihrer Abkehr von theologischer Spekulation und ihrer Reduktion von Religion auf die gelegentlich überspitzt dargestellte verdorbene Geistlichkeit wird einem beleseneren städtischen, wenn auch oft kleinen Publikum eine Welt vor Augen gestellt, die nicht mehr von einem Gott, sondern von Charakter und Persönlichkeit von Individuen geprägt ist. In dieser Welt spielen Glück und Unglück als Zufälle eine große Rolle, aber auch das manchmal perfide Talent der Einzelnen, sich darin zu bewähren oder unterzugehen.
Darin spiegelt sich eine Welt kleiner und großer unternehmerischer Talente, die handfeste Spekulation um Gewinn und Verlust, die voll erblühte kapitalistische Welt. Es geht um Geld und Gut, um sexuelle Machtausübung und die Wirklichkeit menschlicher Eitelkeiten, die kaum mehr kritisiert, sondern vor allem dargestellt werden.
Solche Autoren können vorläufig von ihren Texten nicht leben, sie lernen einen "bürgerlichen" Beruf wie Chaucer oder Boccaccio und versuchen dann in der Nähe eines Hofes oder wie dann letzterer mit Lehrtätigkeit ihr Auskommen zu sichern.
Die Kunst ist eine literarisch-stilistischen Könnens, aber auch die, unterhaltsam zu wirken. Dazu dient die Darstellung des Exzeptionell-Besonderen und des Abenteuerlichen, denn der übliche Alltag jenseits davon hat nur geringen Unterhaltungswert: Eine gelingende Ehe erregt kein literarisches Interesse, desto mehr das sexuelle Abenteuer und die sexuelle Verdorbenheit Einzelner. Damit beteiligt sich die Erzählliteratur an jenen Auflösungserscheinungen, welche der Kapitalismus in den Zivilisationen zeitigt, und welche niemand so kunstvoll und drastisch wie Shakespeare dann auf die Bühne bringen wird. Einen literarisch weniger wertvollen Einhalt auf dem Weg dahin dahin wird die Reformation und die Gegenreformation auf offiziellem Weg einzulegen versuchen, aber der ist langfristig zum Scheitern verurteilt.
Bildende Kunst der Renaissance
Das merkwürdige Wort Humanismus ist eine deutsche Erfindung des frühen 19. Jahrhunderts, während der Begriff Renaissance als italienische „Wiedergeburt“ schon in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhundert zur Beschreibung eines Programms der Wiederaufnahme antiker Ästhetik in den bildenden Künsten verwendet wird. Als Epochenbegriff mit seinen ganzen bildungsbürgerlichen Konnotationen ist das Wort eine französische Erfindung einige Jahrzehnte nach der Erfindung des „Humanismus“ und wird später dann ins Deutsche eingebürgert. Beide Wörter haben den Fehler, dass sie seitdem wie eine bunt gefärbte Brille den Blick in die Vergangenheit eher behindern als fördern. Dennoch kommt man um sie wie um so viele Wortkuriositäten des 19. Jahrhunderts kaum noch herum.
Im Kern folgen sie den Ideologen zwischen Petrarca und dem mit Barock im Nachhinein betitelten Zeitalter, welche die Zeit zwischen der Antike und dem entfalteten Kapitalismus als dunkle, bildungslose Zeit einer „gotischen“ oder überhaupt von den Nachwehen der Völkerwanderung behinderten Epoche enormer Barbarei sehen wollen.
Dabei gab es in den bildenden Künsten einen wirtschaftlich bedingten Niedergang gewisser Techniken, aber keine völlige Loslösung von antiken Traditionen, und die antike Literatur und Philosophie wird nie ganz aus den Augen verloren. Im Grunde ist die Zeit zwischen 500 und 1500 vielmehr eine unaufhörliche Abfolge von „Renaissancen“ recht unterschiedlicher Art, die sich allesamt auf die Antike beziehen, bis man dann meint, sie „überwinden“ zu können.
Gemeint ist mit Renaissance eine "Wiedergeburt der Antike", aber sie kann natürlich auf dem Fundament von klerikal-fürstlicher Kirche, weltlicher Fürsten-Herrlichkeit und kapitalistischen Städten nur als Fassade im weitesten Sinne des Wortes wieder erstehen.
