SPÄTZEIT: 1650-1800 (Materialsammlung)

 

 

 

Zwischen etwa 1600 und 1730 stagniert die Bevölkerungszahl in Europa, um danach ganz erheblich anzusteigen, begünstigt durch das Klima und bessere Versorgung mit Nahrungsmitteln. Das führt bis dahin, dass die mittelalterlichen Grundstrukturen schließlich eine entsprechende Steigerung der Nahrungsproduktion und eine Ausweitung von Arbeitsplätzen behindern. 

 

Um die Erträge in der Nahrungsproduktion, die bislang eher stagnieren, zu steigern, werden seit Ende des 18. Jahrhunderts mit Mitteln der Flurbereinigung die Gewannfluren zu großen Blöcken zusammengefasst und auch die Allmende aufgeteilt. Erst jetzt entsteht dann eine von feudalen Rahmenbedingungen befreite Bauernschaft, der es gelingen wird, die massiv anwachsende städtische Bevölkerung mit Maschineneinsatz und Industriedüngern zu ernähren. Solche Bauernbefreiung führt dann aber auch zur Verminderung ihrer Zahl, und die Überzähligen wandern in die Industrien der Städte ab.

 

 

Immer noch herrschen Könige und Fürsten, und der Adel besitzt weiter seine Privilegien auch in den höheren Rängen der Kirche und beim Militär. Die Verwaltung ist aber nunmehr weit überwiegend in der Hand bürgerlicher Experten, meist Juristen, und nicht wenige von ihnen werden in den (Amts)Adel erhoben. Dieser wächst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit dem alten (Schwert)Adel zusammen.

 

England: King in Parliament

John Locke (1632-1704): Gewaltenteilung

Montesquieu (1689-1755)

Jean-Jacques Rousseau (1712-1779)

 

1701-13 Spanischer Erbfolgekrieg

1701-13 /1740-48 Österreichische Erbfolgekriege

1756-63 Siebenjähriger Krieg.

1776-86 Amerikanischer Unabhängigkeitskrieg

 

 

Kolonien

 

1652 beginnen die Buren Südafrika zu besiedeln.

Inzwischen sind die KOlonien in die Machtkämpfe der europäischen Staaten integriert.

1768-79 die Fahrten James Cooks erschließen den pazifischen Raum, wo bald Nordamerika und Russland aneinander stoßen.

1773 im Frieden von Paris verliert die französische Krone die kanadischen und indische Gebiete an England.

 

 

Adel

 

Burg Altendorf (Essen) hat 1601 eine Hauptburg mit Wohngebäude und eine Vorburg, die zusammen ummauert sind. In dem Hauptgebäude sind auch die Kammer für den Schreiber und den Kammerdiener. In der Vorburg gibt es mehrere Ställe, Kammern für Knechte, Mägde, den Fischer, den Baumeister, den Ölmüller, vermutlich auch für den Schweinehirten, den Schäfer und den Müller. (Leenen in: Jaspers/Patzold, S.119)

 

Köln

 

1653 scheitert ein militärischer Anschlag auf die Bürgerstadt Köln durch Erzbischof Maximilian Heinrich.

Um 1660 Aufstand des Nicolas Gülich, der einen neuen Rat und neue Bürgermeister schaff, aber dann seinen Anhang verliert und 1168 offiziell geköpft wird. Kaiser Leiopold I. unterstützt die Altmächtigen in der Stadt.

 

1665-67 fordert eine Pestepidemie rund 10 000 Tote. 1667 versucht der Erzbischof wiederum vergeblich die Stadt einzunehmen, die sich mit Waffengewalt verteidigt.

Im Reichskrieg wird 1676 eine Handelssperre gegen Frankreich erlassen. Die Waren fehlen nun.

Anfang des 18. Jahrhunderts hat Farina Erfolg mit Duftwässern (Eau de Cologne). Aber die protestantischen Handelsherren werden zwischen 1711 und 1716 immer mehr behindert und wandern nun endgültig nach Mülheim ab.

1757 erhält Köln eine französische Besatzung von bald 11 000 Mann.

 

1784 wird die Stadt bei schweren Zerstörungen vom Rhein überflutet. 1794 besetzen die Franzosen die Stadt, für die das Mittelalter nun zu Ende ist.

 

 

Die sogenannte Aufklärung

 

Aufbauend auf dem französischen "Rationalismus": Vernunft- und Fortschrittsglaube, Geschichtsoptimismus.

Pierre Bayle (1647-1706)

Arouet/Voltaire (1694-1778)

Lessing (1729-81)

Neues Menschenbild 

 

Ausblick

 

Das Bündnis von sklavenhaltenden Plantagenbesitzern mit bürgerlichem Gewinnstreben und bäuerlicher Landwirtschaft führt 1776-83 zusammen mit spätpuritanisch genährtem Hass auf englische "Katholische" zur ersten großen Ablösung einer Kolonie vom Mutterland und der Schaffung einer Präsidialrepublik mit erheblichen staatsbürgerlichen Freiheitsrechten. Gewinngier und offensiv durchgesetzte Kapitalinteressen führen zur Eroberung des nordamerikanischen Kontinents südlich von Kanada und der Vernichtung der indigenen "indianischen" Kulturen.  

 

Davon inspiriert tritt der französische Adel für seine Standesinteressen gegen den König auf, und im Zuge dieser Rebellion übernehmen ab 1789 Abenteuer, die sich politisieren, zusammen mit Vertretern von Kapitalinteressen und parareligiösen Politideologen den französischen Staat. Anders als in den USA mündet das alles nicht in mehr Freiheitsrechten, sondern in einem brutal terroristischen Staatsgebilde und nie zuvor dagewesener Unfreiheit. Nachdem das Land hinreichend ruiniert ist, schwingt sich Napoleon zum kaiserlichen Machthaber auf und versucht sich an der Eroberung Europas bis nach Moskau. 

Mit je nach Zustand der Unfreiheit unterschiedlichen Verfassungen entsteht ein instabiles Staatswesen, dessen Kontinuum in der Vertretung von Kapitalinteressen bis hin zu für die Menschen dort ruinösem Kolonialismus, wo immer man zugreifen kann.

 

Im parlamentarisch verfassten England existiert und erweitert sich ein Kolonial-Imperium (empire) mit allen schrecklichen Folgen für die dort "Eingeborenen", welches zu solcher Kapitalakkumulation im Mutterland führt, dass sie in eine massive Industrialisierung mit Dampfkraft, Maschinen und Fabriken führt, die einen großen Teil der Bevölkerung in ein in großem Elend lebendes Industrie-Proletariat verwandelt. Regierungen vertreten die Interessen des enorm wachsenden Kapitals und seiner Interessen in Übersee.

 

Diese Industrialisierung greift dann bald auf die Kernländer des Kontinents über und ruiniert nach und nach auch hier Bauern und produktives Handwerk, zunehmend vor allem auch in den deutschen Landen, die weiter von zahlreichen Fürsten regiert werden. Hier wie in Italien sind es Könige, die eine Reichseinigung herbeiführen, in deutschen Landen durch die Hohenzollern, die nach Eroberungen die Habsburger ins Abseits drängen, in Italien durch einen Zug von Norden nach Süden, der diesen Süden praktisch überrollt und dann massiv ins Abseits stellt. In beiden Fällen bricht dabei eine kurze Welle eines Nationalismus aus, der die dynastischen Interessen und die immer größeren Kapitals flankiert.

Der wirtschaftliche Abstieg Spaniens wiederum setzt sich fort und wird vom Verlust der süd- und mittelamerikanischen Kolonien begleitet, der von einer postkolonialen spanischen Oberschicht erreicht wird, die aber kaum funktionierende staatliche Strukturen zustande bringen. Was bis ins zwanzigste Jahrhundert Bestand hat, sind Teile des portugiesischen Kolonialreiches.

 

Die Kapital-Interessen des wirtschaftlich aufstrebenden deutschen Kaiserreiches und des englischen parlamentarischen Imperiums stoßen in der Katastrophe des Ersten Weltkriegs zusammen und verbinden sich mit dem andauernden französisch-deutschen Gegensatz. Im Ergebnis beginnt der von den Alliierten gewollte Niedergang von Restdeutschland, welches nun zur Republik wird, die bis 1933 mit den Ergebnissen der Niederlage zu kämpfen hat. 

 

In den Industriestaaten beginnt eine erste Phase der Sozialdemokratisierung der an sich durch und durch kapitalistisch orientierten Staaten, und es kommt zu ersten Schritten einer Umverteilung von oben nach unten mit dem Ausbau eines sogenannten Sozialstaates, um die Loyalität der proletarisierten Massen zu erhalten. Das misslingt in der Weimarer Republik aufgrund der Nachkriegslasten, während es auf der iberischen Halbinsel, in Italien und dem russischen Zarenreich kaum stattfinden kann. Sozialistische Bewegungen führen im Zarenreich zur bolschewistischen Terrordiktatur, in Spanien zur Gegenbewegung der Falange und dann zur Militärdiktatur Francos, und in Italien bei "linken" Wurzeln in den Faschismus, während es Hitler gelingt, mit seinem Nationalsozialismus den deutschen Staat zu übernehmen.