Fassade wird auch die in Ritualen und Zerremonien erstarrte Religion für eine bildende Kunst, in deren Spitzenerzeugnissen sich oft immer weniger Religiosität abzeichnet, und die sich thematisch oft immer mehr von christlichen Themen abwendet. Das zeigt sich nicht zuletzt in dem Aufstieg eines mehr oder weniger idealisierenden Porträts.
In der Malerei stehen Meister wie Masaccio mit der Erfindung der Zentralperspektive und der Darstellung einer neuen Körperlichkeit für eine zunehmende Faszination des Technischen im Kunstwerk. In der Architektur werden immer größere Kuppelbauten dasselbe betonen. Mit dem Studium des antiken Vitruv wird die neue Faszination für römische Altertümer sozusagen verwissenschaftlicht. Das hindert oft aber noch nicht daran, altrömische Ruinen weiter als Steinbruch zu benutzen.
Humanistisch geprägte Architektur entwickelt Leon Battista Alberti, der sie zum Beispiel in der Umgestaltung von Riminis San Francesco (Tempietto) im Auftrag des Despoten Malatesta, im Palazzo Ruccelai und später der Fassade von Sta Maria Novella in Florenz verwirklicht. An die Aufträge reicher und mächtiger Geldgeber gebunden, dient er der Darstellung ihrer Pracht und Herrlichkeit; Kunst geht nach Geld und der Entwicklung der neuesten stilbildenden Moden.
Albertis Ideale einer sich auf eine Antike beziehenden "politischen Architektur waren in Stein gemeißelte Eigenschaften des humanistischen Gelehrtenpolitikers." (Hirschi in: Kintzinger/Schneidmüller, S.412)
***Pienza***
Es gibt im früheren Mittelalter von Fürsten gegründete und geplante Städte. Sie entstehen aus wirtschaftlichen, militärischen und repräsentativen Gründen. Die Verwandlung des Dorfes Corsignano in der Nähe von Siena durch Aeneas Sylvius Piccolomini in die Stadt Pienza ist etwas neuartiges. Kurz nach seiner Erhebung zum Papst Pius (1458) macht sich der Kirchenfürst daran, sein Geburtsdorf von rund 300 Häusern von Schafbauern in eine durchgeplante Phantasiestadt zu verwandeln.
Die Idee des Renaissancefürsten beruht auf seiner Verbundenheit mit den Ideen von Leon Battista Alberti.
Für den Entwurf der kunstästhetisch motivierten neuen Stadt gewinnt Pius 1459 den Florentiner Bildhauer und Architekten Bernardo Rosselini.
Hier sieht man den Piusplatz, die Kathedrale und den Piccolomini-Palast, alles von Rosellini entworfen, der bis zu seinem Tod 1464 diese zentralen Gebäude und mehr entwirft.
Zunächst setzt er in Siena durch, dass der Ort eine Stadtmauer erhält und erhebliche Erleichterungen an Steuern und Abgaben, insbesondere auch beim Kauf von Haus und Grund. Dann werden Leute zum Verkauf gezwungen, ihre Gebäude eingerissen. Mit privatem Vermögen und dem kirchlichen des Papstes
wird dann der Bau der Kathedrale, eines Hauses für den Domklerus und eines eigenen begonnen. Die Kathedrale wird dann mit kostbaren Kunstwerken ausgestattet. Es folgen ein Palazzo Communale und die Paläste eines Kardinals und geistlichen Hochadels aus der päpstlichen Anhängerschaft, gewollt oder eher genötigt.
Da der Papst die Stadt als seine erbauen lässt, nennt er sie nach seinem Papstnamen. Seine Verwandtschaft lässt ebenfalls Gebäude errichten und die ersten Bischöfe werden denn auch Piccolomini sein.
Die aus dem neuen Zentrum vertriebenen Einwohner dürfen sich mit päpstlicher Unterstützung an der Peripherie neue Häuser bauen und andere werden dabei unterstützt, ihre bisherigen stilistischer Innovation zu unterziehen.