 

ff

 

 

Die französische Revolution wird dann zum Geburtshelfer einer neuen deutschen „Nation“, Napoleon mit seiner Unterdrückungs- und Ausplünderungspolitik hilft, den deutschen Nationalismus als „politischen“ zu erfinden.

 

Der dritte Napoleon wird der Geburtshelfer der italienischen Nation. Dafür, dass der piemontesische König von Sardinien „ihm“ Nizza und Umgebung „schenkt“, unterstützt er die Unterwerfung Mittel- und Süditaliens unter die piemontesische Krone. Als Ergebnis bezahlt das Königreich beider Sizilien mit hundert Jahren Niedergang und der Überantwortung an kriminelle Vereinigungen mit regionalemn Traditionen.

 

Kurz gesagt, die Nation ist längst einerseits die ins Ideale verkommene Sehnsucht des kleinen Mannes nach Größe, Vervielfältigung, der sich Demagogen seit langem bedienen. Andererseits wird sie der Binnenmarkt als Startrampe für die koloniale und postkoloniale Ausplünderung der Welt. 1789 wird sie in den Texten der Abenteurer, Phantasten und Karrrieristen des absterbenden Adels und des karrieristischen Teils des Dritten Standes zum Agenten der Geschichte. Niemand kann das säkulartheologischer formulieren als der Hocharistokrat Lafayette, der sie gerne als Einheit, Rechtschaffenheit, Fleiß und Genügsamkeit definiert, als union, probité, industrie, frugalité. Das ist, wie leicht sichtbar wird, auch Rousseau,  wenn auch aristokratisch garniert mit honneur und gloire. Das muß man auch nicht einzeln als Zitat belegen, denn Lafayettes Texte schwelgen in diesem Vokabular nationaler Wohlanständigkeit.

 

Während Lafayette mehr der Mann des Schlachtenlärms, der Paraden und der Theatralik ist, dessen Text gerne auf Ernsthaftigkeit verzichtet, formuliert der an die Göttin Vernunft glaubende Abbé Sieyès die Vernunft in seinem wenige Monate vor dem Mai 89 veröffentlichten Programm für diesen Mai doppelt und vom rhetorischen Pathos des dogmatischen Propagandisten getragen: Seine Nation besteht einmal aus den von den französischen Königen zusammengerafften Provinzen und Völkerschaften (schreibt er als Patriot nicht so, er meint aber genau dieses Territorium), zum anderen ist sie identisch mit dem dritten Stand, denen, die seiner Ansicht nach für Wohlstand und Reichtum (in) der Nation zuständig sind. Auf die Frage seines Pamphletes, was der dritte Stand sei, antwortet er nämlich mit: Alles. Die Privilegierten, die nicht zur Nation gehören (Adel und Klerus), sind nicht einmal 2% der Bevölkerung, übrigens eine Quote ähnlich der der Juden im Deutschland von 1933.

Was ist danach eine Nation? Eine Körperschaft von Assoziierten, die unter einem gemeinsamen Gesetz leben und von derselben Gesetzgebung vertreten werden. (Un corps d’associés vivant sous une loi commune et représenté par la même législature.) Der vernunftgemäße Staat, der sich jetzt Nation nennt, ist nichts anderes als eine Firma bürgerlichen Rechts, deren Produkt nach US-Vorbild propagandistisch das Glück der Bürger (citoyens) ist. Wer auf diese Weise nicht glücklich sein möchte, muß entsprechend auswandern oder seiner Verfolgung gewärtig sein. Die Seele des Staatsbürgers, der sein Glück will, brennt fürs Vaterland (L’âme brule pour une patrie.). Das ist dann auch nicht verwunderlich, verzehrt sich doch die Seele des guten Gesetzgebers für das Glück seiner „Bürger“, wie die Untertanen nun heißen. Die wahnwitzige Konstruktion der volonté générale des Rousseauschen Gesellschaftsvertrages, des allgemeinen Willens, wird allerdings bei Sieyès herabgemildert zum intérêt général, jenem „allgemeinen Interesse“, welches in unserer BRD noch mehr abgemildert, aber immer noch bedrohlich genug als Gemeinwohl auftaucht.

 

Festzuhalten bleibt, dass die neue Nation, die in der ersten französischen Verfassung von 1789/90 auftaucht, nicht identisch ist mit dem Staat, und auch nicht identisch wird mit der Bevölkerung dieses Staates, die als peuple auftritt, als Volk neuen Typs, sie wird nun ganz und gar zu einer Schimäre, die sich nur in ihren Inszenierungen zeigt, aber in Schüben allgemeinen Enthusiasmus hervorrufen kann.